Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Der Deutsche Bundestag hat angesichts der
dramatischen und bestürzenden Terroranschläge auf das
amerikanische Volk seine Haushaltsberatungen unterbro-
chen. Sie werden in der kommenden Sitzungswoche fort-
gesetzt; so eine Vereinbarung zwischen allen Fraktionen.
Ich bitte Sie nun, sich zu erheben. Wir wollen der To-
ten der furchtbaren Anschläge in New York und Washing-
ton gedenken.
Ich danke Ihnen.
Wir kommen nun zur
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zu
den Anschlägen in den Vereinigten Staaten von
Amerika
Das Wort hat Herr Bundeskanzler Schröder.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der gestrige
11. September 2001 wird als ein schwarzer Tag für uns alle
in die Geschichte eingehen. Noch heute sind wir fassungs-
los angesichts eines nie da gewesenen Terroranschlags auf
das, was unsere Welt im Innersten zusammenhält.
Wir wissen noch nicht, wer hinter dieser Kriegserklä-
rung an die zivilisierte Völkergemeinschaft steht. Wir
wissen noch nicht einmal, wie viel Tausende ganz und gar
unschuldige Menschen den feigen Attentaten zum Opfer
gefallen sind. Wir wissen und erfahren aber: Jetzt geht es
darum, unser Mitgefühl, unsere Solidarität zu zeigen: So-
lidarität mit der Bevölkerung der Vereinigten Staaten von
Amerika, und zwar Solidarität aller, die für Frieden und
Freiheit einstehen, in Deutschland, in Europa, überall auf
der Welt.
2 000 Menschen haben sich gestern Abend zu einer
spontanen Beileidskundgebung und zu einem Gottes-
dienst im Berliner Dom versammelt. Im Anschluss an
diese Sitzung des Deutschen Bundestages wird ein öku-
menischer Trauergottesdienst in der Sankt-Hedwigs-Ka-
thedrale stattfinden.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Bundesver-
einigung der Deutschen Arbeitgeberverbände haben dazu
aufgerufen, am Donnerstag um 10 Uhr für fünf Minuten
in der Arbeit innezuhalten. Die Bundesregierung wird die-
sem Aufruf für die Institutionen des Bundes folgen.
Meine Damen und Herren, ich habe dem amerikani-
schen Präsidenten das tief empfundene Beileid des ge-
samten deutschen Volkes ausgesprochen. Ich habe ihm
auch die uneingeschränkte ich betone: die uneinge-
schränkte Solidarität Deutschlands zugesichert. Ich bin
sicher, unser aller Gedanken sind bei den Opfern und
ihren Angehörigen. Ihnen gilt unser Mitgefühl, unsere
ganze Anteilnahme.
Ich möchte hier in Anwesenheit des neuen amerikani-
schen Botschafters Dan Coats noch einmal ausdrücklich
versichern: Die Menschen in Deutschland stehen in die-
ser schweren Stunde fest an der Seite der Vereinigten
Staaten von Amerika.
Selbstverständlich bieten wir den Bürgern und Behörden
der Vereinigten Staaten von Amerika jede gewünschte
Hilfe an, natürlich auch bei der Ermittlung und Verfol-
gung der Urheber und Drahtzieher dieser niederträchtigen
Attentate.
Bei meinem Gespräch mit den Partei- und Fraktions-
vorsitzenden am gestrigen Abend bestand völlige Ein-
mütigkeit darüber, dass diese außergewöhnliche Situation
das Zusammenstehen aller Demokraten erfordert. Die ges-
trigen Anschläge in New York und Washington sind nicht
nur ein Angriff auf die Vereinigten Staaten von Amerika;
sie sind eine Kriegserklärung gegen die gesamte zivili-
sierte Welt. Diese Art von terroristischer Gewalt, das
wahllose Auslöschen unschuldiger Menschenleben stellt
die Grundregeln unserer Zivilisation infrage. Sie bedroht
unmittelbar die Prinzipien menschlichen Zusammenle-
bens in Freiheit und Sicherheit, all das also, was in Gene-
rationen aufgebaut wurde. Gemeinsam werden wir diese
Werte sei es in Amerika, sei es in Europa oder wo auch
immer in der Welt nicht zerstören lassen.
In Wirklichkeit das zeigt sich immer mehr sind
wir bereits eine Welt. Deshalb sind die Anschläge in
18293
186. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 12. September 2001
Beginn: 9.00 Uhr
New York, dem Sitz der Vereinten Nationen, und in Wash-
ington gegen uns alle gerichtet. Der gestrige terroristische
Angriff hat uns noch einmal vor Augen geführt: Sicherheit
ist in unserer Welt nicht teilbar. Sie ist nur zu erreichen,
wenn wir noch enger für unsere Werte zusammenstehen
und bei ihrer Durchsetzung zusammenarbeiten.
Wir müssen nun rasch noch wirksamere Maßnahmen
ergreifen, um dem Terrorismus weltweit den Nährboden
zu entziehen. Es hat zu gelten: Wer Terroristen hilft oder
sie schützt, verstößt gegen alle fundamentalen Werte des
Zusammenlebens der Völker. Ich habe noch gestern Abend
mit dem französischen Staatspräsidenten Chirac und
Ministerpräsident Jospin, mit dem britischen Premiermi-
nister Blair und dem russischen Präsidenten Putin gespro-
chen. Wir sind uns in der Bewertung einig, dass diese Ter-
rorakte eine Kriegserklärung an die freie Welt bedeuten.
Die Außenminister der Europäischen Union werden
noch heute zu einer Sondersitzung zusammentreten. Da-
nach wird es notwendig sein, dass die Europäische Union
auf höchster Ebene ihre Solidarität zum Ausdruck bringt.
Ich habe den amtierenden Ratspräsidenten der Euro-
päischen Union, den belgischen Ministerpräsidenten
Verhofstadt, gebeten, eine entsprechende Initiative zu er-
greifen.
Viele Menschen werden sich fragen: Was bedeuten
diese Anschläge für uns in Deutschland? Ich habe gestern
Abend unverzüglich eine Sitzung des Bundessicherheits-
rates einberufen. Wir haben auf der Grundlage der uns zu-
gänglichen Informationen die Lage eingehend analysiert.
Derzeit liegen keine Hinweise auf eine außerordentliche
Bedrohung der Sicherheit unseres Landes vor. Gleich-
wohl haben wir zusätzliche Maßnahmen ergriffen, die
zum Schutz der Menschen in unserem Land erforderlich
sind. Das betrifft insbesondere die Sicherheit des Luft-
raums und des Flugverkehrs sowie den Schutz amerikani-
scher und anderer herausgehobener Einrichtungen.
Darüber hinaus werden wir gemeinsam überlegen
müssen, welche längerfristigen Konsequenzen aus diesen
fürchterlichen Anschlägen zu ziehen sind. Der Bundessi-
cherheitsrat wird heute Vormittag zu einer erneuten Sit-
zung zusammenkommen. Es ist selbstverständlich, dass
wir alle Fraktionen des Deutschen Bundestages, die Vor-
sitzenden der politischen Parteien, aber auch die Öffent-
lichkeit über die weiteren Entwicklungen informieren
werden. Die nächste Unterrichtung der Partei- und Frak-
tionsvorsitzenden erfolgt, wie verabredet, bereits heute
Mittag im Bundeskanzleramt.
Ich bin davon überzeugt: Gemeinsam werden wir uns
dieser verbrecherischen Herausforderung gewachsen zei-
gen. Freiheit und Demokratie, die Werte des friedlichen
Zusammenlebens der Menschen und der Völker, werden
diese Prüfung bestehen.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, der Herr Bundeskanzler hat schon darauf
hingewiesen: Auf der Tribüne hat der Botschafter der
Vereinigten Staaten von Amerika, Herr Dan Coats, mit
seiner Gemahlin Platz genommen.
Wir sind dankbar für die Gelegenheit, ihm von dieser
Stelle aus unsere Trauer um die Opfer, unser Mitgefühl
mit ihren Angehörigen und unsere Solidarität mit dem
ganzen amerikanischen Volk übermitteln zu können.
Das Wort hat nun der Vorsitzende der CDU/CSU-Frak-
tion, Friedrich Merz.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben am gestri-
gen Tag zutiefst erschüttert die Tragödie verfolgt, die das
amerikanische Volk durch mehrere verabscheuungswür-
dige Terroranschläge getroffen hat. Wir sind entsetzt und
fassungslos: Wir ringen um Worte für Dinge, die sich
nicht in Worte fassen lassen. Diese Fernsehbilder werden
wir nicht vergessen.
Die schrecklichen Anschläge haben nicht nur unsere
amerikanischen Freunde getroffen, sie haben uns alle ge-
troffen. Sie sind ein Angriff auf die Zivilisation, auf die
Freiheit und auf die Offenheit unserer Gesellschaften. Sie
sind ein Angriff auf die Grundwerte, die das friedliche Zu-
sammenleben der Völker und der Menschen überhaupt
erst möglich und das Leben der Menschen wertvoll ma-
chen. Das Böse schlechthin, Menschenverachtung und
Barbarei haben uns gestern angegriffen.
Wir stehen in diesen schwersten Stunden an der Seite
Amerikas. Wir wissen, wo unser Platz ist. Wir alle säßen
heute nicht hier, im Deutschen Bundestag in Berlin, wenn
nicht die Amerikaner vor 50 Jahren Solidarität mit uns
Deutschen gezeigt hätten.
Ich meine, dass niemand in der Welt so viel Grund hat,
nun Solidarität mit Amerika zu zeigen, wie wir. Wir beten
für die Opfer, für ihre Angehörigen und für das ganze
amerikanische Volk. Jeder parteipolitische Streit hat jetzt
in unserem Lande zurückzustehen. Unseren amerikani-
schen Freunden sind wir in tiefer Anteilnahme und fester
Freundschaft, gerade jetzt, besonders nahe.
Ich erteile dem Vor-
sitzenden der SPD-Fraktion, Peter Struck, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Der Schmerz, das Entsetzen und die Fas-
sungslosigkeit sind weltweit. Wir trauern um Tausende von
Toten in den USA, in New York und Washington. Die Bil-
der dieser nie geahnten Brutalität werden uns nicht mehr
loslassen, sie werden uns unser ganzes Leben begleiten.
Wir trauern, weil wir gestern die Abkehr von jeglichen
zivilisierten Werten erlebt haben. Flugzeuge, besetzt mit
friedlichen Menschen, wurden umgemünzt in mörderi-
sche Projektile. Die Angriffe waren eine Kriegserklärung
an die Werte der demokratischen und zivilisierten Welt.
Ihre Folgen können wir noch nicht abschätzen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2001
Bundeskanzler Gerhard Schröder
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Unser tiefes Mitgefühl gilt allen, die gestern in New
York oder in Washington aus ihrem friedlichen Leben in
sinnlose Vernichtung gerissen worden sind. Unsere Ge-
danken und unsere Solidarität gehören dem amerikani-
schen Volk, das durch mörderische Kräfte angegriffen
worden ist. Wir alle müssen wissen, dass die Angriffe
nicht nur Tausende von Amerikanern getötet haben, son-
dern dass sie auch die gesamte Welt getroffen haben.
Heute sind wir alle Amerikaner.
Viele unserer Mitbürger haben in der letzten Nacht in
Trauergottesdiensten, in Gebeten sowie in von Entsetzen
und Verzweiflung geprägten Gesprächen dieses GAUs
gegen die Humanität gedacht. Sie haben die Nähe zu
Freunden, Nachbarn und Mitmenschen gesucht, um des
Unfassbaren Herr zu werden. Wir haben gestern erfahren,
wie verletzbar die von uns geschaffene Ordnung ist. Wir
haben erfahren, dass das 21. Jahrhundert hinter den Bru-
talitäten der Vergangenheit nicht zurücksteht. Wir alle ah-
nen, dass sich die Weltordnung seit gestern verändert hat.
Zusammen mit der Bundesregierung versichern wir
unseren amerikanischen Freunden, dass wir sie in diesen
Stunden nicht alleine lassen. Unsere Gedanken und un-
sere Gefühle sind bei den Opfern, bei deren Angehörigen
und bei allen, die genauso fassungslos wie wir sind. Ge-
meinsam mit dem amerikanischen Volk werden wir alles
tun, um den teuflischen Kräften das Handwerk zu legen.
Ich erteile das Wort
dem Vorsitzenden der FDP-Fraktion, Dr. Wolfgang
Gerhardt.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Nach den großen Veränderungen im
ausgehenden letzten Jahrhundert hat Joachim Fest einmal
geschrieben, ob sich die freien Gesellschaften ausreichend
klar über die Voraussetzungen ihrer freiheitlichen Existenz
seien. Dabei ging es ihm um das Bewusstsein, das wir ges-
tern angegriffen fühlten, um eine Zivilisation, die auf ei-
nem Grundbestand von Regeln für menschliches Maß
fußt, die aber auch ein scharfes und waches Bewusstsein
für die großen Gefährdungen hat, die von Menschen aus-
gehen können. Fest schrieb nahezu wörtlich : Eine Zi-
vilisation braucht befestigte Linien, die niemandem preis-
gegeben werden dürfen. Darum geht es. Es geht uns und
unseren amerikanischen Freunden um diesen Kern des ge-
meinsamen Nenners, der Deutschland aus seiner größten
Katastrophe herausgebracht hat und eine gefestigte trans-
atlantische Partnerschaft begründet hat, die wir nicht zer-
schlagen lassen werden, durch wen auch immer.
Heute, einen Tag nach einem unbegreiflichen, unfass-
baren und unvorstellbaren Anschlag, der unsere amerika-
nischen Freunde getroffen hat, der aber uns allen galt,
müssen wir jenseits aller Diskussionen wieder auf den
Kern zurückkommen. Wir müssen wissen, wo wir stehen,
ohne jeden Schnörkel. Dies heißt, dass der gestrige An-
schlag auch ein Anschlag auf unsere Zivilisation, auf un-
sere Werte, auf unser Leben, auf alle Menschen war, die
in freiheitlichen Gesellschaften leben. Deshalb steht für
die Freie Demokratische Partei außer Frage: Wir sind an
der Seite der Vereinigten Staaten von Nordamerika und
wir bleiben an ihrer Seite. Wir fühlen mit unseren Freun-
den in Nordamerika und wir trauern mit den Familien um
ihre Toten.
Wir sind heute nicht in der Lage, wirklich zu erkennen,
wer für diesen feigen Mord an Menschen verantwortlich
ist. Wir wissen nur eines: Der Geist der Menschen, die für
den Anschlag verantwortlich sind, darf niemals obsiegen.
Freiheitliche Demokratien sind zwar empfindlich. Sie
sind auch leicht zu gefährden und sie sind verwundbar.
Aber sie sind letztlich nicht wehrlos. Wir werden in der
Lage sein, uns am Ende zu behaupten sowie Gewalt und
Unterdrückung zurückzuweisen, weil es keine Alternative
dazu gibt.
Es klingt jetzt groß und die Menschen, die uns bei die-
sen ersten Stellungnahmen vielleicht zusehen, werden an-
gesichts der Dramatik des Ereignisses Skepsis haben.
Aber wir müssen ihnen sagen das ist unsere Überzeu-
gung : Wir sind davon überzeugt, wie es der amerikani-
sche Präsident ausgedrückt hat, dass wir, die Menschen,
die in Freiheit leben wollen, die sich gegenseitig res-
pektieren wollen, die Toleranz üben und die Probleme
friedlich lösen wollen, gewinnen werden, weil wir sonst
überhaupt nicht zuversichtlich leben können.
Wir wollen ihnen aber auch sagen, in welchem Stil wir
das tun. Wir wollen als Vertreter unterschiedlicher Kräfte
unseren deutschen Mitbürgerinnen und Mitbürgern sa-
gen: Wir wollen das gemeinsam tun. Wir, das sind die Ver-
treter, aber auch die Mitglieder der demokratischen Par-
teien, denen wir angehören, die demokratisch gewählte
legitimierte Regierung der Bundesrepublik Deutschland
sowie die Europäische Union. Wir, das sind am Ende die
Deutschen und die Amerikaner, weil uns eine gemein-
same Geschichte verbindet. In einer globalisierten Welt
muss jeder wissen, dass seine Haltung, seine Reaktion,
seine Entscheidungen zugleich viele Menschen überall
auf diesem Erdball mit betreffen. Niemand kann so tun,
als hätte er in seinen eigenen Entscheidungen und in sei-
ner Haltung nicht auch zugleich ganz persönliche Ver-
antwortung für die Geschicke der ganzen Menschheit.
Das müssen wir nach einem solchen Ereignis eindringlich
in das Bewusstsein der Öffentlichkeit hineinbringen.
Ich hoffe, wir alle hoffen, dass unsere amerikanischen
Freunde spüren, dass trotz unterschiedlicher Lagebe-
wertungen, die wir oft hatten, und manchmal trotz der
Erwartung feinfühligerer Reaktionen bei einer großen
Macht, aber auch gleichzeitig der Erwartung der Verei-
nigten Staaten von Amerika, denen Europa so kompliziert
erschien, dass wir doch manche Fragen weltweit klarer
beantworten Meinungsverschiedenheiten und unter-
schiedliche Lageeinschätzungen angesichts eines solchen
Ereignisses gewaltig an Bedeutung verlieren. Ich hoffe,
dass sie spüren, dass sie durch eigenes Engagement in ei-
ner schwierigen Situation unserer Geschichte in Deutsch-
land wirklich einen großen Freund gewonnen haben, der
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2001
Dr. Peter Struck
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auch dauerhaft und überzeugt an ihrer Seite bleibt und mit
ihnen fühlt.
Wir verneigen uns vor den Toten und sprechen ihren
Familien und dem amerikanischen Volk unser Mitgefühl
aus.
Ich erteile das Wort
dem Vorsitzenden der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen,
Rezzo Schlauch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fassungslos
haben wir den gestrigen Tag erlebt. Nach wie vor gibt es
keine Worte, die der Dimension von menschenverach-
tender Gewalt und Terror gerecht werden können. So
schrecklich die Bilder sind, sie können nur einen vagen
Eindruck davon geben, was den unschuldigen Opfern in
Washington und New York tatsächlich geschehen ist: Tau-
sende von Toten in der Zivilbevölkerung, unter Frauen
und Männern bei der Arbeit oder auf dem Weg zur Arbeit,
unter Kindern auf dem Weg zur Schule, Schockwellen bei
denjenigen, die dem Inferno entkamen.
Die Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion und die
Mitglieder unserer Partei denken an die Opfer und die An-
gehörigen und sprechen ihnen unser tiefes Mitgefühl und
unser Beileid aus, wohl wissend, dass diese Geste klein
und ohnmächtig ist. Unsere Solidarität gilt dem gesamten
amerikanischen Volk, dem Präsidenten und seiner Regie-
rung.
Diese Terroranschläge treffen unsere amerikanischen
Freunde. Aber gerade die Städte der Vereinigten Staaten
sind Heimat und Aufenthaltsort für viele Menschen aus
aller Welt und so trifft es mit den Opfern und den Ein-
wohnern New Yorks und Washingtons auf ganz reale
Weise die ganze Welt.
Es ist ein Anschlag auf die offene Gesellschaft über-
haupt. Die Tat und die Täter spotten der Demokratie und
der Freiheit, indem sie die Verwundbarkeit offener Ge-
sellschaften demonstrieren, demonstrieren wollen. Ge-
rade wir Deutschen haben den Vereinigten Staaten in der
Entwicklung unseres Landes zu einer weltoffenen und li-
beralen Demokratie viel zu verdanken. Das wissen wir
und umso klarer und umso entschiedener stehen wir des-
halb in diesen Stunden zu unseren amerikanischen Freun-
den und zum amerikanischen Volk.
Dieser 11. September wird die Welt verändern; er hat
sie schon verändert. Und es ist schwer, den Umfang die-
ser Veränderung heute zu ermessen. Seien wir uns be-
wusst, dass auf die internationale Staatengemeinschaft,
auf Europa, auch auf diese Regierung und dieses Parla-
ment eine große Herausforderung zukommt, und stehen
wir zusammen, dass wir sie alle gemeinsam und gemein-
sam mit dem amerikanischen Volk bewältigen.
Ich erteile das Wort
dem Vorsitzenden der PDS-Fraktion, Roland Claus.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Wir alle sind gut beraten, den Atem anzuhal-
ten. Alle Worte erscheinen zu schwach, das Ausmaß dieses
kriegerisch-terroristischen Anschlags zu erfassen. Ohn-
macht, Wut und Trauer verbinden Europa und Amerika.
Wir empfinden tiefes Mitgefühl und Solidarität mit den
Bürgerinnen und Bürgern der Vereinigten Staaten und den
politisch Verantwortlichen in den USA. Wir bemühen uns,
ihre Gefühle, ihr Entsetzen zu verstehen. Ich sage dies für
eine demokratisch-sozialistische Linke in Deutschland,
die sich bekanntlich oftmals kritisch zur Politik der USA
verhält, die aber diese Kritik weder heute noch früher als
Antiamerikanismus verstanden hat.
Nichts, absolut nichts rechtfertigt den kriegerischen
Akt einer noch anonymen Macht. Es ist ein Anschlag auf
die zivile Gesellschaft, auf Kultur und Humanität. Es hat
das Herz nicht nur der amerikanischen, sondern auch der
Weltgesellschaft getroffen. Ich möchte, dass wir noch
eine Weile den Atem anhalten, noch eine Weile in der
Stille der Nachdenklichkeit verweilen. Wir müssen unser
Entsetzen verarbeiten. Wir müssen uns besinnen, um be-
sonnen handeln zu können, gerade weil die zivilen Struk-
turen der Weltgesellschaft gegen Gewalt, Willkür und
Menschenverachtung zu verteidigen sind. Es geht um
nichts Geringeres als um den Frieden in einer Welt, die
ihren Frieden noch immer nicht gefunden hat. Für alle
Verantwortlichen, für alle Menschen hoffen wir auf
Weisheit, Klugheit und Besonnenheit auf diesem Weg. In
diesen Tagen entscheidet sich, wie zivilisiert die zivili-
sierte Welt ist.
Wir ahnen, dass der gestrige Tag eine tiefe Zäsur im
Sicherheitsdenken der letzten Jahrzehnte ist; gingen doch
so viele davon aus, dass eine Sicherheit gegen alle Un-
wägbarkeiten möglich sei. Heute wissen wir: Sie ist nicht
möglich. Nachzudenken über eine Sicherheit, die men-
schenmöglich ist und dabei menschlich bleibt, über eine
Sicherheit, die dem Recht folgt und gerecht sein will, über
eine Sicherheit, die freiheitlich und auf Ausgleich bedacht
ist, das ist das Gebot der Stunde.
Die Regierungen und Parlamente allein werden das
nicht schaffen. Um dieser Herausforderung gerecht zu
werden, brauchen wir all die Gedanken der Wissenschaft,
der Kultur; wir brauchen den Dialog mit der Bevölkerung
unseres Landes und den Austausch der Weltgemeinschaft,
deren Herz dieser Angriff getroffen hat.
Meine Damen und Herren, Amerika hat in diesen Stun-
den diese Solidarität über Parteigrenzen hinweg nötig und
Amerika soll wissen: Über alle politischen Differenzen
hinweg wird es diese Solidarität auch geben.
Ich erteile dem
Ersten Stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktion der
CDU/CSU, Michael Glos, das Wort.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2001
Dr. Wolfgang Gerhardt
18296
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Dieser Tag sieht die Menschen in
Deutschland in Trauer und Mitgefühl vereint mit unseren
Freunden in Amerika. Wir alle sind entsetzt und bestürzt.
Wir empfinden den tiefen Einschnitt durch diese
abgrundtief böse und verabscheuungswürdige Tat. Der
Bundeskanzler hat dem Präsidenten der Vereinigten
Staaten und dem ganzen amerikanischen Volk die
uneingeschränkte Solidarität unseres Landes und seiner
Menschen versichert. Wir schließen uns dem ausdrück-
lich an. Mit allen Gedanken und dem ganzen Herzen sind
wir bei den vielen Tausenden Opfern und ihren Familien
und wir werden für sie beten.
Dieser Tat aus der Hölle müssen wir die Solidarität der
zivilisierten und der freien Welt entgegensetzen. Hier in
Berlin erinnert das Luftbrückendenkmal an die großher-
zige Hilfsbereitschaft unserer amerikanischen Freunde
für Menschen, die in Not waren und deren Freiheit be-
droht war. Wir Deutschen haben gewaltige Freundschaft
erfahren dürfen. Wir wollen in dieser Stunde des Grauens
diese Freundschaft aus tiefster Überzeugung erwidern
und wir müssen auch bereit sein, alle Mittel unseres Lan-
des einzusetzen, um zu helfen, wo wir helfen können.
Hierbei kann es uns durchaus passieren, dass wir noch
stärker gefordert werden, als wir es heute wissen.
Vieles wird nach dieser feigen und furchtbaren Tat anders
sein. Unser gemeinsamer Einsatz für Freiheit und Recht, ge-
gen Terror und Verblendung darf aber niemals zu erschüt-
tern sein. Der Terror kann Leid und Zerstörung über viele
Menschen bringen; aber die Ideen der Freiheit und der Ge-
rechtigkeit und der Zivilisation darf er niemals zerstören.
Die Anschläge in New York und Washington stellen
auch bei uns die Fragen der Sicherheit neu und sie haben
uns allen unsere Verletzlichkeit bewusst gemacht. Aus die-
ser Stunde der Solidarität der Demokraten wollen wir ge-
meinsam den festen Willen mitnehmen, auch die nötigen
Prioritäten für die Sicherheit unseres Landes und seiner
Menschen, unserer Verbündeten und Freunde zu setzen.
Ich danke Ihnen.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Sitzung ist damit geschlossen.