Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Guten Tag, liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Internationale Anstrengun-
gen zur Bekämpfung der Geldwäsche; Ergebnis des
G-7-Finanzministertreffens.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara
Hendricks.
D
Frau Präsidentin! Meine
Kolleginnen und Kollegen! Die Finanzminister der G-7-
Staaten haben am 6. Oktober 2001 in Washington einen
Aktionsplan zur Bekämpfung des Terrorismus beschlos-
sen. Ziel dieses Aktionsplanes ist es, die Finanzströme
weltweit agierender Terrorgruppen und ihrer Unterstützer
auszutrocknen. Deutsche Vorstellungen zur Bekämpfung
der finanziellen Logistik des Terrorismus sind in die Inhalte
des Aktionsplans an wesentlichen Stellen eingeflossen.
Die Finanzminister der G-7-Staaten haben noch einmal
unterstrichen, die Resolutionen 1333 und 1357 des UNO-
Sicherheitsrats zu implementieren und Gelder der dort
genannten Adressaten einzufrieren. Ebenfalls haben die
Finanzminister zugesichert, die UN-Konvention zur Un-
terdrückung der Finanzierung des Terrorismus zu ratifi-
zieren und Listen über mutmaßliche Terroristen unterei-
nander auszutauschen.
Im Aktionsplan wurde hervorgehoben, dass bei der
Bekämpfung von Netzen, die der Finanzierung des Terro-
rismus dienen, die bei der OECD angesiedelte Financial
Action Task Force on Money Laundering, FATF, eine ent-
scheidende Rolle spielen soll. Am 29. und 30. Oktober
dieses Jahres wird sich die FATF, der bisher 31 Staaten an-
gehören, auf Vorschlag der G-7-Staaten zu einer Sonder-
sitzung treffen, die auf Einladung der USA außerplan-
mäßig in Washington stattfinden soll. Auf dieser speziell
dem Verhältnis von Geldwäsche und Finanzströmen mit
terroristischem Hintergrund gewidmeten Sondersitzung
soll diskutiert werden, wie die Finanzströme von Terro-
risten effektiv ausgetrocknet werden können.
Die Finanzminister haben im Einzelnen folgende Maß-
nahmen beschlossen: Nach dem von den G-7-Finanz-
ministern verabschiedeten Aktionsplan zum Kampf gegen
die Finanzierung des Terrorismus soll die FATF im Rah-
men ihrer bereits auf der Septembersitzung beschlossenen
Überarbeitung und Aktualisierung des von der FATF in
40 Empfehlungen 1990 und 1996 festgelegten Antigeld-
wäschestandards auch Standards entwickeln, wie Trans-
aktionen mit terroristischem Hintergrund von den Kredit-
instituten leichter erkannt werden können. Mittelfristig
wird das Mandat der FATF dadurch ausgeweitet.
Banken und Finanzdienstleister sollen über von der
FATF zu entwickelnde Typologien zur Erkennung von Fi-
nanzströmen, die dem Terrorismus dienen, sensibilisiert
werden, um so die institutsinternen Aufgreifkriterien zu
schärfen. Die FATF wird ebenfalls damit betraut, ein
neues Evaluierungsverfahren bezüglich der Finanzierung
des Terrorismus zu entwickeln, um Staaten und Jurisdik-
tionen, die der Finanzierung des Terrorismus Vorschub
leisten, zur Kooperation mit bestimmten Antiterrorstan-
dards zu zwingen.
Es wird im Aktionsplan hervorgehoben, dass die in al-
len Industriestaaten, bisher jedoch noch nicht in Deutsch-
land, bestehenden Zentralstellen für die Bekämpfung der
Geldwäsche, die so genannten Financial Intelligence
Units, auch in diesem Bereich eine besondere Rolle spie-
len sollen. Informationen über die Finanzströme des Ter-
rorismus sollen zwischen den Financial Intelligence
Units, die in der so genannten Egmont-Gruppe zusam-
mengeschlossen sind, über den Kreis der G-7-Staaten
hinaus ausgetauscht werden. Die Finanzmarktaufsichts-
behörden werden ebenfalls aufgefordert, sicherzustellen,
dass der Finanzmarkt nicht für die Finanzierung des Ter-
rorismus missbraucht werden kann.
In diesem Zusammenhang begrüßen die G-7-Finanz-
minister die Verabschiedung des Papiers Customer Due
Diligence durch den Baseler Ausschuss für Banken-
aufsicht am 4. Oktober dieses Jahres, das neben der Er-
kennung von Finanzbetrug und Geldwäsche durch das
18629
191. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Beginn: 13.00 Uhr
Postulat transparenter Beziehungen zwischen Bank und
Kunde und des Einsatzes von technischen Instrumenten
wie dem Konten-Screening auch einen Beitrag zur Er-
kennung logistischer Strukturen im Zusammenhang mit
der Finanzierung des Terrorismus leisten kann. Die G-7-
Staaten appellieren ebenfalls an den Internationalen
Währungsfonds, dessen Bemühungen um adäquate Auf-
sichtsstrukturen in der Finanzmarktaufsicht in Offshore-
zentren in enger Tuchfühlung mit den Aktivitäten des
1999 geschaffenen Financial Stability Forum zu intensi-
vieren.
Dem G-7-Aktionsplan schloss sich Russland, das für
den 6. Oktober 2001 speziell zu diesem Tagesordnungs-
punkt eingeladen war, sofort an. Finanzminister Alexej
Kudrin erklärte, sein Land werde die Bemühungen, das
Vermögen terroristischer Gruppierungen einzufrieren,
nach Kräften unterstützen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke Ihnen, Frau
Staatssekretärin.
Ich bitte darum, zunächst Fragen zu dem aufgeworfe-
nen Themenkomplex zu stellen. Als erstem Fragesteller
erteile ich Herrn Kollegen Koppelin das Wort.
Frau Staatssekretärin, nach-
dem Sie FATF angesprochen haben, möchte ich Sie fragen:
Welche Vorstellung haben die Bundesregierung und die
G-7-Staaten hinsichtlich der Zusammenarbeit zur Be-
kämpfung der Geldwäsche mit bestimmten Staaten? Ich
nenne konkret Liechtenstein, weil es in diesem Zusam-
menhang in der Vergangenheit immer wieder Vorwürfe
und Hinweise auf Berichte ich glaube, des Bundesnach-
richtendienstes gegeben hat. Ist eine Verbesserung der
Zusammenarbeit mit solchen Staaten vorgesehen, und
wenn ja, in welcher Form? In diesem Zusammenhang
wäre ich für konkrete Aussagen dankbar. Wie soll eine Zu-
sammenarbeit mit Staaten, die von Geldwäsche betroffen
sind, insbesondere mit Liechtenstein, in Zukunft ablaufen?
D
Herr Kollege Koppelin,
Ihre Frage hat nicht unmittelbar mit der Bekämpfung ter-
roristischer Finanzierungsstrukturen zu tun; jedenfalls
will ich einen solchen Vorwurf gegenüber Liechtenstein
nicht erheben, weil ich darüber keine speziellen Kennt-
nisse habe. Andererseits ist der Staat Liechtenstein durch
die FATF und die OECD als nicht kooperierender Staat
auf eine Liste gesetzt worden. Eine solche Maßnahme ist
bislang der größte Sanktionsmechanismus, den die FATF
hat. Das bedeutet natürlich, dass diejenigen Staaten, die
auf einen ordentlichen und sauberen Finanzmarkt Wert
legen, mit Staaten, die auf dieser Liste stehen, nicht ko-
operieren sollten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich erteile Herrn Kol-
legen Koppelin das Wort zu einer Zusatzfrage.
Wie viele Verfahren hat es
in Deutschland gegeben, seitdem es den Tatbestand der
Geldwäsche gibt? Wie viele Verfahren davon sind in-
zwischen rechtskräftig abgeschlossen worden? In diesem
Zusammenhang will ich auch fragen, ob von der Bundes-
regierung eine Ausweitung des Vortatenkataloges, insbe-
sondere im Hinblick auf leichtere und mittelschwere Fälle
der Steuerstrafdelikte, geplant ist.
D
Ich kann Ihnen leider aus
dem Kopf nicht beantworten, wie viele Verdachtsanzei-
gen hinsichtlich der Geldwäsche es gegeben hat. Ich will
Ihnen die Antwort zu dieser Frage ebenso wie zu dem
zweiten Teil Ihrer Frage, wie viele Verfahren abgeschlos-
sen sind, gerne schriftlich nachreichen.
Sie wissen, dass ein Aufgriffstatbestand in der Einzah-
lung von mehr als 30 000 DM Bargeld liegt. Aus einem
solchen Umstand lässt sich aber natürlich nicht immer der
Vorwurf der Geldwäsche ableiten.
Die Bundesregierung beabsichtigt, die schwere nicht
die leichte oder mittlere Steuerhinterziehung als Verbre-
chen und nicht nur als Vergehen zu qualifizieren, was in
dem Strafrahmen zum Ausdruck kommt. Dies hätte damit
auch für Straftaten der Geldwäsche Auswirkungen in Be-
zug auf den Vortatenkatalog.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Als nächstem Fra-
gesteller erteile ich dem Kollegen Michelbach das Wort.
Frau Staatssekretä-
rin, es ist sicher richtig, dass die Terrorismusbekämpfung
eine neue Dimension erhalten muss. Für den Steuerzahler
in Deutschland stellt sich aber die Frage der Verhältnis-
mäßigkeit der Mittel. Wird nicht mit den Maßnahmen, die
Sie in Bezug auf das Bankgeheimnis vornehmen, gegen
den ehrlichen Steuerzahler quasi ein Generalverdacht
erhoben? Wird nicht die Vertrauensbasis zwischen dem
ehrlichen Steuerzahler und dem Staat zerstört, wenn eine
generelle Auflockerung des Bankgeheimnisses vorge-
nommen wird? Schon jetzt haben die Banken die Ver-
pflichtung, verdächtige Einzahlungen zu melden. Wir ha-
ben doch bereits ein Geldwäschegesetz, das in diesen
Fällen verstärkt Anwendung finden sollte.
D
Herr Kollege Michelbach,
im Zusammenhang mit der Bekämpfung der finanziellen
Logistik von Terroristen ist nicht daran gedacht, das Bank-
geheimnis zu lockern. Dies wird zwar in der Öffentlich-
keit behauptet, ist allerdings nicht der Fall. Das heißt
nicht, dass die Bundesregierung nicht zu einem späteren
Zeitpunkt diesen Gedanken, also die Bekämpfung der
Steuerhinterziehung, möglicherweise aufgreifen wird.
Aber wenn sie es tun wird, dann wird sie es wegen der
Bekämpfung der Steuerhinterziehung und nicht wegen
der Bekämpfung des Terrorismus tun. Wir wollen diese
beiden Tatbestände nicht vermengen. Ich glaube, es liegt
auch nicht im Interesse des Steuerbürgers, in einem Atem-
zug mit Terroristen genannt zu werden, wie Sie es in Ihrer
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
18630
Frage getan haben. Ich würde mir das als Steuerbürger
verbeten haben.
Die Bundesregierung plant also nicht, das Bankgeheim-
nis in diesem Zusammenhang aufzuweichen. Sie plant
allerdings dies steht auch im Einklang mit dem Aktions-
plan, der am vergangenen Wochenende von den Finanz-
ministern der G-7-Staaten beschlossen worden ist , eine so
genannte Kontenevidenzzentrale beim Bundesaufsichts-
amt für das Kreditwesen einzurichten. Diese Konten-
evidenzzentrale soll Namen und Geburtsdaten der Konto-
inhaber sowie das Datum, wann ein Konto eingerichtet
worden ist, speichern. Es sollen weder Kontostände noch
Kontobewegungen erfasst werden.
Die Einrichtung einer solchen Zentrale ist deshalb not-
wendig, weil in der Bundesrepublik Deutschland rund
2 900 Kreditinstitute existieren. Wenn man den Verdacht
hat, dass jemand Finanzströme im terroristischen Sinne be-
wegt hat, dann ist es schlechterdings unmöglich, 2 900 Kre-
ditinstitute in der Bundesrepublik Deutschland abzufra-
gen. Das haben wir erfahren, als die Europäische Union
im vergangenen Jahr in diesem Jahr hat sie es erneut
versucht Implementierungen im europäischen Recht
aufgrund der von mir eben genannten Resolutionen der
Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus
vorgenommen hat. Es hat monatelang gedauert, bis die
Namen der Verdächtigen, die in den UNO-Resolutionen
aufgelistet waren, und deren Konten in der Bundesrepu-
blik Deutschland identifiziert werden konnten. Das lag
daran, weil bisher kein automatischer Abgleich der Na-
men von Verdächtigen mit denen der Kontoinhaber mög-
lich war. Es geht also nicht um Kontobewegungen und
auch nicht um die Höhe der Konten. Es geht tatsächlich
nur um eine zentrale Registrierung der Namen der Kon-
toinhaber.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Michelbach, bitte, eine Nachfrage.
Frau Staatssekretärin,
verstehe ich Sie richtig, dass Sie dem Herrn Bundeskanzler
widersprechen, der in seiner Regierungserklärung vor
14 Tagen deutlich gemacht hat, dass er wegen der Ter-
rorismusbekämpfung eine Lockerung des Bankgeheimnis-
ses als notwendig erachte? Entstehen dadurch dazu zählen
auch die nivellierenden Maßnahmen, die Sie hier angespro-
chen haben nicht der gläserne Bürger und Steuerzahler?
D
Herr Kollege Michelbach,
der Bundeskanzler hat sowohl im deutschen Parlament als
auch gegenüber der Öffentlichkeit erklärt, man werde im
Hinblick auf die Bekämpfung terroristischer Aktivitäten
prüfen müssen, ob das Bankgeheimnis gelockert werden
muss. Nach unserem bisherigen Stand der Überprüfung
ist es nicht wirklich notwendig, an § 30 a der Abgaben-
ordnung, also an das so genannte Bankgeheimnis, heran-
zugehen, wenn es uns denn gelingt, die Maßnahmen, die
wir Ihnen im Rahmen der Erörterungen des Vierten Fi-
nanzmarktförderungsgesetzes vorschlagen werden, um-
zusetzen. Dazu gehört die von mir eben erwähnte Konten-
evidenzzentrale, die, wie gesagt, nur Namen und Ge-
burtsdaten der Kontoinhaber, nicht aber die Höhe der
Konten und Kontobewegungen erfasst. Ich glaube deswe-
gen, dass die Behauptung, es werde hier der gläserne Bür-
ger geschaffen, nicht korrekt ist.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass Sie den
ganz normalen Steuerzahler in einem Atemzug mit Terro-
risten nennen. Auch ich bin Steuerzahlerin und verwahre
mich dagegen. Ich habe allerdings nichts dagegen, dass
das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen erfährt, dass
ich Kontoinhaberin bin, was zum Beispiel viele andere
Menschen und Institutionen auch wissen können. Allein
aufgrund der Anzahl der Einzugsermächtigungen und der
Überweisungen, die man in seinem Leben tätigt, ist sehr
vielen Institutionen in der Bundesrepublik Deutschland
klar, dass ich eine Kontoinhaberin bin. So geht Ihnen das
wahrscheinlich auch. Mit der Einrichtung einer Konten-
evidenzzentrale wird also nicht der gläserne Bürger ge-
schaffen.
Das, was im Bereich der inneren Sicherheit umgesetzt
werden soll zum Beispiel ist einvernehmlich beschlos-
sen worden, eine Rasterfahndung nach Typologien in al-
len Ländern durchzuführen , darf an den Finanzströmen
nicht Halt machen. Die G-7-Staaten haben vorgeschlagen
diesen Vorschlag werden wir bei der Erörterung des
Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes aufgreifen ,
dass die Kreditinstitute verpflichtet werden sollen, selber
anhand von Typologien festzustellen, ob es ungewöhnli-
che Kontobewegungen gegeben hat und ob Verdachtsmo-
mente vorliegen. Aber das soll in den Instituten selber ge-
schehen. Dann erfolgt die Abgabe der Verdachtsmeldung.
Das ist letztlich nichts anderes als eine Rasterfahndung,
nämlich eine typologisierende Fahndung auf besondere
Ereignisse und besondere Bewegungen hin. Aber dies ge-
schieht in den Bankinstituten selbst, nicht bei einer öf-
fentlichen Stelle.
Diese Erkenntnisse sollen dann insofern ist das eine
an sich schlüssige Konzeption an die beim Bundesauf-
sichtsamt für das Kreditwesen einzurichtende zentrale
Stelle für ich nenne es einmal so Vorermittlungsver-
fahren weitergegeben werden, die im angelsächsischen
Sprachgebrauch Financial Intelligence Units heißt. Sie
soll dann den tatsächlichen Sachgehalt des Vorverdachts
prüfen und dies erst dann an die Staatsanwaltschaften
weitergeben, sodass auch erst dann ein staatsanwaltschaft-
liches Ermittlungsverfahren erfolgt. Durch die Zwi-
schenschaltung dieser zentralen Stelle wird also letzt-
lich ein weiterer Schutz der ehrlichen Bürger eingebaut.
Wenn nämlich mit dem interdisziplinären Sachverstand
der Zentralstelle zur Ermittlung dieser Sachverhalte fest-
gestellt wird, dass dies ein Aufgriff war, der nicht zur Be-
sorgnis Anlass gibt, dann wird auch kein staatsanwalt-
schaftliches Ermittlungsverfahren in die Wege geleitet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt ist der Kollege
Spiller mit seiner Frage an der Reihe.
Frau Staatssekretärin, sind
Sie in der Lage, uns mitzuteilen, in welcher Größenord-
nung etwa in den USA Guthaben auf Konten gesperrt
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
18631
worden sind, die wahrscheinlich mutmaßlichen Terroris-
ten zugeordnet werden können?
Teilen Sie meine Auffassung, dass in den USA doch of-
fensichtlich erheblich größere Möglichkeiten für Kon-
trollmaßnahmen bestehen als in Deutschland oder in der
EU insgesamt, ohne dass deswegen die Attraktivität des
amerikanischen Finanzmarktes an irgendeiner Stelle in-
frage gestellt würde, und teilen Sie auch meine Auffas-
sung, dass die wie ich vermute ganz überwiegende
Mehrheit der Bürger in Deutschland Verständnis dafür
hat, dass auch mit Mitteln des Staates die Finanzströme,
die für terroristische Zwecke genutzt werden können,
kontrolliert werden?
D
Herr Kollege Spiller, ich
bin der Auffassung, dass Sie mit Ihrer letztgenannten Ein-
schätzung völlig Recht haben.
Ich glaube nämlich, dass sich die Bürger der Bundesrepu-
blik Deutschland von den Maßnahmen, die die Bundesre-
gierung in diesem Bereich vorsieht, nicht beschwert
fühlen, sondern dass sie sich angesichts der vorgesehenen
Maßnahmen im Sicherheitsbereich, im Bereich der inne-
ren Sicherheit, dem Bereich der äußeren Sicherheit und
im Bereich der Sicherheit der Finanzmärkte auch das ist
ja ein Sicherheitsaspekt , bei der Bundesregierung gut
aufgehoben und eben nicht in ihren persönlichen Frei-
heitsrechten eingeschränkt fühlen. Das sollten wir uns alle
vergegenwärtigen.
Die Bundesregierung hat mitgeteilt, dass seit dem
11. September rund 100 Millionen Dollar eingefroren
worden sind. Der größte Teil ist allerdings in Großbritan-
nien eingefroren worden, nämlich 90 Millionen Dollar. In
den USA betrug der Anteil 6 Millionen Dollar und in
Deutschland 4 Millionen Dollar bei uns übrigens auf
214 Konten.
Ihre Einschätzung, dass dies den Finanzmarkt nicht
einschränkt, gilt natürlich für Großbritannien in gleicher
Weise. Wenn ich eine Qualifizierung der weltweiten
Finanzmärkte vornehmen wollte, dann würde ich sagen,
dass an erster Stelle sicherlich die Vereinigten Staaten ste-
hen, an zweiter Stelle Großbritannien und an dritter Stelle
die Bundesrepublik Deutschland. Großbritannien hat es
nicht geschadet, einen doch relativ umfangreichen Anteil
von verdächtigen Geldern, wie ich es einmal untech-
nisch ausdrücken will, einzufrieren.
In den EU-Staaten beruht dieses Einfrieren von Gel-
dern auf dem Vollzug der EU-Verordnungen, die ich eben
schon angesprochen hatte, die aufgrund der UN-Resolu-
tionen des vergangenen Jahres ergangen sind. Diese Gel-
der werden bei uns nach dem Außenwirtschaftsgesetz von
den Landeszentralbanken sichergestellt; die Ressortzu-
ständigkeit liegt in der Bundesregierung beim Bundesmi-
nisterium für Wirtschaft und Technologie.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt ist die Kollegin
Hasselfeldt mit ihrer Frage an der Reihe.
Frau Staatssekretä-
rin, Sie sprachen die neu zu errichtende so genannte Kon-
tenevidenzzentrale an. Was geschieht mit den dort gesam-
melten Daten? Ist geplant, dies auf eine Art elektronische
Rasterfahndung ohne Anfangsverdacht auszuweiten?
D
Nein, Frau Kollegin. Sie
müssen zwei Bereiche unterscheiden. Zum einen geht es
um die Erlassung des Tatbestandes, dass ein Mensch ein
Kontoinhaber ist. Dies soll bei einer öffentlichen Stelle
geschehen, nämlich bei der so genannten Kontenevidenz-
zentrale beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen.
Ich habe es bereits geschildert: Es geht dabei nicht um
Kontobewegungen. Das Bundesaufsichtsamt für das Kre-
ditwesen weiß nicht einmal, welchen Umfang das Konto
hat. Ausschließlich die Daten Name und Geburtsdatum
des Kunden sowie Datum der Einrichtung des Kontos
sollen gesammelt werden, um bei Verdachtsfällen, die
sich auf Namen beziehen, schnell ermitteln zu können, an
welchem der 2 900 Bankinstitute der Bundesrepublik
Deutschland das Konto geführt wird.
Hat man einen konkreten Anfangsverdacht, darf man
auch schon nach dem Gesetz zur Bekämpfung der Geld-
wäsche von 1996 sozusagen in das Konto eindringen.
Dazu muss man aber eben wissen, bei welchem Institut
das Konto geführt wird. Wie heißt dieses Sprichwort
noch? Es heißt ich weiß nicht genau, ob ich das jetzt
richtig sage : Die Preußen hängen niemanden, es sei
denn, sie hätten ihn. Man muss also zunächst wissen, wo
das Konto geführt wird; erst dann kann man sich inhalt-
lich mit dem Konto beschäftigen. Deswegen geht es da-
rum, ermitteln zu können, wo das Konto geführt wird.
Der zweite Teil, den wir im Vierten Finanzmarktförde-
rungsgesetz vorgesehen haben übrigens schon vor den
Anschlägen in den Vereinigten Staaten; diesen Punkt, ha-
ben wir unabhängig davon zur Bekämpfung der Geldwä-
sche für notwendig gehalten; er war schon im ersten Re-
ferentenentwurf vom Sommer dieses Jahres enthalten ,
ist sozusagen die Aufforderung an die Banken, mithilfe
EDV-gestützter Systeme Typologien von ungewöhnli-
chen Kontenbewegungen herauszufinden. Dies soll in den
Instituten selbst geschehen, nicht durch staatliche Auf-
sicht, nicht durch staatliche Eingriffsmöglichkeiten. In-
formationen über Kontenbewegungen mit einem gewis-
sen Anfangsverdacht sollen dann zur Überprüfung durch
staatliche Stellen weitergegeben werden. Die Banken be-
grüßen das übrigens, weil sie natürlich nicht unbeabsich-
tigt bei der Geldwäsche mitarbeiten wollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt ist der Kollege
Meyer mit seiner Frage an der Reihe. Bitte.
Frau Staatssekretä-
rin, könnten Sie die Bedenken des Kollegen Koppelin, bei
der Geldwäsche sollten Steuerhinterziehungen geringen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Jörg-Otto Spiller
18632
und mittleren Umfangs als Vortaten angesehen werden,
dadurch zerstreuen, dass Sie etwas präzisieren, was in den
Planungen der Bundesregierung und der SPD-Fraktion
unter schwerer Steuerhinterziehung verstanden werden
soll, nämlich nicht einfach das, was in § 370 Abs. 3 der
Abgabenordnung geregelt ist, sondern das, was ein neuer
Paragraph der Abgabenordnung regelt, der die gewerbs-
mäßige und bandenmäßige Steuerhinterziehung betrifft,
sodass klar ist, um welche Vortaten im Bereich schwerer
Steuerhinterziehung, und zwar keineswegs geringen Ge-
wichts, es sich handelt?
D
Herr Kollege Meyer, wenn
der Kollege Koppelin Ihnen zugehört hätte, dann hätten
schon Sie all seine Befürchtungen zerstreuen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
War es das schon?
Dann ist die Kollegin Gudrun Kopp mit ihrer Frage an der
Reihe.
Frau Staatssekretärin, ich regis-
triere in der Bevölkerung eher eine große Skepsis gegen-
über all dem, was jetzt geplant wird. Ich möchte diese
Skepsis aufnehmen und frage Sie: Wie sieht es bei all den
Verdachtsanzeigen, die die Banken bisher weitergegeben
haben, bei all dem, was bereits vorliegt, mit dem von mir
vermuteten Vollzugsdefizit aus? Das heißt: Wie sind die
entsprechenden Strafverfolgungsbehörden und die ande-
ren Stellen überhaupt personell bestückt, um all diese An-
zeigen bearbeiten zu können? Es geht mir darum, dass
nicht Aktionismus betrieben wird und unter dem Strich
nichts weiter herauskommt.
D
Frau Kollegin, diese Be-
fürchtung kann ich durchaus teilen. Dem steuern wir jetzt
auch entgegen.
Bisher ist es so: Die Banken leiten die Verdachtsanzei-
gen an die Landeskriminalämter. Die Landeskriminaläm-
ter können ihre Informationen an das Bundeskriminalamt
weitergeben, sie müssen dies aber nicht tun. Zwar ge-
schieht das bisher meist; es ist jedoch nicht geregelt.
In der Tat gibt es beim Bundeskriminalamt bis jetzt kei-
nen ausreichenden interdisziplinären Sachverstand, um
eine entsprechende Verdachtsanzeige einer Vorprüfung zu
unterziehen. Genau dem wollen wir entgehen: Wir wollen
in Form einer Zentralstelle zur Meldung auffälliger
Finanzströme im angelsächsischen Bereich spricht man
von Financial Intelligence Units eine interdisziplinäre
Institution einrichten, die, einfach ausgedrückt, die Spreu
vom Weizen trennen kann und die angereichert mit in-
terdisziplinärem Wissen die wahrscheinlich zur Unter-
suchung anstehenden Fälle an die staatsanwaltschaftli-
chen Ermittlungsbehörden weiterreicht.
Bis jetzt ist es so: Eine Vielzahl von Verdachtsanzeigen
geht bei den Polizeibehörden des Bundes und der Länder
ein. Der normale Verfahrensweg sieht die Abgabe der
Fälle an die Staatsanwaltschaften vor. Da die Staatsan-
waltschaften bisher von einer Vielzahl von Verdachtsan-
zeigen überschüttet wurden, wurde es ihnen erschwert,
jede einzelne Verdachtsanzeige mit fundiertem Sachver-
stand zu überprüfen.
Diese Zentralstelle soll beim Bundesaufsichtsamt für
das Kreditwesen eingerichtet werden. Dazu sind nicht nur
Absprachen zwischen Bund und Ländern nötig, sondern
es müsste auch Änderungen der Polizeigesetze des Bun-
des und der Länder im Hinblick auf die Weitergabe von
Verdachtsanzeigen geben. Selbstverständlich müssen ent-
sprechende Fälle an die Staatsanwaltschaften der Länder
zurückgegeben werden. Diese Zentralstelle soll eine Art
Filter sein, durch den der Wust von Verdachtsanzeigen
vorsortiert wird, sodass diejenigen Fälle, von denen man
annehmen kann, dass sie einer staatsanwaltschaftlichen
Ermittlung bedürfen, und bei denen, was eine Verurtei-
lung angeht, Aussicht auf Erfolg besteht, an die Staats-
anwaltschaften abgegeben werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine kurze Nachfrage
der Kollegin Kopp.
Ich habe eine Nachfrage zur
Kontenevidenzzentrale; es geht um die Skepsis der Bür-
ger. Wie wollen Sie dem entgegenwirken, dass es einen
Bürger allein aufgrund der Tatsache, dass er ein Konto bei
einer Bank hat, in irgendeiner Weise verdächtig werden
lässt schon die bestehenden Planungen legen diese
Sorge nahe und dass er fürchten muss, dass nicht nur
sein Name und sein Geburtsdatum, sondern auch Konto-
stände und Kontobewegungen zum Informationsfluss
gehören, also weitergegeben werden? Wie wollen Sie
nach außen und natürlich auch nach innen sicherstellen,
dass eine solche Entwicklung nicht eintritt?
D
Dass das nicht geschieht,
werden wir im Gesetz regeln. Gegenstand der Arbeit dieser
Zentralstelle sollen nicht Kontenhöhe bzw. Kontenbewe-
gungen sein, sondern nur der Tatbestand, dass ein Bürger
ein Konto hat. In der heutigen Zeit ist es selbstverständlich,
dass ein Bürger ein Konto hat. Da Rentenzahlungen seit
Jahren nur noch unbar erfolgen, haben eigentlich alle
Kreise der Bevölkerung ich denke auch an die nicht
mehr aktiven Menschen Girokonten, genauso wie jeder
einen Ausweis, also ein Identifikationsdokument, besitzt.
Wer lebt, der hat auch ein Konto.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mir liegen noch vier
Wortmeldungen vor und wir haben noch sieben Minuten
Zeit für die Regierungsbefragung. Es wäre schön, wenn
alle Fragen noch gestellt werden könnten; deshalb bitte
ich bei Fragestellung und Antwort um Kürze.
Jetzt hat der Kollege Fromme das Wort, bitte.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Dr. Jürgen Meyer
18633
Frau Staatsse-
kretärin, Sie haben sich in Ihrer Antwort auf die Nachfrage
zum Bankgeheimnis sehr stark auf § 30 a der Abgabenord-
nung beschränkt. Planen Sie an irgendeiner anderen Stelle
indirekt eine Einschränkung des Bankgeheimnisses?
D
Nach meiner festen Erin-
nerung ich könnte mich täuschen ist das so genannte
Bankgeheimnis ausschließlich in § 30 a der Abgabenord-
nung geregelt.
Man müsste schon sehr um die Ecke denken, wenn man
einen bestehenden Paragraphen durch einen neuen Para-
graphen aufheben will. Das kann ich mir eigentlich nicht
vorstellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Nachfrage, Herr
Kollege Fromme.
Womit be-
gründet die Bundesregierung ihren Meinungswechsel im
Hinblick auf das in der Vergangenheit bewährte Instru-
ment der Rasterfahndung? Bisher haben Sie das konse-
quent abgelehnt.
D
Die Bundesregierung hat
das Instrument der Rasterfahndung nicht abgelehnt. Dies
ist eine Maßnahme, die die Landespolizeien nach ihrem
Ermessen anwenden können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt ist die Kollegin
Ulla Lötzer mit ihrer Frage an der Reihe.
Frau Staatssekretärin, ich möchte
Sie zu einem anderen Aspekt der Bekämpfung des Terro-
rismus fragen: Alle Fraktionen, auch die Bundesregierung,
sagen ja immer, dass dabei langfristig die Umgestaltung der
Weltwirtschaft unter Berücksichtigung der sozialen Di-
mension eine entscheidende Rolle spielt. Jetzt kommt den
Offshorezentren bei Steuerflucht und Steuerdumping ja
eine herausragende Rolle zu. Die OECD hat sich damit in
ihrem letzten Bericht eingehend beschäftigt. Allein den
Entwicklungsländern sollen jährlich 50 Milliarden Dollar
an Steuern durch Steuerflucht und Steuerhinterziehung ent-
gehen. Ist jetzt geplant, in Richtung Bekämpfung von
Steuerdumping und Steuerflucht in Offshorezentren
schnell ernsthafte weitere Schritte zu unternehmen?
D
Ja, Frau Kollegin, das ist
auch Gegenstand der Regelungen, die die G-7-Finanzmi-
nister am vergangenen Wochenende beschlossen haben.
Die G-7-Finanzminister sind sich nämlich einig, dass
wirksame Aufsichtsstrukturen dazu beitragen, Finanzsys-
teme gegen die missbräuchliche Nutzung durch Ter-
roristen oder vor Geldwäscheaktivitäten zu schützen.
Deshalb ist es von großer Bedeutung, Defizite in den Auf-
sichtssystemen und bei der Praxis der Zusammenarbeit
auch in Bezug auf Offshorefinanzzentren zügig zu besei-
tigen und die entsprechenden Empfehlungen des Forums
für Finanzstabilität umzusetzen. Um den Druck auf diese
Zentren aufrechtzuerhalten, soll der Internationale Wäh-
rungsfonds mit dem Forum für Finanzstabilität in seiner
nächsten Sitzung im März 2002 darüber beraten, wie die
Umsetzung seiner Empfehlungen durch Nennung von
Offshorefinanzzentren in öffentlichen Erklärungen weiter
gefördert werden kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt hat der Kollege
Meyer Gelegenheit zu einer zweiten Frage, dann kommt
die Kollegin Wülfing. Damit schließe ich die Liste ab.
Frau Staatssekretärin,
ist bei der Entwicklung von Typologien für die Finanz-
ströme des Terrorismus daran gedacht, der Tatsache Rech-
nung zu tragen, dass Terroristen nicht selten durch organi-
sierte Kriminalität finanziert werden, also durch
Drogenhandel, illegalen Waffenhandel oder Frauenhandel?
Ist daran gedacht, den Banken entsprechende Informationen
zur Verfügung zu stellen, damit sie wachsam sein können?
D
Herr Kollege, die Erarbei-
tung dieser Typologien wird, wie ich denke, durch den
Baseler Ausschuss für Finanzmarktaufsicht vorangetrie-
ben werden. Dort werden auch die Erkenntnisse der Er-
mittlungsbehörden der jeweiligen Nationalstaaten ein-
fließen. Es kann ja nicht sinnvoll sein, eine Typologie zur
Grundlage der Ermittlung zu machen, wenn man nicht
weiß, wonach man suchen soll. Diese Typologien müssen
auch entsprechend angepasst werden.
Die Banken können das selbstverständlich nur EDV-
unterstützt machen. Deswegen werden die Erkenntnisse
der Ermittlungsbehörden sicherlich in die Erstellung sol-
cher Typologien bzw. zur Erstellung entsprechender
EDV-Programme einfließen. Damit werden diejenigen
heraussortiert, die als Verdächtige in Betracht kommen
können, selbstverständlich nicht kommen müssen. Wenn
sich die Strukturen der organisierten Kriminalität ändern,
muss natürlich auch bei solchen EDV-Programmen da-
rauf Rücksicht genommen werden.
Im Einzelnen kann man im Vorhinein nicht sagen, wel-
che Kriterien tatsächlich in diese Typologien Eingang fin-
den werden, denn damit würde man diejenigen, die man
verdächtigt, dazu ermuntern, ihr Verhalten zu ändern, da-
mit sie nicht erwischt werden.
Eine Ergänzungs-
frage, die mit Ja oder Nein beantwortet werden kann: Ist
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 200118634
der Bundesregierung bekannt, ob das Millionenvermögen
des Bruders von Osama Bin Laden, das von der Deut-
schen Bank verwaltet worden sein soll, eingefroren wor-
den ist? Ja oder Nein?
D
Es tut mir Leid, das kann
ich nicht beantworten, weil ich es nicht weiß. Ich weiß
auch nicht, ob ich es beantworten dürfte, wenn ich es denn
wüsste. Die Zuständigkeit liegt jedenfalls beim Bundes-
wirtschaftsminister, der hier im Moment leider nicht ver-
treten ist. Ich werde den Bundeswirtschaftsminister bit-
ten, die Antwort auf Ihre Frage nachzureichen, sofern
dieses unter dem Gesichtspunkt der Geheimhaltung mög-
lich ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt kommt die letzte
Frage. Frau Wülfing, bitte.
Frau Staatssekretärin, ich
habe noch einmal eine Frage zu dem Thema Kontenscree-
ning und Kontenbewegungen. Sie wollen also bei den
Konten Namen, Kontonummer, Einrichtungsdatum usw.
registrieren und bei der Kontenevidenzzentrale screenen.
D
Nein, dort nicht screenen,
sondern nur diese Daten sammeln. Sonst nichts.
Gut. Sie haben von auf-
fälligen Kontenbewegungen gesprochen. Sollen das die
Banken selber feststellen?
D
Richtig.
Wie bekommen Sie die
Banken dazu, dass sie mit Ihnen zusammenarbeiten? Wol-
len Sie das in Deutschland gesetzlich regeln oder hoffen
Sie auf deren Mitarbeit?
D
Wir wollen das gesetzlich
regeln, und zwar ich habe vorhin schon darauf hin-
gewiesen im Vierten Finanzmarktförderungsgesetz.
Genau diesen Punkt hatten wir unabhängig von den
terroristischen Anschlägen in den Vereinigten Staaten
schon in unserem ersten Referentenentwurf des Fi-
nanzmarktförderungsgesetzes, den wir im Sommer
veröffentlicht haben, vorgesehen. Das Bundeskabinett
wird den Entwurf dieses Gesetzes Anfang November be-
schließen.
Der von Ihnen angesprochene Punkt Kontenscree-
ning, das Abklopfen auf Verdachtsmomente bei den Ban-
ken selbst war schon Gegenstand unseres Entwurfs, und
zwar damals mit dem Ziel der Bekämpfung der Geldwä-
sche. Er bekommt jetzt eine besondere Aktualität. Wegen
der Bekämpfung der terroristischen Finanzströme werden
wir die beiden anderen Punkte, auf der einen Seite die
Kontenevidenzzentrale ohne Kontobewegung und auf der
anderen Seite die interdisziplinäre Einheit zur Vorprüfung
von Verdachtsanzeigen, in den Entwurf des Vierten Fi-
nanzmarktförderungsgesetzes aufnehmen. Das sind zwei
neue Maßnahmen.
Die von Ihnen angesprochene Maßnahme hatten wir
wegen der Bekämpfung der Geldwäsche ohnehin vor;
sie wird Gegenstand des Vierten Finanzmarktförde-
rungsgesetzes sein, mit dem wir größere Institute die
Abgrenzung kann ich jetzt nicht genau vornehmen ver-
pflichten, das umzusetzen. Ich sage noch einmal: Es gibt
bereits Banken, die das machen, weil es schon EDV-Pro-
gramme gibt, mit denen man diesbezüglich arbeiten kann.
Die Banken sie sind mit diesem Gesetzesvorschlag ein-
verstanden machen das bisher auf freiwilliger Basis. Sie
bekommen bei der Erarbeitung dieser EDV-Programme
Hilfestellung durch die öffentliche Hand und sie wenden
sie in eigener Verantwortung an.
Der Bundesverband deutscher Banken hat sich mit
dem Vorschlag einverstanden erklärt, weil unsere Banken
ein ordentliches und gesetzmäßiges Finanzmarktsystem
in der Bundesrepublik Deutschland natürlich, ebenso wie
wir alle, für überaus wichtig halten.
Das hat mit dem Bank-
geheimnis also nichts zu tun?
D
Nein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich beende die Regie-
rungsbefragung. Da die Antworten sehr umfassend wa-
ren, gehe ich davon aus, dass es keine weiteren Fragen an
die Bundesregierung gibt. Die Zeit ist ohnehin vorbei.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksache 14/7032
Die Frage 1 der Kollegin Kopp zum Geschäftsbereich
des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Er-
nährung und Landwirtschaft wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gerd Andres zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Helmut
Heiderich auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, das Arbeitszeitgesetz so zu
verändern, dass den stärker werdenden Notwendigkeiten der Un-
ternehmen nach flexibler Gestaltung des Arbeitseinsatzes infolge
der immer weiteren Ausdehnung des Just-in-time-Produktions-
verfahrens der Industrie und insbesondere ihrer Zulieferbetriebe
auch an Wochenenden und Feiertagen unbürokratischer und kos-
tengünstiger entsprochen werden kann?
G
Herr Abgeordneter
Heiderich, eigentlich könnte ich Ihre Frage mit einem
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Dr. Jürgen Meyer
18635
ganz schlichten Nein beantworten. Das haben Sie erwar-
tet. Da Sie dann aber wahrscheinlich nachfragen würden,
warum, wieso und weshalb, habe ich die Antwort etwas
umfangreicher gestaltet, um es zu erläutern.
Die Antwort lautet also: Das Arbeitszeitgesetz eröffnet
für die Gestaltung der Arbeitszeit einen weiten Rahmen,
der einen flexiblen Einsatz der Arbeitnehmer in den mo-
dernen Produktionssystemen erlaubt. Nach dem Arbeits-
zeitgesetz ist eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von
bis zu 48 Stunden möglich, die vorübergehend bis auf
60 Stunden verlängert werden kann, wenn ein entspre-
chender Arbeitszeitausgleich innerhalb eines halben Jah-
res gewährleistet ist.
Weitere Flexibilisierungen können auf tarifvertrag-
licher Grundlage erfolgen. Sonn- und Feiertagsarbeit lässt
das Arbeitzeitgesetz im Ausnahmefall zu, wenn einer der
im Gesetz aufgeführten Ausnahmetatbestände vorliegt.
Über diesen Rahmen hinaus können die Aufsichtsbehör-
den der Länder im Einzelfall längere tägliche Arbeitzeiten
und Arbeiten an Sonn- und Feiertagen zulassen.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass mit diesem
gesetzlichen Instrumentarium die Möglichkeit besteht,
auch bei Just-in-time-Produktionsverfahren flexibel zu
handeln.
Regelungen zur Arbeit an Sonn- und Feiertagen haben
die verfassungsrechtlich geschützte Sonn- und Feiertags-
ruhe zu beachten, nach der diese Tage grundsätzlich der
Arbeitsruhe und seelischen Erhebung dienen. Daher muss
bei Anträgen auf Ausnahmegenehmigungen für Sonn-
und Feiertagsarbeit stets geprüft werden, ob die gesetzli-
chen Voraussetzungen vorliegen, insbesondere ob die be-
treffenden Arbeiten nicht auch an Werktagen erledigt wer-
den können.
Das von Ihnen offenbar kritisierte Verfahren dient der
Aufrechterhaltung des Schutzes der Sonn- und Feiertags-
ruhe. Eine Abschaffung des Verfahrens würde sich ebenso
wie eine gesetzliche Ausweitung der an Sonn- und Feier-
tagen ausnahmsweise zulässigen Tätigkeiten zulasten der
Sonn- und Feiertagsruhe auswirken. Beides plant die
Bundesregierung nicht: weder eine Veränderung des Ver-
fahrens noch eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt gibt es offen-
sichtlich trotzdem eine Nachfrage. Bitte, Herr Kollege
Heiderich.
Herr Staatssekretär
Andres, nachdem Sie eine mögliche Nachfrage schon vor-
hergesehen und in Ihrer Antwort berücksichtigt haben,
frage ich Sie noch, ob von Verbänden oder Unternehmen
oder von anderer Seite Anträge an die Bundesregierung
gestellt wurden, das Arbeitszeitgesetz in entsprechender
Weise zu verändern.
G
Solche Anträge sind mir
persönlich nicht bekannt, was natürlich nicht ausschließt,
dass sie unserem Hause vorliegen. Ich werde mich danach
erkundigen und Ihnen persönlich Bescheid geben. Ich
habe das Verfahren geschildert, das vielfältige Möglich-
keiten einer flexiblen Handhabung vorsieht. Wie gesagt,
ist mir über Anträge nichts bekannt; wir setzen uns aber
darüber noch einmal ins Benehmen.
Darf ich noch eine
zweite Frage stellen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, bitte.
Sie haben eben die
Ausnahmegenehmigungen angesprochen. Sieht es die
Bundesregierung als richtig an, dass die Gebühren für sol-
che Ausnahmegenehmigungen nach dem Zeitrahmen und
der Anzahl der Beschäftigten festgesetzt werden? Das
heißt, je größer die Zahl der Beschäftigten und der bean-
tragte Zeitrahmen sind, desto höher wird die Gebühr für
eine solche Ausnahmegenehmigung.
G
Wir halten das für rich-
tig, ja.
Danke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auch die Frage 3 zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend wird schriftlich beantwor-
tet. Daher rufe ich nun den Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Gesundheit auf. Zur Beantwortung steht
Frau Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Schaich-
Walch zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 4 des Abgeordneten Dr. Ilja
Seifert:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die ent-
sprechend § 20 Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch
von den Krankenkassen zum 1. Januar 2001 in ihre Haushalte ein-
gestellten Mittel für die Förderung der Selbsthilfe im Jahre 2001
vor?
G
Herr Kollege
Dr. Seifert, die Haushaltspläne der gesetzlichen Kranken-
kassen und die darin vorgesehenen Ansätze für die Förde-
rung der Selbsthilfe liegen der Bundesregierung nicht vor.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine erste Nachfrage,
bitte, Herr Kollege Seifert.
Frau Staatssekretärin, es ist Ih-
nen so gut wie mir bekannt, dass im ersten Jahr der Gül-
tigkeit des § 20 Abs. 4 SGB V, in dem es um die Förde-
rung der Selbsthilfe geht, höchstens ein Fünftel der
Summe ausgegeben wurde, die gesetzlich vorgeschrieben
ist. Insofern müsste es auch im Interesse des Ministeriums
sein, zu wissen, ob und in welcher Höhe die einzelnen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Parl. Staatssekretär Gerd Andres
18636
Kassen es gibt ja so viele die entsprechenden Mittel
in ihren Haushaltsplänen vorsehen, damit sie abgerufen
und sinnvoll eingesetzt werden können. Welchen Weg
wird die Bundesregierung gehen, um zumindest einen
Überblick darüber zu erhalten, ob den gesetzlichen Vorga-
ben Genüge getan wird?
G
Die Bundesregie-
rung hat natürlich zur Kenntnis nehmen müssen, dass das,
was in § 20 Abs. 4 vorgesehen ist, von den Krankenkas-
sen nicht in der gewünschten Art und Weise umgesetzt
wurde. Das geht auch aus einem Bericht hervor, den wir
dem Gesundheitsausschuss vorgelegt haben. Wegen die-
ser Problemlage habe ich die Spitzenverbände der Kran-
kenkassen und die Vertreter der Selbsthilfeorganisationen
am 19. Juni zu einem Gespräch über die gegenwärtig vor-
handenen Förderhindernisse eingeladen. Die Spitzenver-
bände der Krankenkassen haben zugesichert, dass sie im
Dialog mit den Verbänden, die die Selbsthilfeorganisatio-
nen vertreten, zu Problemlösungen kommen wollen. Aus
Anlass dieses Gespräches hat im Juli dieses Jahres ein
Workshop stattgefunden.
Derzeit werden neue, ergänzende Empfehlungen er-
arbeitet, die die Förderhindernisse besonders im Bereich
der Antragstellung beheben sollen. Weil wir mit diesen
Ergebnissen noch nicht ganz zufrieden sind, haben wir
dieses Thema auf die Tagesordnung der 59. Arbeitstagung
der Aufsichtsbehörden der Sozialversicherungsträger am
3. Mai gesetzt.
Das sind die Möglichkeiten, die uns zur Verfügung ste-
hen. Wir können uns aber nicht die Haushaltspläne vorle-
gen lassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Seifert hat
noch eine zweite Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, es ist mir
natürlich bewusst, dass es auch auf der Seite der Antrag-
steller Probleme gibt. Meine Frage zielte darauf ab, dass
zumindest begründete Vermutungen dahin gehend beste-
hen, dass bei etlichen Krankenkassen die entsprechenden
Mittel gar nicht eingestellt worden sind und demzufolge
auch nicht abgerufen und nicht ausgereicht werden kön-
nen. Es war der Zweck meiner Frage, zu diesem Problem
etwas zu erfahren.
Sie sagen jetzt, dass die Einstellung dieser Mittel von
Ihnen nicht eruiert werden kann. Es ist doch aber Aufgabe
der Exekutive, das Gesetz durchzusetzen. Wenn das mit
freundlichen Fragen nicht erreicht werden kann, muss es
doch irgendwelche Möglichkeiten geben, zu erfahren, ob
und wie die Kassen ihrer Verpflichtung nachkommen. In
diesem Fall geht es mir um die Verpflichtung der Kassen.
Welche Wege können Sie einschlagen? Sie sprachen
vom 3. Mai. Bezog sich das auf das kommende Jahr?
G
Nein. Die Tagung findet
vom 3. bis 5. November im Jahr 2001 statt. Dabei treffen
sich die Aufsichtsbehörden der Sozialversicherungsträger.
Sie wissen, dass das sehr unterschiedlich geregelt ist.
Für die Allgemeinen Ortskrankenkassen gibt es eine Lan-
desaufsicht, für die anderen Kassen gibt es eine Bundes-
aufsicht. Wir haben dieses Thema auf die Tagesordnung
setzen lassen. Das ist unsere einzige Möglichkeit, das
nachprüfen zu lassen. Ein zweiter Weg besteht darin, die
gemeinsame Moderation zu betreiben, um zu dem 1-DM-
Ziel zu gelangen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir kommen zur
Frage 5 des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die ent-
sprechend § 20 Abs. 4 SGB V von den Krankenkassen im Zeit-
raum 1. Januar 2001 bis 30. Juni 2001 aufgewendeten Mittel für
sieht sie, um gegebenenfalls Maßnahmen zu treffen, die eine För-
derung der Selbsthilfe in der vom Gesetz geforderten Höhe und
Art gewährleisten?
G
Die gesetzlichen
Krankenkassen haben im ersten Halbjahr 2001 14,9 Mil-
lionen DM für die Förderung von Selbsthilfegruppen,
-organisationen und -kontaktstellen ausgegeben, davon
rund 12,3 Millionen DM in den alten und 2,6 Milli-
onen DM in den neuen Ländern. Die Aufwendungen der
gesetzlichen Krankenversicherung für die Förderung der
Selbsthilfe pro Versicherten im ersten Halbjahr 2001 be-
tragen insgesamt 0,21 DM. Das gilt sowohl für die alten
als auch für die neuen Bundesländer. Eine weitere Diffe-
renzierung auf Länderebene ist uns nicht möglich. Für die
einzelnen Bundesländer werden die Daten in der amtli-
chen Statistik der Träger der gesetzlichen Krankenversi-
cherung nicht ausgewiesen.
Die Aufwendungen für Selbsthilfeförderung reichen
von 0,11 DM pro Versicherten bei den landwirtschaftli-
chen Krankenkassen bis zu 0,33 DM pro Versicherten bei
der Seekrankenkasse und der Bundesknappschaft. Die
Allgemeinen Ortskrankenkassen liegen mit 0,25 DM pro
Versicherten etwas über dem Durchschnitt, die Ersatzkas-
sen für Angestellte mit 0,20 DM pro Versicherten gering-
fügig unter dem Durchschnitt der Halbjahresergebnisse.
Aus Sicht der Bundesregierung ist dieses Förderergeb-
nis trotz einer leichten Verbesserung gegenüber dem Ver-
gleichszeitraum im Vorjahr die Steigerung betrug im
ersten Halbjahr 16,7 Prozent nicht befriedigend, zumal
bei einzelnen Kassenarten auch ein Ausgabenrückgang zu
verzeichnen ist. Deshalb haben wir dieses Thema auf die
Tagesordnung der Tagung der Prüfgremien setzen lassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte, Herr Kollege
Seifert, Sie haben das Wort zu einer Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, vielen
Dank für die Zahlen. Damit kann man schon arbeiten.
Dennoch möchte ich fragen: Haben Sie eventuell vor, an-
zuregen oder vielleicht sogar darauf hinzuwirken, dass
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Dr. Ilja Seifert
18637
alle Kassen ihren jeweiligen Anteil in einen gemeinsamen
Pool einzahlen, sodass eine einheitliche Antragsstellung
und einheitliche Vergabekriterien möglich sind? Das
würde bewirken, dass ein bestimmter Anteil auf Bundes-,
Landes- und auf regionaler Ebene ausgegeben werden
kann, wodurch die Verwirrung, die unter den Antragsbe-
rechtigten besteht bei welcher Kasse kann man wie viel
und wann beantragen? , beseitigt wird, weil dadurch
deutlich wird, wie und wofür das Geld, das für sinnvolle
Maßnahmen vorgesehen ist, ausgegeben wird.
G
Die Kriterien, mit
denen wir festlegen, wofür das Geld ausgegeben werden
kann, sind geschaffen worden. Das Gesetz beinhaltet den
Auftrag, eine entsprechende Vereinbarung zu treffen. Das
ist mittlerweile geschehen. Auch die Verbände der Selbst-
hilfeorganisationen haben mir versichert, dass sie damit
sehr zufrieden sind.
Wir haben festgestellt, dass eines der Probleme darin
besteht, dass es sehr unterschiedliche Antragsverfahren
gibt. Darüber wurde auch auf dem Workshop im Sommer
gesprochen. Dieses Problem wird auf der Tagesordnung
des Arbeitskreises 2 der gesetzlichen Krankenversiche-
rung stehen. Dort soll überprüft werden, ob man auf
Landesebene oder sogar auch auf Bundesebene einheitli-
che Verfahren für die Antragstellung und für die Bewer-
tung der Anträge finden kann. Damit würde das An-
tragsverfahren deutlich vereinfacht und transparenter
werden. Die Bundesregierung hat allerdings nicht die Ab-
sicht, das Geld einzusammeln, in einen Pool zu geben und
zentral verwalten zu lassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Noch eine letzte
Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, ich gehe
davon aus, dass Sie so freundlich sind, mir die Ergebnisse
dieser Tagung zukommen zu lassen.
Ich habe aber noch eine Nachfrage. Sie sprachen vor-
hin davon, dass das Geld an Selbsthilfegruppen, an Be-
hindertenorganisationen und an Kontaktstellen gegeben
wurde. Es handelt sich aber nicht um die Kontaktstellen
nach SGB IX. Ich würde gerne wissen, welche Kontakt-
stellen Sie meinen.
G
Dabei handelt es
sich um die existierenden Selbsthilfekontaktstellen. Ich
werde Ihnen die entsprechenden Informationen gerne
schriftlich geben.
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe den Ge-
schäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Na-
turschutz und Reaktorsicherheit auf. Zur Beantwortung
steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Gila
Altmann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Hans Michelbach
auf:
Welche Stellungnahme hat das Bundesministerium für Um-
welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur Ausweisung bayeri-
scher FFH-Gebiete , insbesondere im
Hinblick auf das Hafenlohrtal, gegenüber dem Land Bayern ab-
gegeben?
G
Herr Kollege Michelbach, Ihre Frage bezieht sich auf das
Hafenlohrtal. Darauf möchte ich Ihnen antworten: Das
Bundesumweltministerium hat sich im Rahmen der ge-
mäß § 19 b Bundesnaturschutzgesetz vorgesehenen Be-
nehmensbeteiligung insbesondere zur Vollständigkeit der
Meldeunterlagen geäußert. Eine Stellungnahme zur Mel-
dewürdigkeit des Hafenlohrtals wurde nicht abgegeben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Michelbach, Ihre erste Nachfrage.
Frau Staatssekretä-
rin, heißt das, dass die Bundesregierung zur Sicherungs-
würdigkeit dieses Naturschutzraums keine Meinung
geäußert hat?
G
Sie
hat dazu keine Stellungnahme abgegeben. Das hat
etwas mit dem bisherigen Prozedere zu tun damit beziehe
ich mich schon auf die Antwort auf Ihre nächste Frage ;
denn nicht das Land Bayern, sondern eine andere Institu-
tion hat den entsprechenden Antrag bezüglich des Hafen-
lohrtals gestellt. Das Bundesumweltministerium ist aber ge-
halten, den Dienstweg in Richtung EU zu beachten. Dieser
wurde aber im Laufe des Verfahrens nicht eingehalten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine zweite Nach-
frage des Kollegen Michelbach, bitte.
Frau Staatssekretä-
rin, heißt das, dass der Dienstweg grundsätzlich von dem
beschließenden Kreistag über das Land bis zum Bund und
dann weiter bis zur EU gehen muss und dass sich die Bun-
desregierung nicht äußern kann, wenn der Dienstweg
nicht eingehalten wird?
G
Für das BMU ist die entsprechende oberste Naturschutz-
behörde in Bayern die zuständige Stelle. Das war in dem
Verfahren aber nicht der Fall. Aber auch das ist Bestand-
teil der Antwort auf Ihre nächste Frage.
Dann bitte ich um die
Beantwortung meiner nächsten Frage.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Dr. Ilja Seifert
18638
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir kommen dann zur
Frage 7 des Abgeordneten Michelbach:
Wie wird vor diesem Hintergrund nach Kenntnis der Bundes-
regierung mit dem Antrag des Kreistages Main-Spessart weiter
verfahren werden?
G
Zuständig für die Auswahl der FFH-Gebiete sind verfas-
sungsgemäß die Länder. Vor diesem Hintergrund kann das
Bundesumweltministerium die vom Kreistag des Land-
kreises Main-Spessart beschlossene Meldung nicht nach
Brüssel weiterleiten. In diesem Sinne wird dem Landrats-
amt Main-Spessart zu antworten sein.
In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen,
dass der Freistaat Bayern seine bisherigen Meldungen, die
das Hafenlohrtal nicht enthalten, für vollständig erklärt
hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Michelbach.
Frau Staatssekretä-
rin, ich möchte nochmals fragen: Ist der Kreistag Main-
Spessart in der Lage, direkt beim Bundesumweltministe-
rium einen Antrag zu stellen, und ist dieser wirksam, ohne
dass das Land Bayern hierzu gehört oder der Dienstweg
eingehalten wird?
G
Zur Meldewürdigkeit habe ich Ihnen schon gesagt, dass
es genau deshalb, weil das Land Bayern Ansprechpartner
ist, keine Stellungnahme zum Hafenlohrtal, sondern le-
diglich einen Briefwechsel gegeben hat, was die Vollstän-
digkeit der vorgelegten Unterlagen angeht.
Darüber hinaus habe ich Ihnen gerade mitgeteilt, dass
die Meldung als abgeschlossen angesehen wird. Das
Ganze bezieht sich auf die erste Stufe. Die Diskussion
könnte noch einmal aktuell werden, wenn sich die EU-
Kommission die ausgewählten Gebiete anschaut und fest-
stellt, dass die Meldung der Bundesrepublik Deutschland
und ihrer Länder Lücken aufweist, zum Beispiel was die
Qualität und den Netzcharakter der Gebiete angeht. In ei-
nem solchen Fall wäre das Land Bayern Ansprechpartner
des Bundesumweltministeriums.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe den Ge-
schäftsbereich des Auswärtigen Amts auf. Zur Beantwor-
tung steht Herr Staatsminister Dr. Christoph Zöpel zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Schüßler auf:
Teilt die Bundesregierung die auf der Festveranstaltung des
Deutschen Kulturrates am 26. September 2001 vertretene Auffas-
sung des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Dr. Christoph
Zöpel, wonach die auswärtige Kulturpolitik in Anbetracht der Ter-
rorakte am 11. September 2001 in den USAin Zukunft radikal ver-
ändert werden müsse?
D
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Herr Kollege Schüßler, ich bin Ihnen für Ihre
beiden Fragen außerordentlich dankbar. Mit Ihrer Er-
laubnis würde ich auch gleich zu der Frage 9 Stellung
nehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann rufe ich auch die
Frage 9 des Abgeordneten Schüßler auf:
Stimmt die Bundesregierung der Auffassung des Staatsminis-
ters im Auswärtigen Amt, Dr. Christoph Zöpel, zu, dass vor dem
Hintergrund dieser Attentate als Erstes die Vermittlung deutscher
Kultur im Ausland generell eingestellt werden müsse?
D
Weder die Bundesregierung als Ganzes noch ich
persönlich sind der Auffassung, dass die Vermittlung der
deutschen Kultur im Ausland als Erstes generell einge-
stellt werden sollte. Allerdings bin ich der Auffassung
diese Auffassung teilt die Bundesregierung insgesamt;
das wissen Sie, wenn Sie die Regierungserklärung des
Bundeskanzlers zu den Ereignissen in New York und
Washington gelesen haben , dass Zeiten, die offenkundig
historische Bedeutung haben, manchmal zur Zuspitzung
von Begriffen und von Debatten führen. Ich erinnere da-
ran, dass der Bundeskanzler in seiner Regierungser-
klärung den Begriff Kampf für die Kultur gebraucht
hat.
Damit komme ich zu dem Kontext meiner Äußerun-
gen. Wenn auf einer spontan angesetzten Veranstaltung
des Deutschen Kulturrats unter dem Titel Kultur und Ge-
walt dem Vertreter des Auswärtigen Amtes, also mir, von
einem Sprecher des Kulturrats in zwar liebenswürdiger,
aber sehr platter Absicht die Frage gestellt wird, ob nun
die deutsche Kultur im Ausland stärker gefördert wird,
dann macht es Sinn, in drastischer Weise darauf hinzu-
weisen, was im Augenblick geboten ist, nämlich sich da-
rüber zu verständigen, was die Grundlagen der Pluralität
deutscher Kultur sind, und für diese international zu wer-
ben. Ich habe die Kriterien genannt: der kategorische Im-
perativ, das Prinzip der Kritik und die Idee des ewigen
Friedens. Ich glaube, wir sind uns darin einig, dass wir
jetzt sehr radikal, das heißt von der Wurzel her, darüber
nachzudenken haben, wie in der deutschen Kulturpolitik
im Ausland um diese Prinzipien gerungen werden soll mit
dem Ziel, dadurch internationale Gewalt abzubauen. Die
Äußerung, die ich in diesem Kontext vor Kulturschaffen-
den gemacht habe, war meiner Ansicht nach das geeignete
Mittel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schüßler
zu einer ersten Nachfrage, bitte.
Ich entnehme Ihren Äuße-
rungen, Herr Staatsminister, dass Sie einräumen, dass
während der Podiumsdiskussion eine solche Äußerung
gefallen ist. Haben Sie nicht mitbekommen, dass ein
Großteil der Anwesenden bei diesen Äußerungen merk-
lich zusammengezuckt ist und dass anschließend hitzig
darüber diskutiert worden ist? Räumen Sie ein, dass Sie
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001 18639
sich, wie Sie es jetzt darstellen, zumindest missverständ-
lich ausgedrückt haben, und wären Sie bereit, uns Ihre Po-
sition zur zukünftigen Gestaltung der auswärtigen Kul-
turpolitik schriftlich zur Verfügung zu stellen?
D
Was Sie aus dieser Veranstaltung berichten, zeigt,
dass die Zuspitzung in einer solchen Situation vor dem
entsprechenden Publikum zu Diskussionen führte. Darum
ging es mir und von daher glaube ich, das war ein richti-
ges Mittel zur Bewusstseinsbildung in diesem Kreis von
Kulturschaffenden; wir reden nicht von anderen Ver-
sammlungen, die einen anderen Zugang dazu hätten. Ich
halte die Äußerungen, gerade nachdem Sie sie zitiert ha-
ben, weiterhin für richtig. Ich glaube, das war ein sinn-
voller Beitrag zur Diskussion der Kulturschaffenden an
diesem Tag.
Was ich dort als die notwendigen Grundlagen eines
pluralen Kulturverständnisses dargelegt habe, ist mitge-
schnitten worden und kann Ihnen selbstverständlich gerne
zur Verfügung gestellt werden.
Räumen Sie zumindest
ein, dass dies einer Klarstellung bedarf? Denn es ist deut-
lich so verstanden worden, wie Sie es verkürzt ausge-
drückt haben.
D
Das ist dort möglicherweise sehr unterschiedlich
verstanden worden. Ich habe mich bereits eingangs dafür
bedankt, dass Sie vor allem für diejenigen, die das miss-
verstanden haben können, die Gelegenheit gegeben ha-
ben, es vor dem Plenum des Deutschen Bundestages klar-
zustellen. Dafür noch einmal herzlichen Dank.
Sind Sie nach wie vor be-
reit, Ihre Position schriftlich zu vermitteln?
D
Ich sagte eben, dass das, was ich dort geäußert habe,
mitgeschnitten worden ist. Der Deutsche Kulturrat will es
veröffentlichen. Ich habe es eben zugeleitet bekommen.
Sobald es zeitlich möglich ist ich gehe davon aus, dass
das morgen ist , bin ich gern bereit, Ihnen die durchge-
sehene Mitschrift zuzuleiten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe jetzt den Ge-
schäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf.
Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staats-
sekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Dr. Hans-Peter
Uhl auf:
In welcher Weise hat sich der Bundesminister des Innern, Otto
Schily, nachhaltig für eine Einigung der Schengen-Staaten auf die
unverzügliche Einführung eines strengeren Visa-Verfahrens ein-
gesetzt, bei dem Fingerabdrücke genommen und Passeinträge ko-
piert werden, und warum konnte dies vor dem Hintergrund der
Terrorakte am 11. September 2001 und der Gefahr vor weiteren
Anschlägen nicht durchgesetzt werden?
F
Herr Kollege Uhl, das Bundesin-
nenministerium und das Auswärtige Amt bemühen sich
seit längerem um die Erhöhung der Sicherheit des Visum-
verfahrens. Erprobt wurde ein sicherheitstechnisches Ver-
fahren zur Integration von Lichtbildern in die Visa. Wir
haben dieses Konzept den Mitgliedstaaten vorgestellt und
breite Zustimmung gefunden. Für die Änderung der EU-
Visummarkenverordnung hat die Kommission das Vor-
schlagsmonopol. Die Kommission hat angekündigt, in
Kürze einen derartigen Vorschlag vorzulegen.
Auf Anregung von Bundesinnenminister Otto Schily
gegenüber EU-Kommissar Vitorino hat die Kommission
eine Initiative zur Schaffung von EU-weiten Visadateien
angekündigt. Künftig muss es möglich sein, Fingerab-
drücke und Passeinträge in das Visumverfahren zu inte-
grieren und zentral zu speichern. In dem Entwurf eines
Zuwanderungsgesetzes ist bereits die Erfassung von Fin-
gerabdrücken bei Antragstellern aus Problemstaaten vor-
gesehen. Dieser Punkt wird in dem Gesetz zur Bekämp-
fung des Terrorismus aufgegriffen. Deutschland setzt sich
für eine analoge Praxis in den Mitgliedstaaten ein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Uhl zu
einer ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär
Körper, gehe ich dann recht in der Annahme, dass die
Pressemeldungen von heute und den letzten Tagen unzu-
treffend sind, in denen verlautbart wird, dass sowohl die
Grünen wie auch Herr Bundesaußenminister Joschka
Fischer das Verfahren, bei der Visaerteilung Fingerab-
drücke zu nehmen, nach wie vor ablehnen? Dies ist deswe-
gen wichtig zu wissen, weil die Fingerabdrücke in seinem
Amtsbereich, in den deutschen Auslandsvertretungen, ge-
nommen werden müssen. Wenn er dies also ablehnt, käme
Herr Innenminister Schily nicht zu seinem Ziel.
F
Diese von Ihnen zitierten Presse-
meldungen beziehen sich nicht auf unser Haus und auch
nicht auf den Bundesinnenminister. Insofern kann ich
nicht weiter kommentieren, inwieweit diese Pressemittei-
lungen den Sachverhalt korrekt wiedergeben. Tatsache
ist, dass wir uns derzeit gemeinsam eine Lösung dieser
Probleme überlegen. Ich habe in meiner Antwort bereits
die Stichworte Zuwanderungsgesetzgebung und Anti-
terrorpaket genannt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine zweite Nach-
frage. Bitte, Herr Kollege Uhl.
Weil es etwas un-
übersichtlich erscheint, wie sich die Koalition einigt, und
das Zuwanderungsgesetz, das Sie erwähnt haben, noch
nicht unmittelbar vor dem In-Kraft-Treten steht, frage ich:
Können Sie sich einen zeitlichen Rahmen vorstellen, in-
nerhalb dessen es zu der Neuregelung kommt, dass vor
Erteilung eines Visums ein Fingerabdruck genommen
wird?
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Gerhard Schüßler
18640
F
Ich bin kein Prophet und kann
nicht verkünden, wann dieser Zeitpunkt gekommen ist.
Aber dass Identifizierungsmaßnahmen bei der Einreise
ein ganz wichtiger Punkt sind das ist aus Äußerungen
bekannt geworden , dürfte auch Ihnen nicht entgangen
sein. Wir werden uns um Regelungen bemühen, die dem
gerecht werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt rufe ich die
Frage 11 des Kollegen Dr. Hans-Peter Uhl auf:
Wird die Bundesregierung gewaltbereite islamistische Extre-
misten ausweisen und dazu die entsprechenden Regelauswei-
sungstatbestände schaffen?
F
Herr Kollege Uhl, nach der Zu-
ständigkeitsverteilung des Grundgesetzes wird das Aus-
länderrecht von den Ländern als eigene Angelegenheit
ausgeführt. Aufenthaltsrechtliche Entscheidungen und
damit auch die Entscheidung über die Beendigung des
rechtsmäßigen Aufenthalts in Deutschland hat daher die
örtlich zuständige Ausländerbehörde des Landes nach der
geltenden Rechtslage zu treffen. Sie ist dabei nur an
die Weisungen ihrer übergeordneten Landesbehörden so-
wie an die Entscheidungen der Gerichte und falls ein
Asylverfahren durchgeführt wurde des Bundesamtes für
die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gebunden.
Das Bundesministerium des Innern hält eine Ergän-
zung der Regelausweisungsgründe des § 47 Abs. 2 des
Ausländergesetzes für überlegenswert. Es wird jedoch
darauf aufmerksam gemacht, dass die Problematik des
Aufenthaltes extremistischer Gewalttäter in der Bundes-
republik Deutschland nicht im Bereich der Ausweisungs-
tatbestände liegt, sondern im Bereich der Abschiebung.
Diese kann oftmals nicht durchgeführt werden, da aus
rechtlichen oder tatsächlichen Gründen Abschiebungs-
hindernisse bestehen. Das Grundgesetz auf der einen
Seite und internationale Vereinbarungen auf der anderen
Seite erlauben keine grundlegende Rechtsänderung in
diesem Bereich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Uhl,
bitte.
Herr Staatssekretär
Körper, stimmen Sie mir zu, dass islamistische Terroristen
nach geltender Rechtslage erst dann ausgewiesen werden
können, wenn sie bereits einen Terroranschlag begangen
haben, nicht aber dann, wenn sie zum Beispiel im Rahmen
der jetzt angelaufenen Rasterfahndung als Mitglied einer
extremistischen Vereinigung erfasst werden? Wenn sie
also den Terroranschlag nur planen, aber noch nicht be-
gangen haben, dann können sie nach geltender Rechtslage
nicht ausgewiesen werden.
Sind Sie mit mir der Auffassung, dass hier im Gesetz
eine Lücke besteht und dass der Bundesgesetzgeber den
Regelungstatbestand diesbezüglich ergänzen muss, dass
also Terroristen noch vor Verübung des Terroranschlages
ausgewiesen werden können? Konkret gefragt: Hätte
nicht Herr Atta vor dem 11. September 2001 ausgewiesen
werden müssen? Ob man ihn dann abschieben kann, ist
eine andere Frage, die den Vollzug dieses Ausweisungs-
tatbestandes betrifft. Erst einmal geht es um den Auswei-
sungstatbestand.
F
Herr Kollege Uhl, ich habe vor-
hin in meiner Antwort gesagt, dass die Bundesregierung
die Ergänzung des derzeit bestehenden § 47 Abs. 2 des
Ausländergesetzes, der die Regelausweisungsgründe be-
inhaltet, für überlegenswert erachtet. Sie haben aber zu
Recht darauf hingewiesen, dass man zwischen Auswei-
sungstatbeständen auf der einen Seite und Abschiebe-
möglichkeiten auf der anderen Seite unterscheiden muss.
Da das so ist, erweist sich auch diese Fragestellung als ein
bisschen schwieriger.
Ich sage immer wieder: Solche konstruierten Fälle set-
zen natürlich voraus, dass man eine gewisse Kenntnis
über Personen hat. Ansonsten machen solche Überlegun-
gen keinen Sinn.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Uhl hat
noch eine letzte Nachfrage, bitte.
Bei dem Thema,
über das wir gerade reden, ist ja Gefahr im Verzug. Wir
wissen und alle Dienste sagen es , dass es gewaltbereite
Terroristen im Lande gibt, dass wir nur zu wenig darüber
wissen und deswegen jetzt die Rasterfahndung angelau-
fen ist.
Wir hoffen aber doch, dass diese Rasterfahndung Erfolg
haben wird. Deswegen die Frage: Sind Sie bereit, schon
jetzt unverzüglich gesetzgeberische Maßnahmen anlaufen
zu lassen, damit wir für den Fall, dass wir dieser gemein-
gefährlichen Verbrecher habhaft werden können, diese zu-
mindest ausweisen und in Abschiebehaft nehmen können,
wenn wir sie dann noch nicht abschieben können?
F
Herr Kollege Uhl, zwei Bemer-
kungen dazu: Wir sollten in der jetzigen Situation mit dem
Verbreiten beispielsweise von Zahlen ein bisschen vor-
sichtig sein.
Nein, das weiß ich. Aber Sie haben gesagt, es sei zu
vermuten, dass zahlreiche Extremisten, die diesem Um-
feld zuzurechnen sind, in Deutschland leben oder woh-
nen. Ich sage das deswegen, weil die Erkenntnislage nicht
so ist, dass man diesen Satz ohne weiteres unterstreichen
kann. Das ist das Erste.
Als Zweites will ich mir den Hinweis erlauben, dass
die Bundesregierung bereits in der vorletzten Kabinetts-
sitzung ein erstes Antiterrorpaket mit drei sehr konkreten
Maßnahmen vorgelegt hat.
Was im Übrigen die Frage des Vereinsrechts und der
Streichung des Religionsprivilegs anbelangt, so ist das
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001 18641
eine Initiative, die der Bundesinnenminister schon am
5. September vorgelegt hat. Interessanterweise hatte am
5. September kein Mensch davon Kenntnis genommen.
Dies hat erst im Nachhinein eine gewisse Aktualität er-
halten.
Die Bundesregierung bereitet derzeit ein zweites so ge-
nanntes Antiterrorpaket vor, das auch die Frage umfasst,
ob und inwieweit beispielsweise die Regelausweisungs-
gründe ergänzt bzw. verändert werden können. Entspre-
chende Überlegungen dazu müssen Gegenstand dieses
Paketes sein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe den Ge-
schäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft
und Technologie auf. Zur Beantwortung steht Frau Parla-
mentarische Staatssekretärin Margareta Wolf zur Verfü-
gung.
Da der Kollege Kolb momentan nicht anwesend
ist, aber angekündigt hat, dass er noch kommen wird, rufe
ich jetzt erst einmal die Frage 14 des Kollegen Klaus
Hofbauer auf:
Welche Akzente setzt die Bundesregierung, um den Wirt-
schaftszweig Tourismus in den Grenzregionen zu den Beitritts-
ländern zu stärken und für die Osterweiterung fit zu machen?
M
Herr Hofbauer,
wenn Sie erlauben, würde ich gern die Fragen 14 und 15
zusammen beantworten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann rufe ich auch die
Frage 15 auf:
Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, warum in der
Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften
über die Auswirkungen der Erweiterung für die an Beitrittsländer
angrenzenden Regionen Gemeinschaftsaktion für Grenzregio-
nen vom 25. Juli 2001 der Bereich Tourismus weder bei den För-
derkriterien noch bei den allgemeinen Aussagen angesprochen
wird, obwohl dieser Wirtschaftszweig in den Grenzregionen eine
wichtige Rolle spielt und sich im Rahmen der Osterweiterung auf
viele Veränderungen einzustellen hat?
M
Bei der Mittei-
lung der Kommission handelt es sich um eine Untersu-
chung der Grenzregionen, die unter drei Hauptaspekten
durchgeführt wurde:
Zum Ersten wurden die sozioökonomische Lage und
die voraussichtlichen Auswirkungen der Erweiterung auf
die Grenzregionen untersucht. Der zweite Punkt betrifft
die vorhandene Gemeinschaftshilfe zugunsten der Grenz-
regionen. Der dritte Punkt sind mögliche Maßnahmen zur
Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit in den Grenzregio-
nen.
Die Untersuchung deckt naturgemäß das gesamte
Spektrum der Wirtschaft ab, ohne dabei auf einzelne
Branchen einzugehen. Dies entspricht, wie Sie wissen,
der Natur der Fördermaßnahmen, die nicht branchen-
bezogen, sondern als Querschnittsmaßnahmen erfolgen,
wie dies zum Beispiel auch bei uns in der Bundesrepublik
der Fall ist.
Die Grenzregionen zu den Beitrittsländern profitieren
im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative Interreg auch bei
Tourismusprojekten. In Sachsen beispielsweise wurden in
der Förderperiode zwischen 1994 und 1999 im Rahmen
von Interreg II A von insgesamt circa 570 Projekten
71 Projekte im Bereich des Tourismus realisiert. Damit
wurden rund 6,8 Prozent der zur Verfügung stehenden fi-
nanziellen Mittel der EU aus dem EFRE für Tourismus-
projekte in den sächsischen Grenzregionen zu Tschechien
und Polen verwendet. In den Ländern Mecklenburg-Vor-
pommern und Brandenburg wurden 27 Projekte im Rahmen
von Interreg II A auf dem Gebiet der Kommunalge-
meinschaft Pomerania im Bereich Tourismus durchge-
führt. Das heißt, von insgesamt 190 Interreg-Projekten
stammen 14 Prozent aus den EFRE-Mitteln.
Auch in der neuen Förderperiode von 2000 bis 2006 ist
der Bereich Tourismus förderfähig. Die spezifischen Ziele
und Maßnahmen der grenzüberschreitenden Zusammen-
arbeit im Bereich Tourismus sind in den Programmen der
Gemeinschaftsinitiative für die einzelnen Grenzräume
festgelegt. Die Umsetzung der Programme erfolgt das
wissen wir in regionaler Zuständigkeit durch die jewei-
ligen Bundesländer.
Abgesehen von den angesprochenen Punkten profitiert
der Tourismus auch von der Gemeinschaftsaufgabe Ver-
besserung der regionalen Infrastruktur und der EU-
Strukturpolitik. Die Auswahl und die Gestaltung der Pro-
jekte sind dabei Angelegenheit der Länder und erfolgen
durch die Akteure vor Ort. Da der Begriff Grenzregion
nicht definiert ist, ist eine diesbezügliche konkrete Aus-
weisung von Tourismusprojekten sehr schwierig.
Seit 1991 sind insbesondere in den neuen Bundeslän-
dern Tourismusmaßnahmen in hohem Umfang mit GA-
Mitteln gefördert worden. 17 Prozent der Investitions-
zuschüsse im Infrastrukturbereich und 7 Prozent der für
Investitionen der gewerblichen Wirtschaft aufgewandten
GA-Mittel kamen dem Tourismus zugute.
Abgesehen von diesen Maßnahmen des allgemeinen
Förderinstrumentariums fördert die Bundesregierung ein-
zelne Projekte zugunsten des Tourismus. So unterstützt
die Bundesregierung im Rahmen eines Projektes zur För-
derung des Fahrradtourismus aus dem Titel Leistungs-
steigerung im Tourismusgewerbe Maßnahmen zur Ko-
ordinierung und Vermarktung eines deutschlandweiten
Radfernwegenetzes und entwickelt hierzu 2001 und 2002
den Oder-Neiße-Radweg als Modellroute.
Schließlich kommen die Grenzregionen auch für das
Marketing der Deutschen Zentrale für Tourismus in Be-
tracht. Konkrete Entscheidungen hierzu werden durch
den DZT-Auslandsmarketingausschuss für das Marketing
im Ausland und den DZT-Inlandsmarketingausschuss für
das Marketing innerhalb Deutschlands unter Beteiligung
der verschiedenen Verantwortungsträger vorgenommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt ist der Kollege
Hofbauer mit seinen Nachfragen an der Reihe, bitte.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper
18642
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Frau Staatssekretärin! Wir alle wissen, dass dieses
Programm, das sehr groß angekündigt wurde, für die Ge-
meinschaftsaktion in den Grenzregionen gerade im Be-
reich Sektorwirtschaftsförderung minimal ausgefallen ist.
Soweit ich informiert bin und nach dem, was ich im Pro-
gramm gelesen habe, sind diese Maßnahmen sehr konkret
beschrieben: 150 Millionen DM für den Straßenbau und
lediglich 10 Millionen DM für die mittelständische För-
derung.
Zu diesem Programm möchte ich eine perspektivische
Frage stellen: Warum hat sich die Bundesregierung nicht
dafür verwendet, dass der Tourismus in diesem Programm
eine ganz konkrete Rolle spielt? Denn wir stimmen hof-
fentlich darin überein, dass der grenzüberschreitende Tou-
rismus eine riesengroße Chance ist, die Osterweiterung
vorzubereiten bzw. uns für die Osterweiterung fit zu ma-
chen. Warum steht hierzu nichts in diesem Programm?
Hat die Bundesregierung hierzu keine Vorschläge ge-
macht?
Meine zweite Frage: Sind Sie, Frau Staatssekretärin, und
Ihr Haus bereit, die Zusammenarbeit in ein paar konkreten
Punkten zu verstärken und zu vertiefen, zum Beispiel beim
Austausch von Arbeitskräften? Sie wissen, dass gerade
in den Grenzregionen ich möchte hier den bayerisch-
tschechischen Grenzraum ansprechen Arbeitskräfte auf
bayerischer Seite fehlen. Können Sie vielleicht prüfen, ob
man nicht diese Grenzgängerregelung, die bereits besteht
und die sich bewährt hat, im Hinblick auf die Osterweite-
rung weiter stärken kann?
Meine dritte Frage: Ich kann mir aus der Praxis heraus
vorstellen, im Bereich des Tourismus und der Wirtschaft
insgesamt das Thema Ausbildung in den Mittelpunkt der
Osterweiterung zu stellen. Ist es möglich, schon jetzt jun-
gen Menschen aus den Beitrittsländern bei uns eine qua-
lifizierte Ausbildung sprich: die gleiche Ausbildung wie
unseren jungen Menschen zu geben? Das wären Per-
spektiven für die Zukunft und Schritte, mit denen schon
jetzt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit inten-
siviert werden könnte.
M
Sehr geehrter
Herr Kollege Hofbauer, um mit dem letzten Punkt anzu-
fangen: Auch ich halte im Hinblick auf den Tourismus und
insbesondere die Ausbildung im Tourismusbereich eine
stärkere Fokussierung der Debatte auf die EU-Osterwei-
terung für einen ganz zentralen Punkt. Ich glaube, dass
durch geeignete Maßnahmen auf diesem Feld Hemm-
schwellen und Ängste, die vor allem diesseits der Grenze
bestehen, abgebaut werden können. Was Sie in Bezug auf
die Grenzgängerregelung gefragt haben, werde ich gerne
in meinem Haus recherchieren und Ihnen eine schriftliche
Antwort zukommen lassen.
Lassen Sie mich zu Ihrer ersten Frage kommen: Sie
wissen, dass die Europäische Union die Beitrittsländer bei
ihren Reformbemühungen in dem Zeitraum von 2000 bis
2006 mit so genannten Heranführungshilfen in Höhe von
fast 22 Milliarden Euro unterstützt. Ich denke, angesichts
der Situation in den potenziellen Beitrittsländern ist es re-
lativ klar, dass diese Investitionen zur Stärkung des Tou-
rismus in den Grenzregionen zunächst in Infrastruktur-
maßnahmen in den Verkehrs- und Umweltbereich sowie
in die Modernisierung der Verwaltung; ich sehe auf die-
sem Wege große Chancen für die betroffenen Regionen
geflossen sind.
Ich denke, solche Maßnahmen sind die Voraussetzung
dafür, eine moderne und leistungsfähige Tourismuswirt-
schaft aufzubauen, wenngleich es notwendig ist, stets die
Stärkung des Tourismus in den Mittelpunkt zu stellen. Ich
habe Ihnen in diesem Zusammenhang Projekte aus Sach-
sen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg vorge-
stellt, die wir unterstützen. In der Förderperiode von 2000
bis 2006 soll speziell die Entwicklung eines hochwertigen
und umweltfreundlichen Tourismus gefördert werden,
insbesondere durch Investitionen und Konzeptionspro-
jekte sowie zum Beispiel durch Kulturreisen, die ich im
Interesse der Völkerverständigung für sehr wichtig halte,
oder durch Projekte des Ökotourismus.
Wir wollen auf diese Weise die Standortattraktivität er-
höhen und die Schaffung von Arbeitsplätzen Sie haben
das Thema angesprochen durch Förderung endogenen
Potenzials ermöglichen. Ich teile dabei die in Ihren Fragen
implizit ausgedrückte Meinung, man müsse in den drei an-
gesprochenen Grenzregionen, vor allem in der Grenzre-
gion Bayern/Tschechien, sehr viel mehr Aufbauarbeit leis-
ten, um sie tatsächlich als Tourismusstandort attraktiv zu
machen, als das in anderen Regionen ich erinnere in die-
sem Zusammenhang an die Süderweiterung der Fall war.
Ich kann Ihnen versichern, dass die Entwicklung des Tou-
rismus, der ja im Ressort des Bundeswirtschaftsministe-
riums angesiedelt ist, auch bei den Reisen, die ich in die
Grenzregionen zu Tschechien, Ungarn oder Polen unter-
nehme, eine zentrale Rolle spielen wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Kolb
konnte doch nicht kommen; er hat rechtzeitig Bescheid
gesagt. Deshalb werden die Fragen 12 und 13 schriftlich
beantwortet.
Ich sehe gerade, dass der Kollege Seifert noch eine
Nachfrage zu der Frage des Kollegen Hofbauer hat.
Frau Staatssekretärin, es ist sehr
freundlich, dass Sie verschiedene Projekte wie zum Bei-
spiel den Radweg entlang der Oder und Neiße aufgeführt
haben; mich würde interessieren, wann dieser Radweg
endlich fertig wird.
In diesem Zusammenhang möchte ich Sie fragen:
Wäre es nicht auch eine Aufgabe für das Bundesministe-
rium für Wirtschaft, in den Regionen diesseits der Grenze
Sprachkurse zu fördern, um den Hoteliers und Betreibern
von Restaurants die Möglichkeit zu geben, die Sprachen
ihres Nachbarlandes, zum Beispiel Tschechisch oder Pol-
nisch, zu lernen? Wenn wir in unsere Nachbarländer fah-
ren, gehen wir ganz selbstverständlich davon aus, dass
dort Deutsch gesprochen wird und uns Speisekarten in
deutscher Sprache vorgelegt werden. Umgekehrt werden
auch Gäste aus Tschechien oder Polen in Deutschland
essen, trinken oder übernachten. Sehen Sie in diesem
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001 18643
Zusammenhang irgendwelche Fördermöglichkeiten bzw.
haben Sie bereits Maßnahmen eingeleitet?
M
Herr Kollege
Seifert, ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, mit dem Pro-
blem, dass Tschechen oder Polen nicht in der Lage sind,
deutsche Speisekarten zu lesen, sind wir noch nicht un-
mittelbar konfrontiert worden. Ich werde das Problem
gerne recherchieren und in den Gesprächen, die ich vor Ort
führe, ansprechen. In einem Punkt möchte ich Ihnen aber
widersprechen: Ich gehe ebenso wie viele andere Deut-
sche, die im europäischen oder außereuropäischen Aus-
land Urlaub machen nicht davon aus, dass Speisekarten
in deutscher Sprache vorliegen. Wenn sie auf Deutsch
wären, würde ich persönlich das Lokal nicht betreten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt kommen wir
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Ver-
teidigung. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Brigitte Schulte zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Hartmut Koschyk
auf:
Hat der Bundesrechnungshof bereits das Ressortkonzept der
Bundesregierung zur Feinausplanung und Stationierung der Bun-
deswehr auf seine Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit hin geprüft,
und falls nein, wie gelangte der Parlamentarische Staatssekretär
im Bundesministerium der Verteidigung, Walter Kolbow, zu der
Feststellung, dass die Auflösung des Luftwaffenausbildungsba-
taillons in Bayreuth bundesrechnungshoffest sei, so der Nord-
bayerische Kurier vom 4. August 2001?
B
Lieber Herr Kollege, die Bun-
desregierung hat die Entscheidung zur Stationierung vom
16. Februar 2000 auf Grundlage funktionaler, ökonomi-
scher und sozialer Kriterien sowie wirtschafts- und struk-
turpolitischer Aspekte getroffen. Das galt und gilt auch für
den Standort Bayreuth. Bis zum 30. März 1993 wurde der
Standort Bayreuth vorwiegend durch das Heer genutzt.
Nach Auflösung einer Reihe von gepanzerten Verbänden
durch die damalige CDU/CSU-FDP-Bundesregierung er-
folgte gegen den Willen der Luftwaffe die Verlegung des
II. Bataillons des Luftwaffenausbildungsregiments 3 nach
Bayreuth, obwohl die Zahl der Wehrpflichtigen schon im
Rahmen des Personalstrukturmodells von 495 000 auf
370 000 zurückging.
Nach Aussage der Luftwaffe war die Markgrafen-
kaserne in Bayreuth von Anfang an für sie und ihre
Zwecke unwirtschaftlich. Deshalb hat mein Kollege
Walter Kolbow Recht, wenn er die Auflösung des Batail-
lons als wirtschaftlich sinnvoll darstellt. Ich verkenne
natürlich nicht, dass die besonders bundeswehrfreundli-
che Stadt Bayreuth den Abzug der Luftwaffe sehr bedau-
ert. Dies alles habe ich Ihnen allerdings bereits am
28. März und am 9. Mai mitgeteilt.
Der Bundesrechnungshof um auch das anzumerken
ist bei Planungen der Bundesregierung zwar dem Grunde
nach mitberatend tätig. Aber er hat sich zu dem vorlie-
genden Fall überhaupt nicht geäußert. Es gibt allerdings
den unbestrittenen Nachweis, dass die Wirtschaftlichkeit
des Standortes des Ausbildungsbataillons nie im eigentli-
chen Sinne gegeben war.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Koschyk, zu einer ersten Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekre-
tärin, Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Ich habe
Sie gefragt weil Staatssekretär Kolbow davon gespro-
chen hat, dass die Entscheidung bundesrechnungshof-
fest sei , ob sich der Bundesrechnungshof bislang in ir-
gendeiner Weise mit dem Stationierungskonzept befasst
hat und, wenn ja, mit welchem Ergebnis. Diese Frage ha-
ben Sie nicht beantwortet.
B
Herr Kollege Koschyk, wenn
der Kollege Kolbow, der seit 1980 Mitglied des Deut-
schen Bundestages ist, von bundesrechnungshoffest
spricht, dann meint er sicherlich, dass man die wirtschaft-
lichen Bedingungen betrachten muss. Es bleibt auch in
Zukunft wahr, dass Sie eine ganze Reihe von Stationie-
rungsmaßnahmen aus reinem politisch-taktischem Kalkül
und nicht aus Gründen sinnvoller wirtschaftlicher Gestal-
tung durchgeführt haben. Wenn Sie Letzteres getan hät-
ten, dann hätte die Bundeswehr jetzt mehr Geld für andere
Dinge zur Verfügung. Deswegen konnte der Kollege
Kolbow sehr wohl er hat es übrigens nicht so getan, wie
Sie es in Ihrer Frage darstellen; ich habe sie mir inzwi-
schen genau durchgelesen von bundesrechnungshof-
fest sprechen; denn wenn der Bundesrechnungshof dies
im Einzelnen geprüft hätte, dann hätte er schon 1993 fest-
gestellt, dass Ihre Maßnahmen nicht sinnvoll sind. Daher
halte ich die Aussage von Walter Kolbow unter dem Ge-
sichtspunkt dessen, was der Bundesrechnungshof tut und
prüft, für sehr wohl verantwortbar und auch für berech-
tigt. Die Bundesregierung als die verantwortlich Han-
delnde muss im Übrigen ohnehin nach Recht, Ordnung
und Wirtschaftlichkeit vorgehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Koschyk, bitte.
Frau Staatssekre-
tärin, da Sie auf die Vorgeschichte der Entwicklung des
Bundeswehrstandortes in Bayreuth eingegangen sind,
möchte ich Sie fragen: Hat denn die Bundesregierung ge-
prüft, ob die, so haben Sie es jetzt dargestellt, schlechte Be-
triebskostenbilanz nicht hätte verbessert und die Nutzung
des Areals der Markgrafenkaserne nicht hätte optimiert
werden können, wenn man auf dem Kasernengelände, auf
dem sich nicht nur das Luftwaffenausbildungsbataillon,
sondern auch ein Verteidigungsbezirkskommando befin-
det, noch weitere Bundeswehreinrichtungen untergebracht
hätte, zum Beispiel das Kreiswehrersatzamt der Stadt Bay-
reuth und eine Außenstelle der Standortverwaltung in
Ebern? Dies wäre meines Erachtens geboten gewesen, be-
vor die Entscheidung getroffen wurde, den Standort in
Bayreuth aufzulösen die Aussichten für die Verwertung
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Dr. Ilja Seifert
18644
des Areals sind sehr schlecht und ein Luftwaffenbatail-
lon am Standort Wittstock in Brandenburg für 214 Milli-
onen DM neu anzusiedeln.
B
Das ist in meinen Augen nun
wirklich sehr gediegen, was Sie hier feststellen.
Erstens halte ich es für selbstverständlich ich wun-
dere mich deshalb, dass gerade Sie offenbar anderer Mei-
nung sind , dass wir das Aufkommen junger Wehrpflich-
tiger auch für die Luftwaffe mit einem Standort in den
neuen Bundesländern bedienen. Das finde ich eigentlich
selbstverständlich.
Zweitens: Herr Kollege Koschyk, ich bin ein ordentli-
cher Mensch. Am 9. Mai 2001 habe ich Ihnen gesagt, dass
Ihre Vorstellung, das Kreiswehrersatzamt Bayreuth in die
Markgrafenkaserne zu verlegen, das Problem nicht löst.
Denn schon jetzt ist die Bayreuther Markgrafenkaserne
mit über 1 000 Soldaten nicht ausgelastet gewesen. Wir
haben zu viele Liegenschaften, die wir unterhalten müs-
sen, die unwirtschaftlich sind. Es handelt sich um techni-
sche Gebäude, die früher das deutsche Heer mit gepan-
zerten Verbänden gebraucht hat. Es lohnt sich, sich das
anzusehen.
Das ist überhaupt kein Unsinn, weil die gepanzerten
Verbände leider aufgrund der deutschen Teilung dorthin
verlegt werden mussten. Wir finden die gleiche Situation
in Niedersachsen. Gott sei Dank brauchen wir gepanzerte
Verbände in diesem Umfange heute nicht. Das ist das Er-
freuliche an dieser ganzen Geschichte.
Herr Koschyk, ich wiederhole es: Die Sympathie, die
der Bundeswehr in Bayreuth entgegenkommt, gibt es ge-
nauso weil ich gerade den Kollegen aus Hildesheim
sehe in Hildesheim, in Holzminden oder in einem ande-
ren Standort.
Die Wirtschaftlichkeit der Bundeswehr war damit
nicht gegeben. Wir brauchen heute die Verbände, die wir
auch in der Zukunft benötigen. Wir bilden in der Zukunft
bei der deutschen Luftwaffe weniger junge Wehrpflich-
tige aus, als es in der Vergangenheit der Fall war. Übrigens
gehen auch die Jahrgangsstärken zurück.
Deswegen brauchen wir weniger Bataillone. Deswe-
gen war es auch schon 1993 nicht nachzuvollziehen, dass
man ausgerechnet bei einem Rückgang der Zahl der
Wehrpflichtigen von 495 000 auf 370 000 330 000 oder
340 000 war ja die Personalkonzeption der alten Bundes-
regierung ein zusätzliches Bataillon verlegt. Das war die
ganze Wahrheit.
Notwendig war es deswegen der Hinweis auf Bran-
denburg , dass in den neuen Bundesländern selbstver-
ständlich auch ein Ausbildungsstandort für das Aufkom-
men der jungen Leute dort eingerichtet wurde. So ist es.
Das tut mir nun sehr Leid für Sie, Herr Koschyk, ich
verstehe das sehr gut. Gerade ein Ausbildungsbataillon ist
für einen Standort etwas Hervorragendes, aber bei der
Frage der Verlegung ging es von Anfang an mehr um eine
politische ich sage nicht: parteipolitische Entschei-
dung als darum, ob die Entscheidung wirtschaftlich sinn-
voll war.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Fragen 17 und 18
des Kollegen Günther Friedrich Nolting werden schrift-
lich beantwortet.
Deswegen kommen wir jetzt schon zum Geschäftsbe-
reich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen. Zur Beantwortung steht der Parlamen-
tarische Staatssekretär Stephan Hilsberg zur Verfügung.
Die Frage 19 des Kollegen Dörflinger wurde zurück-
gezogen, die Frage 20 des Kollegen Hinsken wird schrift-
lich beantwortet.
Deswegen rufe ich jetzt die Frage 21 des Kollegen
Dr. Norbert Röttgen auf es geht um einen Flughafen, den
wir alle noch ganz gut kennen, den Flughafen Köln/Bonn :
Warum hat die Bundesregierung keine verbindliche Entschei-
dung bzw. Stellungnahme der Europäischen Kommission hin-
sichtlich der Umsetzung der zwei noch ausstehenden Punkte des
22-Punkte-Kataloges zur Regelung des Nachtflugs auf dem
S
Herr
Röttgen, die Bundesregierung sieht nach den Ausführun-
gen der EU-Kommission, die ihre europarechtlichen Be-
denken zum Ausdruck bringen, keine Veranlassung, eine
weitere Entscheidung bzw. Stellungnahme hinsichtlich
der Umsetzung der zwei noch ausstehenden Punkte des
22-Punkte-Katalogs zur Regelung des Nachtflugs auf
dem Flughafen Köln/Bonn einzuholen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Röttgen hat
das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Finden Sie das
nicht sehr unverständlich? In diesem kurzen Schreiben
ein anderthalbseitiges Schreiben; ich habe es hier, mit
Dear Thilo überschrieben zu einer komplexen Rechts-
frage auch der Sachverhalt ist kompliziert wird in der
ersten Hälfte überhaupt nur die Normenlage referiert, es
findet also gar keine Untersuchung statt, und zum ande-
ren legt sich dieses Schreiben ich möchte zwei Punkte
daraus zitieren überhaupt nicht inhaltlich fest.
Es heißt: In Ihrem Fall scheinen die Vorschriften von
Art. 9 geeigneter zu sein... Es erfolgt noch nicht einmal
eine Festlegung, welche Vorschrift überhaupt einschlägig
ist, sondern es ist eine Annahme, ein Schein. Der Schein
kann aber auch trügen.
Am Ende dieses Schreibens heißt es ausdrücklich:
Ich möchte hinzufügen, dass es sich hier um eine
vorläufige Untersuchung handelt ... unbeschadet der
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Hartmut Koschyk
18645
Stellungnahme der Kommission, falls sie eine wirk-
liche Entscheidung treffen müsste.
Halten Sie es angesichts dieses kurzen Schreibens, das
aber klarlegt, dass es vorläufig und inhaltlich nicht festle-
gend ist, nicht für völlig ausgeschlossen, von einer ver-
bindlichen umfassenden Stellungnahme auszugehen, die
keinen weiteren Prüfungsbedarf auslöst?
S
Herr
Röttgen, Sie haben völlig Recht: Es ist eine vorläufige Stel-
lungnahme. Allerdings sind die Argumente, die sich in die-
ser Stellungnahme befinden Ihnen liegt der Brief vor ,
so stichhaltig, dass wir zu der Überzeugung gekommen
sind, eine verbindliche Stellungnahme erübrige sich, weil
sie zu keinem anderen Schluss kommen würde als dem,
dass diese beiden offenen Punkte zur Regelung des Nacht-
flugs noch behandelt werden müssen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Röttgen,
bitte.
Können Sie ver-
stehen, dass die vom Fluglärm betroffenen Menschen
dann, wenn gar nicht wirklich geprüft wird, die Bundes-
regierung aber sagt: Wir sehen dennoch überhaupt kei-
nen Prüfungsbedarf, den Eindruck haben, dass Sie gar
nichts zur Minderung des Fluglärms tun wollen? Es gibt
keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine erschöpfende oder
auch nur ansatzweise erfolgte Untersuchung der Rechts-
frage vorliegt, und Sie verweigern die Untersuchung.
Wollen Sie also gar nicht untersuchen? Es kann gar kein
anderer Schluss übrig bleiben.
S
Herr
Röttgen, ich denke, dass auch die Bürger in der Nachbar-
schaft des Flughafens Köln/Bonn keinen Anlass haben, an
unserem Willen, zu einer weiteren Entlastung zu kommen
wie bei allen anderen Flughäfen auch , wie es im Flug-
hafenkonzept festgelegt ist, zu zweifeln, weil sie eine we-
sentliche Voraussetzung für die weitere Expansion im
Luftverkehr darstellt.
Der Sachverhalt, der sich ergibt, ist aber etwas klarer,
als Sie ihn darstellen. Ich will das mit einem Beispiel be-
legen.
Bei einem der beiden offenen Punkte, die dort ange-
sprochen worden waren und um deren Behandlung die
Europäische Kommission gebeten worden war, ging es
darum, ein Nachtflugverbot für Flugzeuge ab einem be-
stimmten Gewicht, ab einer bestimmten Größe festzule-
gen. Aus der Antwort geht sehr klar hervor, dass man eine
solch klare Grenze nicht ziehen kann, weil es keineswegs
so ist, dass Flugzeuge ab einem bestimmten Gewicht sehr
viel lauter sind als solche, die dieses Gewicht nicht haben.
Ein solches konditioniertes Verbot wäre kein Instrument
gewesen, um tatsächlich und wirksam zu einer Verbesse-
rung der Nachtruhe beizutragen.
Ein ähnlicher Sachverhalt findet sich auch bei dem an-
deren Punkt.
Das ist der eigentliche Grund dafür gewesen, dass wir
gesagt haben: Wir wollen an dieser Stelle auf eine weitere
Prüfung verzichten, weil sich der Sachverhalt klar ergibt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir bleiben beim
Fluglärm in Köln/Bonn. Ich rufe die Frage 22 des Kolle-
gen Norbert Röttgen auf:
Besteht aus Sicht der Bundesregierung eine mit dem EU-Recht
konforme Möglichkeit, Regelungen umzusetzen, die zu einer
nachhaltigen insbesondere nächtlichen Fluglärmreduzierung
am Flughafen Köln/Bonn führen, und, wenn ja, welche Vorgaben
sind dabei zu beachten?
S
Ja. Wir
treten auf internationaler und auch auf EU-Ebene für
die Ausschöpfung der technischen Maßnahmen zur Lärm-
reduzierung ein. Darüber hinaus ist eine Novellierung des
Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm in Vorbereitung,
mit der die Schutzzonen durch deutlich verschärfte
Grenzwerte insbesondere für die Nacht, die bisher nicht
durch eine eigene Schutzzone definiert wurden, neu be-
stimmt werden.
EU-konforme Maßnahmen gegebenenfalls zusätzli-
cher Art, die aufgrund der örtlichen Verhältnisse einzu-
führen sind, müssen nach Art. 8 und 9 der Verordnung des
Rates 2408/92 den Prinzipien der Nichtdiskriminierung
und der Verhältnismäßigkeit folgen. Bei einer Betriebsbe-
schränkung für große Flugzeuge wäre die Einhaltung die-
ser Prinzipien nicht gewährleistet, weil es Flugzeuge gibt,
die weniger Masse haben, aber beim Start und bei der
Landung lauter sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Röttgen
zu einer ersten Nachfrage.
Ich habe nicht
nach der allgemeinen Politik gefragt, sondern danach, wie
Sie sich um diesen konkreten Fall kümmern. Sie haben
eben ausgeführt, Sie hätten europarechtliche Bedenken
gegen zwei Punkte, die der Landtag von Nordrhein-West-
falen beschlossen hat. Ich habe schon gesagt, dass dafür
keine Begründung geliefert worden ist, auch nicht von der
Europäischen Kommission. Wenn Sie der Auffassung
sind, das gehe so nicht, dann stehen die Bundesregierung
und die nordrhein-westfälische Landesregierung in der
Pflicht, Alternativen für den konkreten Fall es geht nicht
darum, was im Allgemeinen gemacht wird zu überlegen
und zu versuchen, sie umzusetzen.
Dahin zielte meine Frage, die ich jetzt noch einmal wie
folgt stellen möchte: Welche konkreten Initiativen hat die
Bundesregierung, wenn sie den einen Weg für nicht gang-
bar hält, unternommen, um auf europarechtskonforme
Weise zu dem Ziel zu gelangen, und sind Ihnen Initiativen
der betroffenen Landesregierung bekannt? Ich frage dies
auch vor dem Hintergrund der jüngsten Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der eine
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Dr. Norbert Röttgen
18646
staatliche Schutzpflicht für den Fall von Fluglärm es
ging um den Flughafen Heathrow in Großbritannien an-
erkannt hat.
S
Erstens.
Die Rechtslage in Großbritannien ist eine andere, sodass
ein Urteil wie das des Europäischen Gerichtshofs im Zu-
sammenhang mit Heathrow bei uns so nicht möglich
wäre.
Zweitens. Es ist nicht unsere Aufgabe, selbst Initiati-
ven zu ergreifen. Sollten an uns aber neue Vorschläge he-
rangetragen werden, die zu einer Verbesserung der Lärm-
situation vor Ort beitragen können, so werden wir
selbstverständlich in bewährter Art und Weise und in en-
ger Abstimmung mit den zuständigen Behörden überle-
gen, inwiefern sie durchsetzbar und hilfreich sind.
Mir ist eine solche Initiative vonseiten der Landesregie-
rung bisher nicht bekannt, was nicht ausschließt, dass sie
im Haus schon vorliegt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe jetzt die
Frage 23 des Abgeordneten Helmut Heiderich auf:
Mit welchen Finanzierungsbeträgen wird die Bundesregie-
rung in den kommenden fünf Jahren die grundhafte Erneuerung
mit dem Anbau eines zusätzlichen Fahrstreifens in allen Stei-
gungsstrecken auf der Bundesautobahn A 4 zwischen dem Kirch-
heimer Dreieck und der Landesgrenze Hessen/Thüringen durch-
führen und welche Reihenfolge der Bauabschnitte ist dabei
vorgesehen?
S
Sehr ge-
ehrter Herr Heiderich, ich muss Ihnen jetzt zwei Seiten
vorlesen. Sie haben danach gefragt, wie der Ausbauplan
sein wird. Die Antwort ist relativ detailliert. Ich bitte Sie
also um etwas Geduld.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Solange wir nicht sel-
ber mitbauen müssen, geht das.
S
Das
müssen Sie nicht. Das machen selbstverständlich wir in
bewährter Weise für Sie.
Innerhalb der nächsten fünf Jahre soll der östliche Ab-
schnitt Wommenhessisch/thüringische Grenze mit ei-
nem Mitteleinsatz von rund 125 Millionen DM gebaut
und fertig gestellt werden. Die aus den sechs Abschnitten
Kirchheim, Bad Hersfeld/West, Anschlussstelle Bad
Hersfeld, Bad Hersfeld/Ost, Friedewald und Wildeck be-
stehende insgesamt rund 36 Kilometer lange und rund
410 Millionen DM teure westliche Teilstrecke soll konti-
nuierlich von West nach Ost ausgebaut werden.
Der als Vorabmaßnahme bereits in Bau befindliche
rund 1 Kilometer lange und rund 32 Millionen DM teure
Abschnitt Anschlussstelle Bad Hersfeld wird im Sommer
2002 fertig gestellt. Als zweite Vorabmaßnahme soll sich
ab Mitte 2002 bis Mitte 2003 der Bau des zum Abschnitt
Friedewald gehörenden bereits baureifen, rund 9 Milli-
onen DM teuren beidseitigen neuen Parkplatzes Na-
delöhr anschließen.
Mit dem Streckenausbau soll im knapp 6 Kilometer lan-
gen und rund 58 Millionen DM teuren Abschnitt Kirch-
heim im Jahre 2004 begonnen werden. Folgen sollen dann
die beiden zusammen rund 11 Kilometer langen und rund
125 Millionen DM teuren Abschnitte Bad Hersfeld/West
und Bad Hersfeld/Ost, für die nach Fertigstellung der Um-
weltverträglichkeitsstudie mit der Erarbeitung der Projekt-
unterlagen begonnen wurde. Den Abschluss bilden die
beiden zusammen rund 18 Kilometer langen und rund
185 Millionen DM teuren Abschnitte Friedewald und Wil-
deck, für die derzeit die Umweltverträglichkeitsstudien er-
arbeitet werden.
Eine Aussage zu den Finanzierungsansätzen für den
Zeitraum der kommenden fünf Jahre ist angesichts der ge-
gebenen Planungssituation derzeit nicht möglich. Die fi-
nanziellen Dispositionen für diese fünf Abschnitte wer-
den zu gegebener Zeit in Abhängigkeit von der Baureife
und den zur Verfügung stehenden Finanzierungsmöglich-
keiten zwischen dem Bund und der hessischen Landesre-
gierung im Rahmen der Aufstellung der künftigen Bun-
desfernstraßenhaushalte bilateral abzustimmen sein.
Angestrebt wird die komplette Fertigstellung des Ausbaus
der A 4 in Hessen bis zum Ende des Jahrzehnts.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Heiderich hat das Wort zu einer Nachfrage.
Herr Staatssekretär,
zunächst herzlichen Dank für die ausführliche Antwort.
Es ist klar geworden, dass es sich um einen relativ großen
Bauabschnitt handelt, weswegen eine kurze Antwort un-
angemessen gewesen wäre.
Ich habe bereits im Hinblick auf den von Ihnen ge-
nannten ersten Bauabschnitt Sie haben ihn eben mit ei-
ner Größenordnung von 32 Millionen DM beziffert zur
Kenntnis nehmen müssen, dass es, was die Ausführung
der Bauarbeiten angeht, zu erheblichen Verzögerungen
gekommen ist. Habe ich Sie eben richtig verstanden, dass
es bei Ihnen für die Finanzplanung der nächsten Jahre
noch keine konkreten Festlegungen der Höhe der Finanz-
mittel gibt, sondern dass nur perspektivisch entschieden
ist, welche Bauabschnitte in den nächsten fünf Jahren ge-
plant sind?
S
Wie ich
Ihnen bereits sagte, ist die Finanzierung des zurzeit im
Bau befindlichen ersten Abschnitts geklärt. Dasselbe gilt
für die Vorabmaßnahme, die ab Mitte 2002 begonnen
werden soll. Alles, was darüber hinausgeht, wird im Rah-
men der Finanzierung der kommenden Haushalte zu
klären sein.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Dr. Norbert Röttgen
18647
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Heiderich hat das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Wir haben nun die
besondere Situation, dass sich im Raum Bad Hersfeld in
den letzten Jahren eine doch größere Zahl von Logis-
tikunternehmen angesiedelt hat und dadurch die Ver-
kehrsbelastung in diesem Raum erheblich angestiegen ist.
Weiterhin muss man zur Kenntnis nehmen, dass der
Bau der A 44, die von Kassel nach Eisenach führen soll,
doch nur zögerlich vorankommt, obwohl die Verkehrsbe-
lastung in diesem Raum sehr stark zugenommen hat. Hal-
ten Sie es für in absehbarer Zeit möglich, den Ausbau des
Abschnitts Bad HersfeldSorga vorzuziehen und im Rah-
men dieses vorgezogenen Ausbaus dort auch eine neue
Autobahnanschlussstelle zu errichten? Das ist im Übrigen
in der hessischen Raumordnungsplanung schon seit eini-
ger Zeit so vorgesehen.
S
Ich bitte
um Entschuldigung, dass ich nicht in der Lage bin, auf die
Frage nach einer neuen Anschlussstelle detailliert zu ant-
worten, da wir an dieser Stelle sehr viele einzelne Projekte
haben. Ich würde Ihnen das aber gerne schriftlich nachrei-
chen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bevor ich die nächste
Frage aufrufe, möchte ich jetzt schon bekannt geben, dass
man sich interfraktionell darauf geeinigt hat, die Aktuelle
Stunde bereits um 15.15 Uhr aufzurufen. Wir sind näm-
lich schon fast am Ende der Fragestunde.
Jetzt kommen wir zur Frage 24 des Abgeordneten
Hartmut Koschyk:
Wie erklärt sich die Bundesregierung die Notwendigkeit von
umfangreichen Reparaturmaßnahmen mit erheblichen negativen
Auswirkungen auf den Verkehrsfluss auf Bundesautobahnen
bereits kurze Zeit nach deren Fertigstellung, wie zum Bei-
spiel auf der BAB A9 in Höhe Spänfleck bei Gesees, und wie hoch
beziffert die Bundesregierung, sofern sie keine Regressforderun-
gen bei den ausführenden Unternehmen durchsetzen kann, die da-
durch entstehenden Kosten?
S
Herr
Koschyk, auch bei dieser Antwort bitte ich um Entschul-
digung, dass sie etwas länger ausfallen und von techni-
schen Details, die allerdings notwendig sind, geprägt sein
wird.
Angesichts vorgeschriebener und praktizierter sorgfälti-
ger Planung, Bauvorbereitung und Bauüberwachung sind
umfangreiche Reparaturmaßnahmen bereits kurze Zeit
nach Fertigstellung von Baumaßnahmen an Bundesauto-
bahnen eine sehr seltene Ausnahme. Dies gilt auch für die
A 9, die allein in Bayern in den letzten zehn Jahren zwi-
schen der bayerisch-thüringischen Grenze bei Hirschberg
und Nürnberg auf rund 125 Kilometer Länge sechsstreifig
ausgebaut wurde.
Die angesprochenen, auf dem seit November 2000 in
Verkehr befindlichen Abschnitt SophienbergTrockau in
einem Bereich von rund 700 Meter Länge bei Spänfleck
südlich von Bayreuth aufgetretenen Schäden sind die ein-
zigen im Zuge dieses gesamten bisher erfolgten Ausbaus
der A 9. Die Schäden sind an drei verschiedenen Stellen
der östlich der ursprünglichen A 9 neu gebauten Rich-
tungsfahrbahn Berlin auf Längen bis zu 70 Meter als
Hebungen der Fahrbahn um bis zu 20 Zentimeter Höhe
aufgetreten. Hervorgerufen werden diese Hebungen
durch das Quellen entsprechender lokal eng begrenzt vor-
handener Tonmineralien bzw. durch das Entstehen von
Gips aus ebenfalls lokal eng begrenzt vorhandenem
Schwefelkies durch den Zutritt von Wasser.
Im Vorfeld der Bauausführung und der hierzu vorge-
nommenen Aufschlussbohrungen im dortigen bis zu
70 Meter mächtigen Opalinus-Ton waren diese lokalen
Besonderheiten nicht erkannt worden. Auch während der
Bauarbeiten zur Herstellung des Einschnitts im Bereich
von Spänfleck, bei denen unvermeidlich Veränderungen
des Schichtwasserverlaufs erfolgten, sind diese Quellun-
gen nicht eingetreten, sondern erst nach Inbetriebnahme
des Ausbauabschnitts im Frühjahr 2001.
Nach dem Entfernen des Asphaltoberbaus an diesen
drei Stellen wurden die quellenden Bodenbestandteile
und das im Verlauf veränderte Schichtwasser in 2,5 Meter
Tiefe unter dem Planum angetroffen. Die nach Einrich-
tung einer Vier-plus-Null-Verkehrsführung auf der Rich-
tungsfahrbahn Nürnberg seit Anfang September laufende
Sanierung der Richtungsfahrbahn Berlin erfolgt durch
Bodenaustausch bis zu einer Tiefe von 3 Meter unter Pla-
num also ein ziemlich tiefes Loch ; zusätzlich werden
Kiesschichten als Flächenfilter zur Ableitung des Wassers
eingebaut. Die Sanierungsarbeiten werden noch in diesem
Monat abgeschlossen.
Die Kosten für die Sanierung werden auf rund 1 Mil-
lion DM geschätzt. Da die für die eingetretenen Schäden
ursächlichen besonderen, lokal eng begrenzten Boden-
verhältnisse im Vorfeld der Bauausführung nicht bekannt
gewesen waren, sind sie auch nicht Gegenstand der Bau-
vertragsunterlagen. Das Grundbauinstitut des Landesge-
werbeaufsichtsamtes ist beauftragt, die Hebungen zu un-
tersuchen und deren Ursachen zu ermitteln, um unter
Verwendung dieser Ergebnisse die entsprechenden Fra-
gen, insbesondere auch die Frage der Kostenträger, ab-
schließend beantworten zu können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Koschyk
zu einer Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär,
kann die Bundesregierung ausschließen, dass sich solche
Dinge auf dem jetzt dann weiter zu bauenden Abschnitt bis
Bayreuth-Nord und auf dem Bauabschnitt, der jetzt vollen-
det worden ist, wiederholen? Was wird die Bundesregierung
tun, damit es dort nicht zu ähnlichen Vorgängen kommt?
S
Herr
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 200118648
Koschyk, solche Dinge, die, wie ich gesagt habe, sehr,
sehr selten sind, sind vom Grundsatz her leider nicht ganz
auszuschließen. Sie können das an der hiesigen Baumaß-
nahme auch ganz gut nachvollziehen. Im Vorfeld wurden
Bohrungen im Abstand von 100 Metern durchgeführt.
Die Hebung wir haben es mit einem besonderen Auf-
kommen von Grundwasser zu tun ist lokal sehr eng be-
grenzt. Die 100-Meter-Bohrungen haben dies nicht er-
kennen lassen. Normalerweise treffen wir 95 bis
98 Prozent aller Vorkommnisse im Vorfeld an. Wir kön-
nen sie sozusagen ermitteln und uns darauf einstellen. Es
ist nicht möglich, 100 Prozent aller Zwischenfälle, die im
Verlauf eines Baues auftreten und anschließend eine
schädliche Wirkung haben können, zu erfassen. Man
muss solche Dinge, auch wenn sie ärgerlich sind, gele-
gentlich hinnehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine zweite
Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär,
hätte man die Reparaturmaßnahmen nicht etwas günstiger
koordinieren können, nämlich so, dass sie nicht zum
Ferienende mit dem damit verbundenen erhöhten Ver-
kehrsaufkommen durchgeführt worden wären? Es war
schon etwas verwunderlich, dass die zuständige Auto-
bahndirektion erklärt hat, man müsse aufgrund des Ter-
minplans der beauftragten Firma die Reparaturmaßnah-
men am Ende der Ferien und nicht später durchführen.
Dass Firmen, die die Reparaturen durchführen, die Ter-
minpläne vorgeben und man auf die ansteigende Ver-
kehrsentwicklung zum Ferienende mit den sich daraus
ergebenden Staus keine Rücksicht genommen hat, ist in
der Region auf sehr großes Unverständnis gestoßen.
Herr Koschyk, ein solcher
Sachverhalt und eine solche Äußerung sind mir nicht be-
kannt.
Ich gehe davon aus, dass diese Baumaßnahme so früh
wie möglich, nachdem abgeschätzt werden musste, in
welchem Umfang sie nötig ist, begonnen wurde. Hebun-
gen in einem Umfang von 20 Zentimetern führen dazu,
dass der entsprechende Autobahnabschnitt gänzlich unbe-
nutzbar ist. Dies hat Umleitungen und entsprechende Vor-
kehrungen nötig gemacht. Es ist richtig, mit dem ent-
sprechenden Bau so früh wie möglich zu beginnen. Es
müssen aber die notwendigen Vorbereitungen getroffen
werden.
Ich werde in meinem eigenen Hause nachfragen, ob
dort von dem Sachverhalt, den Sie angesprochen haben,
etwas bekannt ist, und Ihnen eine entsprechende schriftli-
che Antwort zukommen lassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir kommen jetzt
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Fi-
nanzen. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Barbara Hendricks zur Verfügung.
Die Fragen 25 und 26 des Kollegen Erwin
Marschewski werden schriftlich beantwortet, sodass ich
jetzt die Frage 27 des Kollegen Dirk Niebel aufrufe:
Haben vor der Festlegung des Feinkonzeptes zur Strukturent-
wicklung der Bundesfinanzverwaltung und der Neustrukturierung
des Zollfahndungsdienstes Standortprüfungen stattgefunden, und
wenn nein, warum nicht?
D
Herr Kollege Niebel, ja.
Zur Entscheidungsfindung hinsichtlich der Auswahl und
Anzahl der Standorte der Zollfahndungsämter und deren
Außenstellen wurden folgende Standortkriterien zugrunde
gelegt: Bei der Standortprüfung war vor allem maßgeb-
lich, wo sich die Kriminalitätsschwerpunkte für den ori-
ginären Zuständigkeitsbereich des Zollfahndungsdienstes
befinden, die sich insbesondere durch die Wirtschafts-
schwerpunkte, durch Verkehrs- bzw. Schmuggelrouten
zu Drittlandsgrenzen und durch eine geographische
Kriminalitätsanalyse aufgrund der Daten aus dem Infor-
mationssystem Zoll INZOLL heißt es abgekürzt be-
stimmen lassen. Ferner wurden bei der Ermittlung von
Aufgabenschwerpunkten die maßgebenden Faktoren, un-
ter anderem die Außengrenzen der EU einschließlich der
internationalen See- und Flughäfen und Sonderprobleme,
wie regionale Besonderheiten beim Zufuhrdruck von
Betäubungsmitteln oder Zigarettenschmuggel insbeson-
dere aus Osteuropa , berücksichtigt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Niebel
hat das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Nein, ich habe keine. Sie hat mit
Ja geantwortet.
D
Herr Kollege Niebel, glau-
ben Sie wirklich, wir würden vorher nicht überlegen, was
wir machen? Ihre Frage lautete ja, ob wir vorher eine Ana-
lyse durchgeführt hätten, und wenn nein, warum nicht. Ich
sagte Ihnen, dass wir eine Analyse durchgeführt haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das war jetzt die Um-
kehrung der Fragestunde. Jetzt werden die Abgeordneten
gefragt.
Ich rufe die Frage 28 des Abgeordneten Dirk Niebel
auf:
Wenn ja, welches Ergebnis gab es für Heidelberg, und in wel-
cher Form wurde dieses Ergebnis in der Festlegung des Feinkon-
zeptes berücksichtigt?
D
Nach dem Ergebnis der
soeben erläuterten Entscheidungsfindung zur Auswahl
der künftigen Standorte des Zollfahndungsdienstes und
insbesondere nach der geographischen Kriminalitätsana-
lyse im Bundesland Baden-Württemberg, mit der ori-
ginäre Zuständigkeitsbereiche des Zollfahndungsdienstes
beleuchtet wurden, ist im direkten Vergleich der Standort
Heidelberg aufzugeben.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Parl. Staatssekretär Stephan Hilsberg
18649
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt gibt es aber eine
Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, nachdem
Sie in Ihrer Antwort auf meine Frage 27 die Kriterien dar-
gelegt haben, möchte ich von Ihnen wissen, warum unter
diesen Kriterien im Hinblick auf den Umstand, dass es
sich beim Rhein-Neckar-Dreieck um das siebtgrößte Bal-
lungsgebiet mit dem zweitgrößten Binnenhafen der Bun-
desrepublik Deutschland sowie um den Schwerpunkt der
Drogenkriminalität in Baden-Württemberg handelt, aus-
gerechnet die Zollfahndung in Heidelberg aufgelöst wird
und stattdessen von Karlsruhe oder Freiburg aus durchge-
führt werden soll.
D
Der Zollfahndungsstandort
Heidelberg kann nicht aufrecht erhalten werden, da er
auch nach der jüngsten Analyse der Zahlen für das Jahr
2000 und das erste Halbjahr 2001 keinen Schwerpunkt
der Kriminalität, der Zollkriminalität in Baden-Württem-
berg darstellt. Sie müssen immer bedenken, dass es hier
um Aufgaben des Zolls und nicht um Aufgaben der Poli-
zei geht.
Mit den vorliegenden Vorschlägen zur Neuorganisa-
tion des Zollfahndungsdienstes im Bundesland Baden-
Württemberg wird sowohl den veränderten Anforderun-
gen an die Kriminalitätsbekämpfung als auch dem
berechtigten Anliegen einer angemessenen Präsenz von
Kräften des Zollfahndungsdienstes Rechnung getragen.
Weitere Standorte oder eine Erhöhung des Fahndungs-
solls für Baden-Württemberg sind nicht zu vertreten, da
sie nicht mit den Zielen der Neuorganisation vereinbar
sind und zulasten der Gesamtkonzeption gingen. Es ist
nämlich weder Aufgabe noch Ziel des Zollfahndungs-
dienstes, mit kleinen Arbeitseinheiten die Polizei bei der
Bekämpfung offener Rauschgiftszenen zu unterstützen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine zweite Nach-
frage von Herrn Niebel.
Frau Staatssekretärin, ich freue
mich natürlich über die gute Kriminalitätsbekämpfung in
Baden-Württemberg. Allerdings ist die Zollfahndungs-
stelle und hier insbesondere die Drogenfahndung in Hei-
delberg natürlich in den gesamten Rhein-Neckar-Raum
hinein sowie nach Hessen und Rheinland-Pfalz tätig, so-
dass hier die Drogenkriminalität grenzüberschreitend
bekämpft wird. Wie wollen Sie das im Bereich der inne-
ren Sicherheit in diesem Falle nachweislich entstehende
Loch füllen?
D
Nein, Herr Kollege, es ent-
steht nachweislich kein Loch im Bereich der inneren Si-
cherheit. Zwar ist die Zollfahndung bisher Landesgrenzen
überschreitend vom Standort Heidelberg aus tätig, wird
aber natürlich auch von einem anderen Standort aus Lan-
desgrenzen überschreitend tätig sein. Sie haben gerade
selbst darauf hingewiesen, dass die Fahnder nicht nur am
Standort Heidelberg tätig sind, sondern von dort aus-
schwärmen. Dann können sie selbstverständlich auch von
einem anderen Standort ausschwärmen.
Das kommt immer darauf an, in welche Richtung man
fährt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe nun die
Frage 29 des Kollegen Dr. Reinhard Göhner auf:
Welche Gründe sind für die Bundesregierung maßgeblich, in
dem am 10. September 2001 vorgelegten Feinkonzept zur Neu-
strukturierung der Bundesfinanzverwaltung entgegen dem im Ok-
tober 2000 veröffentlichten Grobkonzept und dem Ergänzungs-
band vom Dezember 2000 nunmehr die Schließung des Zollamtes
Herford vorzusehen?
D
Die Abstimmungsge-
spräche im Rahmen der Feinplanung der Zollamtsstruktur
haben gezeigt, dass die ursprüngliche Planung einer Ver-
lagerung der zollamtlichen Tätigkeiten von Lemgo nach
Herford nicht den wirtschaftlichen Gegebenheiten der Re-
gion entspricht. Der im Feinkonzept nunmehr entgegen
der ursprünglichen Planung vorgesehene Erhalt des
Zollamtes Lemgo kommt den Wirtschaftsbeteiligten des
Raums östlich von Bielefeld entgegen und ist allgemein
auf Zustimmung gestoßen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine erste Nachfrage
des Kollegen Göhner.
Frau Staatssekre-
tärin, nachdem alle vorherigen Konzepte im BMF zur
Neuordnung der Zollverwaltung von einer Stärkung und
Erweiterung des Zollamtes Herford ausgingen, frage ich
Sie, welcher neue Sachverhalt oder welches neue Krite-
rium dazu geführt hat, dass nun eine gegenteilige Ent-
scheidung vorgesehen ist. Dabei muss man berücksichti-
gen, dass die Entscheidung für das Zollamt Lemgo, die
ich nachdrücklich unterstütze, auf Sachverhalten und Ar-
gumenten beruht, die absolut identisch auch für die Er-
haltung des Standortes Herford gelten. Angesichts dessen
frage ich mich, welche neuen Aspekte dem jetzigen Vor-
schlag zugrunde gelegt werden.
D
Es ist abgewogen worden,
welcher der Standorte, Herford oder Lemgo, für die Wirt-
schaftsbeteiligten auch unter dem Gesichtspunkt geogra-
phischer Bedingungen wichtiger und günstiger wäre.
Wenn das Zollamt Herford nicht mehr erhalten bleibt,
dann sind die übrigen Zollämter sowohl nördlich als auch
südlich des Kreises Herford, also Porta Westfalica oder
Lübbecke bzw. Bielefeld, auch von den Wirtschaftsbetei-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 200118650
ligten des Kreises Herford leichter zu erreichen, als gäbe
es in Lemgo kein Zollamt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Göhner,
bitte zu einer zweiten Nachfrage.
Frau Staatssekre-
tärin, ist der Bundesregierung nicht bekannt, dass die
demnächst zur nächsten Zollverwaltung für den Wirt-
schaftsraum Herford also Bielefeld, Lübbecke oder Min-
den zurückzulegende Entfernung genauso groß ist, wie
das im Kreis Lippe zu den benachbarten Zollverwaltun-
gen der Fall gewesen wäre, falls man Lemgo geschlossen
hätte? Demzufolge hätte umgekehrt das gleiche Argu-
ment, das sei für Lippe zu weiträumig, eine zu große Ent-
fernung, haargenau für die Wirtschaftsregion Herford gel-
ten und zur Erhaltung auch der Zollverwaltung Herford
führen müssen. Wieso werden Lemgo und Herford hier
gegeneinander ausgespielt?
D
Lemgo und Herford wer-
den nicht gegeneinander ausgespielt. Vielmehr war im
Ursprungskonzept vorgesehen, das Zollamt Herford zu
erhalten und das Zollamt Lemgo zu schließen. Es war also
in jedem Fall Gegenstand der Planung des Bundesfinanz-
ministeriums, in diesem Raum ein kleineres, nicht leis-
tungsfähiges Zollamt zu schließen und dasjenige, das
übrig bleibt, zu stärken. Dies ist jetzt zugunsten von
Lemgo und nicht zugunsten von Herford entschieden
worden.
Ich weiß, dass es Ihnen als Ostwestfalen natürlich
schwer fällt, für den Erhalt des Zollamtes Herford einzu-
treten und zu sagen: Lemgo interessiert mich nicht, aber
Sie müssen das im Zusammenhang sehen. Sie sagen
natürlich auch, Sie begrüßen den Erhalt des Standortes
Lemgo, aber Sie sollten bitte bedenken, dass wir auf die
Leistungsfähigkeit der Verwaltung insgesamt Rücksicht
nehmen müssen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Abwechslung
habe ich jetzt eine Frage. Hat sich damit die Frage 30, bei
der es um das Zollamt Herford geht, schon erledigt? Das
ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Frage 30 des Abgeordneten
Dr. Reinhard Göhner.
Hält die Bundesregierung es für vertretbar, im gesamten Kreis
Herford kein Zollamt zu unterhalten, und wenn ja, hat die Bun-
desregierung bei ihrer Entscheidung den zu befürchtenden Scha-
den für den Wirtschaftsstandort Kreis Herford im Vergleich zu an-
deren Zollämtern berücksichtigt?
D
Die Zollverwaltung richtet
ihre Strukturplanung nicht vorrangig an kommunalen
Strukturen aus. Für die Firmen im nördlichen bzw. nord-
östlichen Teil des bisherigen Zollamtsbezirks ist nach
Auflösung des Zollamtes Herford die Zuordnung zu den
Zollämtern Lübbecke bzw. Porta Westfalica vorgesehen,
sodass diese Firmen nicht mit einer Verschlechterung der
Abfertigungsbedingungen rechnen müssen. Der dauer-
hafte Erhalt des Zollamtes Herford ist daher aus Sicht der
Bundesfinanzverwaltung nicht erforderlich.
Begleitend werden zum Zweck der Serviceverbesserung
verlängerte Öffnungszeiten der Zollämter sowie der Ein-
satz mobiler Abfertigungsdienste geprüft. Auch die konse-
quente Ausschöpfung aller rechtlich zulässigen Abferti-
gungsvereinfachungen sowie die Inanspruchnahme des
IT-Verfahrens ATLAS stellen Möglichkeiten dar, die Be-
suche beim Zollamt erheblich einzuschränken und damit
die Folgen der Umstrukturierung für die betroffenen Fir-
men zu verringern. Nachteile für den Wirtschaftsstandort
Herford sind daher nicht zu befürchten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Göhner,
zu einer Nachfrage, bitte.
Frau Staatsekre-
tärin, wie können Sie ernsthaft die Auffassung vertreten,
dass Nachteile für die Wirtschaftsregion Herford nicht zu
befürchten seien, wenn sich die Länge der Wege zur
nächsten Zollabfertigung in einer Wirtschaftsregion mit
einem hohen Anteil import- und exportabhängiger Indus-
trie vervielfacht, mindestens verdoppelt?
D
Herr Kollege Göhner, ein
Zollamt in Herford ist in der Stadt Herford angesiedelt.
Der Zollamtsbezirk ist naturgemäß größer. Also haben
sich auch bisher Wirtschaftsbeteiligte auf den Weg zum
Zollamt Herford machen müssen, weil nicht alle Wirt-
schaftsbeteiligten in der Stadt Herford angesiedelt sind.
Diejenigen im nördlichen und nordöstlichen Teil des
Kreises Herford begeben sich nunmehr nicht mehr nach
Herford, sondern entweder nach Lübbecke oder nach Porta
Westfalica; dorthin wird noch eine Verlegung stattfinden.
Das heißt, sie machen sich in anderer Richtung auf den
Weg. Die Firmen im südlichen Teil begeben sich zukünf-
tig nach Bielefeld und nicht mehr nach Herford. Das heißt,
auch sie machen sich in anderer Richtung auf den Weg.
Es können also ausschließlich die Wirtschaftsbeteiligten
in Herford selbst und in dessen unmittelbarer Umgebung
durch längere Wegezeiten spürbar betroffen sein. Alle an-
deren haben auch vorher schon Wege in Kauf nehmen
müssen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzte Nachfrage.
Frau Staatssekre-
tärin, im Umkreis von Herford befinden sich wichtige Be-
triebe der Bekleidungsindustrie, des Maschinenbaus und
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
18651
der Küchenmöbelindustrie, zum Beispiel in Enger unter
anderem der größte Hersteller von Küchenmöbeln in der
gesamten Bundesrepublik. Alle diese Firmen handeln in
hohem Maße mit Drittländern. Für diese Unternehmen er-
geben sich gemäß dem vorgelegten Feinkonzept größere
Entfernungen von 20 Kilometern zur nächsten Zollabfer-
tigung. Wollen Sie ernsthaft sagen, dass das kein Nachteil
für die betroffene Wirtschaft ist, wenn mit diesen Wegen
zusätzliche zeitliche und natürlich auch Umweltbelastun-
gen in diesem Umfang verbunden sind?
D
Herr Kollege Göhner, Ihre
Schätzung, die Entfernung betrage 20 Kilometer, ist in der
Tat zutreffend. Dies ist aber, betrachtet man die Fläche der
Bundesrepublik Deutschland, kein langer Weg zum
nächsten Zollamt; das war es auch schon bisher nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage 31 der Kol-
legin Kopp und die Fragen 32 und 33 des Kollegen Weiß
werden schriftlich beantwortet.
Die Fragestunde ist damit beendet.
Wie bereits verabredet und angekündigt, beginnen wir
um 15.15 Uhr mit der Aktuellen Stunde, die von der
CDU/CSU-Fraktion zur Arbeitsmarktpolitik beantragt
wurde.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Die unter-
brochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Haltung der Bundesregierung zur weiterhin
Besorgnis erregenden Entwicklung auf dem Ar-
beitsmarkt
Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Redner
dem Kollegen Peter Rauen für die Fraktion der CDU/CSU
das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die Zahlen aus Nürn-
berg werden von Monat zu Monat mehr zu einem Offen-
barungseid für diese Regierung. Wir marschieren stramm
auf 4 Millionen Arbeitslose zu.
Dazu kommen 1,8 Millionen Menschen, die durch Fort-
und Ausbildungsmaßnahmen sowie AB-Maßnahmen ver-
deckt arbeitslos sind. Wir wenden für sie ausweislich der
Auskunft des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit
jährlich einen Betrag von 52 Milliarden DM auf.
Im September dieses Jahres waren 58 200 Menschen
mehr arbeitslos als im September des letzten Jahres eine
massive Steigerung, die im August begonnen hat , und
das, obwohl jährlich 209 000 Menschen mehr in den Ru-
hestand gehen als ins Erwerbsleben eintreten.
Das ist eine katastrophale Entwicklung auf dem Arbeits-
markt.
Ich habe heute gelesen, dass unser Arbeitsminister von
einer vorübergehend schwierigen Lage spricht und auf die
Schwäche der Weltkonjunktur hinweist. Herr Arbeitsmi-
nister, wir stehen am Anfang einer dramatischen Ent-
wicklung. Das ist keine vorübergehende schwierige Lage.
Denn hinzu kommt: Die Zahl der Überstunden sinkt, die
Kurzarbeit nimmt zu, die Zahl der Insolvenzen steigt dra-
matisch und die Zahl der gemeldeten offenen Stellen geht
zurück. Das sind alles verheerende Indizien.
Ich habe das Pech, aus eigener Erfahrung sagen zu kön-
nen, Herr Riester: Der Mittelstand hat noch gar nicht be-
gonnen zu entlassen. Das Letzte, wozu ein Mittelständler
bereit ist, ist die Entlassung von Mitarbeitern. Er versucht
zuerst monatelang, auch zu nicht kostendeckenden Prei-
sen, für Arbeit für seine Mitarbeiter zu sorgen. Wenn das
nicht mehr gelingt, dann werden die Überstunden und die
flexibel angesammelten Stunden abgebaut. Wenn dann
immer noch keine Arbeit da ist, bleibt nichts anderes
übrig, als zu entlassen. Das ist die Realität. Das wird glo-
bal bewiesen: Es kommt zu einem Rückgang der Über-
stunden und zu einer Zunahme der Kurzarbeit und das
auch in Deutschland.
Der Versuch, diese dramatische Situation auf die Ent-
wicklung der Weltkonjunktur zurückzuführen, ist un-
tauglich, ist schlicht und einfach falsch. Herr Riester, das
Statistische Bundesamt hat festgestellt, dass es im letz-
ten Quartal eine deutliche Zunahme der Zahl der Auf-
träge im Export und eine Abnahme der Zahl der Importe
gab und dass wir in Deutschland und das nur aus
außenwirtschaftlichen Gründen ein Wachstum von ge-
rade einmal 1 Prozent haben. Wenn ich jetzt die Zahl, die
Herr Welteke genannt hat, heranziehe er geht davon
aus, dass wir nur noch ein Wachstum von 0,8 Prozent
haben
und wenn ich das Wachstum, das durch den Export be-
wirkt wird, abziehe, dann sieht man: In der Binnenkon-
junktur in Deutschland gibt es eine Rezession.
Das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle hat fest-
gestellt: In den neuen Bundesländern gibt es, absolut ge-
sehen, einen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes. Das
bedeutet: Es gibt in den neuen Bundesländern eine Re-
zession, die eine ganz dramatische Auswirkung auf die
Zahl der Arbeitsplätze hat. Zu glauben, sich hinter der
Weltkonjunktur verstecken zu können, ist definitiv falsch.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Dr. Reinhard Göhner
18652
Die schwache Konjunktur in Deutschland insgesamt wird
durch eine nach wie vor gute Exportkonjunktur über-
deckt.
Noch im Februar dieses Jahres wurde damit gerechnet,
dass wir im Jahresdurchschnitt 3,66 Millionen Arbeitslose
haben werden. Jetzt wurde von Bernhard Jagoda festge-
stellt, dass wir bei rund 3,85 Millionen Arbeitslosen lan-
den werden. Das hat natürlich verheerende Konsequenzen
für den Bundeshaushalt. Denn 200 000 Arbeitslose mehr,
also 200 000 Beschäftigte weniger, bedeuten anders, als
es geplant war rund 14 Milliarden DM weniger Einnah-
men im Bereich der sozialen Sicherungssysteme und
beim Fiskus.
Bei der Steuerschätzung im Mai nächsten Jahres werden
wir eine entsprechende Überraschung erleben.
Ja, ja. Getroffene Hunde bellen. Man kennt das: Wenn
man keine Argumente hat, dann wird entsprechend da-
zwischengerufen.
Ich habe bereits im April/Mai dieses Jahres darauf hin-
gewiesen, dass wir in 1997 und 1998 bei den Erwerbs-
tätigenstunden einen Aufwuchs hatten und seit 1999 eine
Stagnation zu verzeichnen haben. Darauf hat auch der
Sachverständigenrat immer hingewiesen. Dieses Jahr ist
in Deutschland ein dramatischer Rückgang der Erwerbs-
tätigenstunden festzustellen. Nur aufgrund dieser Stunden
werden Beiträge und Steuern gezahlt.
Darin liegt der Grund dafür, dass bei der Krankenversi-
cherung Beitragsanhebungen vorgenommen werden müs-
sen und es nicht zu einer Kürzung der Rentenversiche-
rungsbeiträge kommt, obwohl die Regierung die
Ökosteuer nochmals erhöhen will.
Sie werden an Ihren beiden großen Zielen scheitern.
Die Umsetzung der von Ihnen gemachten Vorgabe, die
Arbeitslosigkeit zu reduzieren, gelingt Ihnen nicht. Ihr
Ziel, die Lohnzusatzkosten zu senken, werden Sie eben-
falls nicht erreichen. Obwohl bei den Menschen im Rah-
men der Ökosteuer 110 Milliarden DM abkassiert wur-
den, werden wir am Ende dieses Jahres ebenso hohe
Sozialversicherungsbeiträge haben wie 1998.
Ich komme zum Schluss. Wer so wie diese Regierung
eine Politik gegen Mittelstand und Arbeitnehmer macht
das habe ich bereits im Rahmen der Steuerdiskussion
gesagt , der wird auf dem Arbeitsmarkt scheitern.
Genau vor diesem Scheitern stehen Sie.
Herr Kol-
lege Rauen, bitte kommen Sie zum Ende Ihrer Rede.
Es wird höchste Zeit, dass
Sie umkehren. Die Politik der ruhigen Hand unseres
Kanzlers hilft nicht mehr weiter. Greifen Sie auf, was die
Union bereits im Juni dieses Jahres in ihrem Zehnpunkte-
programm gefordert hat!
Steuern Sie endlich um, damit wir in Deutschland nicht
noch wesentlich mehr Arbeitslose bekommen!
Danke schön.
Für die
SPD-Fraktion spricht die Kollegin Renate Rennebach.
Herr Präsident! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe eben die Be-
griffe Katastrophe, Desaster und furchtbar von Ih-
nen gehört, Herr Rauen,
Ich muss den Eindruck gewinnen: Als SPD und Grüne
1998 die Regierung in diesem Lande übernommen haben,
ist die Höhe der Arbeitslosigkeit vom Himmel gefallen.
Wir alle haben aber gesehen, dass sie in vielen Jahren von
der CDU/CSU und der FDP produziert worden ist. Seit-
dem wir regieren, ist die Arbeitslosigkeit zum ersten Mal
spürbar heruntergegangen, und zwar kontinuierlich.
Seit 1998 sind eine halbe Million Menschen weniger ar-
beitslos.
Statt uns und die von uns geschaffenen Rahmenbedin-
gungen zu loben
und zu sagen: Wir unterstützen für unser Land diese Re-
gierung, machen Sie von hinten herum alles kaputt und
reden Sie alles schlecht. Das haben Sie im Übrigen schon
während Ihrer Regierungszeit mit Leidenschaft getan: den
Standort Deutschland so schlecht zu reden, dass niemand
mehr in diesem Land investieren wollte.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Peter Rauen
18653
Noch einmal: Statt uns zu loben, empfiehlt die Opposi-
tion, Sie, meine Damen und Herren, heute noch fast die
gleichen Instrumente und hat die gleichen Argumente, die
bis 1998 zu einer Arbeitslosigkeit von mehr als 4 Milli-
onen, genau 4,2 Millionen, Arbeitslosen geführt haben,
und zwar ohne Dunkelziffer.
Ich würde Ihnen gern anhand der Entwicklungen der
Jahre 1996 bis 1998 vorführen, wie falsch Ihre Argumente
und Ihre Instrumente waren und noch sind.
Zu 2001 kann ich Ihnen auch etwas sagen. Aber Sie
sind, ehrlich gesagt, wirklich nicht kompetent, mir solche
Sachen zu sagen, Sie nicht, Herr Hirche!
1994: Verschärfung der Sperrzeiten, zwölf Wochen
nun auch für Arbeitslose. ABM-Beschäftigte können vom
Arbeitsamt auch in ein befristetes Arbeitsverhältnis, bis-
her Dauerarbeitsplatz, abberufen werden. Wer ablehnt
und später arbeitslos wird: Sperrzeit eine Strafe.
1994 ist die Arbeitslosigkeit von 3,7 Millionen auf
4 Millionen gestiegen.
1996: Weniger Geld bei ABM, Verschlechterung des
arbeitsrechtlichen Schutzes, Streichung des Schlechtwet-
tergeldes.
1997: Verschlechterung im Kündigungsschutz, Ein-
schränkung der sozialen Kriterien bei betriebsbedingten
Kündigungen, mehr Ausnahmen von der Sozialauswahl,
Aushebelung des Rechts von Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern auf Abfindungen, befristete Arbeitsver-
träge, Verlängerung auf zwei Jahre, Einschnitte bei der
Fortzahlung von Lohn und Gehalt im Krankheitsfall,
Streichungen bei der Reha.
1998: Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes,
berufsfördernde Maßnahmen der Reha für Behinderte
werden von Muss- in Kann-Leistungen umgewandelt.
Verkürzte Bezugsdauer von Arbeitslosengeld für ältere
Arbeitslose, Anrechnung von Abfindungen auf das Ar-
beitsentgelt,
Verschlechterung bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen,
Verschärfung der Zumutbarkeit, Benachteiligung von
Frauen, Verschlechterung von beruflichen Qualifizie-
rungsmaßnahmen. All das von 1996 bis 1998!
Die Arbeitslosigkeit ist in dieser Zeit von 3,6 Millionen
auf 4,2 Millionen gestiegen. Erstmalig ab dem Zeitpunkt,
ab dem wir regieren, ist die Arbeitslosigkeit gesunken.
Aber die hier genannten Instrumente empfehlen Sie uns,
und Sie wagen, mit uns darüber zu reden, dass hier eine
Katastrophe ausgebrochen ist, Herr Rauen. Auf Sie
höre ich nicht!
Ich höre wirklich nicht auf Sie.
Sie haben überhaupt nicht das Recht, so etwas zu sagen.
Nach den von mir genannten Zahlen müssen Sie froh sein,
dass wir eine andere Politik begonnen und andere Rah-
menbedingungen gesetzt haben.
Der große Jobschaffer IT entlässt zurzeit weltweit, al-
lerdings weniger in Deutschland. Das ist positiv. Aber
eine Zeitung hat geschrieben: Das Wachstum entschleu-
nigt sich.
Deswegen um diesen Journalisten zu zitieren ent-
schleunigt sich auch das Sinken der Arbeitslosenzahlen.
Herr Jagoda das trifft auch auf Sie zu, Herr Rauen,
Sie sind ja Unternehmer hat heute an die Unternehmen
appelliert, mehr Entschlossenheit bei Investitionen und
Einstellungen zu zeigen. Daran sollten Sie sich ein Bei-
spiel nehmen.
Ich erteile
nunmehr dem Kollegen Rainer Brüderle für die FDP-
Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! In diesen Tagen wird es immer deut-
licher: Die großen Verlierer der Wirtschafts- und Arbeits-
marktpolitik von Grün-Rot sind die rund vier Millionen
Menschen ohne Arbeit.
Wir erleben im September erneut einen Zuwachs bei
der Arbeitslosigkeit. Gegenüber dem Vorjahr gibt es
60 000 Arbeitslose mehr, und zwar bei sinkender Erwerbs-
tätigenzahl. Wir müssen leider befürchten, dass die Zahl
von vier Millionen Arbeitslosen wieder überschritten
wird.
Es ist nichts mit dem Abbau der Arbeitslosigkeit, an dem
wir die Regierung messen sollen. Es ist klar: Grün-Rot hat
beim Abbau der Arbeitslosigkeit versagt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Renate Rennebach
18654
Die Ausrede, dies hänge mit den schrecklichen Morden
in Manhattan zusammen,
kann nicht gelten: Die schlechten Arbeitslosenzahlen hat-
ten Sie schon vor dem 11. September dieses Jahres. Sie
sind Ausdruck einer verfehlten Wirtschaftspolitik. Es ist
nicht in Ordnung, wenn Herr Müller die Wirtschaft dafür
verantwortlich macht und sie beschimpft. Herr Riester
macht dabei teilweise noch mit. Die Wirtschaft hat sich
beim Bündnis für Arbeit gutgläubig einseifen lassen und
manche Regelung mitgemacht. Als Belohnung dafür wird
sie jetzt von Grün-Rot zum Sündenbock ihrer verfehlten
Wirtschaftspolitik gemacht.
Sie können es bei der OECD, der Bundesbank und
allen Wirtschaftsforschungsinstituten nachlesen: Der
Grund, weshalb es nicht zum Abbau der Arbeitslosig-
keit kommt und die Arbeitslosigkeit in Deutschland seit
Monaten wieder steigt, sind unterlassene Reformen am
Arbeitsmarkt. Es fehlt an Flexibilität und Veränderun-
gen.
Sie schreien zu Recht. Es ist eine Schande, dass Sie
nichts gemacht haben. Die Arbeitslosen sind dabei die
Dummen.
Ich zitiere den EU-Kommissar Solbes das können Sie
in allen Zeitungen nachlesen : Deutschland ist für die
ganze Europäische Union inzwischen zum Problem ge-
worden, weil das größte Land ein Schlafwagen und nicht
mehr die Lokomotive ist. Selbst unsere Nachbarn leiden
unter Ihrer verfehlten Politik.
Sie packen die Reformen nicht an. Die Statistiken aus
Nürnberg zeigen es jeden Monat: Sie machen nichts. Als
Marketingtrick beschließen Sie das Job-Aqtiv-Gesetz.
Mit diesem seltsamen Sammelsurium aus Selbstverständ-
lichkeiten, unvermeidlichen Notwendigkeiten und weite-
ren Grausamkeiten doktern Sie an den Symptomen herum
und verschlechtern die Situation. Der Ausbau öffentlich
geförderter Beschäftigung zum Beispiel ist nicht die Lö-
sung. Sie müssen den ersten Arbeitsmarkt fördern. Dafür
müssen Sie die Rahmenbedingungen verändern.
Ich sage es Ihnen noch einmal ganz langsam zum Mit-
schreiben: Ohne Reformen am Arbeitsmarkt werden Sie
die Arbeitslosigkeit nicht abbauen können. Es rächt sich
jetzt, dass Sie nicht den Mut dazu hatten.
Die Betroffenen sind diejenigen, die an Sie geglaubt ha-
ben und jetzt ihre Arbeitsplätze verlieren. Als Ergebnis Ih-
rer Politik steigt die Arbeitslosigkeit Monat für Monat.
Der Hinweis auf die Terroranschläge in New York hilft Ih-
nen nicht.
Sie müssen handeln. Das Tarifvertragswesen muss re-
formiert werden. Ihre Verschärfung der Mitbestim-
mungsrechte belastet den Mittelstand mit zusätzlich 2 bis
3 Milliarden DM.
Das schafft keine Arbeitsplätze, sondern es kostet Arbeits-
plätze. Das ist ein Funktionärsförderprogramm für Ge-
werkschaften, aber kein Arbeitsplatzförderprogramm für
Arbeitslose in Deutschland.
Schaffen Sie die Zwangsteilzeit wieder ab! Das sind die
richtigen Schritte.
Wenn Sie überhaupt etwas für den Abbau der Arbeits-
losigkeit tun wollen, dann bleibt Ihnen nichts anderes
übrig, als das zu machen, was ich seit Monaten fordere:
ein Blitzprogramm. Sie müssen die Steuerreform vorzie-
hen und die weitere Erhöhung der Ökosteuer aussetzen.
Sie müssen die Arbeitslosenversicherungsbeiträge sen-
ken.
Was machen unsere Konkurrenten? Die Amerikaner
pumpen 170 Milliarden Dollar in die Wirtschaft, indem
sie ein Programm auflegen.
Ich fordere von Ihnen weitere steuerliche Entlastungen.
Die Tatsache, dass Sie schreien, bestätigt nur, dass Sie
ein schlechtes Gewissen haben.
Sie haben allen Grund, ein schlechtes Gewissen zu haben,
weil Sie die Arbeitslosen um ihre Chancen betrügen.
Das weltwirtschaftlich stärkste Land, die USA, pumpt
kurzfristig 170 Milliarden Dollar in die Wirtschaft,
und zwar 40 Milliarden Dollar für eine sofortige steuer-
liche Entlastung durch Steuergutscheine, 75 Milli-
arden Dollar für Sonderprogramme, 40 Milliarden Dollar
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Rainer Brüderle
18655
zum Ausgleich für die Schäden von Manhattan und
15 Milliarden Dollar alles Dollar, keine Mark oder
Lire zusätzlich für die Luftfahrtindustrie,
während Sie in Deutschland nichts zustande bringen und
damit dafür sorgen, dass die Arbeitslosigkeit steigt. Sie
sollten sich wirklich schämen. Nutzen Sie die Zeit! Jeden
weiteren Tag, an dem Sie nicht handeln, baden die Kleins-
ten die Arbeitslosen, diejenigen, die Angst um ihren Ar-
beitsplatz haben und ein Stück Hoffnung brauchen aus,
und zwar nur, weil Sie untätig sind. Aus der ruhigen Hand
ist bei Ihnen eine ruhige Kugel geworden.
Ihre Politik hat dazu geführt, dass unsere Nachbarn in
Europa Sorgen und Angst haben und sich fragen: Was ist
denn in Deutschland, das früher Nummer eins war, los,
dass es seine Hausaufgaben nicht mehr macht, keine Ent-
scheidungen trifft und seinen Arbeitsmarkt nicht flexibi-
lisiert? Das ist exakt die Situation.
Auch wenn Sie schreien, um die Probleme herumreden
oder Kosmetik betreiben, ändert das nichts an den Fakten.
Dass Sie diese Wahrheit trifft, ist verständlich; dass Sie
nicht handeln, ist unverständlich.
Für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht die Kollegin
Dr. Thea Dückert.
In Bezug auf die Zurufe von allen Seiten habe ich die
Bitte: Nehmen Sie etwas Rücksicht auf unsere Steno-
graphen.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Brüderle, ich glaube, Sie haben in den
letzten Jahren im Schlafwagen der gelb-schwarzen Koali-
tion gesessen. Sie haben einiges verschlafen.
Ich erinnere mich gut an steigende Steuern, steigende
Lohnnebenkosten und steigende Arbeitslosenzahlen.
Diese Probleme haben Sie uns hinterlassen.
Heute ist in der Süddeutschen Zeitung etwas Gutes
zu lesen. Ich finde, die Aussagen dort treffen auch auf
Ihren Beitrag, Herr Brüderle, zu. Es wird dort ausgeführt,
derjenige sei ein Narr, der glaube, die weltkonjunkturelle
Entwicklung könne spurlos an der Bundesrepublik
Deutschland vorbeiziehen. Wohl wahr, Herr Brüderle!
Natürlich hat die weltkonjunkturelle Entwicklung auch
in der Bundesrepublik Deutschland eine Bremsspur hin-
terlassen, die sich auch auf dem Arbeitsmarkt zeigt.
Sie hat eine über 39 Monate positive Entwicklung auf
dem Arbeitsmarkt abgebremst. Das ist richtig. Wir müs-
sen uns natürlich mit diesem Problem auseinander setzen.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass in den zurücklie-
genden Jahren die Beschäftigtenzahl auf der Basis dessen,
was Sie uns hinterlassen haben um gut 1,2 Millionen
gestiegen und die Arbeitslosenzahl um etwa 460 000
zurückgegangen ist.
Auf diesen Erfolgen können wir uns aber nicht ausruhen.
Deswegen haben wir entgegen Ihren aktuellen Unken-
rufen bereits vor einem Jahr damit begonnen, das Job-
Aqtiv-Gesetz auf den Weg zu bringen.
Herr Brüderle, mir scheint mit Verlaub , Sie wissen
wirklich nicht, worüber Sie reden, wenn Sie behaupten,
diese Maßnahme sei ein Marketingtrick. Mit diesem Ge-
setz übrigens ist es von Ihren Kollegen heute im Aus-
schuss begrüßt worden
setzen wir bei der Langzeitarbeitslosigkeit an, erreichen
wir die direkte Vermittlung in den Arbeitsmarkt und stel-
len wir die Integration in den ersten Arbeitsmarkt in den
Mittelpunkt. Weiterhin führen wir neue Instrumente, wie
beispielsweise die Jobrotation ein, die Sie in der Vergan-
genheit immer gefordert, aber nie umgesetzt haben.
Wir werden in der Arbeitsmarktpolitik neue Wege ge-
hen. Das ist notwendig. Darüber hinaus ich sehe das
durchaus so haben wir weiteren Handlungsbedarf. In der
Arbeitsmarktpolitik gibt es keinen Königsweg. Auf dem
Arbeitsmarkt gibt es Gruppen ich denke in erster Linie
an die Langzeitarbeitslosen , die es besonders schwer
haben, den Weg zurück in den ersten Arbeitsmarkt zu fin-
den. Ich denke, dass wir weiter darüber diskutieren müs-
sen, wie wir die Brücken in den ersten Arbeitsmarkt für
diese Gruppen festigen können und ihnen weiter Hilfe-
stellung leisten können.
Zu denjenigen, denen wir helfen wollen, gehören bei-
spielsweise jene, die kleinere Beschäftigungsverhältnisse
haben und deren Einkommen zwischen 630 DM und
1 700 DM liegen. Ich weiß, das wird die große Zahl von
3,7 Millionen Arbeitslosen unter dem Strich nicht dras-
tisch reduzieren. Aber wir haben gerade in der Arbeits-
marktpolitik die Aufgabe und die Pflicht, denjenigen, die
Schwierigkeiten haben, in den ersten Arbeitsmarkt zu-
rückzukehren, weiter Hilfestellung zu geben. Das betrifft
zum Beispiel auch Menschen, die Sozialhilfe beziehen,
die es besonders schwer haben, in den Arbeitsmarkt
zurückzukehren, und die bisher nur relativ wenig von
dem, was sie dazuverdienen, behalten dürfen. Ich sage Ih-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Rainer Brüderle
18656
nen: Die Modelle, die Sie vorgeschlagen haben, sind im-
mer mit einem Kahlschlag in der Sozialhilfe und bei den
Transferleistungen an die Arbeitslosen verbunden. Das
wollen wir nicht mitmachen.
Wir wollen darüber ist auch in der heutigen Aus-
schusssitzung diskutiert worden die Zusammenarbeit
der Arbeitsämter und der Sozialämter auf kommunaler
Ebene zum Beispiel durch das Projekt Mozart, das sich
in der Erprobungsphase befindet, verbessern und voran-
bringen. Ich sage Ihnen: Es wird uns überhaupt nichts hel-
fen, wenn wir hier unfundierte Schnellschüsse machen.
Wir brauchen die Modellprojekte, die im Moment in der
Bundesrepublik Deutschland laufen, um auf deren Basis
weitere Fortschritte erzielen zu können.
Ich sage Ihnen abschließend: Das Ziel dieser Projekte
ist es, den Sozialhilfeempfängern und den Arbeitslosen
den Zugang zum ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern. Un-
ser Ziel ist es nicht, die Zusammenlegung von Arbeitslo-
senhilfe und Sozialhilfe zu nutzen, um Sozialabbau zu be-
treiben. Das wollen Sie nämlich.
Schönen Dank.
Für die
Fraktion der PDS spricht der Kollege Dr. Klaus Grehn.
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Tage der Verkündung von Arbeits-
marktzahlen sind Tage der Wahrheit und keine Tage der
Märchen. Der heutige Tag, Frau Rennebach, gibt eigent-
lich keinen Anlass, ein Lob auszusprechen. Es ist leider
so. Sie selber loben sich zwar genug. Aber die Entwick-
lung auf dem Arbeitsmarkt gibt, wie gesagt, keinen Anlass
dazu.
Herr Brüderle, Ihnen muss ich sagen: Es war Ihre Kli-
entel bzw. die von Ihnen beanspruchte Klientel, die die
Einbeziehung von Arbeitszeitfragen in das Bündnis für
Arbeit verhindert hat, insbesondere die Umwidmung von
Überstunden in Arbeitsplätze. Natürlich sollten nicht alle
umgewidmet werden. Was gibt es stattdessen, Herr Kol-
lege Brüderle? Es gibt einen Konjunkturabschwung.
Wie sieht die Entwicklung der Überstunden aus? Ihre
Zahl steigt trotzdem. Die Arbeitslosigkeit und die Zahl der
Überstunden steigen bei abflauender Konjunktur. Das ist
das Paradoxon, das gelöst werden muss.
Wenn es schon ein Desaster bzw. eine Rückwärtsent-
wicklung in der Weltwirtschaft diese Forderung geht
natürlich an die Adresse der Regierungskoalition gibt,
dann muss man gegensteuern. Sie müssen sich fragen las-
sen, ob das, was im Job-Aqtiv-Gesetz enthalten ist, aus-
reicht. Nach meiner Meinung reicht es nicht aus.
Sie können sich ja melden, wenn Sie eine Zwi-
schenfrage stellen wollen. Ich kann Ihnen hinterher auch
eine Privataudienz geben.
Ich möchte zu den schon genannten Zahlen noch zwei
Bemerkungen hinzufügen: Erstens. Seit 1996 war noch
nie ein solcher Anstieg der Arbeitslosigkeit in einem Sep-
tember wie im letzten Monat zu verzeichnen gewesen.
Das zeigt noch einmal, wie ernst die Situation nach den
monatelangen Entwicklungen, die bereits zu verzeichnen
sind, zu nehmen ist.
Zweitens dies bitte ich Sie insbesondere zur Kennt-
nis zu nehmen : Die Kräftenachfrage ist gesunken. Die
Bundesanstalt für Arbeit vermeldet 287 000 freie Stellen
und ich höre aus Ihrem Munde aus dem Munde der Bun-
desregierung, zuletzt gestern von Frau Bulmahn auf der
Konferenz Bündnis für Arbeit , dass es 1,5 Millionen
freie Stellen gebe. Nun sorgen Sie doch bitte dafür, dass
diese 1,5 Millionen freien Stellen zu den Arbeitsämtern
kommen und zur Vermittlung bereitstehen. Ich habe noch
nirgends exakt nachprüfen können, wo die 1,5 Millionen
freien Stellen sind, die es da geben soll. Auch dies muss
man einmal nachprüfen.
Wie sieht es denn in der Vermittlung eigentlich aus?
Wenn Sie in den neuen Bundesländern in die Arbeitsäm-
ter gehen, stellen Sie fest: Dort gibt es nichts zu vermit-
teln. Die Arbeitsamtsdirektoren sagen mir: Was wir zu
vermitteln haben, sind Jobs in Leiharbeit, die für 5 DM
Stundenlohn weniger in die alten Bundesländer vermit-
telt werden. Wenn Sie durch die Korridore gehen, hören
Sie, dass dort folgende Bemerkungen kursieren: Also, das
Jahr 2001 wird für uns ein mittleres Jahr; es ist besser als
das Jahr 2002, aber schlechter als das Jahr 2000.
So schätzen es die Fachleute ein. Wer sich also an den Ar-
beitsmarktzahlen messen lassen will, der muss es mit der
Entwicklung am Arbeitsmarkt sehr ernst nehmen.
Lassen Sie mich bei all Ihren Aussagen über den An-
stieg der Beschäftigung deutlich machen, dass bei der Be-
schäftigung natürlich eine große Rolle spielt, dass die An-
zahl der Teilzeitbeschäftigten, der Prekärbeschäftigten,
zugenommen hat. Ich habe das einmal analysieren lassen.
Es gibt zurzeit 7,7 Millionen Teilzeitbeschäftigte 1996
hatten wir noch 4,1 Millionen Teilzeitbeschäftigte , bei
einem sinkenden Anteil an Stunden. Sie haben in den al-
ten Bundesländern 0,47 Beschäftigungseinheiten und in
den neuen Bundesländern 0,41. Das hat natürlich zwei
Dinge zur Folge: Erstens sinken die Arbeitslosenzahlen;
aber zweitens steigt die Zahl der Prekärbeschäftigten, der
Armen, denn von 0,41 Beschäftigungseinheiten kann nie-
mand in den neuen Bundesländern leben. Ich glaube übri-
gens, dass auch viele von ihnen in den alten Ländern mit
0,47 Beschäftigungseinheiten am Rande der Armut oder
in der Armut leben.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Dr. Thea Dückert
18657
Wenn man etwas zum Arbeitsmarkt sagen möchte, muss
man auch dies berücksichtigen, weil daraus das Programm
erwächst. Umgerechnet fehlen, wenn ich nur annehme,
dass von den 7,7 Millionen 5,5 Millionen eigentlich voll-
zeitbeschäftigt sein wollen, ungefähr 1,5 Millionen bis
2,5 Millionen Stellen, als Äquivalent. Richten Sie also Ihr
Programm an der Realität aus und nicht am Wunschden-
ken!
Ich erteile
dem Kollegen Wolfgang Weiermann das Wort; er spricht
für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon abenteuer-
lich, was man hier teilweise hört, insbesondere von Ihnen,
Herr Brüderle.
Ich erinnere mich noch recht gut daran auch die gesamte
von mir aus gesehen linke Seite dieses Hauses tut das ,
dass Sie in Ihren späten Regierungsjahren ein
50-Punkte-Programm oder 51-Punkte-Programm verfolgt
haben; Frau Rennebach hat das vorgetragen. Es hat alles
nichts genützt, Zum Beispiel betrug die Arbeitslosenquote
im Jahre 1997 12,7 Prozent und im September dieses Jah-
res hatten wir eine Quote von 9 Prozent. Wer also in der
Bundesrepublik Deutschland noch rechnen kann, wird
nicht umhin können einzuräumen, dass die Quote im Sep-
tember 2001 doch erheblich niedriger war als die im Jahre
1997.
Demjenigen, der hier nur darauf aus ist, mit billiger Po-
lemik Stimmung für sich zu machen, sage ich: Das zieht
nicht. Ich empfehle Ihnen, Herr Brüderle, einen Blick in
das Handelsblatt. Da können Sie sehen, dass die Statis-
tik einen deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit und
einen deutlichen Anstieg bei neu geschaffenen Arbeits-
plätzen ausweist. Ich will nicht näher darauf eingehen.
Sie, Herr Rauen, haben davon gesprochen, dass die
Bundesregierung eine kurzsichtige und unentschuldbare
Wirtschaftspolitik gemacht hat.
Aus Ihrem Munde hätte es eigentlich heißen müssen, dass
überhaupt keine Wirtschaftspolitik gemacht worden ist.
Der Generalsekretär der CDU hat davon gesprochen, al-
les sei desaströs.
Ich sage: Wenn bei einer solchen Wirtschaftspolitik als
Ergebnis herauskommt, dass wir eine weitaus geringere
Arbeitslosigkeit als in den Vorjahren haben, dann war es
eine gute Wirtschaftspolitik der neuen Regierung von
Grünen und Sozialdemokraten.
Die tieferen Ursachen liegen Sie wissen ganz genau,
warum es gegenwärtig eine Delle in der Konjunktur gibt
in einer allgemeinen Konjunkturschwäche, die die ge-
samte Weltwirtschaft betrifft.
Wenn Herr Meyer, Ihr Generalsekretär, sagt, diese Ein-
sicht sei zynisch, dann hält er die Realität, die wir gegen-
wärtig haben, wohl ebenfalls für zynisch. An dieser Stelle
sage ich ganz deutlich: Dazu erübrigt sich eigentlich jeder
Kommentar.
Die Mordanschläge der Terroristen in Washington und
New York mit dem Verlust von 6 000 oder 7 000 Men-
schenleben man weiß es noch nicht so genau in einer
Debatte wie der heutigen in eine angeblich verfehlte
Wirtschaftspolitik oder Arbeitsmarktpolitik in der Bun-
desrepublik Deutschland umzumünzen, ist geradezu
schamlos.
Das ist ein Zusammenhang, den Sie möglicherweise nicht
gewollt haben; das konzediere ich Ihnen gern.
Aber vor dem Reden sollte man ein bisschen darüber
nachdenken, mit welchen Dingen man an die Öffentlich-
keit tritt und mit welchen nicht.
In diesem Hohen Hause kann man eigentlich verlangen,
dass man prüft, ob das, was man sagt, auch seine Richtig-
keit hat.
Sie wiederholen gebetsmühlenartig, dass die Steuerre-
form vorgezogen werden soll das hieße dann, 45 Milli-
arden DM einfach auf Pump zu beschaffen , ganz zu
schweigen von den vielen Vorschlägen mit zigfachen
Milliardenbeträgen, die Sie in Sachen Haushalt gemacht
haben. Sie fordern; aber Sie sagen nicht, wie es finanziert
worden werden soll,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Dr. Klaus Grehn
18658
Sie sagen logischerweise nicht, woher es kommen soll.
Das ist doch keine Politik, das ist Unsinn!
Wohin kreditfinanzierte Konjunkturprogramme füh-
ren, zeigt doch zurzeit das Beispiel Japan. Über diesen
Weg läuft nichts in Sachen Konjunkturförderung.
Wenn Sie das nicht interessiert, dann interessiert Sie
vielleicht die Meinung der Experten der führenden deut-
schen Banken, die nämlich derartige Konjunkturpro-
gramme mehrheitlich ablehnen. Die Finanzminister und
Notenbankchefs der führenden sieben Industrienationen
haben sich am vergangenen Wochenende optimistisch in
Bezug auf eine baldige Erholung der Weltkonjunktur
geäußert.
Der Präsident der EZB schätzt, dass der derzeitige Ab-
schwung nur von kurzer Dauer sein wird. Mein Gott, was
soll man denn noch alles sagen, damit die Unternehmen
in der Bundesrepublik Deutschland Herr Rauen ich
nehme Ihnen ab, dass Sie ein guter Unternehmer sind ,
unternehmerisch tätig werden und nicht weinen, sondern
die Ärmel hochkrempeln und in der Situation etwas Gutes
machen, statt die Wirtschaft kaputtzureden.
Sie sind ja nicht der einzige Unternehmer. Es gibt Tau-
sende von Unternehmern in der Bundesrepublik Deutsch-
land, die nicht jammern, sondern das will ich an dieser
Stelle einmal deutlich machen anpacken.
Um es deutlich zu sagen: Ich bin das Gejammere der Op-
position leid.
Wir werden die Politik der ruhigen Hand natürlich wei-
ter betreiben. Sie wissen ganz genau, dass es keine Alter-
native dazu gibt; deswegen sind Sie als Oppositionspoli-
tiker heute so böse. Sie wissen, dass diese Politik in
Ordnung ist.
Herr Kol-
lege Weiermann, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme zum
Schluss.
Meine Damen und Herren von der Opposition, insbe-
sondere von der CDU/CSU, die Politik der ruhigen Hand
hat nichts mit Aussitzen zu tun, wie es der vorherige Bun-
deskanzler von Ihrer Partei seinerzeit betrieben hat. Ver-
wechseln Sie das bitte nicht!
Herzlichen Dank.
Für die
Fraktion der CDU/CSU spricht der Kollege Johannes
Singhammer.
Tatsächlich bleibt Rot-Grün meilenweit unter der eige-
nen Messlatte. Sie haben zu keiner Zeit Ihrer Regierung
das Arbeitsvolumen tatsächlich steigern können.
Der Beschäftigungsabbau galoppiert.
Das Stellenangebot sinkt. Die Kurzarbeit breitet sich aus.
Im Bereich der Großunternehmen rollt eine Entlassungs-
welle. Die Menschen in Deutschland sorgen sich Tag um
Tag mehr um ihre Arbeitsplätze und ein Abgrund an neuer
Arbeitslosigkeit tut sich auf,
obwohl in den letzten Jahren 600 000 Menschen mehr den
Arbeitsmarkt verlassen haben, als neu hinzugekommen
sind.
Rot-Grün und diese Bundesregierung stehen wirt-
schafts-, finanz- und beschäftigungspolitisch vor einem
Scherbenhaufen. All Ihre Probleme sind hausgemacht. Ihr
krampfhafter Optimismus auch der Kollege Weiermann
hat ihn geäußert kann natürlich überhaupt nicht darüber
hinwegtäuschen,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Wolfgang Weiermann
18659
dass die wirklich schwierigen Zeiten leider noch vor uns
liegen.
Keiner glaubt doch, dass sich der internationale Terro-
rismus als Konjunkturprogramm auswirkt. Das Gegenteil
wird der Fall sein. Gerade jetzt brauchten wir eine stabile
Konjunktur, um diesen enormen Herausforderungen be-
gegnen zu können.
Wenn Sie Ihre Politik nicht umstellen ich sage Ihnen
gleich, was Sie tun müssen ,
dann ist zu befürchten, dass wir, was die Zahl der Ar-
beitslosen angeht, die 4-Millionen-Schallmauer noch in
diesem Winter erreichen werden. Davor haben viele Men-
schen in unserem Land zu Recht Angst.
Sie müssen Folgendes machen aufgrund der kurzen
Zeit nenne ich Ihnen nur wenige Punkte :
Erstens. Wir brauchen eine Generalrevision der
Arbeitsmarktordnung. Es geht um eine neue Balance zwi-
schen sozialer Sicherung der Beschäftigten und notwendi-
ger Anpassungsflexibilität. Ihr 630-DM-Bürokratisierungs-
monster muss weg. Wir brauchen eine Neuregelung der so
genannten Scheinselbstständigkeit.
Wir brauchen eine sofortige Korrektur bei der Beschrän-
kung von befristeten Arbeitsverhältnissen und Änderun-
gen des Teilzeitanspruchs. Mit der Errichtung immer
neuer Einstellungshürden muss Schluss sein. All das, was
damit verbunden ist, müssen Sie tun.
Zweitens ich bleibe Ihnen die Antwort auf die Frage,
was Sie tun müssen, nicht schuldig; Sie können meine
Forderungen ablehnen; aber Sie werden die Folgen
spüren : Bundesweit und flächendeckend müssen paral-
lel zu einer stärkeren Lohnspreizung finanzielle Anreize
zur Arbeitsaufnahme im Niedriglohnbereich geschaffen
werden. Das ist eine Schlüsselaufgabe.
Besonders wichtig ist es auch, dauerarbeitslosen Sozial-
hilfeempfängern, die eine Beschäftigung aufnehmen, für
einen gewissen Zeitraum bis zu 50 Prozent des Net-
toeinkommens nicht auf die Höhe der Sozialhilfe anzurech-
nen. Das sollten Sie ganz konkret tun.
Ich sage Ihnen noch ein Weiteres: Der Kündigungs-
schutz ist immer mehr zu einem Abfindungshandel
verkommen; das wirkt sich negativ auf die Einstel-
lungsbereitschaft aus.
Deshalb plädieren wir dafür, Arbeitnehmern und Unter-
nehmern die Möglichkeit einzuräumen, bei Abschluss ei-
nes Arbeitsvertrages festzulegen, dass gegen Zahlung ei-
ner vorab vereinbarten Abfindung auf eine eventuelle
Kündigungsklage verzichtet wird.
Das waren drei Punkte. Ich kann Ihnen auch noch
weitere nennen: Die Summe der Lohnzusatzkosten muss
endlich unter 40 Prozent gedrückt werden. Alle Ihre
Bemühungen sind bis jetzt gescheitert. Die Rente
kommt nicht vom Fleck, das Gesundheitswesen ist in
Unordnung und die Zukunft der Arbeitslosenversiche-
rung bleibt völlig im Unklaren, wie wir heute schon
gehört haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie
schon uns nicht glauben, dann glauben Sie doch bitte der
vom Bundeskanzler eingesetzten Benchmarking-Arbeits-
gruppe.
Die hat Ihnen genau das aufgelistet, was zu tun ist. Aber
Sie wollten ja noch nicht einmal die von Ihnen selbst ein-
gesetzte Arbeitsgruppe anhören, geschweige denn deren
Ergebnisse übernehmen.
Denken Sie wenigstens einmal darüber nach!
Ich sage Ihnen noch ein Letztes:
Ein dauerhafter Wirtschaftsaufschwung wird besser ge-
lingen, wenn wir wieder für mehr Kinder bei uns in
Deutschland sorgen.
Wir haben in den letzten Jahren 3 Millionen Kinder weni-
ger gehabt, als wir brauchten, um das Bevölkerungs-
wachstum aufrechtzuerhalten.
Sie brauchen gar nicht zu lachen, die Sache ist ernster,
als Ihr Lachen es ausdrücken kann. Die 3 Millionen feh-
len natürlich auch als Nachfrager. Das fängt bei der Pam-
pers-Windel an und hört beim Jugendkonsum auf. Wenn
die Nachfrage in diesem Bereich immer mehr zurückgeht,
weil wir immer weniger Kinder haben, werden Sie auch
die Konjunktur nicht über die Nachfrage in Schwung
bringen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Johannes Singhammer
18660
Deshalb gilt: Immer mehr Menschen macht die ruhige
Hand des Bundeskanzlers immer unruhiger. Schluss da-
mit! Ändern Sie Ihre Politik!
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Werner Schulz für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Wir könnten uns doch relativ schnell auf eine Aussage
einigen: dass die Bewältigung der schwierigen kon-
junkturellen Lage wir brauchen nicht darüber zu strei-
ten, ob sie schwierig ist; darüber reden wir seit Mona-
ten und vor allem die Bewältigung der schwierigen
Situation, wie sie nach den Terroranschlägen in New
York und Washington entstanden ist, stark davon ab-
hängt, wie wir darauf reagieren, also welche Stimmung
wir verbreiten und wie wir psychologisch darauf Ein-
fluss nehmen.
Ich habe den Eindruck, dass Sie sich in der Opposition
einen ganz besonders spezifischen Beitrag dafür aus-
gedacht haben, um die These zu widerlegen, dass sich
nach dem 11. September nicht alles geändert hat. Auf ei-
nes können wir hier nämlich wirklich bauen: Immer,
wenn die aktuellen Arbeitsmarktzahlen herauskommen,
verlangen Sie eine Aktuelle Stunde, es kann kommen, was
will.
Es ist die x-te in diesem Jahr, es kommen die gleichen
stereotypen Vorwürfe, die gleichen stereotypen Zwi-
schenrufe von Ihnen ich kenne das alles , die Rauen-
Analysen, Herr Kollege. Es ist immer wieder das Gleiche,
was hier kommt. Sie bieten keine kreativen Ansätze.
Wir kommen nicht weiter, wenn wir permanent nur
Analysen vornehmen und uns gegenseitig in der Betrof-
fenheit bestätigen. Natürlich nehmen wir die Situation
ernst; natürlich ist sie nicht erfreulich. Natürlich liegen die
Zahlen unter den Erwartungen, aber besorgniserregend
sind sie nicht. Das muss ich Ihnen sagen.
Nein! Sie versuchen, die Situation zu nutzen, zu drama-
tisieren und im Grunde genommen die Besonnenheit, die
jetzt so wichtig ist, zu untergraben.
Diese Regierung hat es ist einfach unverschämt, das
immer so abzutun, Kollege Brüderle wirklich beachtli-
che Reformschritte in diesen drei Jahren unternommen:
Steuerreform, Rentenreform. Der Arbeitsmarkt ist wirk-
lich das Letzte, woran Sie sich festbeißen können.
Bei Ihnen ist das Aufnahmevermögen von retardierenden
Momenten gekennzeichnet und Ihr Verständnisvermögen
hinkt ebenso, wie das bei den Wirtschaftsverbänden of-
fensichtlich der Fall ist.
Diese mussten mit einem Schreiben von Wirtschaftsmi-
nister Müller und Arbeitsminister Riester darauf hinge-
wiesen werden, dass mindestens elf der Maßnahmen, die
sie gefordert hatten, mittlerweile Realität geworden sind.
Die Frage lautet eher, warum sie diese nicht nutzen. Sie
haben die Möglichkeit, flexible Arbeitszeiten zu fördern,
betriebliche Bündnisse für Arbeit zu errichten, die Ar-
beitslosenunterstützung mit der Sozialhilfe zusammenzu-
legen usw. Sie haben einen großen Spielraum. Es ist das
Letzte, woran Sie sich festbeißen könnten.
Kollege Brüderle, wenn Sie über schlechtes Gewissen
reden, muss ich Sie auf Folgendes aufmerksam machen:
Problematisch war die Situation, als wir auf 5 Millionen Ar-
beitslose zugegangen sind. Ich fand es wirklich besorgnis-
erregend, als Mister Wirtschaft, wie er sich in der Stadt
anpreist, für die Misswirtschaft zuständig war.
Dazu, dass Sie zur Aufhebung des Bankgeheimnisses zur
Terroristenbekämpfung momentan nur den Reflex zeigen,
dass sie befürchten, der Finanzminister könnte mögli-
cherweise die Steuerhinterziehungen aufdecken, kann ich
nur sagen: Oh, oh.
Ist das neoliberal? Ein Brüderle stützt das andere oder was
führen Sie uns hier vor?
Ich muss Ihnen sagen: Wenn wir über Enttäuschungen
sprechen, dann sollten wir vielleicht auch über einige Ver-
haltensweisen unserer großen Wirtschaftsführer reden.
Ja, Sie können sie auch Kapitäne, Global Player oder die
großen Könner nennen.
Während man in den USAmomentan die Hand patriotisch
aufs Herz legt, ist hier einigen nur der Sinn danach, ins
Kanzleramt zu laufen, die Hand aufzuhalten und nach
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Johannes Singhammer
18661
Konjunkturprogrammen zu rufen. Ich muss sagen: Das ist
ungeheuerlich.
Ja, rufen Sie nur Holzmann; das ist alles nicht neu.
Es ist die gleiche Denkart, die Sie hier unterstützen: Kon-
junkturprogramme und das Vorziehen der verbleibenden
Schritte der Steuerreform zu fordern.
Die Steuerreform haben Sie doch samt und sonders abge-
lehnt. Hätten Sie es verhindern können, hätten wir sie gar
nicht durch den Bundesrat bekommen. Die FDP in Rhein-
land-Pfalz hat sie dann mit unterstützt. Jetzt soll sie vor-
gezogen werden. Dass die Länder das gar nicht finan-
zieren können, müssten Sie in Rheinland-Pfalz eigentlich
wissen.
Ich halte es für nicht sinnvoll und kontraproduktiv, sich
momentan zu verschulden, um die Nachfrage anzukur-
beln. Das würde in der jetzigen Situation, in der, wie wir
aus der Verbraucherforschung wissen, eher die Sparquote
als die Investitionsbereitschaft und das Konsumverhalten
steigt, ja passieren. Das sagt übrigens auch der DIHT-Prä-
sident Braun, der, so glaube ich, Parteimitglied bei Ihnen
ist. Er sagt heute im Handelsblatt, wir sollten uns nicht
verrückt machen lassen. Sie sind also einer, der diese Idi-
otie offenbar mit verbreitet.
Er hält überhaupt nichts davon, die Steuerreform vorzu-
ziehen. Sie ist nicht finanzierbar und wirtschaftspolitisch
kontraproduktiv.
Um es abschließend zu sagen: Wer in Zeiten, in denen
die Arbeitnehmerschaft verunsichert ist, von der Locke-
rung des Kündigungsschutzes spricht, handelt unverant-
wortlich.
Es geht im Moment darum, mit allem Grips und aller Fan-
tasie dafür zu sorgen, dass Belegschaften gehalten werden
und die Konjunkturdelle überstanden wird. Dies können
wir erreichen, indem Überstunden abgebaut und Zeitar-
beitskonten eingeführt werden
und die Instrumente genutzt werden, die wir dafür ge-
schaffen haben. Ich denke an die Qualifizierung und der-
gleichen mehr.
Es ist nicht hilfreich, die Situation, wie Sie es heute ge-
tan haben, zu dramatisieren.
Der Kollege
Gerald Weiß spricht für die CDU/CSU-Fraktion.
Gerald Weiß (CDU/CSU): Herr Präsi-
dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine
Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, Sie kön-
nen reden, wie Sie wollen, die Arbeitsmarktbilanz ist ein
Desaster. Sie haben Ihr Wahlversprechen nicht erfüllt. Im
Zentrum Ihres eigenen Anspruchs haben Sie gnadenlos
versagt. Das zeigen die Zahlen, die uns vorliegen.
Der Begriff Desaster, gegen den Sie sich gewehrt ha-
ben, ist ja gar nicht von uns. Die Süddeutsche Zeitung,
die ja nicht gerade das Zentralorgan der Union ist,
titelte heute so: Schröders Desaster.
Herr Schulz, es ist eine Frechheit, dass Sie sich hier
hinstellen und sagen, die Arbeitslosenzahl sei nicht be-
sorgniserregend. Seit sieben Monaten steigt die Arbeits-
losigkeit saisonbereinigt an.
Der übliche Herbstaufschwung am Arbeitsmarkt er ist
regelmäßig im September sichtbar fällt aus. Saisonbe-
reinigt haben wir 91 000 Arbeitslose mehr als zu Beginn
des Jahres und im September hatten wir 60 000 Arbeits-
lose mehr als im gleichen Monat des Vorjahres. Das ist ein
Skandal gegenüber denjenigen, die in Deutschland nach
Arbeit fragen.
Weil die Vergangenheit so sehr bemüht wurde, weise
ich auf Folgendes hin. Im September 1998, dem letzten
Jahr der alten Regierung
ich habe Ihnen eben die Zahl der rot-grünen Regierung
genannt: 60 000 Arbeitslose mehr , war die Zahl der Ar-
beitslosen um 343 000 gesunken. Diese Beschäftigungs-
dynamik hatte am Ende unserer Regierungszeit einge-
setzt.
Frau Dückert, Sie können auch nicht mit der Weltkon-
junktur und Ähnlichem argumentieren. Der relativ schwa-
che Euro macht es möglich, dass die Exporte einigermaßen
stabil sind. Die Wachstumsschwäche ist hausgemacht und
betrifft nur die Binnenwirtschaft Deutschlands.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Werner Schulz
18662
Das Wachstum des Bruttosozialprodukts ist auf sage und
schreibe 0,8 Prozent zusammengeschmolzen. Damit be-
finden wir uns auf dem letzten Platz in der Europäischen
Union. Die Schwelle konjunkturell bedingten Beschäfti-
gungszuwachses liegt bei uns auch darüber muss man
einmal nachdenken bei erst 2,2 Prozent. Aber wir sind
im Wachstum skandalös zurückgefallen, was zulasten
der Beschäftigung in Deutschland geht. Dass Sie hier
nicht gegengesteuert haben, machen wir Ihnen zum Vor-
wurf.
Die Binnenkonjunktur lahmt. Deshalb brauchen wir
schnell Steuersenkungen, vor allem aber keine neuen und
höheren Steuern. Das ist das Erste und Wichtigste, was
wir zur Stabilisierung der Wirtschaft und der Beschäfti-
gung tun müssen.
Auch müssen wir Kollege Singhammer hat es ausge-
führt im Niedriglohnbereich über Brutto und Netto, über
Kombilöhne und die Subventionierung von Sozialversi-
cherungsbeiträgen usw. reden.
Was den 11. September angeht, so taugt auch dieser
traurige Tag zur Bemäntelung der aktuellen Arbeitslosen-
zahlen nicht.
Der Negativtrend ist schon länger vorhanden; Sie haben
schon seit längerem nichts getan.
Der Terroranschlag ist dagegen erst jüngeren Datums,
wird aber die Probleme verschlimmern,
wenn jetzt nicht das Richtige geschieht.
Wir brauchen nicht mehr Bürokratie, wie Sie sie auf-
bauen, sondern weniger Bürokratie. Wir brauchen nicht
mehr Steuern, wie Sie sie einführen, sondern weniger
Steuern. Wir brauchen nicht höhere, sondern geringere
Sozialversicherungsbeiträge.
Das wären Mittel, um den Aufschwung von den Rah-
menbedingungen her in Deutschland abzusichern und ei-
nen Beitrag zur Stabilisierung der Konjunktur in Europa
wir sind die größte Volkswirtschaft in Europa zu leis-
ten.
Die Richtung ist falsch, der Kurs stimmt nicht und die
Rechnung bezahlen die kleinen Leute: die Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer, die zu alledem noch Reallohn-
einbußen hinnehmen müssen, und die kleinen und mittel-
ständischen Unternehmer, die Sie mit Ihrer Politik
geradezu bestraft haben, meine sehr verehrten Damen und
Herren.
Gesundbeterei hilft nicht weiter. Es gibt keinen ande-
ren Weg als den der Entlastung der Einkommen unserer
Leistungsträger. Das Zusammenführen von Brutto- und
Nettoleistungsentgelten wäre die wichtigste Maßnahme
zur Stabilisierung unserer Konjunktur und damit auch der
Beschäftigungschancen.
Neben niedrigeren Steuern und entschlossenen Initiati-
ven im Niedriglohnbereich, also neben dem Kombilohn,
brauchen wir auch den Investivlohn. Welch große
Sprüche sind am 1. Mai 2000 gemacht worden?! Nichts
ist geschehen weder im Bündnis für Arbeit noch bei die-
ser Regierung , was die Herstellung besserer Rahmen-
bedingungen für eine Beteiligung der Arbeitnehmer am
Produktivkapital anbelangt. Wir brauchen den Investiv-
lohn, weil wir durch ihn eine Erfolgsbeteiligung der Ar-
beitnehmerschaft in unserer Volkswirtschaft sicherstellen,
dabei aber den Anstieg der direkten Arbeitskosten, die ja
Fixkosten darstellen, begrenzen können.
Wir wollen damit ermöglichen, dass die Arbeitnehmer in
einen dynamischen volkswirtschaftlichen Prozess hinein-
wachsen.
Sie haben gezeigt, dass Sie nichts davon begriffen ha-
ben.
Deshalb fahren Sie jetzt diese bittere Ernte ein. Betroffen
davon sind die Arbeitslosen sowie diejenigen, denen Sie
die Chancen im Berufsleben nehmen.
Danke.
Ich gebe das
Wort nunmehr dem Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung, dem Kollegen Walter Riester.
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da-
men und Herren! Ja, ich mache mir Sorgen um die Ar-
beitslosigkeit. Ich werde mir so lange Sorgen machen,
solange Millionen arbeitssuchender Menschen keine Ar-
beit bekommen. Ich bin für jeden ernst gemeinten Vor-
schlag dankbar, der zum Abbau der Arbeitslosigkeit bei-
tragen kann.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Gerald Weiß
18663
Meine Damen und Herren von der Opposition, können
Sie auch verstehen, dass ich bei den Vorschlägen, die Sie
machen, etwas zögere, nachdem Sie in 16 Jahren die Mas-
senarbeitslosigkeit um 3 Millionen erhöht haben, in der
Spitze auf 4,8 Millionen Arbeitslose,
und dies mit Maßnahmen, die Sie uns heute wieder vor-
schlagen? Haben Sie doch Verständnis, dass ich da etwas
skeptisch bin.
Aber ich mache mir nicht nur Sorgen. Es gibt auch An-
lass, sich zu freuen. Ein solcher Anlass ist, dass in den
letzten zwei Jahren 1 Million Jobs entstanden sind.
Es gibt Anlass, sich darüber zu freuen, dass die Zahl der
Arbeitslosen um eine halbe Million abgenommen hat.
Herr Singhammer, ich lasse mich gern von der Bevöl-
kerung an der Aussage messen, dass wir die Arbeitslosig-
keit deutlich vermindert haben, nachdem Sie in 16 Jahren
die Zahl der Arbeitslosen auf 3 Millionen anwachsen
ließen und wir in zwei Jahren die Zahl um eine halbe Mil-
lion gesenkt haben.
Es gibt beispielsweise auch Grund, sich darüber zu
freuen, dass es zwischenzeitlich gelungen ist, 330 000 jun-
ge Menschen zusätzlich Chancen in Ausbildung und Ar-
beit zu geben. Dafür haben wir uns eingesetzt, das haben
wir erreicht.
Es gibt aber weiteren Grund, sich zu freuen. Beispiels-
weise können wir uns darüber freuen, dass zwischenzeit-
lich 24 700 schwerstbehinderte Menschen, die unter
marktwirtschaftlichen Aspekten chancenlos waren, auf
der Grundlage unseres Gesetzes und durch die breite Un-
terstützung von Wirtschaft, Gewerkschaften und Behin-
dertenverbänden einen Platz im Arbeitsmarkt gefunden
haben. Darüber freue ich mich.
Es gibt weitere Punkte, über die wir uns freuen können.
Ich lese heute in der Zeitung, dass 20 000 junge Menschen
noch nicht in eine Ausbildung vermittelt worden sind. Das
erfordert kräftige Anstrengungen von uns. Ich freue mich,
dass gleichzeitig 24 000 offene Ausbildungsstellen zur
Verfügung stehen. Ich frage Sie: Wann hatten Sie jemals
eine solche Bilanz?
Nun komme ich zu einer schwierigeren Sache. Ja, wir
haben zurzeit ein abnehmendes Wirtschaftswachstum.
Das betrifft uns alle. Herr Rauen, vielleicht versuchen wir
einmal, die Gründe hierfür wirklich ernsthaft zu erörtern.
Es dürfte unbestritten sein, dass wir im Moment eine
tiefe Rezession in Asien haben.
Darüber sind wir uns wohl einig. Das Wachstum in den
USA hat dramatisch nachgelassen. Darüber sind wir uns
wahrscheinlich auch einig.
Damit sind zwei der drei großen Märkte der Welttriade im
Moment eingebrochen.
Gleichzeitig haben wir in Europa ein deutlich rückläufi-
ges Wachstum. Eine solche Situation weltweit nachlas-
senden Wachstums gab es das letzte Mal 1982, vor 20 Jah-
ren. In dieser außergewöhnlichen Situation gelingt es uns
trotzdem, diese beschäftigungspolitischen Impulse zu
setzen.
Ich möchte erreichen, dass wir uns alle anstrengen und
zu unserem Land stehen. Bei einigen Erklärungen von Ih-
nen, Herr Brüderle Sie telefonieren gerade; das wird
auch notwendig sein , habe ich das Gefühl, Ihnen gefällt
es in diesem Land überhaupt nicht. So, wie Sie unser Land
dargestellt haben, kenne ich es nicht. Ich kann Ihnen sa-
gen, dass es mir hier gefällt.
Ich kenne viele Menschen, denen es in diesem Land eben-
falls gefällt.
Wir werden unsere Politik für die Menschen, die Be-
schäftigung suchen, ganz entschieden weiterführen
mit einer Reformpolitik, die eine Steuerreform hervorge-
bracht hat, die Sie nicht hinbekommen haben,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Bundesminister Walter Riester
18664
mit einer Rentenreform, mit der die Lohnnebenkosten
erstmals gesenkt werden konnten.
Und Sie wollen an uns appellieren, die Lohnnebenkosten
zu senken, nachdem Sie sie auf 42 Prozent hochgetrieben
haben!
Dazu gehört schon sehr viel Chuzpe. Haben Sie schon
vergessen, was Sie uns alles hinterlassen haben?
Sie sprechen davon, dass in den USA der Staat Milli-
ardenbeträge investiert. Auch ich würde das sofort liebend
gerne machen, wenn wir nicht Schulden in Höhe von
1,5 Billionen DM übernommen hätten.
Ich und auch der Finanzminister würden sofort gerne Mil-
liardensummen in die Wirtschaft stecken.
Herr Brüderle, eine Bemerkung von Ihnen war sehr be-
zeichnend. Sie sagten, dass der Wirtschaftsminister die
Wirtschaft beschimpfe und der Arbeitsminister ihn dabei
noch unterstützen würde.
Ich unterstelle, dass Sie mit dieser Äußerung auf das an
die Wirtschaft gerichtete Schreiben hinsichtlich der Fle-
xibilisierungsmöglichkeiten, die die Gesetze zulassen, an-
spielen.
Wenn Sie ein solches Schreiben als Beschimpfen bezeich-
nen was haben Sie für ein Verständnis von Politik? ,
dann würde das ja bedeuten, dass das Darstellen von Fak-
ten gut gehüteten Ideologien entgegenwirken würde. Ich
habe den Eindruck, dass die Wirtschaft das anders sieht.
Wir müssen die entsprechenden Möglichkeiten aufzeich-
nen und in einen Dialog eintreten. In diesem Zusammen-
hang nehme ich jeden ernst gemeinten Vorschlag auf.
Zusammengefasst: Wir haben eine ganze Menge ge-
leistet. Nach 16 Jahren hoch geschraubter Massenarbeits-
losigkeit ist eine Reduzierung der Zahl der Arbeitslosen
um eine halbe Million in zwei Jahren ein wichtiger
Schritt. Der Aufbau von 1 Million Beschäftigungsverhält-
nissen sie werden vom Statistischen Bundesamt ausge-
wiesen ist eine gute Leistung.
Lassen Sie mich abschließend eine kurze Bemerkung
zu der Behauptung machen, dass der Abbau von Arbeits-
losigkeit demographiebedingt ist. Seit 1991 gibt es einen
demographiebedingten Abbau der Arbeitslosigkeit. Es
gibt aber einen großen Unterschied: Bei Ihnen stieg die
Arbeitslosigkeit trotzdem, während bei uns die Zahl der
Arbeitslosen um 500 000 gesunken ist.
Danke schön.
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Dr. Hans-Peter
Friedrich.
Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lie-
ber Herr Minister, Sie müssen schon sehr mit dem Rücken
zur Wand stehen, wenn Sie es nötig haben, in einer Rede
im Deutschen Bundestag so viel Polemik zu verwenden
und die Wahrheit zu verdrehen.
Lieber Herr Minister, ich will Ihnen einmal sagen, wo-
rauf es bei der Beurteilung der Wirtschaftskraft einer
Volkswirtschaft ankommt: auf die Anzahl der geleisteten
Arbeitsstunden. Diesbezüglich haben wir in den Jahren
1997 und 1998 einen wirklich massiven Aufschwung zu
verzeichnen gehabt. Aber im Jahr 1999 also in einem
Jahr, in dem Sie regiert haben gab es eine Stagnation. Es
besteht momentan die Gefahr, dass diese Zahl nach unten
geht.
Herr Riester, Sie sollten sich einmal die entsprechenden
Zahlen des Statistischen Bundesamtes zu Gemüte führen.
Sie haben 1998 die Regierung in Deutschland während ei-
ner Aufschwungphase übernommen. Sie haben durch eine
Vielzahl falscher Entscheidungen Deutschland in eine
Abschwungphase geführt. Das ist die Wahrheit.
Lieber Herr Minister, da Sie sich auf die Weltkonjunk-
tur berufen, müssen Sie mir einmal erklären, warum die
Franzosen und die Briten beim Beschäftigungsaufbau of-
fensichtlich weniger Probleme haben als die Deutschen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Bundesminister Walter Riester
18665
Gehören diese Länder nicht zur Weltwirtschaft? Ihre Be-
gründung scheint mir daher äußerst fraglich zu sein.
Vermisst habe ich das hat Herr Brüderle vorhin an-
gesprochen Ihre Antworten auf die massive Kritik der
Experten der OECD und der Europäischen Kommission
an Ihrer Regulierungspolitik im Arbeitsmarktbereich.
Ich will Ihnen sagen, welches Ihre Sünden in der Ver-
gangenheit waren. Sie bestanden darin, dass Sie den mit-
telständischen Unternehmen nicht die Luft verschafft ha-
ben, die sie brauchen, um zu investieren und sich auf neue
Situationen einzurichten.
Stattdessen haben Sie die Unternehmen mit einer Öko-
steuer belastet und vor allem den Bürgerinnen und Bür-
gern im ländlichen Raum die Kaufkraft entzogen. Das
macht sich jetzt in allen Bereichen bis hinein in den
Dienstleistungsbereich, der ein wichtiger Bereich für den
Beschäftigungsaufbau ist bemerkbar.
Sie hatten die Chance,
durch eine Reform des Tarifrechts Bündnisse für Arbeit
auf betrieblicher Ebene zu ermöglichen und ein bisschen
mehr dezentrale Flexibilität zu schaffen. Stattdessen ha-
ben Sie das bewährte Betriebsverfassungsgesetz verun-
staltet
zulasten des Mittelstands und zum Nachteil einer wirkli-
chen Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Dies geschah
einzig und allein mit dem Ziel, die Macht der Gewerk-
schaftsfunktionäre zu stärken.
Statt das immer weitere Auseinandergehen von Brutto-
und Nettoeinkommen in diesem Land wieder zusammen-
zuführen, haben Sie durch die Abschaffung der 630-
Mark-Jobs die Menschen zu Zigtausenden in die
Schwarzarbeit getrieben.
Die paar Tausend, die Sie in die Sozialversicherung ge-
zwungen haben, benutzen Sie jetzt dazu, die Statistik zu
verfälschen und zu sagen: Schaut her, was wir für tolle
neue Arbeitsplätze geschaffen haben!
Sie haben das unternehmerische Engagement der Men-
schen in diesem Land, das sich in den 90er-Jahren auf eine
Aufbruchsituation stützen konnte, abgewürgt. Das ging
los mit der Scheinselbstständigkeit. Wir haben das wis-
sen Sie im Bereich der Existenzgründer die Situation,
dass jeder Existenzgründer im Durchschnitt zweieinhalb
Arbeitsplätze schafft. Wir sind heute bei den Existenz-
gründungen auf einem Tiefpunkt, weil Sie insbesondere
die jungen Menschen entmutigt haben und sie mit Büro-
kratie zu bremsen versuchen.
Die Leidtragenden dieser falschen Politik der Entmuti-
gung sind die Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren
haben, und die Zigtausenden, die täglich in großer Sorge
um ihren Arbeitsplatz leben.
Herr Schulz, es ist zynisch, zu sagen, das alles sei kein
Problem. Das zeigt, wie weit die Grünen von der Bevöl-
kerung in diesem Land entfernt sind.
Die rot-grüne Regierung steht angesichts der Arbeits-
marktzahlen vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik, und
das Johannes Singhammer hat es angesprochen aus-
gerechnet in einer Phase, in der Deutschland ökonomisch
stark sein muss, um eventuelle konjunkturelle Schwächen
der Weltwirtschaft verkraften zu können.
Eine Regierung, die die eigene Wirtschaft stranguliert
und sich darauf verlässt, dass die wirtschaftlichen Impulse
von außen kommen, trägt die Verantwortung dafür, dass
Zigtausende von Menschen in diesem Land Existenzängs-
te haben. Ich fordere Sie deswegen auf, Ihre falsche Poli-
tik zu korrigieren.
Nehmen Sie das falsche 630-Mark-Gesetz zurück.
Nehmen Sie das Scheinselbstständigkeitsgesetz zurück.
Nehmen Sie das Zwangsteilzeitgesetz zurück! Insbeson-
dere fordere ich Sie auf, endlich den Wert des Mittelstands
in Deutschland wieder zu erkennen und dem Mittelstand
als dem Rückgrat unserer Wirtschaft in der Politik wieder
entsprechendes Gewicht zu verschaffen.
Herr Riester, Sie haben kalt lächelnd alle Resolutionen,
die Ihnen aus dem Mittelstand zum Betriebsverfassungs-
gesetz zugeschickt worden sind, mit der linken Hand vom
Tisch gewischt. Sie haben den Mittelständlern noch nicht
einmal das Gehör geschenkt, das sie in dieser schwierigen
Situation, in der die Stimmung immer schlechter wird,
dringend gebraucht hätten.
Vor allem auch das scheint mir wichtig zu sein
brauchen wir keine Kürzungen bei den öffentlichen Inves-
titionen wie Sie es von Bundeshaushalt zu Bundeshaus-
halt machen sondern wir brauchen eine Investitions-
offensive, damit auch die in der Bauwirtschaft arbeitenden
Menschen wieder eine Zukunftsperspektive haben.
Herr Kol-
lege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Dr. Hans-Peter Friedrich
18666
Lieber
Herr Riester Sie haben vorhin nach Vorschlägen gefragt ,
folgen Sie deswegen unserem Vorschlag, einen Kombilohn
einzuführen und den Menschen, die heute arbeitslos sind,
eine Chance zu geben, im Niedriglohnbereich ein anstän-
diges Einkommen zu erzielen.
Ich sage Ihnen eines: Angesichts der Massenarbeitslo-
sigkeit in diesem Land muss die Politik der eingeschlafe-
nen Hand des Herrn Bundeskanzlers beendet werden.
Die Kolle-
gin Angelika Krüger-Leißner spricht für die SPD-Frak-
tion.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer heute
gehofft hatte, dass wir in einer sehr schwierigen Situation
ernsthaft und sachlich über die Lage auf dem Arbeits-
markt diskutieren, ist wieder einmal getäuscht worden.
Werner Schulz hat Recht: Es läuft alles nach einem alten
Muster ab, gekennzeichnet durch Ihre permanente Ver-
gesslichkeit, was Ihr Tun bzw. Nicht-Tun bis 1998 betrifft.
Alles, was wir in den letzten drei Jahren an Reformpolitik
gemacht haben
neue Rahmenbedingungen für den wirtschaftlichen und
beschäftigungspolitischen Aufschwung und für die so-
ziale Absicherung , wird von Ihnen schlecht gemacht
oder einfach nicht erwähnt.
Ich denke, dass man diesem wichtigen Thema so nicht ge-
recht werden kann. Wir erwarten auch von Ihnen in der
Opposition sachliche Argumente und konkrete Vor-
schläge.
Ich denke, angesichts der vorliegenden Arbeitsmarkt-
zahlen hat keiner Grund zum Jubeln, auch Sie nicht. Die
allgemeine Arbeitsmarktsituation ist schwierig und im
Osten ist sie unglaublich viel schwieriger und anhalten-
der. Die weltweit abgeschwächte Wirtschaftskonjunktur
zeigt sich auch auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Wir
spüren das ganz deutlich. 3,74 Millionen Menschen, die
in unserem Land keine Arbeit haben, sind einfach zu viel.
Es macht uns auch nicht froh, wenn wir anhand der Sta-
tistik sehen, dass 45 000 Menschen weniger arbeitslos
sind als im Vormonat.
In den neuen Bundesländern zeigt sich das gravierend.
Dort haben wir eine Arbeitslosigkeit von 16,9 Prozent.
Das zeigt deutlich das Ungleichgewicht in diesem Land.
Aber auch in den neuen Bundesländern ist, wie Sie sehen,
wenn Sie sich die Zahlen genau anschauen, die Arbeitslo-
sigkeit gegenüber dem Vormonat gesunken, und zwar um
6 300. Die Zahl der gemeldeten offenen Stellen ist gestie-
gen und bei der Arbeitsvermittlung ist ein Plus von 5 238
zu verzeichnen. Ebenso ist die Zahl der Weiterzubilden-
den gestiegen.
Diese Entwicklung würde uns froh machen, wenn wir
nicht auch eine gegenläufige Entwicklung hätten. Der Zu-
wachs an neuen Arbeitsplätzen in den neuen Bundeslän-
dern ist einfach zu zögerlich und die konjunkturelle Delle
zeigt sich hier umso deutlicher.
Sie wissen so gut wie ich, liebe Kollegen von der Op-
position, dass es grundsätzlich eine positive ostdeutsche
Wirtschaftsentwicklung gibt. Aber sie vollzieht sich in ei-
nem strukturellen Wandel. Dieser Wandel ist durch den
Abbau von Überkapazitäten in der Bauwirtschaft gekenn-
zeichnet. Ich darf Sie kurz daran erinnern, dass Sie daran
Ihren Anteil haben, und zwar durch Ihre verfehlte Förder-
politik.
Auf der anderen Seite vollzieht sich der strukturelle
Wandel durch die Stabilisierung der ostdeutschen Indus-
trie und durch die Entwicklung des industrienahen
Dienstleistungsgewerbes. Das sind aber noch immer ge-
genläufige Prozesse. Der Arbeitsmarkt in den neuen Län-
dern ist ein Spiegelbild dieses sehr differenzierten Pro-
zesses.
Diese Entwicklung ist von unserer Koalition rechtzei-
tig erkannt worden und wir haben gegengesteuert. Die po-
sitive Entwicklung in den letzten drei Jahren unserer Re-
gierungszeit, die unser Arbeitsminister Walter Riester
geschildert hat und die durch einen kontinuierlichen
Rückgang der Arbeitslosigkeit
und durch die Erhöhung der Erwerbstätigkeit um 1 Mil-
lion gekennzeichnet ist, ist doch nicht vom Himmel ge-
fallen!
Sie ist durch unsere veränderten Rahmenbedingungen
erst möglich geworden. Wir haben eine Strategie verfolgt,
zu der gezielte wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische
Maßnahmen gehören, und zwar nicht kurzfristig, sondern
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001 18667
langfristig und kontinuierlich angelegt. Genau das ist das
Richtige für die neuen Bundesländer.
Ich erinnere Sie an wichtige Entscheidungen, die wir
für die Entwicklung der Wirtschaft und der Beschäftigung
in den neuen Bundesländern getroffen haben. Ich sage
nur: verstärkte Infrastrukturförderung mit hoher Priorität
in den neuen Bundesländern, Investitionen in die Schie-
nen, Straßen und Wasserstraßen.
Das sichert Arbeitsplätze und schafft neue.
Ich erinnere an die Ausrichtung der Förderpolitik
auf die Entwicklung innovativer Wachstumsregionen. Ich
erinnere an die Ausrichtung auf Forschungs- und Tech-
nologiebereiche, für die pro Jahr 3 Milliarden DM
zur Verfügung stehen. Auch das bringt neue Arbeitsplätze.
Ich erinnere an die Infrastrukturschwerpunkte, die wir
jetzt im Rahmen der Stadtsanierung setzen. Stadtumbau
Ost ist ein Programm, für das 450 Millionen Euro vor-
gesehen sind und mit dem wir ebenso neue Arbeitsplätze
schaffen werden. Diese massiven Anstrengungen für die
Infrastrukturentwicklung in den neuen Bundesländern
sind dringend notwendig und richtig. Wir werden sie kon-
tinuierlich fortsetzen und mit unserer Arbeitsmarktpolitik
vernetzen.
Zwei Punkte, die für die neuen Bundesländer sehr wich-
tig sind, möchte ich bezüglich der Arbeitsmarktpolitik an-
sprechen: einmal das Sofortprogramm zum Abbau der Ar-
beitslosigkeit junger Menschen, das wirklich erfolgreich
läuft, insbesondere in den neuen Ländern.
Die Erhöhung der für Ostdeutschland vorgesehenen Mit-
tel auf 50 Prozent hat bewirkt, dass wir die Arbeitslosig-
keit das können Sie in der Statistik nachlesen um
1,57 Prozent verringern konnten. Dort haben wir sogar
bessere Ergebnisse erzielt als in den alten Bundesländern.
Dieses Programm werden wir fortführen.
Der zweite Punkt ist: Wir werden das Job-Aqtiv-Ge-
setz gezielt dafür einsetzen, die Arbeitsmarktsituation in
den neuen Bundesländern zu verbessern. Die Verstärkung
der Vermittlungstätigkeit und der Qualifizierung wird
wichtig sein. Aber wir bringen auch eine neue Qualität in
die Arbeits- und Beschäftigungspolitik,
und zwar durch eine beschäftigungsfördernde Infrastruk-
turmaßnahme, mit der wir eine verstärkte Verzahnung
zwischen Infrastruktur- und Arbeitsmarktpolitik anstre-
ben.
Ich will zum Schluss gar keinen Zweifel daran auf-
kommen lassen, dass für uns die Schaffung von Arbeits-
plätzen und der Abbau der Arbeitslosigkeit weiterhin das
Hauptziel sind. Wir haben einen Weg eingeschlagen, der
in die richtige Richtung führt. Den werden wir kontinu-
ierlich fortsetzen. Wir werden dafür alle vorhandenen
Kräfte brauchen.
Frau Kolle-
gin, jetzt darf ich keinen Zweifel daran aufkommen las-
sen, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Einen Satz an die
Opposition möchte ich noch sagen: Für diese gemeinsame
Kraftanstrengung brauchen wir die Wirtschafts-, die Ar-
beitsmarkt-, die Sozial- und die Strukturpolitiker.
Über diese Verzahnung von Arbeitsmarkt- und Infrastruk-
turpolitik werden wir alle zusammen es schaffen, eine
Verbesserung zu erreichen. Wir brauchen auch Sie dazu.
Machen Sie mit!
Wir haben
in dieser Aktuellen Stunde noch zwei Redner. Zunächst
spricht für die CDU/CSU der Kollege Heinz Schemken.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Schulz, gehen Sie davon
aus, dass die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt von uns
immer wieder auf die Tagesordnung gebracht wird, bis sie
sich verbessert hat.
Davon lassen wir uns nicht abbringen. Denn dies war Ihr
zentrales Thema im Wahlkampf 1998.
Sie haben Versprechungen gemacht, die Sie nicht einmal
zur Hälfte einlösen können. Das zeigt sich schon jetzt.
Der Aufwuchs der Arbeitslosigkeit ist in diesem Jahr
deutlicher denn je. Die Zahlen des Präsidenten der Bun-
desanstalt für Arbeit, Jagoda, belegen: Saisonbereinigt
steigt die Zahl der Arbeitslosen in der letzten Zeit von Mo-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Angelika Krüger-Leißner
18668
nat zu Monat um 20 000 und seit Beginn des Jahres um
91 000. Kollege Peter Rauen hat soeben deutlich gemacht,
dass es, was die Frage des Aufwuchses an Arbeit angeht,
seit Ende 1998 und mit Beginn 1999 eine Stagnation gibt.
Die Erwerbsstundenzahlen gingen bis dahin steil nach
oben. Dies sind Zahlen des Statistischen Bundesamtes,
die Sie sich einmal besorgen sollten. Das sage ich, weil
Sie, Herr Staatssekretär, sicherlich gleich den Zweifel an-
bringen werden, dass dies nicht stimmen kann.
Nun werden Sie am Ende des Jahres feststellen das
hat heute schon der Chef der Bundesanstalt für Arbeit
verkündet , dass die Zahl der Arbeitslosen auf 3,8 Mil-
lionen, wenn nicht sogar auf 3,9 Millionen oder auf 4 Mil-
lionen gestiegen ist. Im Jahr 1998 lag die durchschnittli-
che Arbeitslosigkeit bei 4,2 Millionen! Wir müssen aber
feststellen, dass in der Zwischenzeit 600 000 Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer in Rente gegangen sind. Das,
Herr Minister, war nicht immer so. Jetzt treffen uns näm-
lich die geburtenstarken Jahrgänge der 30er-Jahre; das
können Sie nachvollziehen.
Nun zu den Problemen, die Sie mit den 16 Jahren
haben. Es gab einen entscheidenden Abschnitt, den ich
immer noch als Wunder begreife ich bin immer wieder
bewegt, dabei gewesen zu sein , und das war die Wie-
dervereinigung. Die wird oft vergessen und unterschla-
gen, Herr Schulz.
Sie sollten einmal auf solche Gesichtspunkte eingehen,
wenn Sie unsere Seelenlage bewegen wollen. Darum
würde ich wirklich herzlich bitten. Wir haben in den 80er-
Jahren dank der Steuerreform in drei Stufen 1986, 1988,
1990 innerhalb von vier Jahren einen Aufwuchs von
3 Millionen Arbeitsplätzen gehabt. Hören Sie gut hin: von
36 auf 39 Millionen!
Aber ich will ja nicht die Vergangenheit bewältigen; ich
wollte Sie eigentlich nur für die Zukunft gewinnen.
Lieber Wolfgang Weiermann, wir sind doch nicht böse!
Wenn, dann bin ich erschüttert oder traurig über Ihr Ver-
halten, darüber, dass Sie dieser Vorgang nicht mit Sorge
umtreibt. Der Minister hat ja hier noch einmal deutlich ge-
macht, dass das unser aller Anliegen sein sollte. Sie aber
haben dieses Anliegen schon fast vergessen und holen
sich dann noch Frau Engelen-Kefer zur Zeugin.
Frau Dr. Engelen-Kefer, die stellvertretende Vorsitzende
des DGB, hat erklärt, man solle die aktuelle Entwicklung,
die sie wahrnimmt, nicht dramatisieren. Dies könne eine
Angstspirale auslösen. Ich glaube, sie will für das
nächste Jahr vorbeugen, damit sie mit dem Kanzler wie-
der in den Wahlkampf gehen kann. So verstehe ich diese
Feststellung.
Jetzt müssen wir uns einmal einigen: Halten wir es mit
den schaffenden Leuten, mit den Arbeitslosen oder mit ei-
ner verfehlten Politik? Was machen wir?
Wir müssen uns einigen. Das wäre ehrlich und wahr-
haftig.
Ich komme jetzt zu Ihrem Job-Aqtiv-Programm. Ich
will hier nicht mit Zahlen operieren; aber die Situation in
den jungen Bundesländern ist besorgniserregend. Die Ar-
beitslosigkeit stieg dort von 1998 bis heute von 4,9 Milli-
onen auf 5,1 Millionen. Es gab also eine ständige Erhö-
hung der Arbeitslosenzahlen und keinen Rückgang. Wir
wollen gar nicht die Komplementärmaßnahmen, die wir
stattfinden lassen, dagegenrechnen, weil dort die struktu-
rellen Probleme in den Kommunen so sind, dass wir hel-
fen müssen.
Ich stelle aber fest, dass es schon des Schweißes der
Edlen wert ist, sich mit diesen Zahlen zu beschäftigen,
weil hinter jeder Zahl das Schicksal des bzw. der einzel-
nen Arbeitslosen steht. Ich sage ausdrücklich, dass uns
das bewegt.
Hier müssen wir am Anfang ansetzen.
Soeben wurde gesagt der Minister hat dies heute
Morgen auch noch einmal im Ausschuss erklärt , dass die
Arbeit zu teuer sei, der Arbeitnehmer netto zu wenig he-
rausbekomme und es brutto viel zu teuer sei, Arbeit so zu
verkaufen, dass sie im internationalen und auch im natio-
nalen Wettbewerb bestehen kann. Da haben Sie total bei
denen versagt, die Arbeitsplätze schaffen. Das sind näm-
lich nicht die Kapitalgesellschaften, sondern das sind die
Handwerker, die Einzelhändler, die kleinen Unterneh-
men.
Sie behandeln diese kleinen Unternehmen in der Steuer-
gesetzgebung anders als die Kapitalgesellschaften. Da
beißt die Maus keinen Faden ab.
Damit zerstören Sie die Basis, die uns einen Aufwuchs an
Arbeitsplätzen schafft. Hätten wir den Mittelstand nicht,
dann hätten wir in den 90er-Jahren 700 000 Arbeitsplätze
weniger gehabt. Das heißt, wir hätten eine noch höhere
Arbeitslosigkeit.
Herr Kol-
lege, ich muss alle Redner gleich behandeln. Daher
möchte ich Sie darauf hinweisen, dass auch Ihre Redezeit
abgelaufen ist.
Herr Präsident, schö-
nen Dank. Sie machen das immer sehr vornehm. Insofern
möchte ich vornehm enden.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Heinz Schemken
18669
Ich wünsche uns, dass wir auch beim Job-Aqtiv-
Gesetz, beim Kombilohn und beim Zusammenlegen von
Sozial- und Arbeitslosenhilfe zusammenarbeiten, damit
wir endlich den Kern der Langzeitarbeitslosigkeit ange-
hen können. Das wäre für uns alle sicherlich ein guter
Auftrag. Ich wünsche mir, dass wir dies gemeinsam tun.
Schönen Dank.
Der Kollege
Gerd Andres beschließt nunmehr für die sozialdemokrati-
sche Fraktion diese Runde.
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Ich kenne den Kollegen Heinz
Schemken über viele Jahre hinweg. Ich halte ihn für einen
sehr ehrlichen und aufrechten Kollegen.
Ich sage ihm ganz offen: Ich habe überhaupt nichts dage-
gen, dass wir die Geschäftsordnung des Deutschen Bun-
destages ändern und jeden Monat, wenn Sitzungswoche
ist und die neuen Arbeitsmarktzahlen verkündet werden,
nicht eine Aktuelle Stunde, sondern eine Aktuelle Ar-
beitsmarktstunde machen. Dagegen habe ich keine Ein-
wände.
Ich mache mir über Folgendes Sorgen das sage ich
ganz deutlich, das kann man nicht beschönigen : Wir ha-
ben in diesem Monat gegenüber dem Vorjahresmonat eine
Steigerung der registrierten Arbeitslosigkeit von rund
58 000 Menschen. Auch im vorigen Monat hatten wir
schon eine Steigerung. Ich will aber darauf hinweisen,
dass davor 39 Monate lagen Monat für Monat , in de-
nen die ganze Zeit eine geringere Arbeitslosenzahl als im
Vorjahr mitgeteilt werden konnte. Wir sind sehr stolz da-
rauf, dass das so ist. Das kann ich Ihnen sagen.
Bei diesen monatlichen Debatten wünschte ich mir
sehr viel mehr Redlichkeit. Ich schätze Herrn Rauen aus
wirtschaftspolitischen Diskussionen. Aber wenn in einem
solchen Zusammenhang nach der Rede des Ministers der
Begriff Klugschwätzer fällt, dann verstehe ich, dass das
wehtut. Ich sage sowohl Herrn Rauen als auch Herrn
Brüderle:
Ein bisschen mehr Redlichkeit in der Debatte würde Ih-
nen außerordentlich gut tun.
Wir haben von Ihnen die höchste Staatsverschuldung
in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland über-
nommen. Da beißt die Maus keinen Faden ab.
Wir haben von Ihnen die höchste Steuerbelastung über-
nommen, die wir in der Geschichte der Republik hatten.
Wir haben von Ihnen die höchste Quote an Sozialabgaben
übernommen, nämlich in der Spitze 42,1 Prozent. Wir ha-
ben von Ihnen die höchste Arbeitslosigkeit in der Ge-
schichte der Republik übernommen.
Hören Sie auf zu schreien! Das, was ich sage, ist wahr
und überprüfbar.
Damit Sie einmal die Zahlen kennen: 1997 lag die re-
gistrierte Arbeitslosigkeit bei 4,38 Millionen Menschen
im Jahresdurchschnitt. 1998 waren es 4,28 Millionen Ar-
beitslose im Jahresdurchschnitt. Sie, Herr Rauen und Herr
Brüderle ich bitte darum, dies nicht zu vergessen , ha-
ben es von 1991 an geschafft, dass in jedem Jahr die jah-
resdurchschnittliche Arbeitslosigkeit angestiegen ist.
Erst wir haben diesen Trend gebrochen; damit das klar ist.
Die höchste Arbeitslosigkeit im Jahr 1998 haben Sie
dadurch erreicht das ist der nächste Punkt, der etwas mit
Redlichkeit zu tun hat, meine Herrschaften , dass in die-
sem Jahr sage und schreibe 540 000 Menschen in ABM
und SAM waren.
Gegenwärtig sind rund 232 000 Menschen in diesen Maß-
nahmen. Gegenüber Ihrer Spitzenleistung haben wir die
Zahl mehr als halbiert. Darauf sind wir stolz.
Wir lassen uns von Ihnen keine Diskussion darüber an
die Backe reden, dass man ABM und SAM umwandeln
oder ganz beseitigen müsse. Es sind einige Kolleginnen
und Kollegen aus den neuen Bundesländern anwesend.
Von den 155 000 AB-Maßnahmen werden knapp 50 000
in den alten Bundesländern, der Rest wird in den neuen
Bundesländern in Anspruch genommen.
Wer mit ideologischen Kampfparolen antritt, man müsse
diese Maßnahmen alle umwandeln oder abschaffen, der
muss den Menschen sagen, welche andere Perspektive sie
haben und wie dann ihre Beschäftigungssituation aus-
sieht.
Auf diesem Feld würde ich mir viel mehr Redlichkeit
wünschen und nicht nur die monatlichen Schaugefechte,
die Sie abliefern.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 191. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Oktober 2001
Heinz Schemken
18670
Man hat inzwischen den Eindruck, in der öffentlichen
Debatte nur noch von Keynesianern umzingelt zu sein. Es
ist wirklich erstaunlich, wer alles Beschäftigungspro-
gramme, Konjunkturprogramme und Ähnliches fordert.
Dazu fällt einem absolut nichts mehr ein. Auch Kollege
Brüderle gehört in diese Gruppe.
Ich finde es im Übrigen völlig richtig, was mein Minis-
ter gesagt hat. Wenn wir in einer Situation wären, in der
wir nicht nur einen ausgeglichenen Haushalt hätten, son-
dern sogar einen Haushaltsüberschuss, könnten wir ent-
sprechende Maßnahmen anstoßen. Da wir von Ihnen aber
völlig zerrüttete Staatsfinanzen übernommen haben, ist es
sehr schwierig, Programme zu finanzieren.
Herr Rauen Sie suchen sich die Punkte so aus, wie
Sie sie gebrauchen können , damit wir uns verstehen: Ich
empfehle Ihnen einen Antrag Ihrer eigenen Fraktion, in
dem verschiedene Maßnahmen, zum Beispiel Kombi-
löhne, vorgeschlagen werden. Ich muss Ihnen sagen: Ich
bin dafür, alles auszuprobieren, was auf Dauer zu ver-
nünftigen Bedingungen Beschäftigung bringen kann.
Wenn wir aber durch entsprechende Maßnahmen als
Wirtschaftspolitiker sind Sie sonst doch strikt dagegen
in ein System einsteigen, indem wir flächendeckend eine
Subventionierung regulärer Arbeit vornehmen, müsste
das doch Ihrem ordnungspolitischen Grundschema, das
Sie sonst immer bemühen, widersprechen.
Wir werden eine solche Position nicht unterstützen,
aber nach Möglichkeiten suchen, wie man Menschen
aus Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe und Arbeitslosigkeit he-
rausführen kann. Das kann man nicht durch Verstetigung
und Erhöhung von Transfereinkommen erreichen, son-
dern nur dadurch, dass man Möglichkeiten für die Betrof-
fenen findet, aus dem Bezug von Transfereinkommen he-
rauszukommen.
Sehen wir uns den Rest Ihres glorreichen Antrages an!
Er enthält den tollen Vorschlag, das Sofortprogramm zur
Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, das Langzeitar-
beitslosenprogramm und Strukturanpassungsmaßnahmen
aus dem Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit herauszu-
nehmen. Sie müssen nur noch sagen, wie dies finanziert
werden soll. Aus Gründen der Redlichkeit würde ich um
eine solche Klarstellung bitten. Wenn Sie im Ausschuss
ausführen, wie viele öffentliche Mittel für die Arbeits-
marktpolitik gebraucht werden, sich in der öffentlichen
Diskussion aber vor konkreten Aussagen drücken, so ist
das wieder ein Punkt, bei dem ich Ihnen sagen muss: Sie
sind absolut unredlich.
Ich komme zu meinem letzten Punkt: Herr Seehofer
hat sich in der Sommerpause mit der Theatertruppe
CDU/CSU öffentlich produziert. Es wird vorgeschlagen,
die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu senken.
Auch ich bin für diesen Vorschlag. Nur müssen wir dafür
die Luft haben. Wir können es nicht auf Ihre Weise ma-
chen, indem wir einfach viele Programme der Be-
schäftigungspolitik kürzen. Auf diese Weise würde die
Arbeitslosigkeit nämlich nicht gesenkt, sondern erhöht.
Eine solche Politik werden Sie mit uns nicht machen kön-
nen. Wir werden ganz systematisch die Verstetigung der
Arbeitsmarktpolitik weiter vorantreiben. Wir werden un-
ser Job-Aqtiv-Gesetz jetzt beraten und verabschieden und
Stück für Stück dafür sorgen, dass es in Deutschland
zukünftig wieder mehr Beschäftigung und einen Abbau
der Arbeitslosigkeit geben wird. Darauf können Sie sich
verlassen.
Die Aktuelle
Stunde ist beendet.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 11. Oktober 2001,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.