Protokoll:
14161

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 161

  • date_rangeDatum: 29. März 2001

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:54 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Nachträgliche Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Hubert Deittert und Dr. Jürgen Meyer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15651 A Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 15651 A Absetzung der Tagesordnungspunkte 4 a bis d, 5 sowie 16 a und b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15651 D Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 15652 A Jörg van Essen F.D.P. (zur GO) . . . . . . . . . . . 15653 A Alfred Hartenbach SPD (zur GO) . . . . . . . . . 15653 C Hans-Peter Repnik CDU/CSU (zur GO) . . . . 15655 A Dr. Heidi Knake-Werner PDS (zur GO) . . . . . 15656 A Tagesordnungspunkt 3: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Neugliede- rung, Vereinfachung und Reform des Mietrechts (Mietrechtsreformgesetz) (Drucksachen 14/4553, 14/5663) . . . . 15656 D – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rainer Funke, Michael Goldmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verein- fachung des Mietrechts (Mietrechts- vereinfachungsgesetz) (Drucksachen 14/3896, 14/5663) . . . . 15656 D Dirk Manzewski SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15657 A Ronald Pofalla CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 15659 C Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15662 A Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15663 C Christine Ostrowski PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 15665 C Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 15667 D Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU . . . . . . . . 15669 C Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15671 D Wolfgang Spanier SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15674 A Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . . . . 15675 C Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU 15677 A Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15679 A Christine Ostrowski PDS . . . . . . . . . . . . . 15681 A Eduard Lintner CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 15682 C Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 15683 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 15685 D Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15688 D Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Fraktion der CDU/CSU: Sofor- tige Entlassung des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- cherheit Jürgen Trittin (Drucksache 14/5573) . . . . . . . . . . . . . . . 15686 A Friedrich Merz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 15686 A Dr. Peter Struck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15691 B Dr. Guido Westerwelle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . 15693 D Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15695 D Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15698 D Dr. Heiner Geißler CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 15700 A Dr. Werner Müller, Bundesminister BMWi 15700 C Plenarprotokoll 14/161 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 161. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29. März 2001 I n h a l t : Dr. Theodor Waigel CDU/CSU . . . . . . . . . . . 15702 B Anke Fuchs (Köln) SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 15704 B Dr. Theodor Waigel CDU/CSU . . . . . . . . . . . 15707 A Dr. Guido Westerwelle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . 15707 A Anke Fuchs (Köln) SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 15707 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 15708 C Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15711 D Tagesordnungspunkt 20: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Sozialgesetzbuchs – Neuntes Buch – (SGB IX) Rehabilitation und Teil- habe behinderter Menschen (Drucksachen 14/5531, 14/5639) . . . . 15708 D b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Staatsan- gehörigkeitsgesetzes (Drucksache 14/5654) . . . . . . . . . . . . . 15709 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren Antrag der Abgeordneten Annette Faße, Hans-Günter Bruckmann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Helmut Wilhelm (Am- berg), Albert Schmidt (Hitzhofen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Poten- ziale im Wasserstraßentransport um- welt- und naturverträglich nutzen – In- termodalität stärken (Drucksache 14/5667) . . . . . . . . . . . . . . . 15709 A Tagesordnungspunkt 21: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache a) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 12. April 1999 zum Schutz des Rheins (Drucksachen 14/4674, 14/5282) . . . . 15709 B b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Sicherstellung der Nachsorgepflichten bei Abfalllagern (Drucksachen 14/4926, 14/5633) . . . . 15709 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Ingrid Arndt-Brauer, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD so- wie der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Frak- tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Neunundzwanzigs- ter Rahmenplan der Gemeinschafts- aufgabe „Verbesserung der regiona- len Wirtschaftsstruktur“ für den Zeitraum 2000 bis 2003 (2004) (Drucksachen 14/4623, 14/3250, 14/5185) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15709 C Zusatztagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde betr. Verantwortung der Bundesregierung für die Begleitumstände des ersten rot-grünen Castortransports 15710 A Dr. Peter Paziorek CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 15710 B Horst Kubatschka SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15714 A Walter Hirche F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15715 B Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15716 C Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15718 C Hans-Peter Kemper SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 15719 B Hans-Otto Wilhelm (Mainz) CDU/CSU . . . . 15720 C Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 15721 D Dr. Jürgen Gehb CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 15723 B Arne Fuhrmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15724 B Franz Obermeier CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 15725 D Otto Schily, Bundesminister BMI . . . . . . . . . 15726 D Kurt-Dieter Grill CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 15728 C Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . . 15729 D Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15731 A Tagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Tourismus zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung: Tou- rismuspolitischer Bericht der Bundes- regierung (Drucksachen 14/2473, 14/5432 [neu]) . . . 15732 C Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 15732 C Anita Schäfer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 15734 A Sylvia Voß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . 15735 D Ernst Burgbacher F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 15737 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2001II Rosel Neuhäuser PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15738 C Renate Gradistanac SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 15739 C Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 15740 D Renate Gradistanac SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 15741 B Klaus Brähmig CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 15742 B Birgit Roth (Speyer) SPD . . . . . . . . . . . . . . . 15744 B Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 15745 A Ernst Burgbacher F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 15746 D Birgit Roth (Speyer) SPD . . . . . . . . . . . . . . . 15747 A Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Karin Rehbock- Zureich, Hans-Günter Bruckmann, wei- terer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD sowie der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Die Bahnreform fort- führen und die Zukunft der Schiene in Deutschland sichern (Drucksache 14/5665) . . . . . . . . . . . . 15747 B b) Antrag der Abgeordneten Eduard Oswald, Dirk Fischer (Hamburg), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Gewährleistung des Schie- nenpersonenfernverkehrs (Drucksache 14/5451) . . . . . . . . . . . . 15747 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Gewährleistung des Schienen- personenfernverkehrs (Bundesschienen- personenfernverkehrsgesetz) (Drucksache 14/5662) . . . . . . . . . . . . . . . 15747 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Karlheinz Guttmacher, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Eisenbahnpolitische Reformschritte zügig einleiten (Drucksache 14/5666) . . . . . . . . . . . . . . . 15747 D Karin Rehbock-Zureich SPD . . . . . . . . . . . . . 15747 D Dirk Fischer (Hamburg) CDU/CSU . . . . . . . 15749 D Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15751 D Horst Friedrich (Bayreuth) F.D.P. . . . . . . . . . 15753 A Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 15754 C Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15755 C Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15756 A Eduard Lintner CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 15757 C Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15758 C Tagesordnungspunkt 7: Große Anfrage der Abgeordneten Horst Friedrich, Hans-Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Referenzstrecke für den Transrapid (Drucksachen 14/2734, 14/4025) . . . . . . . 15759 B Horst Friedrich (Bayreuth) F.D.P. . . . . . . . . . 15759 C Reinhold Hiller (Lübeck) SPD . . . . . . . . . . . 15760 C Dr. Hermann Kues CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 15762 A Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15764 A Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 15764 B Tagesordnungspunkt 11: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Künftige Gestaltung der Standortwer- bung zur Gewinnung ausländischer In- vestitionen für Deutschland (Drucksache 14/4240) . . . . . . . . . . . . . . . 15764 D Dr. Ditmar Staffelt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 15765 A Gunnar Uldall CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 15766 B Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15768 A Walter Hirche F.D.P . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15769 A Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15769 D Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 15770 D Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Dagmar Wöhrl, Christian Schmidt (Fürth), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Strukturpolitische Verantwortung für Bundeswehrstandorte übernehmen, die die Bundesregierung schließen oder ver- kleinern will (Drucksache 14/5550) . . . . . . . . . . . . . . . 15771 D in Verbindung mit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2001 III Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Günther Nolting, Ina Albowitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Hilfe durch den Bund für die von Reduzierung und Schließung betroffenen Bundeswehr- standorte ist unverzichtbar (Drucksache 14/5467) . . . . . . . . . . . . . . . 15772 A Kurt J. Rossmanith CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 15772 B Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 15773 C Ulrich Adam CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 15774 D Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . . . . . . . . . 15775 C Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15776 C Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15778 A Christian Müller (Zittau) SPD . . . . . . . . . . . . 15779 A Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . . 15780 D Tagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüber- führungsgesetzes (2. AAÜG-Änderungs- gesetz) (Drucksache 14/5640) . . . . . . . . . . . . . . . 15782 B Ulrike Mascher, Parl. Staatssekretärin BMA 15782 C Claudia Nolte CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 15783 D Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P. . . . . . . . . . . . . 15785 C Monika Balt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15786 B Renate Jäger SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15787 B Tagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Neuregelung von Beschränkun- gen des Brief-, Post- und Fernmelde- geheimnisses (Drucksache 14/5655) . . . . . . . . . . . . . . . 15788 C Tagesordnungspunkt 13: Zweite und dritte Beratung des von den Ab- geordneten Christina Schenk, Christine Ostrowski, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Drit- ten Buches Sozialgesetzbuch (... SGB III- Änderungsgesetz) (Drucksachen 14/3227, 14/5354) . . . . . . . 15788 C Christina Schenk PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15788 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15789 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 15791 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Rita Grießhaber, Dr. Helmut Lippelt, Christa Nickels, Dr. Antje Vollmer, Hans-Josef Fell, Oswald Metzger (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Antrag: Sofortige Entlas- sung des Bundesministers für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit Jürgen Trittin (Drucksache 14/5573) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15791 C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ände- rung und Ergänzung des Anspruchs- und An- wartschaftsüberführungsgesetzes (2. AAÜG- Änderungsgesetz – 2. AAÜG-ÄndG), (Tages- ordnungspunkt 10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15791 D Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15791 D Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Post- und Fern- meldegeheimnisses (Tagesordnungspunkt 12) 15793 A Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU . . . . . . . . . . . 15793 B Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15794 A Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P. . . . . . . . . . 15795 A Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15795 C Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 15796 C Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (... SGB III- Änderungsgesetz – ... SGB III-ÄndG), (Tages- ordnungspunkt 13) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15798 A Renate Rennebach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 15798 A Heinz Schemken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 15799 A Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15800 A Dirk Niebel F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15800 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2001IV Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2001
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2001 Christina Schenk 15789 (C) (D) (A) (B) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2001 15791 (C) (D) (A) (B) Adam, Ulrich CDU/CSU 29.03.2001** Behrendt, Wolfgang SPD 29.03.2001*** Berninger, Matthias BÜNDNIS 90/ 29.03.2001 DIE GRÜNEN Bodewig, Kurt SPD 29.03.2001 Glos, Michael CDU/CSU 29.03.2001 Goldmann, F.D.P. 29.03.2001 Hans-Michael Heil, Hubertus SPD 29.03.2001 Hempelmann, Rolf SPD 29.03.2001 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 29.03.2001 DIE GRÜNEN Holetschek, Klaus CDU/CSU 29.03.2001 Dr. Hornhues, CDU/CSU 29.03.2001*** Karl-Heinz Hörster, Joachim CDU/CSU 29.03.2001 Ibrügger, Lothar SPD 29.03.2001 Irber, Brunhilde SPD 29.03.2001 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 29.03.2001 Klappert, Marianne SPD 29.03.2001 Lensing, Werner CDU/CSU 29.03.2001 Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 29.03.2001 Erich Neumann (Gotha), SPD 29.03.2001 Gerhard Robbe, Reinhold SPD 29.03.2001 Schloten, Dieter SPD 29.03.2001 Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 29.03.2001 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 29.03.2001 Hans Peter Schröder, Gerhard SPD 29.03.2001 Dr. Schuster, SPD 29.03.2001 R. Werner Dr. Thomae, Dieter F.D.P. 29.03.2001 Dr. Tiemann, Susanne CDU/CSU 29.03.2001 Dr. Volmer, Ludger BÜNDNIS 90/ 29.03.2001 DIE GRÜNEN Wegener, Hedi SPD 29.03.2001 Wiefelspütz, Dieter SPD 29.03.2001 Wistuba, Engelbert SPD 29.03.2001 Wohlleben, Verena SPD 29.03.2001 Wolf, Aribert CDU/CSU 29.03.2001 Zierer, Benno CDU/CSU 29.03.2001** ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates *** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union ***** für die Teilnahe an der 105. Jahreskonferenz der Interparla- mentarischen Union Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Rita Grießhaber, Dr. Helmut Lippelt, Christa Nickels, Dr. Antje Vollmer, Hans-Josef Fell, Oswald Metzger (alle BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Antrag: Sofortige Entlassung des Bundesmi- nisters für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- cherheit Jürgen Trittin (Drucksache 14/5573) Wir lehnen den vorliegenden Antrag ab, weil wir nach unserem Parlamentsverständnis es weder der Opposition noch dem Kanzler überlassen wollen, die Auseinander- setzungen mit bündnisgrünen Mitgliedern des Kabinetts zu führen. Im Übrigen lehnen wir eine Stil der Auseinanderset- zungen ab, der politische Gegner in ihrer Person herab- würdigt. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurf eines Zweiten Geset- zes zur Änderung und Ergänzung des An- spruchs- und Anwartschaftsüberführungsgeset- zes (2.AAÜG-Änderungsgesetz – 2.AAÜG-ÄndG) (Tagesordnungspunkt 10) Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das hier vorliegende 2. AAÜG-ÄndG wurde auf entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht ***** Grundlage der Urteile des Bundesverfassungsgerichts erarbeitet. Wir halten uns damit streng an die Vorgaben des Gerichturteils des Bundesverfassungsgerichts. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat am 28. April 1999 zur Verfassungsmäßigkeit der Über- führung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der DDR in die gesetz- liche Rentenversicherung vier Urteile verkündet. Das Leit- urteil setzt sich mit der Verfassungsmäßigkeit der Sys- tementscheidung – Überführung in die gesetzliche Ren- tenversicherung –, die weiteren drei Urteile setzen sich mit der Zahlbetrags- und Entgeltbegrenzung des AAÜG sowie mit der Regelung des § 307b SGB VI auseinander. Um klar zu stellen: Die so genannte Systementschei- dung wurde vom Bundesverfassungsgericht gebilligt und wird auch von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nicht infrage gestellt. Denn nach den Vorgaben des Einigungs- vertrages wurden die in den Zusatz- und Sonderversor- gungssystemen der DDR erworbenen Ansprüche und An- wartschaften in die gesetzliche Rentenversicherung überführt. Wir sehen es als folgerichtig und gerecht an, dass die in der Rentenversicherung geltenden Grundsätze, Renten auf Basis der versicherten Entgelte eines ganzen Lebens zu zahlen, auch auf Personen angewandt werden, die in der DDR in Zusatz oder Sonderversorgungssyste- men versichert waren. Was bedeutet dieses Gesetz und wem nützt dieses Ge- setz? Das Gesetz sieht, wie vom Bundesverfassungsge- richt vorgeschrieben, Leistungsverbesserungen bei den rentenrechtlichen Beschäftigungszeiten bei der Deut- schen Reichsbahn und der Deutschen Post vor. Künftig sollen für von März 1971 bis Dezember 1973 bei der Deutschen Reichsbahn oder der Deutschen Post zurück- gelegte Beschäftigungszeiten bis zu 1 250 DM monatlich anrechenbar sein. Für Personen, die am 1. Januar 1974 be- reits zehn Jahre in einem der beiden Bereiche beschäftigt waren, soll ein Arbeitsverdienst bis zu dieser Höhe sogar bis Juni 1990 anrechenbar sein. Das kostet natürlich auch Geld. Die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Leistungsverbesserungen führen bei Bund und bei den Ländern zu Mehrausgaben für Nachzahlungen bis zum 30. April 1999 in Höhe von rund 690 Millionen DM und zu laufenden, jährlichen Mehraufwendungen in Höhe von rund 325 Millionen DM. In Hunderten von Briefen, die wir in den letzten Mo- naten bekommen haben, wird uns vorgeworfen, wir be- trieben ein „Rentenstrafrecht“. Ich möchte die Gegen- frage stellen: Sollen wir wirklich gerade diejenigen, die in der ehemaliger DDR schon privilegiert waren, belohnen? Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist der Grund, warum wir nicht, wie es hier von der PDS gefordert wird, über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hi- nausgehen und weitere Verbesserungen für ehemalig Pri- vilegierte beschließen. Wir haben in diesem Gesetz Ver- besserungen vorgesehen, die uns das Urteil zwingend vorgibt. Sie haben alle in den letzten Wochen die Schlagzeilen in der Bildzeitung gesehen, die genau ausgerechnet ha- ben, wie viel Rente Margot Honecker, Egon Krenz und Markus Wolf mehr bekommen. Ich darf Sie daran erin- nern, dass Margot Honecker 45 000 DM bzw. 400 DM und Markus Wolf 30 000 DM mehr Rente bekommen sol- len. Ich frage noch mal: Wollen wir hier noch eins drauf- setzen, wie es die PDS fordert? Steht nicht die Lösung viel drängenderer Probleme an, wie die Beseitigung der Ar- beitslosigkeit im Osten, die Bereitstellung einer intakten Infrastruktur und eine gute Aus- und Weiterbildung für die Jungen? Bündnis 90/Die Grünen sind der Meinung, eine Besserstellung der Privilegierten ist nicht vertretbar, so- lange eine angemessene Entschädigung der Opfer des SED-Regimes noch aussteht. Liebe Kolleginnen und Kol- legen, der richtige Blickwinkel für diese Debatte ist der Blickwinkel der Opfer. Auch die Union hat sich für eine stärkere rentenrechtliche Aufwertung von Opfern ausge- sprochen. Wie ist Ihre kritische Haltung jetzt zu verste- hen? Der PDS ist das im Gesetz Enthaltene noch nicht ge- nug und vertritt diejenigen, denen das hier im Gesetz Ent- haltene noch nicht genug ist. Damit macht sie sich zum Vertreter der Interessen der vormals Privilegierten, zum Teil auch der Täter. Die PDS fordert ausdrücklich, dass die „Eigentumspositionen der Betroffenen im Verhältnis zu den übrigen Rentnern im Osten“ gehalten werden müs- sen und dass wir als der Gesetzgeber dafür Sorge zu tra- gen haben. Dafür ein Beispiel: Die PDS fordert die Dy- namisierung des besitzgeschützten Betrags also der Rente, die aus Gründen des Vertrauensschutzes auf Grundlage des Rechts der DDR gezahlt wird – mit dem aktuellen Rentenwert Ost ab 1. Januar 1992 statt ab 1. Juli 1992. Dies würde zu einer deutlich stärkeren Stei- gerung führen als bei einer Dynamisierung gemäß dem Rentenwert West. Das BSG hat hierzu eine klare Ent- scheidung getroffen und die Dynamisierung mit dem Ren- tenwert West vorgeschlagen. Eine Dynamisierung mit dem Rentenwert Ost kommt allein deshalb nicht in Be- tracht, weil der Zahlbetrag der Rente solange besitzge- schützt sein sollte, wie sich durch die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation in den neuen Bundesländern auch höhere Renten nach dem SGB VI ergeben hätten. Nebenbei bemerkt: Die Dynamisierung der Renten ist kein Strukturmerkmal der Versicherung der DDR. Die Forderung nach der Dynamisierung mit dem Rentenwert Ost zeigt, dass die PDS will, dass das Rentenrecht der DDR dann zum Zuge kommen soll, wenn es für die Be- troffenen besser wäre. Wenn es höhere Renten verspricht, berufen Sie sich gerne auf das Rentenrecht der BRD. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie müssen sich hier entscheiden und sich nicht aus den unterschiedlichen Ku- chen immer nur die Rosinen herauspicken wollen. Ich möchte im Folgenden auf einige andere Kern- punkte des Gesetzes eingehen: Ein Punkt, der heftig um- stritten ist, ist die Entgeltbegrenzung von MfSlern. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die berücksichtigungsfähi- gen Entgelte für ehemalige Mitarbeiter des MfS entspre- chend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts von 70 Prozent auf 100 Prozent des Durchschnittseinkom- mens angehoben werden. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass Arbeitsentgelte beim Ministerium für Staatssi- cherheit schon dann überhöht waren, wenn sie 70 Prozent des Durchschnittsentgeltes betrugen. Die Bundesregie- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 200115792 (C) (D) (A) (B) rung folgt hier den Vorgaben des Gerichts. Die PDS schlägt vor, die Entgelte für Angehörige des MfS nicht in vorgesehener Weise zu begrenzen. Sie möchte die Hälfte des Entgelts, welches das Durchschnittseinkommen über- steigt, rentenwirksam werden lassen. Dies würde zu einer deutlichen rentenrechtlichen Besserstellung der An- gehörigen des MfS führen. Genau dieser Punkt, der die Besserstellung von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern bedeu- ten würde, ist für uns nicht nachvollziehbar. Auch bei der Entgeltbegrenzung bei Personen, die staatsnahe Funktionen ausgeübt haben, hat das Bundes- verfassungsgericht die geltende Entgeltbegrenzung nicht verworfen. An dieser Bestimmung wollen wir auch fest- halten, solange das Gericht hier eine eindeutige Festle- gung trifft. Hier muss genau differenziert werden. Eine Abgrenzung muss objektiv geschehen. Deshalb muss das Gericht hier eine Abgrenzung vornehmen. Ich sage hier noch einmal deutlich: Es ist nicht Ziel der Fraktion, die Einkommenssituation ehemaliger Staatsnaher zu verbes- sern. Wir betreiben nicht Lobbyarbeit für ehemalige Stasi-Mitarbeiter. Wir setzen die Vorgaben des Bundes- verfassungsgerichts um. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetze zur Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Tagesord- nungspunkt 12) Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Der Gesetzent- wurf der Bundesregierung zur Neuregelung von Be- schränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis- ses liegt seit dem 26. März 2001, also seit drei Tagen vor. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 9. März 2001 zu dem Entwurf Stellung genommen und Empfehlungen ausgesprochen. In ihrer Gegenäußerung hat die Bundes- regierung praktisch alle Änderungsvorschläge des Bun- desrates abgelehnt. Auch wenn die vorgesehenen Änderungen des Geset- zes im Wesentlichen zu begrüßen sind, gibt es doch einige Punkte, die noch verbessert werden müssen. Mit dem vor- liegenden Gesetzentwurf sind Änderungen des G-10- BND-Gesetzes, der Fernmeldeverkehr- Überwachungs- Verordnung und weiterer Gesetze vorgesehen. Entschei- dend sind die Änderungen im G-10-Gesetz. Hier ist zu begrüßen, dass der Katalog von Straftaten in § 3 erweitert wird und Individualkontrollen ermöglicht werden, wenn tatsächlich Anhaltspunkte den Verdacht der Begehung begründen. Die Erweiterung reicht aber nicht aus. Zwar wurden der Tatbestand der Volksverhetzung und einige andere in § 129a StGB genannte Straftaten aufgenommen. Außerdem ist jetzt auch klargestellt, dass die im Rahmen des G 10 gewonnenen Erkenntnisse auch zur Vorbereitung und Durchführung von Verbotsverfah- ren bei verfassungswidrigen Parteien und extremistischen Vereinen genutzt werden können. Es ist aber nicht nach- vollziehbar, warum die Überwachung bei schwersten Straftaten nicht möglich sein soll. Während bei Mord- und Totschlagsdelikten, erpresserischem Menschenraub und Geiselnahme, Brandstiftung, beim Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, bei gefährlichen absichtlichen Ein- griffen in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr, bei beson- ders schweren Fällen der Störung öffentlicher Betriebe und bei Angriffen auf den Luft- und Seeverkehr die Über- wachung möglich ist, soll bei den Straftaten Völkermord, Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel, Herbeiführung einer Explosion durch Kernenergie, gemeingefährliche Vergif- tung, gefährlicher Eingriff in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr und den nicht besonders schweren Fällen der Störung öffentlicher Betriebe eine Überwachung nicht ge- rechtfertigt sein. In der Begründung des Gesetzentwurfs, warum § 315 Abs. 3 StGB – gefährlicher Eingriff in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr – aufgenommen wurde, werden über 50 gefährliche Eingriffe in den Bahnverkehr durch mili- tante Linksextremisten, die Hakenkrallen und Wurfanker zur Störung von Castortransporten eingesetzt haben, ge- nannt. Auch das Untergraben von Gleiskörpern – etwas, was gerade bei diesem Castortransport wieder geschehen ist – muss in der einfachen Begehungsform aufgenommen werden und nicht in der qualifizierten, die nur in Abs. 3 vorgesehen ist. Das muss insbesondere auch unter dem Aspekt gesagt werden, dass heutzutage praktisch jeder ein Handy hat. So können vielleicht die Saboteure des Cas- tortransports leichter gefasst werden. Die aktuellen Ereignisse um den Castortransport pas- sen auch gut, um auf § 4 – Prüf-, Kennzeichnungs- und Löschungspflichten, Übermittlungen, Zweckbindung – einzugehen. Es ist zu begrüßen, dass personenbezogene Daten aus G-10-Maßnahmen in Zukunft nach § 4 Abs. 2 insgesamt verwendet werden dürfen. Es ist aber nicht konsequent, die präventive Übermittlung personenbezo- gener Daten auf das Ziel der Verhinderung und Auf- klärung von bestimmten Straftaten zu begrenzen. Wir ha- ben bisher die Auffassung vertreten, dass der bisherige § 7 Abs. 3 G 10 lediglich ein teilweises Übermittlungs- verbot zu repressiven Zwecken beinhaltet, die Übermitt- lung zu präventiven Zwecken aber nach den allgemeinen Übermittlungsregeln der Verfassungsschutzgesetze er- folgt. § 4 Abs. 3 Nr. 3 erklärt nun die Übermittlung zur Vorbereitung und Durchführung von Partei- und Vereins- verboten ausdrücklich für zulässig. Das ist zu begrüßen. Bei der jetzt vorgesehenen Formulierung wäre jedoch die Übermittlung von Erkenntnissen, dass zum Beispiel an- lässlich einer geplanten Versammlung schwerer Landfrie- densbruch geplant wird, nicht zulässig. Es wäre demnach auch nicht zulässig, Erkenntnisse zu übermitteln, wonach ein bestimmter Skinhead eine bestimmte andere Person überfallen und körperlich misshandeln will. Die Begrenzung der Übermittlung von verfassungs- schutzrelevanten Informationen zwischen den Verfassungs- schutzbehörden auf bestimmte Straftatenkomplexe geht ebenso fehl. Das gilt auch für den Verweis auf § 7 Abs. 4, der dazu führt, dass die Befugnis zur Übermittlung zum Zwecke der Strafverfolgung zu sehr begrenzt ist. Zu- mindest die Möglichkeit der Datenübermittlung zur Straf- verfolgung nach §§ 234, 234a StGB – Menschenraub, Verschleppung –, § 310 StGB – Vorbereitung von Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2001 15793 (C) (D) (A) (B) Explosions- und Strahlenverbrechen – und § 92a AuslG – gewerbs- oder bandenmäßiges Einschleusen von Auslän- dern – muss zulässig bleiben. Zusammenfassend lässt sich also sagen: Mit der Vor- lage dieses Gesetzentwurfs ist zum einen der Entschei- dung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1999 Rechnung getragen worden. Die Gewährleistung des Schutzes personenbezogener Daten ist insoweit ver- schärft worden. Allerdings ist der ganz große Wurf mit dieser Novelle noch nicht gelungen. In einigen Punkten besteht noch Änderungsbedarf. In den Ausschussberatun- gen wird dies sicherlich noch näher zu erörtern sein. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Der vorliegende Änderungsentwurf zum so ge- nannten G 10 ist ein vertretbarer Kompromiss zwischen Sicherheits- und Datenschutzinteressen. Gegenüber dem geltenden Recht bringt die Novelle deutliche Verbesserungen, gestaltet die bestehenden Ab- hörbefugnisse der Dienste grundgesetzkonform und stärkt den Schutz des Grundrechts der Bürgerinnen und Bürger auf informationelle Selbstbestimmung erheblich. Die Ko- alition kommt damit einer Verpflichtung nach, die das Bundesverfassungsgericht dem Parlament aufgegeben hatte, weil die bisherigen gesetzlichen Regelungen ver- fassungswidrig sind. Die Gesetzesnovelle schafft in der Sache keine ent- scheidend neuen Abhörbefugnisse. Teilweise wurde jetzt kritisiert, der Entwurf ermögliche dem Verfassungsschutz eine Überwachung Einzelner nun auch anlässlich von Straftaten jenseits der Staatsschutzdelikte, insbesondere beim Verdacht der Volksverhetzung. Dies war jedoch – leider – ganz überwiegend bereits nach geltendem Recht möglich. So kann der Verfassungsschutz die Kommuni- kation Einzelner schon heute anlässlich des Verdachts so- gar irgendeines Delikts bei vermutetem Gemeinschafts- bezug überwachen, wenn durch die befürchteten Straftaten die demokratische Grundordnung oder die staatliche Existenz gefährdet sind. Nur unter dieser ein- schränkenden Voraussetzung einer konkreten Gefahr, die in der Praxis nur bei gemeinschaftlichem Handeln mehre- rer erfüllt sein wird, ermöglicht nun auch die Gesetzesno- velle Überwachungsmaßnahmen im Falle einiger Kapi- taldelikte und der Volksverhetzung: Diese muss aber schwerwiegend und geeignet sein, den öffentlichen Frie- den zu stören, was bloßes Kneipengeläster und Ähnliches als Anlass ausschließt. Die Datenschutzregelungen und die Kontrollbefug- nisse der G-10-Kommission sowie des Parlamentarischen Kontrollgremiums wurden über das vom Bundesverfas- sungsgericht geforderte Maß hinaus erheblich ausgewei- tet. Wir Grünen empfinden als sehr befriedigend, dass auch die Bundesländer ihre Kontrollregelungen diesem Standard anpassen müssen. Erstaunlich finden wir die aus der F.D.P. – unter ande- rem von der ehemaligen Bundesjustizministerin – nun geäußerte Kritik, die Grünen gäben mit ihrer Zustimmung zu der Novelle ihre rechtsstaatlichen Überzeugungen auf. Bei aller Hochachtung für den seinerzeitigen Rücktritt von Frau Leutheusser-Schnarrenberger als persönlichen Protest gegen den Großen Lauschangriff muss an Folgen- des erinnert werden: Es war ausgerechnet ihre F.D.P., die jenen Erweiterungen der G-10-Abhörbefugnisse 1994 im Bundestag zu der Mehrheit verhalf, welche das Bundes- verfassungsgericht fünf Jahre später als verfassungswid- rig aufgehoben hat. Die F.D.P. hat daher das in Teilen ver- fassungswidrige Gesetz zu verantworten, welches Rot-Grün nun verfassungskonform gestalten muss. In der F.D.P. wird offenbar auf ein sehr kurzes Gedächtnis der Öffentlichkeit gebaut. Soweit der Bundesrat nun auf den Entwurf draufsatteln will und die Überwachungsbefugnisse sowie Datenver- wertungsbefugnisse erheblich auszuweiten verlangte, haben wir diesen Angriff auf das informationelle Selbst- bestimmungsgrundrecht zurückweisen müssen. Die Be- schränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses muß die seltene Ausnahme bleiben und darf nicht zur Standardmaßnahme der Sicherheitsbehörden mutieren. Die Anwendung des überarbeiteten Gesetzes muss ge- nau beobachtet und kritisch begleitet werden. Eine Er- höhung von Zahl und Umfang der Telekommunikations- überwachung darf nicht sein. Die G-10-Kommission kann ihre Aufgabe, die Anlässe und die Ergebnisse der Über- wachung genau zu überprüfen, nun viel besser erfüllen. Sich daraus etwa ergebende Korrekturen müssen zeitnah erfolgen. Bündnis 90/Die Grünen unterstützen den Vor- schlag des Bundesbeauftragten für Datenschutz, die neu- gefassten Befugnisse zunächst auf kurze Dauer befristet zu erproben. Dieser und weitere Verbesserungsforderungen insbe- sondere der Datenschutzbeauftragten von Bund und Län- dern werden in den Ausschussberatungen ernsthaft weiter zu prüfen sein. Dazu gehören die Vorschläge: die Be- nachrichtigungspflicht gegenüber Betroffenen noch strik- ter zu gestalten; dem Bundestagsplenum und dem Parla- mentarischen Kontrollgremium noch detaillierter über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der ange- ordneten Überwachungsmaßnahmen sowie über die Be- nachrichtigung der Betroffenen zu berichten; Überwa- chungen von mutmaßlichen Einzeltätern und losen Gruppierungen jenseits der Staatsschutzdelikte im enge- ren Sinne noch deutlicher auszuschließen; eine Übermitt- lung von G-10-Erkenntnissen nur dem erhebenden Ge- heimdienst selbst unter strikterer Zweckbindung zu gestatten und Ausnahmen der dabei vom Bundesverfas- sungsgericht geforderten Kennzeichnung der G-10-Er- kenntnisse zu streichen; die Voraussetzungen sowie Be- fristungen für die Überwachung in Geiselnahmefällen zu verengen und noch deutlicher von der Einhaltung zwi- schenstaatlicher Regelungen abhängig zu machen; die Obergrenze der strategischen Fernmeldeüberwachung von höchstens 20 Prozent der internationalen Fernmelde- beziehungen herabzusenken. Bei der Neugestaltung all dieser Detailregelung besteht die grüne Grundüberzeugung fort, dass generell Existenz und Tätigkeit der Geheimdienste laufend auf dem Prüf- stand bleiben muss, um die Freiheit der Bürger und Trans- parenz der Gesellschaft zu wahren. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 200115794 (C) (D) (A) (B) Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Manche Ge- setzesvorhaben kommen so harmlos daher, dass man schon genau hinsehen muss, um zu erkennen, was sich wirklich dahinter verbirgt. So ist es auch hier. Wir lesen nämlich im Vorblatt unter „Problem und Ziel“, dass es bei dem Gesetzentwurf vorwiegend darum gehe, den Bean- standungen des Bundesverfassungsgerichts an der vom Bundesnachrichtendienst durchgeführten strategischen Fernmeldeüberwachung Rechnung zu tragen. Das mache eine Änderung des so genannten G-10-Gesetzes in der Tat zwingend notwendig. Weiter heißt es dann: „Zugleich sollen Änderungen im Hinblick auf die fortschreitende technische Entwicklung vorgenommen und Lücken des bisherigen Gesetzes ge- schlossen werden.“ Das klingt zunächst einleuchtend und vernünftig. Es ist aber – das wissen wir alle – in der Politik ein durchaus gängiges Muster: Zunächst wird das Vorhandensein einer Lücke behauptet und dann gesagt, dass die selbstver- ständlich der Schließung bedarf. Schaut man sich näher an, was die rot grünen „Lückenschließer“ vorgelegt haben, stellt sich nämlich heraus, dass es sich unter anderem um ganz erhebliche Er- weiterungen der nachrichtendienstlichen Überwachungs- möglichkeiten handelt und – was noch schwerer wiegt – um die Verkürzung der Rechte von Betroffenen. Dies er- staunt vor allem bei den Grünen. Wir sind ja im Laufe Ih- rer Regierungszeit einiges an politischen Verrenkungsü- bungen gewohnt; aber man wundert sich dennoch immer wieder. Die neue Parteivorsitzende Claudia Roth hat vor noch nicht allzu langer Zeit in einer Pressemitteilung vehement die Auflösung des Bundesnachrichtendienstes, einer „ebenso gefährlichen wie überflüssigen Behörde“ gefor- dert. Jetzt wollen sie und ihre grünen Freunde mit dem vorliegenden Gesetzentwurf dem BND zusätzliche Überwachungsmöglichkeiten einräumen. Einen solchen Sinneswandel erlebt man selbst bei den Grünen nicht alle Tage. Lassen Sie mich noch einige wenige grundsätzliche Bemerkungen zu dem Gesetzentwurf machen, die mir wichtig erscheinen. Man erkennt zwar einen gewissen Fortschritt darin, dass einige datenschutzrechtliche Ver- besserungen vorgenommen werden und die Kontrolle durch die einschlägigen parlamentarischen Gremien auf- gewertet wird. Damit rechtfertigt die Bundesregierung auch die zusätzlichen Befugnisse der Dienste, etwa durch Ausweitung des Straftatenkatalogs oder das Abhören durch den BND bei Gefährdung von Personen im Aus- land. Es ist aber – ich sage das mit aller Vorsicht – mögli- cherweise ein Trugschluss zu glauben, dass man damit die Waage im Gleichgewicht hielte. Wir müssen uns doch wirklich fragen, wie effektiv die parlamentarische Kon- trolle tatsächlich ist und überhaupt sein kann. Das gilt ja auch für andere Eingriffe in den Kommunikationsverkehr, zum Beispiel die Telefonüberwachung. Wie realistisch ist es, dass ein Kontrolleur – sei es ein parlamentarisches Gremium, sei es aber auch ein Richter – eine Überwa- chungsmaßnahme ablehnt oder beendet, wenn er nur den Vortrag der Ämter hören kann? Die Frage ist also, ob die Rechnung „mehr Eingriffsbefugnisse gegen Verbesse- rung der Kontrolle“ tatsächlich aufgeht. Ein anderer wichtiger Punkt betrifft die Wiederein- führung der so genannten Fünfjahresfrist bei der Mittei- lung an Betroffene, die die alte Koalition insbesondere auf Drängen der F.D.P. 1994 aus dem Gesetz gestrichen hatte. Man muss diese Regelung im Zusammenhang mit dem Ausschluss des Rechtsweges in § 13 des Entwurfs lesen. Der Betroffene kann nämlich auch dann rechtlich nichts mehr unternehmen, wenn er zwar von den Abhörmaßnah- men nicht unterrichtet wurde, davon aber auf anderem Wege erfahren hat. Diese Kontrollbeschneidung ist für die F.D.P. nicht akzeptabel und hier kann ich meine Verwun- derung über die angebliche Rechtsstaatspartei Die Grü- nen nur noch verstärken. Insgesamt werden die beteiligten Ausschüsse noch viel Detailarbeit mit dem Gesetzentwurf haben. Aber wir müs- sen uns auch einmal sehr grundsätzlich mit dem Thema Überwachung der Kommunikation einschließlich der neuen Medien und des so genannten Lauschangriffs be- fassen. In Deutschland wird zuviel abgehört und die Kon- trollen sind durchaus verbesserungswürdig. Vielleicht gibt der vorliegende Entwurf Gelegenheit, dieser Frage intensiver nachzugehen. Ulla Jelpke (PDS): Das hier vorgelegte Gesetz ist ein großer Schritt in Richtung Überwachungsstaat und ein schlimmer Rückschlag für die Bürgerrechte. Die Regie- rung behauptet, sie korrigiere nur die Regelungen für Brief-, Post- und Fernmeldekontrolle, die das Verfas- sungsgericht 1999 beanstandet hatte, und ändere nur Re- gelungen, die durch die technologische Entwicklung überholt sind. Das ist eine glatte Täuschung der Öffent- lichkeit. Wenn das Gesetz in der vorliegenden Fassung in Kraft tritt, dann haben sie den Weg frei gemacht für eine Aus- spionierung und Überwachung der Bürgerinnen und Bür- ger durch die Geheimdienste, wie wir sie seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland noch nie hatten. Dann wird in einem Ausmaß abgehört, werden Briefe und Pa- kete in einem Ausmaß geöffnet, Faxe und E-Mails mitge- schnitten wie vermutlich in keinem anderen Land der Welt. Erst Ende des letzten Jahres hat der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Herr Jacob, einen – ich zitiere – „dramatischen Anstieg“ der Telefonüberwachungen fest- gestellt. 12 600 Telefonüberwachungen waren da für 1999 gemeldet worden. Um eine Vergleichszahl zu nennen: 1973 hatte es nur 104 Telefonüberwachungen gegeben. Mit anderen Worten: 1999 wurden schon nach dem alten Gesetz 120 mal so viele Telefone abgehört wie zur hohen Zeit der Verfolgung von RAF, Palästinensern und anderen Oppositionsgruppen Anfang der 70er-Jahre. Die Zahl die- ser Überwachungen steigt derzeit jährlich um 30 Prozent. Alle vier Jahre verdreifacht sich also schon jetzt die Zahl der Lauschangriffe. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2001 15795 (C) (D) (A) (B) Diese Regierung ist angetreten mit der Ankündigung, sie wolle die staatliche Überwachung der Bürger ein- schränken und Grundrechte ausbauen. Die Grünen sind sogar einmal entstanden als eine Partei gegen den Über- wachungsstaat. Und jetzt? Jetzt wollen sie die Überwa- chung des Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs mindes- tens verdoppeln, vermutlich aber um ein Vielfaches erhöhen. Sie wollen das Trennungsgebot zwischen der Polizei, die dem Legalitätsprinzip unterliegt, und Geheimdiens- ten, die fast alles dürfen und von fast niemandem kon- trolliert werden, in einem Ausmaß außer Kraft setzen wie noch nie in dieser Geschichte. Die Durchbrechung dieses Trennungsgebots wird in Zukunft nicht mehr Ausnahme, sondern Regel sein. Bis 1994 durfte der Bundesnachrichtendienst Telefon- gespräche nur abhören bei Gefahr eines bewaffneten An- griffs oder einer vergleichbaren Bedrohung des demokra- tischen Rechtsstaates. Es war schon schlimm genug, dass 1994 das berüchtigte Verbrechensbekämpfungsgesetz des inzwischen ebenso berüchtigten Innenministers Kanther diese Beschränkung aufgehoben und für zahlreiche wei- tere Verdachtsgründe das Abhören erlaubt hat. Mit dem jetzigen Gesetz aber korrigieren SPD und Grüne diese falsche, obrigkeitsstaatliche Entwicklung nicht im Geringsten. Im Gegenteil, Sie treiben sie auf die Spitze. Jetzt sollen die Geheimdienste sogar beim einfachen Verdacht auf Verstöße gegen das Vereinsrecht, auf Ver- stöße gegen das Ausländergesetz und auf Volksverhet- zung private Briefe und Pakete aufmachen, Telefonate, Faxe und E-Mails abhören und belauschen dürfen. Bis heute darf der Bundesnachrichtendienst maximal 10 Pro- zent des gesamten Telefonverkehrs überwachen. Sie wol- len diesen Anteil auf 20 Prozent verdoppeln. Die Deutsche Vereinigung für Datenschutz und der Re- publikanische Anwältinnen- und Anwälteverein hat be- reits Mitte Februar zu ihrem Gesetzentwurf richtig fest- gestellt: „Nicht das Gesetz, sondern das Budget der Dienste beschreibt in Zukunft die Grenzen des heimlichen Abhörens. ... Die Novellierung des Artikel 10-Gesetzes ist damit aus Sicht der Bürgerinnenrechte keine Trendwende in der bundesrepublikanischen Sicherheitsgesetzgebung, wie sie nach der Kohl/Kanther-Ära notwendig gewesen wäre.“ Auch das ist leider wahr. Gegen das alte G-10-Gesetz ist noch eine Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig. Sie warten noch nicht einmal den Ausgang des Verfahrens ab, so eilig haben sie es mit dem Ausbau des Überwachungsstaats und dem Abbau von Bürgerrechten. Ein letzter Punkt: Ich habe im Vorfeld dieser Beratun- gen die Regierung nach dem Ausmaß der Eingriffe in das Brief-, Post und Fernmeldegeheimnis in den letzten zehn Jahren gefragt. Die Regierung hat mir die Antwort auf fast alle wichtigen Fragen verweigert mit dem Hinweis auf eine angeblich „notwendige Geheimhaltung“. Ich finde das eine Ungeheuerlichkeit. Sie wollen offensichtlich nicht nur die Quellen und die Arbeitsweise der Geheim- dienste geheim halten. Sie wollen geheim halten, in wel- chem Ausmaß die Bürgerinnen und Bürger schon jetzt von den Geheimdiensten ausgespäht und belauscht wer- den. Sie wollen geheim halten, in welchem Ausmaß die Geheimdienste schon jetzt Grundrechte einschränken und verletzen. Eine solche Geheimhaltung ist mit einer demokrati- schen Gesellschaft unvereinbar. Sie ist unvereinbar mit dem Transparenzgebot für alles staatliche Handeln und mit einer Kontrolle der Exekutive durch das Parlament. Wie sollen wir eigentlich über dieses neue Gesetz disku- tieren, das Ausmaß der dadurch ausgelösten Grundrechts- eingriffe bewerten und beurteilen, wenn uns solche Infor- mationen verweigert werden? Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, zu erfahren, wie viele private Briefe, Päckchen und Pakete von Polizei und Geheimdiensten aufgemacht werden, wie viele pri- vate Faxe von Beamten heimlich gelesen, wie viele Tele- fonate und E-Mails heimlich mitgeschnitten und mit- gehört werden. Wer solche Auskünfte verweigert, hat Dreck am Stecken, der hat etwas zu verbergen. Das aufzudecken und die Bürgerinnen und Bürger im Land über solche Dinge zu informieren gehört zu den Grundpflichten jeder Opposition und wir werden dieser Grundpflicht nach- kommen. Fritz Rudolf Körper, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Sie beraten heute den vom Bundesminister des Innern vorgelegten Gesetzentwurf zur Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses. Kernstück des Entwurfs ist die Neufassung des Artikel-10-Gesetzes. Anlass dieser Neufassung ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1999. Das Ge- richt hatte darin einige Bestimmungen des G-10-Gesetzes im Bereich der vom Bundesnachrichtendienst durchge- führten strategischen Fernmeldekontrollen beanstandet. Die Richter hatten dem Gesetzgeber zur Herstellung eines verfassungsmäßigen Zustandes eine Frist bis zum 30. Juni 2001 gesetzt. Der vorliegende Gesetzentwurf trägt diesen Beanstan- dungen Rechnung. Mit der Neufassung des G 10-Geset- zes werden vor allem die Anforderungen an den Umgang der beteiligten Behörden mit personenbezogenen Daten verschärft. Für alle Übermittlungsvorgänge gilt nun eine Protokollierungspflicht. Zusätzlich haben erhebende und empfangende Stellen künftig unverzüglich und in Abstän- den von höchstens sechs Monaten zu prüfen, ob die Da- ten erforderlich sind; anderenfalls sind sie zu löschen. Das Bundesverfassungsgericht hatte nur den Bereich der strategischen Fernmeldekontrolle geprüft. Gleich- wohl sind in der Neufassung die Regelungen über den Umgang mit personenbezogenen Daten auch für den Be- reich der Individualanordnungen übernommen worden. Ich halte dies für eine richtungsweisende, datenschutz- freundliche Entscheidung. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 200115796 (C) (D) (A) (B) Die bisherige Regelung, wonach der Bundesnachrich- tendienst innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten personenbezogene Daten ohne Mitteilung an den Betrof- fenen nutzen durfte, wurde gestrichen. Damit werden die Rechte der Betroffenen wesentlich gestärkt. Nach der Neufassung kann von einer Mitteilung nur abgesehen werden, wenn die Daten sogleich nach ihrer Erhebung un- verzüglich gelöscht wurden. Darüber hinaus werden die Vorschriften über die Kon- trolltätigkeit der G-10-Kommission erweitert, die alle Maßnahmen nach diesem Gesetz zu überwachen hat, von der Anordnung bis zur Erhebung, Verarbeitung und Nut- zung personenbezogener Daten durch Dienste des Bun- des. Damit wird eine umfängliche Kontrollbefugnis festgeschrieben, die eine restriktive Anwendung der Maß- nahmen nach dem G 10 gewährleistet; dadurch wird eben- falls der Schutz der Betroffenen gestärkt. Zugleich wird festgeschrieben, dass der Kommission die für die Erfül- lung ihrer Aufgaben notwendige Personal- und Sachaus- stattung zur Verfügung zu stellen ist. Das Gesetzesvorhaben soll aber zugleich zum Anlass genommen werden, zwischenzeitlich erkannte Lücken des bisherigen Gesetzes zu schließen. Eine wesentliche Änderung erfolgt im Hinblick auf die fortschreitende technologische Entwicklung im Bereich der leitungsgebundenen internationalen Telekommunika- tion. Nach dem Gesetzentwurf soll künftig die strategi- sche Fernmeldekontrolle bei durch Lichtwellenleiter ge- bündelt übertragener internationaler Telekommunikation zulässig sein. Weiterhin wird eine Regelung zu Aufklärungsmaßnah- men im Zusammenhang mit kriminellen, Leib oder Leben bedrohenden Geiselnahmen im Ausland eingefügt. Damit wird eine Lücke des bisherigen Gesetzes geschlossen. Bei der Beantragung einer Beschränkungsmaßnahme anläss- lich der Geiselnahme auf der Insel Jolo musste sehr rasch die Zustimmung des Parlamentarischen Kontrollgremi- ums eingeholt werden. Dieser Fall wird jetzt gesetzlich geregelt. Hierbei ist jedoch die Zustimmung des Gremi- ums wegen der Bedeutung des Grundrechtseingriffs von einer Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder ab- hängig; außerdem tritt die Entscheidung spätestens nach zwei Monaten außer Kraft. Ferner wird der Straftatenkatalog, der zwingende Vo- raussetzung im Bereich der. Individualkontrolle ist, ge- ringfügig erweitert. So wird der Tatbestand der Volksver- hetzung – § 130 StGB – aufgenommen; damit folgt die Bundesregierung auch einer Bitte der Innenministerkon- ferenz vom 11. Juni 1999. Weiterhin wird der Straftaten- katalog durch einige der in § 129 a StGB enthaltenen De- likte, beispielsweise Mord und Totschlag – §§ 211, 212 StGB –, erpresserischer Menschenraub – § 239 a StGB –, Geiselnahme – § 239 b StGB – oder das Herbeiführen ei- ner Sprengstoffexplosion – § 308 Abs. 1 und 3 StGB –, er- gänzt, soweit diese sich gegen die freiheitliche demokra- tische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten. Dies ist erforderlich, um auch Straftaten gewaltbereiter, extremistischer Ein- zeltäter oder loser Gruppierungen erfassen zu können. Dies war nach der bisherigen Rechtslage nicht möglich, weil § 129 a StGB das Vorliegen einer fest gefügten ter- roristischen Vereinigung voraussetzt. In der Novelle wird weiterhin ausdrücklich klarge- stellt, dass die im Rahmen des G 10 gewonnenen Er- kenntnisse auch zur Vorbereitung und Durchführung von Verbotsverfahren bei verfassungswidrigen Parteien und extremistischen Vereinen genutzt werden können. Im letzteren Fall werden vor allem Erkenntnisse über Struk- turen zu verbietender Gruppierungen benötigt, die auf an- derem Wege häufig nicht oder erst im Zuge von vereins- rechtlichen Durchsuchungsmaßnahmen bei Funktionären festgestellt werden können. Es entspricht ohnedies dem Gesetzeszweck, drohende Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes abzuwehren. Im Verbotsverfahren gegen die NPD wird die Bundesregie- rung von dieser Regelung keinen Gebrauch machen. Die ohne Maßnahmen nach dem G-10-Gesetz gewonnenen Erkenntnisse über die NPD reichen aus, um den Verbots- antrag umfassend zu stützen. Schließlich enthält der Gesetzentwurf eine Änderung des Gesetzes über den Bundesnachrichtendienst. Damit wird erreicht, dass inländische Behörden den Bundes- nachrichtendienst auch von sich aus über einschlägige Gefahrenbereiche unterrichten können, ohne dass der Bundesnachrichtendienst hierum ersuchen muss. Insgesamt stellt der vorliegende Entwurf eine gelun- gene Weiterentwicklung des bisherigen G 10 dar, die den Vorstellungen des Bundesverfassungsgerichts wie auch dem heutigen Datenschutzverständnis entspricht. In den vor uns liegenden Ausschussberatungen wird man sich mit den Vorstellungen des Bundesrates ausei- nandersetzen, der am 9. März 2001 eine Fülle von Ände- rungs- und Ergänzungsvorschlägen zu dem Regierungs- entwurf gemacht hat. Bei einer Reihe dieser Vorschläge handelt es sich um sinnvolle Ergänzungen, die die Bun- desregierung ohne weiteres übernehmen kann. In vielen anderen Fällen aber kann die Bundesregie- rung die Vorschläge der Länder nicht übernehmen. So kann zum Beispiel der Wunsch, alle in § 129 a StGB auf- geführten Straftaten in den Katalog der Überwachungs- tatbestände bei den Individualkontrollen aufzunehmen, nicht erfüllt werden. Eine derartige Erweiterung würde die Homogenität des Straftatenkataloges sprengen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Grundrecht- seingriffen missachten. Ebenso kann der Wunsch der Län- der, bei der Weitergabe gewonnener Erkenntnisse den weit gefassten Katalog des § 100 a StPO zugrunde zu le- gen, nicht akzeptiert werden. Das Bundesverfassungsge- richt hat eine strenge Neuordnung der bisher zulässigen Weiterleitungstatbestände gefordert. Die Aufnahme aller, schon im bisherigen G 10 nicht enthaltenen Tatbestände des § 100 a StPO, wäre nach Auffassung der Bundesre- gierung unverhältnismäßig. Ich bin sicher, dass es uns gemeinsam gelingen wird, eine Neufassung des G 10 zu beschließen, die den Vor- stellungen aller Beteiligten Rechnung trägt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2001 15797 (C) (D) (A) (B) Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (... SGB III – Änderungsgesetz – ... SGB III- ÄndG) (Tagesordnungspunkt 13) Renate Rennebach (SPD): Moderne Arbeitsmarkt- politik heißt, aktive Beschäftigungsförderung zu betrei- ben und zu finanzieren und nicht einfach nur Arbeitslo- sigkeit zu verwalten. Eine gute Konjunkturlage, wie sie zurzeit besteht – hier sind wir uns alle einig – reicht nicht aus, um das Hauptproblem Arbeitslosigkeit in unserer Ge- sellschaft zu bekämpfen. Vielmehr ist die konsequente Modernisierung der Arbeitsmarktförderung die Achilles- ferse einer nachhaltigen Bekämpfung der Erwerbslosig- keit und hat somit auch für die Bundesregierung oberste Priorität. Danach richtet sich auch die von der Regie- rungskoalition verfolgte Änderungspolitik des SGB III. Um eine Reform hin zu einer aktiven Beschäftigungs- politik vorzulegen, die ihren Namen auch verdient und dem Anspruch der sozialen Gerechtigkeit entspricht. Dafür brauchen wir eine gründliche und verantwortungs- volle Abwägung der Bedürfnisse aller Betroffenen. Das wird leider von vielen übersehen, denen die dringend an- stehende Reform des Arbeitsförderungsrechts nicht schnell genug geht. Eine Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes ist aber vor allem auch mit einem radikalen Umdenken in der Arbeitsförderungspolitik verbunden: Die Philosophie der Beschäftigungspolitik muss geändert und an die Er- fordernisse einer modernen Industriegesellschaft ange- passt werden. Dazu gehört auch, über den Tellerrand un- serer Landesgrenzen – etwa zu unseren Nachbarstaaten Holland und Dänemark – zu schauen und von liebgewon- nenen Gewohnheiten Abschied zu nehmen, ein Gedanke mit dem sich vor allem die Opposition – Stichwort „Teil- zeitarbeit“ – noch nicht so recht vertraut machen kann. Unsere Nachbarn Holland und Dänemark führen uns schon seit einigen Jahren vor, dass so genannte problema- tische Zielgruppen wie Geringqualifizierte oder ältere Langzeitarbeitslose sehr wohl in den Arbeitsmarkt inte- griert werden können. Am Beispiel der von der Bundes- regierung übernommenen Jobrotation, die in Dänemark seit Jahren erfolgreich realisiert wird, zeigt sich, dass es sich lohnt, den Werkzeugkasten zu entrümpeln und den Mut zu haben, ausgetretene Pfade zu verlassen und zu neuen Mitteln zu greifen. So und nur so wird eine gerech- tere Verteilung vorhandener Arbeit in unserer Gesell- schaft erreicht. Die Bundesregierung ist hier mit der geplanten Reform im Sinne einer Überprüfung und Weiterentwicklung des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums zur Bekämp- fung der Arbeitslosigkeit auf dem richtigen Weg. Schon mit dem SGB-III-Vorschaltgesetz ist die Ar- beitsmarktpolitik bereits zum 1. August 1999 praxisge- rechter gestaltet worden. Das zeigt sich in vielen Details wie etwa der eingangs erwähnten verbesserten Zielgrup- penförderung oder der Verwaltungsvereinfachung zuguns- ten der Vermeidung unnötiger Bürokratie für Arbeitsäm- ter und Betroffene zugleich. Die abschließende Reform der Arbeitsförderung wird zum 1. Januar 2002 nach gründlicher Vorbereitung und Einbeziehung aller gesell- schaftlich relevanten Gruppen erfolgen. Lassen Sie uns eine Reform auf den Weg bringen, die eher durch ihre innere Stringenz als durch das Tempo ih- res Zustandekommens besticht. Es gilt, endlich wieder Verlässlichkeit und Planungssicherheit für die Träger und die Betroffenen der Arbeitsmarktpolitik zu schaffen und nicht nach der uns allen noch präsenten „Stop and Go-Me- thode“ der Kohl-Regierung zu verfahren, nach der bei- spielsweise Ausgaben für ABM kurz vor der Bundestags- wahl noch mal in die Höhe getrieben werden. Eine Reformierung der Arbeitsförderung zwingt uns zur Anhörung aller Betroffenen und gesellschaftlich rele- vanten Gruppen. Dazu zählen auch die Frauen und das Thema Vereinbarkeit von Kindererziehung, Beruf und so- zialer Absicherung – eine Herausforderung, die im Übri- gen nicht nur von der Arbeits- und Sozialpolitik, sondern auch von der Bildungs- und Steuerpolitik adäquate Ant- worten verlangt. Wir stellen uns dieser Herausforderung. Eine soziale Benachteiligung von Frauen – und Män- nern –, die vor ihrem Erziehungsgeldbezug und ihrer Er- ziehungszeit – Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bezogen haben – da sind wir uns mit den Kolleginnen und Kollegen von der PDS einig –, ist nicht mehr hinnehmbar. Insofern geht Ihr Entwurf zumindest in die richtige Rich- tung. Aber Ihr hier vorliegender Beitrag zur Reform des SGB III – § 147 SGB III: Frist für das Erlöschen des An- spruchs auf Arbeitslosengeld und § 196 SGB III: Frist für das Erlöschen des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe – hat einen ganz entscheidenden Haken: Ihre Änderungsvor- schläge berücksichtigen nicht die anderen gesellschaftlich relevanten Personengruppen. Was ist mit den Interessen von Personen, die ihre Angehörigen pflegen oder unseren Mitbürgern, die zeitweise erwerbsunfähig sind? Auch diese Personengruppen – das kann niemand bezweifeln – haben ein schützenswertes Interesse daran, ihren Leis- tungsanspruch nicht zu verlieren. Hier gilt ohne Wenn und Aber der Gleichheitsgrundsatz, wie ihn unser Grundgesetz gebietet. Sie sehen: Zu einer grundlegenden Reform unse- rer Beschäftigungspolitik reicht es nicht aus, an der einen oder anderen Schraube zu drehen. Vielmehr gilt es, das Problem in seiner Gesamtheit zu erkennen und nicht nur vorübergehende Kosmetik zur Verwaltung von Arbeitslo- sigkeit zu betreiben. Eine Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die nur darauf aus ist, schnellatmig Partikularinteressen zu bedienen, verliert schnell das Gemeinwohl aus dem Auge und im Übrigen auch seine Glaubwürdigkeit. Genau aus diesem Grund wird in der Koalitionsar- beitsgruppe SGB III zusammen mit dem BMA ausgiebig und unter Abwägung aller Interessen auch über die Pro- blematik des Arbeitslosenversicherungsschutzes nach der Kindererziehung diskutiert. Ein Eckpunktepapier der Bundesregierung, das auch diesen komplexen Bereich thematisiert, wird Anfang Mai diesen Jahres auf dem Tisch liegen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 200115798 (C) (D) (A) (B) Ich möchte daher noch mal eindringlichst an Sie ap- pellieren: Lassen Sie uns durch Abwägung der Interes- sen aller bedeutsamen Gruppen in unserer Gesellschaft – dazu zählt im Übrigen auch das von der PDS so viel geschmähte Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wett- bewerbsfähigkeit – eine sozial gerechte Reform auf den Weg bringen, die ihren Namen auch verdient hat. Vor Schnellschüssen, die Anliegen wichtiger Betroffener un- ter den Tisch fallen lassen, sei an dieser Stelle ausdrück- lich gewarnt. Ansonsten droht die dringend anstehende Änderung des Arbeitsförderungsrechts zur einem Reför- mchen statt zu einer Reform zu werden. Aus diesem si- cher für alle verständlichen Grund lehnen wir den An- trag ab. Heinz Schemken (CDU/CSU): Der Entwurf des Ge- setzes zur Änderung des SGB III sieht vor, dass im Rah- men des § 147 SGB III sichergestellt werden soll, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld auch bei der Geburt von zwei und mehr Kindern und anschließendem Erziehungs- urlaub erhalten bleibt. Mit der vorgeschlagenen Änderung soll der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nach Zeiten des Mutterschutzes und des Erziehungsurlaubs erhalten blei- ben. Durch die gleichmäßige Berücksichtigung von Mutter- schutz und Kindererziehungszeiten sowie die einheitliche Verlängerung der Fristen, die zum Erlöschen von An- sprüchen auf Entgeltersatzleistungen – Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe – führen, werden bei der Bundes- anstalt für Arbeit Mehrkosten in nicht näher zu beziffern- dem Umfang entstehen. Gleichzeitig werden die Kom- munalhaushalte entlastet, da der Personenkreis, der nach dem SGB III anspruchsberechtigt ist, erweitert wird und ein Teil dieser Personen dadurch aus dem Leistungsbezug nach dem Bundessozialhilfegesetz fällt. Insgesamt geht es darum, die Fristen für das Erlöschen der Ansprüche auf Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe um die Zeiten des Mutterschutzes und des Erziehungsgel- des zu verlängern. Für die Bundesanstalt für Arbeit entstehen nicht quan- tifizierbare Kosten. Allerdings würden die Kommunen entlastet, weil weniger Personen durch die Sozialhilfe ge- stützt werden müssen. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung wie auch der mitberatende Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend haben diesen Gesetzentwurf der PDS mehr- heitlich abgelehnt. Die Ausschussmehrheiten plädierten dafür, den Sachverhalt im Zuge der geplanten Reform des SGB III im Zusammenhang mit ähnlich gelagerten Pro- blemen zu lösen. Wir mahnen hier nachdrücklich die Reform des Ar- beitsförderungsgesetzes an. Da sich im Arbeitsmarkt nichts Entscheidendes bewegt und die Arbeitslosigkeit weiter bei der Marke um 4 Millionen verharrt, muss die Koalition von SPD und Grünen hier endlich Farbe beken- nen. Wir brauchen hier Instrumente, die insbesondere bei der Langzeitarbeitslosigkeit wirksam ansetzen. Dabei geht es um die örtlichen Initiativen vom Arbeitsamt und Kommunen. Wir werden mit den Hemmnissen im Arbeitsmarkt, wie sie durch Rot-Grün mit der Rücknahme von Gesetzen, die gerade die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse för- derten, entstehen und mit den Belastungen, zum Beispiel durch den Rechtsanspruch auf Teilzeit gerade für mittel- ständische Betriebe, nicht weiterkommen. Wenn schon bei kräftigem Wachstum die Arbeitslosigkeit kaum abge- baut wird, wie soll das erst bei einer sich abschwächenden Konjunktur werden? Und wenn sich was bewegt, dann ist das nur von statistischer Größe. Deutschland kriegt den hohen Arbeitslosensockel einfach nicht weg. Gleichzeitig war der „Mismatch“ nie so groß wie heute: Dem Heer der Arbeitslosen steht eine wachsende Zahl von Betrieben gegenüber, die ihre offenen Stellen nicht besetzen können. Das Thema der Langzeitarbeitslosigkeit erhält in die- sem Zusammenhang seine dramatische Wirkung für den Betroffenen, vor allem für den mit Kindern. Über 1,4 Millionen Menschen sind immer noch länger als ein Jahr arbeitslos. 60 Prozent aller Langzeitarbeitslo- sen sind älter als 45 Jahre. 77 Prozent der Langzeitarbeits- losen in den jungen Bundesländern sind Frauen. Dabei han- delt es sich überwiegend sogar um qualifizierte Arbeitslose. Die Sozialpartner haben die Verlängerung des Bundes- programms zur Eingliederung von Langzeitarbeitslosen durch die ehemalige CDU-geführte Bundesregierung bis zum Jahre 2001 begrüßt. Mithilfe dieses Programms konnten von 1985 bis 1998 über 300 000 Menschen eine Beschäftigung finden. Seit April 1997 gibt es den Eingliederungsvertrag für Langzeitarbeitslose, denn Betriebe tun sich häufig schwer, Langzeitarbeitslose einzustellen. Sie fürchten, bei Krankheit oder bei Nichteignung diese nur schwer wieder entlassen zu können. Durch den neuartigen Eingliederungsvertrag, der der Zustimmung des Arbeitsamtes bedarf und bis zu sechs Monate zur Einarbeitung und Qualifizierung gelten kann, wird ein Sonderarbeitsverhältnis geschaffen, mit dem der Arbeitgeber von diesen Risiken entlastet wird. Das Ar- beitsamt erstattet die Aufwendungen für die Lohnfortzah- lung und kann zusätzlich Lohnkostenzuschüsse ge- währen. Die Arbeitgeber nutzen dieses Instrument allerdings nur im geringen Umfang. Trainingsmaßnahmen können notwendige Kenntnisse und Fähigkeiten zur Verbesserung der Einstellungschan- cen vermitteln, aber auch zur Eignungsfeststellung und Prüfung der Arbeitsbereitschaft und Arbeitsfähigkeit ge- nutzt werden. Wir möchten deshalb mit Nachdruck darauf drängen, dass wir diese Ungereimtheiten recht bald aus- räumen. Daher sehen wir schon dieses Anliegen; aber es sollte in den Gesamtzusammenhang gestellt werden. Im Übrigen gibt es auch eine Initiative des Freistaates Sachsen in dieser Sache im Bundesrat. Diese zielt auf die Novellierung des AFG ab. Darauf drängen auch wir und deshalb können wir heute einer Zustimmung nicht folgen. Wir lehnen deshalb diese Gesetzesinitiative der PDS ab. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2001 15799 (C) (D) (A) (B) Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der An- trag der PDS greift ein wichtiges Problem auf: Nach be- stimmten Fristen, in denen die entsprechenden Leistun- gen nicht bezogen werden, erlöschen die Ansprüche auf Arbeitslosengeld und auf Arbeitslosenhilfe. Wenn jemand also einen entsprechenden Anspruch hat, ihn aber vier Jahre lang nicht realisiert, erlischt dieser Anspruch. Das ist im Prinzip eine vernünftige Regelung und wenn je- mand drei Jahre Erziehungsurlaub hat, ist diese Regelung auch kein Problem. Schwierig wird es allerdings, wenn Eltern am Stück bei Gewährung von Arbeitslosengeld mehr als vier Jahre und bei Gewährung von der Arbeitslosenhilfe mehr als drei Jahre Erziehungsurlaub beziehungsweise Elternzeit in Anspruch nehmen und wenn sie im Anschluss an diese Er- ziehungszeit arbeitslos sind. Dann kann es – bei zwei und mehr Kindern – passieren, dass sie auf Sozialhilfe ange- wiesen sind, statt dass sie ihre vor der Geburt ihrer Kin- der erworbenen Ansprüche auf Arbeitslosengeld und Ar- beitslosenhilfe realisieren. Das ist natürlich nicht im Sinne des Erfinders. Kinder dürfen kein Sozialhilferisiko sein. Das wollen wir gewährleisten, indem wir den Familienleistungsaus- gleich weiter verbessern, das Kindergeld weiter erhöhen und die Kinderarmut gezielt bekämpfen. Das müssen wir aber auch gewährleisten, indem wir unsinnige Regelun- gen beseitigen, welche die gegenüber der Sozialhilfe vor- rangigen Ansprüche schwächen. Dies ist bei den hier mo- nierten Paragraphen eindeutig der Fall. Deshalb müssen diese Paragraphen entsprechend geändert werden. Wir haben in der Koalition eine gemeinsame Arbeits- gruppe zur SGB III-Reform eingerichtet, die sich mit die- sem und mit vielen anderen Problemen auseinander setzt – mit nach vorne weisenden, innovativen Ansätzen. Dabei haben wir festgestellt: Der in dem PDS-Antrag angespro- chene Sachverhalt ist nicht nur richtig erkannt, auch der vorgeschlagene Lösungsweg weist in die richtige Rich- tung. Wir müssen aber auch sehen: Weil wir eine Reihe von ähnlich gelagerten und widersprüchlichen Fällen ha- ben, weil wir zusätzlich grundsätzliche Veränderungen beim SGB III in Angriff nehmen, macht es mehr Sinn, eine Reform aus einem Guss zu machen, zumal die Ko- alition ihre Reformvorschläge zeitnah vorlegen wird. Wir lehnen den PDS-Antrag deshalb also nicht aus in- haltlichen Gründen ab, sondern weil wir eine Reform aus einem Guss und weil wir ein in sich stimmiges Projekt wollen, das keine neuen Widersprüche produziert und alle problematischen Fälle regelt. Dass dies Sinn macht, macht allein schon der Umstand klar, dass die PDS gleich zwei Lösungsvorschläge unterbreitet. Welcher der beste ist, wird sich im Zusammenhang mit anderen Fragen im Rahmen der SGB III-Reform erweisen. Deshalb sagen wir: Eine baldige SGB-Reform statt ein Stückwerk – das ist das, was den Menschen am meisten dient. Dirk Niebel (F.D.P.): Der hier vorliegende Antrag, Mutterschutz- und Elternzeit in die Anspruchszeiten für die Arbeitslosenversicherung aufzunehmen, hat sicher- lich seine Berechtigung. Es kann nicht sein, dass Frauen und Männer aufgrund von Eltern- und Erziehungszeiten ihre Ansprüche auf Arbeitslosengeld und Arbeitslosen- hilfe verlieren. Die PDS hat als Lösung vorgeschlagen, die Elternzeit in die Versicherungspflicht aufzunehmen. Dies wäre jetzt aber wieder nur die Gegenmaßnahme für einen Einzelfall und passt in das Flickwerk von Rot-Grün. Die zusätzlichen Beiträge würden darüber hinaus die Steuerzahler und die Bundesanstalt für Arbeit mit Kosten in ungeklärter Höhe belasten. Die F.D.P.-Fraktion kämpft seit Monaten für eine Senkung der Beiträge zur Arbeits- losenversicherung. Wir stimmen zusätzlichen Belastun- gen für die Beitragszahler und Mehrausgaben der Bun- desanstalt für Arbeit nicht zu. Das Argument, dass bei In-Kraft-Treten des Antrags die Kommunen bei der Sozialhilfe entlastet werden, zeigt wieder einmal den Verschiebebahnhof bei den beiden steuerfinanzierten Leistungen Arbeitslosenhilfe und So- zialhilfe auf. Die F.D.P. wird deshalb dem Deutschen Bundestag einen Antrag auf Zusammenfassung der steuerfinanzier- ten Leistung Arbeitslosenhilfe mit der ebenfalls steuerfi- nanzierten Sozialhilfe vorlegen. Dadurch wird nicht nur dieser Verschiebebahnhof beendet. Durch die Verschlan- kung von Behörden und den Abbau von bürokratischem Aufwand werden erhebliche Einsparungen ermöglicht. Bisher kostet der Verwaltungsapparat 15 Milliarden DM jährlich, davon rund 7 Milliarden DM allein die Verwal- tung der beiden Leistungen Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Kinder dürfen nicht zum Armutsrisiko werden. Die F.D.P. ist unter anderem deshalb die Partei der sozialen Verantwortung, weil wir Elternschaft und berufliche Tätigkeit in Einklang bringen wollen: Wir setzen daher große Hoffnung in die Reform des SGB III, die ja von der rot-grünen Regierung seit Beginn der Legislaturperiode angekündigt wird. Im Rahmen des Gesamtkonzeptes, das wir konstruktiv begleiten werden, muss auch das hier vor- liegende Thema zufriedenstellend gelöst werden. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion lehnt deshalb diesen Antrag als Einzelfalllösung ab. Wir fordern, dass die Bun- desregierung endlich ihre Versprechungen wahr macht und den Entwurf zur Reform des Arbeitsförderungsrechts vorlegt. Und bitte legen Sie uns nicht wieder Flickwerk vor, sondern endlich einmal handwerklich solide Arbeit. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 200115800 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416100000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Zunächst gratuliere ich dem Kollegen Hubert
Deittert, der am 21. März seinen 60. Geburtstag beging,
und dem Kollegen Dr. Jürgen Meyer, der am 26. März
seinen 65. Geburtstag feierte.


(Beifall)

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene

Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen
vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:

1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:
Verantwortung der Bundesregierung für die Begleit-
umstände des ersten rot-grünen Castortransports

2. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P. zu den
Antworten der Bundesregierung auf Frage 42 in Drucksa-
che 14/5637 betr. Budgetierung, Kollektivhaftung und ärzt-
liche Gesamtvergütung sowie deren Auswirkungen auf die
Qualität der Gesundheitsversorgung (siehe 160. Sitzung)


3. Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU: Sofortige Ent-
lassung des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit, Jürgen Trittin – Drucksache 14/5573 –


(Ergänzung zu TOP 20)

Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette Faße, Hans-
Günter Bruckmann, Dr. Peter Danckert, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Helmut
Wilhelm (Amberg), Albert Schmidt (Hitzhofen), Kerstin
Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Potenziale im Wasser-
straßentransport umwelt- und naturverträglich nutzen –
Intermodalität stärken – Drucksache 14/5667 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

5. Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Winfried Wolf,
Eva Bulling-Schröter, Uwe Hiksch, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Gewährleistung des Schienenpersonenfernverkehrs

(Bundesschienenpersonenfernverkehrsgesetz – BSPFVG)

– Drucksache 14/5662 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss


(Bayreuth)

weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Eisen-
bahnpolitische Reformschritte zügig einleiten – Drucksa-
che 14/5666 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss

7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Günther Friedrich
Nolting, Ina Albowitz, Hildebrecht Braun (Augsburg), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Hilfe durch den Bund
für die von Reduzierung und Schließung betroffenen Bun-
deswehrstandorte ist unverzichtbar – Drucksache 14/5467 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

8. Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach
Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Ge-
setz zur Neuordnung des Gerichtsvollzieherkostenrechts –
GvKostRNeuOG – Drucksachen 14/3432, 14/4913, 14/5385,
14/5685 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Eckart von Klaeden

9. Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach
Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem
Ersten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Verar-
beitung und Nutzung der zur Durchführung der Verord-
nung (EG) Nr. 820/97 des Rates erhobenen Daten – Druck-
sachen 14/4721, 14/5142, 14/5384, 14/5686 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wilhelm Schmidt (Salzgitter)


Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll – so-
weit erforderlich – abgewichen werden.

Weiterhin wurde Folgendes vereinbart:
Tagesordnungspunkt 4 a bis d soll abgesetzt und

stattdessen als zweites Kernzeitthema der Antrag der

15651


(C)



(D)



(A)



(B)


161. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 29. März 2001

Beginn: 9.00 Uhr

CDU/CSU-Fraktion auf sofortige Entlassung des Bun-
desministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit beraten werden.

Tagesordnungspunkt 5 – zweite und dritte Beratung ei-
nes Untersuchungsausschussgesetzes – soll ebenfalls ab-
gesetzt und stattdessen Tagesordnungspunkt 8 – Touris-
muspolitischer Bericht – aufgerufen werden.

Tagesordnungspunkt 11 – Gestaltung der Standortwer-
bung – soll bereits nach der Großen Anfrage über die Re-
ferenzstrecke für den Transrapid beraten werden.

Tagesordnungspunkt 16 a und b – Künstlersozialversi-
cherungsgesetz – wird abgesetzt und an dieser Stelle Ta-
gesordnungspunkt 18 – Jobrotation – aufgerufen.

Außerdem mache ich auf nachträgliche Überweisun-
gen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:

Der in der 112. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich
dem Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung zur Mit-
beratung überwiesen werden.

Gesetzentwurf der Abgeordneten Günter Nooke,
Ulrich Adam, Hartmut Büttner (Schönebeck),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU zur Bereinigung von SED-Unrecht

(Drittes SED-Unrechtsbereinigungsgesetz – 3. SED-UnBerG)

überwiesen:
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

Die in der 152. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesenen nachfolgenden Anträge sollen zusätzlich
dem Sportausschuss zurMitberatung überwiesen werden.

Antrag der Abgeordneten Klaus Brähmig, Ernst
Hinsken, Anita Schäfer, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDUCSU: Wettbewerbs-
fähigkeit der deutschen Tourismuswirtschaft stär-
ken – Drucksachen 14/5313 –
überwiesen:
Ausschuss für Tourismus (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Antrag der Abgeordneten Brunhilde Irber,
Dr. Eberhard Brecht, Annette Faße, weiterer Abge-

ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Ab-
geordneten Sylvia Voß, Dr. Thea Dückert, Winfried
Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Pro-
gramm zur Stärkung des Tourismus in Deutsch-
land (Tourismusförderungsprogramm)

– Drucksache 14/5315 –
überwiesen:
Ausschuss für Tourismus (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

Die in der 158. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesenen nachfolgenden Anträge sollen zusätzlich
dem Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft zur Mitberatung überwiesen werden.

Antrag der Abgeordneten Dr. Ditmar Staffelt,
Jelena Hoffmann (Chemnitz), Dr. Axel Berg, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD so-
wie der Abgeordneten Werner Schulz (Leipzig),
Michaele Hustedt, Andrea Fischer (Berlin), weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN: Neue Mittelstandspoli-
tik – Motor für Beschäftigung und Innovation
– Drucksache 14/5485 –
überwiesen:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Antrag der Abgeordneten Hansjürgen Doss, Peter
Rauen, Ernst Hinsken, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU: Chancen des Mittel-
standes in der globalisierten Wirtschaft stärken
– Drucksache 14/5545 –
überwiesen:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft




Präsident Wolfgang Thierse
15652


(C)



(D)



(A)



(B)


Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, muss ich
eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung aufrufen. Die
Fraktion der F.D.P. hat beantragt, den Tagesordnungs-
punkt 3 – zweite und dritte Beratung eines Miet-
rechtsreformgesetzes und eines Mietrechtsvereinfa-
chungsgesetzes – von der Tagesordnung abzusetzen und
diese beiden Gesetzentwürfe an den federführenden
Rechtsausschuss sowie den mitberatenden Ausschuss
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zurückzuver-
weisen.

Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Kollege van
Essen, F.D.P.-Fraktion.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1416100100
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Die F.D.P.-Bundestagsfraktion bean-
tragt die Rücküberweisung der Mietrechtsvorlagen an die
beratenden Ausschüsse. Wir tun dies nicht, weil wir die
Geschäftsordnung des Bundestages verletzt sehen. Aber
wir sind nicht bereit, länger zuzusehen, wie die Regie-
rungsmehrheit mit legitimen Rechten des Parlaments um-
geht.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das Mietrecht ist keine rechtliche Materie, die aus-

schließlich den Rechtsausschuss zu interessieren hat. Es
ist völlig klar, dass diese Materie auch für das Bau- und
Wohnungswesen eine große Bedeutung hat. In dem dafür
zuständigen Ausschuss ist die Regierungsmehrheit mit
der Opposition und mit dem Parlament insgesamt in einer
absolut inakzeptablen Weise umgegangen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Am 7. März 2001 hat die Koalition mit der Begrün-

dung, es seien noch viele Anträge mit inhaltlichen und re-
daktionellen Änderungen zu erwarten, die Verschiebung
der Beratungen durchgesetzt. Es wurde außerdem darauf
hingewiesen, dass noch ausreichend Beratungszeit zur
Verfügung stehe, weil ein Abschluss im März nicht zu er-
warten sei.

Nur eine Woche später sollte auf Druck der Regie-
rungskoalition die Beratung dann plötzlich bis 10.30 Uhr
abgeschlossen werden, damit das Votum dem feder-
führenden Rechtsausschuss noch vorgelegt werden
könne. Dies war angesichts der Fülle von Änderungen
natürlich nicht möglich. Ein Parlament, das diese Vorge-
hensweise bei einer so wichtigen Reform zulässt, gibt sich
auf. Zu bemerken ist auch, dass dies nicht der erste Vor-
gang dieser Art ist.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Gerade die völlig einseitigen Verbesserungen des Miet-
rechts zugunsten der Mieter müssen sorgfältig abgewogen
werden. Manche Regelungen sind nur auf den ersten
Blick für die Mieter günstig. Wenn etwa das Angebot an
Wohnungen zurückgeht, steigen natürlich die Mieten. Ge-
rade die sozial schwächeren Mieter hätten die Folgen zu
tragen.


(Zurufe von der SPD: Oh!)

Das muss bei einer solchen Regelung natürlich bedacht
werden. Deshalb muss dies auch dem federführenden
Rechtsausschuss bei seiner Beratung bekannt sein.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die F.D.P.-Bundestagsfraktion nimmt die Beschneidung

der berechtigten Interessen der mitberatenden Ausschüsse,
aber auch des Parlaments insgesamt nicht länger hin. Wir
bitten Sie deshalb um Zustimmung zu unserem Antrag.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416100200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Alfred Hartenbach, SPD-Fraktion.


Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1416100300
Verehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte vorab
verkünden, dass ich in dieser Geschäftsordnungsdebatte
auch für den Koalitionspartner spreche.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Lasst ihr die Grünen gar nicht mehr reden? – Rainer Funke [F.D.P.]: Herr Ströbele verteidigt heute den Rechtsstaat!)


Das ist, an die rechte Seite hier im Hause gerichtet, ein
deutlicher Hinweis darauf, wie eng wir miteinander ver-
nünftige Sachpolitik betreiben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Heute ist Donnerstag,

(Lachen und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

ein ganz normaler Donnerstag für das deutsche Parla-
ment. Das deutsche Volk geht davon aus, dass dieses deut-
sche Parlament an einem ganz normalen Donnerstag um
9 Uhr morgens in eine Sachdebatte einsteigt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was aber machen Sie? Seit Monaten müssen wir mit an-
sehen, wie Sie inhaltsleer, ideenlos, ohne jegliche Fanta-
sie und ohne irgendwelche eigenen Vorstellungen uns
hier Donnerstagmorgen für Donnerstagmorgen bei
Plenarsitzungen mit Geschäftsordnungsdebatten über-
ziehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN– Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zurufe von der CDU/CSU: Ach, Alfred!)





Präsident Wolfgang Thierse

15653


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Menschen draußen erwarten, dass wir hier eine
vernünftige Politik machen. Was machen Sie? – Ge-
schäftsordnungsdebatten!


(Zuruf von der CDU/CSU: Zur Sache!)

Das zeigt, dass Sie überhaupt nichts anderes mehr kön-
nen, als Geschäftsordnungsdebatten zu führen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, diese Debatte ist so
überflüssig wie nur etwas.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hören Sie doch auf! – Zuruf von der F.D.P.: Zur Sache!)


Unter normalen Menschen, unter anständigen Menschen

(Widerspruch bei der CDU/CSU)


würde man sagen: Diese Opposition stiehlt uns die Zeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


Herr Präsident, ich weiß nicht, ob der Ausdruck, den ich
gebrauchen will, unparlamentarisch ist, deswegen denke
ich ihn nur: Solche Menschen, so denke ich, könnte man
mit Fug und Recht als Zeitdiebe bezeichnen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das ist Ihr Verständnis von Parlamentarismus! So haben schon mal welche geredet!)


Was ist denn eigentlich passiert? Van Essen hat gesagt:
Nichts ist passiert; geschäftsordnungsmäßig ist alles in
Ordnung. – Also frage ich mich: Warum diese Geschäfts-
ordnungsdebatte, wenn geschäftsordnungsmäßig alles in
Ordnung ist?


(Iris Gleicke [SPD]: Weil er es selbst nicht hinbekommen hat!)


Nun wollen wir das einmal auflisten: Im November des
Jahres 2000 haben alle Beteiligten den Regierungsent-
wurf zum Mietrechtsreformgesetz überreicht bekommen.
Ab November 2000 konnten alle darüber beraten, auch
der beteiligte Ausschuss. Der beteiligte Ausschuss hat,
wenn ich es richtig vorgefunden habe,


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Sie haben es nicht richtig vorgefunden!)


am 24. Januar und am 14. Februar 2001 darüber beraten.

(Jörg van Essen [F.D.P.]: Nein!)


Der mitberatende Ausschuss hat die Unterlagen rechtzei-
tig bekommen.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Nein! Das stimmt nicht!)


– Aber, Herr van Essen, Sie können nicht lesen; das weiß
ich schon lange.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Pöbeleien!)


Wenn Sie richtig gelesen hätten, hätten Sie festgestellt,
dass sich in den Kernaussagen bezüglich der Materie, die
den Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen be-
treffen, fast nichts geändert hat und man hier durchaus auf
Basis dessen, was vorlag, hätte weiter beraten können.

Nun geschieht Folgendes: Am Freitag, den 9.März, mit-
tags um 14 Uhr, liegt dem Bauausschuss der Änderungsan-
trag der Regierung und der Koalitionsfraktionen vor.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Allein Ihr Vortrag zeigt doch schon, dass es nicht ordnungsgemäß ist! Sie bekommen es doch gar nicht auf die Reihe!)


Am Montagnachmittag haben das alle bekommen. Ich
kann doch erwarten, dass man sich hinsetzt und ein Ge-
setz, das man am Mittwochmorgen beraten will, bis dahin
durchliest. Aber was macht die CDU/CSU, was macht die
F.D.P. im Bauausschuss? – Sie beginnen nicht mit der
Sachdebatte, sondern sie beginnen wieder – mit was
wohl? – mit einer Geschäftsordnungsdebatte.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist doch gar nicht wahr!)


Selbstverständlich haben Sie auch dort wieder eine
Stunde mit der Geschäftsordnungsdebatte verplempert, in
der Sie gezeigt haben, dass Sie an der Sache gar nicht in-
teressiert sind.

Nun hätten wir im Rechtsausschuss noch lange gewar-
tet, wenn nicht an diesem Tag auch die Union wiederum
eine Sondersitzung ihrer Fraktion gehabt hätte. Warum
hat sie eine Sondersitzung der Fraktion gehabt? – Um uns
am nächsten Morgen mit einer Geschäftsordnungsdebatte
zu überziehen!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

So sieht das nämlich aus. Es war ausreichend Zeit für die
Beratung. Der und die willens war, konnte das in Ruhe be-
raten.

Jetzt noch etwas zu Ihnen, Herr van Essen. Wir haben
im Rechtsausschuss Berichterstattergespräche gehabt, wie
sie intensiver und besser nicht hätten sein können. Dort
sind Sie über alles informiert worden. Da kann ich doch
zum Beispiel auch erwarten, dass die Kolleginnen und
Kollegen aus der Opposition so, wie wir es gemacht haben,
ihre Mitglieder in den mitberatenden Ausschüssen über
das, was sich getan hat, informieren. Das sehe ich als Zu-
sammenarbeit innerhalb einer Fraktion an. Aber wenn Sie
nur im eigenen Saft schmoren, kann ich es nicht ändern.

Lassen Sie mich Ihnen von der F.D.P., die Sie ja nun die
18 Prozent anstreben, zum Schluss noch etwas mit auf den
Weg geben.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Hat das was mit der Geschäftsordnung zu tun, Herr Präsident?)


Wer sich auf 18 Prozent einrichtet, wer meint, er könne
uns im Jahr 2002 auseinander dividieren, und sich als Re-
gierungspartei andient, der sollte ab sofort, egal wo er sich
befindet, mit Sachdebatten beginnen.


(Christine Ostrowski [PDS]: Dafür sind Sie das beste Beispiel!)





Alfred Hartenbach
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(C)



(D)



(A)



(B)


Die Geschäftsordnungsdebatten, die Sie im Moment ma-
chen, sind die Fingerübungen eines Eleven in der Politik.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Diese Fingerübungen gehören auf die Oppositionsbank.
Dort sollten Sie noch lange bleiben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416100400
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hans-Peter Repnik, CDU/CSU-Fraktion.


Hans-Peter Repnik (CDU):
Rede ID: ID1416100500
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte fast das Ge-
fühl, der Kollege Hartenbach redet bis zum Freitag wei-
ter, nachdem er uns darauf hingewiesen hat, dass wir
heute Donnerstag haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Uwe Küster [SPD]: Das war eine gute Rede!)


Wir unterstützen den Antrag der F.D.P. aus mehreren
Gründen. Der Gesetzentwurf, der heute auf der Tagesord-
nung steht und über den wir hier reden, reiht sich in eine
Kette von eigentumsfeindlichen Gesetzen von Rot-Grün
ein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


Wir diskutieren nicht nur das Mietrecht, sondern wir dis-
kutieren derzeit im Vermittlungsverfahren auch die Ren-
tenreform, mit der die Häuslebauer kalt enteignet werden
sollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


Dem Bundesrat liegt diese Woche ein Gesetzentwurf
von SPD-regierten Ländern zur Erhöhung der Erb-
schaftsteuer um 50 Prozent vor.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat denn das mit der GO-Debatte zu tun? Können Sie mir das mal sagen?)


Selbst die Fachverbände sprechen hier von einer Wähler-
täuschung. Was sich Neue Mitte nennt, entpuppt sich als
alte Linke. Die Koalition betreibt eine Reideologisierung
in dieser Frage.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,

weil Sie in diesen Fragen die öffentliche Diskussion
scheuen, wählen Sie ein Verfahren, das in diesem Punkt
nach unserer Überzeugung mit der Geschäftsordnung
kollidiert.

Der Kollege Hartenbach hat die Sachdebatte gefordert.

(Alfred Hartenbach [SPD]: Nun fangen Sie doch mal damit an!)

Wir stellen uns der Sachdebatte. Aber genau das, was Sie,
Kollege Hartenbach, heute früh hier im Plenum fordern,

haben Sie den Fachpolitikern im Ausschuss in den letzten
Wochen verwehrt. Das ist doch der Sachverhalt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Kollege Hartenbach, ich weiß, dass Sie ein ge-

schätztes Mitglied des Rechtsausschusses sind. Aber be-
vor Sie hier zu diesem Thema eine Geschäfts-
ordnungsdebatte führen, hätten Sie sich bei Ihren
Kollegen erkundigen sollen, was im Wohnungsbauaus-
schuss los war.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Alfred Hartenbach [SPD]: Habe ich doch!)


Hier waren Sie ganz offensichtlich schlecht informiert.
Den Kollegen im Wohnungsbauausschuss wurde die

Chance genommen, ihren Sachverstand entsprechend ein-
zubringen. Tatsache ist, dass der federführende Rechts-
ausschuss den Wohnungsbaupolitikern keine Frist gesetzt
hat, dass die SPD-Vertreter im Wohnungsbauausschuss
gesagt haben, man habe bis April Zeit, und dass dieser
Tagesordnungspunkt im Wohnungsbauausschuss einver-
nehmlich von der Tagesordnung genommen worden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Anschließend hat der Rechtsausschuss ohne das Votum
des Wohnungsbauausschusses abgestimmt. Das ist der
Sachverhalt.

Jetzt komme ich noch einmal zur Geschäftsordnung:
Wir haben hier eine eindeutige Regelung, in der es heißt,
dass der federführende Ausschuss, wenn das Votum des
mitberatenden Ausschusses nicht vorliegt, die Beratung
nur vorläufig abschließen darf. Sie wissen auch, Kollege
Hartenbach, dass es dazu im letzten Jahr sogar eine ein-
deutige Interpretation des Geschäftsordnungsausschusses
gab, die nach unserer festen Überzeugung in dieser Frage
verletzt worden ist. Von daher sehen wir die Rechte des
Wohnungsbauausschusses und auch die verfassungs-
mäßigen Rechte der Kolleginnen und Kollegen verletzt,
die keine Chance gehabt haben, sich hier mitberatend ein-
zubringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, diese Geschäftsordnungs-

debatte rechtfertigt sich nicht nur aus dem heute zur Dis-
kussion stehenden Einzelfall, sondern dies hat System.
Ich erinnere daran, dass in dieser Woche am Vorabend ei-
ner Umweltausschusssitzung eine dicke Liste von Ände-
rungsvorschlägen eingebracht worden ist. Die Opposition
hat daraufhin im Umweltausschuss gefordert, man möge
den Abgeordneten Zeit geben, sich inhaltlich mit den Än-
derungsanträgen auseinander zu setzen, und die Beratung
zu vertagen. Das ist abgelehnt worden. Ferner erinnere ich
an die Beratung der Gesundheitsreform im letzten Jahr so-
wie der Reform der gewaltfreien Erziehung. Was also den
Umgang der Mehrheit mit der Minderheit in diesem Par-
lament angeht, so hat dies System.

Meine Damen und Herren, wir von der CDU/CSU-
Fraktion fordern nicht mehr und nicht weniger, als dass
die Gesetze zumindest handwerklich ordentlich gemacht
werden. Wahren Sie die Rechte des Hauses und halten Sie




Alfred Hartenbach

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(C)



(D)



(A)



(B)


das gebotene Verfahren ein! Weil das Verfahren in diesem
Fall nicht eingehalten wurde und die Rechte der Abge-
ordneten verletzt wurden, fordern wir, dass dieser Gesetz-
entwurf an den federführenden Ausschuss und die mitbe-
ratenden Ausschüsse zurückverwiesen wird. Stimmen Sie
also deshalb dem Antrag der F.D.P. zu! Meine Fraktion
stimmt dem Antrag zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416100600
Nun erteile ich der
Kollegin Heidi Knake-Werner von der PDS-Fraktion das
Wort.


Dr. Heidi Knake-Werner (PDS):
Rede ID: ID1416100700
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PDS-Fraktion wird
dem Rücküberweisungsantrag der F.D.P. zustimmen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch wir sind der Auffassung, dass eine sachgerechte
Mitberatung im Ausschuss für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen nicht möglich war und insofern ein ord-
nungsgemäßes Verfahren nicht stattgefunden hat. Wir kri-
tisieren vor allem, dass durch die zeitlichen Vorgaben des
federführenden Rechtsausschusses der mitberatende Fach-
ausschuss dermaßen unter Druck gesetzt worden ist, dass
eine akzeptable, sachgerechte Beratung nicht möglich war.
In nur einer Stunde sollte der ganze Gesetzentwurf ein-
schließlich 87Änderungsanträgen beraten werden, die, wie
übrigens sehr häufig, erst kurzfristig eingebracht wurden.

Wir halten dies einfach für unzumutbar und meinen,
dass die Arbeit so nicht seriös zu erledigen ist, zumal bei
einem Gesetz, das Sie selber als ein ganz wichtiges Re-
formvorhaben dieser Legislaturperiode bezeichnen und
das für 50 Millionen Menschen in der Bundesrepublik
von großer Bedeutung ist und ihnen ja wohl auch für län-
gere Zeit Rechtssicherheit bringen soll.


(Beifall bei der PDS)

Insofern ist es notwendig, hier eine vernünftige Beratung
zu ermöglichen, vor allem, da Sie immer wieder die Sach-
debatte einfordern.

Der Wohnungsausschuss ist dementsprechend mit sei-
ner Beratung nicht rechtzeitig fertig geworden. Als sein
Votum beim Rechtsausschuss eintraf, hatte dieser seine
Beratung bereits abgeschlossen.

Nun könnte man sagen, das sei ein bloßer Formfehler,
über den man hinwegsehen könne, um den „Laden“ hier
nicht aufzuhalten. Das könnte man natürlich, wenn der
Anlass für diese Geschäftsordnungsdebatte in der Tat die
Ausnahme wäre. Aber auch wir müssen gerade in letzter
Zeit feststellen, dass es hier nicht um die Ausnahme, son-
dern eher um die Regel geht.


(Beifall bei der PDS und der F.D.P. – Zuruf von der CDU/CSU: Leider wahr!)


Wir akzeptieren diesen Formfehler nicht, weil damit
die Rolle der mitberatenden Fachausschüsse überflüssig

gemacht wird. Wir akzeptieren diesen Formfehler nicht,
weil dies für die politische Kultur in diesem Haus schlecht
ist und uns wirklich niemand mehr abnimmt, dass wir we-
nigstens in der Fachberatung unterschiedliche Sichtwei-
sen zur Kenntnis nehmen, einander zuhören und nach
Sachlage entscheiden. Auch hier dominieren vielmehr im
weitesten Sinne wirklich nur die Mehrheiten.

Es häufen sich doch die Beschwerden aus den Fach-
ausschüssen – das wird Ihnen allen doch so gehen –, dass
umfangreichste Reformvorhaben im Hauruckverfahren
durchgezogen werden sollen. Knappe Zeitleisten und
kurzfristig zu bewältigende Papierberge beeinträchtigen
die Mitwirkungsmöglichkeiten gerade der mitberatenden
Ausschüsse und natürlich auch der entsprechenden Fach-
politikerinnen und Fachpolitiker. Solche Bedingungen
behindern nicht zuletzt auch die Mitwirkungsmöglichkei-
ten der Oppositionsparteien und schränken ihre Minder-
heitenrechte in unerträglicher Weise ein.


(Beifall bei der PDS und der F.D.P.)

Das verschlechtert das Arbeitsklima und die Diskussi-

onskultur in diesem Hause. Wir merken das gerade in den
letzten Wochen sehr deutlich. Deshalb sagen wir von der
PDS: Wir finden, die Mehrheit sollte ihre Mehrheit nicht
dazu missbrauchen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416100800
Wir kommen nun zur
Abstimmung über den Antrag der Fraktion der F.D.P. auf
Absetzung des Tagesordnungspunktes 3 und Rücküber-
weisung der beiden Gesetzentwürfe an den federführen-
den Rechtsausschuss sowie den mitberatenden Ausschuss
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Ich gehe davon
aus, dass über beides gemeinsam abgestimmt werden soll.

Wer stimmt für den Antrag der Fraktion der F.D.P.? –
Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? – Der An-
trag ist mit den Stimmen der SPD-Fraktion und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von
CDU/CSU, F.D.P. und PDS abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-

gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neugliederung, Vereinfachung und Reform
des Mietrechts (Mietrechtsreformgesetz)

– Drucksache 14/4553 –

(Erste Beratung 134. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Rainer Funke, Michael Goldmann, Horst
Friedrich (Bayreuth), weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Vereinfachung des Mietrechts

(Mietrechtsvereinfachungsgesetz)

– Drucksache 14/3896 –

(Erste Beratung 124. Sitzung)





Hans-Peter Repnik
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(C)



(D)



(A)



(B)


Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses

(6. Ausschuss)

– Drucksache 14/5663 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Margot von Renesse
Dirk Manzewski
Ronald Pofalla
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Helmut Wilhelm (Amberg)

Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

Zum Entwurf des Mietrechtsreformgesetzes liegen je
ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. und der Frak-
tion der PDS sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU vor. Über den Entwurf des Mietrechts-
reformgesetzes werden wir nachher namentlich abstim-
men.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält der bereits
vor mir stehende Kollege Dirk Manzewski, SPD-Frak-
tion.


Dirk Manzewski (SPD):
Rede ID: ID1416100900
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Am heutigen Tag beraten wir abschließend über den
Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Mietrechtsre-
form.

Dem Mietrecht kommt im alltäglichen Leben eine be-
sondere Bedeutung zu, auch wenn dies vielleicht nicht im-
mer so wahrgenommen wird. Millionen von Menschen
sind als Mieter auf gute und bezahlbare Wohnungen an-
gewiesen. Für Millionen von Vermietern gehören Miet-
einnahmen zur Sicherung ihrer Lebensgrundlage.

Das geltende Mietrecht wird den heutigen Anforderun-
gen von Gesellschaft und Wirtschaft jedoch längst nicht
mehr gerecht. Es trägt weder den gewandelten gesell-
schaftlichen und wirtschaftlichen Lebensverhältnissen
noch der veränderten Wohnungsmarktsituation Rech-
nung. Soweit im Mietrecht überhaupt einmal eine Syste-
matik existierte, ist diese längst nicht mehr erkennbar. Än-
derungen und Ergänzungen haben das Mietrecht vielmehr
immer komplizierter, unübersichtlicher und sprachlich
schwer verständlich gemacht.


(Iris Gleicke [SPD]: Das ist leider wahr!)

Mit ihrem Gesetzentwurf ist es der Bundesregierung

nun gelungen, das Mietrecht den heutigen Erfordernissen
anzupassen und dabei einen gerechten Ausgleich zwi-
schen den Interessen von Mietern und Vermietern zu er-
zielen.


(Beifall bei der SPD)

Der Begriff Reform trifft hier zu. Reform bedeutet Ver-
besserung und Neuordnung des Bestehenden und genau
dies ist hier erfolgt. Ich halte es nun einmal für eine Ver-
besserung, wenn das Mietrecht übersichtlicher, verständ-

licher und transparenter wird. Ich halte es für fortschritt-
lich, wenn es den Mietparteien dadurch eher gelingt, ihre
Rechte und Pflichten auch ohne anwaltlichen Beistand zu
erkennen,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


und ich halte es für zeitgemäß und längst überfällig, wenn
sich das Mietrecht endlich inhaltlich an den veränderten
gesellschaftlichen Bedingungen orientiert.


(Beifall bei der SPD)

Natürlich gelingt es bei einer Reform nie, allen Forde-

rungen sämtlicher Interessenverbände gerecht zu wer-
den oder diese zu erfüllen; das liegt in der Natur der Sa-
che. Ich meine aber, dass es der Bundesregierung
gelungen ist, einen insgesamt ausgewogenen Gesetzent-
wurf vorzulegen, der den berechtigten Interessen aller Be-
teiligten gerecht wird, und darauf kommt es doch an.
Wichtig ist doch nicht, ob die Reform in einzelnen Punk-
ten zu einer Verlagerung der Rechte oder der Pflichten der
Mietparteien führt. Entscheidend ist doch allein, ob sie
sachgerecht ist oder nicht.

Man kann in diesem Zusammenhang deshalb vor allem
nicht unberücksichtigt lassen, dass sich die gesellschaft-
lichen Verhältnisse gerade in den letzten 20 Jahren radikal
geändert haben. Die Anforderungen an das Mietrecht von
heute sind ganz andere als die von gestern. Die Gesell-
schaft von heute fordert eine unglaubliche Flexibilität und
Mobilität ihrer Bürger. Was ist falsch daran, die ent-
sprechenden Gesetze dem anzupassen?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Einführung asymmetrischer Kündigungsfristen
war deshalb längst überfällig und zeitgemäß. Die im Vor-
feld dieser Debatte hieran geäußerte Kritik halte ich für
völlig überzogen und verfehlt. Man kann doch nicht
ignorieren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Si-
tuation auf Mieterseite eine völlig andere ist als auf Ver-
mieterseite.


(Margot von Renesse [SPD]: Das stimmt!)

Ich kann nicht von einem Mieter, der Arbeitnehmer ist,
überspitzt gesagt, einerseits fordern, heute in München,
morgen in Frankfurt und übermorgen in Rostock tätig zu
sein, ihn andererseits aber mit langfristigen Mietverträgen
binden. Das ist alles andere, nur nicht modern und zeit-
gemäß.


(Beifall bei der SPD)

Wer Flexibilität und Mobilität im Arbeitsleben fordert,
dem würde es auch gut zu Gesicht stehen, die Rahmenbe-
dingungen hierfür zu schaffen.

Man kann seine Augen auch nicht davor verschließen,
dass unsere Bevölkerung immer älter wird. Es wird daher
immer häufiger dazu kommen, dass Seniorinnen oder
Senioren kurzfristig in ein Alten- oder Pflegeheim umzie-
hen müssen. Lange Kündigungsfristen für die Wohnung
sind dann einfach nicht zumutbar.




Präsident Wolfgang Thierse

15657


(C)



(D)



(A)



(B)


Diese Veränderungen müssen in einem Mietrecht von
heute Berücksichtigung finden und das tun sie im vorlie-
genden Gesetzentwurf auch durch die kürzeren Kündi-
gungsfristen für Mieter.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Andererseits kann man einem Mieter, der 15 Jahre lang
in einem bestimmten Berliner Kiez gelebt hat, der dort
verwurzelt ist und sein soziales Umfeld hat, dessen Kin-
der dort in den Kindergarten oder in die Schule gehen,
nicht zumuten, nach einer Kündigung aus der Not heraus
gleich die erstbeste ihm angebotene Wohnung anzuneh-
men. Man muss ihm zugestehen, zunächst zu versuchen,
in seinem alten Umfeld eine adäquate Wohnung zu fin-
den. Dies kann doch nicht ernsthaft bestritten werden. Da-
raus ergibt sich auch, dass der Mieter typischerweise
schutzbedürftiger ist als der Vermieter.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Kündigt der Vermieter, verliert der Mieter seine Woh-
nung und sein unmittelbares Wohnumfeld. Der Mieter ist
zu Recht deshalb umso schutzwürdiger, je länger er in der
Wohnung gelebt hat. Dem tragen die im Gesetzentwurf
vorgesehenen, nach Dauer des Mietverhältnisses diffe-
renzierten Kündigungsfristen für den Vermieter zutref-
fend Rechnung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Kündigt der Mieter, verliert dagegen der Vermieter seine
Wohnung nicht. Er ist damit nicht vergleichbar schutzwür-
dig. Ihm reichen in der Regel drei Monate, einen neuen
Mieter zu finden.

Im Übrigen möchte ich noch einmal kurz daran erin-
nern, dass die Kündigungsfristen zum Schutz des Mieters
eingeführt worden sind und nicht zur Vermeidung von
Leerstand, wie offensichtlich einige meinen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch die Kritik an der Senkung der Kappungsgrenze
ist meines Erachtens nicht berechtigt. Wenn behauptet
wird, die Senkung der Kappungsgrenze sei nicht hin-
nehmbar oder ein falsches Signal für Investoren, so halte
ich das für puren Unsinn. Investiert wird dort in den Woh-
nungsbau, wo es sich lohnt. Das heißt, in Gegenden mit
großem Leerstand wie gerade in vielen ostdeutschen Städ-
ten wird niemand bauen, selbst wenn man dort bei der
Mieterhöhung frei wäre. Umgekehrt wird eine noch so ge-
ringe Möglichkeit, Mieterhöhungen vorzunehmen, Inves-
toren dort nicht abschrecken, wo Rendite zu erwarten ist.
So ist das nun einmal.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Seien wir doch einmal ganz ehrlich, liebe Kolleginnen

und Kollegen! Worüber reden wir in diesem Zusammen-
hang eigentlich? Circa 5 Prozent Mieterhöhung werden
tatsächlich im Durchschnitt vom Vermieter verlangt. Das
heißt, die Kappungsgrenze für Mieterhöhungen wird

heutzutage ohnehin nicht ausgeschöpft. Die Senkung der
Kappungsgrenze von 30 Prozent auf 20 Prozent tut dem
Vermieter also in der Regel überhaupt nicht weh.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Warum habt ihr das dann gemacht? Dann hättet ihr es doch lassen können! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Nun hören Sie doch einmal zu, Herr Pofalla! – Dem
Mieter allerdings hilft sie dort, wo Ballungsgebiete mit
vielen Menschen und wenig Wohnraum sind, und natür-
lich dort, wo spekuliert wird. Deswegen ist es völlig in
Ordnung, eine Reduzierung der Kappungsgrenze vorzu-
nehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU])


– Sie müssen zuhören und nicht dazwischenschreien!
Dann verstehen Sie das vielleicht auch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Gerade junge Familien mit Kindern und alte Menschen

haben unter Mieterhöhungen häufig zu leiden. Diesen
wollen und werden wir mit der Senkung der Kappungs-
grenze helfen. Dadurch zeichnet sich die sozial verant-
wortliche Politik dieser Regierungskoalition aus, und
dazu stehen wir.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: Nur scheinbar!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verhehle nicht,
dass mit der Mietrechtsreform nicht alle Probleme des
Mietrechts gelöst worden sind. Das konnten sie meiner
Auffassung nach aber auch gar nicht. So hätte ich mir
natürlich gewünscht, dass wir das Problem der Schön-
heitsreparaturen gelöst hätten.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Aha!)

– Herr Kollege, in der Praxis hat sich jedoch gezeigt, wie
unglaublich schwierig es ist, gerade diesen Bereich zu re-
geln. Es wäre schön gewesen, wenn Sie hier nicht nur
„Aha!“ dazwischenschrien, sondern an den Beratungen
teilgenommen hätten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich erinnere daran, dass eine Bund-Länder-Arbeitsgrup-
pe eingesetzt worden ist, der es nicht gelungen ist, sich auf
einen Gesetzestext zu verständigen. Das ist die Tatsache
gewesen. Sie hat zu ihrem Bericht extra ein kleines Büch-
lein zur Frage der Schönheitsreparaturen herausgebracht
und musste eingestehen, dass sie keine Gesetzestextver-
sion finden konnte, die den Interessen sämtlicher Betei-
ligten gerecht wird. Das kann man doch nicht einfach
ignorieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch im Laufe dieses Gesetzgebungsverfahrens konnte

von niemandem eine Regelung präsentiert werden, die




Dirk Manzewski
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(A)



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ausgewogen die Interessen beider Vertragsparteien
berücksichtigt. Sollte hier jemand den Stein der Weisen
finden – das gestehe ich Ihnen gerne zu, Herr Kollege –
und einen konkreten Vorschlag unterbreiten, der glei-
chermaßen die Interessen von Vermietern und Mietern
berücksichtigt, dann sind wir sicherlich die Letzten, die
den hier vorgelegten, ohnehin schon hervorragenden
Gesetzentwurf nicht im Nachhinein verbessern würden.
Wir doch nicht! Wir würden das gerne machen, Herr
Kollege.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Sie haben doch gar nichts gemacht!)


– Herr Kollege, wir haben nichts gemacht? Wir haben ein
modernes Mietrecht geschaffen. Ein modernes Miet-
recht bedeutet auch eine inhaltliche Verbesserung. Das
haben wir angepackt. Es wäre wünschenswert gewesen,
dass auch Sie sich inhaltlich dazu geäußert hätten. Das ha-
ben Sie leider nicht getan.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Das ist nicht wahr! – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist absolut falsch!)


Wie üblich haben Sie als Opposition nur kritisiert, haben
aber andererseits interessanterweise in den Debatten auch
eingestanden, dass eine Modernisierung des Mietrechts
längst überfällig ist.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: So etwas kann man doch hier nicht ungestraft sagen!)


– Warum soll ich das nicht ungestraft sagen können? Ich
tue es doch gerade.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Wir haben doch Alternativen vorgelegt!)


Sie können gerne hierzu debattieren. Ich werde mich dann
auch melden. Dann können wir uns prima über die Sache
unterhalten. Ich hätte das gerne im Vorfeld gemacht. Lei-
der sind Sie dazu nicht bereit gewesen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wir brauchen ein modernes
Mietrecht. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung setzt
meiner Auffassung nach insoweit Maßstäbe.

Frau Ministerin, ich möchte Sie hierzu beglückwün-
schen und mich für die konstruktive Zusammenarbeit mit
Ihrem Haus bedanken.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416101000
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Ronald Pofalla, CDU/CSU-Fraktion.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Jetzt hören wir die Wahrheit!)


Ronald Pofalla (CDU/CSU) (von der CDU/CSU mit
Beifall begrüßt): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Alfred Hartenbach,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: „Lieber“ würde ich nicht sagen!)


ich will zwei Anmerkungen zu Ihrem Geschäftsord-
nungsdebattenbeitrag machen.

Erstens kann ich festhalten – Sie haben darauf hinge-
wiesen –: Es ist Konsens auch mit der CDU/CSU-Bun-
destagsfraktion, dass heute Donnerstag ist.


(Beifall des Abg. Eckart von Klaeden [CDU/CSU] – Dr. Uwe Küster [SPD]: Aber nachts ist es kälter als draußen!)


Zweitens. Wenn Alfred Hartenbach davon spricht, die
Opposition stehle Zeit, und hier den Begriff „Zeitdiebe“
verwendet, dann wird deutlich, was schon länger in Sit-
zungen des Rechtsausschusses deutlich geworden ist: Sie
würden am liebsten die Opposition abschaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Iris Gleicke [SPD]: Ronald, du hast nicht zugehört! Das ist Quatsch!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Chance
für eine solide, gemeinsame Lösung zur Reform des
Mietrechts ist vonseiten der Regierungskoalition vertan
worden. Die Verantwortung für dieses traurige Beispiel
mangelnder inhaltlicher Kooperationsbereitschaft und
auch die Folgen dieser schlechten Mietrechtsreform trägt
einzig und allein die Regierungskoalition von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die starre Haltung der Regierungskoalition hat sich
während des Gesetzgebungsverfahrens trotz vernünfti-
ger, sachbezogener Argumentation seitens der Union
nicht geändert. Schlimmer noch: Von Anfang an ist hier
nicht die kleinste Änderung vonseiten der Opposition zu-
gelassen worden. Die Regierungskoalition will wider bes-
seres Wissen durchsetzen, was sie in der Diskussion nicht
überzeugend vertreten konnte. Diese starre Haltung ist im
demokratischen Diskurs fehl am Platz.

Warum tatsächlich keine Änderungsbereitschaft sei-
tens der Regierungskoalition bestand, ist einfach zu er-
klären: Zum einen liegt dies an der Notwendigkeit eines
Koalitionskompromisses und zum anderen an ideologi-
schem Scheuklappendenken. Hier soll ein sozialistisches
Pflichtprogramm absolviert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Uwe Küster [SPD]: Jetzt kommt die Mottenkiste!)


Die Politik der so genannten Neuen Mitte findet sich bei
dieser Mietrechtsreform nicht wieder. Stattdessen ver-
sucht die alte Linke hier im Deutschen Bundestag Miet-
rechtspolitik zu betreiben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)





Dirk Manzewski

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Das ewige – heutzutage vor allem falsche – Lied vom
schwachen, armen Mieter und vom kapitalistischen, bö-
sen Vermieter ertönt wieder einmal.


(Helmut Wilhelm [Amberg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wo haben Sie denn das gehört?)


Die Segnungen der Sozialdemokratie sollen dem angeb-
lich geschundenen Mieter nun aus seiner angeblich unter-
drückten Position heraushelfen.

Dieses veraltete Klassendenken hat dazu geführt, dass
die große Chance einer gerechten und umfassenden Re-
form des Mietrechts tatsächlich nicht genutzt wurde.
Selbst in ideologisch nicht so relevanten Nebenbereichen
des Reformvorhabens gab es kein Entgegenkommen sei-
tens der Regierungskoalition.

Hingegen hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion von
Anfang an Kooperationsbereitschaft gezeigt. Das Grund-
muster der von der Regierung beabsichtigten Reform wurde
respektiert. Viele neue Regelungen wurden wohlwollend
zur Kenntnis genommen. Die von der CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion eingebrachten Änderungsanträge hätten als
Basis für eine – das will ich betonen – gemeinsame, gerechte
und ausgeglichene Reform dienen können.

Doch die Regierungskoalition zeigt einmal mehr ihre
Kompromissunfähigkeit. Gegen den Protest der Mieter-
und Vermieterverbände, gegen Proteste des Mietgerichts-
tages, gegen die Meinung anerkannter Sachverständiger,
gegen Länderinteressen und gegen jede Vernunft soll nun
der in Rede stehende Gesetzentwurf durchgesetzt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Die angeblichen Entlastungen, die im Gesetzentwurf vor-
gesehen sind, schlagen über kurz oder lang auf die Mieter
zurück; von tatsächlich ungerechten – vielleicht sogar ver-
fassungswidrigen; darauf werde ich noch näher eingehen –
Regelungen gegenüber dem Vermieter ganz abgesehen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Asymmetrische Kündigung!)


Ich will hier nur einige Punkte anreißen, über die man
sich, so denke ich, hätte verständigen können:

Erstens. Da ist zum einen die Senkung der Kap-
pungsgrenze von 30 auf 20 Prozent,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Völlig überflüssig!)


die ohnehin nur bei Mieten unterhalb der Vergleichsmiete
wirksam wird. Dies ist eine insgesamt unnötige Maß-
nahme.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Iris Gleicke [SPD]: Warum regen Sie sich so darüber auf?)


Der Wohnungsmarkt in Deutschland ist entspannt – übri-
gens aufgrund der Regierungspolitik der alten Koalition.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Iris Gleicke [SPD]: Herr Pofalla! – Gegenruf des Abg. Eduard Oswald [CDU/CSU]: Was wahr ist, ist wahr!)


Im letzten Mietbericht der jetzigen Bundesregierung
wurde festgestellt, dass der Mietmarkt in Deutschland
entspannt ist. Dies kann bei einer 16-jährigen Vorgänger-
regierung nur auf deren Regierungspolitik zurückzu-
führen sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Eine Senkung der Kappungsgrenze führt letztlich nur
dazu, dass die Vermieter umso konsequenter den vollen
Rahmen der möglichen Erhöhungen ausnutzen. Diese
Regelung schadet dem zukünftigen Bau von Mietwoh-
nungen massiv und damit den Mietern, die dadurch be-
reits in zwei bis drei Jahren, wenn es in Deutschland zu
wenig Wohnungen geben wird – wir werden uns dann hier
im Deutschen Bundestag darüber unterhalten müssen –,
höhere Mieten werden zahlen müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit einer Politik der so genannten Neuen Mitte hat das
nichts zu tun.

Zweitens. Eine ebenfalls nicht hinzunehmende Rege-
lung ist hinsichtlich des qualifizierten Mietspiegels be-
absichtigt. Nicht Gemeinde und Interessenverbände der
Mieter und Vermieter sollen den Mietspiegel festsetzen,
sondern dieser soll alternativ von einem der beiden erstellt
werden. De facto führt das dazu, dass die Gemeinde zur
Preisbehörde wird. Neben einem Anstieg des Verwal-
tungsaufwandes hätte dies auch eine verstärkte politische
Einflussnahme auf die Mietpreise zur Folge.

Die in dem Gesetzentwurf aufgeführten „wissen-
schaftlichen Grundsätze“ sind als Maßstab zur Festlegung
des Mietspiegels reine Augenwischerei. Die so genannten
Grundsätze sind nicht geeignet, den erheblichen Spiel-
raum der Behörde bei der Mietspiegelfestsetzung einzu-
grenzen. Sie haben die Chance vertan, ganz grundsätzlich
über die Frage und die Funktion des Mietspiegels zu dis-
kutieren. Wir hätten sehr wohl darüber diskutieren kön-
nen, ob der Mietspiegel überhaupt noch die Funktion er-
füllt, die ihm ursprünglich zugewiesen worden war. Das
Instrument des Mietspiegels ist kostenaufwendig, verwal-
tungsaufwendig und ist im Ergebnis in den allerwenigsten
Fällen wirklich eine Hilfe für die Mieter. Diese Frage zu
diskutieren waren Sie aber nicht bereit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Funke [F.D.P.])


Drittens. Die Melodie der „Internationale“ meint man
leise im Hintergrund zu hören, wenn es um die zeitlich un-
terschiedlichen Kündigungsfristen von Mietern und Ver-
mietern geht.


(Helmut Wilhelm [Amberg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Vielleicht ist die Interessenlage unterschiedlich!)


Zum ersten Mal seit dem Bestehen der Bundesrepublik
Deutschland wird durch die Regierungskoalition die so-
ziale Symmetrie zwischen Vermietern und Mietern ein-
seitig aufgekündigt. Dies lehnen wir ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)





Ronald Pofalla
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Ich sage Ihnen voraus: Diese Regelung wird vor dem
Bundesverfassungsgericht verhandelt


(Alfred Hartenbach [SPD]: Das macht ihr immer, wenn ihr nicht weiter wisst!)


und dort womöglich wegen Verfassungswidrigkeit aufge-
hoben werden. Die Situation von Mieter und Vermieter ist
in den meisten Fällen längst nicht mehr so unterschied-
lich, dass Kündigungsfristen von deutlich unterschied-
licher Dauer gerechtfertigt wären. Gerade der private
Kleinvermieter wird durch solche Regelungen abge-
schreckt. Mit einer Politik der so genannten Neuen Mitte
hat das nichts zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Viertens. Bei der geplanten Vertragsnachfolge

– nicht nur der des Ehepartners – bei Tod des Mieters
durch jede im Haushalt des Mieters aufgenommene Per-
son kann ein Eigentümer unter Umständen über Jahre hi-
naus seine Einflussnahme darauf verlieren, wer sein Ei-
gentum bewohnt.


(Iris Gleicke [SPD]: Ach du lieber Gott!)

Hier wird in eklatanter Weise in die Privatautonomie ein-
gegriffen. Auch diesen Punkt lehnen wir entschieden ab.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese Form von uferlosen Zwangsverträgen ist unserer
Rechtsordnung fremd.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Wie war das? Noch einmal den Satz wiederholen!)


Mit einer Politik der so genannten Neuen Mitte hat das,
Herr Hartenbach, nichts zu tun.

Die Reform ist auch praxisuntauglich. Der Deutsche
Mietgerichtstag – mit dem sollten Sie sich einmal ausei-
nander setzen –


(Alfred Hartenbach [SPD]: Haben wir schon!)

hat in aller Deutlichkeit betont: Die Reform soll ausge-
setzt und auf ihre Praxistauglichkeit überprüft werden. –
An der Art und Weise der Beratung, insbesondere der zeit-
lichen Gestaltung, sieht man, wie viel Rücksicht Sie auf
die fundamentalen Interessen des Mietgerichtstages ge-
nommen haben, nämlich überhaupt keine.

Fünftens. Als Beispiel sei hier vor allem genannt, dass
Schönheitsreparaturen nach wie vor nicht geregelt sind,
obwohl in diesem Bereich Regelungsbedarf besteht und
viele Streitigkeiten gerade hier entstehen.


(Helmut Wilhelm [Amberg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wo war denn Ihr Vorschlag dazu?)


Realität ist doch: Ein Mieter zieht aus. Der Vermieter in-
spiziert die Wohnung und brummt dem ehemaligen Be-
wohner einen unerwarteten Renovierungsauftrag auf.
Zum Streitpunkt werden dann Löcher in Decken und
Wänden, Stellen, wo Bilder oder Lampen waren. In
Millionen von Mietverträgen werden die Schönheitsre-
paraturen auf die Mieter abgewälzt. Diese Missstände
zu ändern waren Sie nicht bereit und in der Lage. Das

zeigt, dass Sie in einem ganz zentralen Punkt versagt
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dirk Manzewski [SPD]: Wo ist denn Ihre Version?)


Der Mieter kann wieder einmal sehen, wo er bleibt.
Nochmals – ich weiß, dass es Ihnen nicht gefällt, aber es
ist so –: Mit einer Politik der so genannten Neuen Mitte
hat das nichts zu tun.

Sechstens. Auch die Interessen der Bundesländer
werden in dem Gesetzentwurf gröblich missachtet. Am
verheerendsten erscheint dabei die völlige Ignorierung
der Wohnraumsituation in den neuen Bundesländern. Ob-
wohl 30 Prozent der Wohnungen im Osten Deutschlands
leer stehen und verfallen, soll eine Verwertungskündi-
gung auch in Zukunft in den neuen Bundesländern ausge-
schlossen sein. Dies ist angesichts einer längst nicht mehr
bestehenden Wohnraumknappheit und angesichts der aus
dem Ausschluss der Verwertungskündigung resultieren-
den Verhinderung von notwendigen Sanierungen und Ab-
rissen absolut unverständlich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Siebtens. Auch ökologische Gesichtspunkte bleiben

in der neuen Mietrechtsreform völlig außen vor – und das
ausgerechnet bei einer rot-grünen Regierung.


(Helmut Wilhelm [Amberg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wissen Sie überhaupt, wie man „ökologisch“ schreibt?)


Ein Ausgleich der gesamtökologischen Interessen und der
Interessen der Mietvertragsparteien hätte in den Gesetzent-
wurf aufgenommen werden können. Beispielsweise hätten
Energieeinsparmöglichkeiten festgeschrieben werden kön-
nen. Aber ich betone: hätten. Die so genannte große Miet-
rechtsreform ist eben nur halb gares Stückwerk und hat ent-
scheidende Reformkomponenten außen vor gelassen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Iris Gleicke [SPD]: Anhaltender starker Beifall!)


Es bleibt festzuhalten: Bei dieser Reform steht die
Ideologie jedem sinnvollen Kompromiss im Wege.


(Helmut Wilhelm [Amberg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ihre Ideologie!)


Vordergründige Mieterinteressen sollen auf Biegen und
Brechen ausgebaut werden, doch führen die von der Bun-
desregierung angebotenen und von der Regierungskoali-
tion mitgetragenen Lösungen gerade von einem sozial
ausgeglichenen Mietrecht weg, da nur kurzfristige Lö-
sungen angestrebt und langfristige Perspektiven außer
Acht gelassen werden.

Die Bundesregierung und die Fraktionen der Regie-
rungskoalition vergessen, dass der beste Mieterschutz ein
ausreichendes Angebot an modernen und gepflegten Woh-
nungen bei vernünftigen Mietpreisen ist. Durch Ihre Reform
– das werden wir bereits in zwei bis drei Jahren sehen – wird
genau dieser Umstand nicht eintreten, weil durch dieses Re-
formvorhaben die Bereitschaft, sich im Mietwohnungs-
markt investiv zu betätigen, zunichte gemacht wird.

Die Bundesregierung hat das Angebot für eine Reform,
die im breiten Konsens im Deutschen Bundestag möglich




Ronald Pofalla

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gewesen wäre, nicht genutzt. Die CDU/CSU-Bundestags-
fraktion hat in den Beratungen des Rechtsausschusses an-
lässlich der Berichterstattergespräche hinlängliche Be-
reitschaft gezeigt,


(Helmut Wilhelm [Amberg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Hinlänglich geschwiegen!)


zu einem gemeinsamen Reformvorhaben zu kommen.
Aber die Sozialdemokraten standen wieder unter dem
Teildiktat der grünen Fraktion. Sie waren nicht in der
Lage, Kompromisse zu schließen. Sie waren nicht in der
Lage, einen sinnvollen Interessenausgleich zwischen
den Interessen der Mieter und der Vermieter vorzuneh-
men.

Von daher ist die Möglichkeit, mit dieser Reform einen
wirklichen Reformansatz zu schaffen, nicht nur vertan
worden. Sie haben diese Reform vielmehr dazu genutzt,
um altes ideologisches Denken umzusetzen. Sie schaden
bereits in zwei bis drei Jahren – das ist erkennbar – den In-
teressen der Mieter. Dann werden wir uns hier im Deut-
schen Bundestag über die Auswirkungen dieser verfehl-
ten Mietrechtsreform zu unterhalten haben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416101100
Ich erteile dem Kolle-
gen Helmut Wilhelm, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Ausgewogen, fair, klar, verständlich und darum
auch für Vertragsparteien ohne fachlichen Beistand gut
handhabbar – dies sind die neuen Attribute, die auf das
Mietrecht hinfort zutreffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich bin stolz darauf, dass wir von SPD und Grünen den
rund 60 Millionen Mietern und Vermietern in unserem
schönen Land eine gelungene Mietrechtsreform präsen-
tieren können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Jetzt schönen Sie sehr!)


Zusammen mit unserem Koalitionspartner konnten wir
von Bündnis 90/Die Grünen unsere Vorstellungen von ei-
nem modernen und sozialen Mietrecht fast ohne Abstri-
che umsetzen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das kommt immer darauf an, was man unter „modern“ versteht!)


Orientierung und Leitlinie des neuen Mietrechts sind
die sich in fast 27 Jahren verändert habenden gesell-
schaftlichen Bedingungen. 27 Jahre – eine so lange Zeit
musste verstreichen, bis der Gesetzgeber der Aufforde-
rung des Bundestags von 1974, eine große Mietrechtsre-
form vorzulegen, nachgekommen ist.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir haben eine hervorragende Mietsituation in Deutschland!)


Anders ausgedrückt: Die rot-grüne Reformregierung
funktioniert prächtig,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


und zwar zum Wohl aller in Deutschland lebenden Men-
schen. Das neue Mietrecht ist dabei ein Meilenstein rot-
grüner Regierungsverantwortung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es ist auf das Interesse von Mietern, Vermietern und In-
vestoren ausgerichtet. Als Streiter für die grüne Sache ist
für mich besonders erwähnenswert: Es nützt der Umwelt.

Zugleich wird die besondere Schutzbedürftigkeit von
behinderten Menschen, älteren Mitbürgern und Familien
hervorgehoben. So wird erstmals eine Regelung zur
Barrierefreiheit in das Mietrecht aufgenommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Damit wird festgeschrieben, dass behinderte Mieter oder
deren Angehörige im Bedarfsfall die Wohnung behinder-
tengerecht umbauen können, wenn sie dem Vermieter
eine zusätzliche Sicherheit für die zu erwartenden Rück-
baukosten leisten. Dies, meine Damen und Herren von der
F.D.P., ist ein Beispiel für sozial verantwortliche Politik,
die natürlich auch die Interessen der Vermieter berück-
sichtigt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Rainer Funke [F.D.P.]: Wir haben dem zugestimmt, Herr Kollege!)


Ich bin mir sicher, dass auch Sie, verehrte Kolleginnen
und Kollegen von der Opposition, diese Regelung irgend-
wann einmal zu schätzen wissen, nämlich spätestens
dann, wenn Sie vielleicht – ich wünsche es Ihnen wirklich
nicht – nicht mehr so agil durch die Welt laufen können
wie heute.

Die Kündigungsfristen für Mieter werden von bisher
maximal zwölf Monaten auf drei Monate abgesenkt.
Wenn der Arbeitsmarkt Berufstätigen eine hohe Mobilität
abfordert, darf das Mietrecht nicht bremsen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das ist doch ein Scheinargument!)


Gleichzeitig verkürzen sich die Kündigungsfristen für die
Vermieter auf höchstens neun Monate. Auch das ist ein
Beispiel für die Ausgewogenheit des Entwurfs bei Wür-
digung der unterschiedlichen Interessenlagen. Es ist
wichtig, zu beachten, dass die Unterschiedlichkeit der In-
teressenlagen eine asymmetrische Behandlung in Bezug
auf die Fristen erfordert.

Ferner beachtet das neue Mietrecht alternative Formen
des menschlichen Zusammenlebens. Künftig gilt für alle
Paare gleiches Recht. Die anachronistische Diskriminie-
rung homosexueller Lebensgemeinschaften im Falle des




Ronald Pofalla
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Todes eines Mieters wird beseitigt. Der schwule Partner
oder die lesbische Partnerin kann in der vormals gemein-
samen Wohnung verbleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Dafür hätte ein Satz genügt!)


Das neue Mietrecht belohnt umweltbewusstes Verhal-
ten. Betriebskosten werden künftig verbrauchsabhängig
berechnet; Mieter zahlen künftig das, was sie verbraucht
haben. Diese Änderung wird sich verbrauchsmindernd
auswirken und schont damit Geldbeutel wie Umwelt glei-
chermaßen. Umweltbewusste Modernisierungsmaßnah-
men werden honoriert und kommen – durch niedrigere
Nebenkosten – auch den Mietern zugute. Die energetische
Beschaffenheit der Wohnung wird in der Begründung des
Gesetzentwurfes als mietspiegelrelevantes Beschaffen-
heitskriterium herausgehoben.

Dass die Mietrechtsnovelle ein Erfolg ist, hat sich
schon in der Anhörung vor dem Rechtsausschuss abge-
zeichnet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rainer Funke [F.D.P.]: Wo haben Sie denn da gesessen? – Gegenruf des Abg. Dirk Manzewski [SPD]: Er war da!)


Die Experten waren sich in ihrer Grundaussage zu dem
Vorhaben überwiegend einig. Sie haben den Entwurf ge-
lobt, aber an einigen Stellen Veränderungen vorgeschla-
gen. Ich habe selten eine so intensive Einbindung und eine
so gute Zusammenarbeit mit unabhängigen Experten aus
Wissenschaft und Praxis sowie Verbänden erlebt wie bei
diesem Gesetzesvorhaben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich bin davon überzeugt, dass sich die dadurch er-
reichte Qualität des Entwurfs im mietrechtlichen Alltag
zeigen wird. Mieter und Vermieter bzw. deren Interessen-
verbände werden die Signale des neuen Mietrechts auf-
nehmen und im beiderseitigen Interesse umsetzen. Dann
wird hoffentlich die doch wohl nur populistische Kritik
der Opposition verstummen, die leider auch noch heute
rein klientelorientiert auf ein einseitiges und damit weni-
ger soziales, weniger gerechtes und weniger ausgewoge-
nes Mietrecht hinausläuft. Die doch etwas dürftigen An-
träge von F.D.P. und Union zu unserem Gesetzentwurf
lassen jedenfalls kaum einen anderen Schluss zu. Diese
doch etwas mickrigen Anträge sind für mich in meiner
Rede kaum einer weiteren Befassung wert. Seien Sie mir
nicht böse, meine Damen und Herren von der F.D.P. und
der Union.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oberlehrer!)

Jetzt wird es offenbar, warum Sie es trotz vieler An-

läufe in der Vergangenheit nie schaffen konnten, eine
große Mietrechtsreform vorzulegen. Vor allem die F.D.P.
hat jederzeit versucht, ihrem Deregulierungswahn
entsprechend einseitig ihre Wählerschichten aus der Wirt-
schaft zu bedienen. Es verwundert schon sehr, dass die
F.D.P. heute ihre soziale Ader entdeckt und mit ihrem Än-

derungsantrag die Mieter vor Eigentumsbildung schützen
möchte. Das eigentliche Ziel dürfte wohl sein, Notaren
eine zusätzliche Einkommensquelle zu sichern.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Bei den kleinen Streitwerten lohnt das gar nicht!)


Ich kann es nicht oft genug wiederholen: Was für ein
Glück, dass die Kolleginnen und Kollegen von CDU und
CSU die F.D.P. in der vergangenen Legislaturperiode
stoppen konnten, allerdings um den Preis der Handlungs-
unfähigkeit bezüglich einer Mietrechtsreform.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Regierung, SPD und Grüne haben sich auf keine Seite
ziehen lassen. Herausgekommen ist ein gerechter und
tragfähiger Interessenausgleich, der noch sehr lange Be-
stand haben wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416101200
Ich erteile dem Kolle-
gen Rainer Funke, F.D.P.-Fraktion, das Wort.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1416101300
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Die Notwendigkeit einer Mietrechtsreform
ist auch in unseren Augen völlig unstreitig. Deswegen hat
auch meine Fraktion einen Ihnen vorliegenden Gesetz-
entwurf formuliert und ebenso wie die Bundesregierung
darauf Wert gelegt, das derzeit geltende, in zahlreiche
Vorschriften zersplitterte Recht in einem Gesetzentwurf,
und zwar in lesbarer Form, zusammenzufassen. Dies ist
der Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf, zumin-
dest was die handwerkliche Seite angeht, genauso gelun-
gen wie der F.D.P.-Fraktion. Das liegt natürlich auch da-
ran, dass wir hier gemeinsame Wurzeln haben. Aber ein
Gesetz ist nicht danach zu beurteilen, wie es formal ge-
staltet ist. Vielmehr kommt es auf den Inhalt an.


(Beifall bei der F.D.P.)

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung kann in-

haltlich in keiner Weise befriedigen. Das liegt vor allem
daran, dass die Bundesregierung und die Koalitionsfrak-
tionen einseitig die Mieterinteressen in den Vordergrund
gestellt haben. Es ist kein Gesetzentwurf, der die Interes-
senlagen von Vermietern und Mietern als gleichberech-
tigte Vertragsparteien ausgewogen berücksichtigt.


(Beifall bei der F.D.P.)

Dies wird unter anderem an den unterschiedlichen, asym-
metrischen Kündigungsfristen für Mieter und Vermieter
deutlich.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Das ist gut so!)

Während die Mieter das Recht zu verkürzten Kündi-
gungsfristen von drei Monaten erhalten, wird der Vermie-
ter auf die im Vergleich zum bisherigen Recht nahezu un-
verändert langen Kündigungsfristen verwiesen. Damit
wird das Leerstandsrisiko einseitig auf den Vermieter ab-
gewälzt.


(Iris Gleicke [SPD]: So ein Käse!)





Helmut Wilhelm (Amberg)


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Als Begründung wird angegeben, der Mieter müsse ge-
rade wegen der Arbeitsmarktverhältnisse mobil sein und
demgemäß kurzfristig kündigen können, eine Behaup-
tung, die durch die Praxis in keiner Weise bestätigt wird.
Diese Regelung ist wenig praxisbezogen, und dieser Man-
gel an Praxisbezogenheit ist dann auch das Manko des
gesamten Gesetzes; es ist rein ideologiebehaftet.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Iris Gleicke [SPD]: Bringen Sie keine Schärfe in die Debatte!)


Vielleicht ist es von einer Ministerin, die immerhin seit
1972 im Bundestag sitzt, zu viel verlangt, praxisbezogen
zu handeln.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: Vielen Dank, Herr Kollege!)


– Ich mache Ihnen das nicht zum Vorwurf, Frau Kollegin,
aber ich mache Ihnen sehr wohl zum Vorwurf, dass Sie
den Rat der Wirtschaftsverbände und der Organisationen
auf dem Gebiet des Mietrechts unberücksichtigt lassen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das beginnt mit dem Deutschen Mieterbund – die Präsi-
dentin ist ja unter uns –, das gilt für den Deutschen Miet-
gerichtstag und das setzt sich fort mit der Interessenver-
tretung der Haus- und Grundeigentümer sowie mit dem
Gesamtverband der deutschen Wohnungswirtschaft und
dem Verband der freien Wohnungsbaugesellschaften.

Es wäre zudem sehr hilfreich gewesen, wenn sich die
Ministerin bei der Erarbeitung eines neuen Mietrechts
auch einmal mit Investoren der Wohnungswirtschaft un-
terhalten hätte. Denn dann wäre ihr deutlich geworden,
dass die Bereitschaft, in die Wohnungswirtschaft zu in-
vestieren, bei vielen Banken und Kapitalsammelstellen
auf ein Minimum geschrumpft ist. Das hängt zum einen
mit der schon erwähnten einseitigen Bevorzugung der
Mieter zusammen, zum anderen aber auch damit, dass In-
vestitionen in den Wohnungsmarkt von dieser Bundesre-
gierung steuerrechtlich benachteiligt werden und dass das
Mietrecht nach wie vor zu kompliziert ist. So sind die §§ 2
bis 4 des Miethöhegesetzes nahezu unverändert in das
BGB übernommen worden, ohne die berechtigten Klagen
aus der Praxis in irgendeiner Weise zu berücksichtigen.
Wenn für einfache Mieterhöhungen bei Wohnungsbauge-
sellschaften und Verwaltungsgesellschaften Heerscharen
von Juristen benötigt und auch die Gerichte damit belas-
tet werden, dann zeigt das, wie kompliziert das Mietrecht
ist. Der soziale Friede zwischen Mieter und Vermieter
wird eben in keiner Weise berücksichtigt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das erkennt man ebenfalls bei der Frage der Kap-
pungsgrenzen. Die Kappungsgrenzen spielen im Miet-
recht heute überhaupt keine Rolle mehr.


(Beifall bei der F.D.P.)

Trotzdem muss diese Kappungsgrenze aus Ideologie-
gründen wieder gegen die angeblich so bösen Vermieter
herhalten. Das geschieht auch noch gegen den Rat des

GdW, der bekanntlich seit Jahrzehnten sozialdemokra-
tisch geführt wird. Ich will nicht missverstanden werden:
Es geht mir nicht darum, die Kappungsgrenze zu strei-
chen. Die Senkung von 30 Prozent auf 20 Prozent ist
aber – auch wenn die Kappungsgrenze keine entschei-
dende Rolle mehr spielt – das falsche politische und da-
mit auch das falsche wirtschaftliche Signal an die Ver-
mieter und Investoren.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist für den gesamten Wohnungsbau schädlich.
Wie wenig die Bundesregierung dem Markt und den

vertragsschließenden Parteien vertraut, wird auch daraus
ersichtlich, dass echte Zeitmietverträge nach wie vor
praktisch, mit ganz wenigen Ausnahmen, ausgeschlossen
sind. Ich kann noch immer nicht verstehen,


(Iris Gleicke [SPD]: Dafür können wir nichts, Herr Funke!)


dass es erwachsenen Mietparteien nicht überlassen sein
soll, miteinander eine exakte zeitliche Dauer eines
Mietvertrages zu vereinbaren. Die Menschen sind doch
als Vertragsparteien berechtigt – und manchmal sogar ver-
pflichtet –, Regelungen mit festen Zeitgrenzen zu finden.
Das ist in anderen Bereichen so, warum nicht auch im
Mietrecht?


(Beifall bei der F.D.P.)

Diese Bevormundung ist im Übrigen schon aus rechts-
staatlichen Gesichtspunkten überhaupt nicht zu verste-
hen.

Genauso unverständlich ist der Ausschluss der Ver-
wertungskündigung, die insbesondere den Genossen-
schaften in den neuen Bundesländern wegen des Überan-
gebots an Wohnungen sehr geholfen hätte. Der
vorgesehene Ausschluss dieses Mittels ist eine ganz
krasse Einengung der Verfügungsmacht des Grundei-
gentümers; so soll offensichtlich die Regulierung durch
die Marktkräfte verhindert werden.


(Iris Gleicke [SPD]: Was denn für Marktkräfte bei 1 Million leer stehender Wohnungen?)


Dabei sind die Mieter wegen des Überangebots von
Wohnraum hinreichend geschützt, auch in den neuen
Bundesländern.

Ähnlich verhält es sich hinsichtlich der Umwandlung
in Wohneigentum unter erschwerten Bedingungen bei
Kündigung wegen Eigenbedarfs. Offensichtlich soll
lediglich der Bestand, nämlich die derzeitig dort woh-
nenden Mieter, geschützt werden, nicht aber der Ei-
gentümer oder gar junge Familien, die Wohneigentum
preiswert erwerben wollen. Auch mir geht es um den
Schutz von Mietern; aber es müssen ebenfalls die Inte-
ressen der anderen Seite im Wohnungsbereich berück-
sichtigt werden.

Die Bundesregierung wäre besser beraten gewesen,
das Mietrecht weiter zu deregulieren und den Mietver-
tragsparteien wieder mehr Freiheit für die Gestaltung ih-
rer Mietverträge einzuräumen. Das hätte Investoren wie-




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der ermutigt, mehr Wohnungen zu bauen und mehr Woh-
nungen zu modernisieren. Mehr Mut zum Markt wäre
besser gewesen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dies hätte man aufgrund des ausgewogenen Verhält-
nisses von Angebot und Nachfrage in den meisten deut-
schen Städten endlich wagen können und auch müssen.
Die Vergangenheit hat uns gezeigt, dass gerade die Städte,
die als letzte die Mietpreisbindungen aufgehoben haben,
bei der Wohnungsversorgung am schlechtesten dran ge-
wesen sind.

Ich habe mit großem Bedauern verfolgt, wie dieser Ge-
setzentwurf zum Mietrecht im Rechtsausschuss behandelt
worden ist. In den Berichterstattergesprächen ging man
natürlich sehr höflich und sehr nett miteinander um,


(Alfred Hartenbach [SPD]: Das haben Sie auch verdient!)


wie sich das unter Juristen gehört. Der Staatssekretär Pick
hat über die Änderungen während des Beratungsverfah-
rens sachlich und gut informiert.


(Iris Gleicke [SPD]: So kennen wir den Herrn Pick!)


– So kenne auch ich ihn, liebe Frau Kollegin. –

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Man hat aber lediglich darüber informiert, worüber die
Bundesregierung und die Koalitionsparteien beraten ha-
ben und was sie beschlossen haben. Uns wurde mitgeteilt,
dass über diese Beschlüsse anschließend gar nicht mehr
zu diskutieren sei; denn sie stünden nun einmal fest und
es gehe nach dem Motto „take it or leave it“. Das heißt:
Solche Berichterstattergespräche können wir uns in Zu-
kunft gerne sparen. Wenn man nur zum Befehlsempfang
daran teilnimmt, dann helfen solche Gespräche, zumin-
dest was die Sache angeht, überhaupt nicht.

Bei dieser Art der Beratung ist der Bundesregierung
der Fehler unterlaufen, dass die Geltendmachung des
Vorkaufsrechts des Mieters nur schriftlich und nicht in
notarieller Form zu erfolgen habe, Herr Kollege Wilhelm.
Wenn man den Mieter schützen will, dann bedarf es aber
einer notariellen Form. Es geht nicht darum, den Notaren
eine Gebühr von DM 83,50 zuzuschanzen – diese Gegen-
standswerte sind überhaupt nicht interessant –;


(Helmut Wilhelm [Amberg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die notarielle Form gibt es beim Kauf!)


vielmehr muss der Mieter durch die notarielle Form und
die damit verbundene notarielle Aufklärung vor voreili-
gen Entscheidungen geschützt werden. Der Mieter kennt
zwar seine Wohnung und kann sagen: „Mensch, die Woh-
nung hier gefällt mir recht gut“, aber er kennt nicht die
rechtlichen Belastungen, die mit dieser Wohnung in Zu-
sammenhang stehen. Eine notarielle Aufklärung ist unbe-
dingt notwendig.


(Beifall bei der F.D.P.)


Deswegen haben wir für die zweite Beratung einen Än-
derungsantrag vorgelegt.

Lassen Sie mich abschließend

(Alfred Hartenbach [SPD]: Gott sei Dank!)


sagen: Die F.D.P. wird diesen Gesetzentwurf ablehnen,
weil der notwendige wirtschaftliche Sachverstand und die
marktwirtschaftliche Orientierung in dieses Gesetz nicht
eingeflossen sind. Wirtschaftliche und marktwirtschaftli-
che Ausrichtung sind aber notwendig, weil mit diesem
Gesetz in einen wirtschaftlich wichtigen Zweig unserer
Volkswirtschaft eingegriffen wird.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416101400
Ich erteile der Kolle-
gin Christine Ostrowski, PDS-Fraktion, das Wort.


Christine Ostrowski (PDS):
Rede ID: ID1416101500
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Eines eint die Juristen aller Fraktio-
nen auf jeden Fall: Sie sind allesamt begeisterte Redner.


(Iris Gleicke [SPD]: Begeisternde!)

Ich habe jetzt richtig Sorge, ob es mir gelingen wird, Ihre
Aufmerksamkeit zu gewinnen.


(Heiterkeit und Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Frau Fuchs, in meinem Wahlkreisbüro geht es
zu wie in einer Außenstelle des Mieterbundes. Dorthin
kommen Alte, Junge, Gutverdienende, Schlechtver-
dienende, Arbeitslose und solche, die Arbeit haben, mit
ihrer Betriebskostenabrechnung oder ihrer Mieterhöhung
und suchen Hilfe, weil sie nicht Mitglied des Mieterver-
eins sind und ihnen daher dort nicht geholfen wird.


(Iris Gleicke [SPD]: Sie werden doch wohl hoffentlich keine Rechtsberatung machen!)


Ein Fall betrifft eine junge schwangere Frau, die ihre
Wohnung kündigt, in der sie nur ein Dreivierteljahr ge-
wohnt hat. Der Vermieter verlangt die Renovierung die-
serWohnung. Das steht ihm nicht zu. Sie weigert sich. Es
kommt zu einem monatelangen Streit. Der Vermieter behält
zunächst die Kaution und zahlt sie erst nach monatelangem
Streit scheibchenweise bis zur Hälfte aus. Auf die andere
Hälfte wartet die junge Frau heute noch. Sie hat kein Geld,
um sich einen Anwalt zu leisten und dies einzuklagen. Sie
hat auch keine Nerven.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Prozesskostenhilfe! – Margot von Renesse [SPD]: Schlechte Rechtsberatung! Iris Gleicke [SPD]: Vielleicht sollte sie zum Mieterbund gehen!)


Bei einer Postangestellten stellt sich erst bei der Ab-
rechnung der Betriebskosten heraus, dass die Vorauszah-
lungen deutlich zu niedrig angesetzt wurden. 800 DM
muss sie auf einen Schlag nachzahlen, was sie nicht kann.
Sie bittet den Vermieter um Ratenzahlung und fordert eine
sofortige Erhöhung der Vorauszahlungen. Der Vermieter




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lehnt ab, verlangt von ihr eine Lohnabtretungserklärung,
ansonsten will er kündigen. Dazu hat er kein Recht, aber
er hat eine sichere Position.


(Iris Gleicke [SPD]: Das ist doch keine sichere Position! Wo sind wir denn?)


Ein anderer Fall spielt auf Sylt, also ganz weit weg: Der
Bund ist der Vermieter der Wohnung. Er erhöht die Miete
für diese Wohnung unter Bezug auf drei Vergleichswoh-
nungen. Die Mieten für die der Mieterhöhung zugrunde
liegenden Vergleichswohnungen betragen bei Müllers
10,96 DM, bei Meiers 12,16 DM, bei Schulzes 13,41 DM
pro Quadratmeter. Dabei handelt es sich um neu vermie-
tete Wohnungen mit hohen Mieten. Sie liegen noch nicht
einmal in derselben Gemeinde, obwohl das laut Bundes-
verfassungsgerichtsurteil sein muss.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das ist rechtswidrig!)


Der Widerstand der Mieter – übrigens Angehörige der
Bundeswehr ohne üppiges Einkommen – hat keinen Er-
folg. Der Bund bleibt stur.

Ich habe diese Fälle genannt, weil ich der Meinung bin,
dass selbst beim mieterfreundlichsten Mietrecht – bei-
spielsweise wenn unsere Anträge durchkämen –Mieter in
einer schwächeren Position als Vermieter wären. Dies ist
Ergebnis einer objektiven Betrachtung. Sie sind Einzel-
kämpfer, Herr Funke, sie haben keine Rechtsabteilung an
der Hand und müssen sich in der zuständigen Verwaltung
notfalls bis zum Geschäftsführer durcharbeiten. Vielfach
fehlt ihnen das Geld und sie haben keine Nerven für einen
Rechtsstreit. Manchmal geben sie auch einfach klein bei,
weil sie Angst haben.

Da glauben Sie und manch andere, man brauche das
Mietrecht nur zu liberalisieren und der Markt werde es
schon richten. Herr Pofalla plustert sich hier auf und sagt,


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Na, na!)


das Mietrecht werde – was ganz grässlich sei – zuun-
gunsten der Vermieter neu geregelt.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Wird es auch!)


Ich sage Ihnen: Diese Mietrechtsreform stellt das
Gleichgewicht annähernd wieder her.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber ich muss Ihnen auch sagen: nicht so richtig, sondern
nur annähernd und lange nicht ausreichend.


(Iris Gleicke [SPD]: Das sehen wir anders!)

Dass für Mieter künftig nur noch eine dreimonatige

Kündigungsfrist gilt, freut uns natürlich sehr, denn der
Mieter muss flexibel, muss mobil sein. Das ist für uns
überhaupt keine Frage. Dass künftig die Miete innerhalb
von drei Jahren nicht mehr um 30 Prozent, sondern nur
noch um 20 Prozent steigen darf, ist ebenfalls gut.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Warum stimmt ihr dann nicht zu? – Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Wo bleibt denn die Einschränkung?)


Trotzdem darf man fragen, wo es sonst noch eine gesetz-
lich sanktionierte Preiserhöhungsmöglichkeit in dieser
Höhe für ein Produkt gibt, an dem kein Pinselstrich ge-
macht werden muss. Jedes andere Produkt muss verbes-
sert werden, wenn ein höherer Preis erzielt werden soll.
Ausgerechnet bei Wohnungen soll das nicht gelten. Wir
sagen deshalb: Mieten dürfen generell nur dann erhöht
werden, wenn sich der Wohnwert der Wohnung verbes-
sert hat, sonst nicht.


(Beifall bei der PDS – Franziska EichstädtBohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Liebe Frau Kollegin, wollen Sie zurück zur sozialistischen Wohnungswirtschaft?)


Will der Vermieter künftig die Miete erhöhen, kann er
nach wie vor frei entscheiden, ob er den Mietspiegel, Ver-
gleichswohnungen oder ein Gutachten zur Begründung
heranzieht. Die neuen qualifizierten Mietspiegel sind
letzten Endes für die Katz. Faule Tricks, wie sie der Bund
auf Sylt – er sollte als Vermieter Vorbildfunktion haben –
als Vermieter angewandt hat, sind auch weiterhin mög-
lich. Solche Tricks würden nur unterbunden werden,
wenn Mietspiegel wenigstens in Orten ab 50 000 Ein-
wohnern verbindlich wären und wenn alle Mieten erfasst
würden, also nicht nur die Neuvermietungen und die Ver-
änderungen der letzten Jahre. Genau das schlagen wir vor.


(Beifall bei der PDS – Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sie haben ja Erfahrung mit dieser Politik!)


Wie der Begriff schon sagt: Ein Mietspiegel müsste ei-
gentlich alle Mieten widerspiegeln. Das tut er natürlich
nicht. Ehrlicherweise müssten Sie ihn umbenennen in bei-
spielsweise Neuvermietungs-Mietspiegel. Das wäre der
korrekte Begriff.

Ich komme zu dem leidigen Thema Betriebskosten:
Kosten für Wasser, Hausmeister, Grundsteuer, Versiche-
rung und Heizung. Wir erinnern uns an die Postange-
stellte. Ihr Vermieter wollte die Vorauszahlungen nicht er-
höhen. Sie kann dies aber künftig von sich aus tun. Das ist
in Ordnung; sie muss sich in diesem Punkt nicht mehr mit
ihrem Vermieter streiten.

Ein anderes Beispiel. Der Vermieter hat die Wasserkos-
ten bisher nach Quadratmetern abgerechnet. Bei gleicher
Wohnungsgröße hat die allein stehende Oma letzten En-
des mehr zu zahlen als die Familie nebenan. Sind Was-
seruhren vorhanden, muss jetzt nach Verbrauch abgerech-
net werden. Das ist zweifellos gerechter, wenn auch nicht
gerecht.

Es gibt keine einzige Kostenart, deren Höhe aus-
schließlich vom Mieter beeinflusst wird. Wasserpreis,
Grundsteuer und Straßenreinigungsgebühr bestimmt im-
mer noch die Kommune allein. Kosten für Gartenpflege,
Aufzug und Versicherung werden immer noch vom Ver-
mieter bestimmt. Selbst dort, wo der Mieter Mitverant-
wortung trägt – beispielsweise beim Müll und bei der




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Heizung –, ist sein Einfluss letzten Endes kleiner als der
der Gemeinde oder des Vermieters.

Der Appell an den Vermieter, die Wirtschaftlichkeit
zu beachten, reicht natürlich nicht aus; denn es ist eben
nur ein Appell. Wir beantragen deshalb, nur die ver-
brauchsabhängigen Kosten auf den Mieter umzulegen.
Damit würde der Vermieter in seinem eigenen Interesse
auf die Wirtschaftlichkeit achten. Im Moment jucken ihn
die Kosten nur wenig.


(Beifall bei der PDS)

Wird die Wohnung modernisiert, können auch weiter-

hin 11 Prozent der Kosten auf die Miete umgelegt werden.
Neulich kam ein Student zu mir, bei dem die Mieterhöhung
nach Modernisierung 5,78 DM pro Quadratmeter betrug.
Alle Formalien waren in Ordnung; die Miete lag immer
noch in der Spanne, wenn auch am oberen Ende, der
ortsüblichen Vergleichsmiete. Man konnte diese Erhöhung
also nicht anfechten. Der Student musste ausziehen, weil
er die Miete einfach nicht mehr bezahlen konnte.

Zur Abschaffung dieser Umlage haben Sie sich nicht
durchgerungen,


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Zum Glück!)


ja nicht einmal zur Senkung der Modernisierungsumlage.
Hinzu kommt, dass alle Investitionen zur Energieein-
sparung künftig auch noch auf den Mieter umgelegt wer-
den können. Mir wird schon ein bisschen schwummerig,
wenn ich an die Energiesparverordnung denke: 2 Milli-
onen alte Heizkessel müssen ausgetauscht werden. Das
kostet und belastet die Mieter zusätzlich. Es darf bezwei-
felt werden, ob die Einsparung die zusätzliche Belastung
so ausgleicht, dass der Mieter einen Vorteil von dieser
Modernisierung hat.


(Beifall bei der PDS)

Zurück zu der schwangeren Frau, von der der Vermie-

ter die Renovierung der Wohnung verlangt hat. Das gehört
zu dem Bereich der Schönheitsreparaturen, einem der
größten Streitpunkte im Mietrecht überhaupt. Es kann ja
wohl nicht wahr sein, dass man es versäumt hat, Regelun-
gen zu schaffen, mit denen dieser große Streitpunkt aus
dem Weg geräumt wird. Sie haben uns relativ hilflos er-
klärt, eine Regelung sei zu schwierig und das Parlament
solle Vorschläge machen. Bitte sehr, Sie können den Ball
auffangen, den wir Ihnen jetzt zuwerfen. Wir schlagen vor:
Ein Anspruch des Vermieters auf Schönheitsreparatur bei
Ende des Mietverhältnisses besteht nur dann, wenn die
Wohnung ehemals renoviert übergeben wurde.


(Beifall bei der PDS)

Kosten für Kleinreparaturen kann der Mieter überneh-
men, allerdings nur bis zu einer festen Grenze, die sich an
der Jahresmiete orientiert.

Insgesamt gibt es für Mieter keine Verschlechterungen;
es gibt etliche Verbesserungen. Trotzdem kann ich mir
nicht helfen: Ihre Reform kümmert vor sich hin, so wie
alle Ihre Reformen vor sich hinkümmern.


(Beifall bei der PDS – Widerspruch bei der SPD)


Sie verschenken Möglichkeiten, indem Sie nicht all das
reformieren, was notwendig wäre. Deshalb werden wir
uns bei der Abstimmung enthalten.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ein entschlossenes Jein!)


Ein Wort zu den Vermietern, die so sauer sind und die
Herr Pofalla – aus Ihrer Sicht zu Recht – in Schutz ge-
nommen hat. Die Frage ist: Warum sind die Vermieter so
sauer? Das Mietrecht ist so etwas wie die Petersilie auf ei-
nem Gericht.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist ein schöner Vergleich!)


Ist das Essen verhunzt, nützt Ihnen auch die grünste Pe-
tersilie nichts. Besonders für den Westen gilt: Eine aus-
reichende Zahl von Wohnungen regelt die Miethöhe bes-
ser als ein Gesetz und ist der beste Mieterschutz und
Kündigungsschutz.

Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktio-
nen, da hilft nun alles nichts: Sie haben seit der Regie-
rungsübernahme die Bedingungen für den Mietwoh-
nungsbau schlicht und ergreifend stetig verschlechtert.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Sie haben sich aus der Finanzierung zurückgezogen, sie
haben sich von der direkten sowie der steuerlichen För-
derung nahezu verabschiedet. Die Zahl neu gebauter
Wohnungen liegt mittlerweile unter der Ersatzrate.


(Iris Gleicke [SPD]: So ein Unsinn!)

Das, genau das ist es in erster Linie, Herr Pofalla, was den
Investoren zu schaffen macht, und zwar den kommunalen,
genossenschaftlichen und privaten, und nicht zuallererst
das Mietrecht. Sie sind selber schuld, dass monatelang
verbissen gestritten wurde, dass mal die Mieter- und mal
die Vermieterseite an Ihnen herumzerrte


(Iris Gleicke [SPD]: Das ist so, wenn man in Verantwortung ist! Wir haben das ganz gern!)


und dass weder Mieter noch Vermieter mit dieser heute
vorgelegten Reform glücklich sind.


(Iris Gleicke [SPD]: Das ist doch nicht wahr!)

Was das verhunzte Essen anbelangt, kann ich Ihnen nur

raten: Kochen Sie schnell ein neues, denn allein mit einem
neuen Mietrecht schmeckt es nicht besser.


(Beifall bei der PDS – Ronald Pofalla [CDU/ CSU]: Das war eine Petersilienrede!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416101600
Ich erteile das Wort
Kollegin Margot von Renesse, SPD-Fraktion.


Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1416101700
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Es spricht zwar noch eine Juristin,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Iris Gleicke [SPD]: Aber eine gute!)


aber ich hoffe, es wird mir glücken, mit meiner Rede die-
ser interessanten Debatte einigermaßen gerecht zu wer-
den.




Christine Ostrowski

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Ich habe allerdings in der Tat einiges zu juristischen
Fragen zu sagen. Ich möchte mit einem Punkt anfangen,
den wir alle gut finden, zumindest in den Berichterstatter-
gesprächen wurde das von allen Fraktionen deutlich zum
Ausdruck gebracht – auch Herr Kollege Wilhelm hat
schon darauf hingewiesen –: die neu aufgenommene Bar-
rierefreiheit im Mietrecht. Auch wenn ich mich darüber
freue, dass jetzt alle nicken, möchte ich darauf hinweisen,
dass es gar nicht so einfach war, diese umzusetzen,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


weil nämlich eine Formulierung gefunden werden
musste, die die Vermieter- und Mieterseite nicht schlech-
ter stellte, als es in der Entscheidung des Bundes-
verfassungsgerichts festgeschrieben worden war. Ich
finde, die Formulierung ist einigermaßen geglückt. Die
Praxis wird zeigen, ob sie sich bewährt.

Eigentlich hätten Sie, Herr Funke, diese Vorschrift
auch zum sozialistischen Sumpf rechnen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Rainer Funke [F.D.P.]: Tue ich nicht!)


Sie ermächtigt nämlich aufgrund der Sozialpflichtigkeit
des Eigentums zum Eingriff in die Substanz des Eigen-
tums;


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Wir sind eine Rechtsstaatpartei!)


dieses geschieht, wie uns vom Verfassungsgericht be-
stätigt wurde, zu Recht. Das heißt also, nicht alles, was so-
zial ist, stammt aus dem sozialistischen Sumpf.


(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Rainer Funke [F.D.P.]: Habe ich nie behauptet!)


Bei der Herstellung einer sozialen Ausgewogenheit in
diesem Gesetz spielte weder eine Rolle, dass man den
Vermieter für einen schlechten Kerl und für böse hält
– das tun wir alle nicht –, noch, dass man den anderen für
einen armen Schlucker hält, der verzweifelt darum barmt,
dass ihm ein bezahlbares Dach über dem Kopf zuteil wird.
Das trifft nicht zu, das stimmt nicht in allen Fällen. Das
stimmt sogar in vielen Fällen nicht. Darüber sind wir uns
durchaus im Klaren. Sozial bedeutet gemeinschafts-
dienlich.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Unstreitig!)

Sozial bedeutet, die Gesichtspunkte, die typischerweise
für den einen oder den anderen von Bedeutung sind, zu
berücksichtigen. So haben wir es bei den Behinderten
mit Ihrer aller Einverständnis gemacht.

Wie stellt sich denn die Situation beim Mieter und
beim Vermieter dar? Es ist nicht grundsätzlich wahr, dass
der eine arm und der andere reich ist. Ich kenne Fälle, in
denen alt gewordene Frauen sich im ehemaligen Famili-
enheim eine kleine Wohnung ausgebaut haben und den
Rest des Hauses, weil sie ihre Rente aufbessern müssen,
an ein kinderloses erwerbstätiges Paar vermieteten.


(Ronald Pofalla [CDU/CSU] : Da kommt die Rentenreform richtig!)


Die Fragestellung „reich oder arm“ spielt weiß Gott keine
Rolle bei den von uns eingebrachten sozialen Gesichts-
punkten. Eines ist aber klar: Der Mieter ist durch die von
Ihnen vorgenommenen Änderungen im Arbeitsförde-
rungsrecht auf viel mehr Flexibilität als der Vermieter an-
gewiesen.


(Beifall bei der SPD)

Er hat in der Wohnung seinen Lebensmittelpunkt, den er
jetzt, wenn gefordert, verlegen muss. Ich erinnere nur an
unsere kurze Diskussion über die Vorstellungen der Op-
position zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, die sie
uns vor kurzem im Rechtsausschuss nahe bringen wollte.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Aus gutem Grund!)

– Ja, aus gutem Grund, aber der Flexibilität im Arbeits-
verhältnis muss die Flexibilität im Mietrecht durchaus
entsprechen. Das eine kann nicht ohne das andere gehen,
selbst die erreichte Flexibilität ist mit der nach wie vor be-
stehenden Immobilität des Mieters nicht vereinbar.

Das wird verfassungsrechtlich sicherlich geprüft wer-
den. Ich sehe aber einer Entscheidung des Verfassungs-
gerichtes außerordentlich gelassen entgegen, da ich
glaube, dass es die Typisierung, dass erstens kürzere
Kündigungsfristen für den Mieter notwendig sind und er
zweitens besseren Schutz vor einer vorzeitigen Kündi-
gung braucht, Herr Pofalla, bestätigen wird. Ihn kosten
jede Kündigung, jeder Umzug nämlich sowohl Zeit, Ner-
ven als auch Geld.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn er hat die Umzugskosten. Er muss möglicherweise
Geld für den Kauf neuer Möbel und neuer Gardinen ein-
setzen. Kein Mieter zieht gerne um; er tut es nur, wenn er
es muss. Es kommt jedenfalls außerordentlich selten vor,
dass er es gerne tut.

Ich hätte mir in der Tat gewünscht, dass wir intensiver
hätten über die Reform beraten können. Das Problem war
nur, dass Sie von Anfang an klargemacht haben, dass Ih-
nen an der Grundstruktur dieses Mietrechts nur Negatives
auffiel.


(Helmut Wilhelm [Amberg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Sie wollten dieses Mietrecht von der ersten Lesung an
nicht. Sie wollten sich gar nicht auf das einlassen, was
nach unserer Auffassung mit Ihnen hätte diskutiert wer-
den müssen, wie weit nämlich die Gemeinschaftsdien-
lichkeit typisierend geht. Wohlgemerkt: nicht der Miethai
gegen den armen Schlucker. Aber die klassischen Span-
nungsverhältnisse zwischen Mieter und Vermieter sind
eben andere als die in anderen Dauerschuldverhältnissen;
denn hier geht es um Grundrechte und Existenzen.

Ich denke, wir werden dem Verfassungsgerichtsurteil
mit großer Ruhe entgegensehen können; denn nach der
Entscheidung des Verfassungsgerichts zur Barrierefrei-
heit bzw. zum Mieterschutz bei Eintritt von Behinderun-
gen habe ich keine Bedenken, dass die Frage der Ge-
meinschaftsdienlichkeit beim Verfassungsgericht in den
allerbesten Händen ist.




Margot von Renesse
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Wir hätten wirklich besser und länger beraten können.
Aber, Herr Funke, Sie waren es, der in den Berichter-
stattergesprächen gleich mit bohrenden Fragen festge-
stellt hat, wo die Koalition lange verhandelt hat und wo
sie sich entschieden hat. Wenn ich mich richtig erinnere,
haben Sie fast wörtlich gesagt: Das kennen wir doch aus
unserer Zeit, dass dann mehr oder minder alles fest-
gefahren ist.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Nein! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Es war überhaupt nie etwas festgefahren!)


– Das waren Ihre Erfahrungen, die Sie damals zitierten.
Damit fingen die Berichterstattergespräche gleich an.


(Iris Gleicke [SPD]: Hört! Hört!)

Wir hätten sicherlich das eine oder andere Interessante

von Ihnen hören können. Gerade bei der Frage der Sprei-
zung der Kündigungsfristen hätten Sie vielleicht einen
Einwand bringen können,


(Rainer Funke [F.D.P.]: Haben wir ja gemacht!)


den ich jetzt an Ihrer Stelle bringe. Dabei geht es nicht um
die Grundsatzfrage; da gelten die Argumente von gerade.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Das ist Ihre Beweglichkeit!)


Aber hätten Sie nicht vielleicht sagen können, dass das
zum Beispiel für die Zweitwohnung oder für die Dritt-
wohnung so nicht gelten müsste? Das wäre doch ein
F.D.P.-Argument gewesen; aber das ist nicht gekommen.
Ich bringe es, nachdem ich mir überlegt habe, was Sie
heute vielleicht einwenden könnten.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD – Iris Gleicke [SPD]: Wir müssen die Arbeit der Opposition auch noch machen!)


Darüber hätte man nachdenken können. Sicherlich
wird das eine oder andere von der Rechtsprechung noch
geglättet werden müssen. Ich glaube, dass die Rechtspre-
chung damit klarkommt.

Was die Schönheitsreparaturen angeht, Frau Kolle-
gin Ostrowski: Kein Mensch – mein Kollege Manzewski
hat darauf hingewiesen –, kein Praktiker und kein Jurist
– wenn man die nicht unter die Praktiker rechnen muss –
noch irgendjemand anders, ein Verband oder ein Kollege,
hat eine handhabbare Vorstellung dazu gebracht, die nicht
neue Probleme und vor allem neue rechtliche Auseinan-
dersetzungen gebracht hätte. Ein soziales Mietrecht muss,
jedenfalls in Grenzen, ein klares sein; sonst ist es nicht so-
zial. Es gibt Leute, die Wohnungen vermieten könnten,
dies aber nicht tun, weil sie Sorge haben, immer mit ei-
nem Bein beim Anwalt zu stehen – vielleicht besser dort
als bei manchen Bundestagsabgeordneten, die über Pro-
zesskostenhilfe nicht Bescheid wissen.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber ich denke, auf diese Weise haben wir etwas mehr
Klarheit gebracht. Mich erinnert die Debatte über die
Schönheitsreparaturen an die Debatte über das Wohl des

Kindes. Auch dabei ist ständig darüber diskutiert worden,
wie man das fassen kann. Im Ergebnis schwankt man zwi-
schen einer Generalklausel, die neue gerichtliche Pro-
bleme aufwirft, und einer Kasuistik, die angesichts des
Wandels der Wohngewohnheiten kaum die Zeit von ei-
nem Jahr überleben kann. Deswegen haben wir davon ab-
gesehen und es bei der Grundregel gelassen, dass für
Schönheitsreparaturen im Prinzip der Vermieter zuständig
ist, es sei denn, er vereinbart etwas anderes.

Es gibt kein Recht, das dieses Parlament verabschieden
wird, das in der Rechtsprechung nicht noch geschliffen und
der Praxis angepasst werden müsste. Das ist sogar dem
BGB widerfahren, das einen Vorlauf von 20 Jahren hatte
und ein glänzendes Gesetz ist, aber dadurch gekennzeichnet
war, dass sofort, als es erschien, die positive Forderungs-
verletzung als eine der großen Lücken bekannt wurde.

Ich denke, dass wir die Möglichkeit genutzt haben, ein
besseres Mietrecht zu schaffen. Ob es ein gutes ist – wir
hoffen es; die Praxis wird es zeigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416101800
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dietmar Kansy, CDU/CSU-Fraktion.


Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU):
Rede ID: ID1416101900
Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen
und Herren! Als Nichtjurist, Frau Kollegin von Renesse
– eigentlich war jetzt Herr Kollege Spanier an der Reihe;
aber eine kleine Verwechselung dieser Art kann ja vor-
kommen –, möchte ich Ihnen empfehlen, sich einmal von
Ihrem Kollegen Spanier berichten zu lassen – wir kom-
men beide gerade von einer GdW-Tagung –, warum Mie-
ter heutzutage auch umziehen. Lassen Sie sich einmal von
Fachleuten das Wort „Mieterhopping“ erklären, ein Phä-
nomen, das es nicht nur bei dicken Kapitalisten, sondern
auch bei mancher Wohnungsbaugenossenschaft gibt, der
inzwischen das Wasser bis zum Hals steht. Ich empfehle
Ihnen, nicht ganz so lax Ihre aus der Vergangenheit stam-
menden Vorstellungen zu äußern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Frau Kollegin Ostrowski, dass Sie über Wohnungsbau
– auch über Petersilie, meinetwegen auch über andere
Dinge – munter reden können, haben Sie im Ausschuss
und auf mancher gemeinsamen Podiumsdiskussion be-
wiesen.


(Christine Ostrowski [PDS]: Wunderbar!)

Aber eines können Sie uns damit nicht vergessen machen
– und das müssen Sie sich auch im Jahr 2001 anhören –:
Was Sie uns mit Ihren Rezepten vor über zehn Jahren hier
hinterlassen haben, waren 20 Prozent verfallene Wohnun-
gen, kaputte Städte und lange Warteschlangen vor den
Wohnungsämtern. Deswegen vielen Dank für Ihre Re-
zepte in der Wohnungspolitik!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Christine Ostrowski [PDS]: Können Sie mal was Neues bringen?)





Margot von Renesse

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(C)



(D)



(A)



(B)


– Ja, das tut weh. Ein geübter Redner merkt immer, wenn
er getroffen hat. Einfacher können Sie es mir eigentlich
nicht machen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Iris Gleicke [SPD])


– Sie können ja einmal nach Erfurt gehen, Frau Kollegin
Gleicke, wenn Sie das nicht mehr in Erinnerung haben.


(Iris Gleicke [SPD]: Ich weiß genau, wie es in Erfurt aussieht! Immer noch besser! – Christine Ostrowski [PDS]: Zur Sache!)


– Das gehört wohl zur Sache, wenn Sie hier Ihre Rezepte
vortragen.

Meine Damen und Herren, das Mietrecht ist ein zen-
trales Instrument der Wohnungspolitik, ob man es will
oder nicht, ob man es als ordnungspolitisches Instrument
ablehnt oder ob man es zum Bestandteil der sozialen Ab-
sicherung macht. Das ist auch ganz einleuchtend, denn
das Mietrecht – das haben wir alle schon zigmal bespro-
chen – trägt nicht nur zum Ausgleich zwischen Mieter und
Vermieter bei, sondern es ist auch ein Signal des Staates
an Investoren, ob sich Privatinvestitionen in den Miet-
wohnungsbau lohnen oder nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb brauchen wir uns darüber gar nicht zu streiten.

Wir müssen als Abgeordnete damit leben, dass die Woh-
nung ein sehr ambivalentes Gut, ein Gut mit vielen Seiten
und Sichten ist. Es ist ein hohes soziales Gut, der Mit-
telpunkt unseres Lebens – manche, die etwas kräftiger
formulieren, nennen es sogar die dritte Haut des Men-
schen –, aber es ist in unserer marktwirtschaftlich gepräg-
ten Gesellschaft auch das teuerste und langlebigste Inves-
titionsgut überhaupt. Was nützt uns eine noch so soziale
Mietpreisbindung und -deckelung, wenn überhaupt keine
Wohnungen mehr gebaut werden? Das ist die andere Seite
der Medaille.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Kollege Pofalla hat schon zu Recht gesagt, dass

dies die Richtschnur der Regierung Kohl war, womit wir
seinerzeit mehr als erfolgreich waren. Der beste Mieter-
schutz ist ausreichender Wohnraum.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Am Ende unserer Regierungszeit gab es eben beides: ei-
nen ausgeglichenen Wohnungsmarkt und einen histo-
rischen Tiefstand bei den Mietindexsteigerungen. Sie
betrugen 1,1 Prozent; dies war die niedrigste Steigerungs-
rate, solange solche Daten überhaupt festgestellt werden.
Das haben wir mit einer Politik des Ausgleichs, einer Po-
litik der Mitte erreicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Daher muss ich Ihnen, meine Damen und Herren, noch
einmal die Frage stellen, welches Signal von Ihrem Ge-
setzentwurf jetzt in Richtung Wohnungsbau ausgeht.


(Zuruf von der SPD: Ein gutes!)


Ist es vielleicht nur aus unserer Sicht falsch – man kann
sich ja im Leben irren –, ist es Teil eines generellen Kon-
zeptes, das wir nur nicht erkannt haben?


(Zuruf von der SPD: Ja!)

Die erste Hälfte dieser Legislaturperiode, meine Kol-

leginnen und Kollegen von der Koalition, haben Sie lei-
der damit verbracht, ständig Ihren Bauminister auszu-
wechseln, weswegen es praktisch kein koordiniertes
Handeln zwischen den einzelnen Ressorts und keine Ge-
samtlinie mehr gab. Herr Bauminister Bodewig ist heute
nicht da, weil er krank ist. Wir wünschen ihm gute Besse-
rung; Herr Staatssekretär, geben Sie ihm das bitte weiter.

Die Fachwelt ist sich hinsichtlich der ersten Hälfte die-
ser Legislaturperiode allerdings überraschend einig: Der
Wohnungsbauminister fährt den sozialen Wohnungsbau
herunter. Gut, man kann sagen, er verfolgt eine andere Li-
nie. Der Finanzminister verschlechtert im frei finanzier-
ten Wohnungsbau Schlag auf Schlag die Investitionsbe-
dingungen. Heute basteln Sie schon wieder mit Ihren
Genossinnen und Genossen im Lande draußen daran, wie
Sie durch Erhöhung der Erbschaftsteuer das nächste
Schräubchen drehen könnten. Das ist ja gerade wieder in
jeder Zeitung zu lesen.

Es scheint, als wirkt neuerdings auch der Bundes-
arbeitsminister an der Wohnungsbaupolitik mit, und zwar
offensichtlich völlig unkoordiniert. Ausgerechnet das
Lieblingskind unserer Bürgerinnen und Bürger – wir als
Abgeordnete dieses Hauses haben dies zur Kenntnis zu
nehmen –, das selbst genutzte Wohneigentum, wird in sei-
ner Reform zum Aufbau einer zusätzlichen kapital-
gedeckten Altersvorsorge mit einer Luftnummer bedient,
über die die ganze Welt nur lacht und die de facto das
Wohnungseigentum in einer ganz entscheidenden Situa-
tion schwächt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Ja, Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, das ist so.

(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber dann kümmern wir uns doch um eine vernünftige Regelung, statt die Bausparkassen noch anzufüttern! Das ist doch das Problem!)


Da müssen Sie doch verstehen, dass man Fragen stellt,
und zwar nicht nur wir, sondern auch mancher skeptische
Zeitgenosse, der immer noch hofft und sich fragt, ob da
jetzt noch etwas anderes kommt. Der soziale Wohnungs-
bau wird reduziert, ebenso der frei finanzierte Wohnungs-
bau und die Eigenheimförderung. Er hat vielleicht ge-
glaubt, jetzt werde das Mietrecht geändert und damit ein
richtiges Signal für Investitionen gegeben, womit wir in
einer Zeit knapper Kassen, die wir selbstverständlich in
diesem Land haben, vielleicht auf andere, elegantere,
marktwirtschaftliche, Weise etwas für den Wohnungsbau
tun könnten. Nein, genau das Gegenteil ist der Fall.

Deswegen lassen Sie mich angesichts der Tatsache,
dass wir über das Sozialgut Wohnung heute schon ausrei-
chend gesprochen haben, doch noch einige Worte zum In-




Dr.-Ing. Dietmar Kansy
15670


(C)



(D)



(A)



(B)


vestitionsgut Wohnung sagen. Die CDU/CSU plädiert
keineswegs einseitig für Investoren und Vermieter. Dort
sitzen Ihre Kronzeugen von der F.D.P., die Regierungs-
partner der letzten Legislaturperioden.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau!)


Es ist ja wahr, was Sie uns vorhin gesagt haben. Wir
haben uns damals als CDU/CSU verweigert, eine Miet-
rechtsvereinfachung dazu zu nutzen, das Mietrecht zulas-
ten der Mieter zu verschieben, Frau Eichstädt-Bohlig.
Und wir werden uns heute verweigern – weil wir weiter
die Partei der Mitte sind –, das Mietrecht jetzt unter dem-
selben Mäntelchen zulasten der Vermieter zu verschie-
ben.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Schade, Herr Kansy, ich hätte gedacht, Sie könnten differenzierter argumentieren!)


Das ist unsere Linie in dieser Diskussion. Deswegen gibt
es keine Möglichkeit einer Zustimmung zu diesem Ge-
setz.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Trotz all Ihrer Beteuerungen: Ihr Entwurf ist nicht aus-
gewogen, denn die Schwachpunkte sind doch offensicht-
lich: eine reduzierte Kappungsgrenze, ein Mietspiegel
möglichst ohne Beteiligung der Vermieter im Ernstfall,
nämlich beim qualifizierten Mietspiegel


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist doch gar nicht wahr! – Zuruf von der SPD: Die Vermieter können doch mitmachen!)


– selbstverständlich, was ist denn das anderes –, asym-
metrische Kündigungsfristen, Verdoppelung der Schon-
frist für Mieter, die mit ihren Mietzahlungen im Rück-
stand sind, Wegfall der erleichterten Kündigung beim
Dreifamilienhaus. Das ist ein Vertrauensbruch gegenüber
allen, die wir damals ermuntert haben, zusätzliche Woh-
nungen zu bauen, als wir sie dringend brauchten. Vieles
andere wäre noch zu nennen. Da können Sie doch nicht
sagen, das sei ausgewogen zwischen Mietern und Ver-
mietern.


(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Doch! – Alfred Hartenbach [SPD]: Das ist ausgewogen!)


Nein, Ihr rot-grüner Faden ist eindeutig. Es ist eine
Gesetzesverschlechterung zulasten der Vermieter, zulas-
ten der Investitionen.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist doch nicht wahr!)


Sie brauchen sich doch nur die Entwicklung der letzten
Tage anzusehen. Die Diskussion, wir hätten ja genügend
Wohnungen, ist oberflächlich.


(Zuruf des Abg. Alfred Hartenbach [SPD])

– Sie sind ein wirklich anerkannter Wohnungsexperte im
Universum; das wird Ihnen jeder bescheinigen. – Wir ha-

ben eine weitere Zunahme der Zahl der Haushalte in den
nächsten 15 Jahren zu erwarten. Das hat gestern gerade
die Beratung der Raumordnungs- und Wohnungspro-
gnose in unserem Fachausschuss ergeben. Wir benötigten
eigentlich eine Ersatzbaurate von 380 000 Wohnungen
pro Jahr. Wir unterschreiten sie schon heute.

Gleichzeitig springt eine mittelständische Firma nach
der anderen über die Klinge; denn es ist ja nicht alles in
diesem Lande Philipp Holzmann.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Ja, genau!)

Im Bauhauptgewerbe haben wir in den letzten zwei Jah-
ren unter Ihrer Regierung 100 000 Arbeitsplätze verloren.
50 000 weitere Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel. Herr
Wiesehügel schreibt dauernd schlaue Papiere, aber es pas-
siert nichts bei den Kolleginnen und Kollegen der rot-grü-
nen Koalition.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Deswegen, meine Damen und Herren, kehren Sie
zurück zu unserer erfolgreichen Linie im Wohnungs-
bau!


(Iris Gleicke [SPD]: Kein Wohngeld erhöht! Nichts getan!)


Sie lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen: Aus-
reichend Wohnraum ist der beste Mieterschutz in diesem
Lande.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416102000
Ich erteile das Wort
der Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig, Bündnis 90/Die
Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

legen! Wenn ich den Kollegen Kansy richtig verstanden
habe, möchte er für Ostdeutschland das Mietrecht ganz
abschaffen; denn die Wohnungsmärkte sind gnadenlos
entspannt. Wenn ich den Kollegen Pofalla richtig ver-
stehe, wünscht er das Mietrecht als Eier legende Woll-
milchsau, als eine Art Verwertungsgarantie für Eigentü-
mer nach dem Motto: Die Eigentümer sind immer die
Guten, die Mieter sind immer die Bösen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das haben Sie gründlich missverstanden!)


Wenn ich die Kollegin Ostrowski recht verstehe, möchte
sie das, was uns Herr Pofalla vorwirft, nämlich das sozia-
listische Pflichtprogramm: jedes Jahr ein Stück Mieten-
senkung, bis wir wieder auf dem ostdeutschen 60-Pfen-
nig-Niveau sind. Sie möchte, dass wir das Motto
zelebrieren: Die Mieter sind immer die Guten, die Ei-
gentümer sind immer die Bösen.




Dr.-Ing. Dietmar Kansy

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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich habe angenommen, wir seien aus dem Alter heraus,
ständig das Mietrecht für etwas zu instrumentalisieren, für
das es eigentlich nicht da ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Nach meinem Verständnis soll das Mietrecht einem fairen
Interessenausgleich dienen.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Ja!)

Aber weil die Interessen, Herr Kollege Funke, sehr unter-
schiedlich sind – das haben einige meiner Vorredner, auch
Kollege Kansy, auch so dargestellt –, müssen wir mit die-
sem Interessenausgleich sehr achtsam umgehen. Deswe-
gen haben wir uns von der Koalition große Mühe gegeben
und lange und intensiv um die einzelnen Positionen und
ihre Bedeutung für diesen Interessenausgleich gerungen.
Dies ist meiner Meinung nach gut gelungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wie bei einigen vorhergehenden Diskussionen mit der
Wohnungswirtschaft habe ich auch heute das Gefühl, als
werde immer wieder ein alter Film abgespielt, als müss-
ten wir um das Mietrecht erneut alte Schlachten führen.
Wir sind aber in einer anderen Situation. Die wohnungs-
wirtschaftliche Situation von heute bedeutet nicht ein-
fach entspannte Märkte, Kollege Kansy, sondern sie ist
sehr unterschiedlich in München, in Frankfurt, in Hanno-
ver, wo wir auch schon Wohnungsleerstand zu verzeich-
nen haben, und in Ostdeutschland, wo es großen Leer-
stand gibt. Aber nicht 30 Prozent, Herr Kollege Pofalla,
sondern 13 Prozent. Wir sollten hier nicht überdramati-
sieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Insofern möchte ich die Eigentümerseite bitten, vom
Mietrecht nicht da Lösungen zu erwarten, wo das Miet-
recht diese nicht bringt. In München brauchen wir deut-
lich den Mieterschutz, den wir mit diesem Mietrecht den
Mietern bieten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In Leipzig brauchen wir Mieterschutz, auch bei entspann-
ten Wohnungsmärkten.


(Iris Gleicke [SPD]: So ist das nämlich!)

Aber ich rate jedem Eigentümer in Leipzig, mit seinen
Mietern freundlich, positiv und konstruktiv umzugehen,
ganz gleich, was im Mietrecht steht.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das ist doch überall so!)


Dies ist sein ureigenstes Interesse, denn er braucht die
Mieter, wenn er seine Wohnungen vernünftig bewirt-
schaften will.


(Zustimmung beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte noch einmal deutlich sagen: Die Probleme
der Eigentümer liegen heute nicht im Mietrecht. Sie lie-

gen darin, dass in ganz neuer Form Konkurrenz zwischen
Wohnungsbeständen und Wohnungsneubau, zwischen
städtischen Wohnungen und Umlandwohnungen, zwi-
schen Mietwohnungen und Eigentumswohnungen usw.
herrscht. Ich erwarte von den Eigentümern, dass sie sich
diesen Aufgaben stellen und nicht ständig über das Miet-
recht lamentieren, wodurch die Probleme, die heute für
sie Aufgaben und Herausforderung darstellen, nicht
gelöst werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das sind die Probleme der Stadterneuerung, der Woh-
nungserneuerung, der Wohnumfeldgestaltung. Sie sollten
lieber die 11 Prozent Modernisierungsumlage, die keiner
von Ihnen erwähnt hat, die wir aber den Eigentümern be-
lassen, aktiv nutzen und ihre Bestände so modernisieren,
dass die Mieter ein Interesse an ihren Wohnungen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Lassen Sie mich noch ein paar konkrete Punkte an-
sprechen. Über die Forderung nach Verwertungskündi-
gung Ost im Mietrecht haben wir sehr intensiv diskutiert.
Gerade wir von der Koalition sind in hohem Maße daran
interessiert, dass der Wohnungswirtschaft in Ostdeutsch-
land bei der Lösung der Probleme geholfen wird, die sie
mit dem Leerstand hat und die ihr im Zusammenhang mit
dem Stadtumbau bevorsteht, der noch sehr kompliziert
wird und der uns hier lange Jahre beschäftigen wird. Ich
warne aber davor, die Verwertungskündigung als Instru-
ment zur Lösung dieser Probleme in das normale Miet-
recht aufzunehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ronald Pofalla [CDU/ CSU]: Total falsch!)


Mit dieser pauschalen Mietrechtsformel hätten wir
eine Art Kriegserklärung in den Osten getragen.


(Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Doch nicht bei 30 Prozent Leerstand!)


Deswegen haben wir uns gemeinsam dagegengestellt.
Wir hätten auch den Eigentümern überhaupt nicht ge-
nutzt. Denn sie hätten die Mieter noch mehr verschreckt
und die Mieter hätten noch schneller das Weite gesucht
und sich umorientiert. So wäre man zu keiner Lösung ge-
kommen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Von daher werbe ich dafür, dass die ostdeutschen
Städte das Sanierungsrecht auf diese Fälle anwenden und
aktiv nutzen. Da gibt es klare Regelungen, die auch Mie-
terumsetzungen, Entmietungen, Entschädigungen usw.
vorsehen. Das sollte man nutzen. Ich bin gern bereit zu
prüfen, ob bestimmte Vereinfachungen auf bundesgesetz-
licher Ebene erforderlich sind. Aber bitte keine simple
Formel mit Verwertungskündigungen und kein Ex-und-
hopp-Umgang mit den Mietern! So darf es eindeutig nicht
sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Franziska Eichstädt-Bohlig
15672


(C)



(D)



(A)



(B)


Für den neuen § 554 a zum barrierefreien Wohnen
haben sich Frau Kollegin von Renesse und ich in beson-
derem Maße engagiert. Auch hier geht es uns nicht darum,
ein sozialistisches Programm durchzusetzen. Frau Kolle-
gin, Sie haben das eben schon sehr schön dargestellt. Es
geht uns darum, ein klares Signal an beide Seiten, an die
Mieter- und die Vermieterseite, zu setzen. Deswegen war
es uns wichtig, diese Regelung direkt in das Gesetz zu
schreiben und nicht die Rechtsprechung und verfassungs-
gerichtliche Entscheidungen als Grundlagen zu nehmen.

Unsere Gesellschaft wird älter; Menschen wollen län-
ger in selbstbestimmter Weise in ihren Wohnungen leben.
Deswegen werben wir mit diesem Paragraphen dafür,
dass sich Mieter und Vermieter ruhig und möglichst streit-
frei einigen, was in einer Wohnung und gegebenenfalls
auch beim Zugang zur Wohnung gemacht werden muss,
damit diese Wohnung barrierefrei wird und möglichst
lange in würdiger und guter Form genutzt werden kann.
Nehmen Sie das nicht in Ihren Katalog angeblich vermie-
terunfreundlicher und böser Regelungen auf! Nehmen Sie
das so konstruktiv und positiv, wie es gemeint und gewollt
ist! Ich hoffe sehr, dass beide Seiten damit umgehen kön-
nen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Für eine Lösung des Problems der Schönheitsrepara-
turen hat sich unsere Fraktion vom ersten Tage an einge-
setzt. Aber es ist, wie Kollege Manzewski vorhin gesagt
hat, eine Bankrotterklärung der Juristen,


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Ja!)

dass keiner von ihnen in der Lage gewesen ist, einen
Passus zu formulieren, der einerseits den gegenwärtigen
Rechtsstatus in keiner Richtung verschlechtert – daran
waren wir interessiert –, weder in Vermieter- noch in
Mieterrichtung, und der andererseits praktikabel und an-
wendbar ist. Da mussten wir schließlich klein beigeben.
Denn ich als gelernte Architektin kann das beim besten
Willen nicht formulieren. Ich wiederhole, was Sie, Herr
Manzewski, vorhin gesagt haben: Sobald uns dieser Para-
graph geboten wird, werden wir ihn sehr sorgfältig prü-
fen. Wir wären sicher bereit, ihn einzufügen. Wir würden
uns besonders freuen, wenn der Mietgerichtstag da einmal
in Klausur ginge und uns etwas Machbares böte. Dann
würden wir das – vielleicht sogar fraktionsübergreifend –
auf den Weg bringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Auch bei der Kündigungsbeschränkung bei Um-
wandlung in Eigentumswohnungen sprechen die Ei-
gentümer von den „Bösen von Rot-Grün“. Im Regie-
rungsentwurf ist die Regelung enthalten – die auch in der
Beschlussempfehlung geblieben ist und heute von uns so
verabschiedet wird –, dass die Länder den Mieterschutz
auf bis zu zehn Jahre ausweiten können, wenn sie der
Meinung sind, dass in bestimmten Städten und Regionen
besonderer Wohnungsbedarf besteht. Bisher galten drei
Jahre per se und entweder fünf oder zehn Jahre qua Län-
derbeschluss. Das haben wir so gelassen.

Was wir nach den Beratungen zwischen den Koalitions-
fraktionen herausgenommen haben, war, dass in dieser
Zwischenzeit eine Ersatzwohnung mit vergleichbaren
Bedingungen wie die gegenwärtige Wohnung zur Verfü-
gung gestellt wird. Wir haben das insbesondere deswegen
getan, weil zumindest ich und auch andere Kollegen der
Meinung sind: Wenn wir diesen Passus im Gesetzentwurf
belassen hätten, hätten Mieter und Vermieter genau in der
Zwischenzeit, in den drei, sieben oder auch zehn Jahren,
überhaupt keinen Frieden mehr gefunden und sich ständig
um die Angemessenheit einer Ersatzwohnung gestritten.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Deswegen sind wir der Auffassung: In der verbleiben-
den Zwischenzeit, in der die beiden Parteien miteinander
umgehen müssen, sollen Ruhe und Frieden herrschen und
der Mieter soll wissen, dass er in diesem Zeitraum, aber
nicht länger, in der Wohnung bleiben kann. Von daher ha-
ben wir uns dazu entschlossen, die Ersatzwohnung aus
dem Gesetzentwurf herauszunehmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
Sie werfen uns immer wieder vor, das Mietrecht sei nicht
ausgewogen und zu einseitig. Ich behaupte nach wie vor:
Das stimmt nicht. Wir haben für das Ziel der Ausgewo-
genheit sehr engagiert gearbeitet. Aber ausgewogen heißt
eben nicht einseitig in Richtung Vermieter. Ausgewogen
heißt an dieser Stelle vielmehr, dass das Sozialgut Woh-
nung einen besonderen Schutz benötigt, weil es nun ein-
mal ein unabdingbares Gut ist.

Von daher wünsche ich mir ganz schlicht eines, näm-
lich dass Sie spätestens dann, wenn wir über diesen Ge-
setzentwurf abgestimmt haben, Ihr etwas angerostetes
Kriegsbeil endlich wieder eingraben. Jede frühere Miet-
rechtsdebatte verlief doch in folgender Art und Weise:
Morgen bricht die Welt zusammen, Vermieter und Mieter
werden sich wie Streithähne einander gegenüberstehen
und alles wird ganz schlimm werden.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das ist die Grundlage Ihres Denkens!)


Tatsache ist, dass das bisherige Mietrecht von beiden
Seiten und von den jeweiligen Rechtsberatern sehr kon-
struktiv angewandt worden ist.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Deswegen brauchen wir auch kein neues!)


Letzteren, den vielen Juristen – ich bin sonst nicht sehr ju-
ristenfreundlich –


(Alfred Hartenbach [SPD]: Jetzt bin ich aber erschüttert, Frau Eichstädt-Bohlig!)


– nehmen Sie es heute einmal so hin –, die sich immer
wieder engagiert haben und mit diesem komplizierten
Recht sehr konstruktiv umgegangen sind, möchte ich an
dieser Stelle ein großes Kompliment machen und ein Dan-
keschön sagen. Ich glaube, diesen wird die Vereinfa-
chung, die wir jetzt mit dieser Mietrechtsreform errei-
chen, gut tun. Sie werden es so anwenden, dass es in
unserer Gesellschaft streitreduzierend wirkt und das
Kriegsbeil nicht mehr benötigt wird. In diesem Sinne




Franziska Eichstädt-Bohlig

15673


(C)



(D)



(A)



(B)


wünsche ich allen Beteiligten etwas mehr Friedlichkeit
und Milde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416102100
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Wolfgang Spanier, SPD-Fraktion.


Wolfgang Spanier (SPD):
Rede ID: ID1416102200
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen! Liebe Kollegen! Lassen Sie mich zwei Vorbe-
merkungen machen. Zum einen möchte ich mich an Herrn
Pofalla wenden, sozusagen als Altlinker an den Jungrech-
ten.


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben uns vorhin unterstellt, dass wir die Opposition
abschaffen wollen. Ich kann Sie wirklich beruhigen: Wir
sind froh, dass Sie Opposition sind. Wir sind Ihnen dank-
bar, dass Sie die von der Verfassung vorgegebene Oppo-
sitionsrolle übernommen haben, und wir sind ganz sicher,
dass Sie in der Opposition bleiben werden. Von daher ist
die Unterstellung, wir wollten Sie abschaffen, keineswegs
gerechtfertigt. Ganz im Gegenteil!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/ CSU]: Seien Sie sich da einmal nicht so sicher! Sie haben das ja in Baden-Württemberg und in Hessen gemerkt!)


Zum anderen möchte ich auf Frau Ostrowski eingehen.
Sie haben hier eine interessante Wendung vorgetragen.
Ausgerechnet die PDS – auch mich hat das etwas er-
schüttert – redet verstärkten Steuersubventionen für die
Wirtschaft, in diesem Fall für die Wohnungswirtschaft,
das Wort.


(Zuruf der Abg. Christine Ostrowski [PDS])

– Sie haben doch die Verschlechterung der Rahmenbe-
dingungen gefordert. Also ist doch der Rückschluss rich-
tig, dass Sie hier die alten umfassenden und üppigen Steu-
ersubventionen wieder aufleben lassen wollen.


(Christine Ostrowski [PDS]: Das ist eine Unterstellung!)


Ich kann ja verstehen, dass Sie von der PDS sich bei der
Schlussabstimmung nur enthalten. Wir haben es bemerkt:
Das ist eine verschämte Zustimmung. Das ist so in Ord-
nung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frau Eichstädt-Bohlig hat Recht: Man hat wirklich den
Eindruck, als ob im Rahmen der öffentlichen Debatte über
die Mietrechtsreform alte Filme abgespult wurden. Des-
wegen habe ich einmal die Bundestagsprotokolle von
1974 nachgelesen, aus dem Jahr, als gefordert wurde, man
brauche eine umfassende Mietrechtsreform. Auch da-
mals, als es darum ging, den Mieterschutz zum ersten
Mal als Dauerrecht einzuführen – das war nämlich vorher
nicht der Fall –, sind die Haus- und Grundeigentümer
Sturm gelaufen und haben, als hätten sie Ihre Pressemit-

teilungen gelesen, kritisiert, dies sei investitionsfeindlich,
da die Investitionen in die Wohnungswirtschaft torpediert
würden. Das stimmt einen schon nachdenklich. Sobald
man in diesem Land in irgendeiner Weise den sozialen
Schutz der Mieterinnen und Mieter stärken oder auch nur
erhalten will, wird sofort das Geschrei, das sei investi-
tionsfeindlich, erhoben. Ich glaube, das relativiert schon
diesen Vorwurf.


(Beifall bei der SPD)

Damals hat übrigens der Bundesjustizminister,

Hans-Jochen Vogel, erklärt:
Mietrecht, das ist nichts Abstraktes, Theoretisches,
das ist Interessenausgleich in einem zentralen Le-
bensbereich. Schließlich ist ja die Wohnung keine
Ware, sondern der Lebensmittelpunkt für den Ein-
zelnen und die Familie, der Ort, an dem er Schutz und
Geborgenheit sucht.

(Christine Ostrowski [PDS]: Sehr richtig!)


Jede rechtliche Regelung dieses Bereichs muss sich
daher in besonderem Maße an den Grundprinzipien
unserer Verfassung orientieren. Sie muss sicherlich
die vom Grundgesetz geschützte Institution des Ei-
gentums respektieren. Sie muss aber nicht minder
mit der Sozialbindung des Eigentums Ernst machen
und das Recht des Mieters auf freie, ungestörte Ent-
faltung beachten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Christine Ostrowski [PDS]: Recht hat er gehabt!)

In dieser Kontinuität steht die Bundesjustizministerin,

Herta Däubler-Gmelin. In dieser Kontinuität stehen auch
die Koalitionsfraktionen. Es ist schon erstaunlich: Damals
hat die F.D.P. diese Positionen unterstützt. Was ist aus Ih-
nen in diesen 26 Jahren geworden? Das ist ein Trauer-
spiel!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hinsichtlich der alten Kohl-Regierung – es ist höchst
interessant, wenn man ihre Pressemitteilungen liest – hat
Herr Dr. Kansy mit der gebotenen Schärfe und Härte fest-
gestellt: Sie ist gescheitert an der Mietrechtsreform, und
zwar in erster Linie an den Extrempositionen der F.D.P.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir haben eine hervorragende Wohnungspolitik gemacht!)


– Ich zitiere nur meinen werten Kollegen, den wohnungs-
politischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion.

Auch zu dem Entwurf, den die F.D.P. heute vorlegt,
sagt er: „Das ist wiederum eine Extrempositionierung zu-
lasten der Mieter und hat nicht den Hauch einer Mehr-
heitschance.“


(Rainer Funke [F.D.P.]: Lesen, Herr Spanier!)

So deftig würde ich mich als Ostwestfale nicht aus-
drücken. Er sagt aber: „Das ist nicht anderes als Klien-
telshow.“ Recht hat er. Deswegen will ich über Ihren Ge-
setzentwurf auch keine weiteren Worte verlieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Franziska Eichstädt-Bohlig
15674


(C)



(D)



(A)



(B)


Zur CDU/CSU: Man kann selbstverständlich über das
Verfahren reden. Das ist heute Morgen wieder in der über-
flüssigen Ausführlichkeit geschehen. Es hat eine breite öf-
fentliche, gesellschaftliche Debatte zum Mietrecht gege-
ben. Nur, von der CDU/CSU kam nichts, praktisch keine
konkreten Vorschläge, nur ein kurzes, knappes Papier-
chen im letzten Moment; das war alles.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Legende, die sie wiederum verbreiten – Stichwort:

alter Film; dieses Gesetz sei investitionsfeindlich; Herr
Pofalla hat das hier mit warmen Worten noch einmal ver-
breitet –, ist bei nüchterner Betrachtung schlicht und ein-
fach falsch. Wir haben in einem ganz wichtigen Punkt die
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Wohnungs-
wirtschaft erhalten, nämlich bei der Modernisierungs-
umlage, die weiterhin bei 11 Prozent bleibt. Ich füge per-
sönlich hinzu: bei allen Bedenken, die wir gegen dieses
System der Mieterhöhung haben.

Außerdem haben wir die Kappungsgrenze gesenkt.
Es ist von Herrn Manzewski und anderen deutlich ge-
macht worden, dass auch hier der Vorwurf, das sei investi-
tionsfeindlich, überhaupt nicht zutrifft. Wir haben eben
keinen entspannten Wohnungsmarkt im preiswerten Seg-
ment. Wir müssen die Mieterinnen und Mieter vor über-
zogenen Mieterhöhungen schützen. Ich denke, da haben
wir ein Stück soziale Verantwortung. Deswegen ist es
richtig, dass wir die Kappungsgrenze auf 20 Prozent ge-
senkt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Mietrecht enthält einen großen Schritt der Moder-
nisierung. Wichtigster Punkt ist dabei die Kündigungs-
frist. Auch hier kommen wieder Ihre Klagen, das sei
gegen die Interessen der Vermieter gerichtet, das sei wie-
derum investitionsfeindlich. Das fällt in sich zusammen
wie ein Kartenhaus.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Deswegen haben wir ja auch so einen hohen Wohnungsbaubestand!)


Der GdW hat in seinem Mustervertrag die dreimonatige
generelle Kündigungsfrist für die Mieterseite, genauso
wie wir sie jetzt ins Gesetz schreiben. Was der GdW nicht
vorsieht, ist der Verzicht auf eine Kündigungsfrist von
zwölf Monaten. Diese räumen wir allerdings dem Ver-
mieter ein. Ich glaube daher, dass diese Regelung der
Kündigungsfristen, die in der parlamentarischen Bera-
tung entstanden ist, genau die richtige Maßnahme ist, um
dem gesellschaftlichen Wandel und den Veränderungen
auf dem Arbeitsmarkt endlich Rechnung zu tragen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1416102300
Kollege Spanier, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Braun,
F.D.P.-Fraktion?


Wolfgang Spanier (SPD):
Rede ID: ID1416102400
Ja.


Hildebrecht Braun (FDP):
Rede ID: ID1416102500
Herr Kol-
lege Spanier, Sie erinnern sich doch sicherlich noch an die
Jahre 1981 und 1982, als – zunächst noch durch eine so-
zial-liberale Koalition und dann durch die neue schwarz-
gelbe Koalition – die Kappungsgrenze von damals
30 Prozent überhaupt erst eingeführt wurde. Ist Ihnen er-
innerlich, dass sich in der Zwischenzeit diese Kap-
pungsgrenze, die eigentlich zum Schutz der Mieter ge-
dacht war, im Denken von Vermietern und Mietern mit der
Folge verselbstständigt hat, dass sie eine Mieterhöhung
um 30 Prozent alle drei Jahre für zulässig halten? Ist Ih-
nen bekannt, dass dies wiederum dazu geführt hat, dass
seither die Mieten schneller gestiegen sind als der Le-
benshaltungskostenindex? Teilen Sie meine Bewertung
dieses Vorgangs?


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)



Wolfgang Spanier (SPD):
Rede ID: ID1416102600
Ich teile Ihre Feststellung,
dass sich die Mieten in diesem Zeitraum überproportional
nach oben entwickelt haben. Ich teile aber nicht Ihre Auf-
fassung, dass dies mit der Kappungsgrenze zusammen-
hängt, weil diese Möglichkeit – es geht um ganz be-
stimmte Wohnungsbestände; Sie sollten einmal die
Wohnungsunternehmen in Ihrem Wahlkreis fragen – kei-
neswegs ausgeschöpft wurde. Das Problem ist, dass in be-
stimmten Orten, zum Beispiel in München, wo wir nach
wie vor einen heiß gelaufenen Wohnungsmarkt haben,
diese Schutzgrenze schlicht und einfach notwendig ist.
Deswegen trifft Ihre Interpretation, dass die Kappungs-
grenze Mieterhöhungen geradezu herbeibeschwört, nicht
zu. Ganz im Gegenteil: Sie schützt die Mieterinnen und
Mieter vor allzu großen Mieterhöhungen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein weiterer Punkt der Modernisierung ist die Ver-
tragsnachfolge beim Tod des Mieters. Ich habe mich sehr
gewundert, Herr Pofalla, dass Sie in diesem Zusam-
menhang von „uferlosen Zwangsverträgen“ gesprochen
haben.


(Ronald Pofalla [CDU/CSU]: So ist es doch!)

Das müsste mit gleichem Recht für die Mietnachfolge
durch den Ehepartner gelten. Um in Ihrer Logik zu blei-
ben, müssten Sie auch das als „uferlosen Zwangsvertrag“
bezeichnen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nein, dahinter steckt etwas ganz anderes, nämlich Ihre
Voreingenommenheit gegenüber der Neuregelung der Le-
benspartnerschaften und nichts anderes.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch beim qualifizierten Mietspiegel greife ich die
Argumentation von Herrn Pofalla auf. Er hat hier die Ab-
schaffung der Mietspiegel verlangt. Das war wirklich ein
tolles Stück. Vielleicht sollten Sie sich, Herr Dr. Kansy,
mit Ihrem jungen Kollegen aus dem Rheinischen besser




Wolfgang Spanier

15675


(C)



(D)



(A)



(B)


abstimmen. Wir halten den qualifizierten Mietspiegel für
einen deutlichen Fortschritt. Ich gehe davon aus, dass
viele Städte die Kosten auf sich nehmen und einen
solchen Mietspiegel erstellen lassen werden. Er wird
helfen, Rechtsstreitigkeiten vor Gericht zu vermeiden,
weil man endlich eine solide und gute Grundlage für
Mieterhöhungen haben wird.

Auf die Barrierefreiheit als weiteres wichtiges Mo-
ment der Modernisierung ist bereits von Margot von
Renesse und Frau Eichstädt-Bohlig hingewiesen worden.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir haben gemeinsam
das Gleichstellungsgebot in unsere Verfassung aufgenom-
men. Das Parlament hat eine große Verantwortung, dem
in allen einschlägigen Gesetzen Rechnung zu tragen und
es in allen Bereichen umzusetzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Rainer Funke [F.D.P.])


Diese Regelung zeigt, dass wir es mit dem, was wir in der
Verfassung zu diesem Punkt vereinbart haben, wirklich
ernst meinen.

Eine andere wichtige Änderung – auch darauf ist in der
parlamentarischen Beratung schon hingewiesen worden –
ist, dass wir die Kündigungssperrfristen bei der Um-
wandlung von Miet- in Eigentumswohnungen gelassen
haben. Entscheidend ist, dass wir die Möglichkeit des
Vermieters, diese Fristen zu unterlaufen, aus dem Gesetz
herausnehmen wollen. Die Umwandlungsproblematik ist
nicht nur in München vorhanden; sie stellt in vielen
Großstädten nach wie vor ein bedrängendes Problem für
die Mieterinnen und Mieter dar. Deswegen sind wir froh,
die gesetzliche Grundlage in diesem Punkt gestärkt zu
haben. Wir erwarten von den Ländern, dass sie sich der
Mühe unterziehen, vernünftige Regelungen hinsichtlich
der Festlegung von Sperrfristen, über die Grundfrist von
drei Jahren hinaus, zu treffen.

Wir wollten bei der außerordentlichen Kündigung
eine so genannte Zerrüttungskündigung einführen.
Wichtig war, in diesem Zusammenhang einen Verdacht
aus der Welt zu schaffen. Ich weiß nicht, ob dieser Ver-
dacht berechtigt war oder nicht, aber wir haben ihn aus der
Welt geschafft.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: Er war nicht berechtigt!)


– Er war nicht berechtigt, ich will das gerne einräumen. –
Ich denke aber, wir haben angesichts dessen, dass Be-
sorgnis oder Unsicherheit herrscht, gut daran getan, hier
für Klarheit zu sorgen. Das sieht mittlerweile auch der
Deutsche Mieterbund so und darüber sind wir froh. Wir
wollten nicht Menschen in Angst und Schrecken verset-
zen. Deswegen ist es gut, dass wir ein schuldhaftes Ver-
halten mit als Hauptgrund bei der außerordentlichen Kün-
digung in den Gesetzentwurf aufgenommen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich muss – ebenso wie manch einer meiner Vorredne-
rinnen und Vorredner – einräumen: Die Schönheitsre-
paraturen haben wir im Gesetzentwurf nicht geregelt,

obwohl sich die Wohnungspolitiker und die Rechtspoli-
tiker das vorgenommen haben. – Es ist vorhin deutlich
geworden, woran eine solche Regelung letztlich geschei-
tert ist. Vielleicht ist darüber auch noch nicht das letzte
Wort gesprochen. Ich will nicht ausschließen, dass wir
noch zu einer Regelung kommen. – Aber eines will ich Ih-
nen ganz klar sagen: Sie beklagen das Fehlen einer
solchen Regelung und geben uns die Schuld daran. Doch
wo ist denn eigentlich Ihr konkreter Vorschlag? Sie
wussten seit Monaten, dass dieser Punkt im Gesetz-
entwurf nicht geregelt ist und es einen Vorschlag des Bun-
desrates gibt, haben sich aber zu diesem Vorschlag mit
keinem Wort geäußert und auch keinen eigenen Vorschlag
vorgelegt.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir sind ja nicht Regierungspartei!)


– Herr Geis, Sie können sich nicht damit herausreden, Sie
seien in der Opposition. Sie betonen doch in jeder Rede,
Sie wollten konstruktiv mitarbeiten. Dann tun Sie es doch
gefälligst.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das machen wir doch! Sie lassen uns doch nicht konstruktiv mitarbeiten! Wenn von uns etwas kommt, geht doch bei Ihnen der Vorhang runter!)


Das gleiche Bild bietet sich bei der Verwer-
tungskündigung. Wir haben klar gesagt, dass wir das
Verbot der Verwertungskündigung nicht aufheben wer-
den; darum wäre es letztlich gegangen. Natürlich sehen
wir die Problematik hinsichtlich der neuen Bundesländer.
Es gibt dort Mietshäuser, in denen nur noch ein oder zwei
Mietparteien leben, während die anderen Wohnungen leer
stehen. Es leuchtet ein, dass die Wohnungswirtschaft ein
berechtigtes Interesse daran hat voranzukommen, wenn
ein aus städtebaulichen Gründen sinnvoller Abriss ge-
plant ist. Hätten wir aber die Verwertungskündigung
in die Mietrechtsreform aufgenommen, wie Sie, Herr
Pofalla, es gefordert haben, so hätten wir, wie ich glaube,
in großem Maße zur Verunsicherung der Mieterinnen und
Mieter in den neuen Bundesländern beigetragen. Genau
das wollen wir nicht!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Man kann über die Anregung von Frau Eichstädt-
Bohlig nachdenken. Ich frage mich aber: Warum ist in
diesem Fall eigentlich eine Verwertungskündigung
notwendig? Ist das angesprochene Problem nicht schlicht
und einfach ein Sonderfall einer ganz normalen Kündi-
gung nach § 573?


(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: So ist es!)

Ich bin kein Jurist – insgeheim sage ich: Ich bin auch
dankbar dafür –, aber ich glaube, dass wir durchaus recht-
liche Möglichkeiten haben. Wir müssen sie nur aus-
schöpfen.

Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Die Mietrechtsre-
form zeigt: Mit großer Entschlossenheit packt diese Bun-
desregierung, packen die Koalitionsfraktionen die längst
überfälligen Reformen in der Wohnungs- und Städte-




Wolfgang Spanier
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(C)



(D)



(A)



(B)


baupolitik an. Ich nenne die drei wichtigsten: die Wohn-
geldreform – Sie haben dies nicht geschafft –,


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Nur mit Hilfe des Bundesrates!)


die Reform des sozialen Wohnungsbaus – ich hoffe, dass
wir in diesem Punkt vielleicht zu einer gemeinsamen Lö-
sung kommen; aber Sie haben dies nicht geschafft – und
die Reform des Mietrechts; auch daran sind Sie geschei-
tert. Wir werden die Weichen neu stellen und ich kann Ih-
nen schon jetzt sagen: Wir können mit einer guten Bilanz
vor die Wählerinnen und Wähler treten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416102700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Freiherr von Stetten.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Jetzt hören wir wieder profunde Ausführungen eines Juristen!)



Dr. Freiherr Wolfgang von Stetten (CDU):
Rede ID: ID1416102800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren Kollegen! Die Opposition steht nach den Ausführun-
gen von Herrn Hartenbach im Verdacht, Zeit zu stehlen,
wenn sie diskutieren möchte. Herr Spanier ist stolz wie
ein Spanier, dass er kein Jurist ist. Das ist doch eine ver-
kehrte Welt, wenn man über das Mietrecht diskutiert.

Vom Ansatz her ist der Gesetzentwurf der Regierung,
der als große Mietrechtsreform angekündigt wurde, zwar
richtig. Aber Ihr Entwurf eines Mietrechtsreformgesetzes
verdient den Namen nicht, weil er die schleichende
Sozialisierung dieser Regierung auf vielen Gebieten nur
unterstreicht und ausdehnt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ein Unsinn!)


Dabei denke ich ausdrücklich auch an die geplante Re-
form des Betriebsverfassungsgesetzes oder an die von
manchen SPD-geführten Ländern verlangte Erhöhung der
Erbschaftsteuer. Das sind alles Schritte gegen das
Wohneigentum und die Wirtschaft.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Jawohl!)

Wir Politiker waren uns vom Grundsatz her einig, dass

die verschiedenen Mietgesetze im Bürgerlichen Gesetz-
buch zusammengefasst werden müssen. Wir waren uns
auch darüber einig, dass wir ein soziales Mietrecht haben
und dass dieses auch erhalten bleiben soll. Aber die
Schritte zur weiteren Entrechtung von Wohnungseigen-
tümern bergen die Gefahr, dass aus einem sozialen Miet-
recht ein sozialistisches Mietrecht wird, mit den Folgen,
die wir in der ehemaligen DDR beobachten konnten, wo
40 Jahre lang sozialistische Misswirtschaft herrschte und
wo es eine gigantisch große Zahl an kaputten Wohnungen
und Häusern gab, die einfach in der Landschaft standen
und zerfielen. Sie, meine Damen und Herren von der PDS,
reden hier von Petersilie und Schnittlauch! Das kann doch
wohl nicht richtig sein.

Die Bauwirtschaft leidet schon heute außerordentlich
stark unter der zurückgehenden Baukonjunktur und
wird, wenn der vorliegende Gesetzentwurf verabschiedet
ist, einen weiteren Schlag erleiden. Weitere Hundert-
tausende von Arbeitsplätzen werden dann gefährdet sein.
Die Baukonjunktur war in der Vergangenheit oft genug
Motor für eine florierende Wirtschaft.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!)

Wenn diese weiterhin abgewürgt wird, wird auch die
übrige Wirtschaft darunter leiden und werden die Arbeits-
losenzahlen steigen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es bestand überhaupt kein Anlass zur Verschärfung des

Mietrechts zuungunsten der Vermieter, weil die Mieten
derzeit eher sinken als steigen und es eher freie Woh-
nungen als Wohnungsnot gibt. Wer in einer solchen Zeit
Investoren mit der Senkung der Kappungsgrenze von
30 Prozent auf 20 Prozent verschreckt, schadet der
Gesamtwirtschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer wissenschaftlich erarbeitete Mietspiegel, die viel

Geld kosten, als alleinige Grundlage für Mietanpassungen
vorschreibt, verlängert die Verfahren und bürokratisiert
sie unnötig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die nicht geregelte Frage der Schönheitsreparaturen

ist keine Bankrotterklärung der Juristen, sondern der
Regierung, die keine entsprechende Formulierung
zuwege gebracht hat. Wenn es eine solche Formulierung
gegeben hätte, hätten wir darüber diskutieren können.
Aber eine solche Formulierung gibt es nicht. Das ist also,
wie gesagt, eine Bankrotterklärung der Regierung und
nicht der Opposition.

Wer asymmetrisches Kündigungsrecht für Recht
erklärt, indem er dem Mieter das Recht, innerhalb von
maximal drei Monaten zu kündigen, und dem Vermieter
das Recht einräumt, unter Umständen nur innerhalb von
neun Monaten kündigen zu können, begibt sich an ver-
fassungsrechtliche Grenzen oder überschreitet sie sogar.

Das Gesetz müsste nach In-Kraft-Treten nicht durch
die Rechtsprechung geglättet werden, Frau von Renesse,
wenn es ein vernünftiges Gesetz wäre. Aber das jetzt vor-
liegende Gesetz muss in der Tat durch die Rechtsprechung
geprüft und geglättet werden. Nur, was ist das für ein
Armutszeugnis, wenn der Bundestag ein Gesetz verab-
schiedet, das – das wissen wir schon jetzt – nachher durch
die Rechtsprechung geglättet werden muss. Das ist doch
eine Bankrotterklärung!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ein Geheimnis bleibt auch, warum gerade Studenten
ihre Kaution nicht verzinst bekommen sollen. Wenn die
Studentenwerke meinten, dass das zu schwer auszurech-
nen sei, kann ich ihnen empfehlen, sich für 50 DM ein
Computerprogramm zu kaufen, mit dem sich die Zinsen
per Knopfdruck leicht ausrechnen lassen.




Wolfgang Spanier

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(C)



(D)



(A)



(B)


Frau Ministerin, warum haben Sie nicht wie bei der
Zivilprozessordnung einen eleganten Salto rückwärts
gemacht und in diesen Streitpunkten Kompromisse mit
der Opposition gesucht? Bei den Beratungen über die Jus-
tizreform hat es bei den Berichterstattergesprächen auch
zunächst geheißen, alles bleibe so wie im alten Entwurf,
nichts werde geändert. Die Berufung von den Ein-
gangsstufen direkt zum Oberlandesgericht werde fest-
gezurrt. Aber dann wurde darauf hingewiesen, dass
dadurch die Amtsgerichte und die Landgerichte gefährdet
würden, und siehe da: Die gesammelte Kompetenz von
Richtern, Anwälten und vernünftigen Rechtspolitikern
hat Sie, Frau Herta Däubler-Gmelin, zur Einsicht ge-
bracht.

Es wäre ein Segen gewesen, wenn der gesammelte
Sachverstand der Haus-, Wohnungs- und Grundeigen-
tümer, der Wohnungsverbände, der Bauverbände, des
Deutschen Städtetags, der Sparkassen und Banken und
des großen Teils der Mietvereine, die den Gesetzentwurf
in der Anhörung mit deutlicher Mehrheit verurteilten, von
Ihnen, Frau Ministerin, und Ihnen, meine Damen und
Herren von der Regierungskoalition, berücksichtigt wor-
den wäre. Aber nein, Sie mussten mit dem Kopf durch die
Wand ein Gesetz durchpeitschen! Und wenn wir beraten
wollen, nennen Sie, lieber Herr Hartenbach, das Zeitdieb-
stahl. Das zeigt doch einen gewissen Mangel an Demo-
kratieverständnis.


(Beifall bei der CDU/CSU – Alfred Hartenbach [SPD]: Beraten und dummes Zeug Schwätzen ist ein Unterschied!)


– Na ja, was Sie heute Morgen gebracht haben, Herr
Hartenbach, war – um es vorsichtig auszudrücken – auch
nicht gerade der Weisheit letzter Schluss.

Sie mögen glauben, dass Ihr Gesetz mieterfreundlich
sei, doch Sie erweisen den Mietern einen Bärendienst,
denn irgendwann werden aufgrund der Investitionsrück-
stände für Mietwohnungsbau die Wohnungen wieder
knapper und die Mieten steigen. Dann hat der Mieter das
Nachsehen. Kurzfristig mag das zwar ein Vorteil für Ei-
gentümer sein, bei weitem aber kein Ausgleich für die
Eingriffe in das Eigentumsrecht. Sie betreiben eine abso-
lut verfehlte Mieter- und Vermieterpolitik. Der Kanzler,
der sich gern wirtschaftsfreundlich nennt, gibt dem linken
Flügel wieder einmal ein paar sozialistische Brosamen,
um Teile der SPD ruhig zu stellen


(Lachen bei der SPD)

und um die Grünen, die er sonst als lästigen Wurmfortsatz
behandelt, zu beruhigen.


(Zurufe von der CDU/CSU: So ist es!)

Die eigentumsfeindliche Politik der Regierung zeigt

sich aber auch an dem zurzeit im Vermittlungsausschuss
behandelten Rentengesetz. Jeder weiß, dass Haus- und
Wohnungseigentum der beste Garant ist, die staatliche
Altersrente aufzubessern. Deswegen kann es nicht rich-
tig sein, dass staatliche Zuschüsse zur privaten Altersvor-
sorge für Haus- und Wohnungserwerb nur dann zulässig
sind, wenn der Betroffene sein Haus oder seine Wohnung
mit Eintritt des Rentenalters einer Bank übereignet, damit

er von dieser eine zusätzliche Rente erhält. Haus- und
Wohnungseigentum fängt mit Bausparen an. Wer – oft mit
viel Eigenleistung – gebaut hat, ist stolz darauf, wenn das
Haus einmal abbezahlt ist und oft sogar noch verbessert
und renoviert werden konnte. Dann soll er als Eigentümer
dieses Haus einer Bank überschreiben und im Alter nicht
mehr in seinen eigenen vier Wänden wohnen! Das, meine
Damen und Herren von der Regierungskoalition aus SPD
und Grünen, können Sie mit uns nicht machen. Insbeson-
dere Häuslebauer in Süddeutschland, aber auch alle ande-
ren Wohnungseigentümer im Bundesgebiet werden das
nicht mitmachen.


(Dirk Manzewski [SPD]: Was hat das mit der Mietrechtsreform zu tun?)


– Das ist letztlich nur die Fortsetzung und Ergänzung die-
ses negativen Mietrechtsreformgesetzes.

Die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen gewähren
dem Ehegatten und den Kindern ein Recht zum Eintritt
in das Mietverhältnis und durch die Rechtsprechung
wurde dieses Recht auch schon auf den Lebenspartner
ausgedehnt. Davon wurde bisher der gleichgeschlechtli-
che Lebenspartner ausgenommen. Nach Verabschiedung
des Lebenspartnerschaftsgesetzes hätte es einer einfa-
chen, aus einem Satz bestehenden Ergänzung des Miet-
rechts bedurft, um auch den gleichgeschlechtlichen Le-
benspartnern dieses Eintrittsrecht zukommen zu lassen.
Sie erweitern aber – und das ist das Schlimme daran – die
Eintrittsmöglichkeit für unbeschränkt viele Personen oder
Personengemeinschaften, wenn sie denn nur einen „auf
Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt“ führen. Dabei
ist für den Vermieter nicht mehr überschaubar, ob und
wann er in die Lage kommt, zu erkennen, wer zu welchem
Zeitpunkt mit wem einen gemeinsamen Haushalt führt.
Warum Sie auf diesen für den Wohnungsbau als Horror-
vorschriften geltenden Bestimmungen beharrlich beste-
hen, bleibt unverständlich, nachdem Sie doch auch andere
vernünftige Vorschriften in die Beratung aufgenommen
haben.

In diesem Zusammenhang denke ich besonders – ich
betone, dass wir das unterstützen – an den neuen
§ 554 a BGB, in dem der Mieter vom Vermieter bauliche
Veränderungen verlangen kann, die für eine behinderten-
gerechte Nutzung der Mietsache oder deren Zugang er-
forderlich sind. Das geschieht natürlich auf eigene Kosten
und gegebenenfalls nur gegen eine angemessene Si-
cherheit für die Wiederherstellung des alten Zustandes,
aber unter Zugrundelegung der Abwägung der Interessen
von Mieter und Vermieter.

Ich wünsche mir, Herr Professor Pick – sehr geehrter
Herr Staatssekretär, das ist Ihr Spezialgebiet –, dass in das
Wohnungseigentumsgesetz eine entsprechende Bestim-
mung aufgenommen wird, damit ein Wohnungseigentü-
mer von der Wohnungseigentümergemeinschaft die
Zustimmung zu solchen behindertengerechten Einrich-
tungen verlangen kann, ohne langfristige Auseinander-
setzungen mit uneinsichtigen Wohnungseigentümern
führen zu müssen. Noch besser wäre es, Herr Pick, wenn
wir heute den § 554 a BGB geringfügig wie folgt ändern
würden: „Der Mieter kann vom Vermieter, und wenn die
Wohnung eine Eigentumswohnung ist, auch von der Ei-




Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
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(C)



(D)



(A)



(B)


gentümergemeinschaft, die Zustimmung zu baulichen
Veränderungen oder sonstigen Einrichtungen verlan-
gen...“ Entsprechende einfache Änderungen im Hinblick
auf Wohnungseigentum wären auch hinsichtlich der ande-
ren Bestimmungen des § 554 a BGB notwendig. Das wäre
eine sinnvolle Sache, mit der wir etwas erreicht hätten.

Schade, dass für die im Streit befindlichen Themen
keine vernünftigen Regelungen gefunden wurden – ers-
tens, weil Sie das nicht wollten, und zweitens, weil Sie
uns keine Zeit dazu gelassen haben! Wir lehnen dieses
Gesetz ab, weil es mieter- und vermieterunfreundlich ist
und Wohnungsbauinvestitionen für die Zukunft er-
schwert. Schade, die Chance für ein modernes, zukunfts-
weisendes Mietrecht ist damit vertan. Sie allein tragen da-
ran die Schuld.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416102900
Das Wort hat
jetzt die Bundesministerin Herta Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin,Bundesministerin der Jus-
tiz: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich freue mich in der Tat, dass der Deutsche Bundestag
heute mit der zweiten und dritten Lesung des Gesetzent-
wurfs zur Mietrechtsreform seine Beratungen zu diesem
sehr wichtigen Rechtsgebiet abschließt. Ich danke all de-
nen – lassen Sie mich das am Anfang sagen –, die in den
vergangenen Monaten und Jahren kooperativ mitberaten
haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich glaube, dass wir heute einen guten und wichtigen
Schritt tun; denn eine Reform des Mietrechts ist seit Jahr-
zehnten überfällig; diese Reform – das unterstreichen alle
Verbände – ist wirklich nötig. Dieser Gesetzentwurf ent-
hält sehr viele sehr vernünftige Regelungen, die gerade
das gute Miteinander zwischen den Mietern und den Ver-
mietern sowie die Unterstützung der Wohnungswirtschaft
fördern, ein Miteinander, das alle wollen und das wir die-
sem Gesetz als Leitbild vorangestellt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dass das so ist – jetzt wende ich mich der Opposition
zu –, wissen Sie genau. Wir waren an unzähligen Diskus-
sionen mit Ihnen beteiligt und wir haben mit vielen Ex-
perten von Ihnen Einzelgespräche geführt. Dass Sie als
Opposition hier wieder einmal ein ganz erstaunliches
Getöse veranstalten, sozusagen einen Rauchvorhang
hochziehen, steht dem gar nicht entgegen. Ich finde es nur
ein bisschen schade, dass Sie an Ihrer Linie der Blockade
und des Neins festhalten, weil Sie damit zeigen, dass Sie
die letzten 16 Jahre noch nicht abstreifen konnten. Es ist
wichtig, dass wir in der Öffentlichkeit nochmals klarma-
chen, dass die angemessenen, die guten, die ausgewoge-
nen und die modernen Lösungen, die dieses Mietrecht in
sich vereinigt, allen nützen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieses Mietrecht ist für die Mieter und für die Vermie-
ter gut, weil wir den Mieterschutz da stärken, wo es drin-
gend erforderlich ist, weil wir die Vertragsfreiheit da aus-
bauen, wo es der Markt wirklich zulässt, zum Beispiel bei
Staffelmieten, bei Indexmieten und auch beim Zeitmiet-
vertrag, und weil wir nicht nur das Miteinander der Mie-
ter und der Vermieter, sondern auch das der Verbände för-
dern, lieber Herr Funke. Anders als Sie setzen wir nicht
auf eine Klientel und nicht auf einen Verband; vielmehr
reden wir mit allen und wir bitten alle mehrfach, uns ihre
Probleme und ihre Interessen mitzuteilen. Der Deutsche
Bundestag und die Bundesregierung haben nicht die Auf-
gabe, Politik zugunsten irgendeiner Klientel zu betreiben;
Aufgabe ist vielmehr, das Gemeinwohl zu fördern. Das
tun wir.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Miteinander zwischen den Vermieterverbänden
und den Mieterverbänden stärken wir gerade durch die
Regelung des Mietspiegels. Eigentlich wissen auch Sie
das. Ich würde Ihre gut gemeinten und liebenswürdigen
Ratschläge im Grunde sehr gerne annehmen, weil ich Sie
– Sie wissen das, Herr Funke – menschlich schätze. Aber
es wäre natürlich gut, wenn Sie ein bisschen mehr von zu-
treffenden Informationen ausgingen.

Ich möchte als Beispiel das Vorkaufsrecht nennen.
Warum sagen Sie nicht, dass es für die Ausübung des Vor-
kaufsrechts des Mieters bisher nicht der Schriftform be-
durfte? Dank der 16 Jahre Ihrer verantwortungsvollen Po-
litik ließen die bisherigen Regelungen auch die mündliche
Ausübung zu. Wir haben zum Schutz der Mieter die
Schriftform eingeführt. Nun behaupten Sie, das sei nicht
in Ordnung. Ihre Regelung war nicht in Ordnung!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was wir tun, ist mieterfreundlich.
Wenn Sie jetzt sagen: „Jawohl, es sollte eigentlich noch

eine zusätzliche Beratung durch Notare geben“, dann ent-
gegne ich Ihnen: Auch das ist in Ordnung.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Dann machen Sie es doch!)


Aber durch eine freiwillige Beratungstätigkeit stehen die
Notare im Wort. Das ist gut so.

Anstatt ehrlichkeitshalber zu sagen: „Jawohl, es war
falsch, dass wir in unserer Verantwortung die mündliche
Ausübung vorgesehen haben, und wir stimmen jetzt der
Schriftformregelung zu“, erzählen Sie den Menschen, wir
wären in dieser Frage nicht für den Mieterschutz. Sie wis-
sen doch ganz genau, dass das nicht stimmt.

Lassen Sie mich einen zweiten Punkt herausgreifen
– jetzt wende ich mich an Sie, lieber Herr Repnik –: Ich
weiß ganz genau, dass Sie an anderer Stelle immer wieder
Wert darauf legen, zu sagen, dass auch die Opposition
– manchmal tun Sie sogar so, als könnten Sie uns darin
übertreffen, aber das ist nicht der Fall – für den Schutz der
Familien sei, und zwar gerade für den Schutz der Fami-
lien, die in Ballungsräumen leben, wenig Geld haben,




Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten

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(C)



(D)



(A)



(B)


aber für sich und ihre Kinder eine geeignete Wohnung
brauchen. Wir sagen jetzt: Gerade für diese Familien – ob
in Stuttgart, Frankfurt oder München – setzen wir die
Kappungsgrenze herab. Was höre ich dazu von Ihnen?
Sie sprechen von Eigentumsfeindlichkeit. Herr Repnik,
dies ist nahezu zynisch. Gestatten Sie, dass ich Ihnen das
sage.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn man für Familienpolitik ist, muss man auch dafür
sein, die Familien zu schützen. Wir werden sehr genau
schauen – es wird nachher eine namentliche Abstimmung
geben –, wo Sie persönlich stehen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das kann ich Ihnen jetzt schon sagen!)


Im Rahmen der Förderung von Familien müssen wir
den Schutz gerade für Familien mit niedrigem Einkom-
men in Ballungsräumen verstärken.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Die Familien haben bei uns die Wohnungen bekommen, die sie bei Ihnen wieder loswerden!)


Genau dies schreiben das Bundesverfassungsgericht und
unsere Verfassung vor. Wenn Sie nicht mitmachen, wer-
den wir dies den Familienverbänden erzählen müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie machen sich etwas vor, Frau Ministerin!)


Mir wäre viel lieber, Sie würden mitmachen. Sie können
sich ja noch überlegen, ob Sie es nicht doch noch tun.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Bauen Sie mehr Eigenheime!)


Aber beides geht nicht, nämlich einerseits hier zu er-
klären, dies sei eigentumsfeindlich, und andererseits zu
sagen, Sie seien für die Familien. Das passt nicht zusam-
men.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Gleiche ist bei den alten Menschen der Fall. Die
Bürgermeisterin aus Regensburg, Frau Anke – ich glaube,
sie ist Mitglied der CSU –, schrieb mir schon vor Jahren,
als wir angefangen haben, darüber nachzudenken, wie wir
Menschen, die ins Altenheim müssen, helfen oder Men-
schen, die umziehen müssen, ihre Flexibilität erhalten
können – übrigens „neue Mitte“, meine Damen und Her-
ren –, sie sei wirklich dankbar, dass sich nach 16 Jahren,
in denen sie von der Regierungskoalition aus CDU/CSU
und F.D.P. dazu nichts gehört habe, endlich jemand um
diese Menschen kümmere. Ich habe ihr gesagt: Wir tun
das. Und das machen wir auch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wissen ganz genau, dass die asymmetrische Kün-
digung vielen hilft. Wir wissen auch, dass sie Mietern
nicht schadet, weil sich anständige Vermieter auch heute
schon nicht auf den noch geltenden Rechtszustand beru-

fen, sondern gemeinsam mit ihren Mietern eine vernünf-
tige Regelung treffen. Diese vernünftigen und fairen Ver-
mieter nehmen wir zum Vorbild. Diese vernünftigen Ver-
mieter – das sage ich Ihnen – sind das Leitbild unserer
Mietrechtsreform.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dass Sie wieder dagegen sind, wird vom Deutschen Städ-
tetag – Sie haben diese Organisation vorhin erwähnt – ge-
nauso kritisiert wie von den Menschen, die sich ganz be-
sonders um alte Menschen kümmern. Wir werden auch
hier ganz genau schauen, wo Sie stehen. Denn es passt
nicht zusammen, wenn Sie die Behauptung aufstellen,
man wolle alten Menschen helfen, dann aber gegen unser
Mietrechtsreformgesetz sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)


Jetzt komme ich zum dritten Punkt, nämlich zu den Be-
hinderten. Lieber Herr von Stetten, es hat mich natürlich
sehr gefreut – übrigens auch das, was Sie gesagt haben,
Herr Funke –, dass Sie erklärt haben, der Grundsatz der
Barrierefreiheit werde von Ihnen akzeptiert und unterstri-
chen. Aber wer diesen Grundsatz akzeptiert und unter-
streicht, der muss unserem Mietrechtsreformgesetz zu-
stimmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Man kann nicht sagen, man sei für die Behinderten, aber
gegen das Mietrechtsreformgesetz.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das kann man wohl!)


Deswegen sage ich Ihnen: Diese Form der Meister-
schaft der gespaltenen Zungen machen wir nicht mit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Rainer Funke [F.D.P.]: Das ist doch unverschämt!)


Wenn Sie hier Opposition machen und Nein sagen wollen,
tut uns das Leid,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Die „gespaltene Zunge“ geben wir Ihnen zurück!)


weil wir Ihnen genau wie in anderen Bereichen Beratung
und Kooperation anbieten.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das haben wir in der Vergangenheit sehr wohl erfahren!)


Wenn Sie aber nicht darauf eingehen wollen oder meinen,
Sie könnten nur dann Ja sagen, wenn Ihre einseitige Kli-
entelpolitik fortgeschrieben wird,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist ja gespalten! Das ist eine billige Ausrede!)


werden wir dies nach außen deutlich machen. Ich sage Ih-
nen auch, dass die Menschen das nicht akzeptieren wer-
den.


(Beifall bei der SPD)





Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
15680


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416103000
Frau Ministerin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten
Ostrowski?

Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Gerne.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416103100
Bitte.


Christine Ostrowski (PDS):
Rede ID: ID1416103200
Frau Ministerin, ich
habe eine Frage zur Barrierefreiheit. Ihre Rede und auch
die Beiträge anderer Abgeordneter haben etwas anders
geklungen als das, was im Gesetz steht. Im Gesetz steht
nämlich erstens, dass der behinderte Mieter vom Vermie-
ter die Zustimmung zu einem bedarfsgerechten Umbau
verlangen kann, wenn er ein berechtigtes Interesse nach-
weisen kann. Zweitens kann der Vermieter die Zustim-
mung verweigern, wenn sein Interesse das Interesse des
behinderten Mieters überwiegt. Drittens müssen auch die
anderen Mieter in dem Haus gefragt werden, ob sie mit
dem Umbau einverstanden sind. Viertens geht es um eine
angemessene Leistung des behinderten Mieters und um
den Abbau der baulichen Veränderungen, wenn er aus-
zieht.

Denken Sie nicht, dass man diese Punkte in den Reden
konkret ansprechen sollte, damit behinderte Menschen
nicht in der Illusion leben, für sie könnte es die totale Bar-
rierefreiheit geben?


(Beifall bei der PDS – Norbert Geis [CDU/ CSU]: Das sind erst die richtigen Barrieren!)


Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Liebe Frau Ostrowski, ich glaube, dass Sie in der
Sache Unrecht haben; denn selbstverständlich gilt auch
hier, dass ein ausgewogener Interessenausgleich erforder-
lich ist. Wenn Sie einmal so freundlich wären, sich mit den
einzelnen Fällen, die zum Teil schon vom Bundesverfas-
sungsgericht entschieden wurden, auseinander zu setzen,
dann würden Sie sehen: Unser Gesetzentwurf wird so-
wohl der Lage der Mieter als auch der Lage der Vermie-
ter gerecht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich teile im Übrigen die Auffassung von Frau von

Renesse, dass wir uns einer Korrektur, wenn sie sich in der
Praxis als notwendig erweisen sollte – ich vermute aber,
dass dieser Fall nicht eintritt –, nicht widersetzen sollten.
Auch wenn die rechte Seite des Hauses nicht zustimmen
will, so verbindet uns doch das Ziel, für die Behinderten
bessere Integrationsmöglichkeiten zu schaffen. Dieses
Ziel spiegelt sich auch im neuen Mietrecht wider.


(Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die neuen Regelungen sind auch gut für die Moderni-
sierung und für Investitionen, weil wir – das will ich ein-
mal feststellen; es ist noch nicht zum Ausdruck gekom-
men – einen großen Teil unnötiger Bürokratie abbauen.

Meine Damen und Herren von der Opposition, diese
Bürokratie hätten Sie schon in den vergangenen 16 Jahren
abbauen können. Das wäre gut gewesen.

Wir erweitern auch die Möglichkeit, die Kosten für
die Modernisierung umzulegen. Wir sind außerordent-
lich ökologisch orientiert, weil wir ganz genau wissen,
dass Vermieter und Mieter ein gemeinsames Interesse an
modernen Wohnungen haben, die nach ökologischen Ge-
sichtspunkten ausgerichtet werden.

Die Regelungen, die wir jetzt treffen, sind nicht nur
gut, sondern auch klar. Ich bedanke mich bei allen, auch
bei den Rednern aus den Reihen der Opposition – ich
weiß, es ist schwer, über den eigenen Schatten zu sprin-
gen –, die sich lobend über die Klarheit und die
Verständlichkeit der Regelungen geäußert haben, was
berechtigt ist. Wir haben heute etwa 300 000 Prozesse, die
sich mit Mietstreitigkeiten befassen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Demnächst werden es 600 000 sein!)


Auch das ist ein Ergebnis der letzten 25 Jahre, in denen es
nicht möglich war, eine vernünftige Mietrechtsreform zu-
stande zu bringen. Wir wollen die Zahl derMietprozesse
deutlich senken. Wir nehmen an, dass das nach einer
gewissen Anlaufzeit gelingen kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben übrigens so getan – über diesen Punkt muss
man in der Tat reden –, als bräuchte man für den Bereich
der Schönheitsreparaturen dringend neue Regelungen.
Ich weiß aus vielen Gesprächen mit Ihnen und auch aus
Gesprächen mit Verbänden, dass Neuregelungen von der
Sache her nicht erforderlich sind. Die Schönheitsrepara-
turen sind nämlich heute schon ausreichend geregelt. Wir
haben gerade in diesem Bereich eine Rechtsprechung,
über die ich von keiner Seite Kritik gehört habe. Deswe-
gen wollen wir die Schönheitsreparaturen jetzt gesetzlich
nicht neu regeln. Warum sollten wir dies tun, wenn doch
alle ihre Zufriedenheit mit dem jetzigen Zustand deutlich
zum Ausdruck gebracht haben?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn wir das getan hätten, hätten Sie uns – da bin ich
mir ganz sicher –, Regelungswut vorgeworfen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Genau so ist es!)

Ich möchte deswegen festhalten: Die Regelungen, die wir
zu den Schönheitsreparaturen haben und die ein mieter-
freundliches Leitbild enthalten, halten wir für richtig. Wir
wollten sie nicht ändern, niemand wollte sie ändern, und
deswegen haben wir sie nicht geändert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich noch auf das Thema Nebenkosten zu
sprechen kommen. Die Höhe der Nebenkosten kann man
mit dem Mietrecht leider nicht verändern. Wir haben das
getan, was man in diesem Zusammenhang machen
konnte: Wir haben die Transparenz erhöht. Durch die






(C)



(D)



(A)



(B)


Berücksichtigung des Grundsatzes der Verbrauchsabhän-
gigkeit geben wir den Mietern mehr Einfluss. Diese Tat-
sache ist wichtig. Das trägt zu meinem Gesamturteil bei,
dass dieses Gesetz notwendig und vernünftig ist, den Mie-
terschutz von Familien, alten Menschen, Behinderten und
Leuten, die umziehen müssen, erhöht, die Vertragsfreiheit
ausbaut und die Zusammenarbeit zwischen den Mietern
und den Vermietern sowie zwischen ihren Interessenorga-
nisationen stärkt. Es hilft schließlich der Wohnungs-
wirtschaft.

Sie haben nun noch eingewandt, wir hätten die Ver-
wertungskündigung im Osten zulassen sollen. Darüber
haben wir in der Tat lange geredet. Es sollte aber nicht ein-
fach so im Raum stehen bleiben, dass dieser Sachverhalt
ungeregelt und die Nichtzulassung deswegen ungerecht-
fertigt sei. Sie wissen ganz genau, dass von den CDU-ge-
führten Regierungen im Osten – wenn nicht, dann fragen
Sie bitte bei denen nach – mehr Einwendungen gegen als
Unterstützung für eine Änderung gekommen sind. Ich
möchte noch einmal sehr deutlich sagen: Mit gespaltener
Zunge zu reden macht auch hier keinen Sinn. Ich glaube,
wir können hier festhalten, dass solche Missbrauchsfälle,
wie Sie sie geschildert haben, heute von den Gerichten un-
ter Bezugnahme auf das so genannte berechtigte Interesse
sehr wohl unterbunden werden können und damit allen
gedient ist. Wir können somit sagen: Missbrauchsfälle
dulden wir tatsächlich nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich zusammenfassen: Es handelt sich um
gute Regelungen. Sie müssen sich entscheiden: Wenn Sie
für die Familien, die alten Menschen und die Behinderten
sind,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann müssen wir dagegen stimmen!)


dann müssen Sie zustimmen. Wenn Sie das nicht tun,
heißt das ganz klar, Sie wollen diese Regelungen nicht un-
terstützen.

Am Ende dieser Beratungen will ich all denen ganz
herzlich danken, die in den letzten Jahren und Monaten
mitgearbeitet haben: auf Länderseite insbesondere Nord-
rhein-Westfalen und Niedersachsen, auf Ministeriums-
seite den Mitarbeitern nicht nur im Bundesministerium
für Justiz, sondern auch im Wohnungsbauministerium.
Ich sehe hier die Staatssekretäre Großmann und Pick;
beide haben sich außerordentlich stark engagiert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist Amtspflicht!)


Ich bedanke mich bei allen Verbänden, die uns in zahlrei-
chen Runden ihre Sorgen und Wünsche mitgeteilt haben.
Ich darf stellvertretend, weil ich sie hier sehe, der Präsi-
dentin des Deutschen Mieterbundes danken. Sie hat übri-
gens mit Unterstützung und Kritik – ob berechtigt oder
nicht – nicht gespart. Ich bedanke mich auch sehr bei den
Kolleginnen und Kollegen aus den beratenden Ausschüs-
sen, aus dem Wohnungsbau-, dem Wirtschafts- und ins-
besondere dem Rechtsausschuss. Ich glaube, das Gesetz

ist gelungen. Ich freue mich, dass es am 1. September in
Kraft treten kann.

Herzlich Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416103300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Eduard Lintner.


Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1416103400
Sehr geehrte Frau Prä-
sidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Frau Minister, ich halte es für zu ober-
flächlich, wenn Sie unsere Position mit einem „Rauch-
vorhang“ vergleichen. Etliche Redner haben Ihnen ja kon-
kret anhand der Bestimmungen, die Sie ändern wollen,
belegt, dass dieses Gesetz tatsächlich gegen das Gebot
der Ausgewogenheit verstößt. Dieses Argument kann
nicht so ohne weiteres und leichthin, wie Sie es getan ha-
ben, vom Tisch gewischt werden.

Auch die Art des Umganges mit diesem Sachverhalt,
der ja für uns alle von großer Bedeutung ist, ist ein Beweis
dafür, dass Sie bei den Beratungen nach der Devise ge-
handelt haben: Augen zu und durch, denn wir haben uns
gegenüber einer bestimmten linken Klientel zu etwas ver-
pflichtet, was wir jetzt tatsächlich auch vollziehen müs-
sen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich muss Ihnen auch sagen – das gilt eigentlich für die
ganze Debatte –, dass von Ausgewogenheit, die Sie für
sich immer verbal in Anspruch nehmen, nur theoretisch
gesprochen werden kann. In der Sache handeln Sie ein-
seitig. Das ist an vielen einzelnen Punkten belegt worden.

Meine Damen und Herren, es steht fest: Das Mietrecht
regelt nicht nur einen sehr sensiblen wirtschaftlichen Be-
reich, sondern ist auch für den allgemeinen Rechtsfrie-
den in der Gesellschaft von außerordentlich großer
Bedeutung. Deshalb waren wir stets bemüht, das Gebot
der Ausgewogenheit zwischen den Interessen der Mieter
und denen der Vermieter nicht zu verletzen. Dies haben
wir als ein hohes politisches Gut empfunden; denn nur so
kann ein ausreichender Anreiz für Investoren, im Miet-
wohnungsbau Geld anzulegen, geschaffen werden. Das
bestätigen uns alle Fachleute. Nur Sie von der Koalition
wollen es einfach nicht wahrhaben und glauben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dabei sprechen doch die Erfolge für uns. Denn es ist
damit gelungen, in den meisten Städten und Gemeinden
unseres Landes bei den Mietwohnungen das Verhältnis
zwischen Angebot und Nachfrage insbesondere im Inte-
resse der Mieter ins Lot zu bringen. Aber Sie treiben ein
echtes Spiel mit dem Feuer, übrigens letztlich auf Kosten
der Mieter, wenn die Regierungskoalition diese Miet-
rechtsänderung jetzt durchpauken will. Denn Sie verlas-
sen dabei den Pfad der Ausgewogenheit und schieben die




Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
15682


(C)



(D)



(A)



(B)


Interessen der Mieter kontraproduktiv für alle, auch für
die Mieter, in den Vordergrund.

Dazu nur drei krasse Beispiele:
Der neue, so genannte qualifizierte Mietspiegel ist

teuer und wird eine stete Quelle für Streit sein,

(Zuruf von der CDU/CSU:Genau!)


schon deshalb, weil es die von Ihnen als allgemein aner-
kannt dargestellten wissenschaftlichen Begründungen in
der Praxis gar nicht gibt.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist eine Beschaffungsmaßnahme für Anwälte!)


– Natürlich.
Außerdem schaffen Sie ein für Ideologen in der Kom-

munalpolitik verführerisches neues Betätigungsfeld und
hebeln damit gleichzeitig bewährte Instrumente, wie den
einfachen, gemeinsam von Vermietern und Mietern er-
stellten Mietspiegel, praktisch aus.

Besonders pikant finde ich dabei, dass die Erarbeitung
und ständige Aktualisierung des qualifizierten Mietspie-
gels sehr aufwendig und teuer sein wird. Diese völlig
überflüssigen Kosten werden nach aller Marktwahr-
scheinlichkeit von den Mietern zu tragen sein, oder die
Kommunen bleiben darauf sitzen und werden Mittel und
Wege finden, um sich das Geld bei den Leuten wie-
derzuholen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Durch die neuen asymmetrischen Kündigungsfris-

tenwird glatt negiert, dass es vergleichbare Zwangslagen
wie beim Mieter auch beim Vermieter jederzeit geben
kann. Gerade darin sieht – gestern hat er es Ihnen über die
seriösen Tageszeitungen noch einmal mitgeteilt – der
Präsident des Verbandes deutscher Hypothekenbanken
einen wichtigen Grund für die weiter rückläufigen Inves-
titionen im Mietwohnungsbau, so gestern wörtlich nach-
zulesen.

Letztes Beispiel ist die Streichung der erleichterten
Kündigungsmöglichkeit beim vom Vermieter selbst be-
wohnten Dreifamilienhaus. Hier sehen Sie eine Regelung
vor, die den verfassungsrechtlich gebotenen hochrangi-
gen Vertrauensschutz gröblich verletzt – eine Quelle für
Verfassungsstreitigkeiten, kann ich Ihnen nur sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Beispiele mögen genügen. Wir haben Sie gewarnt,

aber eben nicht nur wir. Wenn Sie auf uns schon nicht
hören wollen, dann doch bitte auf die Warnungen der For-
schungsinstitute und des Sachverständigenrats. Beide ma-
chen für den unerwartet deutlichen Rückgang des Woh-
nungsbaus in diesem Jahr um sage und schreibe 3,3 bis
3,5 Prozent auch die Diskussion – so wörtlich – um die ge-
plante Mietrechtsreform verantwortlich, wohlgemerkt:
die geplante. Ihre Vorlage stellt aber eine weitere Ver-
schlechterung für die Vermieter dar. Das muss und wird
diesen Abwärtstrend noch verstärken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Übrigen, Frau Ministerin: Was Sie zur Familie ge-
sagt haben, kann eigentlich nur als blankes Lippenbe-
kenntnis bezeichnet werden.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Wieso denn?)

Denn wenn man bedenkt, dass gerade die Familien unter
den Preissteigerungen sozusagen azyklisch zu leiden hat-
ten – insgesamt sind die Mietpreise ja gesunken, nur die
Familien zahlen nach der Statistik für die Warmmiete
heute 4 Prozent mehr, weil Sie sie über die Energiesteuer
und die Ökosteuer zusätzlich ohne Ausgleich belastet ha-
ben –,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit!)


dann können Sie sich nicht hier hinstellen und so tun, als
seien die Familien Ihr besonderes Anliegen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist die angebliche Familienfreundlichkeit!)


Sie riskieren mit Ihren neuen Regelungen – das ist Ih-
nen zu vielen Punkten bereits gesagt worden – auch nach
Meinung der Fachleute, dass das Interesse an Investitio-
nen im Mietwohnungsbau noch mehr nachlässt. Zusätz-
lich belasten Sie die Bereitschaft noch durch Diskussio-
nen über den Wegfall der Investitionszulage für den
Mietwohnungsneubau oder durch die neueste Diskussion
über eine Erhöhung der Erbschaftsteuer. Experten sagen
Ihnen deshalb voraus, dass zum Beispiel der Mietwoh-
nungsbau in der Form des Mehrfamilienhauses dem-
nächst auf unter 100 000 Wohneinheiten fallen wird. Die
Zahl der Baugenehmigungen, die vorliegen, bestätigt uns
das.

Meine Damen und Herren, aus alldem folgt – ich fasse
mich jetzt kurz, weil meine Redezeit davonläuft –, was
der Kommentator in der Tageszeitung „Die Welt“ am
Dienstag vorhergesagt hat: Die Folgen werden zwar erst
in einigen Jahren sichtbar werden, aber sie werden in ei-
ner neuen Wohnungsnot bestehen. Damit provozieren Sie
mittelfristig, dass der heute überwiegend anzutreffende
Mietermarkt zu einem Vermietermarkt wird. Das Kaputt-
machen des Mietermarktes aber bedeutet, dass durch die
Macht des Faktischen der Mieterschutz, den sie dieser
Klientel mit warmen Worten verkaufen wollen, letztlich
leer läuft.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416103500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Alfred Hartenbach. Er ist, soweit
ich es sehe, der letzte Redner in dieser Debatte. Auch
wenn Sie alle auf die namentliche Abstimmung warten,
bitte ich Sie, den Geräuschpegel etwas zu dämpfen.


Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1416103600
Frau Präsidentin, ich be-
danke mich sehr herzlich für Ihre Unterstützung.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach der heuti-
gen Debatte haben wir festzustellen, dass auf der rechten




Eduard Lintner

15683


(C)



(D)



(A)



(B)


Seite des Hauses die Stunde der reuigen Sünder geschla-
gen hat, denn alle haben ihre Sünden bekannt: Funke, dass
er in acht Jahren nichts geschafft hat, von Stetten, Pofalla,
Kansy und nun auch Herr Lintner, dass sie in den Jahren
seit der deutschen Vereinigung nichts geschafft haben.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Wir haben einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt geschaffen!)


Sie haben alles uns überlassen und wir übernehmen
diese Last gerne; denn wir wissen, dass wir jetzt ein Miet-
recht geschaffen haben, das man mit Fug und Recht mit der
Headline überschreiben kann: optimiert und austariert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist optimiert, weil wir all das, was dringend notwendig
war, in einem Gesetz zusammengefasst haben. Das haben
Sie nicht geschafft. Es ist austariert, weil wir sowohl den
berechtigten Interessen der Mieter als auch den wohlver-
standenen Interessen der Vermieter entgegengekommen
sind und beide Interessen zum Ausgleich gebracht haben.

Wir könnten es natürlich so machen, wie es die F.D.P.
will, indem wir ein Gesetz beschließen, das ausschließlich
an marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten orientiert ist.
Das wäre Ihre Masche, aber das ist mit uns nicht zu ma-
chen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir könnten es auch so machen, wie es die PDS will, in-
dem wir eine dunkelrote, altsozialistische Romantik pfle-
gen. Auch das geht nicht, denn wir müssen hier die Inte-
ressen der Vermieter mit bedenken.


(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Wir könnten es natürlich auch so machen, wie es die
CDU/CSU will, die ein Sammelsurium aller möglichen
Vorschläge unterbreitet, dabei aber keinen hat, der eine
nähere Betrachtung wirklich verdient.

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, das Miet-
recht hat neben der sozialromantischen und der markt-
wirtschaftlichen eine ganz wichtige Funktion: eine so-
ziale Regelungsfunktion für, wie ich eben gehört habe,
60 Millionen Menschen, die entweder Vermieter oder
Mieter sind. Diese Funktion ist deshalb so wichtig, weil
sie das Zusammenleben von Mieter und Vermieter regelt.
Wir wissen doch, dass die Mehrheit der Mietverhältnisse
vernünftig und ordentlich funktioniert. Aber das Mietver-
hältnis kann sowohl für den Vermieter zur Hölle werden,
wenn er einen Mieter hat, der ihm ständig in die Quere
kommt, als auch für den Mieter zu einer schlimmen Hölle
werden, wenn er nicht sicher sein kann, ob und unter wel-
chen Bedingungen er in der Wohnung leben kann. Mit un-
serer Neuregelung sorgen wir dafür, dass es dazu nicht
kommt.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben dabei genau das richtige Maß getroffen. Die
Mieter haben eine Sicherheit, dass sie in ihrem Lebens-
umfeld bleiben können, so lange sie wollen und so lange
sie nicht gegen Verträge verstoßen. Die Vermieter haben
eine Sicherheit, dass mit dem von ihnen geschaffenen

Wirtschaftsgut, welches sie zur Verfügung stellen, sorg-
sam umgegangen wird.

Ich kann aufgrund der Kürze der Zeit nicht alle Kom-
ponenten herausgreifen, aber ich denke, dies sind die
wichtigsten.

Jetzt möchte ich noch einen Punkt ansprechen, der
meiner Meinung nach auch wichtig ist. Nun können wir
natürlich mit dem neuen Mietrecht nicht in alle bestehen-
den Mietverträge eingreifen. Dort, wo zum Beispiel hin-
sichtlich der Kündigungsfrist individuelle Absprachen
zwischen Mieter und Vermieter getroffen worden sind,
wird es uns nicht möglich sein einzugreifen. Dort aber, wo
die Mietverträge als Formelmietverträge lediglich auf die
gesetzlichen Kündigungsfristen Bezug nehmen oder sie
formelhaft wiederholen, wird künftig das neue Mietrecht
gelten. Damit haben wir in diesem Punkt auch wieder eine
wichtige Neuerung geschaffen, dass sich nämlich Mieter
und Vermieter auf diese neuen Bedingungen ab dem In-
Kraft-Treten des Gesetzes einstellen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nun ist es natürlich keineswegs so, wie meine Vorred-

ner von der Opposition gesagt haben, dass alle diese
Regelung schlecht gemacht hätten. Natürlich hat der
Mietgerichtstag am vergangenen Wochenende in Dort-
mund in seinen Presseerklärungen von Freitag noch in
Kenntnis des bis dahin noch nicht geänderten Rechts – die
Beteiligten hätten es wissen können, sie wussten es aber
nicht – eine negative Stellungnahme abgegeben, die sich
aber im Verlauf der dort geführten Debatten deutlich
geändert hat.

Wer zum Beispiel gestern beim Jour fixe des Deutschen
Anwaltvereins hier in Berlin gewesen ist, der hat mitbe-
kommen, dass die Redner der dortigen Veranstaltung die-
sem Mietrecht sehr positiv gegenübergestanden haben.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Heute haben alle Münchner Abgeordneten, ob von
CSU, F.D.P., Grünen oder SPD – ob das auch für PDS-
Abgeordnete zutrifft, weiß ich nicht –, einen Brief be-
kommen, der einen Beschluss des Stadtrates der Stadt
München enthält, der die Münchner Abgeordneten mehr-
heitlich auffordert, dem neuen Mietrecht zuzustimmen,
weil es gut und richtig ist. Das sollten Sie sich vielleicht
einmal kurz überlegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nun noch ein letztes Wort zu den Wehklagen der Op-
position im Hinblick auf mangelnde Beteiligungsmög-
lichkeiten. Es ist ja so, dass wir Sie, Herr Funke, Herr
Pofalla, wie anständige Ziehkinder behandelt haben.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Es war keine Zeit!)


Wir haben Ihnen alle Informationen gegeben, wir haben
mit Ihnen diskutiert.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Das ist gar nicht wahr!)





Alfred Hartenbach
15684


(C)



(D)



(A)



(B)


– Sie wollten doch gleich am Anfang wieder schmollend
in die Ecke laufen, Herr Funke, wir mussten Sie mühsam
zurückhalten und an den Verhandlungstisch bringen.
Wenn Sie natürlich erwarten, dass wir all das, was wir in
mühsamen Besprechungen untereinander und mit den
Verbänden aufgebaut haben, insgesamt über Bord werfen,
dann ist das auch keine Beratung. Herr Funke, ich erwarte
von Berichterstattergesprächen, dass man aufeinander zu-
geht. Wenn mir gesagt wird: Wenn ihr das nicht wollt,
werden wir auf jeden Fall Nein sagen, wenn ihr nicht
wollt, werden wir auf keinen Fall zustimmen – so ist es
doch gewesen, Herr Funke –,


(Beifall des Abg. Dirk Manzewski [SPD])

dann hatten wir gar keine anderen Möglichkeiten.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, optimiert und
austariert ist das Gesetz nicht nur im Inhalt; optimiert und
austariert waren auch die Beratungen, und so sind auch
die Auswirkungen des Gesetzes. Glauben Sie doch bitte
nicht, dass die deutsche Bauwirtschaftwegen dieses Ge-
setzes nun Mangel leiden würde.


(Zustimmung der Abg. Iris Gleicke [SPD])

Sie alle haben in der letzten Zeit mannigfaltig Briefe der
Bauinnungen bekommen. Danach krankt es an etwas ganz
anderem.


(Iris Gleicke [SPD]: Ja!)

Dieses ganz andere – das kann ich hier nicht ausdiskutie-
ren – haben aber allein Sie aus Ihrer Regierungszeit seit
der deutschen Vereinigung zu verantworten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: Oje, oje!)


Dieses Überbleibsel macht der deutschen Bauwirtschaft
im Moment zu schaffen. Daran werden wir etwas ändern.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416103700
Herr Kollege,
jetzt muss ich Sie doch bitten, Ihre Rede zu beenden.


Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1416103800
Ich komme zum Ende,
verehrte Frau Präsidentin.

Ich bedanke mich, verehrte Frau Justizministerin, bei
Ihnen und Ihrem Haus sowie bei den Kolleginnen und
Kollegen von der Koalition aus allen beteiligten Aus-
schüssen sehr herzlich: bei Ihnen für die gute Unterstüt-
zung, bei den anderen für die gute Beratung. Bei Ihnen,
verehrte Frau Präsidentin, bedanke ich mich für die Ge-
duld, die Sie mit mir haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416103900
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf eines
Mietrechtsreformgesetzes der Bundesregierung auf Druck-

sache 14/4553. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/5663 die Annahme des Gesetzentwurfs in der Aus-
schussfassung. Dazu liegen je ein Änderungsantrag der
Fraktion der F.D.P. und der Fraktion der PDS vor, über die
wir zunächst abstimmen.

Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
F.D.P., Drucksache 14/5669? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt worden
mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen
der F.D.P., die zugestimmt hat.

Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS, Drucksache 14/5670? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt
worden mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die
Stimmen der PDS, die zugestimmt hat.

Wer stimmt nun für den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom-
men worden mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthal-
tung der PDS.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Die Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen verlangen namentliche Ab-
stimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle
Urnen besetzt? – Dann eröffne ich jetzt die Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat?


(Zuruf: Ja!)

– Jetzt aber schnell!


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Je länger die Abstimmung dauert, umso länger ist Herr Trittin im Amt!)


Ich schließe jetzt die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be-
ginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird
ihnen später bekannt gegeben.1)

Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort. Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, ich muss Sie bitten, ein bisschen
aufmerksam zu sein.

Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/5668 ab. Wer
stimmt zu? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der
F.D.P. gegen die Stimmen der CDU/CSU abgelehnt wor-
den.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entwurf
eines Mietrechtsvereinfachungsgesetzes der Fraktion der
F.D.P. auf Drucksache 14/3896. Der Rechtsausschuss
empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung




Alfred Hartenbach

15685


(C)



(D)



(A)



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auf Drucksache 14/5663, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-
tung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
PDS gegen die Stimmen der F.D.P. bei Enthaltung der
CDU/CSU abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer
Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 3 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Sofortige Entlassung des Bundesministers für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Jürgen Trittin
– Drucksache 14/5573 –


(Beifall bei der CDU/CSU)

Über diesen Antrag werden wir nachher namentlich ab-

stimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die

Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Friedrich Merz.

Friedrich Merz (CDU/CSU) (von der CDU/CSU mit
Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Das Verhalten von Herrn Trittin, aber
auch und insbesondere die Diskussion über ihn in der rot-
grünen Koalition bestätigen uns in unserer Auffassung:
Dieser Minister muss entlassen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Er hat sich nach langem Drängen und einigen Tagen für

die persönlich herabsetzenden Beleidigungen beim Gene-
ralsekretär der CDU Deutschlands entschuldigt. Um die-
sen Teil seiner Äußerungen geht es heute auch gar nicht
mehr.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja hochinteressant!)


Heute geht es um die Frage: Welche Grundeinstellung
darf man – wir meinen: muss man – von einem Bundes-
minister seinem Land, dessen Geschichte, dessen Werten
und dessen Menschen gegenüber erwarten,


(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das wollen Sie entscheiden?)


einem Land, dem zu dienen wir alle verpflichtet sind und
dem zu dienen die Mitglieder der Bundesregierung in be-
sonderer Weise verpflichtet sind!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Frage, die sich dabei uns allen stellt, lautet: Dürfen

wir Deutsche über 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten
Weltkrieges und über zehn Jahre nach der Wiederherstel-
lung der staatlichen Einheit unseres Landes schlicht ein

wenig zufrieden sein? Dürfen wir auch stolz auf unser
Land sein?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Darf man dies hin und wieder sogar sagen?


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ist also das eingekehrt, was Roman Herzog schon vor Jah-
ren angemahnt hat, nämlich einen etwas unverkrampfte-
ren Umgang mit unserer Nation?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So unverkrampft sind Sie aber auch nicht!)


Ich habe mich heute Morgen sehr gefreut, zu lesen, dass
sich in dieser Diskussion, die wir Patriotismusdebatte
nennen, ein großer Mann, ein Schriftsteller, ein harter Kri-
tiker zu Wort gemeldet hat. Walter Jens hat heute in einem
Interview gesagt: „Ja, ich bin stolz auf dieses Land.“


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch etwas ganz anderes!)


Wenig später hat er hinzugefügt: „Wir wollen uns doch
bitte nicht diese Begriffe von den Gegnern der Demokra-
tie wegnehmen lassen.“ Er hat Recht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn das richtig ist, fragen wir uns: Was geht eigent-

lich im Kopf eines Mannes vor, der geradezu reflexartig
abwehrend reagiert, wenn irgendwo und irgendwann die
Wörter „deutsch“ oder „Deutschland“ fallen?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Stimmt doch nicht! So ein Quatsch!)


Was geht eigentlich im Kopf eines Mannes vor, der
Gelöbnisfeiern der Bundeswehr in die Nähe des Natio-
nalsozialismus rückt?


(Zurufe von der CDU/CSU: Pfui!)

Wie kann man dann als Minister im Kabinett und als Ab-
geordneter hier im Parlament für den Einsatz im Kosovo
stimmen und von den Soldaten der Bundeswehr verlan-
gen, dass sie notfalls mit ihrem Leben für unser Land und
für den Auftrag eintreten, den wir ihnen hier im Parlament
gegeben haben? Das passt nicht zusammen, Herr Trittin!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

So, wie Sie sich verhalten, und so, wie Sie sich insbeson-
dere den Soldaten der Bundeswehr gegenüber äußern, ist
dies beschämend und eine Zumutung für die Soldaten und
für unser ganzes Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nun wende niemand ein, hier handele es sich sozusa-

gen um Ausrutscher, um verbale Entgleisungen.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wie bei Ihnen mit der Leitkultur!)





Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
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Jeder von uns steht täglich in der Gefahr, mit seinen Wor-
ten zu übertreiben,


(Gernot Erler [SPD]: Oder mit Plakaten!)

einmal einen falschen Begriff zu verwenden oder sich
falsch auszudrücken.


(Lachen bei der SPD – Dr. Peter Struck [SPD]: Da sind Sie Spezialist!)


Meine Damen und Herren, Herr Trittin hat im Jahre
1993 ein Buch mit dem Titel „Gefahr aus der Mitte“ ver-
öffentlicht.


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS])

Die zentrale Botschaft dieses Buches fasse ich in einem
Zitat wie folgt zusammen:

Das Ergebnis der ideologischen Offensive von
CDU/CSU und F.D.P. im Gefolge der deutschen Ei-
nigung ist unübersehbar: Rassismus ist zum Alltag


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Stimmt!)

und Wohlstandschauvinismus zum beherrschenden
Ideologem geworden.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Stimmt!)

Die Bundesrepublik rutscht nach rechts.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Stimmt!)

Diese Rechtsverschiebung ist nicht von verwirrten
Glatzköpfen und reaktionären Greisen am rechten
Rand der Gesellschaft bewirkt worden. Sie ist im
Zentrum der politischen Klasse entwickelt und um-
gesetzt worden.

(Zurufe von der CDU/CSU und F.D.P.: Pfui!)


Welche Geisteshaltung kommt eigentlich in solchen
Aussagen zum Ausdruck? Ich sage es noch einmal: Das
sind keine Ausrutscher oder einmaligen Entgleisungen.
Es sind regelmäßig wiederkehrende Wortmeldungen, die
einem zutiefst verwurzelten Freund-Feind-Denken ent-
sprechen.

Damit das an dieser Stelle auch klar wird: In der De-
mokratie muss es Gegnerschaft geben, auch harte Aus-
einandersetzungen um wichtige Fragen in der Sache. Aber
die Auseinandersetzungen, die wir hier im Parlament
miteinander austragen, dürfen nie zur Feindschaft wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Peter Struck [SPD]: Das müssen Sie gerade sagen! – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was machen Sie denn mit dem Außenminister? – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die Brandstifter rufen nach der Feuerwehr!)


Ich sage noch einmal, auch auf die Zwischenrufe der SPD:
Wir müssen harte Auseinandersetzungen in der Sache
miteinander austragen. Aber in diesen Wortmeldungen
kommt Feindschaft zum Ausdruck.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer bewertet denn das?)


Wir werden es deshalb auch nicht zulassen, dass der Ver-
such unternommen wird, aus der so genannten Studen-
tenrevolte der Jahre 1968 und 1969 jetzt im Abstand von
mehr als 30 Jahren verklärend und schwärmerisch eine
große Freiheitsbewegung zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So unverkrampft sind Sie auch nicht!)


Die politischen Anführer aus dem SDS

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Ich war auch mal im SDS, was wollen Sie mir anhängen?)

und den kommunistischen Gruppen an den Universitäten
vertraten einen höchst autoritären politischen Anspruch in
eigener Sache, eben jenen totalitären Absolutheitsan-
spruch, der den Zusammenhalt in der Demokratie zer-
stört.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wer noch im Jahre 1993 so schreibt, wer 1998 so wie

zitiert über die Bundeswehr redet und wer im Jahr 2001
den Rechtsradikalismus in Deutschland instrumentali-
siert, ihn sich selbst zunutze macht im politischen Mei-
nungsstreit der Demokraten, der ist nicht nur eine Ge-
fährdung und nicht nur ein Risiko für Rot-Grün, wie der
Bundeskanzler gesagt hat, der ist ein Risiko für das ganze
Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die große Mehrheit der Deutschen identifiziert sich

mit ihrer Stadt, mit ihrer Region,

(Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist doch in Ordnung, das tun wir auch! Herr Trittin auch!)


auch und besonders mit ihrem Land und zunehmend auch
mit Europa.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber jedenfalls nicht mit Ihnen!)


Heimat, Vaterland, Nation – das sind keine rechtsextre-
men Begriffe,


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat auch niemand gesagt!)


sondern sie beschreiben ein natürliches Selbstverständnis,
das in Deutschland gelebte Realität ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wer dies in der tagespolitischen Auseinandersetzung ver-
teufelt, der nimmt den Menschen ein Stück ihrer Identität
und der treibt sie aus der Mitte der Gesellschaft zu den ex-
tremen Rändern. Wer deshalb wirklich den Rechtsextre-
mismus bekämpfen will, der darf sich nicht von den de-
mokratischen Werten und von der eigenen Nation
distanzieren,


(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Der darf keine Kampfbegriffe benutzen!)


der darf sie nicht den Feinden der Demokratie überlassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)





Friedrich Merz

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Erst gemeinsame Identität und emotionale Bindung
schaffen die Bereitschaft, auch etwas für andere zu leis-
ten. Der Stolz auf das Gemeinsame führt zum Verantwor-
tungsgefühl, dieses Gemeinsame zu bewahren. Wir brau-
chen ein solches Engagement der Bürger, in der Zukunft
vermutlich mehr als je zuvor. Wie sollen wir denn Zu-
wanderung und Integration ausländischer Mitbürger er-
folgreich bewältigen,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jedenfalls nicht durch eine Unterschriftenaktion! Die Heuchler sind wieder unterwegs!)


wenn wir mit uns selbst nicht im Reinen sind? Wie können
wir die Erziehung zu Werten und Bürgertugenden stärken,
wenn die vorhandene Identität und das gewachsene Selbst-
verständnis grundlegend infrage gestellt werden?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Mit dem notwendigen und unverzichtbaren Einstehen
für die eigene Nation ist keine irgendwie geartete Abwer-
tung anderer Nationen und Völker verbunden. Im Gegen-
teil: Nur wer sich des Eigenen vergewissert und sich seiner
eigenen Entwicklung und Zugehörigkeit bewusst ist, kann
wirklich weltoffen sein und die Erfahrungen anderer schät-
zen und integrieren. Deshalb sagen wir: Patriotismus ist eine
positive Kraft für unsere Gesellschaft und für unseren Staat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Lassen Sie mich einen Blick auf unsere integrierende

Kraft zur politischen Mitte werfen. Wir werden in weni-
gen Wochen den 52. Geburtstag unseres Landes begehen.
36 Jahre davon haben CDU und CSU dieses Land erfolg-
reich regiert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Von Erfolg kann man wirklich nicht reden!)


Wir sind und wir bleiben auch in Zukunft die zur Mitte hin
integrierenden Volksparteien.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, ihr wolltet ein unverkrampftes Verhältnis zur Nation!)


Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass uns dies ge-
meinsam mit den Demokraten in Deutschland gelingen
kann, dann war es das Wahlergebnis am letzten Sonntag
in Baden-Württemberg und ist es die Tatsache, dass die
Republikaner aus dem Landtag verschwunden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das war aber eine Wählerwanderung, oder?)


So stehen wir zu unseren freiheitlichen und demokra-
tischen Werten. So stehen wir in Zukunft zu unseren
christlichen, sozialen, liberalen und konservativen Wur-
zeln. Wir stehen damit – anders als es Rot-Grün manch-
mal wohl gerne hätte – mitten in der Gesellschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sind dabei auch konservativ;


(Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr konservativ!)

denn Werte dauerhaft zu bewahren ist ein zentraler Bei-
trag zum Erhalt des inneren Zusammenhaltes in unserer
Demokratie. Erst dies schafft das notwendige Vertrauen in
Zeiten schnellen Wandels. Nur wer sich den Sinn für das
Bewährte und das Innovative zugleich bewahrt, kann die
großen Herausforderungen von Globalisierung, Biomedi-
zin, Generationengerechtigkeit, Wandel der Arbeitswelt
bis hin zur Bewahrung von Natur und Umwelt erfolgreich
meistern.

Wir waren als Deutsche einst die verspätete Nation.
Die deutsche Einheit in Frieden und Freiheit hat die lange
virulente nationale Frage beantwortet. Mehr als früher
können wir heute Herkunftsbewusstsein und Zukunfts-
bewusstsein verbinden. So können wir zur ruhigen Mitte
Europas werden und mit gefestigtem Selbstbewusstsein
weiter am Aufbau Europas mitarbeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Die Frage nach dem nationalen Selbstverständnis, nach
der eigenen Identität und nach den Werten, die unsere Ge-
sellschaft zusammenhalten, ist deshalb alles andere als
eine Frage der Vergangenheit. Wer zu dieser Haltung nicht
fähig ist, wer so hasserfüllt über Deutschland,


(Lachen bei der SPD)

über seine politischen Institutionen, über den parteipoliti-
schen Gegner und damit auch über die Menschen in un-
serem Land redet, der kann nicht gleichzeitig Mitglied der
Bundesregierung Deutschlands sein.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416104000
Bevor wir in der
Debatte fortfahren, komme ich auf Tagesordnungs-
punkt 3 zurück und gebe Ihnen das Ergebnis der na-
mentlichen Abstimmung über den Entwurf des Miet-
rechtsreformgesetzes bekannt: Es wurden 590 Stimmen
abgegeben, mit Ja haben 309 Abgeordnete und mit Nein
247 Abgeordnete gestimmt. Es gab 34 Enthaltungen. Der
Gesetzentwurf ist damit angenommen.




Friedrich Merz
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Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 590;
davon

ja: 309
nein: 247
enthalten: 34

Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold

Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg

Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht






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Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Peter Friedrich (Altenburg)

Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Jelena Hoffmann (Chemnitz)


(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Barbara Imhof
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Christa Lörcher
Erika Lotz
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Gudrun Roos
René Röspel
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)


(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz (Oldenburg)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk

Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Jochen Welt
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Hanna Wolf (München)


(Wolmirstedt)


Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Herbert Frankenhauser
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin






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(D)



(A)



(B)


Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth (Augsburg)

Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)


Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer

Monika Brudlewsky
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens (Emstek)


(Nordstrand)


Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(KarlsruheLand)



(Erlangen)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein


(Großhennersdorf )


Gerda Hasselfeldt

(Rednitzhembach)


Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Siegfried Hornung
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb

Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner

(Offenbach)


Dr. Manfred Lischewski

(Lüdenscheid)


Julius Louven
Dr. Michael Luther

(Recklinghausen)



(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Bernd Neumann (Bremen)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche

Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer

(Wiesbaden)


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Adolf Roth (Gießen)

Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Gerhard Schulz
Diethard Schütze (Berlin)

Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Wolfgang Steiger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Dr. Rita Süssmuth
Edeltraut Töpfer
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Dr. Theodor Waigel
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer (Neuss)

Matthias Wissmann
Werner Wittlich


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir setzen nun die Debatte fort. Das Wort hat der Frak-
tionsvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Peter
Struck.

Dr. Peter Struck (SPD) (von der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit Beifall begrüßt): Frau
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Der Bundesumweltminister hat in einem Live-Interview
eine spontane Äußerung getan, die nicht akzeptabel war.


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Er ist dafür öffentlich kritisiert worden, und zwar in der
Sache zu Recht. Auch wir haben ihn kritisiert und gesagt,
dass diese Äußerung nicht in Ordnung war. Jürgen Trittin
hat sich dann entschuldigt und die Äußerung zurück-
genommen. Das war richtig so.

Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der
Opposition, sollten das respektieren, zumal Frau Merkel
und Herr Meyer bis heute nicht die Kraft hatten, sich ge-
genüber dem Bundeskanzler für das „Verbrecherplakat“
zu entschuldigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Es geht der Union auch überhaupt nicht um die Äuße-
rung des Ministers, sondern in Wahrheit um eine Deu-
tungshoheit über Begriffe wie Nation, Staat, Geschichte,
Leitkultur, Vaterland. Die CDU/CSU will in diesen Fra-
gen einen Alleinvertretungsanspruch geltend machen.
Das ist anmaßend und das werden wir ihr nicht durchge-
hen lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Die Union glaubt, allein definieren zu können – mein Vor-
redner hat das gerade deutlich gemacht –, was gut und was
schlecht für unser Land ist, was richtig und was falsch ist.
Die Union grenzt aus, anstatt zu integrieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn Sie sich hier hinstellen und – wie in der letzten

Debatte – Willy Brandt scheinheilig als Kronzeuge ge-
gen die Sozialdemokratie missbrauchen, dann darf ich da-
ran erinnern, wie unverfroren und gehässig Ihre Vorgän-
ger, Herr Kollege Merz, mit Willy Brandt, ebenso wie mit
Herbert Wehner, umgegangen sind. Das dürfen Sie nicht
tun!


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dies war schon immer Ihre Strategie und es hat sich
in den 16 Jahren der Kanzlerschaft von Helmut Kohl




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

15691


(C)



(D)



(A)



(B)


Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz

(Augsburg)


Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher

Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting

(Frankfurt)


Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Marita Sehn

Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Guido Westerwelle

Enthalten
CDU/CSU
Johannes Singhammer
PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn

Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Ver-
sammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Behrendt, Wolfgang Hornhues, Dr. Karl-Heinz Schloten, Dieter Zierer, Benno

SPD CDU/CSU SPD CDU/CSU

verstärkt. Der große alte Herr der Politikwissenschaft,
Wilhelm Hennis, hat das treffend als die „Deformation der
politischen Kultur“ in diesem Land durch das System
Kohl bezeichnet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieses Schwarz-Weiss-Malen, dieses Freund-Feind-Den-
ken hat sich tief in Ihr Bewusstsein eingebrannt. Wie ver-
ächtlich hat Kohl über die, wie er sie nannte, „Sozen“ ge-
sprochen. Mehr als einmal hat er in diesem Hohen Haus
die SPD als verkommen beschimpft und ihr Verrat vorge-
worfen. Das ist eine Sprache, die sich selbst richtet – und
Sie setzen diese Sprache fort,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


und zwar nach dem Motto: Wer nicht mein Freund ist, ist
mein Feind.

Ausgerechnet dieser Mann – der Kollege Kohl –, der
sich unverändert über Recht und Gesetz hinwegsetzt und
die angeblichen Spender der Schwarzgeldmillionen der
CDU nicht nennt,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen und Widerspruch bei der CDU/CSU)


hat in der letzten Woche versucht, dem Bundespräsiden-
ten Vorschriften darüber zu machen, welches Verhältnis
dieser zu seinem Amt und zu diesem Staat haben soll. –
Eine Unverfrorenheit ohne Beispiel!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Unser Herr Bundespräsident braucht keine Belehrungen,
nicht von einem Gesetzesbrecher, nicht von Ihnen, Herr
Merz, und auch nicht von solchen Leuten wie Herrn
Goppel und Herrn Westerwelle. Herr Westerwelle, neh-
men Sie das Wort von dem „Parteipräsident“ zurück!
Damit täten Sie sich und unserer Demokratie einen Ge-
fallen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich wiederhole das, was ich schon in der letzten Woche
gesagt habe: Johannes Rau vorzuwerfen, er sei kein Pa-
triot, ist genauso absurd wie die Behauptung, der Papst sei
kein Katholik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Im Übrigen ist solchen Leuten wie Kohl, Merz, Goppel
und wie sie sonst noch alle heißen mögen entgangen, dass
das von ihnen kritisierte Zitat von Johannes Rau ein Zitat
war, das Johannes Rau von seinem Amtsvorgänger
Roman Herzog wörtlich übernommen hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Unser Staatsoberhaupt war immer außerhalb der poli-
tischen Auseinandersetzung.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Nein, diesmal nicht!)


Wir haben das immer respektiert. Sie, meine Damen und
Herren von der Opposition, verletzten diesen Grundsatz
in eklatanter und infamer Weise.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Arbeit, die Johannes Rau für dieses Land in fünf Jahr-
zehnten in den verschiedensten Ämtern und Funktionen
geleistet hat,


(Unruhe bei der CDU/CSU)

sowie seine Worte und Taten sind so eindeutig, dass es
sich verbietet, auf die Absurditäten aus der Union einzu-
gehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich aber etwas zu dem Geist sagen, der
hinter diesen Absurditäten steckt. Die Union betrachtet
den Staat als Beute.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Staatsämter sind für sie Parteiämter, die ihr wie selbst-
verständlich zustehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sobald andere, die nicht ihrer Partei angehören, Staats-
ämter innehaben, sind diese zur Kritik freigegeben. So ge-
hen Sie mit dem Bundespräsidenten um, so gehen Sie mit
dem Bundestagspräsidenten um. Das lassen wir Ihnen
nicht durchgehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Staatsämter werden im Gegensatz zu Ihren Vorstellungen
noch immer von den Wählern vergeben. Um deren Votum
geht es in einem fairen Wettbewerb der Konzepte. Genau
das ist Ihr Problem: Sie haben keine Konzepte als Alter-
native zu unserer Regierungspolitik und versuchen des-
halb, diesen Mangel durch lächerliche Schauveranstal-
tungen wie diese zu ersetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Mit der Art, wie Sie mit Staatsämtern umgehen, verun-
glimpfen Sie Personen. Das ist schon schlimm genug.
Aber noch viel schlimmer für das Gemeinwesen ist: Sie
schaden der Autorität der höchsten Staatsämter. Das ist
das genaue Gegenteil von Patriotismus.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Gegensatz zu Ihnen wollen wir keine Polarisierung,
wenn es um unser Land geht.


(Lachen bei der CDU/CSU)





Dr. Peter Struck
15692


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir wollen, wie Willy Brandt es einmal gesagt hat, ein
Volk von guten Nachbarn sein, im Innern wie nach außen,
– nicht eine zweigeteilte Gesellschaft: hier die ver-
meintlichen Patrioten mit dem Unbedenklichkeitssiegel,
ausgestellt von der Union und neuerdings auch von Herrn
Westerwelle, dort alle anderen. Das machen wir nicht mit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist „Krampf um Deutschland“, hat selbst die der
Union wohlgesonnene „Rheinische Post“ getitelt. Sie hat
völlig Recht.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sagen Sie doch einmal etwas Positives zu Trittin!)


Auf dem Fundament unseres Grundgesetzes und unse-
rer Rechtsordnung lassen wir jedem Bürger die Freiheit,
sein Verhältnis zu Heimat, Vaterland und Nation selbst zu
bestimmen. Wir sind nicht für Bevormundung in dieser
Frage oder gar für einen Gesinnungs- und Befindlich-
keits-TÜV.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sind für ein politisches Klima, das von Respekt vor
dem Andersdenkenden geprägt ist,


(Lachen bei der CDU/CSU)

Respekt vor jedem, der unsere freiheitlich-demokratische
Grundordnung akzeptiert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Damit werden wir den Erwartungen eines übergroßen
Teils unserer Bevölkerung gerecht. Das haben wir gese-
hen, als wir alle zusammen am 9. November in Berlin zu
einem Aufstand der Anständigen gegen Rechtsradikalis-
mus und Intoleranz aufgerufen haben.


(Zurufe von der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Dass Sie dagegen protestieren, dass Sie jetzt lachen, das
zeigt Ihre wahre Gesinnungshaltung, meine Damen und
Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Manfred Müller [Berlin] [PDS])


Das Echo war überwältigend: Nicht nur hier in Berlin,
sondern überall im Lande – in vielen Städten und Ge-
meinden – sind die Bürgerinnen und Bürger aufgestanden
und haben für ein tolerantes Deutschland demonstriert.
Dank der Initiativen der Kirchen, der Wirtschaft, der Ge-
werkschaften und vieler anderer gesellschaftlicher Grup-
pen hat sich das Bewusstsein verstärkt, dass Rechtsradi-
kalismus und dumpfe rechte Töne Deutschland im Innern
wie nach Außen schaden und uns keinesfalls nutzen. Im
Übrigen sehe ich darin den Grund, dass Rechtsradikale
bei den Landtagswahlen am letzten Sonntag keine Chance
hatten. Der Aufstand der Anständigen hat Früchte ge-
tragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Menschen haben verstanden, dass dem Land mit
dumpfen Sprüchen überhaupt nicht gedient ist.

Das Gleiche gilt – und Sie sollten sich sehr genau über-
lagen, was Sie so alles sagen – für Auseinandersetzungen
über Sprüche, die sich eine ganz bestimmte Klientel auf
die Arme tätowieren lässt. Überlegen Sie also, was Sie an-
richten!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hier im Parlament haben alle Fraktionen die Möglich-

keit, zu beweisen, wie ernst es ihnen mit der Bekämpfung
von Intoleranz ist. Gerade morgen könnte auch die Union
beweisen, wie ernst sie es mit der gemeinsamen Be-
kämpfung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlich-
keit, Antisemitismus und Gewalt meint.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber Sie sind ja aus dem gemeinsamen, interfraktionellen
Antrag ausgeschert. Sie machen bei der Beschlussfassung
gegen Rechtsextremismus ja nicht mit. Das ist bezeich-
nend.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ich will Ihnen noch Folgendes ganz deutlich sagen:
Wer wie die Union den Antrag auf Verbot der NPD nicht
mitträgt, hat nicht das Recht, uns den Vorwurf der man-
gelnden Bekämpfung von Rechtsextremen zu machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Nun möchte ich noch auf die Landtagswahl in Rhein-
land-Pfalz eingehen. Wie viele von Ihnen bin ich in die-
sem Land unterwegs gewesen. Wenn man sieht, wie CDU
und NPD Seite an Seite eine Kampagne gefahren haben,
dann muss man befürchten, dass die CDU die Gefahren
durch diese Nationalisten billigend in Kauf nimmt oder
zumindest unterschätzt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir unterschätzen diese Gefahren nicht. Wir wollen, dass
Deutschland ein tolerantes Land bleibt, in dem sich jeder
nach eigener Fasson wohl fühlen kann.


(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416104100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Guido Westerwelle.


(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Guido, si tacuisses!)



Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1416104200
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter
Herr Kollege Struck, Sie haben sich in weiten Teilen Ih-
rer Rede mit Äußerungen und Gegenäußerungen des




Dr. Peter Struck

15693


(C)



(D)



(A)



(B)


Herrn Bundespräsidenten befasst. Wenn Sie sich den An-
trag, den wir Freie Demokraten unterstützen, noch einmal
anschauen, dann werden Sie erkennen, dass nicht der
Bundespräsident kritisiert wird, sondern dass es um Herrn
Trittin geht. Herr Trittin soll entlassen werden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch nur das, was Sie öffentlich machen!)


Es ist kein Zufall, dass Sie hier regelmäßig die Kurve
kriegen. In Wahrheit haben Sie gar nicht die Absicht – das
ist nachvollziehbar –, sich vor Herrn Trittin zu stellen. Sie
sind in Ihrem Herzen über diese Äußerungen genauso ent-
setzt wie nahezu alle Kolleginnen und Kollegen hier. Es
gibt in Wahrheit sieben Gründe, warum Herr Trittin noch
im Amt ist: Das sind die sieben Minister, die vor ihm ge-
gangen sind.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Originalzitat einer Aussage von Herrn Müntefering in

einer großen deutschen Talkshow: „Der Trittin war be-
kloppt, als er das gesagt hat.“ Heute lesen wir im „Stern“
ein informatives Interview des Grünen-Sprechers Fritz
Kuhn. Frage: „Ist Trittin ein grüner Wählermagnet?“ Ant-
wort: „Er ist ein guter Umweltminister.“ Frage: „Die SPD
sagt: Er ist ein bekloppter Idiot.“ Antwort: „Das habe ich
in der Kombination noch nicht gehört.“


(Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Ich war mehrere Jahre Mitglied einer Koalitionsfrak-
tion. Ich sage Ihnen eines: Der einzige Grund, warum die
Sozialdemokraten Herrn Trittin nicht mit Freude aus dem
Kabinett verabschieden, ist, dass der grüne Koalitions-
partner sonst noch ein Stückchen mehr bröckelt und brö-
selt. Es sind allein Gründe der politischen Stabilität der
Koalition, die Sie dazu bewegen, an Herrn Trittin auf der
Regierungsbank festzuhalten. Aber Herr Trittin hat seine
Aufgabe so wahrgenommen, dass er auf diesem Minister-
sessel nicht bleiben darf. Er muss entlassen werden!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie erwecken den Eindruck, als handele es sich dabei

um eine einzige spontane Entgleisung. Das war es aber
nicht. Am Tag nach dieser Äußerung wurde diese Ent-
gleisung in einem Brief von Herrn Trittin an den Kollegen
Meyer – dieser Brief wurde unterzeichnet und abge-
schickt – schriftlich bestätigt. Der eigentliche Punkt ist
doch nicht, dass Herr Trittin kein Verhältnis zum Beneh-
men hat und dass er eine Verrohung der deutschen Politik
bewirkt. Das große Problem ist in Wahrheit das Denken,
das hinter diesen Äußerungen steht. Das ist es, was wir
Freie Demokraten kritisieren.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Selbstgerecht!)


Wenn der deutsche Bundeskanzler in diesem Zusam-
menhang – er kann heute verständlicherweise nicht hier
sein – wörtlich von einer „Menschenjagd“ spricht, dann
muss ich bei allem Respekt vor dem Herrn Bundeskanz-
ler sagen: Das ist eine weitere Entgleisung. Es ist das

Recht der Opposition, die Entlassung eines Ministers zu
beantragen, der aus unserer Sicht nicht mehr anständig ar-
beitet.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wer, wie Herr Trittin, ein Leben lang Bäume gefällt hat,
der kann nicht erwarten, dass man um ihn herum einen
Naturschutzpark anlegt.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)


Das wird nicht passieren.
Ich will mich etwas mit dem Geist auseinander setzen,

der hinter Herrn Trittins Äußerungen steht. Es gibt ei-
gentlich zwei, drei Gesichtspunkte, die mir wesentlich er-
scheinen.

Als Erstes möchte ich den Herrn Bundespräsidenten
Theodor Heuss – ein großer Liberaler und zweifelsohne
ein ganz großer Staatsmann unserer Republik – zitieren.
Er sagte in seiner Antrittsrede am 12. September 1949:

Wir stehen vor der großen Aufgabe, ein neues Natio-
nalgefühl zu bilden.

Eigentlich geht es bei dieser Debatte genau um diese
Frage. Ich habe bei dem Satz „Ich bin stolz, ein Deutscher
zu sein“ den Eindruck, dass manche weniger das Wort
„stolz“ als vielmehr das Wort „Deutscher“ stört.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU – Dr. Peter Struck [SPD]: Was soll das heißen? Erklären Sie das mal! – Annette Faße [SPD]: So ein dummes Zeug!)


Ich glaube, dass es ein Fehler ist, den Eindruck zu er-
wecken, man könne nur auf das stolz sein, was man sel-
ber geleistet habe; man dürfe nur auf das stolz sein, was
man selber gemacht habe. Genau diese semantische Ver-
wirrung wird kaum verstanden und kann auch nicht ver-
standen werden. Ich bin zum Beispiel stolz auf meine El-
tern, obwohl ich sie nicht gemacht habe.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)


Ich bin zum Beispiel stolz, wenn ein Sportverein, dem ich
angehöre, erfolgreich ist. Kann man denn nur als Mit-
spieler stolz sein oder darf man nicht auch als Fan stolz
sein?

Wenn man auf sein Elternhaus stolz ist, erhebt man sich
nicht über andere. Wenn man auf sein Land stolz ist, er-
hebt man sich auch nicht über andere Länder.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich bin unverändert der Auffassung: Wer den Men-

schen das Recht abspricht – das sage ich gerade als ein
überzeugter Europäer –,


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Ach!)

stolz auf das eigene Land zu sein, der entwurzelt sie.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Wer macht denn das?)


Ich glaube, es wäre ein riesengroßer Fehler, wenn man die
jungen Menschen, die 18-, 19- oder 22-Jährigen, die an




Dr. Guido Westerwelle
15694


(C)



(D)



(A)



(B)


diese Debatte viel unbefangener, natürlicher und unver-
krampfter herangehen, diesen rechtsradikalen Stichwort-
gebern überlassen würde. Nur weil Rechtsradikale die
Nationalhymne singen, werde ich nicht künftig darauf
verzichten.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wer will das denn?)


Ich glaube auch, dass das Wort vom Verfassungspa-
triotismus nicht ausreicht. Ich bin ein Verfassungspatriot
und ich glaube, dass der Verfassungspatriotismus ein sehr
gesunder Patriotismus ist.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Unmöglich!)


Aber er ist letzten Endes ein rationaler Patriotismus. Es
geht um das rationale Verhältnis zum Grundgesetz, aber
auch zu den Ideen, zu den Erfolgen und Institutionen un-
seres Landes. Aber ein rationaler Patriotismus reicht nicht
aus, wenn nicht auch persönliche Leidenschaft für das
Gemeinwesen und für seine Menschen hinzukommt.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Was sind das alles für Sprechblasen? Alles Floskeln! Hohles Gerede!)


Deswegen möchte ich mit daran arbeiten – vielleicht
mit Ihrer Hilfe – und an Sie appellieren, dass wir diesen
gesunden Patriotismus,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nationaler Patriotismus!)


ein Stück der nationalen Identität, eben nicht den falschen
Deutschen überlassen. Das ist unsere eigentliche Auf-
gabe.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich bin auch auf Dinge in unserem Lande stolz, an de-

nen ich selber wenig Anteil hatte. Ich bin zum Beispiel
stolz auf die Deutschen, die mit der Kerze in der Hand
Herrn Honecker das Fürchten gelehrt haben. Ich bin stolz
darauf, wenn beispielsweise in dieser Zeit deutsche Sol-
daten im Ausland Friedenseinsätze haben. Ich bin stolz
auf diese Deutschen und ich finde, man muss sich dafür
nicht entschuldigen oder genieren. Das ist der eigentliche
Generationenpunkt, die politische „correctness“, die aus
Ihren Worten spricht. Ihr habt heute nicht mehr die Mehr-
heit. Die Mehrheit der Deutschen lässt sich nicht mehr in
die rechte Ecke schieben, nur weil sie sagt: Ich bin stolz
auf unser Land und auf die eigene Nation.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die lassen sich auch keine Stolz-Debatte verordnen!)


Dies ist der große Widerspruch, ich glaube, auch der al-
ten politischen Linken. Sie meint nämlich, dass sich Stolz
auf das eigene Land und Weltoffenheit gegenseitig aus-
schließen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn! Sie müssen uns wirklich nicht interpretieren!)


Meine Gegenthese lautet: Dies ist genau das, was sich ge-
genseitig bedingt. Wer zu seinem eigenen Land keine

emotionale, herzliche Bindung empfindet, der wird mei-
ner Einschätzung nach in der Regel nicht in der Lage sein,
andere Nationen und Gesellschaften ausreichend zu res-
pektieren.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Deswegen sage ich Ihnen: Das Denken, das hinter den

Ausführungen von Herrn Trittin steht, hat sich überholt.
Es ist nicht mehr das Mehrheitsdenken. Jahrelang ist diese
Diskussion durch die politische „correctness“ erdrückt
worden. Das ist vorbei.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Gut, dass Sie nicht bestimmen, was die Mehrheit ist!)


Das ist das einzig Gute, das ich dieser Diskussion nach
diesen Äußerungen abgewinnen kann. Herr Trittin sollte
entlassen werden. Aber die Diskussion muss weitergehen,
und zwar ganz in dem Sinne, wie es Theodor Heuss ein-
mal angeregt hat.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber nicht mit Ihnen! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wenn Heuss Ihre Rede hören würde, würde er sich im Grabe umdrehen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416104300
Jetzt hat die
Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen, Kerstin Müller,
das Wort.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Auf zum Spagat!)


Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um
es gleich zu Anfang klar zu sagen: Natürlich war der Satz
von Jürgen Trittin, Kollege Meyer habe die Mentalität ei-
nes Skinheads, ein politischer Fehler. Ich sage dazu: Es
war auch kein guter politischer Stil. Es war deshalb rich-
tig und notwendig, dass sich Jürgen Trittin öffentlich und
auch persönlich bei Laurenz Meyer dafür entschuldigt
hat.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Mit langer Verzögerung! Nach Aufforderung durch den Bundeskanzler! Alleine hätte er es nicht getan!)


Diese Entschuldigung hat Laurenz Meyer im Übrigen
angenommen. Er hat heute Morgen ausdrücklich betont,
die Angelegenheit sei damit für ihn persönlich erledigt.
Auch Sie haben das heute erklärt, Herr Merz. Dass Sie
aber trotzdem seit Wochen im Wahlkampf mit Interviews,
Plakataktionen und Unterschriftensammlungen eine – ich
sage es noch einmal – regelrechte Menschenjagd veran-
stalten,


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

wie es der Bundeskanzler zu Recht beklagt hat,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Dr. Guido Westerwelle

15695


(C)



(D)



(A)



(B)


zeigt mir, dass es mit Ihrer Sorge um die demokratische
und politische Kultur in unserem Lande offensichtlich
nicht weit her ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich bedauere auch deshalb sehr, dass Jürgen Trittin
diesen Vorwurf gegen Ihren Generalsekretär erhoben
hat, weil er einfach falsch ist. Herr Meyer ist kein
Skinhead und er hat auch nicht die Mentalität eines
Skinheads.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Jetzt machen Sie bitte kein Koalitionsangebot!)


Was Ihr Generalsekretär und was Sie, meine Damen
und Herren von der Union, tun, ist natürlich nicht rechts-
radikal. Aber es ist dennoch hochgefährlich. Darüber
müssen wir reden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


– Sie wollen doch über Jürgen Trittin und über seine
Äußerung reden. Das werden wir heute tun.

Glauben Sie etwa, es ist ein Zufall, dass die Republi-
kaner im Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen die Kinder-
statt-Inder-Parole von Jürgen Rüttgers plakatiert haben?
Überrascht es Sie, dass die Republikaner in Baden-Würt-
temberg ihren Wahlkampf mit dem von Ihnen in die Dis-
kussion gebrachten Begriff von der deutschen Leitkultur
geführt haben?


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

– Doch, ich kann Ihnen das Plakat zeigen. Darüber sollten
sie einmal nachdenken. – Stört es Sie nicht, dass sich die
NPD in Rheinland-Pfalz mit ihren Deutsch-Stolz-Auf-
klebern an Ihrer Unterschriftenkampagne gegen Jürgen
Trittin beteiligt hat?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie haben sich heute davon nicht distanziert, Herr
Merz. Sie müssten wenigstens einmal darüber nachden-
ken. Fakt ist – das lässt sich nun einmal nicht von der
Hand weisen –: Sie liefern mit solchen Kampagnen den
Rechten immer wieder die Stichworte für ihren Wahl-
kampf. Das finde ich unverantwortlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Sie tun das – ich meine es wirklich sehr ernst – in einer
Situation, in der wir tagtäglich mit rassistischer Gewalt in
Deutschland konfrontiert sind; denn auch im letzten Jahr
ist die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten leider
noch einmal um 60 Prozent gestiegen. Morgen werden
wir in diesem Hause darüber debattieren, wie wir alle ge-
meinsam diese Entwicklung erfolgreich stoppen können.
Ich frage Sie: Glauben Sie denn ernsthaft, man könne die
Rechtsradikalen bekämpfen, indem man mit ihren Paro-

len Politik macht und ihre Parolen übernimmt? Das kön-
nen Sie doch nicht ernsthaft glauben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Das gilt im Übrigen auch für Ihre verquaste National-
stolzdebatte.Wie Herr Merz angekündigt hat, soll dieses
Thema Gegenstand der Debatte sein. Was heißt denn der
Satz, der wohl, wenn es nach Ihnen ginge, in die Eidesfor-
mel von Bundespräsident und Regierungsmitgliedern auf-
genommen werden soll? Was bedeutet denn der Satz „Ich
bin stolz, ein Deutscher zu sein“? Genau das hat Herr
Meyer gesagt. Kann man stolz sein auf die Tatsache, hier
zufällig als Kind deutscher Eltern geboren worden zu
sein?


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Diese Diskussion ist interessant. Dieses „völkische

Wir“, wie es Josef Joffe in dieser Woche in der „Zeit“ ge-
nannt hat, grenzt aus:


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


alles andere, alles Fremde und die Menschen, die ohne
deutschen Pass in unserem Land leben, die aber dieses
Land und diese Gesellschaft mittragen und mitgestalten.
Deshalb hat Bundespräsident Johannes Rau Recht, wenn
er sagt – darin liegt der Unterschied, Herr Merz; das ha-
ben Sie heute wieder durcheinander gebracht –: Stolz
kann man nur auf die eigene Leistung beziehen, auf das,
was hier geschaffen worden ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/ CSU)


Wenn Herr Goppel von der CSU diese, wie ich finde,
bedächtige Mahnung des Bundespräsidenten zum Anlass
nimmt, sogar die Eignung von Johannes Rau als Bundes-
präsident infrage zu stellen, dann möchte ich Sie von der
Union fragen: Wollen Sie demnächst einen nationalen Ge-
sinnungs-TÜV einführen? Wollen Sie Roman Herzog, der
schon vor vielen Jahren genau das Gleiche gesagt hat,
jetzt noch nachträglich die Eignung als Bundespräsident
absprechen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Auch Sie, Herr Westerwelle, von den so genannten Li-
beralen, springen jetzt auf diesen national-konservativen
Zug auf.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Peinlich, peinlich, Herr Westerwelle! Dünnbrettbohrer! Unglaublich!)


Als Gipfel habe ich es empfunden, dass Sie von Ver-
klemmtheit schwafeln,


(Dr. Peter Struck [SPD]: Schnösel!)

nachdem der Bundespräsident solch bedächtige Mahnun-
gen ausgesprochen hat. Herr Kollege, ich bin davon über-




Kerstin Müller (Köln)

15696


(C)



(D)



(A)



(B)


zeugt – das meine ich sehr ernst, weil es mich politisch ge-
prägt hat –, dass man vor dem Hintergrund unserer Ge-
schichte bei Sprüchen, die an den Nationalstolz der Deut-
schen appellieren, bedächtig und vorsichtig sein muss.
Wer dies abstreitet, handelt meiner Meinung nach ge-
schichtslos.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


All denen, die mit der deutschen Geschichte unbefan-
gen – so war auch heute wieder Ihre Formulierung – und
mit dem Begriff der deutschen Nation unverkrampft um-
gehen wollen, kann ich nur sagen: Ja, es ist nun einmal so:
Wir als Deutsche können und sollten angesichts unserer
Vergangenheit nicht einfach so über unseren National-
stolz schwadronieren.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wer Unbefangenheit fordert, meint eigentlich die Ent-
sorgung der Geschichte und: Lasst uns über die Vergan-
genheit nicht mehr reden! Das, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wird sich in Deutschland hoffentlich nicht
durchsetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Nun komme ich zu Herrn Glos, der heute leider nicht
anwesend ist. Er hat in der letzten Woche während der De-
batte Willy Brandt als Kronzeugen dafür, dass man stolz
sein darf, Deutscher zu sein, bemüht.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Dann haben Sie bei Glos nicht richtig zugehört!)


Willy Brandt hat aber etwas völlig anderes gesagt. Er hat
1972 gesagt: „Wir können stolz sein auf unser Land.“


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Frau Müller, Sie müssen bei Glos besser zuhören!)


Er hat damit den Stolz auf die Ostverträge, die den Weg
zum Frieden mit den osteuropäischen Ländern geebnet
haben, und den Grundlagenvertrag mit der DDR, der zu
einem Grundstein der Wiedervereinigung geworden ist,
gemeint. Das entsprechende Plakat hat Herr Glos hier
hochgehalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Nein!)


Dass nun ausgerechnet Sie die Leistungen der damaligen
Regierung für sich instrumentalisieren, ist wirklich das
Allerletzte;


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

denn damals haben Sie in ähnlichen Debatten mit dem
Vorwurf des Vaterlandsverräters und dem schlimmen
Spruch von der fünften Kolonne Moskaus versucht, Willy
Brandt und seine Regierung zu denunzieren. Das ist
ungeheuerlich!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS – Widerspruch des Abg. Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU] – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie sollten Valium nehmen! – Gegenruf des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Halten Sie jetzt einmal die Klappe! – Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Unverschämtheit!)


Sie sollten sich da besser zurückhalten. Willy Brandt
konnte auf diese Leistung wirklich stolz sein.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der CDU/CSU)


– Jetzt hören Sie mal zu! Sonst haben Sie gleich den Un-
terschied zwischen den beiden Dingen immer noch nicht
verstanden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich sage hier sehr klar: Ich habe kein Problem, auf un-
ser Land stolz zu sein.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie sind nur aufgeregt!)


Wir können heute auf vieles stolz sein, zum Beispiel da-
rauf, dass wir beim Staatsbürgerschaftsrecht das Recht
auf Einbürgerung insbesondere für alle, die hier geboren
werden, gleich welcher Abstammung, neben das völki-
sche Prinzip gestellt haben. Diese Regierung signalisiert
damit allen Menschen in dieser Gesellschaft, dass sie da-
zugehören. Sie von der Union haben sich bis zuletzt mit
Zähnen und Klauen gegen den Abschied vom Blutsrecht
gewehrt. Ich erinnere nur an die unselige Unterschriften-
kampagne Ihres Kollegen Koch in Hessen. Darum geht es
in der Patriotismusdebatte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ja, wir sind stolz auf dieses Land. Ich bin zum Beispiel
stolz, wenn engagierte Menschen aus Initiativen und Kir-
chen Zivilcourage zeigen und Flüchtlinge vor rechtsradi-
kaler Gewalt schützen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der PDS: Castortransporte blockieren!)


Wir können – auch das gehört dazu – nicht stolz darauf
sein, dass immer noch tagtäglich Flüchtlinge und Ob-
dachlose im Namen des Deutschtums gejagt, verletzt oder
auch getötet werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich sage ganz persönlich noch etwas dazu – auch das
gehört in diese Debatte –: Ich schäme mich, wenn Syna-
gogen von Rechtsradikalen in Brand gesetzt werden. Ich
glaube, nur wer in der Lage ist, sich für schlimme Fehl-
entwicklungen in dieser Gesellschaft zu schämen,




Kerstin Müller (Köln)


15697


(C)



(D)



(A)



(B)


der kann auch ehrlich stolz auf die Leistungen unseres
Landes und seiner Bürger sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Wir sind stolz darauf, dass mündige Bürgerinnen und
Bürger von ihrem Recht Gebrauch machen, für ihre Mei-
nung auf die Straße zu gehen, dass Schwule und Lesben
heute in Köln, Berlin und Hamburg öffentlich ihre Para-
den feiern können. Das war vor einigen Jahren nicht mög-
lich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir sind heute ein demokratisches, ein weltoffenes Land.

Im Übrigen: Ich bin stolz darauf, dass die 68er-Gene-
ration und damit zum Beispiel auch Joschka Fischer,


(Lachen bei der CDU/CSU)

den Sie und die Sie so fanatisch bekämpfen, viel dazu bei-
getragen haben, dass dieses Land so liberal und weltoffen
geworden ist, wie es heute ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS – Widerspruch bei der CDU/CSU)


– Die 68er-Debatte ist wirklich Ihr Thema, nicht wahr?
Es geht um die Leistungen, um die Errungenschaften.

Wir sind natürlich stolz auf die umweltpolitischen Leis-
tungen, die wir gemeinsam mit dem Umweltminister in
dieser Regierung erreicht haben, darauf, dass wir endlich
eine neue Energiepolitik angepackt haben, dass wir end-
lich konkrete Maßnahmen für den Klimaschutz umsetzen,
damit wir das, was Sie, Frau Merkel, als Umweltminis-
terin in Rio und Kioto versprochen haben, tatsächlich er-
reichen können. Darauf sind wir stolz


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Theodor Waigel [CDU/ CSU]: Das Bündnis für Arbeit haben Sie vergessen!)


und auf unsere Freundinnen und Freunde aus der Bür-
gerbewegung der DDR. Sie können wahrhaft stolz sein,
dass sie und niemand sonst mit ihrer friedlichen Revolu-
tion die Diktatur überwunden haben.

Wir sind auch stolz darauf, dass von Deutschland heute
keine Bedrohung mehr gegenüber unseren Nachbarn aus-
geht, dass die deutsche Außenpolitik Friedenspolitik ist,


(Zuruf von der PDS: Das glauben Sie doch selbst nicht!)


dass wir vor der historischen friedlichen Vereinigung
Europas stehen. Das konnte nur mit einer Kultur der
Zurückhaltung, der Mäßigung und des Maßhaltens er-
reicht werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mit Ihrem Brachialpatriotismus

(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Was? Jetzt hören Sie aber auf!)


wäre weder die Entspannungspolitik der 70er-Jahre
noch der europäische Einigungsprozess möglich gewesen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren von der Union, Ihr Kollege
Heiner Geißler hält Ihnen heute in einem Interview in der
„Zeit“ Folgendes vor:

Müssen jetzt die CDU-Leute schon sagen: „Ich bin
stolz, ein Deutscher zu sein?“ – Werden sie sonst zu
Apostaten? ... Christ sein, Demokrat sein ist für un-
sere Identität wichtiger als nationale Selbstbefriedi-
gung.

Vielleicht sollten Sie sich dieses Zitat einmal zu Herzen
nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Lassen Sie uns – damit komme ich zum Schluss – die
Debatte über unser Land führen, darüber, wie wir es ge-
stalten wollen, wie wir es liberaler und gerechter machen
können, wie wir zukünftigen Generationen eine intakte
Umwelt hinterlassen können, und lassen Sie uns diese
unsägliche Debatte um den Deutschstolz beenden! Denn
sie führt nicht weiter, sie führt in die Sackgasse. Wir brau-
chen keine Ersatzdebatten, wir brauchen konstruktive
Diskussionen über die Zukunft dieses Landes. Denen
werden wir uns auch wieder zuwenden, und zwar nach-
dem wir Ihren unsäglichen Antrag hier abgelehnt haben.


(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Beifall bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416104400
Das Wort hat
jetzt der Herr Kollege Claus.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1416104500
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Die Union hat hier mit er-
staunlicher Klarheit gesagt, worum es ihr wirklich geht.
Deshalb verdient sie auch, zu ihrem Antrag zunächst mit
aller Klarheit gesagt zu bekommen: Dieses Ansinnen leh-
nen wir ab. Zu diesem Antrag sagt die sozialistische Op-
position im Bundestag ein klares Nein.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sagen dieses Nein, weil wir uns dem Versuch wider-
setzen, das politische Koordinatensystem der Republik
nach rechts zu verschieben. Darum geht es Ihnen doch in
Wirklichkeit.


(Beifall bei der PDS)

Den Kampf um die Mitte haben Sie offenbar aufgegeben
und nun versuchen Sie es auf diesem Wege.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)

Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Heimatliebe ist

kein Pachtgut der CDU.

(Beifall bei der PDS sowie der Abg. Uta Titze Stecher [SPD])





Kerstin Müller (Köln)

15698


(C)



(D)



(A)



(B)


Falls Sie auch noch auf diesen Antrag stolz sein sollten,
sollten Sie wissen, dass dabei eines deutlich wird: Allzu
viel Stolz setzt offenbar Verstand und politische Kultur
gleichermaßen außer Kraft. Das ist hier geschehen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Damit ist natürlich nicht gemeint, dass wir mit dem
Vergleich von Minister Trittin einverstanden wären. Er
hat sich die Kritik redlich verdient und wir haben sie ihm
auch mitgeteilt. Er ist hier, so meinen wir, in eine Falle des
kalten Krieges getappt.


(Lachen bei der CDU/CSU)

– Ja, die Fallen des kalten Krieges stehen in diesem Lande
offenbar immer noch herum.

Er hat damit der Union einen lange erwarteten Anlass
geliefert. Er hat ihre Logik bedient, die lautet: Bestätige
uns das Bild, das wir von dir haben, aber es muss bitte
schön ein Feindbild sein.


(Beifall bei der PDS)

Damit hat Jürgen Trittin eigentlich seine Verbündeten

mehr als seine politischen Gegner getroffen; er weiß das
auch. Zwar war es sehr nötig, sich bei Laurenz Meyer zu
entschuldigen, aber noch nötiger wäre es eigentlich, sich
bei seinen politischen Mitstreiterinnen und Mitstreitern
zu entschuldigen.


(Beifall bei der PDS)

Die Botschaft der Union lautet: Wir bleiben im kalten

Krieg, notfalls mit den Parolen des Rechtsextremismus.

(Beifall bei der PDS – Widerspruch bei der CDU/CSU)

Daran gibt es doch überhaupt keinen Zweifel mehr: Wenn
es eine Erkennungsmelodie der Rechtsradikalen in diesem
Lande gibt, dann ist es der Ausspruch „Ich bin stolz, ein
Deutscher zu sein“. Da liegt auch der Kern des Problems.


(Beifall bei der PDS)

Herr Kollege Westerwelle, Sie haben es sich einfach zu

leicht gemacht, als Sie sagten, uns unterscheide das Ver-
hältnis zum Land, zur Heimat.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Er weiß es nicht besser!)


Es ist zwar ein scheinbar kleiner, aber doch ein wesentli-
cher Unterschied, ob man seine Verbundenheit zu einem
Land formuliert oder aber sie an der mehr oder weniger
zufälligen – auch noch männlichen – Mitgliedschaft zu ei-
ner bestimmten Nation festmacht.

Wir stellen fest: Erst hat die CDU die Parole der
Rechtsextremisten übernommen und nun soll diese Mo-
ralauffassung auch noch dem Bundestag übergestülpt
werden. Zu einer solchen Art Patriotentest oder Gesin-
nungs-TÜV sagen wir ausdrücklich Nein. Das ist mit uns
nicht zu machen.


(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Herr Kollege Glos hat gesagt, Trittin habe der CDU indi-
rekt Stimmen von den Reps besorgt. Das mag richtig sein.
Aber wenn das stimmt, dann stimmt auch, dass Herr Laurenz
Meyer dasselbe getan hat, aber nicht indirekt, sondern direkt.


(Beifall bei der PDS)

Das alles sind, wie Sie wissen, keine Betriebsunfälle im
Adenauer-Haus. Ist es auch Meyer, so hat es doch Methode.

Eigentlich ginge es darum, gemeinsame Anstrengun-
gen um die Wiedergewinnung von Menschen für die De-
mokratie zu unternehmen. Das aber tun Sie genau nicht.
Sie fischen hier im Trüben, im demokratieabgewandten
Spektrum der Gesellschaft.


(Beifall bei der PDS)

Wenn Herr Glos dann auch noch sagen zu müssen

meint, Herr Trittin sei eine Schande für unser Land, dann
lenkt er von alledem ab, was wirklich eine Schande für
unser Land ist:


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Neonazis, Antisemitismus, die zu späte, noch immer
blockierte Zwangsarbeiterentschädigung. Davon lenken
Sie ab, indem Sie uns auf Stolz verpflichten wollen. Das
Verhältnis zu Deutschland auf Stolz zu reduzieren hieße,
Scham und Sühne auszublenden. Mein Deutschlandbild
ist dies nicht.

Dass Sie in Ihrem Zorn – darüber ist schon gesprochen
worden – selbst vor dem Bundespräsidenten nicht Halt
machen, zeigt doch nur, was wirklich in Ihnen vorgeht.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Deswegen sagen wir Ihnen noch einmal: Es geht hier
nicht um Jürgen Trittin, es geht um die demokratische
Grundsubstanz dieser Republik.


(Beifall bei der PDS)

Allerdings stellen wir auch eines fest. Wir haben schon

den Eindruck, dass der Koalitionspartner SPD gegenwär-
tig den Bundesumweltminister mehr, energischer und
stärker schützt als die eigene Fraktion der Grünen. Nach
meinem Eindruck offenbart sich dies hier.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Der Eindruck ist natürlich falsch!)


Ich stelle mir die Frage, woher das kommen kann. Ich
sage mir dann: Wenn jemand bei den Grünen wirklich
über Schwarz-Grün nachdenken sollte, dann wäre Trittin
natürlich ein rotes Tuch, wie immer das bei Ihnen inter-
pretiert wird.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat darüber nachgedacht!)


Die Union handelt mit diesem Antrag natürlich auch in
eigener Sache. Die Union braucht ihr Feindbild und fragt
sich: Wie können wir uns das Feindbild Trittin dauerhaft
erhalten? – Wir können es am besten erhalten, indem wir
seine Entlassung fordern. – Deshalb haben Sie hier diesen
Antrag gestellt.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie flirten doch jede Woche mit Koch!)





Roland Claus

15699


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich hoffe, dass bei Ihnen auch ein bisschen Unbehagen
darüber einsetzt, dass Sie solche Anträge stellen und sol-
che Debatten hier eröffnen. Wir sagen dazu ein klares
Nein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416104600
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt dem Kollegen Heiner Geißler das
Wort.


Dr. Heiner Geißler (CDU):
Rede ID: ID1416104700
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Müller,
Sie haben mich korrekt zitiert; aber Sie können mich mit
dem, was ich gesagt habe, nicht zur Verteidigung von
Jürgen Trittin in Anspruch nehmen. Das können Sie nicht
tun.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rudolf Bindig [SPD]: Das hat sie auch gar nicht!)


Ich bin in der Tat der Auffassung, dass es für mich
wichtig ist, Deutscher zu sein, aber ich versuche, Christ zu
sein, und ich will Demokrat sein. Die beiden letzteren
Identitäten – das sage ich auch ganz klar – sind für mich
wichtiger.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dies entspricht dem Menschenbild, das wir haben, näm-
lich dem christlichen Menschenbild, das die Würde des
Menschen von der Zugehörigkeit zu irgendeiner Katego-
rie des Menschen unabhängig macht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber dieses Menschenbild hindert mich nicht, meine
Heimat und mein Vaterland zu schätzen und zu lieben.
Das ist doch ganz selbstverständlich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)


Damit uns die Prioritäten klar sind: Das Nationale ist
in der Tat kein Grundwert. Das Nationale kann sich mit je-
der Ideologie verbünden.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Erklären Sie das Herrn Merz! Der versteht das nicht!)


Die Nationalsozialisten haben sich des Nationalen
bemächtigt, sogar die Kommunisten haben sich dessen
bemächtigt. Das Nationale bekommt dann einen Sinn – so
verstehen dies im Übrigen die Franzosen –, wenn es sich
mit wirklichen Grundwerten verbindet, nämlich mit der
Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit. Dann be-
kommt das Nationale den Rang, der ihm in einer freiheit-
lichen Demokratie zukommt.

Deswegen, Jürgen Trittin, war das, was Sie gesagt ha-
ben, intellektuell unzulänglich und auch moralisch nicht
verantwortbar; denn ich kann – wenn das, was ich gesagt

habe, wahr ist – unmöglich einen Menschen wie Laurenz
Meyer, der anerkannter, überzeugter Demokrat ist und der
in seiner Weise zum Ausdruck gebracht hat, was er von
Deutschland hält, mit rassistischen Schlägern, die andere
Menschen verletzen oder töten, in einen Topf werfen. Das
dürfen Sie nicht tun!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Deswegen – dazu hätte er etwas sagen sollen – können
wir auf der Basis, wie hier von ihm argumentiert worden
ist, diese Debatte um Patriotismus wirklich nicht weiter-
führen. Wir brauchen die richtige Rangordnung. Das
Erste ist die Menschenwürde und sind die wirklichen
Grundwerte. Das Nationale kommt hinzu. Nur so gewin-
nen wir die moralische Kraft, für unser Land einzutreten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS – Zuruf von der SPD: Peinlich für Herrn Merz!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416104800
Das Wort hat der Bun-
desminister für Wirtschaft und Technologie, Dr. Werner
Müller.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Der ist jetzt dienstverpflichtet!)


Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Ich habe um das Wort gebeten, nicht etwa, weil
ich die verbale Entgleisung von Herrn Bundesminister
Trittin gegenüber Herrn Meyer in einem spontanen Ra-
diointerview hier entschuldigen möchte, sondern weil
mich der Antrag der Opposition auf Entlassung stört.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Denn dieser Antrag ist kein Beleg einer sachlich überzeu-
genden Arbeit der Opposition, sondern leider vielmehr
Beleg einer sehr bemerkenswerten Selbstgerechtigkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Welche Selbstgerechtigkeit ist hier deutlich zu erken-
nen? Erstens die Selbstgerechtigkeit, anzunehmen, man
mache seitens der Opposition eine wesentlich bessere
Umweltpolitik, als dies die Bundesregierung mit Herrn
Bundesminister Trittin tue. Zweitens und vor allem ist es
doch höchst selbstgerecht, wenn man meint, Herrn Bun-
desminister Trittin sei hier eine verbale Entgleisung pas-
siert, die in den Reihen der Opposition niemals passieren
würde.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich will es den Bürgerinnen und Bürgern überlassen, zu
entscheiden, was inhaltlich eine schlimmere Entgleisung
war: die Äußerungen gegenüber Generalsekretär Meyer




Roland Claus
15700


(C)



(D)



(A)



(B)


oder die plakative Darstellung des Herrn Bundeskanzlers
als Verbrecher bzw. auf Verbrecherfotos.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Eine Entgleisung ist meines Erachtens beides. Aber die
Entgleisung von Herrn Bundesminister Trittin war die
spontane Entgleisung eines Einzelnen, und die Verbre-
cherfotos des Bundeskanzlers waren nicht spontane Fehl-
leistungen eines Einzelnen, sondern eine kollektiv ge-
plante Diffamierung des Bundeskanzlers.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Wenn Sie hier diskutieren wollen, welche Gesinnung hin-
ter dieser spontanen Entgleisung von Herrn Trittin stand,
müssen wir auch über die Gesinnung reden, die dahinter
steht, wenn kollektive Entgleisungen geplant werden.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ich teile vollkommen die Auffassung, dass die erste
Entschuldigung von Herrn Bundesminister Trittin nicht in
Ordnung war. Man kann nicht einfach sagen: Ich habe das
gesagt, und wenn das jemand als Beleidigung empfindet,
dann habe ich das nicht gewollt. – Hier war schon eine an-
dere Entschuldigung notwendig; da hat die Opposition
Recht. Aber die Opposition sollte auch bedenken, dass sie
über diese völlig inadäquate Entschuldigung in Sachen
Verbrecherfotos noch nicht hinausgekommen ist.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Inzwischen – das finde ich in Ordnung und beachtens-
wert – hat Herr Meyer erklärt, Herr Trittin habe sich in
aller Form entschuldigt, er akzeptiere die Entschuldigung,
die Sache sei für ihn erledigt.

Aber ich möchte zu meinem Gedanken zurückkom-
men. Ich sprach davon, dass die Aktion mit den Verbre-
cherfotos eine kollektiv geplante Tat zur Diffamierung ei-
ner einzelnen Person, der des Bundeskanzlers, war. Ich
habe in der letzten Zeit auch die Diffamierung eines ge-
samten Kollektivs, nämlich des Bundeskabinetts, durch
einen Einzelnen beobachtet. Der Generalsekretär der
Union, Herr Meyer – er wurde hier schon öfters erwähnt –,
hat kürzlich in einer öffentlichen Rede erklärt, dass das
Bundeskabinett Rotlichterfahrung brauche, um arbeits-
fähig zu sein.


(Zurufe von der SPD: Unglaublich! – Unanständig!)


Ich möchte das zitieren:
Frau Schmidt

– so Ihr Generalsekretär Meyer –
ist vermutlich nur deshalb Ministerin geworden, weil
denen nach dem Abgang von Oskar Lafontaine einer
fehlte, der sich im Rotlichtmilieu auskennt.


(Zurufe von der SPD: Pfui!)


Das ist auch eine Entgleisung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Und was für eine!)


Mich stört – das sagte ich einleitend – Ihre Selbstge-
rechtigkeit, die vielleicht darin begründet ist, dass wir dies
im Bundeskabinett schweigend zur Kenntnis genommen
haben.

Insgesamt muss ich Ihnen ehrlich sagen: Wenn man
diese Vorfälle der letzten Zeit betrachtet und sieht, wie
Entgleisungen – ich will sie einmal so nennen, seien sie
geplant oder ungeplant – passieren, dann fragt man sich,
wieso, wenn es einmal Ihren Generalsekretär trifft, darauf
ein Antrag auf Entlassung folgt. Ihr Antrag auf Entlassung
wäre nachvollziehbar, wenn Sie vorher Herrn Meyer ent-
lassen hätten.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Weil Sie das nicht getan haben – genau genommen hätten
Sie die Führung entlassen müssen –,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


halte ich Ihren Antrag für bemerkenswert selbstgerecht.
Jetzt zu dem anderen Punkt, bei dem eine Fehldenke

vorliegen könnte: wenn Sie meinen, unter Herrn Trittin
und dieser Bundesregierung werde keine gute Umwelt-
politik gemacht. Sicher, ich habe oftmals in großen und in
kleinen Fragen meinen Streit mit Herrn Trittin über dessen
konkrete umweltpolitische Forderungen. Übrigens streiten
wir uns fast nie über die umweltpolitischen Ziele, sondern
über die Wege dahin. Aber dazu muss man ganz klar er-
kennen: Wer die Aufgabe hat, den Faktor Natur und seine
Interessen zu vertreten, der muss in unserer Gesellschaft
kräftig mit den Faktoren Kapital und Arbeit streiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir finden immer wieder vernünftige Kompromisse:
bei den regenerativen Energien, bei der Kraft-Wärme-
Kopplung oder bei dem schwierigen Thema Kernenergie.
Und mir fällt an Herrn Trittin auf, dass er für die Kom-
promisse einsteht, auch wenn ihm das in den eigenen Rei-
hen gewaltigen Ärger bereitet. Ich muss Ihnen sagen: Ich
schätze dieses Eintreten für Ziele und für gemeinsam ge-
fundene Kompromisse. Das ist geradlinig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wo ist diese umweltpolitische Geradlinigkeit bei der
Opposition? Ist es etwa geradlinig, wenn Sie ein Gesetz
über Dosenpfand machen, als Sie noch an der Regierung
waren, wir dieses Gesetz jetzt anwenden und Sie die
Anwendung Ihres eigenen Gesetzes kritisieren?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)





Bundesminister Dr. Werner Müller

15701


(C)



(D)



(A)



(B)


Ist es etwa eine geradlinige Umweltpolitik, wenn man als
Umweltministerin an der Einführung der Ökosteuer ar-
beitet – die Papiere liegen ja noch alle vor – und nun in
der Opposition genau dies bekämpft?

Der Faktor Natur braucht einen harten, geradlinigen
Vorkämpfer, gerade auch im Kabinett. So schwierig die
Zusammenarbeit mit einem solchen Vorkämpfer wie Bun-
desminister Trittin oft auch ist, muss ich doch in aller
Deutlichkeit sagen:


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Dass er jetzt befördert wird!)


Ich möchte diese Zusammenarbeit der Sache wegen nicht
missen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Peter Repnik [CDU/ CSU]: Zum Pflichtverteidiger bestellt!)


Es ist noch ein Moment Redezeit.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aufhören!)


– Es ist noch ein Moment Redezeit; danach höre ich auf. –
Gestatten Sie mir, bevor ich aufhöre, doch noch wenige

Worte an die Opposition zu richten. Konzentrieren Sie
sich doch einfach auf den Versuch einer guten Sacharbeit!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich will Ihnen auch sagen, warum: damit man in Deutsch-
land auch auf die Opposition stolz sein kann.


(Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Überdenken Sie – ich bitte darum – Ihre Angriffe auf
Personen und Institutionen, wie zum Beispiel auf das Amt
und die Person des Bundespräsidenten. Überdenken Sie
bitte auch Ihr Verlangen, kleinkariert wissen zu wollen,
was Mitglieder der Bundesregierung vor 20 oder 30 Jah-
ren waren, meinten und sagten. Überdenken Sie alles in
allem das, was ich eingangs sagte: Ihre Selbstgerechtig-
keit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Sie können ein Zeichen setzen: Sie können schlicht und
ergreifend Ihren heutigen Antrag zurückziehen.

Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416104900
Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Theodor Waigel.

Dr. Theodor Waigel (CDU/CSU) (von Abgeordneten
der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsident!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eigenar-
tig, dass in den Wortmeldungen der Koalition – mit Aus-
nahme in der des nicht dem Parlament und keiner Partei
angehörenden Bundeswirtschaftsministers – der Name
Trittin fast nicht vorgekommen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Bei Herrn Merz auch nicht!)


Herr Struck hat es im Rahmen einer Filibusterrede wirk-
lich fertig gebracht – er versuchte Herbert Wehner zu imi-
tieren; der konnte es natürlich erheblich besser –, den Na-
men Trittin nicht zu nennen.

Umso besser war es natürlich, dass sein Parlamentari-
scher Geschäftsführer Schmidt Folgendes gesagt hat – das
ist heute in der „FAZ“ nachzulesen –: „Jeder weiß, noch
einen Schuss hat er nicht frei.“ Das heißt, der Mann steht
heute auf dem Prüfstand. Sie, Herr Müller, erwarten noch
eine lange Zeit der Zusammenarbeit. Dabei hat er nur
noch einen Schuss frei. Was ist das für eine Verteidigung
eines Ministers durch die SPD?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Bernd Reuter [SPD]: Sie haben Ihr Pulver schon verschossen!)


Frau Müller, ich will Ihnen einmal sagen, wie man
Rechtsradikale am besten bekämpft: ganz sicher nicht mit
der Politik der Grünen, sondern indem man ihnen Wähler
wegnimmt und Themen besetzt, sodass diese keine
Chance haben, ihre radikalen Themen unter die Leute zu
bringen. Das haben wir in Bayern, in Baden-Württemberg
und in anderen Ländern unter Beweis gestellt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Monika Ganseforth [SPD]: Sie machen eine Gratwanderung!)


Es geht darum, dass wir natürliche Werte wie Heimat, Na-
tion und Vaterland nicht den Rechtsradikalen überlassen.
Es wäre sehr gefährlich, wenn wir jenen die Chance gä-
ben, diese Themen zu besetzen und damit hoffähig zu
werden. Das müssen wir verhindern!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Herr Bundesminister Müller, warum hat eigentlich nicht
der Vizekanzler gesprochen? Mit welchem Auftrag sind Sie
hier vorgeschickt worden? Vielleicht als Kamerad?


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie sind ja gar kein Mitglied des Parlaments. Die Frage,
welche Anträge wir stellen oder nicht stellen, geht Sie
nichts an! Es ist unsere Angelegenheit, darüber zu ent-
scheiden!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Bei den Grünen geht ein Gespenst um: die Angst vor

der Vaterlandsliebe.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Oh!)

Ob Amerikaner, Engländer, Franzosen, Russen, Polen
oder Tschechen, alle bekennen sich zu ihrer Nation, sind
stolz auf die Leistungen ihres Vaterlandes und demons-




Bundesminister Dr. Werner Müller
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trieren nicht nur an historischen Feiertagen oder anläss-
lich von Siegen ihrer Sportler ein gesundes Nationalbe-
wusstsein. Wenn wir auf uns nicht stolz sind, wenn wir
uns unserer selbst nicht sicher sind, dann werden die an-
deren an uns unsicher. Wenn wir das Natürlichste der
Welt, nämlich den Stolz auf Heimat, Vaterland und Na-
tion, nicht besäßen, wären wir geradezu eine falsche, eine
unnatürliche Nation. Genau das dürfen wir in Europa und
in der Welt nicht sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der frühere Bundespräsident Karl Carstens zählte die

Schwäche der Bindungen an Nation und Vaterland zu den
Mängeln der deutschen Demokratie im ausgehenden
20. Jahrhundert. Dabei stellt die Nation in den Worten
Martin Walsers „im Menschenmaß das wichtigste ge-
schichtliche Vorkommen“ dar.

In der heutigen industriellen Massengesellschaft, die
durch eine Individualisierung der Lebensverhältnisse,
durch einen Wertepluralismus und auch durch ein Nach-
lassen religiöser Bindungswirkungen geprägt ist, stellt
sich die Frage: Was hält das Ganze zusammen? Es sind
primär nicht universalistische Rechtsvorstellungen. Das
Bekenntnis zu einer alle bindenden Grundrechtsgemein-
schaft ist wichtig. Aber die entscheidende Bindungswir-
kung kommt nach wie vor aus dem nationalen Zusam-
mengehörigkeitsgefühl. Wenn Deutschland in den letzten
zehn Jahren 1 800Milliarden DM für eine große nationale
Herausforderung aufgewendet hat, dann geschah das aus
nationalem Zusammengehörigkeitsgefühl, nicht aus der
Solidarität der K-Gruppen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zur Nation als Solidaritäts- und als Schicksalsgemein-

schaft gibt es bis heute keine historische Alternative. Ich
lasse mich an europäischem Bewusstsein und Engage-
ment von niemandem übertreffen. In den beiden Fraktio-
nen CDU/CSU und F.D.P. haben wir in den letzten zehn
Jahren nun wirklich unter Beweis gestellt, dass wir,
manchmal in schwierigster Situation, zu unserer euro-
päischen Identität standen. Nur, genauso richtig ist auch,
dass Europa nur entstehen kann als ein Europa der Regio-
nen, der Nationen und der Vaterländer, so wie es de Gaulle
schon in den 60er-Jahren formuliert hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Vaterlandsliebe, Patriotismus, Nationalbewusstsein:

Das alles hat mit einem pervertierten Nationalismus nichts
zu tun. Wir Deutsche wissen um die Irrwege unserer Ge-
schichte. Wir haben unsere Lektion gelernt. Wir bekennen
uns zu unserer historischen Verantwortung. Aber die Iden-
tität des wiedervereinigten Deutschlands auf die Aufarbei-
tung des „Tausendjährigen Reichs“ zu verengen, hieße, den
Deutschen auf ewig ein bei allen anderen Nationen übli-
ches und geläutertes Nationalbewusstsein vorenthalten zu
wollen. Ein Volk, das geschichtlich nur von der Vergan-
genheitsbewältigung lebt, kann auf Dauer keine unseren
befreundeten und benachbarten Völkern entsprechende
nationale und historische Identität ausbilden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wenn sich heute die 68er und ihre Erben als die wah-
ren Gründer der Demokratie aufspielen, dann stellen sie
die Geschichte auf den Kopf. Die Neomarxisten im Um-
feld der Frankfurter Schule wollten nämlich keine Demo-
kratie, sondern eine Diktatur.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wer sich lautstark zu Mao, Che Guevara und Ho Chi Minh
– alles Diktatoren – bekannt und deren Lehren nachgele-
sen und gebetsmühlenhaft nachgeplappert hat, der kann
doch nicht behaupten, er sei für eine Freiheitsdemokratie
eingetreten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn Mandela einen Terroristen genannt? Wer ist denn zu Pinochet gepilgert? – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich kann auch ein Patriot an seinem Vaterland
zweifeln, ja sogar verzweifeln. Zwei Tage vor der Kapi-
tulation hat der schwäbische Dichter und Philosoph
Joseph Bernhart in sein Tagebuch geschrieben:

Zu Hause, als ich allein war, umfing mich die
schrecklichste Einsamkeit des Menschen ohne Va-
terland.

Das schrieb jemand, dem die Nationalsozialisten zwölf
Jahre seines Lebens genommen und den sie frontal ange-
griffen hatten.

Das heißt: Er und viele andere haben gespürt, was es
heißt, das Vaterland zu verlieren. Sie haben gezweifelt
und waren manchmal sogar verzweifelt. Sie haben ihr Va-
terland aber nicht weggelegt und auch nicht weggewor-
fen. Sein Vaterland kann man nicht wegwerfen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer macht denn das? Das ist ein Popanz! Sie hätten Herrn Geißler zuhören sollen!)


Der Skinhead-Vergleich des Kollegen Trittin war mehr
als eine rhetorische Entgleisung. Er war ein bewusster An-
schlag auf die politische Kultur unseres Landes;


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh!)


denn hinter seinen Äußerungen steht letztlich das Ziel, al-
les, was rechts von Rot-Grün steht – von den National-
liberalen bis zu den Konservativen –, in die rechtsradi-
kale Ecke zu stellen und damit vom politischen Diskurs
auszugrenzen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416105000
Herr Kollege Waigel,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Michael
Müller?


Dr. Theodor Waigel (CSU):
Rede ID: ID1416105100
Nein.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Warum denn nicht?)





Dr. TheodorWaigel

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Das kommt ausgerechnet aus den Kreisen, die früher im
Dunstkreis von K-Gruppen und Mescalero-Schmährufen
gestanden haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dr. Peter Struck [SPD]: Unglaublich!)

An den Herrn Bundesminister Trittin sei die Frage er-
laubt: Wenn Sie nicht auf Ihr Land stolz sind, schämen Sie
sich dann Ihres Landes? Wie wollen Sie eigentlich deut-
sche Interessen vertreten und Politik für Deutschland ge-
stalten, wenn Ihnen jede Bindung zu diesem Vaterland,
auf das Sie verpflichtet sind, abgeht?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Glatter Unsinn!)


Der Bundeskanzler nannte Sie ein Risiko. Die Presse zi-
tiert die Grünen-Abgeordnete Rita Grießhaber mit den
Worten: „Er ist so etwas wie ein politischer Quartals-
säufer.“


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich kann Ihnen versichern, dass ich mir diese unpar-
lamentarischen Worte nicht zu Eigen mache.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Dem Bundeskanzler fehlt die politische Kraft, einen al-

ten Kameraden fallen zu lassen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Lächer lich!)

Herr Trittin, Sie haben bei der Vereidigung geschworen,
Ihre Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen
und Schaden von ihm abzuwenden.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dann reden Sie mal mit Herrn Kohl!)


Sie können schon aus Gründen der persönlichen Selbst-
achtung dem von Ihnen geliebten Land nur noch einen
Dienst erweisen: Treten Sie zurück!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416105200
Die letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Anke Fuchs für die SPD-
Fraktion.

Anke Fuchs (Köln) (SPD) (von Abgeordneten der
SPD mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Eigentlich wollte ich eine sachliche
Rede halten, aber jetzt gelingt mir das nicht mehr.

Erst einmal möchte ich mich bei dem Kollegen Geißler
dafür bedanken, dass er Herrn Merz und Herrn Westerwelle
eine so gute Nachhilfestunde gegeben hat. Wenn die ge-
samte Fraktion der CDU/CSU so reden würde, wären wir
ein Stück weiter.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Willy Brandt hätte heute gesagt: Wir waren schon einmal
weiter.

Wenn man die Debatten der letzten Wochen verfolgt,
muss ich sagen, dass ich ziemlich erschreckt bin.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Der Kollege Waigel hat vom Tausendjährigen Reich ge-
redet und diesen Begriff nicht in Klammern gesetzt oder
„so genannt“ davor gestellt. Ich hatte das Gefühl: Es war
wirklich von gestern, was uns der Kollege Waigel hier ge-
boten hat.


(Beifall bei der SPD und der PDS – Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Damit dies für meine Fraktion klar ist: Herr Trittin hat
sich für seine Äußerung entschuldigt. Wir sind mitei-
nander der Auffassung, dass er ein erfolgreicher Umwelt-
minister ist.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Deswegen sehen wir keine Veranlassung, ihn zu entlassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich finde es interessant, was Herr Müller gesagt hat: Ei-
gentlich hätten Sie Herrn Meyer entlassen müssen; denn
er hat sich für sein Plakat mit dem Fahndungsfoto des
Bundeskanzlers noch nicht entschuldigt. Darauf warten
wir noch. Wir hoffen, dass Sie endlich zur Vernunft kom-
men.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das ist ein Unterschied!)


Wenn man Unterschriftskampagnen gegen Menschen
auflegt, dann ist das Menschenjagd. Dies lassen wir mit
den Mitgliedern unseres Kabinetts nicht machen. Deswe-
gen lehnen wir es ab, weiter mit Ihnen darüber zu disku-
tieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was mich am meisten schockiert, ist die Geisteshal-
tung von Herrn Westerwelle. Diese habe ich ihm gar nicht
zugetraut. Irgendetwas muss von „Big Brother“ abge-
färbt haben, dass Sie in einer so beengten Art und Weise
diskutieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich finde es schade und will Ihnen auch sagen, warum ich
es schade finde: Diese Debatte ist überflüssig und findet
auf einem so niedrigen und verquasten Niveau statt, dass
sie den Herausforderungen unseres Landes nicht gerecht
wird.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wir haben doch in unserem Land, in Europa und der Welt
etwas anderes zu tun. Ich will an zwei Sachthemen klar-
machen, wie verhängnisvoll diese Debatte ist. Die Fragen
der europäischen Einigung sowie der Zuwanderung und
Integration werden wir mit einem dumpfen Rechtsextre-




Dr. TheodorWaigel
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mismus nicht packen können, sondern da sind differen-
zierte Antworten gefragt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wer bestreitet das denn? Sie halten hier doch keine Parteitagsrede!)


Wie steht es mit dem Ansehen der Bundesrepublik
Deutschland, wenn wir uns mit diesen Themen so ausei-
nander setzen? Das ist doch das Problem. Sie mögen alles
anders meinen, geben aber Signale in die falsche Rich-
tung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Sie schüren die Ideen jener, die sagen: Deutsche sind
bessere Menschen als andere, wir wollen unter uns sein,
Ausländer raus.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Was ist das für eine Rede?)


Damit ermutigen Sie die Falschen und verhindern eine
vernünftige Politik europäischer Einwanderung.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wen meinen Sie denn mit „Sie“?)


„Leitkultur“ und „deutscher Stolz“ sind Kampfbegriffe,
die unserem Ansehen schaden und der Entwicklung in Eu-
ropa nicht förderlich sind.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Wir Frauen haben es gut, denn wir sind ja gar nicht
gemeint, da immer vom Stolz, Deutscher zu sein, gespro-
chen wird. Stolz, Deutsche zu sein, kommt gar nicht vor.
Wir sehen damit wieder einmal, wie verräterisch Sprache
sein kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will auf das Zusammenleben in Europa zu spre-

chen kommen. Die europäische Entwicklung ist doch die
Erfolgsgeschichte unseres Landes nach dem Zweiten
Weltkrieg. Darüber müssen wir mit unseren Leuten dis-
kutieren. Wir müssen sie mitnehmen und überzeugen und
in diesem Zusammenhang haben wir noch sehr viel Arbeit
vor uns. In dieser Diskussion, Herr Merz, sind die Fragen
zu stellen: Wo ist meine Identität, wo ist meine Heimat,
wo ist mein Vaterland? Das gilt es einzubeziehen, aber
nicht mit Vokabeln, die Ausgrenzung signalisieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Stolz sein auf Hitler, Ulbricht oder Honecker? Nein,
natürlich nicht.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wer behauptet das denn? Denken Sie zwischendurch daran, dass Sie auch Vizepräsidentin dieses Parlaments sind! Das ist doch kein Kölner Parteitag! – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Unglaublich!)


Stolz sein kann man beispielsweise auf das, was wir an
stabiler Demokratie, an Partnerschaft mit unseren Nach-
barn, an Wohlstand für alle Menschen und an Sozialstaat-
lichkeit sowie Rechtsstaatlichkeit aufgebaut haben. Das
sind beispielhafte Entwicklungen, und auf die sind wir
stolz. Stolz und glücklich sind wir auch darüber, dass die
Menschen in Ostdeutschland in einer friedlichen Revolu-
tion die Diktatur abgeschafft haben und wir gemeinsam in
einem wiedervereinigten Deutschland den Weg nach Eu-
ropa gestalten können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Das ist es doch, was uns beflügelt, was uns motiviert, und
das ist doch das, was Willy Brandt meinte, als er sagte:
Deutsche, ihr könnt stolz auf euer Land sein, weil ihr für
die Demokratie und zum Wohle der Menschen in unserem
Land etwas geleistet habt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Vorher nicht und nachher auch nicht? – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Unglaublicher Vorgang!)


– Nein, vorher war es anders. Vorher war es eine rück-
wärts gerichtete nationale Politik und Willy Brandt hat
uns alle aus der Verengung rausgeholt und es war Befrei-
ung, Zuversicht, gebrochene Geschichte, Zukunft gestal-
ten und nicht auch mit alten Nazis Restauration betreiben
– so wie Sie es damals getan haben.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Unglaublich!)


Sie haben damals gegen die Ostverträge gekämpft; wir
wissen das noch alle.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Wer hat die Westintegration betrieben?)


– Sie haben das angefangen und wir haben es fortgesetzt.
Herr Repnik, es war in der außenpolitischen Entwicklung
unseres Landes so: Zuerst hat die CDU/CSU die West-
integration gegen unseren Willen betrieben, dann haben
wir gegen Ihren Willen die Integration zum Osten hin er-
möglicht und die Friedenspolitik gestaltet. Die jeweilige
Opposition hat dabei im Nachhinein die Regierungspoli-
tik mitgetragen und dann gab es einen gemeinsamen Kon-
sens. Das ist das Stückchen Kontinuität, das wir in der
Außenpolitik haben. Deswegen ist es ganz gut, dass wir
daran erinnern, dass die Themen immer zunächst kontro-
vers waren. Das macht auch nichts, weil wir trotzdem
Kontinuität und Stabilität organisiert haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben in diesem Zusammenhang Johannes Rau

angegriffen. Ich finde das so lächerlich. Wer Johannes
Rau und seine Lebensleistung kennt, weiß, wie differen-
ziert er mit den Themen Nationalität und Patriotismus
umgeht. Einem solchen Mann zu sagen, er sei für sein
Amt nicht geeignet, ist so etwas von peinlich,


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Westerwelle: „verklemmt“!)





Anke Fuchs (Köln)


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dass ich darüber eigentlich gar nicht mehr sprechen
möchte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich sagte, wir wären schon einmal weiter gewesen.
Willy Brandt hätte hinzugefügt: Ich möchte uns ein biss-
chen Gelassenheit wünschen. Das gelingt heute nicht,
weil alles etwas aggressiv ist.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Sie sind aggressiv!)


Wir waren auch mit unseren Bundespräsidenten immer
auf einer Schiene.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Eine Vizepräsidentin!)


Sie haben Nationalität, Rechtsaußenorientierung und deut-
schen Stolz nie zu ihrer Begrifflichkeit gemacht. Als Gustav
Heinemann gefragt wurde, ob er das Land liebe, hat er ge-
antwortet: Ich liebe nicht den Staat; ich liebe meine Frau. –
Das war doch herrlich und schön und es war richtig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ich fand es auch schön, als Roman Herzog sagte: Ich
kann zur Not noch eine Landschaft lieben. Aber ich liebe
keine Institution, den Staat so wenig wie beispielsweise
die Allgemeine Ortskrankenkasse.


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das sind die richtigen Vokabeln. So geht man mit diesem
Thema um.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Johannes Rau hat ähnliche Vokabeln benutzt. Deswegen
sage ich: Wir waren schon weiter. Vor dem Hintergrund
unserer 50-jährigen Geschichte ist es jetzt fast so, als ob
Epigonen über etwas reden, von dem sie gar keine Ah-
nung haben. So kommt mir das manchmal vor.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das erste Sachthema, das ich angesprochen hatte, war
Europa und der Hinweis darauf, wie fatal es ist, wenn wir
das Ansehen Deutschlands in Europa beschädigen und
damit den europäischen Weg erschweren. Das zweite
Sachthema, das ich ansprechen möchte und bei dem wir
die Menschen mitnehmen müssen und bei dem noch ein
großer Diskussionsbedarf besteht, ist die Einwanderung
und Zuwanderung. Ich war sehr glücklich, nicht stolz,
als Johannes Rau nach seiner Wahl zum Bundespräsiden-
ten in seiner Dankesrede sagte: In Art. 1 des Grundgeset-
zes heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Er fügte hinzu: „Ganz zu Recht sagt das Grundgesetz, die
Würde des Menschen ist unantastbar und nicht nur die
Würde der Deutschen.“ Das waren seine Worte.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Das ist der Fahrplan für eine offene und tolerante Gesell-
schaft, für das Zusammenleben der Menschen in unserem
Land. Wir sind noch gar nicht so weit gekommen, dass wir
wirklich von Integration und von einem Miteinander re-
den können. Deswegen ist es so fatal, wenn der Eindruck
erweckt wird: Stolzer Deutscher heißt Ausgrenzung und
„Ausländer raus!“.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wer sagt das denn?)


Lassen Sie uns Integration und Zusammenleben in unse-
rem Lande zu einem wichtigen Thema der politischen
Diskussion machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich fordere Sie auf: Kommen Sie zu den Sachfragen
zurück! Sie werden damit nicht durchkommen, wenn Sie
nichts zu den Sachthemen sagen und stattdessen meyern
und die Bundesregierung bekämpfen und Menschenjagd
auf einzelne Mitglieder des Kabinetts machen. Das wird
nicht gelingen. Es gibt viele Fragen, auf die wir eine Ant-
wort finden müssen. Ich als Sozialpolitikerin möchte Sie
auffordern: Lesen Sie doch bitte noch einmal nach, was in
unserem Rentenkonzept steht, und begreifen Sie endlich,
dass es zukunftsorientiert ist, die eigenständige soziale
Sicherung der Frau zu verbessern, was wir massiv tun. Ich
sage Ihnen ganz unmissverständlich: Die Witwenversor-
gung verliert für die heute unter 40-Jährigen gegenüber
der eigenständigen sozialen Sicherung an Bedeutung. Sie
nehmen das leider nicht zur Kenntnis, weil Sie die
gesellschaftlichen Veränderungen nicht akzeptieren wol-
len.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zum Schluss möchte ich Ihnen noch sagen: Ich freue
mich und ich bin auch stolz darauf, dass eine sozialdemo-
kratisch geführte Bundesregierung unter Bundeskanzler
Gerhard Schröder die Reformen durchsetzt, die Deutsch-
land braucht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es hat viel zu lange keine Veränderungen gegeben. Wir
werden jetzt und – hoffentlich – gemeinsam für die Men-
schen in der Bundesrepublik, in Europa und in der Welt
jene Werte einfordern und umsetzen, die unser Grundge-
setz prägen. Vor uns liegt viel Arbeit. Die verpflichtenden
Werte unseres Grundgesetzes, Frieden, Freiheit und Ge-
rechtigkeit, sind die Maßstäbe für Politik und Ge-
sellschaft, auch in einer globalisierten Welt.


(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416105300
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, es liegen zwei Anmeldungen für Kurz-
interventionen vor. Ich bitte die Kollegin Fuchs, gegebe-
nenfalls auf beide zusammen zu erwidern.

Zunächst erteile ich das Wort dem Kollegen
Dr. Theodor Waigel.




Anke Fuchs (Köln)

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Dr. Theodor Waigel (CSU):
Rede ID: ID1416105400
Frau Kollegin
Fuchs, Sie haben mir in Ihrer Rede unterstellt, ich hätte
ohne Anführungszeichen vom Tausendjährigen Reich
gesprochen.


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Unverschämtheit!)


Ich zitiere, was ich gesagt habe: Deutschlands Geschichte
umfasst mehr als 1 000 Jahre und darf nicht auf die Jahre
des Terrors, des braunen wie des roten, eingeengt werden. –
Mir aus diesen Worten zu unterstellen, ich hätte ohne An-
führungszeichen vom Tausendjährigen Reich gesprochen,
ist eine Unverschämtheit! Ich fordere Sie auf, sich zu ent-
schuldigen und das zurückzunehmen.


(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416105500
Herr Kollege
Westerwelle, Ihre Kurzintervention bitte.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1416105600
Frau Präsidentin!
Frau Kollegin Fuchs, ich möchte zunächst einmal etwas
zu der Debatte sagen, soweit sie den Bundespräsidenten
angeht. Ich finde das bedauerlich, dass Sie – ausschließ-
lich Ihre Seite und gerade Sie persönlich; ich habe das
übrigens nicht getan – eine solche Debatte in dieses Haus
hineinholen.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Das haben Sie doch gemacht!)


– Ich habe mir das verkniffen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Lachen und Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer hat denn „Parteipräsident“ gesagt? Sie waren das doch!)


Aber wenn Sie in diesem Haus etwas zu dem Herrn Bun-
despräsidenten sagen, dann will ich zwei Dinge darauf
erwidern. Als er bei seiner Rede gesagt hat, es gehe um die
Würde der Menschen und nicht nur um die Würde der
Deutschen, habe ich zu denen gezählt, die gesagt haben:
Das ist hervorragend; das ist genau das, was ich selber
fühle und denke. Wenn wir aber freitags im Bundestag
eine Debatte über die Entlassung von Herrn Trittin for-
dern – das ist das Recht der Opposition – und sich der Herr
Bundespräsident am selben Tag dazu äußert, dann muss
ich Ihnen bei allem Respekt sagen: Wenn sich der Herr
Bundespräsident in die Tagespolitik einbringt, dann muss
es das Recht jedes Demokraten sein, darauf zu erwidern.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber nicht so!)


Nichts anderes ist geschehen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Selbst gerecht!)

Was Sie mir an Äußerungen im Hinblick auf den Herrn
Bundespräsidenten unterstellt haben, das habe ich nicht
gesagt; lesen Sie das bitte nach.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Unverschämtheit, was Sie da sagen! Sie sagen die Unwahrheit! Die Zitate werden wir Ihnen alle vorhalten! Sie sind ein unanständiger Mensch!)


Ich will ein Zweites sagen, und das ist genau das Ent-
scheidende. So wie Sie heute mit Herrn Kollegen Waigel
umgegangen sind, so haben Sie auch in meine Richtung
gesprochen. Wenn Sie den Eindruck erwecken, das sei
– das haben Sie ja doppelt und dreifach unterstrichen – die
Menschenjagd gegen einen Mann,


(Gernot Erler [SPD]: Unterschriften gegen Personen!)


dann möchte ich Ihnen sagen, wie es mir in einem solchen
Augenblick geht: Ich finde, ich nehme als Parlamentarier
der Opposition mein Recht wahr, auf die Entlassung eines
Ministers zu drängen,


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben wir denn ein paar Monate vorher gehabt?)


von dem ich nicht überzeugt bin. Wenn man dann solche
Begriffe wie Menschenjagd in die Debatte einführt, dann
hat das für mich Assoziationen der Geschichte, die ich mir
verbitte, meine sehr geehrten Damen und Herren!


(Lebhafter Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Ich verbitte es mir, dass Sie in unsere Richtung von
dumpfem Rechtsextremismus sprechen!


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich verbitte es mir auch, dass Sie sagen, „stolzer Deut-
scher“ bedeute „Ausländer raus!“


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Cool down!)


Es hat niemand in diesem Hause verdient, dass Sie ihn in
die rechtsradikale Ecke stellen. Bitte argumentieren Sie
nicht mit der Faschismuskeule; das ist Ihrer als Vizepräsi-
dentin dieses Hauses nicht würdig.


(Lebhafter Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416105700
Zur Erwiderung Frau
Kollegin Fuchs, bitte.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1416105800
Herr Kollege Waigel, ich
habe es so gehört –


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Noch schlimmer!)


und mehrere mit mir. Ich schaue das aber im Protokoll
nach. Wenn Sie es nicht gesagt haben, entschuldige ich
mich sofort. Aber ich habe es so gehört und war deswegen
empört – und mehrere Kolleginnen und Kollegen eben-
falls.


(Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Ich zeige Ihnen mein Manuskript! Hier!)







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– Nein, es kommt darauf an, was Sie gesagt haben; manch-
mal weicht man ja auch vom Konzept ab. Auch ich habe
etwas anderes erzählt, als ich vorhin aufgeschrieben habe.


(Zuruf von der SPD: Ich weiß doch, was Sie gesagt haben, Herr Waigel! Das haben wir gehört!)


Herr Kollege Waigel, nehmen Sie mir ab, dass ich es so
gehört habe. Aber wir werden im Protokoll, das ja nicht
geändert werden wird, nachlesen, was Sie gesagt haben.
Wenn ich etwas aufgeschnappt habe, was Sie nicht gesagt
haben, entschuldige ich mich dafür.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nun zu Herrn Westerwelle. Die Debatte nimmt ja eine
schöne Entwicklung. Sie zeigt mir, dass Herr Westerwelle
offensichtlich folgende Strategie fährt: In der Öffentlich-
keit darf ich sagen, was ich will, aber für das Parlament
gilt nur, was ich hier gesagt habe. Wo kommen wir denn
da hin, wenn wir das, was wir außerhalb dieses Hauses öf-
fentlich vertreten, hier nicht mehr rechtfertigen?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Sie haben den Bundespräsidenten, Johannes Rau, ange-
griffen; deswegen verteidigen wir ihn doch. Wenn wir uns
heute darin einig sind, dass es keinen Sinn macht, die Per-
son Johannes Rau zu beschädigen, und dass es erst recht
keinen Sinn macht, den Bundespräsidenten in seinem Amt
zu beschädigen, dann sind wir ein Stückchen weiter.

Auch wenn Sie die Auffassung vertreten, dass sich der
Bundespräsident nicht hätte äußern sollen, dann geht es
trotzdem nicht, dass Sie ihn angreifen. Der Bundespräsi-
dent ist eine Institution. Er spricht für die Bundesrepublik
Deutschland und für die Menschen in unserem Lande. Er
ist nicht jemand, der überhaupt nichts mehr sagen darf.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Was Sie gesagt haben, finde ich schon sehr seltsam. Ich
sage Ihnen noch einmal: Sie haben den Bundespräsiden-
ten in der Öffentlichkeit angegriffen und dagegen habe ich
mich hier verwahrt.

Nun zum Kern Ihres Angriffs. In einer solchen Debatte
merkt man, dass wir unterschiedliche Grundpositionen
haben. Wir haben unterschiedliche Erfahrungen, unsere
Gefühle und unsere politischen Überzeugungen sind un-
terschiedlich. Manche verbale Entgleisung rührt daher.
Nehmen Sie denn nicht zur Kenntnis, dass die Rechtsra-
dikalen Begriffe wie „Leitkultur“ und „deutscher Stolz“
besetzen und damit Ausgrenzung – –


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


– Nehmen Sie das nicht zur Kenntnis? Wenn Sie das nicht
tun, dann müssen Sie nicht nur die „Welt“, sondern auch
einmal andere Zeitungen lesen, in denen das vernünftig
dokumentiert und kommentiert wird, sodass man sich
eine eigene Meinung bilden kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich mache mir Sorgen, weil ich wie Sie möchte, dass
wir die demokratische Entwicklung gewaltfrei und ohne
nach rechts ausscheren zu müssen vorantreiben können.
Sie müssen sich darüber im Klaren sein, welche Signale
Sie aussenden, wenn Sie immer wieder von „deutscher
Leitkultur“ sprechen. Sie wissen doch, dass die Rechtsra-
dikalen „Ausländer raus!“ fordern. Sie kennen doch die
Rechtsradikalen, die sagen: Wir wollen unter uns bleiben.
All diese Sprüche sind Ihnen bekannt. In Bezug auf un-
sere Wortwahl müssen wir darauf achten, dass wir keine
falschen Signale von uns geben. Das müssen Sie noch ler-
nen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416105900
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der CDU/CSU auf sofortige Entlassung des Bun-
desministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit, Jürgen Trittin, Drucksache 14/5573. Die Fraktion der
CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe-
nen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen besetzt? – Das
ist der Fall.

Die Abstimmung ist eröffnet.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine

Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist offensichtlich
nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.1)

Von den Kolleginnen und Kollegen Rita Grießhaber,
Helmut Lippelt, Christa Nickels sowie Antje Vollmer
gibt es eine persönliche Erklärung zum Abstimmungsver-
halten gemäß § 31 der Geschäftsordnung in schriftlicher
Form. Der Kollege Oswald Metzger hat sich dieser Er-
klärung angeschlossen.2)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die Bera-
tungen fort. Ich bitte Sie – auch die Kolleginnen und Kol-
legen der F.D.P. –, umgehend Ihre Plätze einzunehmen
oder den Saal zu verlassen, da es sich bei den nächsten Ta-
gesordnungspunkten um einen Ohne-Debatte-Punkt mit
mehreren Abstimmungen handelt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b sowie
Zusatzpunkt 4 auf:
20 a)Überweisungen im vereinfachten Verfahren

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Sozialgesetzbuchs
– Neuntes Buch – (SGB IX) Rehabilitation und
Teilhabe behinderter Menschen
– Drucksachen 14/5531, 14/5639 –




Anke Fuchs (Köln)

15708


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Seite 15711 D
2) Anlage 2

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung
Haushaltsausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Staatsangehörigkeitsgesetzes
– Drucksache 14/5654 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

ZP 4 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 20)

Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette
Faße, Hans-Günter Bruckmann, Dr. Peter
Danckert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Helmut Wilhelm

(Amberg), Albert Schmidt (Hitzhofen), Kerstin

Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Potenziale im Wasserstraßentransport umwelt-
und naturverträglich nutzen – Intermodalitäts-
stärken
– Drucksache 14/5667 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 c auf:
21. Abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von

der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 12.
April 1999 zum Schutz des Rheins
– Drucksache 14/4674 –

(Erste Beratung 140. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)


– Drucksache 14/5282 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Petra Bierwirth
Kurt-Dieter Grill
Winfried Hermann
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Si-
cherstellung der Nachsorgepflichten bei Abfall-
lagern
– Drucksache 14/4926 –

(Erste Beratung 152. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)

– Drucksache 14/5633 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Petra Bierwirth
Cajus Julius Caesar
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Entschließungsan-
trag der Abgeordneten Ingrid Arndt-Brauer,
Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch, Volker
Beck (Köln) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bun-
desregierung
Neunundzwanzigster Rahmenplan derGemein-
schaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“ für den Zeitraum 2000 bis
2003 (2004)

– Drucksachen 14/4623, 14/3250, 14/5185 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Christian Müller (Zittau)


Wir kommen zuerst zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem
Übereinkommen vom 12. April 1999 zum Schutz des
Rheins, Drucksache 14/4674. Der Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Druck-
sache 14/5282, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen?
– Ich stelle Einstimmigkeit im Hause fest. Damit ist der
Gesetzentwurf angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundes-
rat eingebrachten Gesetzentwurf zur Sicherstellung der
Nachsorgepflichten bei Abfalllagern, Drucksache
14/4926. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 14/5633, den
Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte dieje-




Vizepräsidentin Petra Bläss

15709


(C)



(D)



(A)



(B)


nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Ent-
haltung der F.D.P.-Fraktion angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist bei Enthaltung der F.D.P.-Fraktion angenommen. Wir
kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Wirtschaft und Technologie zu dem Entschließungsantrag
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen zum Neunundzwanzigsten Rahmenplan der Gemein-
schaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt-
schaftsstruktur“, Drucksache 14/5185. Der Ausschuss
empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksa-
che 14/4623 anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Verantwortung der Bundesregierung für die
Begleitumstände des ersten rot-grünen Castor-
transports

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol-
lege Dr. Peter Paziorek für die CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Peter Paziorek (CDU):
Rede ID: ID1416106000
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Zum ersten Mal seit 1997 ist
heute Vormittag wieder ein Castortransport von Frank-
reich aus im Zwischenlager Gorleben angekommen. Dass
dies möglich war, ist auch ein Verdienst der eingesetzten
Polizei. Dafür gebührt allen Beamten vor Ort ein Dank
des gesamten Hauses.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Demonstrationen gegen die Transporte hatten
friedlich begonnen; sie haben aber dann zum Teil Formen
angenommen, die eindeutig als rechtswidrig bezeichnet
werden müssen. Die Bundesregierung und die Regie-
rungsparteien tragen eine große politische Mitverantwor-
tung für die Eskalation durch die gewaltbereiten Täter;
denn die Regierungsfraktionen haben es im Vorfeld der
Demonstrationen an solchen unmissverständlichen Wor-
ten fehlen lassen, wie Sie, Herr Bundesinnenminister
Schily, sie gestern gefunden haben.


(Angela Marquardt [PDS]: Waren Sie mal da?)

Doch diese Äußerungen, Herr Schily, sind eindeutig zu
spät gekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Angela Marquardt [PDS]: Sie waren doch gar nicht vor Ort!)


Was Sie gestern gesagt haben, hätte schon in der vergan-
genen Woche von den Regierungsvertretern mit aller
Deutlichkeit gesagt werden müssen.

Das rot-grüne Regierungslager antwortet auf diese
nicht akzeptablen Protestaktionen in unverantwortlicher
Weise zurückhaltend und parteipolitisch schlichtweg
schizophren. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im
Bundestag, Frau Müller, stellt in der Öffentlichkeit einer-
seits fest: „Wir müssen den Müll zurücknehmen.“ Ande-
rerseits sagt sie im nächsten Satz: „Jedoch ist öffentlicher
Druck notwendig, um den zwischen der rot-grünen Bun-
desregierung und den Energiekonzernen vereinbarten
schrittweisen Atomausstieg möglichst schnell zu schaf-
fen.“

Die Grünen-Parteivorsitzende, Frau Roth, lässt sich am
Rande der traditionellen „Stunkparade“ am Sonntag in
Gorleben in typisch grüner Interpretation des Grundsatz-
urteils des Bundesverfassungsgerichts dahin gehend ein,
dass es sich hierbei – was wir alle wissen – nicht um ein
Verbot des Demonstrationsrechts handle und dass be-
stimmte Sitzblockaden toleriert werden müssten. Die
Grünen haben sich damit nicht klar und deutlich frühzei-
tig von den Vorfällen distanziert, die in den letzten Stun-
den vor Gorleben passiert sind. Diese theoretische Dis-
kussion im Vorfeld der Demonstrationen war überflüssig
wie ein Kropf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Diese schizophrene Haltung des Bündnisses 90/Die
Grünen ist in den letzten Tagen durchgehend festzustellen
gewesen. Sie gleicht einem politischen Eiertanz und ist
mit einer verantwortungsvollen und bürgernahen Politik
nicht mehr zu vereinbaren.

Wir respektieren friedliche Demonstrationen. Doch
Rot-Grün hat ein falsches Signal gegeben und hat jetzt
nicht den Mut, den gewalttätigen Demonstranten eindeu-
tig entgegenzutreten. Rot-Grün muss den Demonstranten
offen sagen, dass es völlig inakzeptabel ist, wenn sie
zukünftig beabsichtigen, mit gewaltsamen Demonstratio-
nen neue Castortransporte aufzuhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen in Niedersach-

sen, Frau Harms, sieht sogar einen Erfolg der Protestak-
tionen. Sie sagte nämlich, die Demonstrationen seien so
heftig, dass weitere Transporte gestoppt werden müssten.
Eine solche Aussage ist aufgrund des geltenden Völker-
rechts und der klaren Rechtsposition völlig verantwor-
tungslos.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Heidi Lippmann [PDS]: Jetzt kommen Sie doch nicht mit dem Völkerrecht, Herr Kollege!)


Rot-Grün ist gefangen in ihrer über Jahre hinweg be-
triebenen, völlig überzogenen Stimmungsmache gegen
die Kernenergiepolitik und die Castortransporte. Die in
der Bundesregierung verbreitete Angst vor der Atomener-
gie ist von Rot-Grün jahrelang geradezu gepflegt worden.
An die Stelle sachlicher Aufklärung über technisch hoch-




Vizepräsidentin Petra Bläss
15710


(C)



(D)



(A)



(B)


komplizierte Systeme traten Verunglimpfung, Emo-
tionalisierung und Schüren von Misstrauen gegenüber der
Atomenergie. Fast jedes Mittel war hierzu tauglich, nur
rationale Aufklärung über den Umgang mit dieser Tech-
nik fand nicht statt.

Es steht zu befürchten, dass diese Bundesregierung
nicht zur Versachlichung beitragen kann, da sie vor dem
Paradoxon steht, heute gutheißen zu müssen, was Mit-
glieder des jetzigen Kabinetts in früheren Jahren verteu-
felt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Rot und Grün haben nicht die Kraft, sich zu der Erklärung
durchzuringen, dass ihre Argumente in der Vergangenheit
eindeutig überzogen waren.

Was kann man in der aktuellen Diskussion von einem
Umweltminister erwarten, dessen Autorität angeschlagen
ist


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Nichts!)


– völlig richtig, Herr Marschewski – und der letztlich nur
noch hilflos zu dem Mittel greift, scharfe Briefe an die
Bürgerinnen und Bürger des Wendlandes zu schreiben. Er
ist ein Umweltminister auf Bewährung. Er hat einen
Maulkorb verpasst bekommen und ist deshalb von seiner
Autorität her gar nicht mehr in der Lage, mit den friedli-
chen Demonstranten zu diskutieren. In dieser umwelt-
politischen Diskussion ist er einfach ausgefallen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der CDU/CSU: Jeden Tag!)


Wir haben aber eine Koalitionsregierung. Dort sind
nicht nur Grüne, sondern auch Sozialdemokraten vertre-
ten. Wo waren in den letzten Wochen und Tagen die kla-
ren und deutlichen Worte seitens der sozialdemokrati-

schen Fraktion? Wir können nur sagen: Bei der SPD
herrschte in dieser Frage Funkstille. Man hatte das Ge-
fühl, dass die SPD Spaß hatte, dass beim Koalitions-
partner die Basis wegbrach. Dies hat man sich genüsslich
angeschaut. Ich wiederhole in diesem Zusammenhang:
Die Aussagen des Innenministers am gestrigen Tage wa-
ren in Ordnung, aber sie kamen zu spät und somit zu ei-
nem falschen Zeitpunkt.

Ich sage zum Schluss: SPD und Grüne, hört mit euren
Eiertänzen auf und sagt deutlich, dass es auch zukünftig
keine Alternative zu diesen Transporten gibt!


(Christoph Matschie [SPD]: Wer hat das gesagt?)


Nur dann, wenn Sie den Mut haben, sich von überzoge-
nen Parolen der Vergangenheit zu distanzieren, werden
gewaltbereite Demonstranten erkennen, dass sie in Sa-
chen Castortransporte die Schlachten der Vergangenheit
schlagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Horst Kubatschka [SPD]: Bauen Sie doch keine Pappkameraden auf! – Weiterer Zuruf von der SPD: Wer tut denn das?)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416106100
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, bevor ich dem nächsten Redner das Wort
erteile, komme ich noch einmal zum Zusatzpunkt 3
zurück und gebe das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Antrag der Fraktion der
CDU/CSU auf sofortige Entlassung des Bundesministers
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Jürgen
Trittin, Drucksache 14/5573, bekannt: Abgegebene Stim-
men 618. Mit Ja haben gestimmt 264 Kolleginnen und
Kollegen, mit Nein haben gestimmt 354 Kolleginnen und
Kollegen. Der Antrag ist damit abgelehnt.




Dr. Peter Paziorek

15711


(C)



(D)



(A)



(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 618;
davon

ja: 264
nein: 354

Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank

Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens (Emstek)


(Nordstrand)


Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert

Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(KarlsruheLand)


Herbert Frankenhauser

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel

Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein


(Großhennersdorf )


Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser (Bonn)


(Rednitzhembach)


Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias






(C)



(D)



(A)



(B)


Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner

(Offenbach)


Dr. Manfred Lischewski

(Lüdenscheid)


Julius Louven
Dr. Michael Luther

(Recklinghausen)



(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Bernd Neumann (Bremen)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger

Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer

(Wiesbaden)


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth (Gießen)

Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt (Mülheim)

Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Gerhard Schulz
Diethard Schütze (Berlin)

Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger

Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Dr. Theodor Waigel
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer (Neuss)

Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz

(Augsburg)


Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting

(Frankfurt)


Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler

Carl-Ludwig Thiele
Dr. Guido Westerwelle

Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Peter Friedrich (Altenburg)

Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner






(C)



(D)



(A)



(B)


Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)


(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Barbara Imhof
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher

Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer

Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)


(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz (Oldenburg)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek (Böhlen)


(Duisburg)


Heidemarie Wieczorek-Zeul
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Hanna Wolf (München)


(Wolmirstedt)


Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth (Augsburg)

Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir setzen die Aktuelle Stunde fort. Jetzt spricht der
Kollege Horst Kubatschka für die SPD-Fraktion.


Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1416106200
Sehr geehrte Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege, ich hatte
vorhin in Ihrer Rede eigentlich umweltpolitische Ein-
wände erwartet. Was Sie aufgebaut haben, waren Papp-
kameraden, um die es gar nicht geht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Gibt es keine verletzten Polizeibeamten?)


In meinem Redebeitrag setze ich mich mit dem um-
weltpolitischen Aspekt des Castortransportes auseinan-
der. Die Bezeichnung der von der CDU/CSU beantragten
Aktuellen Stunde ist schlicht und einfach falsch. Sie be-
treiben Etikettenschwindel. Es gibt nämlich keine rot-grü-
nen Castortransporte. Richtig ist, dass Rücktransporte aus
La Hague stattfinden. Der Atommüll aus der Wieder-
aufbereitungsanlage muss von Deutschland zurückge-
nommen werden. Den Atommüll hat nicht die rot-grüne
Koalition verursacht, sondern die deutschen Kernkraft-
werke.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Richtig ist: Die rot-grüne Koalition will die Castor-
transporte minimieren. Dazu ist ein Konsens beim Aus-
stieg aus der Kernenergie notwendig. Richtig ist: Es sind
die ersten Castortransporte während der rot-grünen Re-
gierungszeit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen vor allem von der
konservativen Seite, bei dieser Diskussion werde ich den
Verdacht nicht los, dass sich die CDU/CSU und die F.D.P.
möglichst viel Ärger bei diesen Transporten wünschen.
Ich habe in diesem Hohen Haus wiederholt ausgeführt,
dass das Recht auf friedliche Demonstration besteht. Um
es aber noch einmal klar zu sagen: Wir Sozialdemokraten

lehnen jede Gewalt – sowohl gegen Personen als auch ge-
gen Sachen – ab. Nehmen Sie das doch bitte zur Kennt-
nis.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Für mich kann es nur friedliche Demonstrationen gegen
die Kernenergie geben.

Die Demonstrationen machen aber auch klar, dass die
Nutzung der Kernenergie in weiten Teilen der Bevölke-
rung abgelehnt wird. Die Demonstranten befinden sich
nur am falschen Ort. Richtiger wäre es, vor die Konzerne
der EVUs zu ziehen und dort lauthals dagegen zu protes-
tieren, dass der Energiekonsens noch immer nicht unter-
schrieben ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Heidi Lippmann [PDS]: Oder hier im Haus, denn hier werden die politischen Entscheidungen getroffen!)


Die Mehrheit der Bevölkerung will den Ausstieg aus der
Kernenergie im Konsens. Die rot-grüne Koalition will
diesen Ausstieg bewerkstelligen.

Eine Minderheit will den sofortigen Ausstieg aus der
Kernenergie. Auch bei einem sofortigen Ausstieg aus der
Kernenergie könnten diese Castortransporte nicht verhin-
dert werden.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau so ist es!)


Verträge verlangen die Rücknahme des Atommülls aus
der Wiederaufbereitungsanlage. Wir können unseren
Dreck nicht einfach in Frankreich abladen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind verpflichtet, den verglasten Atommüll zurückzu-
nehmen. Es ist also nicht der erste und wird leider auch
nicht der letzte Castortransport bleiben. Wie schreibt
Joachim Wille in einem Artikel der „Frankfurter Rund-
schau“ vom 28. März dieses Jahres so richtig:




Vizepräsidentin Petra Bläss
15714


(C)



(D)



(A)



(B)


Dr. Antje Vollmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)

PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss

Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Ulla Jelpke

Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier

Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Ver-
sammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Behrendt, Wolfgang Schloten, Dieter Zierer, Benno

SPD SPD CDU/CSU

Denn keine Bundesregierung, nicht einmal eine pur
grüne, die mit gewendeten Energiekonzernen einen
Sofort-Atomausstieg ausgedealt hätte, könnte auf die
Rücktransporte aus La Hague verzichten.

Die Franzosen haben ein Recht auf diese Rücknahme.
Die Betreiber wiederum haben ein Recht auf die Trans-

portgenehmigung. Das Bundesministerium für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit hat umfangreiche Auf-
lagen erlassen. Diese Auflagen mussten erfüllt werden.
Unter anderem haben die Gutachter sowohl des Öko-In-
stitutes Darmstadt als auch der Gesellschaft für Anlagen-
und Reaktorsicherheit diese Bedingungen überprüft.
Nachdem die Auflagen erfüllt sind, muss das Bundesamt
für Strahlenschutz die Castortransporte genehmigen. Es
besteht ein Rechtsanspruch.


(Walter Hirche [F.D.P.]: So ist es!)

Die Auflagen garantieren, dass es zu keiner gesund-

heitlichen Gefährdung kommt. Das halte ich für sehr
wichtig.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das war immer so!)

Die Gesundheit geht vor – bei den Beschäftigten, die mit
den Castoren hantieren, bei den begleitenden Polizisten
und Polizistinnen, den Demonstranten sowie den Bewoh-
nerinnen und Bewohnern des Wendlandes.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Diese Prüfung ist mit jeder Genehmigung verbunden!)


Die rot-grüne Koalition will durch den Konsens unter
anderem erreichen: Erstens. Die Zahl der Castortrans-
porte wird minimiert. Zweitens. Die Atommüllmenge
wird damit absehbar und kalkulierbar. Drittens. Das
Atommüllproblem wird zeitlich begrenzt.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416106300
Nächster Redner für
die F.D.P.-Fraktion ist der Kollege Walter Hirche.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1416106400
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Jeder in Deutschland konnte wissen
– und wusste es auch –, dass Castortransporte für die
Rückführung des Atommülls aus Frankreich notwendig
sind.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!)

In jedem Fall, in der Vergangenheit wie auch jetzt, lagen
rechtlich einwandfreie Genehmigungen vor.

Ich bin deswegen Bundesinnenminister Schily dank-
bar, dass er ganz klar gesagt hat: Es ist Rechtsbruch, wenn
mit Blockaden versucht wird, die Transporte zu verhin-
dern. Gewalttätige Aktionen von Kriminellen müssen ent-
sprechend strafrechtlich geahndet werden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Dem kann man nur zustimmen! – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Und zivilrechtlich!)


Diese gewalttätigen Aktionen waren keine Heldenta-
ten, sondern sind zum Teil leider professionelle Krimina-
lität und beschädigen all diejenigen, die aus Idealismus
demonstriert und nicht blockiert haben.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der SPD)


Die Untertunnelung von Straßen oder – wozu sogar Kol-
leginnen und Kollegen vor einem Jahr aufgerufen haben –
die Zerstörung von Schienen ist kriminelles Unrecht und
das muss dieses Parlament auch in aller Deutlichkeit sa-
gen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Wer sich auf edle Motive beruft und glaubt, damit jede
Handlung rechtfertigen zu können, führt ins Faustrecht
des Mittelalters zurück. Das können wir nicht zulassen.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Das ist zwar richtig, aber im Mittelalter gab es kein Faustrecht!)


In unserer Demokratie gibt es kein Recht, so genannten
Widerstand gegen legale Entscheidungen zu leisten. Die
Einschätzung der Polizei, dass die Beteiligung der Grünen
vor Ort die Situation verschärft habe, statt sie zu entspan-
nen, teile ich in vollem Umfang. Die Begründung, die
heutigen Transporte seien gerechtfertigt, weil man einen
Kompromiss mit der Atomwirtschaft erreicht habe, erin-
nert mich fatal an einen Falschparker, der sagt, er werde
im nächsten Jahr sein Auto abmelden und dürfe deswegen
heute kein Bußgeld auferlegt bekommen.


(Horst Kubatschka [SPD]: Ein sehr schlechter Vergleich, Herr Kollege!)


Diese subjektive Interpretation ist gefährlicher Unsinn,
der in den Köpfen der Demonstranten nachwirkt. Bezie-
hungsreich hat eine Demonstration den Titel „Die Saat
geht auf“ gehabt. Hier geht die Saat von Begriffsverwir-
rung und subjektiver Interpretation des Rechts auf: die
Früchte dessen, was insbesondere die Grünen gesät haben
und zum Teil heute noch vertreten. Wenn nämlich nur des-
wegen, weil die Grünen an der Regierung sind, die Trans-
porte rechtens sind, dann sind offenbar die Demonstran-
ten zu blöd, um zu begreifen, dass es einen Unterschied zu
früher gibt. Die Argumentation, die Blockaden würden
sich nicht gegen die Transporte, sondern gegen ein End-
lager oder die Kernenergie an sich richten, ist hane-
büchen. Sollen wir in diesem Zusammenhang eigentlich
alle für dumm verkauft werden?


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es ist schlimm, was inzwischen in den Köpfen von Ju-

gendlichen angerichtet wird. In einem Zeitungsartikel mit
der Überschrift „Schüler als Widerständler“


(Beifall bei der PDS)

wird geschildert, dass Jugendliche im Alter von 11, 13
und 15 Jahren von Lehrern und von Eltern dazu ermun-
tert werden, am Widerstand gegen diese Transporte




Horst Kubatschka

15715


(C)



(D)



(A)



(B)


teilzunehmen. Das ist aus meiner Sicht eine Verhetzung
von Jugendlichen und keine verantwortungsvolle Erzie-
hung.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Unverantwortlich!)


Das sage ich auch zu dem Diakon, der die Jugendlichen
begleitet und gesagt hat, sie wollten ein Rollenspiel üben:
hier die Demonstranten, dort die Polizei. Bei einer sol-
chen Argumentation wird vergessen, dass es – Herr
Kubatschka hat darauf hingewiesen – hier um genehmigte
und geprüfte Transporte geht, die unser Staat legal orga-
nisiert hat.

Diese Jugendlichen werden letzten Endes gegen die
Demokratie und unseren Rechtsstaat aufgehetzt. Das dür-
fen wir uns nicht bieten lassen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Widerspruch bei der PDS)


Es ist die Saat eines Denkens aus den 70er-Jahren,

(Horst Kubatschka [SPD]: Von Ihnen!)


das zum Inhalt hatte, selbst zu definieren, ob man sich an
das Recht hält oder nicht. Solange Sie, Herr Trittin – das
ist das Problem –, nicht an der Regierung waren, waren
Sie gegen die Transporte und fast alles war erlaubt. Jetzt
sind Sie an der Regierung und jetzt ist alles ganz anders.
Sie instrumentalisieren das Recht, je nachdem, ob Sie da-
von Nutzen haben oder nicht. Dagegen müssen sich die-
ses Parlament und diese Demokratie wehren.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Was soll denn eigentlich die Polizei von dieser Bun-

desregierung halten? Der Innenminister stellt sich hinter
sie und der Umweltminister reklamiert – auch für die Zu-
kunft, trotz der Beschlüsse und Vereinbarungen der Bun-
desregierung – ein Recht auf so genannten zivilen Unge-
horsam. In der eben zu Ende gegangenen Debatte habe ich
dieses Argument gegen den Umweltminister vermisst.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das haben wir uns auch gefragt!)


Sie können noch zehnmal die Entlassung von Herrn
Trittin ablehnen; aber wenn das Demokratieverständnis
eines Ministers dieser Regierung auch für die Zukunft zi-
vilen Ungehorsam gegen legale Akte dieses Staates um-
fasst, dann ist dies ein Bruch seines Eides auf die Verfas-
sung. Das werden wir nicht hinnehmen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben keine Ahnung!)


Das ist eine Unterminierung der Rechtsgrundsätze.
Meine Damen und Herren, es ist notwendig, gegen die

Gewalttäter vorzugehen – das begrüße ich an den Äuße-
rungen des Bundesinnenministers – und Schadenersatz zu
verlangen, wo Schäden entstanden sind. Als Parlament
dürfen wir nicht zulassen, dass einzelne Kollegen in die-
sem Hause das Rechtsbewusstsein verdrehen und die

Fundamente der Demokratie zerstören. Auch in diesem
Zusammenhang gilt: Wehret den Anfängen!


(Horst Kubatschka [SPD]: Das ist peinlich!)

Das feixende Begrüßen solcher Gewaltakte dürfen wir
nicht hinnehmen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Horst Kubatschka [SPD]: Meine Güte, sind das wieder große Worte! Das sind Liberale, da läuft es einem kalt über den Rücken! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der neue Liberalismus nimmt immer groteskere Züge an!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416106500
Für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Michaele Hustedt.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416106600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, es gab
gewalttätige Demonstranten.


(Abgeordnete der Fraktion der PDS erheben sich und zeigen sich in einem gelben T-Shirt mit der Aufschrift „Stoppt Castor“)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416106700
Einen Moment!
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS-Frak-

tion, Sie wissen, dass es grundsätzlich untersagt ist, in den
Räumen und im Plenum des Deutschen Bundestages Ak-
tionen – auch mittels Verkleidungen – durchzuführen. Ich
fordere Sie hiermit auf, diese Aktion zu unterlassen, das
heißt dazu, Ihre Jacken unverzüglich wieder anzuziehen.
Ansonsten muss ich Sie des Saales verweisen.

Ich bitte jetzt um entsprechende Aufmerksamkeit für
die Kollegin Hustedt.


(Zurufe von der CDU/CSU: Nein!)

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen der PDS, von

der Aktion Abstand zu nehmen.

(Heidi Lippmann [PDS]: Wir stellen uns trotz dem quer!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da Sie meiner ersten

Aufforderung nicht Folge geleistet haben, bitte ich dieje-
nigen Kolleginnen und Kollegen, die nicht bereit sind,
ihre Jacken wieder überzuziehen, den Saal zu verlassen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Kinderkarneval! Das ist ja lustig!)


Jetzt spricht Kollegin Michaele Hustedt.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416106800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese
T-Shirts sind doch wunderschön gelb. Mir gefallen sie
ganz gut.




Walter Hirche
15716


(C)



(D)



(A)



(B)


Ja, es gab gewalttätige Demonstranten. Es gab 26 ver-
letzte Polizisten, zwei davon schwer. Ich sage ganz klar:
Das ist absolut inakzeptabel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Gewalt gegen Sachen und natürlich Gewalt gegen Men-
schen – das schadet unserer Demokratie, das schadet auch
dem Anliegen der Demonstranten vor Ort.


(Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es ist aus meiner Sicht völlig unakzeptabel, so etwas gut-
zuheißen.

Aber ich sage auch, und zwar an die Adresse der Op-
position: Schütten Sie nicht das Kind mit dem Bade aus.
Es gab dort sehr viele Menschen, die friedlich demons-
triert haben.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist unbestritten!)

Das in Deutschland bestehende Recht auf Demonstra-
tionsfreiheit ist ein hohes Gut. Ich war gerade in der
Ukraine und in Russland. Wenn ich auch in einigen Punk-
ten nicht einverstanden bin, mit welchen Losungen de-
monstriert worden ist – zum Beispiel „Konsens ist Non-
sens“; deswegen war ich bei dieser Demonstration ja auch
nicht dabei –, sage ich Ihnen dennoch: Es ist gut und nicht
schlecht für eine Demokratie, wenn sich Bürger so enga-
gieren und sich bei Nacht und Nebel für eine Sache ein-
setzen. Deswegen ist diese Demonstration auch ein
Grund, in diesem Zusammenhang stolz auf die deutsche
Demokratie zu sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde Ihre Argumentation in hohem Maße schein-

heilig. Sie messen hier mit zweierlei Maß. Wenn Lastwa-
genfahrer Straßen blockieren, um gegen die Ökosteuer zu
demonstrieren, dann laufen Sie dort herum; schulterklop-
fend verteilen Sie Ihre Aufkleber und loben die Lastwa-
genfahrer für ihre Aktion des friedlichen zivilen Unge-
horsams.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! – Dr. Peter Paziorek [CDU/ CSU]: Wen meinen Sie?)


– Das gab es selbstverständlich.
Friedliche Sitzblockaden – dazu gibt es Gerichtsur-

teile – sind rechtens und gehören zum Recht auf Demons-
tration. Gewalt gegen Personen, Gewalt gegen Sachen
sind selbstverständlich abzulehnen.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Ziviler Ungehorsam ist doch etwas anderes als eine friedliche Demonstration! – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Jetzt geht dieser Eiertanz wieder los! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Ich bin auch stolz darauf, dass wir inzwischen einen
Atomkonsens gefunden haben.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das sagen Sie ruhig noch einmal!)


Der Atomkonsens ist der Versuch von unserer Seite, die
tiefen Gräben, die Sie mit Ihrer Pro-Atom-Politik in die-
ser Gesellschaft aufgerissen haben


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Sie haben die Gräben in den vergangenen Jahren doch teilweise vertieft!)


und in deren Konsequenz wir solche Demonstrationen vor
Ort haben, Schritt für Schritt wieder zuzuschütten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Selbstverständlich ist es nicht so, dass wir damit jeden
Konflikt vor Ort verhindern können, aber es ist ein Schritt
aufeinander zu von beiden Seiten. Das ist auch ein Ver-
dienst von Jürgen Trittin.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist doppelte Moral!)


Deswegen wundere ich mich manchmal – –

(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Bei Ihnen zu Hause! Hat er mir alles wiedergegeben!)


– Ja, im Gegensatz zu Ihnen. Sie sind nicht in der Lage, die
Polarisierung dieser Gesellschaft zu verhindern, sondern Sie
gießen immer noch Öl ins Feuer. Das werfe ich Ihnen vor.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Sie verbiegen das Recht nach Gesinnung!)


Wenn ich Ihre Argumentation höre, denke ich manch-
mal, das wären grüne Transporte. Nein – Herr Kubatschka
hat es schon gesagt –, das sind von der Bundesregierung
genehmigte Transporte, aber es sind natürlich Transporte
der Unternehmen, die Atomkraftwerke betreiben.

Wenn es eine politische Verantwortung für diese Trans-
porte gibt, dann liegt sie bei Ihnen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

weil Sie ein unsolides Entsorgungskonzept hatten, weil
Sie auf die Wiederaufbereitung gesetzt haben, weil Sie
sonst nicht gewusst hätten, wohin mit dem Müll.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Auch direkte Transporte würden angegriffen werden! – Walter Hirche [F.D.P.]: Alle Ministerpräsidenten, ob CDU, CSU oder SPD, sind dafür!)


Deswegen sind diese Transporte auch eine Altlast Ihrer
Regierungszeit. Es ist sehr bedauerlich, dass wir die Fol-
gen dieser Altlast wahrscheinlich noch Jahre, wenn nicht
sogar Jahrzehnte tragen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/CSU]: Das ist eine falsche Darstellung!)


Was ist jetzt zu tun? Ich möchte fünf Punkte nennen.
Erstens. Wir müssen die Atomgesetznovelle so schnell
wie möglich auf den Weg bringen.


(Zustimmung bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)





Michaele Hustedt

15717


(C)



(D)



(A)



(B)


Dazu gehört auch, dass die Stromkonzerne endlich den
Konsens unterschreiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist die entscheidende Herausforderung, die jetzt vor
uns steht.

Zweitens. Wir müssen die Debatte über die Alternative
zum Endlager Gorleben noch intensiver führen, als wir sie
begonnen haben. Wir müssen sie vor allem auch stärker
noch mit den Menschen der Region führen, damit sie wis-
sen, dass wir uns tatsächlich um eine Alternative zu Gor-
leben bemühen. Denn es ist meine persönliche Überzeu-
gung, dass Gorleben als Endlagerstandort nicht geeignet
ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das wissen Sie jetzt schon? Woher haben Sie die wissenschaftliche Erkenntnis? In der Vereinbarung steht ganz etwas anderes!)


Drittens. Wir müssen die Zahl der Transporte minimie-
ren. Wir müssen die Zwischenlager genehmigen. Da sind
auch Sie gefordert. Wer gegen Transporte ist, muss für
Zwischenlager sein.

Viertens. Wir müssen prüfen, ob wir die Wiederaufbe-
reitung nicht schneller beenden können, als bisher ange-
setzt, also vor dem Jahr 2005. Da die Wiederaufbereitung
teurer ist als die Zwischenlagerung, sehe ich dafür durch-
aus gute Chancen, wenn die Zwischenlager genehmigt
sind.

Fünftens. Wir müssen auch prüfen, ob wir, wenn die
Zwischenlager genehmigt sind, die Menge des Atom-
mülls, der noch in Frankreich liegt, unter Umständen auch
in andere Zwischenlager bringen können; denn es kann
meines Erachtens nicht sein, dass nur Gorleben, nur die
Region Niedersachsen dafür zuständig ist. Das wäre ein
Zeichen dafür, dass wir die Sorgen und Ängste der Men-
schen in dieser Region ernst nehmen; denn dort wird be-
fürchtet, dass dieses Zwischenlager eine Vorentscheidung
für ein Endlager ist.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416106900
Frau Kollegin, Sie
müssen zum Schluss kommen.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416107000

Ich komme zum Schluss.

Ich sage sehr deutlich: Das ist keine Vorentscheidung.
Nachdem die Kriterien überprüft worden sind, werden wir
die Diskussion über Alternativen zum Endlagerstandort
Gorleben wieder aufnehmen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416107100
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Heidi Lippmann.


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1416107200
Liebe Kollegin Hustedt! Lie-
ber Jürgen! Liebe Gila! Ich kann gar nicht verstehen, wie
man so viel Schizophrenie überhaupt noch aushalten
kann, wie sie gerade in dieser Rede rübergekommen ist.

Wer wie einige Kolleginnen und Kollegen der PDS-
Fraktion in den vergangenen Tagen, vom Beginn der Pro-
teste bis heute Morgen, als der Castortransport in Gorle-
ben angekommen ist, im Wendland gewesen ist, hat
gesehen, mit welcher Macht dort bis zur dieser Minute
versucht wird, friedlichen Widerstand zu kriminalisieren,


(Zustimmung bei der PDS – Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)


der hat vor Ort gesehen, wie Vermittler von Kirchen, wie
die wendländische Bevölkerung – die ja einmal aufgrund
der Wahlversprechungen, die in den vergangenen Jahren
gemacht wurden, Rot-Grün gewählt hat –,


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Die PDS beruft sich auf die Kirche! Das finde ich köstlich!)


wie Atomkraftgegner aus der ganzen Republik und da-
rüber hinaus, wie Aktivistinnen von Robin Wood und
Greenpeace, wie der Sprecher Jochen Stay von der Initia-
tive „X-tausendmal quer“ mit gewaltbereiten Autonomen,
mit sonstigen Kriminellen in einen Topf geworfen wur-
den, der hat gesehen, mit welcher Informationspolitik der
rot-grünen Bundesregierung und der Polizeiführung ver-
sucht wurde, jeglichen Protest gegen die Castortransporte
einzudämmen.


(Beifall bei der PDS)

Die PDS-Fraktion verurteilt dies zutiefst. Sie versteht

die riesige Enttäuschung, die nicht nur im Wendland vor-
handen ist, sondern weit darüber hinaus bei allen Atom-
kraftgegnern und -gegnerinnen in diesem Land. Denn
diese Enttäuschung basiert auf dem, was die Parteien der
rot-grünen Koalition im Vorfeld der Bundestagswahl
1998 versprochen haben.

Wo ist die Umsetzung der Forderung nach dem sofor-
tigen Atomausstieg geblieben? Was auf dem Tisch liegt,
ist eine Vereinbarung mit der Atomlobby, die bis heute
noch nicht einmal in Gesetzesform gebracht wurde. Was
auf dem Tisch liegt, ist die Festschreibung der Laufzeiten
der Atomkraftwerke auf 32 Jahre. Was auf dem Tisch
liegt, ist kein gesichertes Zwischen- oder Endlagerkon-
zept. Deswegen gehen die Leute in Gorleben, im Wend-
land auf die Straße, deswegen protestieren sie mit allen
möglichen gewaltfreien Mitteln. Dies haben Sie von An-
fang an zu unterbinden versucht.

Wer sich hinstellt und Plakate herausgibt, auf denen
steht: „Protest ja, Gewalt nein“, gleichzeitig aber nahezu
alle Camps verbietet und das Versammlungsrecht so mas-
siv beschneidet, dass überhaupt nicht mehr die Möglichkeit
besteht, legale Protestformen am Rande der Castortrans-
portstrecke zu wählen, der beschneidet demokratische
Grundrechte. Das ist umso schlimmer, als die Personen, die
dies ganz aktiv vor Ort tun, vor Jahren selbst einmal in der
Rolle waren.


(Beifall bei der PDS)





Michaele Hustedt
15718


(C)



(D)



(A)



(B)


Lieber Jürgen Trittin, liebe Gila Altmann, beim letzten
Castortransport vor vier Jahren haben wir gemeinsam in
der ersten Reihe gestanden, zwischen den Polizisten und
den Sitzdemonstranten. Wir haben versucht, mit der Poli-
zei zu vermitteln.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Damals in der Jugendbewegung!)


Was ich in den vergangenen Tagen immer wieder gehört
habe, und zwar nicht nur von den Demonstranten, sondern
insbesondere von vielen Polizisten und Polizistinnen, die
die verfehlte Ausstiegspolitik auszubaden haben, war:
Schicken Sie uns doch bitte einmal Herrn Trittin hierher!
Mit dem würden wir uns gern persönlich unterhalten. –
Nicht nur nach Einschätzung meiner Partei, sondern auch
nach Einschätzung vieler Menschen, die dort in den ver-
gangenen Tagen demonstriert und in verschiedener Form
agiert haben, hat die rot-grüne Bundespolitik versagt, was
den Atomausstieg angeht.

Wir fordern Sie auf: Sperren Sie nicht länger Meinun-
gen weg, sondern sorgen Sie dafür, dass Ihre Forderung
nach dem sofortigen Atomausstieg umgesetzt wird! Stop-
pen Sie umgehend die Wiederaufbereitung! Hören Sie auf
mit der Kriminalisierung von Menschen, denen Sie Ver-
sprechungen gemacht haben, die Sie nicht einhalten kön-
nen!


(Beifall bei der PDS)

Leiten Sie den Atomausstieg ein und machen Sie endlich
Schluss mit dieser Schizophrenie und dieser Verlogen-
heit! Gehen Sie ins Wendland! Stellen Sie sich den Leu-
ten und sagen Sie umgehend den nächsten, für September
geplanten Castortransport ab! Denn der Widerstand im
Wendland und darüber hinaus wird den längeren Atem ha-
ben. Der politische Preis ist viel zu hoch, als dass Sie mit
dieser Politik weitermachen können.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416107300
Für die SPD-Fraktion
spricht der Kollege Hans-Peter Kemper.


Hans-Peter Kemper (SPD):
Rede ID: ID1416107400
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Seit Jahren haben wir wieder einen
Castortransport gehabt, zum ersten Mal unter rot-grüner
Verantwortung. Es handelt sich in der Tat um einen ersten
von mehreren Castortransporten.

Bei der Energieversorgung, vor allem aber bei der Ent-
sorgung sind in der Vergangenheit immer stärker wirt-
schaftliche Fragen und Umweltschutzfragen, aber auch
Fragen der inneren Sicherheit in den Vordergrund getre-
ten. Das konnten wir vor Ort feststellen. Ich bin mit meh-
reren Innenpolitikern, nämlich mit Günter Graf, Lilo
Friedrich, Gaby Fograscher und dem Wahlkreisabge-
ordneten Arne Fuhrmann, zwei Tage dort gewesen;


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben uns gar nicht getroffen!)


wir sind gestern Abend zurückgekommen. Wir haben uns
vor Ort mit den Bürgern, den Demonstranten und den Po-
lizeibeamten unterhalten und ich will eines sagen: Ich

habe große Achtung vor mehr als 95 Prozent der Demons-
tranten,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Walter Hirche [F.D.P.])


die dort aus Verantwortung und aus Angst und Sorge vor
den Gefahren für künftige Generationen gegen unbe-
herrschbare Energie und gegen ungesicherte Entsorgung
demonstriert haben.

Es gibt bei mir in Ahaus ein großes Zwischenlager. Ich
habe die große Erleichterung mitbekommen, die sich in
der Bevölkerung breit machte, als klar wurde, dass der
zunächst für März vorgesehene Transport nicht stattfin-
den würde. Ich habe deswegen auch großes Verständnis
dafür, wie die Menschen in Gorleben empfinden, die wis-
sen, dass die Transporte auch weiterhin kommen werden.
Sie sind von der Verpflichtung der Bundesrepublik, den
Atommüll zurücknehmen zu müssen, in besonderer Weise
betroffen. Die Stadt Gorleben befand sich in einem Be-
lagerungszustand. Die Menschen waren in ihrer Bewe-
gungsfreiheit eingeschränkt, sie waren in ihrer Lebens-
qualität beeinträchtigt. Die Menschen waren enttäuscht.
Aber sie haben friedlich demonstriert. Das war ihr gutes
Recht und dabei haben wir sie unterstützt. Anders als Sie,
Herr Kollege Paziorek, es wahrgenommen haben, haben
sie dort mit großer Gelassenheit demonstriert.

Unser besonderer Dank gilt der Polizei und dem Bun-
desgrenzschutz, die in einer äußerst schwierigen Situation
Verantwortungsgefühl bewiesen und Ruhe bewahrt ha-
ben. Es war nicht einfach, unter solchen schwierigen Be-
dingungen das Deeskalationskonzept durchzuhalten. Eine
beengte räumliche Unterbringung und Dienstzeiten von
mehr als 30 Stunden stellten eine fast unhaltbare Belas-
tung dar. Auch das muss in Zukunft verbessert werden. Es
ist soeben schon angesprochen worden: Polizeibeamte
sind verletzt worden. – Aber trotz dieser Belastungen ist
das Deeskalationskonzept durchgehalten worden. Den
Polizeibeamten und den Beamten des Bundesgrenz-
schutzes gebühren unser Dank und unsere Anerkennung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Frau Lippmann, angesichts dessen, was Sie hier von sich
gegeben haben, glaube ich, dass Sie auf der falschen Ver-
anstaltung gewesen sind. Alle Beteiligten sind dort mit
großer Verantwortung vorgegangen.

Wofür wir allerdings im Gegensatz zu Ihnen kein Ver-
ständnis und keine Toleranz haben, das sind die Touris-
muschaoten, die sich dort aufgehalten haben. Mit Verlet-
zungen von Polizeibeamten, die nichts anderes als ihre
Pflicht getan haben, mit Verwüstungen und mit Brandstif-
tungen haben diese Menschen sich selbst disqualifiziert.
Mit ihnen haben wir nichts gemein. Das waren Taten von
erheblicher krimineller Energie. Diese zum Teil schweren
Straftaten müssen mit aller Härte und Konsequenz ver-
folgt werden; da bin ich mir mit unserem Innenminister
völlig einig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)





Heidi Lippmann

15719


(C)



(D)



(A)



(B)


Im Hinblick auf Gorleben war im Vorfeld des Trans-
ports – das wurde bereits angesprochen – durch alle Ins-
tanzen bis hin zum Bundesverfassungsgericht gegen die
Allgemeinverfügung der zuständigen Bezirksregierung
zum Versammlungsrecht geklagt worden. Sie war für
zulässig erklärt worden. Es ist ein Irrtum Ihrerseits, zu
glauben, solche Gerichtsentscheidungen könnten mit Ge-
walt und Chaos revidiert werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der F.D.P. und der PDS)


Noch von der alten Regierung wurden langfristige Ver-
träge abgeschlossen. Diese Verträge beinhalten die Ver-
pflichtung zur Zurücknahme vieler tausend Tonnen von
Atommüll, die ins Ausland verbracht worden sind. Dieser
Atommüll ist in der sicheren Überzeugung und Ge-
wissheit ins Ausland verbracht worden, dass wir ihn ir-
gendwann wieder zurücknehmen. Bei den jetzt stattfin-
denden Transporten handelt es sich um nichts anderes als
um die Erfüllung völkerrechtlicher Verträge und um die
Beseitigung der Altlasten. Außerdem war es immer ge-
sellschaftlicher Konsens, dass wir uns nicht zulasten Drit-
ter, also zulasten unserer ausländischen Nachbarn oder
anderer Länder, entlasten würden. Wir müssen die Pro-
bleme, die wir selbst geschaffen haben, auch selbst lösen.

Ich wundere mich ein bisschen über die CDU. Wenn
sich Frau Merkel gelegentlich zu diesem Thema äußert,
bin ich doch einigermaßen überrascht. Ich kann mich gut
daran erinnern, wie sie sich am 9. Mai 1998 auf dem
damaligen Westfalentag der Jungen Union als Atomlob-
byistin hat feiern lassen und die Atomenergie für durch-
aus vertretbar erklärt hat.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Ist ja auch richtig!)


Sie hat die Mitglieder der Jungen Union den Ahauser Ap-
pell unterschreiben lassen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das haben die selbst erarbeitet!)


Sie hat die jungen Menschen in die Irre geführt.
Wir haben den Ausstieg aus der Atomenergie und der

Wiederaufarbeitung beschlossen und wir werden den
Ausstieg aus einer ungesicherten Technik mit nicht ab-
schätzbarem Gefahrenpotenzial durchsetzen, auch wenn
es länger dauert, als der eine oder andere sich das ge-
wünscht hat.

Wir werden mit den Polizeibeamten genauso wie mit
den Bürgern, die vor Ort friedlich demonstrieren, weiter-
hin im Gespräch bleiben. Die Polizeibeamten müssen
wissen – dies wissen sie auch –, dass sie sich auf diese
Bundesregierung und auf die rot-grüne Koalition verlas-
sen können. Sie wissen, dass sie nicht für ungelöste poli-
tische Probleme einstehen müssen. Sie können sich darauf
verlassen, dass wir ihnen den Rücken stärken und sie in
dieser Problemsituation nicht alleine lassen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heidi Lippmann [PDS]: Das nächste Mal werden Sie 50 000 Polizisten einsetzen lassen!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416107500
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Hans-Otto Wilhelm.


Hans-Otto Wilhelm (CDU):
Rede ID: ID1416107600
Frau Prä-
sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr
Kubatschka, wir haben überhaupt keine Probleme, zu ak-
zeptieren, dass dies kein rot-grüner Castortransport ist. Es
ist unser aller Castortransport.

Nur, wir hätten uns 1997 ein ähnliches Maß an Ver-
ständnis erwartet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Damals wurde aus diesem Castortransport ein Merkel-
Transport gemacht und damals hatte Ihre unselige Frakti-
onsvorsitzende Frau Müller behauptet, wir würden eine
Legende über Chaoten erfinden, um unser Süppchen zu
kochen. Sie hatte sogar behauptet, dass mit einem solchen
Polizeieinsatz und Kosten von 110 Millionen DM die
Grenzen des demokratischen Rechtsstaates längst über-
schritten seien. Herr Innenminister, die Kosten für den
Einsatz der Polizei waren jetzt genauso hoch. Haben wir
heute die Grenzen des demokratischen Rechtsstaats über-
schritten? Gilt das Argument von 1997 heute auch noch
oder sind die Bedingungen deswegen anders, weil wir
eine andere Regierung haben – obwohl es unser aller
Castortransport ist?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich bin sehr einverstanden mit Ihrer Interpretation zur

Gewalt. Nur, in dieser Eindeutigkeit wie bei Ihnen, Frau
Kollegin Hustedt, habe ich es von vielen Ihrer Kollegen
bisher nicht gehört.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht in unserem Gründungskonsens!)


Gerade das war doch die Idee des so genannten gerechten
Widerstandes aus Ihren Reihen: Weil wir moralischer sind
als der Rest der Welt, ist das Überschreiten des legalen
Rahmens gerechtfertigt. Hinter dieser Überhöhung haben
Sie doch Ihre Unterstützung für viele, auch für Gewalttä-
ter, verdeckt. Dieser Schuld müssen Sie sich stellen. Sie
haben Verantwortung übernommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie haben aus der Sorge der Leute dort Angst gemacht. Sie
haben Angst geschürt.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die brauchen wir nicht zu schüren!)


Sie bekommen diesen Geist heute nicht mehr in die Fla-
sche zurück.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können selber denken! Wir sind erwachsene Leute!)


Jetzt könnte man ja meinen, dass die Grünen – „Regie-
rungspolitik macht vernünftig“ – einsichtig geworden




Hans-Peter Kemper
15720


(C)



(D)



(A)



(B)


seien. Wenn ich also höre, dass wir den Dreck zurückneh-
men müssen, dann muss ich sagen: Das ist eine Selbst-
verständlichkeit, die 1997 genauso galt. Wir müssen völ-
kerrechtliche Verträge einhalten. Das ist eine ganz neue
Erkenntnis dieser Regierung.


(Zuruf von der SPD: Wir halten die Verträge ein!)


– Ja, das ist mir völlig klar. Ich habe Ihre subtile Unter-
scheidung, warum Sie darüber diskutieren, wohl gelesen.
Es ist eine subtile Unterscheidung, die allenfalls den
schwachen Zusammenhalt der Fraktion von Bündnis 90/
Die Grünen gewährleistet, sonst aber überhaupt nichts.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Atomkraftgegner verkennen die Realität, sagt ein

leibhaftiger Staatssekretär. Auf den Bänken der Regie-
rung sitzen doch die früheren Atomkraftwerkgegner. Sie
alle – Trittin und wie sie sonst noch heißen – haben wohl
früher die Realität falsch eingeschätzt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das haben sie auch!)


Er formuliert heute, dass die Voraussetzungen für den
Transport gegeben seien; deshalb gebe es überhaupt kei-
nen Anlass zu Demonstrationen. „Nur, weil jemand sei-
nen Hintern auf die Straße setzt, finden wir das noch lange
nicht richtig“ – Originalton Trittin. Sie selbst haben doch
noch 1997 mit Ihrem Hintern im Gras gesessen. Heute
sitzt er im Fond eines Dienstwagens; die Welt lässt sich
besser durch die getönten Scheiben eines Autos betrach-
ten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn das wenigstens die einheitliche Meinung der

Grünen wäre! Nein, man arbeitet arbeitsteilig. Rebecca
Harms, Niedersachsen, sagt, Blockaden seien so etwas
wie ein letztes Mittel des Menschen; Straftatbestände
seien ein letztes Mittel des Menschen. Die unselige Frak-
tionsvorsitzende der Grünen, Frau Müller, sagt: Öffentli-
cher Druck ist nötig. Herr Innenminister, das sind doch
Koalitionspartner von Ihnen. Welchen öffentlichen Druck
meinen Sie: den Druck auf Sie, auf die Regierung, auf
Demonstranten oder auf wen sonst? Ich erwarte eine Ant-
wort des Innenministers, was unter diesem öffentlichen
Druck zu verstehen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Parteivorsitzende fährt mit dem Trecker durch das
Wendland. Das sind doch Bilder, die die Demonstranten
irritieren – und die kriegen dann später das Kommen ver-
boten.

Diese Fragen müssen die in sich total zerstrittenen Grü-
nen lösen. Da hilft auch ein Herr Ströbele nicht,


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Der hilft nie!)


der Angeketteten, die nur einen Arm frei hatten – welch
eine kabarettistische Situation! –, seine Visitenkarte über-
reicht hat. Das ist ein bemerkenswerter Beitrag zur deut-
schen Atompolitik, den er mit dem Hinweis verband, das

Zeug müsse ja irgendwo hin, aber nicht ins Wendland; er
wisse auch nicht so genau, wohin. Und solchen Leuten
soll man die Zukunft unseres Landes anvertrauen?


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn ich dann noch lese, dass in den Koalitionsver-

handlungen in Nordrhein-Westfalen die dortigen Grünen
das Polizeieinsatzkonzept ändern wollten, unter anderem
mit dem Hinweis, dass die Polizisten keine Helme mehr
aufziehen und die Schilde weglegen sollten, dann muss
ich feststellen: Das ist doch eine Aufforderung an gewalt-
tätige Demonstranten, gegen unsere Polizei und deren
körperliche Unversehrtheit vorzugehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und F.D.P.)

Diese Leute stellen sich nun hier hin und werden mit der
Schizophrenie ihrer früheren Ablehnung und dem Druck,
heute zustimmen zu müssen, weil sie in der Regierung
bleiben wollen, nicht fertig. Dies wird auf dem Rücken
der Bevölkerung, insbesondere der Demonstranten aus-
getragen.

Ihr Parteivorsitzender hat im „Stern“-Interview, das
heute schon zitiert wurde, gesagt: Wir schaffen es noch zu
wenig, in einer ganz einfachen Botschaft klarzumachen,
wofür wir stehen. – Recht hat er.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416107700
Herr Kollege
Wilhelm, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.


Hans-Otto Wilhelm (CDU):
Rede ID: ID1416107800
Er soll nur
sagen: Wir stehen zu unserer Polizei und verurteilen das
Handeln der Chaoten. Oder: Wir stehen ohne Wenn und
Aber zu unserem Rechtsstaat. – Das wäre doch etwas.
Oder: Wir sind gegen jede Form von Gewalt an Personen
und Sachen, egal unter welchem überhöhten Deckmantel
sie sich versteckt. Dann werden Sie aus dem von ihm be-
schriebenen Tunnel herauskommen. Ich glaube, Sie blei-
ben drin. Deutschland würde es nicht schaden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416107900
Es spricht jetzt der
Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit, Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Lassen Sie mich an diesem Tag zum
einen – Frau Lippmann, Sie verstehen, dass ich Ihre An-
sicht nicht teile – meinen Respekt gegenüber der über-
großen Mehrheit derjenigen ausdrücken, die friedlich und
gewaltfrei demonstriert haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Lassen Sie mich zum anderen meinen Dank für ein auf
Deeskalation gerichtetes Einsatzkonzept der Polizei
aussprechen, das den einzelnen Polizeibeamtinnen und
Polizeibeamten erhebliche psychische und physische




Hans-Otto Wilhelm (Mainz)


15721


(C)



(D)



(A)



(B)


Leistungen und viel Zeit abverlangt hat. Ich möchte mich
auch für all die Überstunden bedanken und die Umsicht,
mit der dort vorgegangen worden ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: 25 Verletzte und zwei Schwerverletzte! Sagen Sie dazu einmal etwas!)


– Ich glaube, wir sind uns in diesem Hause einig, dass jede
Form von Gewalt und Verletzung von anderen strikt ab-
zulehnen ist und dies durch das Recht auf De-
monstrationsfreiheit nicht gedeckt ist.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei der SPD und bei Abgeordneten der PDS – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Sehr gut! Das hätten Sie vorher sagen sollen!)


Weil wir uns hierin einig sind, lassen Sie mich noch
eine weitere Bemerkung zu dem machen, was Sie ange-
sprochen haben, Herr Hirche. Wir tun uns allen keinen
Gefallen, wenn wir insinuieren, dass ziviler Ungehorsam
gleich Rechtsbruch und Rechtsbruch gleich Gewalt ist.
Wir tun uns allen einen Gefallen, wenn wir uns diesem
Problem so nähern, wie es angemessen ist. Selbst-
verständlich verstehen viele Menschen unter zivilem Un-
gehorsam das Recht, auf der Straße zu sein. Dies bedeu-
tet nicht automatisch Rechtsbruch.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Sie jonglieren mit Worten! Das ist das Entscheidende!)


– Nein, ich komme gleich zu dem Punkt, an dem Sie mir
wieder zustimmen werden.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Hetzer!)

– Sie haben mich als „Hetzer“ bezeichnet, Herr Kollege.
Ich möchte um eine Versachlichung dieser Debatte bitten.

Diejenigen, die durch ihre Aktion auf den Gleisen dazu
beigetragen haben, dass die Castorbehälter einen Tag spä-
ter als geplant angekommen sind, haben für sich in An-
spruch genommen, sie seien nicht gewalttätig. Es ist aber
völlig eindeutig, – das habe ich übrigens gestern im Fern-
sehen gesagt; vielleicht haben Sie es gehört oder es in ei-
ner Meldung der Agentur gelesen –, dass sich diese Men-
schen rechtswidrig verhalten und Rechtsbruch begangen
haben; das wissen sie auch.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Dazu haben Sie sie früher sogar aufgefordert!)


Daran kann es keinen Zweifel geben.
Ich möchte in dieser Debatte angesichts dieser Aktion

noch eine weitere Anmerkung machen, die mich persön-
lich sehr umgetrieben hat.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Die Geister, die ich rief, sind nun da!)


Natürlich kann sich jemand als Erwachsener in Gefahr
bringen. Aber ich muss ernsthaft die Frage aufwerfen – sie
ist auch an Robin Wood gerichtet –, ob es bei solchen Ak-
tionen mit der Fürsorgepflicht zu vereinbaren ist, wenn

16-Jährige in eine Situation gebracht werden, in der ihre
körperliche Unversehrtheit davon abhängt, dass die Poli-
zei schnell und umsichtig den Beton entfernt. Ich formu-
liere das bewusst als Frage. Ich halte ein solches Vorge-
hen nicht für besonders klug.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich will einige Bemerkungen zu der Tatsache machen,
dass Frau Lippmann und andere den Transport zum An-
lass genommen haben, um – wie sie sich ausgedrückt ha-
ben – gegen den Atomkonsens zu demonstrieren.


(Heidi Lippmann [PDS]: Für einen sofortigen Ausstieg, nicht gegen den Konsens!)


In diesem Zusammenhang möchte ich zu einer gewissen
Nachdenklichkeit raten.

Stellen Sie sich einmal vor, es gäbe diesen Konsens
nicht! Würde es diesen Rücktransport dann nicht geben?
Nein, es würde ihn auch dann geben, denn die Notwen-
digkeit, den Abfall von 5 200 Tonnen Schwermetall zu-
rückzunehmen, existiert unabhängig vom Konsens.

Was wäre, wenn wir keinen Konsens hätten?

(Heidi Lippmann [PDS]: Wo gibt es ein ge sichertes Endlagerkonzept?)

Dann hätten wir nicht nur den Transport von 120 Castor-
behältern zu bewältigen, sondern müssten möglicher-
weise 200, 250 oder 300 Behälter nach Gorleben trans-
portieren, weil es hinsichtlich der Wiederaufarbeitung
keine Begrenzung gäbe. Die Wirkung, die eine solche
Notwendigkeit in Gorleben hervorrufen würde, kann man
sich gut vorstellen.

Damit nicht genug: Wenn wir keinen Konsens hätten,
müssten wir weiterhin auf ein Konzept dezentraler Zwi-
schenlagerung verzichten. Wir müssten dann weiterhin
Atommüll auch aus deutschen Atomkraftwerken, nämlich
aus den Kraftwerken, die nicht an der Wiederaufarbeitung
teilnehmen, nach Gorleben und Ahaus bringen.


(Heidi Lippmann [PDS]: Wenn wir sie alle abschaffen würden, wäre es viel weniger!)


Es gäbe also mehr Transporte.
Wenn wir keinen Konsens hätten, hätten wir weiterhin

unbefristete Betriebserlaubnisse und damit wäre weiter-
hin unbegrenzt Atommüll nach Gorleben oder anderswo-
hin zu verbringen.

Letzte Bemerkung zu dem konkreten Fall Gorleben:
Wenn wir keinen Konsens hätten, wenn wir keine Verein-
barung über einen Ausstieg mit den Unternehmen hätten,
dann würde in Gorleben weiter unter dem Fähnchen einer
vorgeblichen Erkundung der Bau eines Endlagers voran-
getrieben.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Was soll das denn mit der „vorgeblichen Erkundung“? Es war eine Erkundung!)


– Herr Hirche, ich verstehe Sie nicht, wenn Sie so un-
deutlich dazwischenrufen.




Bundesminister Jürgen Trittin
15722


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich kann verstehen, dass Menschen sagen: Ich möchte
nicht, dass Atommüll zu mir gebracht wird. Das ist ein le-
gitimes Interesse, denn niemand hat gerne Atommüll in
seiner Umgebung. Es ist aber nicht akzeptabel, wenn
nicht beachtet wird, dass wir ohne den Konsens keine Ver-
minderung der Zahl der Castortransporte, keine Begren-
zung der Laufzeiten und keine Beendigung des Baues des
Endlagers, die nicht fachlich, sondern rein politisch be-
gründet worden ist, erreicht hätten.


(Heidi Lippmann [PDS]: Es wird weiterhin täglich Atommüll produziert, ohne ein Endlagerkonzept zu haben! Das ist Realität!)


Es ist interessant, dass von rechts und links gleichzeitig
gegen den Konsens agiert wird. Es scheint, dass an ihm et-
was Richtiges ist. Wenn Frau Lippmann und Herr Hirche
einer Meinung sind, glaube ich, auf dem richtigen Weg zu
sein.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Walter Hirche [F.D.P.]: Überhaupt nicht! – Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/CSU]: Trittinsche Logik ist nicht immer logisch! – Heidi Lippmann [PDS]: Jürgen, deine Schizophrenie möchte ich nicht haben!)


Das ist eine Instinktfrage.
Wir haben die Rahmenbedingungen für die Rück-

nahme des Mülls entscheidend verbessert. Deswegen ist
es auch nicht möglich, anlässlich dieses Transportes über
Rückverhandlungen oder über die Aufgabe dieses Kon-
senses zu reden. Es muss das Ziel sein, diesen Konsens
gerade im Interesse der Bevölkerung in Gorleben Wirk-
lichkeit werden zu lassen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann das aufgreifen, was Michaele Hustedt gesagt
hat: Es ist auch im Interesse der Industrie, dass nicht wei-
ter der Eindruck entsteht, sie würde einen Konsens nicht
wollen, an den sie sich – untermauert durch viele Bei-
spiele – faktisch hält. Es ist an der Zeit, dass wir die An-
gelegenheit in diesem Jahr rechtssicher unter Dach und
Fach bringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416108000
Herr Kollege Gehb,
bevor ich Ihnen das Wort erteile, weise ich den Ausdruck
„Hetzer“ im Zusammenhang mit der Rede des Bundesmi-
nisters Trittin ausdrücklich zurück. Sie wissen, dass es
dem Stil dieses Hauses nicht entspricht, diesbezügliche
Begriffe auf Personen zu münzen.

Ich erteile jetzt dem Kollegen Dr. Jürgen Gehb das
Wort für die CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Jürgen Gehb (CDU):
Rede ID: ID1416108100
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Offenbar unter dem Eindruck
der soeben gewährten Bewährungszeit hat der Umwelt-

minister Trittin in gelassener Art und mit leisen Tönen
hier gesprochen. Das war nicht immer so.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Richtig!)

Seine Rede am 15. November letzten Jahres hat er nach
dem Zitat von F. K. Waechter begonnen: „Die größten
Kritiker der Elche waren früher selber welche.“ Das war
auf meinen Kollegen Kurt-Dieter Grill gemünzt. Das ist
natürlich eine super Selbstcharakterisierung; denn Sie,
Herr Trittin, waren Mitte der 90er-Jahre der Leitelch bei
den Demonstrationen gegen die Castortransporte.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben vorhin Ihre Kolleginnen mit Heidi, Michaele
und Thea angesprochen. Sie stehen offensichtlich auch
mit den Chaoten auf Du und Du.

Eines muss man richtig stellen: Herr Kubatschka, Sie
haben vorhin die Verantwortung der Bundesregierung für
die rot-grünen Castortransporte angesprochen. So lautet
nicht das Thema.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Man muss es genauer formulieren. Es geht um die Ver-
antwortung der Bundesregierung für die Begleitumstände
der Castortransporte, die eben geschildert worden sind.
Bei den Transporten herrschen bürgerkriegsähnliche Zu-
stände, die mitnichten mit den Zuständen zu vergleichen
sind, die herrschten, als die Transportunternehmer mit
ihren LKWs vor dem Reichstag vorgefahren sind.


(Arne Fuhrmann [SPD]: Nun hören Sie aber auf! Das ist ungeheuerlich, was Sie da machen! Waren Sie schon einmal im Wendland? Wissen Sie, wo das liegt? Auch wenn Sie schreien, ist das alles Mist! Es ist unglaublich, was sich dieser Mensch leistet!)


Ich möchte diese Leute nicht über einen Kamm scheren mit
denen, die friedlich das grundrechtlich verbürgte Recht auf
Demonstration in Anspruch genommen haben. Das tun wir
nicht. Aber man muss den „Fremdenlegionären“, die für die
verheerenden Zustände rund um die Castortransporte ver-
antwortlich sind, die Spitze nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nun komme ich auf das Thema Verantwortung zu spre-

chen. Außer Teilnahme und Täterschaft gibt es auch eine
mentale Anstiftung. Wenn Herr Trittin am 15. November
hier im Plenum behauptet, die CDU/CSU und die F.D.P.
hätten jahrelang den Atommüll ins Ausland verschoben
und dies widerspreche dem geltenden Atomrecht, dann
versucht er, eine rechtmäßige Handlung zu inkriminieren,
also damit den Eindruck zu erwecken, als handele es sich
um einen kriminellen Akt und um Unrecht. Man muss
wissen, dass man so latent gewaltbereiten Demonstranten
sozusagen den letzten Kick gibt und dass man so die
Lunte ansteckt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Hans-Peter Kemper [SPD]: Das machen Sie!)


Kaprizieren Sie sich nicht so darauf, dass das aus-
schließlich völkerrechtliche Pflicht sei! Dass Sie, Herr




Bundesminister Jürgen Trittin

15723


(C)



(D)



(A)



(B)


Trittin, rechtsunkundig sind, haben Sie ja bereits wieder-
holt unter Beweis gestellt. Aber bedenken Sie, dass Sie
noch immer Mitglied der Bundesregierung sind, die am
25. Januar in ihrer Antwort auf die Große Anfrage meiner
Kollegen – Drucksache 14/5162, Seite 15 – auf die Frage,
ob die Bundesregierung die Auffassung teile, dass die
Wiederaufarbeitung und die Transporte rechtmäßig seien,
mit Ja geantwortet hat. Herr Trittin, dass Sie das Recht
nicht kennen, sehe ich Ihnen noch nach. Aber dass Sie
nicht einmal die Auffassung des Kabinetts kennen, ver-
stehe ich nun wirklich nicht. Entweder sind Sie ein Di-
lettant oder Sie gehen mit der Wahrheit taktisch um.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich nicht verstanden! Wo ist denn da der Widerspruch?)


– Herr Ströbele, wenn Sie den Widerspruch nicht verstan-
den haben, sollten Sie überlegen, woran das liegt. Der Wi-
derspruch liegt darin, dass man natürlich die Gewaltbe-
reitschaft schürt, wenn man rechtmäßige Akte der
Regierung pausenlos als unrechtmäßig stigmatisiert.
Auch Sie, Frau Roth, sollten gut zuhören; denn auch Sie
gehören zu denjenigen, die davon sprechen, dass das nicht
nur illegitim, sondern illegal gewesen sei. Ich sage Ihnen:
Das war immer legal. Das ist im Moment legal und das
bleibt übrigens auch nach Ihrer eigenen Atomgesetz-
novelle, die ich gut kenne, ebenfalls legal. Wo liegt also
das Problem?


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Brüllen Sie hier nicht so rum!)


Ich kann nur eines sagen: Wer den Boden für solche
Protestaktionen, wie sie im Moment stattfinden, bereitet
und sich hinterher davon distanzieren möchte, der stellt
sich seiner Verantwortung nicht. Wissen Sie, Herr Trittin,
wenn die Romanfiguren Dr. Jekyll und Mr. Hyde noch
nicht geboren wären, dann wären Sie einer der besten Vor-
bilder für deren Erfindung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416108200
Jetzt spricht der Kol-
lege Arne Fuhrmann für die SPD-Fraktion.


Arne Fuhrmann (SPD):
Rede ID: ID1416108300
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Sie haben jetzt gerade einen An-
schauungsunterricht darüber erteilt bekommen, wie man
Aggression und Gewalt auch auf verbale Art und Weise
erzeugen kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Besser hier als woanders!)


Das war klassisch.

(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Das ist eine Unverschämtheit! Er hat eine Rede mit Temperament gehalten! Es kann nicht jeder wie ein Pastor quatschen!)


– Herr Marschewski, wenn Sie irgendwann einmal lernen
würden, Ihren Mund zu halten und zuzuhören, würde das
Ihren geistigen Fähigkeiten vielleicht ein bisschen wei-
terhelfen.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Ausgerechnet Sie müssen das sagen!)


– Herr Grill, Sie sind ja gleich dran. Was wir von Ihnen
hören werden, kann ich jetzt schon vorwärts und rück-
wärts beten.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Herr Fuhrmann, müssen Sie mit Beleidigungen anfangen?)


Sie haben beantragt, über die Begleitumstände dieses
Transports zu reden.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Sie haben den Menschen versprochen, dass es keine Transporte mehr gibt!)


Das ist bisher nicht der Fall gewesen. Bisher haben Sie
über alles geredet, nur nicht über die Begleitumstände.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie reden über Gewalt und darüber, wie Demonstranten
pauschal diesem Rechtsstaat schaden,


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

wie sie pauschal gewalttätig sind und wie sie pauschal in
eine Ecke gehören.


(Zurufe von der CDU/CSU: Das haben wir nie getan! – Das hat keiner gesagt! – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Sie haben nicht zugehört! – Dr. Peter Paziorek [CDU/ CSU]: Oder Sie wollten nicht zuhören!)


Sie machen das sogar insofern falsch und insofern auch
noch etwas dramatischer, als Sie dann den Herrn Gehb re-
den lassen.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Das ist eine arrogante Unverschämtheit! Kann doch nicht jeder so eine Piepsstimme haben wie er dahinten!)


Im Wendland sind die Begleitumstände folgender-
maßen: Die Menschen in der Region haben 14 Tage lang
einen Zustand erlebt, den Sie alle, bis auf Herrn Grill,
nicht kennen und den Sie alle, die Sie hier sitzen, durch-
aus als Besetzung bezeichnen würden. Wir haben das Rie-
senglück, dass Polizei und BGS in der Zwischenzeit
längst insofern aus der Schusslinie sind, als die Menschen
im Wendland wissen, dass nicht die Beamten, sondern
wir, die Politiker, schuld sind.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Woran sind wir schuld?)


Mittlerweile gibt es eine Phase der Entspannung, die
aber nichts damit zu tun hat, dass vonseiten der Politik
wesentliche Veränderungen für die Wendländer eingetre-
ten seien, denn die Castoren rollen nach wie vor. Vielmehr
kommt es langsam, aber sicher zwischen denen, die im
Wendland leben, und denen, die ihre Pflicht tun, zu einer
Annäherung. Sie haben sich beide gegenseitig nichts vor-
zuwerfen. Diejenigen, die gewaltbereit sind – das sind die




Dr. Jürgen Gehb
15724


(C)



(D)



(A)



(B)


wenigsten in der Region –, sind diejenigen – das wurde
vorhin schon erwähnt –, die „Gewalttourismus“ betrei-
ben. Das sind wirklich die wenigsten, aber die machen es
schwer.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Diese Menschen machen es auch den Bewohnern des
Wendlandes so unglaublich schwer, daran zu glauben,
dass die Politik diese Transporte heute unter einem ande-
ren Aspekt als noch vor vier Jahren vornimmt. Der
Atomkonsens hätte möglicherweise bei manchem seine
Wirkung und seine Akzeptanz, wenn es nicht an verschie-
denen Stellen immer wieder dazu käme, dass sich das Po-
tenzial der Castoren immer weiter erhöht. Daran zu arbei-
ten, daran mitzuwirken, auch das noch zu verbessern, ist
eine Aufgabe, die die rot-grüne Koalition wahrnimmt.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Trotzdem ist jeder genehmigte Transport rechtlich einwandfrei! Das hängt nicht von der Anzahl ab!)


Durch die Bank sind wir bisher nicht glücklich mit dem
Atomkonsens, aber es ist der erste Schritt zu einem ge-
ordneten und, wie wir hoffen, auch friedlichen Ausstieg
aus der Kernenergie.


(Beifall des Abg. Horst Kubatschka [SPD] sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Probleme bereitet mir folgendes pauschales Vorurteil,
das den Menschen im Wendland gilt: Der Castor kommt,
und dann ist im Wendland die Hölle los. – Das ist Quatsch,
absoluter Quatsch; eine solche „Gesetzmäßigkeit“ gibt es
nicht. Das Demonstrations- und das Versammlungsrecht
gelten überall. Die Proteste bei der Ökosteuer – das wurde
vorhin schon erwähnt –, die nicht nur von den Kraftfah-
rern, sondern auch von den Unterglasbetrieben und von
den Landwirten ausgingen, hat bei uns allen Nachdenken,
aber bei weitem nicht den Verdacht ausgelöst, plötzlich
würde der Rechtsstaat blockiert oder auf den Kopf gestellt.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Da wird doch wohl ein Unterschied gewesen sein! – KurtDieter Grill [CDU/CSU]: Das war ja auch nicht gewaltsam! – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: An diesem Unterschied liegt das wohl!)


Wissen Sie, man kann sehr wohl darüber diskutieren, ob
ein Autofahrer, der frühmorgens zum Dienst will, es nicht
als Gewalt empfindet, wenn 50 oder 100 LKW-Fahrer das
verhindern. Diese Frage würde ich mit Ihnen gerne ein-
mal diskutieren. Das Parlament sollte sich in irgendeiner
Form der Aufgabe zuwenden, den Gewaltbegriff rechtlich
korrekt einzuordnen. Nicht alles, was ordnungswidrig ist,
ist von vornherein Gewalt. Wir distanzieren uns von Ge-
walt. Dass ich persönlich jede Art von Gewalt ablehne,
habe ich in diesem Parlament von diesem Ort aus mehr-
fach betont.

Was mir aber überhaupt nicht gefällt, sind die Unter-
stellungen, mit denen Sie immer wieder arbeiten.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Sie haben mit Unterstellungen gearbeitet! Eine nach der anderen!)


Ich wünsche mir, dass Sie in dem Augenblick, da Sie ei-
nen Antrag auf Durchführung einer Aktuellen Stunde stel-
len,


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Nicht zuhören und unterstellen!)


in der Sie die Begleitumstände eines Castortransportes
diskutieren wollen, über die Begleitumstände – –


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Ja, Sie unterstellen auch!)


– Herr Marschewski, Sie sind schon wieder derjenige, der
nicht abwarten kann.


(Weitere Zurufe des Abg. Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU])


Das ehrt Sie.

(Zuruf von der SPD: Nein!)


– „Nein“, sagt mein Kollege. Das ehre Sie eigentlich
nicht, meint er. Er hat wahrscheinlich Recht.

Ich möchte noch einen Satz in Richtung PDS sagen.
Genauso wie Sie waren wir gestern und vorgestern in
dieser Region; wir waren dort mit fünf Personen. Um
Ihnen diesen Zahn zu ziehen: Wir waren dort ohne
Begleitung durch die Polizei oder durch die Bezirksre-
gierung.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso haben wir uns nicht getroffen?)


Ich finde es schon erstaunlich, dass Sie jetzt den Versuch
unternehmen, sich den Widerstand in der Region politisch
unter den Nagel zu reißen. Das wird Ihnen garantiert nicht
gelingen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Man ist dort eigenständig genug, um zu erkennen, worin
die Chance besteht. Um es ganz klar zu sagen: Dank die-
ser Regierung – nicht dank der Oppositionspartei PDS –
gibt es die realistische Chance für einen Ausstieg.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416108400
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Franz Obermeier.


Franz Obermeier (CSU):
Rede ID: ID1416108500
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte beginnen,
indem ich meinem Herrn Vorredner antworte: Natürlich
sind wir in der Lage, zwischen friedlichen Demonstran-
ten und gewaltbereiten Demonstranten zu unterschei-
den.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir unterhalten uns ausschließlich über diejenigen Typen,
die mit vollem Bewusstsein Gewalt gegen Menschen und
gegen Sachen anwenden. Dagegen wenden wir uns.




Arne Fuhrmann

15725


(C)



(D)



(A)



(B)



(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Richtig! Das ist richtig! – Horst Kubatschka [SPD]: Das haben wir auch immer gesagt!)


Herr Fuhrmann, Ihre Strategie wird wieder schief ge-
hen, und zwar deswegen, weil sie erneut auf einem Ver-
trauensbruch durch den Umweltminister aufgebaut ist. Er
suggeriert den Menschen im Wendland und in Gorleben,
dass es sich bei der Erkundung des dortigen Salzstocks
um den Bau des Endlagers handelt. In Wahrheit ist es eine
wissenschaftliche Erkundung, die noch einige Jahre fort-
geführt werden müsste, bis man wirklich beurteilen
könnte, ob dieser Salzstock geeignet ist. Jetzt wird den
Menschen im Wendland


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: In LüchowDannenberg!)


– in Lüchow-Dannenberg – gesagt, dass es sich dabei um
den Bau des Endlagers handelt. Deswegen werden die
Menschen diesen Vorgang in wenigen Jahren ein weiteres
Mal als schweren Vertrauensbruch beurteilen. Wir werden
das große Problem haben, dass dort wieder Gewaltbereit-
schaft geschürt worden ist.

Ich möchte den Bundeskanzler zitieren, der im Juni
vergangenen Jahres wortwörtlich ausgeführt hat:

Das politische Bewusstsein einer ganzen Generation
wurde durch die Auseinandersetzungen um die Kern-
energie geprägt. Anhänger und Gegner standen ei-
nander unversöhnlich gegenüber. Als in jener Nacht
zum 15. Juni 2000 die Einigung erzielt war und ein
grüner Umweltminister und die Chefs der Energie-
wirtschaft zugestimmt hatten, da ging eine Epoche
gesellschaftlichen Konfliktes zu Ende.

In den letzten Tagen konnten wir sehen, wie das „Ende der
Epoche“ aussieht: 25 Verletzte, zwei Schwerverletzte,
20 000 Polizisten. Das ist das Ende der Epoche gesell-
schaftlichen Konfliktes!

Wenn wir künftig über Gewalt reden und wenn wir ge-
meinschaftlich gegen Gewalt demonstrieren, dann lassen
Sie uns bitte gegen Gewalt von links und rechts demon-
strieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Denn das, was wir in den letzten Tagen erlebt haben, ist
Gewalt von links.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie wären gut beraten, wenn Sie den Menschen in

Lüchow-Dannenberg und in Gorleben reinen Wein ein-
schenken und ihnen sagen würden, dass in den nächsten
Monaten weitere Transporte rollen müssen, weil wir den
völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommen müssen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das hat Trittin doch gerade gesagt!)


– Das hat Trittin nicht gesagt!

(Weitere Zurufe von der SPD)


– Natürlich.
Ich sage Ihnen noch eins: Wenn der Bundesumweltmi-

nister noch einen Hauch von Mumm und Charakter in sich

hätte, wäre er in den letzten Tagen dorthin gegangen, wo
diese Krawalle stattfanden,


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wie Frau Merkel!)


und hätte den Leuten dort gesagt: Ich habe jahrelang et-
was Falsches erzählt. – Das ist die Realität. Dieser Rück-
transport beruht auf völkerrechtlichen Bindungen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Ich möchte noch etwas hinzufügen: Wir sollten uns zu-
sammen überlegen, ob es den Polizisten noch zuzumuten
ist,


(Zuruf von der PDS: Genau!)

die sitzenden Demonstranten wegzutragen und sich dem
Risiko auszusetzen, dass sie verklagt werden, weil sie zu
fest zugegriffen oder möglicherweise jemanden verletzt
haben.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ja, Bluterguss!)


Wir müssen uns überlegen, ob wir all das gegenüber den
Polizisten und Ordnungskräften dort noch verantworten
können,


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


denen ich herzlich für die schwere Arbeit danken möchte,
die sie in den zurückliegenden Tagen bei der ganzen Ak-
tion geleistet haben.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: Was schlagen Sie stattdessen vor? – Horst Kubatschka [SPD]: Was machen wir dann? Lassen wir sie sitzen?)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416108600
Das Wort hat
jetzt der Herr Bundesinnenminister, Otto Schily.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416108700
Sehr verehrte
Frau Präsidentin! Ich habe die Debatte mit Aufmerksam-
keit verfolgt und möchte einen Satz zu der Kollegin von
der PDS sagen. Ich habe heute den Verfassungsschutzbe-
richt vorgestellt und dabei erwähnen müssen, dass die
PDS weiterhin der Beobachtung durch den Verfassungs-
schutz unterliegt.


(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Ihr Beitrag heute bestärkt mich darin, dass wir diese

Beobachtung fortsetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der F.D.P.)

Denn jemand, der in dieser Weise die Auffassung vertritt,
dass Recht und Gesetz nicht gelten, dass Gerichtsurteile
keinen Wert haben, der setzt sich in der Tat dem Verdacht
aus, die verfassungsrechtlichen Grundsätze nicht zu ach-
ten.




Franz Obermeier
15726


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich möchte aber an diesem Tag vor allem – ich glaube,
das haben die Beamten der Länderpolizeien und des Bun-
desgrenzschutzes wahrlich verdient – diesen Beamten
meinen ganz besonderen Dank aussprechen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben in einer außerordentlich schwierigen Situation
besonnen und verantwortungsvoll gehandelt. Sie haben
sich übrigens um Konfliktentspannung bemüht. Man hat
bei der Vorfeldarbeit sogar eine eigene Gruppe für diese
Entspannung eingesetzt. Es kann also niemand behaup-
ten, dass etwa von der Polizei irgendeine Eskalation aus-
gegangen ist; ganz im Gegenteil.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Stimmt!)

Wer sich einmal mit der Situation von jungen Polizei-

beamten beschäftigt, die Aggressionen und Gewalttätig-
keiten ausgesetzt sind, versteht, dass ich einen Satz aus
meiner Rede zum 50-jährigen Bestehen des Bundesgrenz-
schutzes wiederholen möchte: Es ist in einem Rechtsstaat
selbstverständlich, dass sich ein Polizeibeamter an die
Verfassung, an das Recht, an das Gesetz halten muss und
die Würde der Menschen zu achten hat, mit denen er sich
in einer polizeilichen Konfliktsituation befindet. Aber ge-
nauso haben auch die Polizeibeamten Anspruch auf Ach-
tung ihrer Würde. Das wird manchmal vergessen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Polizeibeamten haben ihre Arbeit – ich wiederhole
das bewusst – verantwortlich, besonnen, klug und intelli-
gent vollzogen. Ich gratuliere ihnen zu dem Erfolg, dass
sie diesen Castortransport in relativ kurzer Zeit zu einem
vernünftigen und guten Ende gebracht haben. Diese Leis-
tung ist anzuerkennen.

Ich will an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, welche
Gewalttaten verübt worden sind: Leuchtmunition ist ver-
schossen worden, sodass Polizeiwagen in Brand geraten
sind, wodurch nicht nur schwere Sachschäden angerich-
tet, sondern auch Menschenleben gefährdet wurden.
Bahngelände wurde beschädigt und Anschläge mit Ha-
kenkrallen wurden verübt. Schienenwege sind unterhöhlt
worden und Einrichtungen der Bahn sind massiv beschä-
digt worden. Auch körperliche Angriffe fanden statt. All
das sind schwerste Straftaten; es hat mit der Wahrneh-
mung des Demonstrationsrechts überhaupt nichts zu tun.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Paziorek, Sie haben in Ihrer Rede zwar
begrüßt, was ich gestern gesagt habe. Sie vermissen aber
meine Äußerungen vorher. Ich kann von Ihnen natürlich
nicht verlangen, dass Sie alle Pressemitteilungen und alle
Interviews von mir zur Kenntnis nehmen.


(Erwin Marschewski CSU]: Und er liest schon sehr viel!)


Damit ich meine Redezeit nicht dafür opfern muss, eine
entsprechende Aufstellung vorzulesen, möchte ich Ihnen
Auszüge aus meinen Stellungnahmen von Februar bis
zum Beginn der Castortransporte geben,


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Einverstanden! – Horst Kubatschka [SPD]: Das müssen Sie aber auch lesen!)


in denen genau das enthalten ist, was ich gestern gesagt
habe. An Klarheit in meinen Äußerungen hat es wirklich
nicht gefehlt.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Stimmt! – Dr. Peter Das ehrt Sie!)

Dr. Peter Paziorek (CDU):
Rede ID: ID1416108800

Das sollten Sie anerkennen.

(Beifall bei Abgordneten der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das erkenne ich auch an!)


– Gut, dann brauchen wir darüber nicht mehr zu sprechen.
Ich gebe Ihnen nachher die Unterlagen, in denen Sie das
alles nachlesen können.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Aber mit Widmung!)


– Auch mit Widmung.
Wenn Straftaten verübt werden, dann muss der Staat

dafür sorgen, dass sie nicht folgenlos bleiben. Deshalb
gilt: Wo immer wir Täter identifizieren können, werden
sie mit strafrechtlichen Sanktionen zu rechnen haben. Ich
bitte alle, die Polizei bei diesen Ermittlungen zu unter-
stützen. Es darf nicht bei Untätigkeit bleiben; es ist Un-
terstützung notwendig.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wir werden selbstverständlich auch prüfen, ob gegen-
über denen, die Sachschaden angerichtet haben, zivil-
rechtliche Ansprüche geltend gemacht werden können.
Das heißt, diejenigen, die einen Schaden angerichtet ha-
ben, müssen damit rechnen, dass sie diesen Schaden aus-
gleichen müssen. Dabei umfassen die Ermittlungen nicht
nur diejenigen, die solche Taten unmittelbar begangen ha-
ben, sondern auch diejenigen, die dazu angestiftet oder
diese Taten geplant haben. Das wird in die Überlegungen
mit einbezogen werden.

Lassen Sie mich eine Bemerkung über den rechtlichen
Hintergrund machen, der schon angesprochen worden ist.
Niemand soll sich anmaßen, Recht und Gesetz außer
Kraft zu setzen. Der Kollege Gehb hat behauptet, es gebe
irgendwelche Widersprüche in der rechtlichen Beurtei-
lung. Sie haben sich hier mächtig aufgepumpt, Herr Kol-
lege.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das liegt an meiner Kehlkopfoperation!)


– Entschuldigen Sie bitte, das habe ich nicht gewusst.
Nehmen Sie meinen Vorwurf nicht persönlich.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist in Ordnung! – Zuruf von der SPD: Aber pumpen tut der öfter!)





Bundesminister Otto Schily

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(C)



(D)



(A)



(B)


Herr Kollege Gehb, lassen Sie uns die rechtliche Si-
tuation sachlich betrachten. Es kann auch Recht vorlie-
gen, das auf völkerrechtlichen Verbindlichkeiten beruht.
Ich verstehe daher Ihren Einwand nicht. Entscheidungen
können gerade dann rechtmäßig sein, wenn sie auf der
Grundlage völkerrechtlicher Verbindlichkeiten erfolgen.
Ich glaube, da besteht kein Widerspruch. Das müsste ein
Irrtum Ihrerseits sein.

Wir haben einen enormen Aufwand leisten müssen.
Tausende von Polizeibeamten, allein mehr als 7 000 vom
Bundesgrenzschutz, sind im Einsatz gewesen. Es wird
aber nicht der letzte Castortransport gewesen sein.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Mindestens 20 in zehn Jahren!)


Ich möchte daher an alle appellieren – auch weil es si-
cherlich nicht die letzten friedliche Demonstrationen ge-
wesen sein werden –: Wir müssen gemeinsam dafür sor-
gen, dass rechtmäßige Castortransporte ohne diesen
großen Polizeieinsatz stattfinden können. Das ist unsere
gemeinsame Verpflichtung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


So Leid es mir tut, muss ich an dieser Stelle auch er-
wähnen, dass es nicht hilfreich war, dass eine Landesmi-
nisterin meinte, angesichts der Vorkommnisse um den Cas-
tortransport Kritik am Bundesgrenzschutz in einem
anderen Zusammenhang üben zu sollen. Der Bundes-
grenzschutz hat zwar trotz der schwierigen Lage bei den
Castortransporten auf meine Anordnung auch Kontin-
gente für die Verhinderung von Tiertransporten über die
Grenzen wegen der Maul- und Klauenseuche zur Ver-
fügung gestellt; die erste Zuständigkeit hierfür liegt je-
doch nicht bei ihm, sondern bei den Zoll- und Veterinär-
behörden. Ich erwarte dann, dass in einer so schwierigen
Situation keine Kritik am Bundesgrenzschutz und am
Bundesinnenminister geübt, sondern für diese Hilfeleis-
tung gedankt wird. Das sollte auch eine grüne Landesmi-
nisterin wissen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Bei den Grünen rührt sich keine Haut!)


Es ist wirklich an der Zeit, dass der Gesellschaft klar
wird, dass Castortransporte friedlich, ordnungsgemäß und
entsprechend den rechtlichen Vorschriften vollzogen wer-
den müssen. Ich gehöre übrigens zu denen, die den Atom-
konsens begrüßen. Mein Verhalten steht nicht im Wider-
spruch zum Atomkonsens, denn diese Lage ist durch eine
verfehlte Politik, an der viele beteiligt waren – auch die
Sozialdemokraten, das muss man offen zugeben –, herbei-
geführt worden. Selbst der SDS ist in der 68er-Zeit für die
friedliche Nutzung der Kernenergie eingetreten.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Ich nicht!)


Damals vertrat ich übrigens die Gegenposition. Ich habe
meine Position relativ konsequent vertreten.

Viele haben an dem Einstieg in die Kernenergie mitge-
wirkt. Deshalb ist der Ausstieg relativ mühsam und zeit-

aufwendig. Lassen Sie ihn uns in demokratischer, friedli-
cher und rechtstaatlicher Form vollziehen. Dann sind wir
einen Schritt weiter.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416108900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Kurt-Dieter Grill.


Kurt-Dieter Grill (CDU):
Rede ID: ID1416109000
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Herr Schily, ich will bewusst
an das anknüpfen, was Sie hier gerade zum Schluss vor-
getragen haben, und Ihnen sagen: Es gibt zwei Elemente
in Ihrer Rede, die ich außerordentlich begrüße. Jedoch
vermisse ich diese Haltung nicht nur bei den Grünen, son-
dern insbesondere auch bei Ihren eigenen Parteifreunden.
Es handelt sich darum, dass die Geschichte der Kernener-
gie nicht mit dem Regierungswechsel 1983 beginnt, son-
dern dass in den 60er- und 70er-Jahren ein gesellschaftli-
cher Konsens – es gab über 90 Prozent Zustimmung – in
Bezug auf den Bau von Kernkraftwerken in diesem Land
bestand.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So war es!)

Sie haben heute als Einziger einen Beitrag dazu geleistet,
dass auch 90 Prozent bereit sind, die Verantwortung für
die Entsorgung zu übernehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie haben auch einen Beitrag dazu geleistet, dass ge-

meinsam darüber nachgedacht wird, wie wir in Zukunft
verfahren. Das hat aber ein paar Bedingungen: Sie können
nicht mit den Energieversorgungsunternehmen alles
verabreden und die Länderverantwortung außen vor las-
sen. Dies sage ich in Bezug auf die Frage, wie die Entsor-
gung in der Zukunft geregelt werden soll. Die Länder ha-
ben ein von der Verfassung garantiertes Recht, das von der
Bundesregierung missachtet worden ist.

Jenseits solcher Fragen bleibt es aber dabei, dass Sie
von der Union niemals die Vorwürfe hören werden, die
wir, als wir Verantwortung für die Castortransporte tru-
gen, hören mussten. Das ist der fundamentale Unterschied
und macht ein Stück unserer Argumentation aus. Das, was
wir früher aus der Opposition gehört haben, werden Sie
von uns nicht hören.


(Monika Ganseforth [SPD]: Sie sollen dazu stehen und nicht Stellung nehmen!)


Wir werden weder einen Polizeieinsatz noch die Drahtkä-
fige als Ausdruck von Polizeistaat kritisieren. Wir als
Union werden niemals Kampagnen, wie Freunde der Grü-
nen


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das sind keine Freunde!)


und auch Teile der SPD, nach dem Motto fahren: „Atom
gleich Tod gleich Krebs gleich CDU“. Solche Agitation,




Bundesminister Otto Schily
15728


(C)



(D)



(A)



(B)


die wir bis 1998 erlebt haben, werden Sie von uns nicht
hören.


(Horst Kubatschka [SPD]: Stimmt doch gar nicht!)


Sie werden bei uns ebenso nicht erleben, dass wir auch
nur in irgendeiner Wendung eine sozusagen aus dem Prin-
zip des zivilen Widerstandes legitimierte Gewaltaktion
befürworten oder für richtig halten, wenn wir in irgendei-
nem Teil der Politik anderer Meinung sind als diese Re-
gierung. Das ist der fundamentale Unterschied zwischen
1998 und 2001.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit der Autobahnblockade? – Gegenruf des Abg. Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Sie vergleichen doch Äpfel mit Birnen!)


Zweitens ist es noch gar nicht lange her, dass in dieser
Bundesregierung genau das Gegenteil von dem entschie-
den worden ist, was Sie hier heute vortragen. Was haben
SPD und Grüne geschimpft, als wir darüber nachgedacht
haben, Straftäter und gewalttätige Demonstranten auch fi-
nanziell zur Rechenschaft zu ziehen! Es ist wenige Mo-
nate her, dass Herr Trittin sich damit gebrüstet hat, dass er
die Schadensersatzklage in Höhe von 100 000 DM gegen
die Besetzer des Turms im Endlager zurückgezogen hat.
Das ist das falsche Signal an Gewalttäter, es kommt aber
aus dieser Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Walter Hirche [F.D.P.]: Richtig! Das war Ermunterung!)


Deswegen denke ich, dass es, verehrte Frau Hustedt,
nicht um zweierlei Maß geht. Es geht um zweierlei Wahr-
heit, und zwar bei Ihnen und den Sozialdemokraten. Ich
kann hier gar nicht die Fülle der Widersprüche aufzählen.
Es ist jedenfalls so, Herr Kemper, dass die Unterbringung
der Polizei in Lüchow-Dannenberg deswegen so schwie-
rig ist, weil der der SPD angehörende Landrat Christian
Zühlke die Turnhallen, die Schulen und alles andere, was
an öffentlichen Gebäuden für Unterkünfte zur Verfügung
stehen könnte, der Polizei bisher verweigert hat. Das ist
die Politik der SPD vor Ort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Arne Fuhrmann [SPD]: Auch das stimmt nicht! Wieso sagen Sie wieder die Unwahrheit? Nur weil er hier nicht reden kann! Es ist unglaublich, wie Sie hier Unwahrheiten in die Gegend feuern!)


– Schreien Sie nicht so rum.

(Arne Fuhrmann [SPD]: Mit Ihnen kann man gar nicht anders umgehen! Dann sagen Sie doch ausnahmsweise mal die Wahrheit! Unglaublich! – Monika Ganseforth [SPD]: Der weiß es doch nicht besser!)


– Herr Fuhrmann, ich würde einmal Folgendes sagen: Sie
gehören zu denen, die – wie Herr Trittin, Herr Schröder
und viele andere – den Menschen in Lüchow-Dannen-
berg versprochen haben, dass, wenn sie an die Regierung

kommen, die Anlagen in Gorleben nicht mehr genutzt
werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Schröder 1998!)

Heute sehen die Menschen in Lüchow-Dannenberg, dass
genau diejenigen, die ihnen das vor 1998 versprochen ha-
ben, diese Anlagen ohne jede Entschuldigung, ohne jede
Erklärung nutzen, als habe es nie einen anderen Sinn die-
ser Anlagen gegeben. Sie bauen Ihre Entsorgung auf un-
serer Vorsorge für die Zukunft unserer Kinder auf. Das ist
die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: Ach du liebe Zeit!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416109100
Herr Kollege,
Sie müssen mit Ihrer Rede leider zum Ende kommen, weil
nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung steht, die auch nicht
überschritten werden kann.


Kurt-Dieter Grill (CDU):
Rede ID: ID1416109200
Frau Präsidentin, ich
würde gerne eine Schlussbemerkung machen.

Ich fordere Herrn Trittin auf, endlich das Gespräch mit
der Bevölkerung aufzunehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Er ist der einzige Minister, der in der Verantwortung für
diese Dinge steht, der das Gespräch mit den Gemeinden
und mit der Bevölkerung im Landkreis Lüchow-Dannen-
berg verweigert hat. Dies hat es in der Geschichte des
Standortes Gorleben so noch nie gegeben.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Frau Merkel ist hingefahren!)


Die Menschen in Lüchow-Dannenberg sind enttäuscht,
weil sie ohne jede Erklärung und ohne jede Entschuldi-
gung genau das Gegenteil von dem erleben, was ihnen
vor der Wahl versprochen worden ist. Sie haben die
Bürger-initiativen für Ihren Machterhalt instrumentali-
siert und jetzt verweigern Sie das Gespräch. Ich fordere
Sie auf: Stellen Sie sich vor Ort Ihrer Verantwortung!
Dann sind Sie endlich dort, wo Sie Verantwortung ha-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Zuruf von der PDS: Wenn das alles nicht so verlogen wäre, könnte man Ihnen sogar applaudieren!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416109300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Michael Müller.


Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1416109400
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Otto Schily hat Recht: Es wa-
ren nur wenige, die in den 60er-Jahren Nein zur Atomkraft
gesagt haben. Das war damals nicht die vorherrschende
Meinung. Insofern ist es so, dass diejenigen, die damals
dagegen waren – ich kenne noch meine ersten Veröffent-
lichungen aus dem Jahre 1968 –, auch heute noch eine
Verantwortung haben.




Kurt-Dieter Grill

15729


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich muss Ihnen, weil mir das doch wieder sehr stark
auffällt, vor dem Hintergrund dieser Debatte sagen: Ein
Großteil gerade der Leute, die kritisch zur Atomkraft ste-
hen, haben doch mit dazu beigetragen, die Gewaltproble-
matik zu klären. Ich kann mich noch ganz genau an die
Spaltung bei der Diskussion um Brokdorf erinnern. Ich
habe in den 70er-Jahren zusammen mit meinem Freund Jo
Leinen viele Demonstrationen organisiert und verant-
wortlich angemeldet. Ich weiß, wie wir 1975, als die Ge-
walt hoch kochte, die Demonstrationen gespalten haben:
Die einen sind nach Brokdorf gegangen, die anderen nach
Itzehoe. Wir haben dies bewusst getan, weil wir wussten,
dass der Protest gegen die Atomkraft nur dann glaubwür-
dig ist, wenn er gewaltfrei ist. Dazu stehen wir auch heute.
Wir lassen uns hier nicht in eine falsche Ecke stellen, auch
nicht von Ihnen.


(Beifall bei der SPD)

Sie betreiben hier Scharfmacherei und ich will das an

drei Punkten belegen. Herr Wilhelm, Sie haben Frau
Müller angegriffen und gesagt, sie habe am 12.März 1997
eine ganz merkwürdige Haltung zur Gewalt an den Tag
gelegt. Sagen Sie bitte einmal die volle Wahrheit. Aus-
gangspunkt war eine Rede von Herrn Kanther, der im
Kern gesagt hat, das eigentliche Problem der Gewalt sei,
dass überhaupt gegen Atomkraft demonstriert werde. Da-
raufhin hat aus unserer Sicht Frau Müller völlig zu Recht
gesagt, dass die übergroße Zahl der Wendländer gewalt-
frei protestierten. Das ist auch richtig; wir dürfen diese
Pauschalisierung nicht akzeptieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das war damals der Zusammenhang und da müssen Sie
auch ehrlich sein. Bitte hören Sie mit dieser Schwarz-
Weiß-Debatte auf!


(Walter Hirche [F.D.P.]: Frau Müller hat immer sehr schillernd Stellung genommen!)


Dasselbe gilt auch für die PDS. Ich will Ihnen nicht
vorwerfen, dass Sie erst seit 1990 dabei sind. Aber dass
die PDS und ihre Vororganisation in der ökologischen
oder Anti-AKW-Frage besonders glaubwürdig gewesen
seien, kann man nun wirklich nicht sagen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sozialistische Atomkraft ist gute Atomkraft!)


Kommen Sie in dieser Frage wieder ein bisschen auf den
Teppich zurück und sorgen auch Sie in dieser Debatte
bitte für Rationalität. Ich weiß doch, wie Ihre Pendants im
Westen in der Anti-AKW-Bewegung in den 70er-Jahren
gesagt haben: Atomkraftwerke nein, es sei denn in Volkes
Hand. So einen Unsinn haben die damals vertreten!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Angela Marquardt [PDS]: Damals habe ich noch nicht einmal gelebt! – Heidi Lippmann [PDS]: Die letzten zehn Jahre verschlafen!)


– Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich weiß, dass Sie erst
seit 1990 dabei sind, und ich weiß auch von vielen, woher

Sie gekommen sind. Es kann doch niemand erzählen, dass
es in der DDR eine wirklich breite Bewegung gegen die
Atomkraft gegeben hätte. Nun wollen wir doch bitte die
Tatsachen nicht verdrehen!


(Angela Marquardt [PDS]: Gucken Sie mal, wer hier sitzt!)


Meine Damen und Herren, der wirklich schwierige
Punkt ist nicht die Frage der Transporte, sondern der
Spielraum der Politik beim Atomausstieg. Diese Frage
steht dahinter. Aus meiner Sicht gibt es niemanden im
Regierungslager, der nicht einen schnelleren Ausstieg
will.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Doch!)

– Nein, gibt es nicht. Alle im Regierungslager wollen so
schnell wie möglich aus der Atomkraft heraus. Aber wir
haben es hier mit einer Branche zu tun, die wie keine an-
dere aus ihrer Historie heraus rechtlich und ökonomisch
privilegiert ist.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das stimmt!)

Das ist unser Kernproblem. Es ist unglaublich schwierig,
aus der Atomkraft auszusteigen. Wir müssen alles tun, um
den Ausstieg zu beschleunigen. Deshalb ist für uns der
Einstieg in eine neue Energiepolitik so wichtig. Je über-
zeugender der Einstieg ist, desto besser ist das auch für
den Ausstieg.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Wahrheit muss auch in folgendem Punkt gesagt
werden: Wir, die wir aus der Anti-AKW-Bewegung kom-
men, sind nun wahrlich nicht für die Atomenergie verant-
wortlich.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das wäre schön!)

Aber wir können doch nicht im Ernst sagen, dass der von
uns in der Bundesrepublik erzeugte Atommüll irgendwo
anders hinkommen soll. Nein, wir sind für die Endlage-
rung bzw. Entsorgung des bei uns erzeugten Mülls ver-
antwortlich und können uns um diese Verantwortung
nicht herumdrücken.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Für uns ist das nicht neu, aber für Ihre Genossen!)


Deshalb – dies müssen wir klar sagen – wird es weitere
Transporte geben. Aber wir bitten die Bundesregierung,
alles zu tun, damit nicht noch viele nötig werden, sondern
ihre Zahl so weit wie möglich reduziert wird.

Lassen Sie mich noch einen letzten Satz sagen, meine
Damen und Herren: Es wird ganz wichtig sein, dass wir in
der Frage der Entsorgung zu einer Lösung kommen. Ich
teile die Bedenken gegenüber Gorleben. Alles, was dort
geschehen ist, ist sehr kritisch zu sehen. Deshalb muss es
eine rationale Debatte über ein Endlager in der Bundesre-
publik geben. Hören wir deshalb auf, die Schlachten der
Vergangenheit zu schlagen, sondern setzen wir hier
präzise Kriterien, an denen wir uns abarbeiten können! In
dieser schwierigen Situation können wir nur überzeugen,
indem wir a) die Wahrheit sagen, b) alles tun, um so
schnell wie möglich aus der Atomenergie heraus zu kom-




Michael Müller (Düsseldorf)

15730


(C)



(D)



(A)



(B)


men, und c) vor allem glaubwürdig unsere Ziele umset-
zen. Alles andere wird uns nur als Taktik ausgelegt und
bringt uns nicht weiter.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416109500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Volker Beck.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416109600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst zu
Ihnen, Herr Grill. Ich stelle hier klar, dass sowohl der
Bundesumweltminister als auch seine Staatssekretärin
Frau Altmann der Bürgerinitiative verschiedentlich Ge-
spräche angeboten haben. Ein vereinbarter Gesprächster-
min wurde von der Bürgerinitiative abgesagt. Der Minis-
ter war in letzter Zeit auch mehrere Male vor Ort. Es gibt
also keineswegs eine Gesprächsverweigerung.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Er hat von Gemeinden gesprochen!)


Das Gesprächsangebot wird auch weiter so bestehen;
denn wir wollen und brauchen den Dialog.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Er hat keine Einladung der Gemeinden beantwortet! – Walter Hirche [F.D.P.]: Sie müssen nicht ablenken!)


Nach dreijähriger Pause fand in diesen Tagen erneut
ein Castortransport in das Zwischenlager Gorleben statt.
Es ist auch ein Ausdruck einer guten demokratischen Hal-
tung, aus diesem Anlass friedlich für einen schnelleren
Ausstieg aus der Atomenergie zu demonstrieren. Die
Menschen, die dies in der Region getan haben, haben
meine tiefe Sympathie.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für uns Grüne war es eine der wichtigsten Aussagen im
Wahlkampf, von dem Irrweg der Atomenergie umzu-
kehren. Das Ergebnis ist der Kompromiss zwischen
Regierung und Energiewirtschaft für einen Ausstieg.

Ein sofortiger Ausstieg aus der Kernenergie ist
rechtlich nicht möglich und politisch nicht durchsetzbar.
Die Entsorgung der Brennelemente ist einerseits Teil der
internationalen Verträge und andererseits natürlich auch
Teil des Ausstiegskonzepts. Deutschland ist verpflichtet,
die Vereinbarung einzuhalten. Das wäre selbst bei einem
schnellen und sofortigen Ausstieg der Fall. Auch das ist
Rechtstaatlichkeit: dass man zu seinen vertraglichen
Verpflichtungen steht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Walter Hirche [F.D.P.]: Das war auch bei der alten Regierung der Fall!)


Wir können diese Verträge nicht außer Kraft setzen. Ich
bitte all unsere Freundinnen und Freunde vor Ort, auch
wenn sie sich manchmal über die Grünen ärgern mögen,
zu verstehen, dass man für den Ausstieg aus der Atom-
energie auch Kompromisse eingehen musste.

Mich bedrücken die Bilder der letzten Tage aus dem
Wendland. Es lässt sich nicht leugnen, dass einige vor Ort
die friedlichen Teilnehmer der Protestkundgebungen als
Kulisse für ihre Gewalt missbraucht haben. Diese weni-
gen erweisen dem Protest von vielen einen schlechten
Dienst,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


ist es doch gerade dem friedlichen Protest zu verdanken,
dass aus der Gesellschaft der nötige Druck kommt, den
Ausstiegskompromiss gegen die nach wie vor maulende
Atomindustrie durchzusetzen.

Wer für einen schnellen Ausstieg aus der Atomenergie
demonstriert, tut dies aus Sorge um die Gesundheit der
Bevölkerung.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist ja unglaublich!)


Wer aber Gesundheit und Leben von Polizeibeamten oder
Demonstranten durch militante Aktionen leichtfertig ge-
fährdet, macht sich nicht nur strafbar, sondern hat jede
Glaubwürdigkeit in dieser Debatte verspielt. Deshalb
möchte ich auch ganz besonders den vielen Wendlände-
rinnen und Wendländern danken, die in den letzten Tagen
vor Ort Gewalttaten von anderen Demonstranten verhin-
dert haben, die gesagt haben: „Lasst diesen Scheiß!“


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Warum haben Sie bei Herrn Schily nicht geklatscht?)


Ich möchte auch den Polizeibeamten danken, die durch
ihr besonnenes Verhalten in bestimmten Situationen im-
mer wieder zur Deeskalation beigetragen haben.

Meine Damen und Herren, ein Teil des Energiekon-
senses ist auch, dass es keine Festlegung auf das Endlager
Gorleben gibt. Das ist sehr gut so und hilft auch den
Wendländerinnen und Wendländern. Ich unterstütze aus-
drücklich den Vorschlag des SPD-Fraktionsvorsitzenden
Struck, zu prüfen, ob nicht auch die Granitvorkommen in
Baden-Württemberg und Bayern geeignete Standorte für
ein Endlager bieten. Wir müssen das ergebnisoffen disku-
tieren.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Nur mit Rot-Grün war der Ausstieg möglich. Jede an-
dere politische Konstellation hätte diesen Ausstiegskom-
promiss nicht auf den Weg gebracht. Jede andere Kon-
stellation würde vielmehr den Ausstieg aus dem Ausstieg
betreiben.

So sehr ich hier für den Ausstiegskompromiss werbe,
so klar und entschlossen verteidige ich aber auch das
Recht der Menschen im Wendland, die für eine andere
Politik demonstrieren wollen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Walter Hirche [F.D.P.]: Die Transporte bleiben in jedem Fall rechtmäßig!)





Michael Müller (Düsseldorf)


15731


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie dürfen sich wohl gegen die Transporte – auch wenn
wir sie an diesem Punkt für richtig und notwendig hal-
ten – wehren. Trotzdem darf man eine andere Meinung
in Sachen Atompolitik haben und diese in Demonstra-
tionen kundtun.

Der Schutz des Grundgesetzes, sich friedlich und
ohne Waffen zu versammeln, gilt ohne jede Ein-
schränkung auch für die Menschen im Wendland.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist doch völlig klar!)


Wir Grünen streiten für dieses Recht selbstverständlich
auch dann, wenn wir selbst diejenigen sind, die hier kri-
tisiert werden.

Kriminalisierung von Protest war immer das
Lieblingsspiel der Regierung Kohl und Kanther. Wir
machen das ausdrücklich nicht.


(Lachen der Abg. Heidi Lippmann [PDS])

Wir nehmen den Großteil der Demonstranten ausdrück-
lich in Schutz gegen alle Angriffe, die auf die Legiti-
mität und auch die Legalität ihres Protestes zielen. Auch
wenn ich aus politischen Gründen in diesem Fall gegen
Blockaden bin, lehne ich es aber entschieden ab, ge-
waltfreie Blockaden generell als Gewalt zu verurteilen.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Sie müssten sie aus verfassungsrechtlichen Gründen ablehnen!)


Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entschei-
dung zur Nötigung klar gemacht, dass auch die Unter-
brechung von Verkehrswegen keinesfalls automatisch
eine gewalttätige Nötigung sein muss.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist unglaublich! Sie sind aus politischen Gründen dagegen, aber nicht aus rechtlichen Gründen!)


Es gebietet die Korrektheit, diese Differenzen auch in
einer so aufgeheizten Debatte festzustellen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416109700
Herr Kollege,
denken Sie daran: In der Aktuellen Stunde darf man
nicht länger als fünf Minuten reden.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416109800

Eine kurze Bemerkung zum Schluss. Der Castortransport
ist nun über die Bühne gegangen. Ich meine, wir sollten
diesen Einsatz auch im Innenausschuss noch einmal bi-
lanzieren, unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunk-
ten, aber auch unter den Gesichtspunkten der Deeskala-
tion und der Versammlungsfreiheit. Dabei wäre es sicher
sehr hilfreich, wenn uns das Innenministerium in Ab-
stimmung mit der niedersächsischen Landesregierung ei-
nen Bericht vorlegen könnte, anhand dessen wir diese
Fragen prüfen können.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Was soll das denn? Ist das ein Zweifel am Innenminister?)


Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, dass diese Fra-
gen friedlich und gewaltfrei gelöst werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist ja unglaublich, dass Sie jetzt die Position des Innenministers in Zweifel ziehen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416109900
Die Aktuelle
Stunde ist damit beendet.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(21. Ausschuss)

gierung
Tourismuspolitischer Bericht der Bundesregie-
rung
– Drucksachen 14/2473, 14/5432 (neu)
Berichterstattung:
Abgeordnete Brunhilde Irber

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Wider-
spruch höre ich nicht. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf.

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1416110000
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren
heute den Tourismuspolitischen Bericht der Bundesregie-
rung, den wir bereits vor gut einem Jahr vorgelegt und in
den Ausschüssen beraten haben, und besprechen insbe-
sondere auch die Ausschussempfehlung zu diesem Be-
richt. Der Ausschuss hat besondere Akzente gesetzt, die
die Bundesregierung gern aufgreifen möchte, teilweise
auch bereits aufgegriffen hat, zum Beispiel in der Frage
der stärkeren Mittelausstattung der Deutschen Zen-
trale für Tourismus für gezielte Marketingmaßnahmen
zugunsten der neuen Bundesländer.

Es hat in den letzten Monaten auch in ausländischen
Journalen Berichte über Gewalt auf deutschen Straßen
und über Rechtsradikalismus in Deutschland gegeben,
teilweise sogar Warnungen vor Besuchen in Deutschland.
Wir werden nicht zulassen, dass Deutschlands Ansehen
beschädigt wird, sondern werden alles tun, um das Anse-
hen Deutschlands in der Welt zu festigen. Dazu gehört
auch, deutlich zu machen, dass wir diese gewalttätigen
Minderheiten nicht akzeptieren. Insofern ist auch das
Wahlergebnis vom letzten Sonntag ein wichtiges Signal.

Gerade in den für unseren Tourismus so wichtigen
Quellmärkten kommt es darauf an, Informationen zu ver-
mitteln und Transparenz herzustellen. Wir können insge-
samt in Deutschland auf dem Gebiet des Tourismus
gegenwärtig eine gute Situation konstatieren. Das Jahr
2000 wird ohne Zweifel als Rekordjahr in die Geschichte
des Tourismus eingehen. Die Zahl der Gästeankünfte
stieg gegenüber dem Vorjahr um 6 Prozent auf 108 Mil-
lionen. Dieselbe Steigerungsrate verzeichnete die Zahl
der Übernachtungen, die auf 326 Millionen gestiegen ist.
Besonders erfreulich ist der Zuwachs der Zahl an Gästen




Volker Beck (Köln)

15732


(C)



(D)



(A)



(B)


aus dem Ausland, der bei fast 11 Prozent lag. Das ist ein
positives Signal, das zeigt, dass die Menschen an der Ent-
wicklung in Deutschland interessiert sind. Dass es auch
großes Interesse an der Entwicklung in den neuen Bun-
desländern gibt, beweisen die Gästezahlen in den neuen
Bundesländern, die noch höhere Zuwächse aufweisen.
Ganz besonders erfreulich ist, dass sich in den neuen Bun-
desländern jetzt „Perlen“ herausschälen, die weit über
Deutschland hinaus großes Interesse auslösen.

Von diesen guten Ergebnissen profitieren nicht nur die
Hotels und die Gastronomie, sondern auch die umliegen-
den Wirtschaftsbereiche, zum Beispiel Reiseveranstalter,
Reisebüros oder Busunternehmen. Auf diese Weise haben
wir im Jahr 2000 beim Umsatz des Gastgewerbes die
Trendwende erreicht: Die Zahlen, die lange rückläufig
waren, sind inzwischen wieder positiv.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist ein positives Ergebnis. Auch die Beschäftigten-
zahlen steigen an. Das ist ebenfalls ein wichtiges Zeichen;
denn es handelt sich – das wissen wir alle – um eine sehr
arbeits- und beschäftigungsintensive Branche.

Die Situation hat sich insgesamt also sehr positiv ent-
wickelt. Die Maßnahmen, die die Bundesregierung er-
griffen hat, haben hierzu beigetragen. Dazu gehören die
steuerpolitischen Maßnahmen, aber auch eine ganze
Reihe von weiteren Maßnahmen, mit denen wir Rahmen-
setzungen vorgenommen haben, etwa bei der Haushalts-
sanierung. Dazu gehört ganz ohne Zweifel auch die kon-
tinuierliche Aufstockung der Beträge für die Deutsche
Zentrale für Tourismus, eine unserer wichtigsten Marke-
tinginstitutionen, die einen guten Job macht; das muss
man auch einmal sagen.


(Beifall im ganzen Hause)

Die Deutsche Zentrale für Tourismus hat sich sehr gut ent-
wickelt. Ihre Arbeit findet große Anerkennung. Wir sind
froh, dass wir mit dieser Agentur zusammen für Deutsch-
land werben können.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Wir müssen noch ein bisschen mehr Geld in die Hand nehmen!)


– Wir wollen diesen Streit nicht wieder aufnehmen, Herr
Brähmig.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Da lasse ich nicht locker, Herr Mosdorf! Wir müssen aufstocken!)


Sie wollten eine Reduzierung der Mittel auf 20 Milli-
onen DM.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: 20 stimmt nicht!)

Wir haben den Betrag wieder auf 42 Millionen DM ange-
hoben. Wenn der Haushalt konsolidiert ist, haben wir
mehr Spielraum. Sie selbst hatten vor, den Betrag auf
20 Millionen DM zu reduzieren, und wir haben ihn auf
42 Millionen DM aufgestockt.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)


– Das stimmt, Herr Hinsken. Das können Sie in der mit-
telfristigen Finanzplanung nachlesen. Jedenfalls sind wir
zufrieden damit, dass wir die Mittel aufgestockt haben.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Und dass im kommenden Jahr nochmals 2 Millionen DM draufkommen!)


Das ist ein wichtiges Zwischenergebnis. Je mehr wir kon-
solidieren, desto mehr Spielräume gewinnen wir, um auf
diesem Sektor weitere Anstrengungen vornehmen zu kön-
nen.

Der Tourismus ist eine der wichtigsten Zukunftsbran-
chen. Deshalb haben wir aus dem ERP-Programm für
Existenzgründungen im Tourismusgewerbe zinsgüns-
tige Darlehen in Höhe von 550 Millionen DM zur Verfü-
gung gestellt. Auch das ist ein wichtiger Punkt; das geht
manchmal ein bisschen unter.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben zudem 250 Millionen DM nicht rückzahlbare
Zuschüsse für touristische Infrastruktur und Touris-
musgewerbe aus der Regionalförderung der Gemein-
schaftsaufgabe bereitgestellt.

Das sind konkrete Maßnahmen, die geholfen haben.
Wir haben aber auch bei der Entbürokratisierung gehol-
fen. So haben wir zum Beispiel die Euro-Auszeichnung in
Reisekatalogen bereits ab dem 1. August 2001 gestattet.
Außerdem haben wir im Hinblick auf die Preisauszeich-
nung in Hotels Vereinfachungen vorgenommen.

Das Jahr des Tourismus, das wir 2001 begehen, ist
eine nachhaltige Initiative für den Tourismus am Standort
Deutschland. Wir haben auf diesem Gebiet wichtige Part-
ner, die deutlich machen, dass es sich lohnt, in Deutsch-
land Urlaub zu machen, und zwar nicht nur für die Deut-
schen, sondern auch für viele, die aus dem Ausland zu uns
kommen. Wir brauchen das dringend.

Wir haben das Jahr des Tourismus auch inhaltlich
durchstrukturiert, mit den Verdi-Festspielen in Berlin be-
ginnend, mit den Wintersportereignissen im Schwarzwald
und mit vielen anderen Aktionen: Gesundheitsurlaub,
Wandern, Rad fahren, Brauchtum und kulturelle Veran-
staltungen. Das Jahr des Tourismus ist für uns alle – ich
glaube, das kann ich parteiübergreifend sagen – eine
wichtige Initiative für den Tourismus in Deutschland, vor
allem für die Beschäftigten in diesem Sektor.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Es bei Worten zu belassen ist ein bisschen wenig!)


– Wir haben schon viel investiert, lieber Ernst Hinsken;
das wissen Sie auch. Wir haben auch Partner gewonnen,
die uns ein bisschen helfen, etwa die öffentlich-rechtli-
chen Fernsehanstalten, die Bundesbahn, die Lufthansa
und viele andere, die sich engagieren. Das ist erfreulich;
denn das Jahr des Tourismus lebt von den Initiativen vor
Ort, davon, dass viele mitmachen, dass viele selber Ideen
entwickeln und sich einbringen.




Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf

15733


(C)



(D)



(A)



(B)


Ein letzter Punkt. Im nächsten Jahr, dem von der UNO
verkündeten Jahr des Ökotourismus, werden wir beson-
dere Initiativen auf einem Gebiet ergreifen, auf dem be-
reits jetzt gute Voraussetzungen bestehen. Als Beispiele
zu nennen sind der Fahrradtourismus, Urlaub auf dem
Land sowie der Campingtourismus. Bezüglich der Schaf-
fung einer Umweltdachmarke befinden wir uns in letzten
Abstimmungen. Auch das ist ein wichtiges Signal. Ich
glaube, dass die Menschen gerade im Urlaub nicht nur auf
Nachhaltigkeit, sondern auch auf Qualität Wert legen.
Diese Qualität finden sie am Tourismusstandort Deutsch-
land. Ich finde, darauf können wir stolz sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416110100
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Anita Schäfer.


Anita Schäfer (CDU):
Rede ID: ID1416110200
Frau Präsidentin! Ver-
ehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass der Tourismuspo-
litische Bericht der Bundesregierung statt innovativer Lö-
sungsansätze für die deutsche Tourismuswirtschaft nur
Statistiken enthält, haben wir bereits in der entsprechen-
den Debatte im März letzten Jahres feststellen müssen.
Aussagen zu den wirklich kritischen Fragen der Branche
blieben unbeantwortet.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Tou-

rismus erlagen die Vertreterinnen und Vertreter der SPD
und der Grünen der irrigen Meinung, dass es gelungen sei,
die Kaufkraft der Bevölkerung zu steigern und durch
Maßnahmen zur Entlastung der Betriebe ein ausgezeich-
netes Konjunkturklima für den Tourismus zu schaffen.
Also, entweder haben die Regierungskoalitionäre die
falschen Berater oder sie lebten in den letzten Jahren nicht
in Deutschland, sondern in einem unserer vom Tourismus
verwöhnten Nachbarländer, dort, wo der Tourismuswirt-
schaft vonseiten der Politik bessere Rahmenbedingungen
zur Verfügung gestellt werden.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Leider wahr!)

Unter diesen Bedingungen lehnt die CDU/CSU-Fraktion
die vorliegende Beschlussempfehlung ab.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Touris-

muswirtschaft als eine der wichtigsten Wachstumsbran-
chen darf aber nicht unterschätzt werden. Deutschland hat
einen großen Schatz von in Jahrhunderten gewachsenen
Kulturgütern, auf die wir stolz sein können und um die uns
viele Länder beneiden. Nur, die rot-grüne Reglementie-
rungswut darf den Vorfrühling im deutschen Tourismus
nicht im Keime ersticken.

Allein in Deutschland bietet die Branche schon heute
2,8 Millionen Arbeitsplätze und über 90 000 Ausbil-
dungsplätze, welche an den Standort Deutschland gebun-
den sind. Bedenken Sie dabei doch einmal, was alles
durch Ihre so genannte Finanz- und Sozialpolitik gefähr-

det wird: Die Tourismuswirtschaft macht einen Jahres-
umsatz von sage und schreibe 275 Milliarden DM, was
8 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt entspricht – und das
trotz der Politik dieser Bundesregierung. Noch keines-
wegs ausgeschöpft ist das Potenzial für Arbeitsplätze und
Einkommen in den Bereichen Urlaub, Freizeit und Reisen
in Deutschland.

Doch leider überträgt sich die positive Entwicklung der
Gäste- und Übernachtungszahlen in Deutschland nicht
auf den Arbeitsmarkt. Das Gegenteil ist der Fall: Die Zahl
der Beschäftigten im Gastgewerbe als dem wichtigsten
Leistungsträger der deutschen Tourismuswirtschaft ist
von Januar bis Oktober 2000 im Vergleich zum Vorjah-
reszeitraum um 2,7 Prozent zurückgegangen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Das ist nichts anderes als die Fortsetzung des negativen
Trends des Jahres 1999, in welchem der Beschäftigungs-
rückgang im Gastgewerbe 6,4 Prozent betrug.

Die verheerenden Folgen des Jobkillers 630-Mark-Ge-
setz sind bei weitem noch nicht kompensiert.


(Horst Kubatschka [SPD]: Sie haben wohl die Statistik nicht richtig gelesen! 4 Millionen!)


Das Gastgewerbe in unserem Lande leidet seit In-Kraft-
Treten des Gesetzes am 1. April 1999 immer noch massiv
unter dem Verlust von weit mehr als 100 000Arbeitsplät-
zen. Der entstandene Schaden kann durch die wenigen
neu geschaffenen Vollzeitarbeitsverhältnisse nicht ausge-
glichen werden.

Laut Statistischem Bundesamt sank der Umsatz im
Gastgewerbe im Jahre 1999 um 1,4 Prozent, während er
von Januar bis Oktober 2000 lediglich um 1,1 Prozent
stieg. Im Gaststättenbereich zeichnet sich eine katastro-
phale Entwicklung ab. Hier ging der Umsatz allein von
Januar bis Oktober 2000 um 1,8 Prozent zurück. Der Ar-
beitskräftemangel durch die Neuregelung der gering-
fügigen Beschäftigungsverhältnisse lässt grüßen. Für die
bevorstehende Sommersaison ziehen dicke Gewitterwol-
ken auf.

Tourismuspolitik in Deutschland ist Mittelstandspoli-
tik. Wenn man wie ich aus einem ländlich geprägten
Landkreis kommt, dann sorgt man sich besonders um die
kleinen Zimmeranbieter von nebenan.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen auch wir!)


Auch die dürfen in ihrer Masse nicht unterschätzt werden.
Vor allem größere Unternehmen profitieren zurzeit von

Zuwächsen bei der Übernachtung im hochpreisigen Seg-
ment, während kleine und mittlere Unternehmen Ein-
bußen hinnehmen müssen. Leider sind hier genauere Ana-
lysen nicht möglich, da Übernachtungen in Betrieben mit
weniger als neun Gästebetten in Deutschland statistisch
nicht erfasst werden. Wirtschaftlichkeit bedeutet aber
auch Bettenauslastung. Hier zeichnet sich in unserem
Lande ein gnadenloser Wettbewerbskampf ab. Steigende
Zimmerauslastungen sind vorwiegend bei internationalen
Hotelgesellschaften zu verzeichnen, die gegenwärtig mit
massiven Investitionen in Deutschland ihre Kapazitäten




Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
15734


(C)



(D)



(A)



(B)


ausweiten. Das ist im Grunde auch sehr lobenswert. Nur,
für viele kleine und mittlere Unternehmen ist nicht der
Umsatz, sondern der Gewinn lebensnotwendig. Gerade
die Gewinne dieser Unternehmen sind aber rückläufig.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich hätte an dieser Stelle gern Wirtschaftsminister

Müller begrüßt – nichts gegen Sie, Herr Mosdorf, Sie wis-
sen, dass ich Sie sehr schätze –; denn ich möchte Herrn
Minister Müller zitieren.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Frau Kollegin Schäfer, er hat seine Rede heute Morgen schon gehalten! Das langt für den ganzen Tag!)


– Ich habe es gehört.
Ich zitiere:
Die im europäischen Vergleich hohe Belastung des
deutschen Hotel- und Gaststättengewerbes durch die
Mehrwertsteuer von 16 Prozent muss reduziert wer-
den. Gerade weil für die Tourismuswirtschaft in
Deutschland die europäische Dimension immer
wichtiger wird, sind die gewaltigen Unterschiede bei
den Mehrwertsteuersätzen in den Mitgliedsländern,
die zwischen 3 und 25 Prozent schwanken, ein be-
sonders großes Hindernis. Wer für mehr Urlaub in
unserem Land eintritt, muss diesen handfesten Wett-
bewerbsnachteil zu beseitigen versuchen.

Richtig, Herr Minister Müller. Diese Worte sprechen
für sich. Aber unser Antrag zur Harmonisierung der
gastgewerblichen Mehrwertsteuerwurde von Ihrer Ko-
alition abgelehnt.

Deutschlands Hotellerie hat unter den Gemeinschafts-
ländern an belastenden Preisfaktoren wahrlich genug: die
höchsten Lohnkosten, die höchsten Lohnnebenkosten,
hohe Wareneinsatzkosten, neuerdings sogar eine Öko-
steuer und keinen Vorsteuerabzug mehr bei Beherbergung
und Verpflegung. Gleichzeitig hat Deutschlands Hotelle-
rie die geringste Rendite und als Folge davon eine viel zu
niedrige Kapitalausstattung. Bei dieser Konstellation ist
der reguläre deutsche Mehrwertsteuersatz der berühmte
Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zwölf von 15 Ländern der Europäischen Union wenden
auf Beherbergung bereits den ermäßigten Mehrwertsteu-
ersatz an. Mit dem geltenden Satz von 16 Prozent hat
Deutschland den dritthöchsten Mehrwertsteuersatz auf
Hotelleistungen in der gesamten Europäischen Union.

Nun noch etwas Wirtschaftspolitik: Um die wirtschaft-
lichen Folgen von Ökosteuer, Änderung der Reisekosten-
pauschale, Wettbewerbsverzerrungen durch unterschied-
liche Mehrwertsteuersätze in der EU, Reform der
630-Mark-Beschäftigungsverhältnisse und Streichung
des Vorsteuerabzugs für geschäftlich bedingte Übernach-
tungs- und Verpflegungsaufwendungen aufzufangen,
müssen in der Hotellerie und Gastronomie Stellen abge-
baut werden; so geschehen in der jüngsten Vergangenheit.
Das ist ein Teufelskreis, denn weniger Mitarbeiter bedeu-
ten weniger Service, weniger Qualität und auch weniger
Umsatz. Weniger Umsatz und Mitarbeiter aber bedeuten

auch geringere Staatseinnahmen und höhere Staatsausga-
ben.

Das Ansehen der Beschäftigten in dieser Dienstleis-
tungsbranche muss dringend verbessert werden, damit
junge Menschen vermehrt die Berufe in dieser Branche
erlernen und damit deutsche Arbeitnehmer in dieser Bran-
che arbeiten wollen. Ein Positionspapier der Kanzlerbera-
ter Professor Streeck und Heinze zeigt auf, dass die
Ermäßigung der Mehrwertsteuer sehr wohl beschäf-
tigungspolitische Auswirkungen hat:

Erwerbsquote und Arbeitslosenquote stehen in ei-
nem unmittelbaren Zusammenhang. Dort, wo die
Erwerbsquote noch ist, ist die Arbeitslosenquote
niedrig, und umgekehrt. Will Deutschland seine Ar-
beitslosenquote senken, muss es seine Erwerbsquote
erhöhen. ... Der deutsche Beschäftigungszuwachs im
Dienstleistungssektor bleibt ... weit hinter anderen
Ländern zurück. Vergleicht man die Zahl der Be-
schäftigten pro 1 000 Einwohner, so ergibt sich
für Deutschland gegenüber den USA ein Be-
schäftigungsdefizit von 1,9 Millionen Arbeitsplätzen
allein bei den freizeitbezogenen Dienstleistungen

(Gastgewerbe, Kultur, Erholung und Sport).



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416110300
Frau Kollegin,
denken bitte auch Sie an die Redezeit.


Anita Schäfer (CDU):
Rede ID: ID1416110400
Es gibt so viel zu sagen.
Sie sehen, wie wichtig das ist.

Arbeiten wir daran, dass alles besser wird! Ich hoffe,
Frau Roth wird auf unsere Forderung eingehen, das 630-
Mark-Gesetz zurückzunehmen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416110500
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Sylvia Voß.


Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416110600
„Stets an-
derer Meinung zu sein ist das Gegenteil davon, eine eige-
ne Meinung zu haben.“ Dies trifft leider auf die Opposi-
tion auf der rechten Seite in diesem Hause immer wieder
zu. Sie reden heute ganz anders als früher und behaupten
oft sogar das Gegenteil von dem, was Sie in Ihrer Regie-
rungszeit geäußert haben.

Nehmen wir doch nur einmal einen Satz:
Nach Auffassung der Bundesregierung sollen gering-
fügige Beschäftigungsverhältnisse die Ausnahme
vom Regelfall des sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnisses sein.

Wo bleibt Ihr Beifall? Wissen Sie, woher ich dies habe?
– Es steht in der Drucksache 12/8489. Sie ist vom 19. Sep-
tember 1994. Wer war denn zum damaligen Zeitpunkt in
Deutschland an der Regierung?


(Horst Kubatschka [SPD]: Das wissen sie nicht mehr!)





Anita Schäfer

15735


(C)



(D)



(A)



(B)


Was kümmert die Opposition ihr Geschwätz von ges-
tern, wenn man heute mit dem Gegenteil der früheren
Aussagen so schön populistisch herumpoltern kann? Sie
fordern doch bei jeder passenden und vor allen Dingen bei
jeder unpassenden Gelegenheit, das Gesetz zur Neurege-
lung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse
zurückzunehmen. Das aber hätte – das wissen Sie – die
Aushöhlung der Finanzgrundlagen der Sozialversiche-
rung zur Folge. Neue Arbeitsverhältnisse für fachkundi-
ges Personal würden Sie auf diesem Wege nie erreichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wo aber sehen Sie denn einen Weg zu einer guten Qua-
lität und zu einer besseren Bezahlung in der Hotellerie
und Gastronomie? Ihre platten Forderungen und Ihr kon-
fuses Agieren sind wenig hilfreich. In Frankreich, Spa-
nien und Italien gibt es übrigens keine Sozialversiche-
rungsfreiheit. Unser Gesetz ist also zugleich als eine
Maßnahme gegen Wettbewerbsverzerrungen im europä-
ischen Bereich zu verstehen. Dies sollte auch Ihnen am
Herzen liegen.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Trinkgeldbesteuerung!)


Wenn rot-grüne Tourismuspolitiker sagen, es gehe un-
serer Tourismuswirtschaft gut – das können wir anhand
von Zahlen belegen –, dann ist es klar, dass die schwarz-
gelbe Opposition anderer Meinung sein muss. Wir dürfen
keine Anerkennung erhalten, auch wenn Sie dafür die
Wirklichkeit verbiegen müssen. Wer dabei jedoch über-
treibt, der muss es sich zu Recht gefallen lassen, dass sich
sogar die Fachpresse besorgt fragt – ich zitiere noch ein-
mal –,

ob die Christdemokraten die Navigationsdaten falsch
gelesen und im Nebel von Studien und Statistiken die
Orientierung verloren haben.

(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Kann ich den Artikel bekommen?)

– Den können Sie gerne bekommen.

So ist das eben, wenn man den Tourismusstandort
Deutschland partout schlecht reden will.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Quatsch! Kein Mensch macht das!)


– Natürlich. Das tun Sie doch ständig.
Als wir vor etwas mehr als einem Jahr zum ersten Mal

zusammentrafen, um über den Tourismuspolitischen Be-
richt der Bundesregierung zu debattieren, machten Sie uns,
Herr Brähmig, den Vorwurf, die Bundesregierung trage zu
wenig zur Gesundung der Tourismuswirtschaft bei.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das stimmt!)

Dazu kann man nur sagen, dass der Patient zu diesem
Zeitpunkt gar nicht mehr so krank war, und zwar dank un-
seres politischen Einsatzes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben uns nämlich darangemacht, die Versäumnisse
und Fehlentwicklungen der Tourismuspolitik der christ-
lich-liberalen Koalition auszuräumen und abzuwenden.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Mir kommen die Tränen!)


Wir haben als eine unserer allerersten Handlungen die
Mittel für die Deutsche Zentrale für Tourismus aufge-
stockt, die Sie – erinnern Sie sich bitte daran – massiv kür-
zen wollten. Auch das ist so ein Geschwätz von gestern.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das Thema besprechen wir noch!)


– Herr Brähmig, es hilft überhaupt nichts, wie ein Huhn
zu gackern, das ewig kakelt und mirakelt.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Man hat Ihnen etwas aufgeschrieben, was Herr Mosdorf schon mit anderen Worten gesagt hat! Lesen Sie nicht alles ab, was man Ihnen aufgeschrieben hat!)


– Wissen Sie, Herr Hinsken, das habe ich mir selbst auf-
geschrieben. Aber das bekommen Sie gar nicht hin. Sie
kakeln und mirakeln ständig, dass wir die Mittel für die
DZT noch stärker anheben sollten. Das würden wir gerne
tun. Aber Sie haben uns doch diesen maroden Scherben-
haufen von Haushalt hinterlassen. Es kommt hier nicht
darauf an, wer am lautesten gackert, was Sie so gerne tun,
sondern wer tatsächlich die Eier legt.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Dann legen Sie mal Eier! Ostern kommt bald!)


Sie haben in Bezug auf die DZT absolut gar nichts zu-
stande bekommen.

Zurück zu den Statistiken, durch die die CDU/CSU
ihre Orientierung total verloren hat: Im zurückliegenden
Jahr verzeichnete die Tourismuswirtschaft 6,5 Prozent
mehr Gäste und 5,9 Prozent mehr Übernachtungen. Von
den ausländischen Gästen übernachteten sogar 10,9 Pro-
zent mehr in unserem schönen Heimatland.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Auf das wir stolz sein können!)


– Wissen Sie, wir führen gerade eine andere Debatte. Das
Wort „stolz“ kam heute schon ziemlich häufig vor. – Die
Gästezahlen in den neuen Ländern stiegen sogar um
8,5 Prozent; bei den Übernachtungen war ein Plus von
10,1 Prozent festzustellen.

Die Opposition aber spricht, wider alle Orientierung,
von Stagnation. Man kann nur sagen: Absurder geht das
kaum, Kopfrechnen sechs.

Für dieses Jahr des Tourismus werden 341,3 Millionen
Übernachtungen in Deutschland und damit ein Anstieg
um 5,3 Prozent erwartet. Also, meine Damen und Herren
von der rechten Seite: Unsere Tourismuswirtschaft steht
nicht mit einem blassen Gesicht, sondern mit roten Paus-
backen da.


(Beifall bei der SPD)

Aus diesem Grund teilt die rot-grüne Koalition die Be-

fürchtungen der Opposition nicht. Das bedeutet aber nicht,
dass wir uns einfach zufrieden zurücklehnen. Im Gegen-




Sylvia Voß
15736


(C)



(D)



(A)



(B)


teil: Mit unserem Tourismusförderungsprogramm ver-
bessern wir die Rahmenbedingungen für den deutschen
Tourismus, speziell auch unter dem Aspekt des Umwelt-
und Naturschutzes, wo Sie so lange geschlafen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Abschließend möchte ich noch anmerken: Unter den
Reiseveranstaltern in Deutschland ist Zufriedenheit schon
jetzt eine der meistbemühten Vokabeln. Ihr Ungläubigen
von der rechten Seite des Hauses hört das nicht gern; aber
das ist so. Man kann nur sagen: Macht doch einfach mit!


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wobei?)

Helft uns, für den Tourismus in diesem Landes etwas
Gutes zu tun, anstatt mit Postkarten Schiffe versenken zu
spielen und mit falschen SOS-Rufen die Wirtschaft dieses
Landes schlecht zu reden!

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416110700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Ernst Burgbacher.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Jetzt kommt wenigstens was Vernünftiges!)



Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1416110800
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Selbstverständlich
freuen wir uns alle über die positiven Zahlen im Deutsch-
landtourismus. Wir freuen uns, dass die vielen Menschen
in den Bereichen Hotels, Gaststätten, Reisebüros und vie-
len touristischen Einrichtungen durch ihren Fleiß und ihre
Kreativität die entsprechenden Ergebnisse erreicht haben.
Diese Leistung ist zuallererst deren Verdienst und nicht
das Verdienst der Politik.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich sage Ihnen: Die Entwicklung gibt Anlass zur

Freude, aber keinen Anlass zur Euphorie; sie bietet viel-
mehr Anlass, die Zahlen etwas differenzierter zu betrach-
ten. In diesem Zusammenhang müssen wir leider feststel-
len: Wir haben zwar im Hotelbereich insgesamt eine
bessere Auslastung, aber in vielen Teilen des Hotelsektors
– insbesondere in den kleinen Familienhotels – große Pro-
bleme. Diese lassen sich nicht mit allgemeinem Daten-
material vom Tisch wischen.

Wir haben im Gaststättenbereich eine ganz Besorgnis
erregende Entwicklung. Der DEHOGA-Konjunkturbe-
richt spricht von gesunkenen Erträgen bei 38,1 Prozent
aller Gaststätten, während nur bei 30,3 Prozent der Gast-
stätten gestiegene Erträge zu verzeichnen sind. Man muss
diese Probleme sehen. Des Weiteren haben wir bei den
Reisebüros und den Reisebusunternehmen teilweise eine
äußerst kritische Entwicklung zu verzeichnen. Wir müs-
sen diese Tatsachen zunächst einmal sehen und dürfen sie
nicht mit pauschalen Daten unter den Tisch kehren.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Die F.D.P. sieht in der Tourismuspolitik drei vorran-
gige Handlungsfelder:

Erstens. Die Politik muss die Rahmenbedingungen so
setzen, dass private Unternehmen Gewinne machen und
investieren können und dass touristische Unternehmen im
immer schärfer werdenden europäischen und weltweiten
Wettbewerb bestehen können.

Zweitens. Der Deutschlandtourismus ist nicht im Bil-
ligpreissegment, sondern eher durch ein gutes Preis-Leis-
tungs-Verhältnis wettbewerbsfähig. Deshalb brauchen
wir eine Qualitätsoffensive in Angebot und Leistung.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen wir ja!)


Drittens. Der Deutschlandtourismus braucht Struktur-
reformen unter der Devise: Mehr privat und weniger Staat.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Lassen Sie mich zum ersten Punkt – richtige Rahmen-

bedingungen setzen – Ausführungen machen: Die Zahlen
im Deutschlandtourismus sind gut, könnten aber noch viel
besser sein, wenn die Bundesregierung nicht ständig neue
Hindernisse für die Tourismuswirtschaft aufbauen würde.
Die Forderungen der F.D.P. in diesem Zusammenhang
sind klar: Weg mit der Ökosteuer, weg mit den neuen Re-
gelungen zur Scheinselbstständigkeit und Beseitigung der
Strangulierung des Arbeitsmarktes durch das Teilzeit-
gesetz und flächendeckende Gewerkschaftsmacht. Wich-
tig sind vielmehr eine Flexibilisierung der Arbeitsmärkte
und die Verlagerung der Verantwortung in die Betriebe.
Das ist angesagt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Weiterhin müssen wir Bürokratie abbauen. Wir müssen

auch bedenken – ich sage Ihnen das schon seit zwei Jah-
ren –:


(Horst Kubatschka [SPD]: Wer war denn früher zuständig?)


Wir stehen ein Dreivierteljahr vor der Einführung des
Euro. Natürlich wird die Tatsache, dass die Menschen in
Europa mit Euro bezahlen, den Wettbewerb wesentlich
verändern und ihn auch verschärfen. Deshalb sagen Sie
endlich Ja zur Einführung eines reduzierten Mehrwert-
steuersatzes in der Hotellerie. Wenn Sie das nicht ma-
chen, dann sind Sie dafür verantwortlich, wenn hier
Arbeitsplätze in großer Zahl wegfallen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Horst Kubatschka [SPD]: Und wer soll das bezahlen?)


Der Deutschlandtourismus ist weitgehend von einer
mittelständischen Struktur geprägt. Wir müssen alles tun,
um diese Struktur zu erhalten. Der Mittelstand garantiert
– das ist die Wahrheit – Arbeits- und Ausbildungsplätze.
Er sorgt in hohem Maße für die Attraktivität des Deutsch-
landtourismus und für das positive Image des Urlaubslan-
des Deutschland. Deshalb kann es nicht sein, dass die
Regierung hier eine Politik für die Großindustrie und
dezidiert gegen den Mittelstand macht.


(Zuruf des Abg. Horst Kubatschka [SPD])





Sylvia Voß

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(C)



(D)



(A)



(B)


– Herr Kubatschka, hören Sie lieber zu, als ständig da-
zwischenzubellen!

Lassen Sie mich auf den zweiten Punkt zu sprechen
kommen, die Verbesserung der Qualität. Ein qualitativ ho-
hes Angebot erreichen wir dann, wenn Unternehmen Geld
verdienen und dieses Geld investieren.


(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Wir müssen auch viel mehr in die Dienstleistungsmenta-
lität und die Servicebereitschaft investieren. Lächeln
muss sich in diesem Land wieder lohnen! Deshalb fordern
wir seit vielen Jahren deutliche Steuersenkungen. Unser
Steuerreformkonzept liegt auf dem Tisch: 15, 25 und
35 Prozent. Sie müssen dem nur endlich zustimmen. Wir
brauchen Qualitätsinitiativen, die von Staat und Wirt-
schaft gemeinsam getragen werden. Ich möchte hier auf
wirklich richtungsweisende Modelle in Baden-Württem-
berg aufmerksam machen.

Die Abschaffung der unsinnigen Trinkgeldbesteue-
rung sollte endlich gelingen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich möchte aus dem „vorwärts“ zitieren – es ist schön,
wenn man das einmal kann –, in dem Bundeswirtschafts-
minister Müller erklärt hat:

Man könnte die Trinkgeldsteuer abschaffen. Ich habe
das Thema schon mehrmals mit dem Finanzminister
besprochen – bisher ohne Ergebnis. Aber das heißt
nicht, dass man es nicht weiter besprechen sollte.

Lieber Herr Mosdorf, sagen Sie Ihrem Chef doch bitte,
dass er sich nicht nur besprechen, sondern endlich auch
handeln sollte. Stimmen Sie unserem Gesetz endlich zu!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Horst Kubatschka [SPD]: Warum haben Sie nicht gehandelt, als Sie regiert haben? Fehlanzeige!)


Herr Mosdorf und andere Kollegen haben auf die bes-
sere Mittelausstattung der DZT hingewiesen. Ich halte es
nach wie vor für schändlich, dass Herr Müller das Jahr des
Tourismus ausruft, aber keinen einzigen Pfennig für diese
Aktion zur Verfügung stellt.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)


Herr Mosdorf, die bessere Mittelausstattung der DZT
ist ja nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Me-
daille ist, dass Sie bei anderen Haushaltsposten mehr ge-
strichen haben. Seien Sie also ehrlich: Ihnen stehen nicht
mehr, sondern weniger Mittel zur Verfügung. Man kann
nicht das Jahr des Tourismus ausrufen und gleichzeitig
nichts für die Förderung des Tourismus in Deutschland
tun. Das ist zu wenig. Wir haben eine Riesenchance, die
wir nutzen sollten.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Das Jahr des

Tourismus hätte die große Chance geboten, etwas zu tun,
sinnvoll zu handeln und die unsinnigen Dinge, die Sie

vorher getan haben, zurückzunehmen. Das Jahr des Tou-
rismus steht unter dem Motto: „Reiseland Deutschland
– nix wie hin!“ Ich bitte die Bundesregierung, im Jahr des
Tourismus sinnvolle Maßnahmen auf den Weg zu brin-
gen. Herr Mosdorf, nix wie ran!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Horst Kubatschka [SPD]: Herr Kollege, lächeln Sie jetzt! Ein offensives Lächeln!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416110900
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Rosel Neuhäuser.


Rosel Neuhäuser (PDS):
Rede ID: ID1416111000
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! In den vergangenen Diskus-
sionen über den Tourismuspolitischen Bericht der Bun-
desregierung ist deutlich geworden, dass Tourismuspoli-
tik nicht nur ein Ressort betrifft, sondern dass viele
Bereiche daran arbeiten und mit in der Verantwortung ste-
hen. Ich möchte hier keine Zahlen auflisten; denn es geht
um Positionen, die man deutlich machen muss und die
sich nicht unbedingt an Zahlen festmachen lassen. Es geht
in der Tourismuspolitik nämlich um einen breiten Kon-
sens und den politischen Willen, die Verantwortung von
Politik, Wirtschaft und Tourismusbranche an gemeinsa-
men Zielen zu orientieren.

Wir alle sind uns sicher dahin gehend einig, dass wir
der Tourismuswirtschaft den Stellenwert geben sollten,
der ihr zu Recht zusteht. Wenn wir in diesem Sinne die
Tourismuswirtschaft leistungs- und wettbewerbsfähiger
gestalten wollen, benötigen wir beim Bund, bei den Län-
dern, bei den Kommunen und natürlich auch in der Bran-
che den politischen Willen für eine hohe Kooperations-
bereitschaft.


(Beifall bei der PDS)

Das heißt, es ist genau zu definieren, was das Besondere
an meinem Produkt und an meiner Region ist und wo ich
es wie mit wem am besten vermarkten kann.

Wir alle wissen, dass Mittel und Ressourcen begrenzt
sind. So ist es umso wichtiger, sich auf Schwerpunkte zu
konzentrieren und regional übergreifende Marketingkon-
zepte zu entwickeln und auszubauen. Da gibt es bereits
Ansätze. Wir brauchen nicht ein ständiges Mehr an Tou-
rismus. Was wir brauchen, ist ein Mehr an Qualität, ein
Mehr an Service und ein Mehr an Flexibilität beim Erfül-
len von Gästewünschen. Ich denke, das ist ein ganz wich-
tiger Faktor: Dafür braucht die Branche qualifizierte
Fachkräfte. Das ist übrigens nichts Neues. Jeder weiß aus
eigener Erfahrung: Qualität, Quantität und Kontinuität
sind und bleiben das A und O für den Tourismus und, wie
ich denke, nicht nur für ihn allein.


(Beifall bei der PDS)

Deshalb muss diese Branche auf feste Füße gestellt wer-
den. Das geht aber – auch dieses Problem spreche ich
heute nicht zum ersten Mal an – nicht auf der Basis von
ABM oder SAM;


(Beifall bei der PDS)

vielmehr sind Festanstellungen erforderlich.




Ernst Burgbacher
15738


(C)



(D)



(A)



(B)


In diesem Zusammenhang sei aber auch gesagt:
Freundlichkeit – darauf hat Herr Burgbacher eben hinge-
wiesen – kann man nicht lernen; dennoch ist sie für das
Gesamtbild eines Produktes nicht ganz unwesentlich. Wie
oft hilft ein Lächeln über manche Klippen hinweg? Das
ist nun einmal so.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Horst Kubatschka [SPD]: Das ist so! Da klatsche ich!)


Insofern bleiben aber noch viele Wünsche offen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt nach wie vor

immer wieder Grund, die Absolutheit und Einseitigkeit
der Darstellung des Tourismus als des Wirtschaftsfaktors
schlechthin und der Jobmaschine schlechthin zu kritisie-
ren. Ich frage Sie: Ist die Wirtschaft Partner des Tourismus
oder ist der Tourismus Partner der Wirtschaft? Die Ant-
wort fällt besonders schwer, wenn es um die Synergie-
effekte geht. Denn am Tourismus partizipieren viele Wirt-
schafts- und Dienstleistungszweige und genau dieser po-
sitive Umstand erschwert die Darstellung der Tourismus-
branche als des entscheidenden Wirtschaftsfaktors.

Trotz der Schwerpunktsetzung auf die Wirtschaftlich-
keit des Tourismus – Herr Mosdorf hat das ausführlich ge-
macht – dürfen wir seine soziale Seite nicht vergessen.
Kinder, junge Menschen und junge Familien haben das
gleiche Recht auf Erholung wie sozial Schwache und
Menschen mit Behinderung.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nach meinen Informationen gibt es zum Beispiel in
Deutschland 700 000 Menschen, die im Rollstuhl sitzen,
und circa 10 Millionen Menschen, die eine Gehbehinde-
rung haben. Diese Menschen geben jährlich 3,1 Milliar-
den DM für Urlaub aus. Nicht dass Sie denken, sie blei-
ben zu Hause, in Deutschland! Nein, fast 90 Prozent
dieser Menschen mit Behinderung verbringen ihren Ur-
laub im Ausland. Ich denke, dieser Aspekt wird in der
Tourismuspolitik noch zu wenig beleuchtet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktio-
nen, wie ich Sie kenne, warten Sie schon seit Beginn mei-
ner Rede auf Ausführungen zu Kinder- und Jugendrei-
sen. Ich möchte Sie auch heute nicht enttäuschen.


(Horst Kubatschka [SPD]: Das ist gut so! Da klatschen wir, wenn Sie uns nicht enttäuschen! – Beifall des Abg. Horst Kubatschka [SPD])


Die vorgestellten Studien auf der ITB – und nicht nur die
der PDS-Bundestagsfraktion – belegen, dass die Politik
gegenüber der Branche gefordert ist. Es geht um die An-
erkennung von Einrichtungen und um deren materielle
und finanzielle Ausstattung. Diesem Problem sollten wir
uns schnellstmöglich zuwenden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416111100
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Renate Gradistanac.


Renate Gradistanac (SPD):
Rede ID: ID1416111200
Frau Präsidentin! Werte
Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Fazit des Tourismuspolitischen Berichts ist:
Der Tourismus boomt. Unsere tourismuspolitische
Sprecherin Bruni Irber würde sagen: Der Tourismus
brummt. Das freut nicht nur unseren „Tourismuskanzler“
Gerhard Schröder, wie ihn der Bundesvorsitzende des
DEHOGA, Herr Kaub, treffend bezeichnet hat, sondern
auch alle Mitglieder der Tourismus-AG der SPD.


(Beifall bei der SPD)

Die populistische Postkartenaktion der CDU/CSU mit

der Überschrift „SOS – Stand Ort Stau im deutschen Tou-
rismus“ – meine Kollegin hat es schon angesprochen –,
die pathetisch die angeblich dramatische Situation des
Deutschlandtourismus beschreibt, löste bei uns und bei
Veranstaltern verwundertes Kopfschütteln aus.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Jetzt gehen Sie einmal auf die Probleme ein, die hier drinstehen! – Gegenruf der Abg. Susanne Kastner [SPD]: Wir reden darüber, worüber wir wollen!)


– Herr Hinsken, gemach! Ich weiß, dass ich Sie häufig
aufrege.

Hier einige Stimmen:
Astrid Clasen-Czaja von der TUI:
Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.

Günther Degenhardt von Neckermann Reisen:
Diese Ergebnisse können wir in unserer täglichen Ar-
beit nicht feststellen.

Martin Katz, Geschäftsführer von Ameropa, spricht
ebenfalls von nicht nachvollziehbaren Horrorszenarien.
Er verzeichnet ein

ordentliches Plus bei Umsatz und Teilnehmern und
diagnostiziert eine positive Entwicklung im
Deutschlandtourismus.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Udo Schröder von der ITS ist ebenso positiv gestimmt:
Wir werden in diesem Jahr sicher ein Umsatz- und
Gästeplus erzielen. 1999/2000 reisten 150 000 Gäste
mit ITS in Deutschland. Das entspricht einer Steige-
rung von 14 Prozent.

Sie merken, dass ich darüber lange sprechen kann.
Claudia Gilles, Hauptgeschäftsführerin des DTV:
Die Übernachtungszahlen zeigen, dass Deutschland
gut gefragt ist.

Auch Ursula Schörcher von der DZT sagt – damit
schließe ich den Reigen der Zitate aus dem „Reisebüro-
Bulletin“, Nr. 10; ich sage das, falls Sie, Herr Brähmig,
wissen möchten, woraus ich zitiere –, dass Deutschland
nicht aus der Mode gekommen ist.

Hier die Fakten – der Staatssekretär hat schon einige
genannt –: In Deutschland hat der Tourismus einen Anteil




Rosel Neuhäuser

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(C)



(D)



(A)



(B)


am Bruttoinlandsprodukt von rund 8 Prozent. Die Zahl
der Arbeitsplätze im Tourismus beläuft sich auf 2,8Mil-
lionen, die der Ausbildungsplätze auf 91 000. Die Über-
nachtungszahlen im Osten steigen überproportional an.

Ich freue mich, dass die SPD-geführte Bundesregie-
rung das Jahr 2001 zum „Jahr des Tourismus“ ausgerufen
hat – ein Vorschlag aus der Mitte unseres Ausschusses,
des Tourismusausschusses.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

– Ich freue mich, dass Sie Ihren Humor wiedergefunden
haben. – Damit kann das Bewusstsein wachsen, dass
Deutschland mit seinen vielfältigen Tourismusregionen
ein hervorragendes Tourismusland ist.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Das ist richtig!)

Die Sterne – übrigens nicht nur die kulinarischen – kön-
nen poliert und herausgestellt werden. Die Qualitätsof-
fensive kommt zur richtigen Zeit.

Ich verbinde mit dem „Jahr des Tourismus“ auch den
Gedanken an eine Dienstleistungsgesellschaft. Dazu
gehören selbstverständlich Arbeitsplätze, die existenzsi-
chernde Einkommen ermöglichen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dazu gehören nicht die 630-Mark-Jobs, die vor unserem
Amtsantritt in der Branche einen Anteil von über 40 Pro-
zent hatten. Dazu gehören Ausbildungsplätze, die nicht
die alarmierende Abbrecherquote von circa 40 Prozent
nach sich ziehen und die es nicht mit sich bringen, dass
nach Ausbildungsende 60 Prozent in andere Branchen ab-
wandern.


(Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dazu passt ausgezeichnet – nicht Ihr Wunsch nach ei-
ner Zwischenfrage –,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


dass die Tourismusbranche, die mittelstandsgeprägt ist,
durch unsere Steuerreform um 25 Milliarden DM entlas-
tet wurde, abgesehen von den gut zugeschnittenen Mittel-
standsprogrammen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416111300
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?


Renate Gradistanac (SPD):
Rede ID: ID1416111400
Lieber nicht.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Genau das habe ich erwartet! Feigheit ist das!)

– Wir kennen uns aus der praktischen Arbeit. Daher: lie-
ber nicht.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie wollen das runterlesen, was Sie auswendig gelernt haben!)


Ich wiederhole: Wir fördern – darauf sind wir stolz –
den Einsatz moderner Technologien mit 24 Kompetenz-
zentren. Ein weiteres, speziell für den Tourismus, wird in
Worms entstehen. Wir begrüßen, dass mit Viabono eine
intelligente und einheitliche Umweltdachmarke für den
Deutschlandtourismus eingeführt wird. Damit wird eine
von den Tourimuspolitikerinnen – Männer sind in diesem
Fall mit gemeint – immer wieder erhobene Forderung in
die Praxis umgesetzt. Das Konzept Viabono beruht auf
dem Ziel, eine Dachmarke für alle touristischen Segmente
zu schaffen. Es wirbt – ich zitiere – „für neue Wege für das
Reisen, für mehr Qualität, mehr Natur, mehr Spaß, mehr
Genuss“.

Das alles kann frau auch in meiner Heimat, im
Schwarzwald, zum Beispiel bei Ferien auf dem Bauern-
hof genießen. Wer von den Anbietern noch nicht fit ist,
kann mit einem Modernisierungsprogramm nachhelfen.
Das gilt auch für veraltete Privatzimmer.

Unser umfangreiches Programm zur Stärkung des Tou-
rismus in Deutschland ist auf gutem Weg, Viabono.

Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär für Ihre Unter-
stützung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416111500
Der Herr Kol-
lege Hinsken möchte eine Kurzintervention machen.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tut ja schon weh: Nichts sehen, nichts hören, aber laut reden!)


Das ist sein Recht, wie es Ihr Recht ist, Zwischenfragen
abzulehnen.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU/CSU[: Ihr Grünen baut die Oppositionsrechte sowieso systematisch ab! – Gegenruf des Abg. Horst Kubatschka [SPD]: Sie sprechen vom Bayerischen Landtag?)


– Nein, das tun wir nicht.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1416111600
Werte Frau Präsidentin!
Ich möchte mich bedanken, dass Sie diese Kurzinterven-
tion zulassen, nachdem ja die Kollegin meine Zwi-
schenfrage abgelehnt hat. Ich wollte nur einiges zu-
rechtrücken, was sie falsch dargestellt hat.

Es ist nicht von der Hand zu weisen – gerade die
Hotellerie und die Gastronomie stellen das fest –, dass in
diesem Bereich durch das 630-DM-Gesetz über 100 000 Ar-
beitsplätze verloren gegangen sind, während gerade im
Hotel- und Gaststättengewerbe zum gegenwärtigen Zeit-
punkt 80 000 Arbeitskräfte dringend benötigt, aber nir-
gendwo gefunden werden, weil die Bedingungen hierfür,
gerade was Geringverdienermöglichkeiten anbelangt, so
schlecht sind, und das wirkt sich negativ aus.

Eine zweite Bemerkung. Ich nehme sehr wohl auf, was
hier zum Jahr des Tourismus gesagt worden ist. Frau
Kollegin Gradistanac, wenn Sie ehrlich gewesen wären,




Renate Gradistanac
15740


(C)



(D)



(A)



(B)


dann hätten Sie gesagt, dass der Vorschlag, dieses Jahr
einzuführen, von der CDU/CSU-Fraktion kam und dass
sich dann dankenswerterweise der Parlamentarische
Staatssekretär Mosdorf besonders dahinter geklemmt hat,
dass daraus etwas geworden ist.

Bundeswirtschaftsminister Müller ist momentan land-
auf, landab unterwegs, um sich damit zu rühmen, das um-
gesetzt zu haben. Aber er vergisst immer, darauf zu ver-
weisen, dass er nicht bereit ist, eine einzige Mark zur Ver-
fügung zu stellen. Das passt nicht zusammen.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr tut ja auch alles dagegen!)


Eine dritte Bemerkung. Ich finde es richtig, wenn, was
die Deutsche Zentrale für Tourismus betrifft, im kom-
menden Haushaltsjahr wieder eine Mittelaufstockung
vorgenommen wird. Auch wir von der Opposition wollen
die Regierung und die sie tragenden Parteien gerade in
dieser Angelegenheit unterstützen. Aber ich darf schon
darauf verweisen, dass bisher von den Rednern der Re-
gierungsparteien, aber auch bei Ihnen, Herr Staatssekretär
Mosdorf, die Gunst der Stunde nicht genutzt wurde, alles
das vorzutragen, was momentan Hotellerie und Gastrono-
mie auf den Nägeln brennt. Deshalb bin ich dankbar, dass
Kollege Burgbacher und Kollegin Schäfer aus ihrer Sicht
bereits darauf verwiesen haben.

Ich will hier ausdrücklich sagen, dass das, was die Kol-
legin Neuhäuser hier ausgeführt hat, sehr sachbezogen war.

Aber ich möchte schon betonen, vor allen Dingen an
Sie, verehrte Frau Kollegin Gradistanac gerichtet, dass in
Bezug auf die Mehrwertsteuer Bundeswirtschafts-
minister Müller vor zwei Jahren bei der Eröffnung der
ITB lautstark verkündet hat, sich für Wettbewerbsgleich-
heit innerhalb Europas einzusetzen. Angekündigt hat er
es. Das hat er dann aber vergessen. Ein Rückschritt nach
dem anderen. Nichts ist gemacht worden.

Es ist ferner vor eineinhalb Jahren gesagt worden, die
Bürokratie wird abgebaut. Was ist gemacht worden? Wie-
der Ankündigungen. Vor vier Wochen haben wir es von
der neuen Mittelstandsbeauftragten erneut gehört, dass
hier etwas gemacht wird. Getan wurde bisher nichts. So
könnte diese Liste ergänzt werden.

Frau Präsidentin, ich bedauere, dass Sie mir nicht mehr
Redezeit einräumen können. Ich könnte noch viele Unter-
lassungssünden aufführen. Diese Bundesregierung redet
zwar über den Tourismus, aber sie tut relativ wenig oder gar
nichts für die Schaffung besserer Rahmenbedingungen.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Renate Gradistanac (SPD):
Rede ID: ID1416111700
Herzlichen Dank für
Ihre Nachfragen, Herr Kollege Hinsken.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Warum haben Sie sie nicht während Ihrer Rede zugelassen?)


Damit habe ich die Möglichkeit, noch etwas ausführlicher
auf manche Themen einzugehen.

Ich glaube schon, dass Sie sich daran erinnern können,
Herr Hinsken, dass während Ihrer Regierungszeit ange-

dacht wurde, die DZT jährlich mit 27 Millionen DM zu
unterstützen.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!)


– Wenn Sie Siegmar Mosdorf und mir nicht glauben, dann
müssen wir im Ausschuss die Zahlen noch einmal mitei-
nander durchgehen. Es ist nämlich albern, jedes Mal die-
ses Spiel zu machen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie müssen die richtigen Zahlen nennen!)


Wir haben die Mittel auf 42MillionenDM aufgestockt.
Sie haben mir mehrmals unter vier Augen gesagt: Immer-
hin ist es eine Aufstockung auf 42 Millionen DM.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Unter vier Augen habe ich mit Ihnen noch nicht geredet!)


Ich möchte Sie also bitten, diese Leistung zur Kenntnis zu
nehmen.

Ich komme zum Thema Entbürokratisierung. Das
ist ein sehr spannendes Thema, vor allen Dingen ange-
sichts der Frage, wer in der Vergangenheit diese Bürokra-
tie aufgebaut hat. Ich habe Herrn Dr. Homann aus dem
Wirtschaftsministerium gefragt – er ist ein sehr guter An-
sprechpartner –, ob es Vorschläge gibt, wie wir die Zu-
sammenarbeit in der Praxis – es wurden beispielsweise
die IHK und sonstige Verbände angesprochen – vereinfa-
chen können. Leider sind entsprechende Vorschläge nur
sehr zögerlich bzw. überhaupt nicht eingegangen. Ich
würde mir wünschen, dass Vorschläge aus der Praxis
kämen. Ich weiß aber, dass die Bürokratie zum Teil schon
abgebaut wurde. Leider haben Sie auch das noch nicht zur
Kenntnis genommen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Machen Sie einen Vorschlag!)


– Herr Hinsken, ich weiß, dass Sie immer sehr nervös
sind. Im Ausschuss haben wir manchmal darunter zu lei-
den. Deswegen möchte ich Ihnen sagen: Zügeln Sie sich!

Jetzt komme ich zu der Ankündigung unseres wunder-
baren Wirtschaftsministers Müller.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Er hatte zwar auf der ITB davon gesprochen – darauf ha-
ben Sie sich bezogen –, den Mehrwertsteuersatz zu hal-
bieren. Er hat aber kurz darauf auf unserem Tourismustag
gesagt, er habe in Zusammenarbeit mit anderen Mitglie-
dern der Bundesregierung die Priorität auf die Unterneh-
mensteuerreform gesetzt. Ich weise in diesem Zusam-
menhang auf die Entlastung des Mittelstandes in Höhe
von 25 Milliarden DM hin.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das hat doch nichts mit den Übernachtungen zu tun!)


Herr Hinsken, ich hätte eigentlich erwartet, dass Sie mei-
nen schwäbischen Humor verstehen. Ein bisschen Spaß
hätte ich Ihnen zugetraut.

Jetzt komme ich aber noch zu einem ernsten Thema,
den 630-DM-Beschäftigungsverhältnissen. Ich habe




Ernst Hinsken

15741


(C)



(D)



(A)



(B)


vorhin davon gesprochen, dass der Anteil der 630-DM-
Jobs in der Tourismusbranche bei 40 Prozent liegt.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416111800
Frau Kollegin,
Sie dürfen nicht länger als drei Minuten antworten.


Renate Gradistanac (SPD):
Rede ID: ID1416111900
Dies ist meine letzte Be-
merkung. – Ich weiß also nicht, ob man angesichts dieser
Jobs von Qualität sprechen kann. Sie wissen genau, dass
wir sie nicht abgeschafft haben. Ich will Ihnen als Beispiel
meine Tochter nennen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416112000
Frau Kollegin,
Sie dürfen auch von Ihrer Tochter jetzt nicht mehr berich-
ten. Ihre Redezeit ist zu Ende.


Renate Gradistanac (SPD):
Rede ID: ID1416112100
Schade. – Vielen Dank.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416112200
Ich will noch
einmal, an alle Kollegen gerichtet, sagen: Kurzinterven-
tionen sind nicht dazu gedacht, dass man die Debatte wei-
terführt. Man sollte in der Regel auf einen Punkt Bezug
nehmen, auf den dann geantwortet werden kann. Ich muss
dafür sorgen, dass wir in der Debatte fortfahren. Wir sind
nämlich schon sehr in Verzug. Ich bitte alle Kolleginnen
und Kollegen um Verständnis.


(Beifall der Abg. Dr. Barbara Höll [PDS])

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Brähmig.


Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1416112300
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir drei Vorbe-
merkungen. Ich möchte von dieser Stelle aus unserer Kol-
legin Irber herzliche Genesungswünsche übermitteln


(Beifall)

und hoffe, dass sie bald wieder bei uns ist und mit uns über
Tourismuspolitik streiten kann.

Meine zweite Vorbemerkung bezieht sich auf die an-
gesprochene Kürzung der DZT-Mittel, Herr Staatssekre-
tär Mosdorf. Man muss ehrlich sagen, wie diese zustande
gekommen ist: 1994 hat Hemjö Klein, damals Chef der
DZT, gesagt, wir brauchen keine Bundeszuweisungen
und nehmen 50 Millionen DM aus der Portokasse.


(Susanne Kastner [SPD]: Der war nicht Chef der DZT, das ist falsch! Er war Mitglied des Verwaltungsrates!)


Das war eine Überlegung, die zur Überbrückung eines
kurzen Korridors diente. Die damalige CDU/CSU-F.D.P.-
Koalition hat aber gemeinsam mit Herrn Geisendörfer in
der mittelfristigen Planung bis zum Jahre 2001 eine
Summe von 38 Millionen DM festgehalten.

Drittens möchte ich darauf eingehen, dass unser Wirt-
schaftsminister Müller bisher leider nur sehr selten im
Tourismusausschuss gewesen ist.


(Horst Kubatschka [SPD]: Das habt ihr gestern schon gesagt! – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Er muss Trittin vertreten!)


Leider ist er auch hier bei tourismuspolitischen Debatten
nicht anwesend. Ich wünschte mir natürlich schon, dass er
sich auch einmal für die Tourismusbranche so einsetzte
wie bei der heutigen Entlastungsrede für seinen Minister-
kollegen Trittin.


(Horst Kubatschka [SPD]: Die hat Ihnen wehgetan!)


Umso mehr darf ich mich bei Ihnen, Herr Mosdorf, und
bei Herrn Krüger bedanken. Ich denke, Sie machen einen
guten Job, und auf uns als Opposition können Sie auf alle
Fälle zählen.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Werden wir ja sehen!)


Meine Damen und Herren, der heute zu beratende Tou-
rismuspolitische Bericht stammt aus dem Jahre 1999,
der Entschließungsantrag stammt aus diesem Jahr. Ich
möchte einige grundsätzliche Mängel dieses Berichtes
aufzeigen, die in Zukunft behoben werden sollten:

Erstens. Künftig muss der Tourismuspolitische Bericht
der Bundesregierung jährlich vorgelegt werden, um zeit-
nah eine tourismuspolitische Bestandsaufnahme zu er-
möglichen und der zunehmenden wirtschaftlichen Be-
deutung dieser weltweiten Wachstumsbranche gerecht zu
werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist euch auch jetzt erst aufgefallen!)


Der vorliegende Bericht stammt von Dezember 1999 und
entbehrt damit jeder Aktualität.

Zweitens. Der Tourismusbericht sollte deutlich mehr
fundiertes Zahlenmaterial enthalten – auf 30 Seiten
ist dies leider nicht zu machen –, um eine wirkliche
Planungshilfe der Branche und den politisch Verantwort-
lichen auf den unterschiedlichen Ebenen an die Hand
zu geben. Vor allem fehlen wichtige Kennzahlen zu den
Themen Beschäftigungsentwicklung, Eigenkapitalaus-
stattung, Gewinnsituation und Insolvenzen.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das sind ja auch insgesamt die Schwachstellen!)


Ohne diese Zahlen zeichnet der Bericht nur ein ober-
flächliches Bild der Branche.

Drittens. Zu einem solchen Tourismusbericht sollten
natürlich auch mehr programmatische Aussagen der Bun-
desregierung zur Tourismuspolitik gehören. Der vorlie-
gende Bericht beschränkt sich dagegen auf die grobe For-
mulierung allgemeiner Ziele. Wie diese Ziele durch
langfristige Konzepte erreicht werden sollen, wird nicht
deutlich.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Euch vielleicht nicht!)


Viertens. Tourismuspolitische Berichte sollten auch
die wirklich kontrovers diskutierten Probleme der deut-
schen Tourismuswirtschaft aufgreifen und konkrete Aus-
sagen und Zahlen über die Auswirkungen der Steuer–, So-
zial- und Arbeitsmarktpolitik aufnehmen. Mit der
wissentlichen Aussparung kontroverser Themen igno-




Renate Gradistanac
15742


(C)



(D)



(A)



(B)


riert der vorliegende Bericht die tatsächliche Situation der
Branche. Er enthält kein Wort zu den Belastungen der
Branche durch die so genannte Ökosteuer, die Neurege-
lung der 630-DM-Jobs und die Abschaffung des Vorsteu-
erabzugs bei Geschäftsreisen und Geschäftsessen, um nur
einige die Branche belastende Faktoren zu nennen.

Zusammenfassend kann man also sagen, der vorlie-
gende Tourismuspolitische Bericht der Bundesregierung


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist gut!)


wird der Wichtigkeit der Tourismusbranche, die weltweit
als Hoffnungsträger bei der Bekämpfung der Arbeitslo-
sigkeit gilt, nicht annähernd gerecht.

Aber Gott sei Dank verfügt die deutsche Tourismus-
branche mit der CDU/CSU-Fraktion und unseren Kolle-
gen von der F.D.P.-Fraktion sowie unserem Ausschuss-
vorsitzenden Ernst Hinsken über Fürsprecher und
verantwortliche Politiker,


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die die Schiffe an die Steine fahren! Was machen sie denn?)


die die wahren Probleme der Branche sehen und durch
ihre Anträge die rot-grüne Koalition zum Handeln zwin-
gen. Bisher gingen fast alle tourismuspolitischen Impulse
in dieser Legislaturperiode von der Opposition aus.


(Lachen bei der SPD)

Einige Beispiele seien hier genannt: das schon angespro-
chene Jahr des Tourismus 2001, der Antrag zur Verbesse-
rung der Situation des Schaustellergewerbes und


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da habt ihr euch blamiert!)


die Initiative, die schon 1999 von der CDU/CSU-Fraktion
kam, zur Vermarktung der deutschen Nationalparke.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sehr gute Initiative!)


Wir haben außerdem für eine Sensibilisierung der Pro-
bleme, die die Tourismusbranche bei dem Thema Urhe-
berrechte mit der GEMAhat, gesorgt. Es waren auch Ver-
treter der CDU/CSU-Fraktion, die durch lokale Projekte
eine Qualitätsoffensive für den deutschen Tourismus ini-
tiiert haben. Das jetzt von der Bundesregierung großzügig
geförderte Modellprojekt „Qualitätstourismus in Ostbay-
ern“ ist insofern nur alter Wein in neuen Schläuchen.


(Lachen des Abg. Horst Kubatschka [SPD])

Es war die CDU/CSU-Fraktion, die noch vor dem

schleppenden Start der EXPO 2000 zusätzliche Marke-
tingmittel in Höhe von 50 Millionen DM einforderte. Da-
mals haben uns SPD und Grüne ausgelacht, aber dann drei
Monate selber 70 Millionen DM für zusätzliches EXPO-
Marketing bereitgestellt.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So war das!)

Die Besucherzahlen stiegen danach deutlich an, doch die
Maßnahmen kamen leider drei Monate zu spät.

Es war auch die Opposition von CDU/CSU und F.D.P.,
die das Problem der Trinkgeldbesteuerung durch Anträge
auf höhere Freibeträge


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Abschaffung!)

bzw. Abschaffung der Besteuerung thematisiert hat. Die
rot-grüne Bundesregierung musste daraufhin wieder ein-
mal in aller Öffentlichkeit eines ihrer Wahlversprechen
einkassieren. Nun bin ich gespannt, wie wir dieses Thema
in den nächsten Wochen im Ausschuss beraten werden.

Es war die F.D.P., die kritisch hinterfragt hat, wie weit
die Tourismusbranche auf die Einführung des Euros vor-
bereitet ist bzw. ob bei den Wettbewerbsbedingungen
Chancengleichheit auf dem gemeinsamen europäischen
Markt herrscht.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Richtig!)

Womit hat die rot-grüne Bundesregierung die Touris-

musbranche bisher beglückt? Mit einem Rekordergebnis
für den Deutschlandtourismus? Wirklich, im Jahr 2000
verzeichnete das Beherbergungsgewerbe die Rekord-
summe von 326Millionen Übernachtungen bei 108Mil-
lionen Gästeankünften.


(Renate Gradistanac [SPD]: Donnerwetter!)

Dieser Trend setzte sich nach Aussage des Statistischen
Bundesamtes im Januar 2001 auch noch fort. Das Ergeb-
nis sind 5 Prozent mehr Gästeübernachtungen gegenüber
dem Vorjahresmonat.

Wenn ich, Herr Staatssekretär Mosdorf, Ihrer Rede und
Ihrer Pressemitteilung vom 15. Februar 2001 glauben
darf, beansprucht die Bundesregierung dieses Ergebnis
als ihren persönlichen Erfolg. Leider, sehr geehrter Herr
Mosdorf, haben Sie es bei dieser Pressemitteilung – wahr-
scheinlich rein versehentlich – unterlassen, Statistiken
über die Beschäftigungszahlen, die Kapazitätssituation
und die Umsatzsituation der Tourismusbranche zu nen-
nen. In Brandenburg beispielsweise stieg die Zahl der In-
solvenzen im Bereich Hotellerie und Gastronomie im
letzten Jahr um 23,6 Prozent gegenüber dem Jahr 1999.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Gleichzeitig sank im Jahr 2000 die Beschäftigtenzahl im
deutschen Gastgewerbe um 2,7 Prozent. Diese Zahlen ge-
hen dann anscheinend nicht auf Ihr Konto. Der von Ihnen
postulierte Branchenboom bezieht sich also einseitig auf
die Übernachtungszahlen im Beherbergungsgewerbe.

Die gerade genannten Kennzahlen zur Umsatzent-
wicklung im Januar 2001 widerlegen auch Ihre Behaup-
tung, die Steuerreform habe tatsächlich positive Effekte
auf das Konsumverhalten der Bürger. Das Rheinisch-
Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung hatte be-
reits im Herbst letzten Jahres darauf hingewiesen, dass die
Entlastungseffekte der von Ihnen so hoch gepriesenen
Steuerreform bei gleichbleibend hohen Spritpreisen und
weiterer Erhöhung der Ökosteuer an der Zapfsäule ver-
puffen werden.

Die von Ihnen hoch gelobte Erhöhung der Marketing-
mittel für die DZT um 2,4 Millionen DM auf 42 Milli-
onen DM, Herr Kollege Mosdorf, erweist sich bei nähe-
rer Betrachtung als Mogelpackung. Der Haushaltstitel




Klaus Brähmig

15743


(C)



(D)



(A)



(B)


„Förderung der Leistungssteigerung im Fremdenver-
kehrsgewerbe“ wird um 3,4 Millionen DM gekürzt und
nur 2,4 Millionen DM werden in den DZT-Titel umge-
schichtet. Diese 2,4 Millionen DM stehen nicht für das
operative Marketing zur Verfügung, da sie durch tarifliche
Gehaltserhöhungen und Währungsanpassungen gegen-
über dem US-Dollar aufgezehrt werden. Insofern wird
diese Maßnahme keine direkte nachhaltige Stärkung des
Tourismusstandortes Deutschland mit sich bringen.

Wenn Sie den berechtigten Interessen der Tourismus-
branche wirklich Gehör schenken wollen, kümmern Sie
sich doch vor der Frühjahrs- und Sommersaison um eine
Neuregelung Ihrer Neuregelung der 630-DM-Jobs. Der
DEHOGA funkt SOS bei diesem Thema, wie Sie in der
„AHGZ“ vom 10. März 2001 nachlesen können.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es! Richtig!)


Angesichts dieser Regierungspolitik behaupte ich:
Trotz rot-grüner Bundesregierung


(Susanne Kastner [SPD]: Was heißt hier „trotz“? Wegen! Sie haben sich schon wieder versprochen!)


gab es die höchste Zahl an Gästeübernachtungen und eine
steigende Nachfrage aus dem Ausland. Nutzen Sie die
letzten eineinhalb Jahre Ihrer Regierungszeit zu einem
Kurswechsel, damit der Tourismusstandort Deutschland
aus dem Stau zur freien Fahrt gelangt.


(Horst Kubatschka [SPD]: Was Sie unter Stau verstehen!)


– Herr Kubatschka, hören Sie doch bitte einmal zu und
schreien Sie nicht immer dazwischen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416112400
Herr Kollege
Brähmig, Sie sind jetzt erheblich über die Zeit. Kommen
Sie bitte zum Schluss.


Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1416112500
Einen Satz möchte ich
gerne noch sagen. – Die Branche und die vielen Arbeits-
losen können nicht bis zu unserer Regierungsübernahme
im Herbst 2002 warten.


(Lachen bei der SPD – Susanne Kastner [SPD]: Das sagt der Richtige! Lauter Arbeitslose hinterlassen und sich hinterher beklagen! Prima! Ausgezeichnet!)


Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Horst Kubatschka [SPD]: Er lächelt über die eigenen Argumente! Das sind Lacher!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416112600
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Birgit Roth.


Birgit Roth (SPD):
Rede ID: ID1416112700
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der touris-
muspolitische Bericht der Bundesregierung zeigt ganz
eindeutig, welch ein enormer Wirtschaftsfaktor der Tou-

rismus ist. Sein Anteil am Bruttosozialprodukt beträgt
mittlerweile 8 Prozent, in ihm haben 2,8 bis 2,9 Millionen
Beschäftigte eine Arbeitsstelle gefunden und die Branche
stellt circa 91 000 Ausbildungsplätze zur Verfügung. Ge-
rade als junge Abgeordnete ist mir ganz besonders wich-
tig, dass hier Verantwortung gezeigt wird. Wir haben in
diesem Bereich Zuwachsraten. Im Vergleich zum Vorjahr
haben Hotellerie und Gastronomie im Jahr 2000 13,7 Pro-
zent mehr junge Menschen ausgebildet. Dafür möchte ich
an dieser Stelle einfach einmal Danke schön sagen.


(Beifall im ganzen Hause)

Die Gästezahlen sind gesteigert worden. Die Zahl der

inländischen Gäste hat sich um 6 Prozent erhöht und die
Zuwachsrate bei den Übernachtungen insgesamt beträgt
ebenfalls circa 6 Prozent. Da der Incoming-Tourismus für
uns ganz besonders wichtig ist, erwähne ich auch noch die
ausländischen Gäste: Hier beträgt die Zuwachsrate sogar
9 bis 10 Prozent.


(Susanne Kastner [SPD]: Wegen der Bundesregierung, Herr Brähmig! Nur wegen ihr!)


Der Städtetourismus boomt ebenso wie der Geschäftsrei-
severkehr, wie unsere Kollegin Irber immer zu sagen
pflegt. Aber auch in den neuen Bundesländern sieht es
sehr gut aus. In Mecklenburg-Vorpommern beträgt die
Steigerungsrate beispielsweise 15 bis 17 Prozent.

All diese Fakten, die ich Ihnen eben ganz kurz aufge-
zählt habe, belegen, dass die Wettbewerbsbedingungen
bei uns in Ordnung sind, vor allem aber die politischen
und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die wir in
den letzten zweieinhalb Jahren geschaffen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Genau deswegen – Frau Kollegin Kastner hat es bereits
erklärt – boomt die Branche. Die Branche hat gemerkt,
dass sich in den letzten zweieinhalb Jahren durch unsere
Reformpolitik, durch unsere aktive Wirtschafts- und Steu-
erpolitik etwas bewegt hat. Die Elemente unserer Politik
sind vorhin schon erwähnt worden: Haushaltskonsolidie-
rung, Abbau der Staatsverschuldung und vor allem die
Entlastung der Bürgerinnen und Bürger durch die Steuer-
reform.


(Zuruf des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])

– Herr Hinsken, Sie wissen ganz genau, dass diese Steu-
erreform ein Entlastungsvolumen von 75 Milliarden DM
hat.


(Susanne Kastner [SPD]: Das ärgert ihn ja so!)

Wir haben es geschafft, dass diese Steuerreform auf der
einen Seite die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so-
wie die Familien, auf der anderen Seite aber auch die Un-
ternehmen entlastet.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Die großen Unternehmen vor allem!)


– Herr Burgbacher, wir gehen dabei davon aus, dass der
Mittelstand um 20 bis 25 Milliarden DM entlastet wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Klaus Brähmig
15744


(C)



(D)



(A)



(B)


Angesichts dessen trifft Ihr Vorwurf, die Steuerreform sei
mittelstandsfeindlich, in keiner Weise zu.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416112800
Gestatten Sie
ein Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?


Birgit Roth (SPD):
Rede ID: ID1416112900
Es ist mir eine Freude.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1416113000
Frau Kollegin Roth, sind
Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass allein durch die
Einführung der Ökosteuer


(Lachen bei der SPD)

ein 40-Betten-Betrieb jährlich mit mehr als 10 000 DM
zusätzlich belastet ist


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Netto!)

und dass die Steuerreform, die Sie so rühmen, überwie-
gend am Mittelstand vorbeigeht, dass sie das Großkapital
unterstützt, während die kleineren und mittleren Betriebe
unter ihr zu leiden haben?

Sie sagten, in den neuen Bundesländern hätten wir ei-
nen Zuwachs, und nannten als Beispiel Mecklenburg-Vor-
pommern.


(Zurufe von der SPD: Frage!)

Deshalb frage ich Sie, worauf Sie es zurückführen, dass
wir zum Beispiel in Sachsen-Anhalt fast überhaupt keinen
Zuwachs haben.


Birgit Roth (SPD):
Rede ID: ID1416113100
Herr Hinsken, bei der
Ökosteuer werden wir einen permanenten Dissens ha-
ben; aber ich glaube, das macht nichts. Erstens zur Gleich-
stellung von Ökosteuer und Benzinpreiserhöhung: Darf
ich Sie daran erinnern, dass in Ihrer Regierungszeit der
Benzinpreis um insgesamt 53 Pfennige erhöht worden ist?
Zweitens müssen Sie auch einmal erwähnen, was wir mit
den Einnahmen aus der Ökosteuer machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Ökosteuer ist aufkommensneutral. Die Gelder wer-
den gebraucht, um die Rente zu stabilisieren und die
Beiträge zur Rentenversicherung um 0,5 Prozent abzu-
senken. Sie können nicht immer nur den einen Teil der
Wahrheit erzählen, sondern müssen bitte auch sagen,
wofür die Gelder verwendet werden. Durch die Ökosteuer
wird der Faktor Arbeit billiger.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen denn so etwas gesagt? Das glauben Sie doch selber nicht!)


– Herr Hinsken, lesen Sie doch einmal die Unterlagen.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Sie können nicht einfach

zwei der neuen Bundesländer miteinander vergleichen.
Mecklenburg-Vorpommern hat ganz andere touristische
Ressourcen und dementsprechend auch andere Umsätze.
Sie behaupten, dass der Mittelstand gefährdet sei. Ich

habe Ihnen eben zehn Beispiele für das Wachstum im Be-
reich Tourismus vorgelesen. Wie kann es denn dann sein,
dass die Steuerreform nicht greift oder dass es der Bran-
che angeblich schlecht geht? Ich finde Ihre Argumenta-
tion ganz einfach nicht stimmig.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Was hinten herauskommt, ist doch entscheidend, Frau Roth!)


– Ich denke, ich mache jetzt mal ein bisschen weiter.
Dieses Wachstum ist auch auf eine aktive Wirtschafts-

und Steuerpolitik zurückzuführen.

(Horst Kubatschka [SPD]: Das ist eine gute Antwort! Aber das hilft beim Hinsken nichts! – Gegenruf des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Du hast überhaupt keine Ahnung von Wirtschaftspolitik!)


Frau Schäfer, ich glaube, Sie sagten, wir hätten die
falschen Berater oder seien im letzten Jahr nicht in
Deutschland gewesen. Frau Schäfer, mit Verlaub: Ich bin
wirklich überzeugte Pfälzerin und sehr oft in der Pfalz. Ich
glaube, ich brauche Ihnen nichts über Rheinland-Pfalz
und darüber zu erzählen, wie die Wahlen ausgegangen
sind. Auch das ist wieder ein Punkt, an dem Sie sehen,
dass wir wirklich eine kompetente Wirtschafts- und Steu-
erpolitik machen und gute Berater haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zum nächsten Punkt, dem so genannten Jobkiller
630-Mark-Jobs. Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren von der Opposition, Sie wissen ganz genau, welcher
Missbrauch mit den 630-Mark-Jobs getrieben worden ist.


(Peter Dreßen [SPD]: So ist es!)

Frau Schäfer, wenn gerade Sie als Frau so etwas an-

führen, dann müssen Sie bitte auch Folgendes bedenken.
Schauen Sie sich doch einfach einmal die durchschnitt-
liche Rente der Frauen in den alten Bundesländern an. Sie
liegt nämlich bei ungefähr 1 000 DM.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Und das wird jetzt besser?)


Warum ist das so? Weil Frauen unter anderem die Kinder
erziehen, weil Frauen auch auf der Basis der 630-Mark-
Regelung arbeiten. Ich glaube, das kann es einfach nicht
sein. Was wir im Tourismus brauchen, ist eine Qualitäts-
offensive – das haben Sie im Übrigen auch gesagt –,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


also keine 630-Mark-Jobs. Wir treten dafür ein, sozial-
versicherungspflichtige Arbeitsplätze aufzubauen.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Schwarzarbeit brauchen wir!)


Sie haben von einer katastrophalen Entwicklung im
Bereich des Umsatzes der Gastronomie gesprochen. Ich
war früher selbstständig. Eine Verringerung um 1,8 Pro-
zent ist wahrhaftig keine katastrophale Entwicklung, Frau




Birgit Roth (Speyer)


15745


(C)



(D)



(A)



(B)


Schäfer. Ich bitte Sie, auch einmal die andere Seite, das
Beherbergungsgewerbe, aufzuzeigen.


(Zuruf von der CDU/CSU: 60 Prozent Auslastung!)


Sie brauchen sich nur die Saisonumfrage Tourismus des
DIHT für die Jahre 2000/2001 anzusehen. Danach sagen
zum Beispiel 80 Prozent der Befragten, dass sie mit den
Umsätzen zufrieden sind bzw. dass sie diese als gut
empfinden. Übrigens haben auch 80 Prozent der Befrag-
ten positive Erwartungen in Bezug auf das kommende
Jahr.

Sie wissen ganz genau, wie wichtig es für eine Bran-
che ist, positive Erwartungen zu haben. Ich finde es
schade, dass Sie hier versuchen, die Branche schlecht zu
reden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben Sie gestern im Ausschuss aufgefordert, unse-
rem Tourismusförderprogramm beizutreten, uns zu unter-
stützen – für die Branche, für Deutschland.


(Susanne Kastner [SPD]: Was haben sie gemacht? Nichts!)


– Nein, sie haben nicht viel gemacht.
Frau Schäfer, ich möchte noch einen Punkt erwähnen.

Sie haben ganz zum Schluss folgenden Satz gesagt: Und
nun noch etwas zur Wirtschaftspolitik. – Frau Schäfer, der
Tourismus ist reine Wirtschaftspolitik. Der Tourismus hat
einen Anteil von 8 Prozent am Bruttosozialprodukt.


(Susanne Kastner [SPD]: Das weiß Frau Schäfer noch nicht!)


Wir haben mittlerweile 2,8 bis 2,9 Millionen Arbeits-
plätze in diesem Bereich. Das ist pure Wirtschaftspolitik.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Darum die Ökosteuer!)


In diesem Zusammenhang möchte ich Sie noch einmal
darum bitten, dass Sie Ihren Standpunkt überdenken.

Jetzt zu Ihnen, Herr Burgbacher. Sie sprachen von
flächendeckender Gewerkschaftsmacht. Darauf möchte
ich einfach nur sagen: Wir haben zum Beispiel die Re-
form des Betriebsverfassungsgesetzes in Angriff ge-
nommen, was ich auch als richtig erachte. Sie müssen
aber auch sehen, von wann das Gesetz selber stammt.
Diese Reform hat 30 Jahre auf sich warten lassen müssen.
Bei der Schnelligkeit, mit der sich unsere Wirtschaft be-
wegt, sollten wir auch für die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer eintreten.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Aber in die richtige und nicht in die falsche Richtung! Das ist doch reine Stärkung der Gewerkschaften! – Gegenruf des Abg. Horst Kubatschka [SPD]: Wir gehen immer in die richtige Richtung!)


– Ja, in die richtige Richtung.
Ich muss Ihnen noch etwas sagen. Zu dem, was Sie in

Richtung rot-grüne Reglementierungswut angeführt ha-

ben, darf ich Sie darauf hinweisen, dass wir – in der nächs-
ten Woche werden wir darüber auch eine Debatte im Ple-
num führen – die Abschaffung des Rabattgesetzes und
der Zugabeverordnung erörtern werden. Da lassen Sie
mich doch wieder die Frage stellen: Warum habt ihr das
nicht in den letzten 16 Jahren gemacht?


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wir machen es auch nicht so, wie Sie das wollen!)


Das Rabattgesetz stammt aus dem Jahre 1933. Ich denke,
auch an diesem Punkt hätte man sicherlich ansetzen kön-
nen, anstatt jetzt uns, wenn wir es abschaffen, um Dere-
gulierung zu erreichen, rot-grüne Reglementierungswut
vorzuwerfen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie reden darüber, aber wir sorgen uns um den Mittelstand!)


Ich muss noch auf einen weiteren Punkt zu sprechen
kommen. Sie haben des Öfteren den Vorwurf erhoben,
dass das Jahr des Tourismus finanziell im Grunde genom-
men nicht unterstützt wird.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Ja, nicht nur „nicht im Grunde genommen“!)


Ich möchte an die vorletzte Ausschusssitzung mit Herrn
Dr. Homann vom Wirtschaftsministerium erinnern, der
ganz klar gesagt hat: Das Jahr des Tourismus wird mit
2,4 Millionen DM vom Wirtschaftsministerium unter-
stützt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU] und Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Das stimmt doch nicht!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416113200
Zu einer Kurz-
intervention erteile ich Herrn Kollegen Burgbacher das
Wort.


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1416113300
Liebe Frau Kollegin
Roth, das müssen wir doch schon noch klarstellen.

Tatsache ist, dass im Bundeshaushalt kein Pfennig für
das Jahr des Tourismus eingestellt ist. Tatsache ist, dass
Sie zwar die Mittel für die Deutsche Zentrale für Touris-
mus, wie wir jetzt hören, für den Tourismus in den neuen
Ländern, für das Jahr des Tourismus und alles Mögliche
erhöht haben, dass Sie aber an anderer Stelle im Haushalt
Titel gestrichen und daher unter dem Strich die Mittel
gekürzt haben. Es ist für das Jahr des Tourismus nicht ei-
nen Pfennig im Bundeshaushalt eingestellt. Das bitte ich
einfach zu akzeptieren. Dr. Homann sprach davon, dass er
anderswo Mittel akquirieren will. Das finden wir ganz
toll. Aber es reicht nicht, wenn der Ankündigungsminister
Müller nur ankündigt und überhaupt nichts bewirkt, zu
Mehrwertsteuer, Trinkgeld und anderem große Presse-
konferenzen veranstaltet, aber keinen Pfennig zur Unter-
stützung einsetzt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)





Birgit Roth (Speyer)

15746


(C)



(D)



(A)



(B)



Birgit Roth (SPD):
Rede ID: ID1416113400
Ich lese einfach einmal
einen Satz aus der Drucksache 14/5432 vor:

Trotz dieser Situation sowie eines erhöhten Finan-
zierungsbedarfs der DZT für das Jahr 2001 wegen
des geplanten „Jahr des Tourismus in Deutschland“
sehe der Haushaltsentwurf ... eine Erhöhung der
Bundeszuwendung um 2,4 Mio. DM vor.

(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Die sind an ande rer Stelle gestrichen worden!)

So viel zu Punkt eins.

Punkt zwei, zu den Ankündigungen des Ministers. Ich
möchte in diesem Bereich nur einmal auf das Touris-
musförderprogramm verweisen. Wer hat denn insge-
samt 24 E-Commerce-Zentren in der ganzen Bundesre-
publik aufgebaut, davon eines ganz speziell für den
Tourismus, und zwar in Worms, Herr Burgbacher!

Es gibt ein Förderprogramm, insbesondere über die
KfW, für Sanierung und Modernisierung von Privat-
zimmern. Dies wird speziell unterstützt durch günstige
Zinsen. Auch dies wird im Tourismusförderprogramm
realisiert, abgedeckt durch den Haushalt des Wirtschafts-
ministeriums. Es gibt vielfältige Beispiele dafür, dass sich
einiges getan hat, Herr Burgbacher. Insofern können Sie
wirklich nicht von „Ankündigungsminister“ sprechen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416113500
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Tourismus zu dem tourismuspolitischen Bericht
der Bundesregierung, Drucksache 14/5432 (neu). Der
Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfeh-
lung, den Bericht auf Drucksache 14/2473 zur Kenntnis
zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist das
einstimmig so angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/5432 (neu) empfiehlt der Ausschuss die Annahme
einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P.
bei Enthaltung der PDS angenommen worden.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und b sowie die
Zusatzpunkte 5 und 6 auf:
6. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin

Rehbock-Zureich, Hans-Günter Bruckmann,
Dr. Peter Danckert, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert
Schmidt (Hitzhofen), Franziska Eichstädt-Bohlig,
Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Die Bahnreform fortführen und die Zukunft
der Schiene in Deutschland sichern
– Drucksache 14/5665 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eduard
Oswald, Dirk Fischer (Hamburg), Dr.-Ing.
Dietmar Kansy, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Gewährleistung des Schienenpersonenfernver-
kehrs
– Drucksache 14/5451 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

ZP 5 Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter, Uwe
Hiksch, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Gewährleistung des Schienenpersonenfern-

(Bundesschienenpersonenfernverkehrsgesetz – BSPFVG)

– Drucksache 14/5662 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich (Bayreuth), Dr. Karlheinz Guttmacher,
Hans-Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der F.D.P.
Eisenbahnpolitische Reformschritte zügig ein-
leiten
– Drucksache 14/5666 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Wenn Sie
einverstanden sind, ist das so beschlossen. Das ist der
Fall.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die
Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich.


Karin Rehbock-Zureich (SPD):
Rede ID: ID1416113600
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! „Die Bahnreform






(C)



(D)



(A)



(B)


fortführen und die Zukunft der Schiene in Deutschland si-
chern“, mit diesem Antrag betonen wir die Bedeutung, die
der Schienenverkehr in unserem Mobilitätskonzept ein-
nimmt. Unser Antrag zeigt den Weg für den Schienenver-
kehr der Zukunft. Das heißt, wir entwickeln die Rahmen-
bedingungen für einen erfolgreichen Schienenverkehr
weiter. Wir sorgen dafür, dass mehr Menschen und mehr
Güter auf der Schiene transportiert werden können. Denn
Teile des Verkehrszuwachses der nächsten Jahre müssen
wir auf die Schiene bringen, um die Funktionsfähigkeit
des Gesamtverkehrssystems zu sichern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dazu müssen wir die Investitionen – wir haben dies in
unserem Antrag ausgeführt – auf hohem Niveau weiter-
führen, vor allen Dingen mit Augenmerk auf das Be-
standsnetz. Wir werden den Wettbewerb auf der Schiene
stärken, die internationalen Wettbewerbsbedingungen
verbessern sowie Forschung und Innovation für die
Schiene fördern.

Sofort nach der gewonnenen Wahl haben wir als Vo-
raussetzung für die Weiterentwicklung des Schienenver-
kehrs bereits 1999 wieder 7 Milliarden DM für Schienen-
investitionen aufgewandt anstelle der 5,7 Milliar-
den DM, die Sie 1998 in die Schiene investiert haben.

In diesem Jahr haben wir 8,8 Milliarden DM bereitge-
stellt. Damit ist das bei der Bahnreform zugesagte Niveau,
nämlich 9 bis 10 Milliarden DM, so gut wie erreicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Des Weiteren stellen wir die Darlehen auf Baukosten-
zuschüsse um. Während der Anteil der Darlehen unter
CDU-Verantwortung noch 4 Milliarden DM ausmachte,
wird er im Jahre 2001 nur noch 1,6 Milliarden DM aus-
machen. Das entlastet die DB AG in den nächsten zehn
Jahren um mehr als 4 Milliarden DM.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit den Geldern des Zukunftsinvestitionsprogramms
werden in den nächsten drei Jahren über 40 000 Langsam-
fahrstellen beseitigt. Diese Investitionen in das Bestands-
netz sind die Grundvoraussetzung für einen wirtschaftli-
chen Schienenverkehr. Zusätzlich werden wir mit
dem Anti-Stau-Programm ab dem Jahre 2003 560 Milli-
onen DM für Engpassbeseitigung bereitstellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Da wird das Zugfahren richtig spannend werden!)


– Ja, natürlich.
Für die regionalen Netze werden im Jahre 2001

13,5 Milliarden DM an die Bundesländer gehen, die diese
Milliarden in Regionalverkehre investieren werden.
Dies verpflichtet sie, auch jenseits der Ballungszentren,
nämlich in der Fläche, für bedarfsgerechte Schienenver-
kehrsleistungen zu sorgen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir müssen in der Fläche, in den Regionen, an den
Schnittstellen zwischen Nah- und Fernverkehr für intelli-
gente zukunftsfähige Lösungen sorgen. Grundvorausset-
zung werden die Regionalisierungsmittel sein, die auch in
der Zukunft dynamisiert zur Verfügung gestellt werden
können. Der Verkehr in der Fläche, in den Regionen hat
mit 18 Prozent in den letzten Jahren die höchsten Steige-
rungsraten erreicht. Dies zeigt: Der Wettbewerb auf der
Schiene trägt entscheidend dazu bei, dass Zuwächse bei
der Personenbeförderung zu verzeichnen sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Sehr vernünftig!)


Jedoch müssen die Verteilung und die Verwendung der
Regionalisierungsmittel in jedem Fall transparent, nach-
vollziehbar und auch sachgerecht vonstatten gehen. Die
Einhaltung dieser Kriterien werden wir auch in der Zu-
kunft einfordern.

Wir haben die Investitionen seit unserem Regierungs-
antritt erhöht, ohne Schattenhaushalte zu schaffen oder
neue Schulden zu machen, was man, bezogen auf die Ver-
gangenheit, von Ihrer Regierung nicht sagen kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Wir können eben doch besser mit Geld umgehen!)


– So ist es.
Die Investitionsmittel müssen in der Zukunft abgesi-

chert sein. Dadurch wird Planungssicherheit für den wei-
teren Ausbau der Schieneninfrastruktur geschaffen.

Wir müssen aber auch faire Bedingungen für den Wett-
bewerb auf der Schiene und für den Wettbewerb unter
den Verkehrsträgern schaffen. Wir werden als ersten
Schritt eine durchsetzungsfähige Regulierungsbehörde
einrichten, um den diskriminierungsfreien Zugang zum
Netz für alle zu gewährleisten.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Hat der Herr Mehdorn schon zugestimmt? Hat er schon die Erlaubnis gegeben?)


Wir haben gestern in einer Diskussion mit der DB Cargo
gehört, dass gerade das Konzept Mora C dazu führen
wird, dass einige Gleise stillgelegt werden. Die stillgeleg-
ten Gleise müssen Dritten zugänglich gemacht werden,
ohne dass eine Diskriminierung stattfindet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir benötigen Wettbewerb – unser Ziel ist nicht der
Wettbewerb an sich, sondern, mehr Verkehrsleistung auf
die Schiene zu bringen – und ein unabhängiges Netz. Sie
aber sagen: Netz und Betrieb werden morgen getrennt und
dann ist alles geregelt.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Das haben wir nicht gesagt! Es steht nirgendwo etwas von morgen!)


Wir haben uns immer dafür eingesetzt, dass für den Fall
der Trennung von Netz und Betrieb, der Schaffung der




Karin Rehbock-Zureich
15748


(C)



(D)



(A)



(B)


Unabhängigkeit des Netzes, eine sorgfältige Prüfung hin-
sichtlich der möglichen Organisationsformen stattfindet.


(Hans-Günter Bruckmann [SPD]: Das ist der richtige Weg!)


Alle Wettbewerber müssen hinsichtlich der Trassenver-
gabe, der Trassenpreise und auch der Erteilung von Ge-
nehmigungen gleich behandelt werden. Aber die Chancen
und die Risiken unterschiedlicher Organisationsformen
müssen sorgfältig geprüft werden. Dieses genaue Hin-
schauen ist ein Muss; wir können uns keinen Fehler er-
lauben. Schnellschüsse wird es mit uns nicht geben. Wir
können nicht das Risiko eingehen, erstens die Leistungs-
fähigkeit und zweitens die Sicherheit auf der Schiene
durch nicht durchdachte Konzepte zu beeinträchtigen.
Denn es gibt in Europa für Wettbewerb und für ein unab-
hängiges Netz keine positiven Beispiele.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung hat dies aufgenommen und eine
Taskforce zur Prüfung möglicher Organisationsformen
eingerichtet. Wir werden der Erreichung des Zieles, mehr
Verkehr auf die Schiene zu bringen, näher kommen, wenn
wir die bestmögliche Organisationsform im Hinblick auf
die Herstellung von Chancengleichheit realisieren.


( V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Es wird auch darum gehen, in der Zukunft die Rahmen-
bedingungen zu verbessern. Hier ist auf europäischer Ebene
mit dem EU-Infrastrukturpaket der erste Schritt
getan worden. Im vergangenen Jahr ist ein wichtiger Durch-
bruch für einen gesamteuropäischen Güterverkehr erzielt
worden. Denn der freie Zugang von Eisenbahnverkehrsun-
ternehmen zu einem transeuropäischen Güterverkehrsnetz
ist die Grundvoraussetzung dafür, in Zukunft Güter über-
haupt auf der Schiene zu transportieren. Hier wurde ein ers-
ter Schritt getan. Wir werden noch viele Schritte gehen müs-
sen, damit der Schienenverkehr in Zukunft eine dem
Straßenverkehr vergleichbare Konkurrenz ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden dies nur durch einen grenzenlosen Verkehr
schaffen. Das heißt, es wird keine Barrieren bei der Zoll-
abfertigung und durch Lok- und Personalwechsel geben.
Nur durch grenzenlosen Güterverkehr kann der Schie-
nenverkehr eine konkurrenzfähige Alternative zum
Straßenverkehr werden.

Wir haben nationale Rahmenbedingungen geschaffen,
indem wir eine Entfernungspauschale eingeführt haben,
wovon Pendlerinnen und Pendler unabhängig vom Ver-
kehrsmittel profitieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ab 2003 werden wir eine LKW-Maut einführen. Auch
dies ist ein Schritt hin zur Chancengleichheit unter den
Verkehrsträgern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie von der CDU/CSU haben einen Antrag und Sie von
der PDS einen Gesetzentwurf eingebracht, in denen Sie
die Zugkilometer, die in Zukunft geleistet werden sollen,
festschreiben wollen. Ich kann nicht verstehen, wie man
auf der einen Seite per Gesetz die zu leistenden Zugkilo-
meter festschreiben will und auf der anderen Seite die
Trennung von Netz und Betrieb und damit die totale Li-
beralisierung fordern kann. Sie sollten einmal erklären,
wie Sie diesen Widerspruch auflösen wollen. Dies war ein
Vorschlag des Landes Baden-Württemberg im Bundesrat,
den Sie in Zeiten des Wahlkampfes aufgegriffen haben.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Das ist allerdings wahr!)


Das kann kein Konzept der Zukunft sein. Wir wollen nicht
zu einer Behördenbahn zurück, sondern eine Bahn schaf-
fen, die mehr Verkehr auf der Schiene, Chancengleichheit
und die Unabhängigkeit des Netzes in Verbindung mit
ausreichenden Investitionen vonseiten des Bundes ge-
währleistet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Regionale Netze werden in Zukunft eine verstärkte
Rolle im Zusammenspiel der Haupt- und Nebenstrecken
spielen. Wir haben viele positive Beispiele, wie Dritte, die
aufs Netz gingen, dies besser als die DB AG organisiert
haben. Wir müssen in einer Weiterentwicklung des Allge-
meinen Eisenbahngesetzes dafür sorgen, dass keine Dis-
kriminierung über kalte Streckenstilllegungen und Ähnli-
ches stattfindet. Wir müssen auch dafür sorgen, dass
stillgelegte Strecken bei ihrer Veräußerung an Dritte eine
Mindestqualität aufweisen; denn nur so werden wir es
schaffen, neben der DBAG mehr Mitbewerber als bisher
auf die Schiene zu bringen.

Nur ein gutes Angebot wird sicherstellen, dass der Ver-
kehrsträger Schiene eine Chance in der Zukunft hat. Ich
möchte Sie alle bitten, daran im Sinne unseres Antrages
mitzuwirken und ihm, wenn wir ihn wieder einbringen,
zuzustimmen; denn dann tun wir einen wichtigen Schritt
in die Zukunft.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Das muss dann aber deutlich besser werden!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416113700
Als
nächster Redner hat der Kollege Dirk Fischer von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1416113800
Herr Präsi-
dent! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das
Ziel, das wir alle übereinstimmend verfolgen, ist, den Ver-
kehrsträger Schiene auf dem Verkehrsmarkt in Deutsch-
land und Europa zu stärken; denn wir sind davon über-
zeugt, dass wir nur so die verkehrspolitischen
Herausforderungen und volkswirtschaftlichen Erforder-
nisse bewältigen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)





Karin Rehbock-Zureich

15749


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Anträge der CDU/CSU-Fraktion vom 15. Fe-
bruar 2000 und der F.D.P.-Fraktion vom Februar 2000 lie-
gen jetzt seit weit über einem Jahr auf dem Tisch. Wir ha-
ben bereits am 11. Oktober des letzten Jahres ein
öffentliches Hearing durchgeführt. Am 4. April, also in
der nächsten Woche, wollen wir im Ausschuss abschlie-
ßend beraten. Kurz vor Toresschluss kommen jetzt auch
die Koalitionsfraktionen mit einem eigenen Antrag.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Ist es verkehrt, etwas Aktuelles auf den Tisch zu legen?)


Ich denke, das ist reichlich spät, aber einen Wettbewerb
der Ideen und Forderungen können wir beim Problemfall
Schienenverkehr gut gebrauchen. Deswegen freuen wir
uns, dass auch Sie sich endlich positioniert haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Antrag der Koalition enthält neben diesen Ideen

und Forderungen allerdings auch eindeutig falsche Be-
hauptungen zu den Leistungen der früheren Bundesregie-
rung, die wir klar zurückweisen müssen.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: So ist es!)

Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Aber dass die
Mittel für Investitionen immer geringer wurden,
konnten Sie nicht zurückweisen?)

Sie tun so, als sei nichts geschehen; und dann kamen Sie.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich muss Ihnen in aller Deutlichkeit sagen: Die
frühere Bundesregierung hat die Entschuldung der Bun-
desbahn mit 70 Milliarden DM zulasten des Bundes-
haushaltes entschieden.


(Karin Rehbock-Zureich [SPD]: Mit uns gemeinsam!)


Wir haben einen Altlastenzuschuss von 32,5 Mil-
liarden DM beschlossen. Wir haben den Produktivitäts-
rückstand der Deutschen Reichsbahn mit 50 Mil-
liarden DM ausgeglichen.


(Karin Rehbock-Zureich [SPD]: Gemeinsam!)

Wir haben die DB AG mit einem Stammkapital in Höhe
von 4,2 Milliarden DM zum 1. Januar 1994 ausgestattet.
Wir haben entschieden, Regionalisierungsmittel für die
Nahverkehrsaufgabe in der Größenordnung von 12,4Mil-
liarden DM jährlich bereitzustellen. Wir haben im
Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes
3,28 Milliarden DM pro Jahr und mehrere Jahre lang die
doppelte Summe ausgegeben, um im Zeitraum von 1991
bis 1998 auch für den Wiederaufbau der S-Bahnen, der
Stadtbahnen und der Regionalbahnen in den neuen Län-
dern zu sorgen. Wir haben für den Ausbau der Schiene in
den neuen Bundesländern im Zeitraum von 1991 bis 1998
35 Milliarden DM ausgegeben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dabei habe ich noch gar nicht die normalen jährlichen

Haushaltsleistungen für Zuschüsse und zinslose Darle-
hen, für die wir immerhin die Zinslasten übernommen ha-
ben, erwähnt.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Eine eindrucksvolle Bilanz!)


Die Summe der Leistungen, die ich hier genannt habe,
liegt bei weit über 200 Milliarden DM, die sozusagen ne-
ben der normalen Haushaltsfinanzierung bereitgestellt
worden sind. Deswegen werden Ihnen derartige Märchen
wirklich nur die Leute glauben, die sich mit dieser Sache
noch niemals befasst haben. Ich finde es frivol, auf die
Unkenntnis von normalen Bürgern zu setzen, die sich
nicht jeden Tag von morgens bis abends mit dem Schie-
nenverkehr beschäftigen. Diese Täuschung muss zurück-
gewiesen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Natürlich muss jede Bundesregierung den Stab weiter-

tragen. Sie müssen sich noch ganz schön anstrengen. Ich
habe hier einen Brief der Parlamentarischen Staatsse-
kretärin Mertens, die anwesend ist, vor mir auf dem Pult
liegen. Danach betrugen die verfügbaren Mittel für Inves-
titionen in die Schiene im Jahr 2000 6,8 Milliarden DM.
Davon sind 1,1 Milliarden DM nicht ausgegeben worden,
sondern zur vorfristigen Tilgung der Aufwendungen eines
Konzessionärs der Neubaustrecke Nürnberg–Ingolstadt–
München bereitgestellt worden. Aber nach der Finan-
zierungsvereinbarung sollte die Tilgung erst ab dem
Jahr 2004 beginnen. In Wahrheit ist also aus dem Haus-
halt 2000 effektiv nur eine Summe von 5,7MilliardenDM
in das deutsche Schienennetz geflossen. Was erzählen Sie
hier eigentlich für Märchen?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das Geld ist doch verbaut worden!)


Ich will etwas zu Ihren unzureichenden Ankündigun-
gen sagen. Im Haushaltsentwurf 2001 hatten Sie für In-
vestitionen in die Schiene 6,7 Milliarden DM eingeplant.
Dann kam der warme Regen durch die Zinsersparnisse
aufgrund der UMTS-Versteigerungserlöse. Damit wollen
Sie im Zeitraum von 2001 bis 2003 ein kleines Strohfeuer
von zusätzlich jeweils 2 Milliarden DM pro Jahr veran-
stalten.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das ist für Sie ein Strohfeuer?)


Dies gibt der Bahn nicht die ausreichende Planungssi-
cherheit, die Sie in Ihrem Antrag einfordern. Die Planung
muss für einen Zeitraum von 10 bis 15 Jahren angelegt
werden, damit die DB AG überhaupt – ich formuliere es
einmal so – ein teures Ingenieurbüro mit ein paar Hundert
Leuten aufbauen kann, sonst ist das doch abenteuerlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn Sie so kurzfristig denken, wird sich das, was mit

den 1,1 Milliarden DM im Jahr 2000 passiert ist, in den
folgenden Jahren wiederholen. Das sage ich Ihnen voraus.
Denken Sie sich neue Methoden des Versteckens aus.
Aber wir werden Ihnen auf die Schliche kommen.

Dann haben Sie in Ihrem Antrag völlig illusorische
Ziele genannt. Im Verkehrsbericht 2000 wird eine Ver-
dopplung der Gütermenge auf der Schiene bis 2015 auf
146 Milliarden Tonnenkilometer angekündigt, also plus
100 Prozent. Der Minister redet vor der Presse nur noch
von einer Steigerung um 65 Prozent, also einem Plus von




Dirk Fischer (Hamburg)

15750


(C)



(D)



(A)



(B)


zwei Dritteln. Herr Mehdorn spricht, wie ich höre, nur von
50 Prozent. Das heißt also – in Hamburg sagt man: Tetje
mit Utsichten –, jeder macht seine eigene Prognose. Alles
stimmt sowieso nicht. Wir sind dies mittlerweile sogar ge-
wöhnt. Ich sage Ihnen voraus – egal ob nun eine Steige-
rung um 50, 65 oder 100 Prozent erwartet wird –: Ohne
schnellstmöglichen Wettbewerb im System Schiene wird
alles nicht erreicht und alles danebengehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich komme zur Selbsttäuschung in Ihrem Antrag: Im

Geschäftsjahr 2000 soll die DB AG im Güterverkehr ei-
nen Umsatzzuwachs von 13 Prozent erzielt haben. Selbst
die DBAG hat darauf hingewiesen, dass in diesen Umsatz
die Kooperation der DBAG mit der holländischen Staats-
bahn, also der gesamte holländische Güterverkehr, einge-
rechnet wurde.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein!)


Darauf wurde in der Pressekonferenz hingewiesen. Das
heißt also: Dies ist kein Zuwachs, der im deutschen Gü-
terverkehrsmarkt erzielt worden ist. Es muss nach meiner
Auffassung ganz klar gemacht werden, dass dies einen
zugekauften Umsatz und nicht die Umsatzentwicklung
auf dem deutschen Markt widerspiegelt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Zur Steigerung der Regionalisierungsmittel: Sie
sprechen von einer Erhöhung von 12 Milliarden DM – in
Wirklichkeit waren es 12,5 Milliarden DM, 500 Milli-
onen DM kann man leicht vergessen – auf jetzt 13,5 Mil-
liarden DM. Das sei Ihre politische Heldentat. Mit Ver-
laub: Die frühere Bundesregierung hat den Art. 106 a des
Grundgesetzes neu geschaffen und zusätzlich ein
Regionalisierungsgesetz durchgesetzt. Danach erhalten
die Länder für den öffentlichen Personennahverkehr Zug
um Zug gegen Übertragung der Aufgabenverantwortung
eine dynamisierte Finanzausstattung. Das heißt also, die
Mittel müssen erhöht werden, wenn nicht gleichzeitig das
Grundgesetz und das Regionalisierungsgesetz gebrochen
werden sollen. Das hat aber mit einer möglichen politi-
schen Heldentat gar nichts zu tun.

Sie handeln politisch widersprüchlich, indem Sie zwar
sagen, Sie wollten keine Darlehen mehr, sondern nur noch
Baukostenzuschüsse geben, aber im Haushalt 2001 Ver-
pflichtungsermächtigungen in Höhe von 3,2 Milliar-
den DM für Darlehen vorgesehen haben. Was gilt denn
nun bei Ihnen? Aber zu Ihrem Trost: In Ihrem Forde-
rungskatalog gibt es natürlich auch einige Punkte, die ge-
meinsames politisches Handeln ermöglichen. Darüber
werden wir im Ausschuss diskutieren.

Lassen Sie mich abschließend kurz unsere Ziele auf-
zählen:

Wir wollen erstens die Infrastruktur sichern und aus-
bauen sowie die transeuropäischen Netze im Gleichklang
mit der EU realisieren.

Wir wollen zweitens den Wettbewerb möglichst vieler
Eisenbahnunternehmen mit einem diskriminierungsfreien

Zugang, da wir deren Investitionskraft im System Schiene
brauchen. Wir wollen einen Leistungswettbewerb markt-
gängiger Konzepte und Angebote. Wir wollen nicht, dass
sich die DB AG als Monopolist im Kernnetz aufspielt,
während die anderen Wettbewerber nur den Schrott ver-
werten dürfen. Dieses läuft mit uns nicht.

Wir wollen drittens keinen Rückzug aus der Fläche.
Über das Gewährleistungsgesetz, das wir vorschlagen
und fordern, spricht der Kollege Lintner im Anschluss.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416113900
Kommen
Sie bitte zum Schluss.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1416114000
Ich komme
zum Schluss, Herr Präsident.

Der Bund muss im Rahmen seiner Gemeinwohlver-
pflichtung gemäß Art. 87 e Grundgesetz auch Besteller sein.

Wir wollen viertens die Beschleunigung der wechsel-
seitigen Öffnung der Schienennetze in Europa.

Wir wollen fünftens eine Harmonisierung der fiskali-
schen Belastungen im europäischen Eisenbahnverkehr.

Wir wollen sechstens die Wegekostenanlastung der
Verkehrsträger im nationalen und europäischen Bereich
angleichen.

Wir wollen siebtens die Trennung von Netz und Be-
trieb sowie Wettbewerb mit einem überzeugenden Lö-
sungskonzept, und zwar so schnell wie möglich, späte-
stens zum 1. Januar 2004.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416114100
Herr Kol-
lege, bitte kommen Sie zum Schluss.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1416114200
Wir wollen die
Bahnreform nicht zurückdrehen, sondern ordnungspoli-
tisch sauber fortführen. So hat Schienenverkehr in
Deutschland eine Zukunftschance. Nur so hat Verkehrs-
politik in Deutschland eine Chance, erfolgreich zu sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416114300
Das Wort
hat jetzt der Kollege Albert Schmidt vom Bündnis 90/Die
Grünen.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Hier spricht nicht der böse Wolf – Kollege Wolf
spricht nachher –, ich bin nur erkältet und bitte Sie um
Nachsicht, dass ich Sie heute mit einer dunklen Stimme
bedrohen muss.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Wir fühlen uns nicht bedroht!)


Ich versuche, es dafür umso kürzer zu machen.
Ein paar Bemerkungen zu dem Zahlenfeuerwerk, das

der Kollege Fischer abgebrannt hat: Die Güterverkehrs-
leistung im DB-Netz ist im vergangenen Jahr exakt um




Dirk Fischer (Hamburg)


15751


(C)



(D)



(A)



(B)


12,8 Prozent gestiegen, davon gut die Hälfte bedingt
durch Zuwächse im Bereich der DB Cargo, die andere
Hälfte bedingt durch die strategische Zusammenarbeit
des Unternehmens Railion mit den Benelux-Bahnen.
Nachdem 40 Prozent des Güterverkehrs auf der Schiene
inzwischen auf den grenzüberschreitenden Güterverkehr
entfallen, ist es doch gerade der Clou an der Sache, dass
wir durch Kooperation mit den Nachbarbahnen mehr
Marktanteile bekommen. Das betrifft auch deutsche
Destinationen, also deutsche Ziel- und Abfahrtspunkte im
deutschen Netz. Warum soll man denn solche Erfolge ver-
schweigen? Wir nennen sie gerne.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zweiter Punkt: Wenn es so wäre, Herr Kollege Fischer,
dass seit 1994 in ausreichendem Umfang in das Netz in-
vestiert worden wäre – ich konzediere, dass erhebliche
Anstrengungen gemacht wurden, die Entschuldung und
alles, was Sie aufgezählt haben, waren richtig dargestellt,
es gibt nur in einem Punkt einen erheblichen Dissens –,
hätten wir heute nicht die mehr als 2000 Langsam-
fahrstellen. Reden Sie doch mit den Lokführern, reden Sie
mit den Beschäftigten der Bahn. Es kann Ihnen doch je-
der bestätigen, woher die Löcher im Netz kommen. Sie
kommen doch nicht daher, dass zu viel investiert worden
ist, sondern weil das Bestandsnetz systematisch auf Ver-
schleiß gefahren worden ist. Das ist das Problem, das Sie
uns hinterlassen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Regierung war damals dran?)


Deshalb haben wir seit 1998 die Investitionen um
50 Prozent gesteigert. Es reicht aber nicht, nur mehr Geld
in die Hand zu nehmen, sondern man muss das Geld auch
an der richtigen Stelle mit den richtigen Schwerpunkten
ausgeben.

Der zweite Fehler, den wir jetzt korrigieren, war: Das
große Geld wurde in einigen wenigen Großprojekten ver-
graben, die obendrein noch politisch schöngerechnet
wurden. Diese Mehrkosten fallen uns jetzt auf die Füße.
Wir haben jetzt auszubaden, was Sie uns an verlogenen
Berechnungen hinterlassen haben.

Ich möchte in diesem Zusammenhang sagen: Ich bin
nach wie vor stolz darauf – wenn schon in diesen Tagen
von Stolz die Rede ist, darf ich auch jeden Tag wenigstens
einmal stolz sein, Kollege Hasenfratz –, dass wir es trotz
Schuldenabbaus, gigantischer Steuersenkungen durch die
Einkommen- und Unternehmensteuerreform und zusätz-
licher Investitionsprogramme wie das ZIP geschafft ha-
ben, auch für die Bahn 50 Prozent mehr Mittel zur Verfü-
gung zu stellen, als es im letzten Jahr Ihrer Regierungszeit
der Fall war. Das ist eine großartige Leistung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir alle wollen – darüber sind wir uns sofort einig,
Herr Kollege Fischer – die Investitionsmittel nicht nur
über drei Jahre, sondern über einen längeren Zeitraum auf
hohem Niveau verstetigen. Sie haben völlig Recht, Herr

Kollege Fischer, wenn Sie sagen, dass ein Unternehmen
für die Netzplanung eine mittelfristige Finanzplanung
benötigt, die über einen Dreijahreszeitraum hinausgeht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich möchte noch ein paar Sätze zu den Rahmenbedin-
gungen sagen, die sich verändert haben. Die von Ihnen so
gescholtene Ökosteuer hat dazu beigetragen – ich sage
nicht, dass sie es alleine war –, dass die relativen Markt-
chancen des Schienenverkehrs im Vergleich zum Straßen-
verkehr heute deutlich besser sind. Das schlägt sich auch
in den Marktanteilen nieder. Es gibt im Schienenbereich
eine positive Entwicklung bei der Personenverkehrsleis-
tung und auch, wie ich schon sagte, bei der Schienenver-
kehrsleistung, und das bei gleichzeitig stagnierender bzw.
– das habe ich gerade gelesen – sogar rückläufiger Ent-
wicklung des PKW-Verkehrs. Das ist ein ermutigendes
Zeichen.

Hinzu kommt die am 1. Januar in Kraft getretene Ent-
fernungspauschale. Bahn- und Busfahren lohnen sich
jetzt sogar steuerlich. Das haben wir beabsichtigt. Mit der
steuerlichen Privilegierung des Autofahrens ist Schluss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der nächste Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die

LKW-Maut. Sie wird ein Übriges dazu tun, um die Markt-
chancen des Schienengüterverkehrs zu verbessern.

Es ist aber mit Recht darauf hingewiesen worden, dass
wir jetzt über neue Strukturen diskutieren und entschei-
den müssen. Ich möchte den einen oder anderen Grund
ansprechen, warum wir die Unabhängigkeit des Strecken-
netzes von den Verkehrsbetrieben der DB für unverzicht-
bar halten. Die DB Netz AG hat heute einen paradoxen
Auftrag zu erfüllen: Einerseits soll laut Art. 87 e Abs. 4
des Grundgesetzes ein gemeinwohlorientierter Schienen-
verkehr gewährleistet werden. Andererseits soll die
DB NetzAG nach Aktienrecht gewinnorientiert, also ren-
tabel, arbeiten. Diese beiden Aufgaben sind nicht immer
deckungsgleich. Das ist das Problem. Ein solch paradoxer
Auftrag kann letztlich von keinem Bahnchef der Welt – er
mag heißen, wie er will – erfüllt werden. Über diesen Wi-
derspruch müssen wir diskutieren und wir müssen ihn
auflösen. Deshalb sind wir der Auffassung, dass Schie-
nenstrecken genauso wie Straßen als Teil einer am Ge-
meinwohl und an der Daseinsvorsorge orientierten Infra-
struktur prinzipiell nicht in der Verantwortung eines
privaten Verkehrsunternehmens liegen, sondern in öffent-
licher Verantwortung bleiben sollen, und zwar dauerhaft.
Die Planungshoheit sowie die Trassenvergabe und die
Trassenpreisbildung müssen in der Hand eines unabhän-
gigen Netzbetreibers liegen.

Den operativen Job, die Bewirtschaftung der Strecken,
kann ein privates Eisenbahnunternehmen ohne weiteres
machen, aber dann im Auftrag des Eigentümers und nicht
nach eigenem Gusto oder nach eigener Interpretation des
gesetzlichen Auftrags. Das ist letztlich der Kern des Pro-
blems: Wir brauchen eine klare Verteilung der Rollen zwi-
schen Eigentümer – das ist die öffentliche Hand; ich bin
der Meinung, dass neben dem Bund auch die Länder be-
reit sein müssen, Regionalnetze zu übernehmen, inklusive




Albert Schmidt (Hitzhofen)

15752


(C)



(D)



(A)



(B)


Finanzausstattung, und zwar dort, wo nur der klassische
Nahverkehr fährt – und den Eisenbahninfrastrukturunter-
nehmen, die zwar den operativen Job machen, nicht aber
selber entscheiden, wann wo welche Strecke bleibt, aus-
gebaut wird oder verschwindet. Das ist der Kern der
ganzen Auseinandersetzung.

Ich bin sehr froh, dass dies alles nun einer ernsthaften
Prüfung unterzogen wird, dass in absehbarer Zeit kon-
krete Organisationsmodelle als Vorschläge auf dem Tisch
liegen werden, über die wir diskutieren können, und dass
wir dann hoffentlich gemeinsam einen Lösungsweg prä-
zisieren können. Ich wünsche mir an dieser Stelle die glei-
che Gemeinsamkeit wie bei der Bahnreform 1994, als wir
mit einer breiten Mehrheit die damalige Reform beschlie-
ßen konnten; denn nur wenn beides, Investition und Inno-
vation, zusammenkommt, werden wir aus der Deutschen
Bahn und all ihren Konkurrenzunternehmen die erfolg-
reichste Bahnlandschaft Europas machen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416114400
Das Wort
hat jetzt der Kollege Horst Friedrich von der F.D.P.-Frak-
tion.


Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1416114500
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Wir
diskutieren heute, in einer für die Entwicklung des Ver-
kehrsträgers Schiene in Deutschland durchaus interessan-
ten Zeit, über vier Anträge mit unterschiedlichen Ansät-
zen. Bevor ich darauf im Einzelnen eingehe, möchte ich,
Herr Kollege Schmidt, darauf hinweisen, dass man zwei
Zahlen auseinander halten sollte. Bei aller Freude über
den Zuwachs bei der DB Cargo hat dieser Zuwachs ge-
rade ausgereicht, die Verteilung im Modal Split der Ver-
kehrsträger in Deutschland für die Bahn nicht zu ver-
schlechtern. Das ist ein Status quo.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein!)


– Doch, das sind – bei aller Freude – die Fakten.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein! Das ist über dem Marktdurchschnitt gewesen!)


Ich kann Ihnen auch Folgendes nicht ersparen: Immer
wieder hören wir die gleiche Leier, bei der Bahnreform
habe es von Anfang an nie 10 Milliarden DM an Investi-
tionsmitteln für die Bahn gegeben.


(Karin Rehbock-Zureich [SPD]: Einmal!)

– Das ist ja nicht wahr. – 1994 standen der Bahn 10 Mil-
liarden DM zur Verfügung; davon hat sie 2,4 Milliar-
den DM zurückgegeben. 1995 waren 9,9 Milliarden DM
im Haushalt vorgesehen. Weil erkennbar war, dass dieses
Geld wiederum nicht ausgegeben werden kann, ist 1995
sehr viel mit Vorausrechnungen abgedeckt worden;


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: So ist es!)

der verbleibende Rest von immerhin 800 Millionen DM
ist dann durch die globale Minderausgabe, die wir zu er-

bringen hatten, abgedeckt worden. Das geschah aber
nicht, weil sich die Bahn deswegen nicht gewehrt hätte;
die war froh, dass sie das Geld nicht ausgeben musste,
denn das konnte sie wiederum nicht. Im Jahre 2000 – da-
rauf hat der Kollege Fischer ja schon hingewiesen – sind
faktisch wiederum 1,1 Milliarden DM der zur Verfügung
gestellten Investitionsmittel nicht verbaut worden. Hören
Sie deswegen endlich mit Ihrer Märchenstunde auf, es
hätte das Geld nie gegeben!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es liegt nicht am Geld, es liegt am Nichtumsetzen der
Bahn. Das ist der eigentliche Punkt.

Jetzt aber zu den Anträgen. Ich habe schon mehrfach
ausgeführt: Die damalige Regierungskommission Bahn
hatte bereits darauf hingewiesen, dass die echte Tren-
nung von Netz und Betrieb sinnvoll ist. Damals hat man
sich mehrheitlich darauf verständigt, dieses heikle Thema
nicht anzufassen, und zwar zum einem um die Grundge-
setzänderung zu erreichen, wofür nun einmal Zugeständ-
nisse notwendig waren, und zum anderen um die Pro-
bleme, die sich aus dem Zusammenlegen von Deutscher
Reichsbahn und der damaligen Bundesbahn ergeben ha-
ben, nicht noch durch den Versuch, Netz und Betrieb zu
trennen, zu überlagern.


(Zuruf von der SPD: Das ist doch nicht wahr!)

Diese Diskussion werden wir aber jetzt führen und es gibt
dazu bereits einen Antrag, in dem die Trennung von Netz
und Betrieb ganz klar gefordert wird. Dieser Antrag ist
von uns und stammt aus dem Februar 2000.


(Beifall bei der F.D.P. – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Aber wie Sie es machen wollen, beschreiben Sie nicht!)


– Das wird Ihnen, Herr Kollege Weis, in aller Kürze von
uns vorgelegt.


(Lachen bei der SPD)

Gehen wir nun auf die anderen Anträge ein. Mich er-

staunt die in die gleiche Richtung gehende Argumentation
von PDS und CDU/CSU. Dass die PDS einen solchen An-
satz verfolgt, überrascht mich dabei nicht;


(Lachen der Abg. Dr. Barbara Höll [PDS])

das ist in der Politik der PDS konsequent. Diese Politik
kann man teilen oder nicht, aber sie ist wenigstens konse-
quent.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Danke!)

Aber, liebe Freunde von der Union, für die Trennung von
Netz und Betrieb zu sein und gleichzeitig vom Bund zu
fordern, dass er Schienenfernverkehr bestellt und dann
auch noch eine Ausfallgarantie gegenüber der Bahn oder
dem Erbringer übernimmt – was nichts anderes bedeutet,
als dass der Bundeshaushalt für Betriebsdefizite herhalten
soll –, passt nicht zusammen. Über diesen Punkt sollten
wir noch einmal nachdenken.


(Beifall bei der F.D.P. und der SPD – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist viel komplizierter und komplexer!)





Albert Schmidt (Hitzhofen)


15753


(C)



(D)



(A)



(B)


Jetzt zum Antrag der SPD. Er ist sehr umfangreich; zur
Hälfte besteht er aus Vergangenheitsbewältigung, die uns
nicht weiterbringt, weil es insofern nur darum geht,
Schuldzuweisungen loszuwerden.


(Widerspruch bei der SPD)

Sie drücken sich wiederum um die eigentlich entschei-
dende Frage, nämlich um die Frage, ob Sie die Trennung
von Netz und Betrieb wollen oder nicht. Bei Ihnen ist es
wie bei der Echternacher Springprozession: einen Schritt
vor und zwei zurück – so wie bei Herrn Bodewig. Letzt-
lich steht in Ihrem Antrag nichts, was konkret den Weg
aufweist.

Sie verweisen auf die so genannte Taskforce. Wenn
man sich einmal die Zusammensetzung dieser Taskforce
anschaut, dann stellt man fest, dass ihr unter anderem der
Staatssekretär Nagel, der Staatssekretär Tacke und der
Staatssekretär Overhaus angehören. Dieselben Personen
sitzen auch im Aufsichtsrat der Bahn, im Aufsichtsrat des
Aufsichtsrats der Bahn und jetzt ebenfalls im Aufsichtsrat
der Taskforce. Was sollen sie denn eigentlich entschei-
den? Sollen sie aus der Sicht des Aufsichtsrats der Bahn
entscheiden


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das wird der Herr Mehdorn schon richten!)


oder sollen sie aus der Sicht dessen entscheiden, der der
Bahn eigentlich aufzeigen soll, wie das Ganze funktio-
niert? Im Zusammenhang mit Mehdorn habe ich schon
einmal von „Fröschen, die die Sümpfe trockenlegen“ ge-
sprochen.

Es ist bezeichnend, dass Sie auch die Überlegungen zur
Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes zurückge-
stellt haben, und zwar angeblich so lange, bis Ihre Task-
force Ergebnisse vorgelegt hat.


(Karin Rehbock-Zureich [SPD]: Wo haben Sie denn das her? – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das ist aber eine dumme Behauptung!)


Ich bin einmal gespannt, wie das Ganze funktioniert.
Demnächst ist Herr Mehdorn offensichtlich in der

Lage, das neue Trassenpreissystem vorzulegen, das er
dauernd angekündigt hat.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das liegt schon vor!)


Ich zitiere aus der „Wirtschaftswoche“:

(Kürzel: TPS 01)

auf die Schiene zu bringen, rechnen Mehdorns Leute
in dem Papier anschaulich vor. So müsse das Land
Schleswig-Holstein für die geplante Ausweitung des
regionalen Schienenpersonenverkehrs um 2,26 Mil-
lionen Zugkilometer nun 15,6 Millionen Mark an die
Bahn-Tochter DB Netz zahlen, nach altem Preissys-
tem dagegen nur sieben Millionen Mark. Auf diese
Weise, urteilen der Berliner Wirtschaftsprofessor
Hans-Jürgen Ewers und der Hamburger Verkehrs-
wissenschaftler Gottfried Ilgmann in einem unveröf-
fentlichten Gutachten, verstoße DB Netz gegen das

eigene Interesse, Anreize gegen die Ausdünnung von
Taktverkehren zu schaffen und damit das Netz besser
zu vermarkten.

Es bleibt dabei: Nur wer klar und deutlich sagt, dass es
mehr Verkehr auf der Schiene nur dann gibt, wenn das
Netz endlich aus der Bahnholding herausgelöst wird, ist
auf dem richtigen Weg. Diese klaren Worte vermisse ich
von Ihnen, insbesondere von der Regierungskoalition.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416114600
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Winfried Wolf von der
PDS-Fraktion.


Dr. Winfried Wolf (PDS):
Rede ID: ID1416114700
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist sicher-
lich wichtig, dass wir hier erneut eine Bahndebatte führen.
Die vorliegenden Anträge sind sehr interessant. Ich
glaube, dass in fast allen Beiträgen der Ernst der Lage
nicht ausreichend dargestellt wurde.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Warum sind Sie denn nicht in Gorleben?)


Der Kollege Friedrich hat zu Recht darauf hingewie-
sen, dass die Bahn große Teile der vorhandenen Summen
nicht ausgegeben hat. Es stellt sich daher die Frage,
warum die Bahn trotz des Privatisierungskurses, trotz der
Bahnreform nicht in der Lage war, diese Beträge auszu-
geben und warum sich insbesondere seit der Bahnreform
der Zustand des Netzes dermaßen verschlechtert hat.
Auch die Feststellungen von der SPD und von den Grü-
nen, dass die Schiene zumindest in der Lage gewesen sei,
ihre Anteile am Personen- und Güterverkehr zu halten,
lassen sich vor dem Hintergrund der realen Verkehrszah-
len nicht rechtfertigen. Die Anteile gingen Jahr für Jahr
zurück. Nur im Hinblick auf die Jahre 1999 und 2000
kann man behaupten, dass der Anteil stabilisiert werden
konnte.

Ich komme zum internationalen Vergleich.Wenn Sie
von der SPD und von den Grünen feststellen, dass die
Deutsche Bahn auf ihrem Schienennetz die mit Abstand
höchste Fahrleistung aller europäischen Bahnen erbringe,
dann entgegne ich: Das ist so, als wenn man Äpfel mit
Birnen vergleicht. Beispielsweise fahren in der Schweiz,
die keinen Privatisierungskurs betreibt, die Schweizer
Bürger dreimal so viele Kilometer mit der Bahn, obwohl
dieses Land viel kleiner ist. Damit ist sie – trotz des Feh-
lens eines Privatisierungskurses – weit effektiver.

Der Hauptgrund für diese Entwicklung besteht darin,
dass die Rahmenbedingungen nicht zugunsten der Bahn
sind und dass Sie die Bahn weiterhin benachteiligen. Ich
kann nicht feststellen, dass es seit 1998 eine qualitative
Verbesserung gibt. Für die Bahn gilt keine Befreiung von
der Mineralölsteuer und kein halber Mehrwertsteuersatz.
Dazu kommt der halbe Ökosteuersatz.

Die jetzt stattfindende Debatte über die Trennung von
Netz und Betrieb ist teilweise eine Scheindebatte. Prin-
zipiell könnte unserer Ansicht nach eine solche Trennung




Horst Friedrich (Bayreuth)

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(C)



(D)



(A)



(B)


Chancengleichheit herstellen. Sie sagen aber nichts zu
den Bedingungen, unter denen die Schiene mit Trassen-
schutz insgesamt in Staatshand wäre, sodass sich der Staat
dafür genauso wie für Straßen und für Wasserwege ver-
antwortlich fühlen würde. Insofern sind die Anträge weit-
gehend wie weiße Salbe, die aufgetragen werden soll.

Man muss auch berücksichtigen, was die Bahn konkret
vorhat. In der nächsten Zeit will die Bahn nicht etwa
nur einige Gleisanschlüsse stilllegen – so die Planung
Mora C –, sondern ein Drittel des Bestandes abbauen. Die
Bistros im Personenverkehr sollen komplett abgeschafft
werden. Im nächsten Jahr soll der Rabattsatz der
Bahn-Card halbiert werden. Die Bahn selbst sagt, dass sie
damit ungefähr 20 bis 30 Prozent ihrer Bahn-Card-Kun-
den verlieren wird. All diese konkreten Vorgaben werden
dem Verkehr der Bahn schaden.


(Beifall bei der PDS)

Ich glaube, dass das Ganze mit dem Fahrplanwechsel

am 9. Juni mit dem Interregiosterben noch einmal ge-
steigert werden wird, das dann beginnen und im Jahr 2003
vollendet werden wird, wenn die Zuggattung Interregio
komplett abgeschafft sein wird, eine Gattung, die bis zum
Jahre 1995 mehr Fahrgäste auf sich vereinigen konnte als
entweder IC/EC oder ICE und die seit Mitte der 90er-
Jahre bewusst kaputtgemacht wird. Sie wissen ganz ge-
nau, dass ganze Regionen wie Rostock, Magdeburg,
Marburg, Ostfriesland, Friedrichshafen, Lindau, Lud-
wigshafen, Trier, Lübeck und Chemnitz mit dieser Politik
abgehängt werden.

Sie wissen ganz genau, es wird intern eingerechnet,
dass mit dem Ersatz für den Interregio keineswegs Real-
ersatz geschaffen wird, sondern mindestens 20 Prozent
der Interregiogäste wegbleiben werden, dass Nachteile
entstehen werden durch gebrochenen Verkehr, weil man
umsteigen muss. Sie wissen vor allem genau aus der De-
batte vorher, dass Tourismusgebiete in massivem Umfang
geschädigt werden – der Schwarzwald zum Beispiel,
Mecklenburg-Vorpommern, Rügen, Oberschwaben –, die
nicht mehr an den Fernverkehr angebunden werden.

Sie wissen ganz genau, dass die Industrie- und Han-
delskammern und Fremdenverkehrsverbände massiv bei
Ihnen auf der Matte stehen und sagen werden: Das könnt
ihr nicht machen, bei uns den Interregio abzukappen. Des-
wegen wird ja immer wieder versucht, Teillösungen dafür
zu finden.

Der Antrag der CDU zum Interregio wurde faktisch im
Bundesrat konkretisiert. Der Bundesratsantrag geht wei-
ter und wir übernehmen ihn im Grunde. Kollege
Friedrich, Ihre Parteifreunde sitzen in der baden-würt-
tembergischen Regierung, Baden-Württemberg hat die-
sen Antrag mit eingebracht und gesagt, wir wollen ein
konkretes Gesetz haben, das den Artikel 87 e des Grund-
gesetzes konkretisiert und diese Verkehrsleistungen fest-
schreibt.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das war doch ein Wahlkampfantrag!)


Deswegen bringen wir den Antrag des Bundesrates un-
verändert im Bundestag ein. Einen Kommafehler haben

wir korrigiert, aber sonst ist es die gleiche Form. Wir hof-
fen auf die gemeinsamen Stimmen von CDU/CSU und
PDS.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416114800
Für die
Bundesregierung hat jetzt das Wort die Parlamentarische
Staatssekretärin Angelika Mertens.

A
Angelika Mertens (SPD):
Rede ID: ID1416114900
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Erinnern wir uns
noch einmal an die Ziele der Bahnreform und vielleicht
auch daran, dass die Bahnreform nicht die Bahnreform
der damals schwarz-gelben Regierung, sondern die Bahn-
reform des Parlaments war.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit großer Mehrheit!)


– Sie ist mit großer Mehrheit hier verabschiedet worden.
Ziele der Bahnreform waren: mehr Verkehr auf der

Schiene, Begrenzung der Belastung des Steuerzahlers,
Wirtschaftlichkeit der DBAG. Sie war auf zehn Jahre an-
gelegt. Jetzt ziehen wir so etwas wie eine Zwischenbilanz
und fragen uns erstens, wie weit die Ziele eigentlich er-
reicht wurden, und zweitens, was getan werden muss, um
die Ziele zu erreichen, konkret: welche Weichen jetzt ge-
stellt werden müssen.

Klar muss auch sein: Wenn eine Bahnreform auf zehn
Jahre angelegt ist, können die Ziele heute noch nicht er-
reicht sein, jedenfalls nicht in ihrer Gänze. Deshalb war,
denke ich, die Große Anfrage, die gestellt worden ist, sehr
wichtig; denn sie verlangt so eine Art politisches Control-
ling von uns –, Controlling nicht im Sinne des Kontrol-
lierens, sondern im Sinne des Steuerns.

Ich glaube, es ist sehr wichtig, die Frage, ob Elemente
der Bahnreform neu oder anders miteinander verknüpft
werden müssen, jetzt zu beantworten. Es gibt zwei Ant-
worten: mehr Verkehr auf der Schiene mit dem Wettbe-
werbsaspekt und Verringerung der Belastung des Steuer-
zahlers mit dem Aspekt der wirtschaftlichen Bahn zu
verknüpfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wie weit diese Ziele jetzt schon erreicht worden sind,
dazu gibt es immer eine subjektive und eine objektive Be-
trachtung. Objektiv betrachtet ist die DB AG im Bench-
marking nach Beförderungsleistungen – Personen und
Fracht – die größte Bahngesellschaft Europas. Sie hat ein
relativ dichtes, vergleichsweise gut ausgebautes und auch
ein hochstandardisiertes sowie leistungsfähiges Netz.
Subjektiv könnte die DB AG heute anders dastehen, wenn
in der Vergangenheit – ich sage es einmal – eben nicht so
unverantwortlich mit dem Bestandsnetz umgegangen
worden wäre.




Dr. Winfried Wolf

15755


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich habe mir aus dem Pressedienst der CDU/CSU ein-
mal etwas herausgesucht. Dort heißt es, dass die neue Ge-
samtsumme für Schieneninvestitionen trotz der uner-
warteten erheblichen UMTS-Mehrerlöse von 8,7 Mil-
liarden DM immer noch weit unter dem Ansatz liegt, der
mit 10 Milliarden DM jährlichen Investitionsmitteln für
eine erfolgreiche Bahnreform nötig ist und der von der
CDU/CSU-geführten Bundesregierung immer gewährlei-
stet wurde.“


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416115000
Frau Kol-
legin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Dr. Ilja Seifert von der PDS-Fraktion?

A
Angelika Mertens (SPD):
Rede ID: ID1416115100
Ja,
bitte.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416115200
Herr
Seifert.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1416115300
Frau Kollegin Mertens, Sie
sprachen gerade davon, dass es eines der Ziele war und ist,
die Bahn für mehr Menschen attraktiv zu machen. Kön-
nen Sie mir vor diesem Hintergrund sagen, wie die Bun-
desregierung die Tatsache bewertet, dass die Deutsche
Bahn AG die von der Deutschen Reichsbahn übernom-
menen Kombiwagen ersatzlos verschrottet, die sehr gut
geeignet sind, behinderten Menschen Gruppenreisen zu
ermöglichen?

A
Angelika Mertens (SPD):
Rede ID: ID1416115400
Es
wurde vorhin schon bemerkt, dass wir die Bahnreform
sehr einvernehmlich beschlossen haben. Gemäß dieser
Bahnreform liegt das operative Geschäft bei der DB AG
und nicht beim Bund. Man kann natürlich immer fragen,
ob man sich diese Regelung gut überlegt hat. Aber man
muss trotzdem festhalten, dass der Bund für das operative
Geschäft nicht verantwortlich ist. Die Bahnreform hat
eine breite Zustimmung gefunden. Wir müssen jetzt end-
lich verinnerlichen, dass wir das operative Geschäft der
Deutschen Bahn AG und ihren Tochterunternehmen über-
lassen haben.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416115500
Frau Kol-
legin, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage des Kol-
legen Seifert?

A
Angelika Mertens (SPD):
Rede ID: ID1416115600
Ja.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416115700
Bitte
schön.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1416115800
Ich verstehe ja, dass Sie der
Meinung sind, die Bahn müsse diese Entscheidung selbst
treffen. Aber trotzdem muss doch die Bundesregierung

eine Meinung dazu haben, dass den Menschen mit
Behinderung die einzige Möglichkeit, in Gruppen zu ver-
reisen, dadurch genommen wird, dass die dazu benötigten
Wagen verschrottet werden. Sie werden noch nicht einmal
an Konkurrenzunternehmen verkauft, die diese Wagen
dann einsetzen könnten. Das kann doch nicht im Sinne der
Daseinsvorsorge für behinderte Menschen sein, für die
die Bundesregierung verantwortlich ist.

A
Angelika Mertens (SPD):
Rede ID: ID1416115900
Herr
Kollege Seifert, ich will mich gerne erkundigen, wie die
konkrete Situation ist. Aber es ist nicht wahr, dass die
einzigen Wagen, mit denen Behinderte fahren können,
verschrottet werden.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Nur ein oder zwei Mann!)


Sie können als Behinderter die neuen ICEs jederzeit nut-
zen. Ich werde mich aber in dieser Angelegenheit erkun-
digen und in Erfahrung bringen, wie die Situation in Ihrer
Region ist. Der DB AG zu unterstellen, sie würde keine
Möglichkeit für das Reisen von Behinderten bereithalten,
ist allerdings nicht richtig.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Zwei behinderte Menschen in einem Zug!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416116000
Frau Kol-
legin Mertens, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Fischer?

A
Angelika Mertens (SPD):
Rede ID: ID1416116100
Ich
möchte die Frage nicht zulassen, weil ich jetzt im Zusam-
menhang vortragen will.

Die CDU/CSU hat gesagt, sie habe die benötigten Zu-
schüsse immer gewährleistet. Das ist aber nicht richtig.
Herr Friedrich sprach davon, diese Mittel seien ein Jahr
gewährleistet, aber von der Bahn nicht abgerufen worden.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Zwei Jahre, bitte! Wenn schon, dann richtig!)


In diesem Zusammenhang möchte ich bemerken, dass im
Jahre 1995 der Zuschuss 9,2 Milliarden DM und nicht
9,8 Milliarden DM betrug.

Ich möchte auch die anderen Zahlen nennen: Im Jahre
1997 betrug der Zuschuss des Bundes 6,7 Milliarden DM,
im Jahre 1998 5,7 Milliarden DM, im Jahre 1999 7 Mil-
liarden DM und im Jahre 2000 6,8 Milliarden DM. Wir
stehen also nicht schlechter da als Sie; denn auch Sie ha-
ben in den letzten Jahren die Grenze von 10 Milliar-
den DM nicht erreicht. Wir wollen aus dem Zukunfts-
investitionsprogramm weitere 2 Milliarden DM für die
Schiene geben. Damit liegen wir im Jahre 2001 bei 9 Mil-
liarden DM.

Objektiv gesehen hat die DB AG einen Rationalisie-
rungsrückstau. Subjektiv gesehen muss man einfach fest-
stellen, dass die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner eine
ganz hervorragende Leistung vollbracht haben. In den




Parl. Staatssekretärin Angelika Mertens
15756


(C)



(D)



(A)



(B)


50er-Jahren haben noch ungefähr eine halbe Million Men-
schen in diesem Bereich gearbeitet. Nach der Zusammen-
legung von Deutscher Bundesbahn und Deutscher
Reichsbahn waren es nur noch 345 000; heute sind es
220 000 Beschäftigte.

Wir sollten alle gemeinsam den Hut vor den Eisen-
bahnerinnen und Eisenbahnern ziehen, die, obwohl es
praktisch ein Drittel Arbeitnehmer weniger sind, heute
sehr viel mehr Leistung als früher bringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Stellenabbau wird weitergehen und der Bund wird
sich seiner Verantwortung dabei nicht entziehen.

Ich will noch einmal auf die Trennung von Netz und
Betrieb eingehen. Ich halte diesen Ausdruck für ein we-
nig unglücklich, weil er physikalisch schwer zu erklären
ist. Er hat sich aber seit den 80er-Jahren so eingebürgert;
deshalb muss man ihn wohl auch verwenden. Ich würde
lieber von der Neutralität des Netzes sprechen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Das ist eine Verharmlosung!)


Unser Ziel ist die Verdopplung des Güterverkehrs auf
der Schiene. Ich gehe davon aus, dass DB Cargo – ich
denke, auch sie geht davon aus – dies allein nicht schaf-
fen kann. Schienenverkehr zu betreiben ist teuer und
braucht deshalb eine mittelfristige Perspektive, das heißt
Investoren, aber auch DB Cargo brauchen Sicherheit. Uns
geht es nicht um Wettbewerb um dieselben Gütertrans-
portleistungen, sondern um den Wettbewerb mit der
Straße. So könnte auch die Straße entlastet werden oder
zumindest ihre Belastung nicht weiter überproportional
zunehmen.

Die Gewährleistung der Neutralität des Netzes, also
die Trennung von Netz und Betrieb, ist eine Frage des Wie
und des Wann, aber nicht mehr des Ob.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden klären lassen, welche verschiedenen Organisa-
tionsmodelle es gibt und welche Vor- und Nachteile sowie
Folgewirkungen sie jeweils haben, besonders im Hinblick
auf die unternehmerischen, finanz- und verkehrspoliti-
schen Folgen und auch im Hinblick auf das Verhältnis von
Bund und Ländern.

Durch die zentrale geographische Lage und die direkte
Verknüpfung mit den Streckennetzen von neun Nachbar-
ländern kommt dem deutschen Bahnnetz, der DB AG und
den anderen Eisenbahnunternehmen eine Schlüssel-
stellung für die weitere Entwicklung des Schienentrans-
portes in Europa zu. Unser gemeinsames Ziel muss doch
sein, unsere Unternehmen so gut wie möglich auf ein ver-
eintes Europa vorzubereiten. Deshalb begrüße ich den
Antrag der Koalitionsfraktionen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416116200
Als letz-

ter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der

Kollege Eduard Lintner von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1416116300
Sehr geehrter Herr Prä-
sident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen
und Herren! Lassen Sie mich eingangs eine Bemerkung
zu dem Märchen machen, das hier insbesondere Herr
Schmidt immer verbreitet: Die Bahn, die großzügig mit
Geldern ausgestattet worden sei, habe diese auch ausge-
geben. Es ist schon ein Beispiel erwähnt worden, wo
1,1 Milliarden DM zurückgeflossen sind.


(Karin Rehbock-Zureich [SPD]: Die sind nicht zurückgeflossen!)


Diese hätten beispielsweise im Neubaubereich durchaus
zusätzlich investiert werden können. Stattdessen haben
Sie sie zur vorzeitigen Tilgung von Schulden verwendet.
Das ist ein Zeichen dafür, dass die Bahn nicht in der Lage
war, sie zeitnah zu verwenden.


(Klaus Hasenfratz [SPD]: Aber trotzdem braucht sie das Geld!)


Ich habe aber noch ein schönes Beispiel, Herr
Hasenfratz, – das haben wir ganz genau recherchiert –:
Für Lärmschutzinvestitionen wurden 100 Millionen DM
im vorigen Jahr vorgesehen und der Bahn zur Verfügung
gestellt. Tatsächlich ausgegeben wurden 14 Millio-
nen DM. Wir haben nach dem Grund gefragt; die Frau
Parlamentarische Staatssekretärin hat es uns Gott sei
Dank schriftlich gegeben; deshalb kann sie dem kaum wi-
dersprechen. Laut Verkehrsministerium wurden nur
14 Millionen DM ausgegeben, weil es Planungsschwie-
rigkeiten bei der Bahn gab.

Was sich hier anhand dieses einen Beispiels dokumen-
tieren lässt, gilt natürlich auch für ganz andere Größen-
ordnungen im Rahmen dieses Paketes von 9 Milliar-
den DM.


(Karin Rehbock-Zureich [SPD]: Was schließen Sie daraus? – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Die sind doch trotzdem für investive Zwecke ausgegeben worden!)


Geben Sie also nicht mit Beträgen an, die in Wirklichkeit
gar nicht genutzt werden können! Sie können zwar15Mil-
liarden DM schreiben und damit angeben. Im Endeffekt
wird es aber dabei bleiben, dass die Bahn pro Jahr ins Be-
standsnetz ungefähr 6 bis 7 Milliarden DM – um die An-
gabe genauer Zahlen drücken Sie sich ja immer herum –
investieren kann. Mehr geht aufgrund der heutigen Pla-
nungs- und Entwicklungskapazitäten nicht. Sie müssten
schon andere Maßnahmen ergreifen, damit eine Erhöhung
auch wirklich greift.

Zurück zum Thema: Der Bundesverkehrsminister und
der Vorstand der Bahn haben uns ja in letzter Zeit viele
Gründe geliefert, daran zu zweifeln, ob und, wenn ja, in
welchem Umfang sie die Verpflichtung nach Art. 87 e
Abs. 4 des Grundgesetzes erfüllen wollen. Dabei geht es
– um es auch dem Publikum einmal klar und deutlich zu
sagen – um die Verpflichtung des Bundes und nicht
der Bahn, ein den Erfordernissen des allgemeinen Wohls




Parl. Staatssekretärin Angelika Mertens

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entsprechendes Angebot im Schienenpersonenfernver-
kehr zu gewährleisten. Das gilt sowohl für das Netz wie
auch für den Betrieb.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Endlich auf den Punkt gebracht!)


Deshalb sind Gedankengänge, die darauf hinauslaufen,
ein Bestellermodell wie im Nahverkehr einzuführen, gar
nicht so abwegig. Denn die Verpflichtung können Sie in
anderer Form unter Umständen gar nicht einlösen. Aber
da sind wir diskussionsbereit und offen.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Darüber müssen wir reden, statt darum herumzureden!)


Dass die Zweifel berechtigt sind, zeigt beispielsweise
die Tatsache, dass die DB AG entschlossen ist, mit dem
Interregio ein wichtiges Zugangebot aus dem Fernver-
kehr der Bahn zu streichen, ohne dass ein Ersatz dafür in
Sicht wäre. IC und ICE können ihn nicht ersetzen. Auch
der regionale Verkehr ist dazu nicht in der Lage. Sie ken-
nen seine Nachteile:


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Es gibt Länder, die lösen das ganz klug und intelligent!)


Man muss oft umsteigen und gerade Familien mit Kin-
dern, ältere Menschen mit viel Gepäck oder allein fah-
rende Kinder sind da natürlich stark benachteiligt. Des-
wegen ist er kein Ersatz, auch wenn Sie ihn gelegentlich
so anpreisen.

Den zweiten Grund zum Zweifeln liefert die Bundes-
regierung selber, weil sie sich nämlich beharrlich weigert,
der Bahn endlich die verlangte Planungssicherheit über
das Jahr 2003 hinaus zu geben.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Haben Sie einmal für drei Jahre Planungssicherheit gehabt? So viel Planungssicherheit wie heute hat die Bahn nie gehabt!)


– Herr Weis, Sie hätten sich Ihren jetzigen Antrag glatt
sparen können, denn diese entscheidende Frage haben Sie
wieder nicht beantwortet. Wieder sprechen Sie nur von
der finanziellen Gewährleistung bis zum Jahre 2003. Aber
Herr Mehdorn hat es Ihnen jetzt schon so oft gesagt – und
wir können uns auf ihn berufen –: Wenn man Investitio-
nen im Bereich der Schiene vornehmen will, dann ist ein
Planungszeitraum bis 2003 zu gering. Dafür kann man
keine Kapazitäten aufbauen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das heißt, Sie lassen die Bahn im Stich und bieten nicht
die notwendige Planungs- und Finanzierungssicherheit,
um unsere Zweifel an der Gewährleistung des Grundge-
setzauftrages zu zerstreuen.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Haben Sie in dem Antrag nicht von der bedarfsgerechten Verstetigung gelesen? Das ist genau das, was die Bahn fordert! – Bartholomäus Kalb [CDU/ CSU]: Die haben sogar extra kw-Vermerke reingeschrieben!)


Es gibt deshalb viel Anlass, die Initiative der beiden Bun-
desländer Bayern und Baden-Württemberg zu begrüßen,


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: So ist es! Gute Länder!)


die zum Ziel hat, diese Gewährleistungsansprüche da-
durch zu konkretisieren, dass künftig ein Schienenperso-
nenfernverkehrsvolumen von 180 Millionen Kilometern
pro Jahr gewährleistet wird. Damit entsprechen die beiden
Länder außerdem einer grundgesetzlich niedergelegten
Pflicht. Denn es heißt in Art. 87 e Abs. 4 ausdrücklich,
dass das Nähere ein Bundesgesetz regelt. Sie haben das
bisher nicht getan.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416116400
Herr Kol-
lege Lintner, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Schmidt?


Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1416116500
Bitte schön.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416116600
Bitte
schön, Herr Schmidt.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Kollege Lintner, ich habe eine Frage zu
Ihrem Antrag, nach dem die 180 Millionen Zugkilometer
im Fernverkehr durch Bestellung gewährleistet werden
sollen. Wenn es so ist, dass ursprünglich geplant war,
19 Millionen Interregiokilometer abzuschaffen – faktisch
sind bisher noch nicht einmal 10 Millionen abgeschafft
worden und selbst die, die abgeschafft worden sind, sind
durch ICE, IC oder Regionalexpresse ersetzt worden –,
rechtfertigt dann die Kürzung dieser ohne Zweifel behal-
tenswerten Zugangebote gleich die Forderung, das ge-
samte Angebot im Fernverkehr, inklusive ICE und IC, also
sämtliche 180 Millionen Zugkilometer, auf Kosten des
Bundes zu bestellen und damit auch vom Bund bezahlen
zu lassen? Denn was kostet Ihr famoser Antrag den Bund?


Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1416116700
Herr Kollege Schmidt,
da müssten Sie sich allerdings an eine Änderung des
Grundgesetzes heranwagen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso?)


Denn die Verpflichtung, einen entsprechenden Schienen-
personenfernverkehr aufrechtzuerhalten, steht im Grund-
gesetz. Das ist keine Erfindung von uns.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es steht nicht drin, dass der Bund das bestellen muss!)


– Gut, es heißt nicht: 180 Millionen Kilometer; darüber
kann man sicher trefflich streiten. Ich will auch nicht ab-
lehnen, dass darüber noch einmal geredet werden kann.
Aber die gesetzlich formulierte Konkretisierung dieses
Grundgesetzartikels


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fehlt!)





Eduard Lintner
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vermissen wir und mahnen wir an.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die habt aber ihr vergessen!)


– Was heißt „ihr vergessen“? Der Gesetzentwurf der bei-
den Länder liegt jetzt vor und wenn Sie meinen, dass das
ein berechtigter Wunsch ist, dann hindert Sie niemand da-
ran, ihm zuzustimmen.


(Beifall des Abg. Eduard Oswald [CDU/CSU] – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Oder einen besseren Vorschlag zu machen!)


Sie können aus der ganzen Diskussion in der Tat viel Un-
sicherheit herausnehmen, wenn Sie sich einfach dazu be-
kennen und sagen: Jawohl, wir stimmen dieser Geset-
zesinitiative zu. Wir sind aber nicht für 180 Millionen Ki-
lometer, sondern für 160 Millionen Kilometer. – Darüber
kann man sicher reden. Aber wenn Sie die gesetzliche
Verpflichtung mittragen würden, wäre das höchst will-
kommen.

Meine Damen und Herren, im Übrigen sind viele Ihrer
Zusagen an die Bahn Lippenbekenntnisse geblieben. Wir
nehmen Ihnen einfach nicht ab, dass es tatsächlich ernst
gemeint ist, was Sie hier dauernd beteuern, solange Sie
Ihre „ernsthaften Absichten“ nicht in konkrete, im Haus-
halt ausgewiesene Zahlen umsetzen. Hier geht es darum,
dass Sie der Bahn ausreichende Mittel zur Verfügung stel-
len, damit sie das, was Sie von ihr ständig verlangen, auch
verwirklichen kann. Daran mangelt es bis heute. Ihr An-
trag hilft uns jetzt überhaupt nicht weiter, sondern ist eine
Luftnummer, die Sie früheren Luftnummern einfach hin-
zufügen. Werden Sie konkret, dann sind wir gern mit von
der Partie.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416116800
Ich
schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Über-
weisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/5665,
14/5451, 14/5666 und 14/5662 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vor-
lage auf Drucksache 14/5665 soll außerdem mitberatend
an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Sind Sie
damit einverstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael
Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Referenzstrecke für den Transrapid
– Drucksachen 14/2734, 14/4025 –


(Reinhard Weis wieder eine Transrapiddebatte!)


Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
F.D.P. vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
F.D.P. sechs Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist es beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Horst Friedrich für den Antragsteller, die F.D.P.-
Fraktion, das Wort.


Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1416116900
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Ei-
gentlich ist ein Teil dessen, was in der Antwort der Bun-
desregierung auf unsere Große Anfrage zur Referenz-
strecke für den Transrapid angekündigt worden ist,
mittlerweile zumindest teilweise geklärt. Das liegt aber
nicht daran, dass wir unsere Anfrage zu spät gestellt hät-
ten, sondern daran, dass die Geschäftsführung es fertig
gebracht hat, dass unser Antrag vom Februar 2000 fast
unmittelbar danach, nämlich 13Monate später, endlich im
Deutschen Bundestag debattiert werden kann. – So viel
zur Einführung.

Das, was noch nicht geklärt ist, was aber im Interesse
einer Investitionssicherheit sowohl für die Industrie als
auch für die Versuchsanlage im Emsland sowie die an ihr
Beteiligten und vor allem von ihr Betroffenen geklärt wer-
den kann, das steht in unserem Entschließungsantrag.

Bezeichnenderweise ist das Wort von Dieter Vogel
– damals noch in seiner Eigenschaft als Vorstandsvorsit-
zender von Thyssen – wahr geworden, dass wir wahr-
scheinlich gezwungen sein werden, Erfahrungen mit der
Technik des Transrapid aus, mit Verlaub, Entwicklungs-
ländern zurückzukaufen. Als ich diese Äußerung von
Herrn Vogel hier vortrug, hat der Kollege Schmidt damals
in einem Zwischenruf gefragt: Merken Sie eigentlich
nicht, wie peinlich diese Einlassung ist? Herr Schmidt
müsste sich im Nachhinein sowohl bei Dieter Vogel als
auch bei mir entschuldigen, denn dies ist tatsächlich ein-
getreten. Der Transrapid wird – man kann hinzufügen:
Gott sei Dank – in China gebaut, und zwar wahrscheinlich
sehr viel schneller, als er bei uns gebaut werden könnte,
und wir werden, ob es uns nun gefällt oder nicht, für un-
sere Referenzstrecken, sobald sie denn ausgewählt sein
werden, die Testerfahrungen aus dem Emsland um die
Praxiserfahrungen ergänzen müssen, die auf der Strecke
zwischen Schanghai und dem Flughafen von Schanghai
gemacht werden. Ich fürchte, dass uns dieser Know-how-
Transfer über die Kosten hinaus, die wir für den Bau der
Strecke in China zuwenden müssen, noch einiges Geld
kosten wird.

Die Zeitungsstimme dazu trifft es vielleicht noch viel
besser: Ein wenig peinlich ist das Ganze schon.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Mehr als peinlich!)


Da wird im Hightechland Deutschland über mehr als
20 Jahre hinweg mit einem Milliardenaufwand ein völlig
neues Verkehrssystem entwickelt und als dieses System
endlich einsatzreif ist, wird es in der öffentlichen Diskus-
sion zerredet und – dies füge ich hinzu – in anderen Be-
reichen umgesetzt.




Eduard Lintner

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(B)


Das ist eigentlich immer die Tendenz bei neuen Tech-
niken in Deutschland. Ich habe in einer meiner ersten Re-
den zum Transrapid 1994 darauf hingewiesen, dass auch
das Fax-Gerät in Deutschland erfunden wurde, aber in Ja-
pan gebaut und umgesetzt worden ist, und dass die Nei-
getechnik bei den Zügen in Deutschland entwickelt und
erfunden wurde und wir sie von Italien zurückkaufen
mussten. Ich habe damals hinzugefügt: Ich hoffe, dass das
beim Transrapid nicht passiert. Dies ist aber eingetreten.

Was noch offen ist – das ist eigentlich die Aufgabe von
Rot-Grün und an deren Erfüllung lege ich die Messlatte
für die Glaubwürdigkeit an –, ist die Auswahl und die
schnelle Umsetzung der Referenzstrecken in Deutsch-
land. Leider wird der Transrapid nur als Nahverkehrszug
eingesetzt, obwohl er, um Klaus Daubertshäuser, den
hoch geschätzten Kollegen, den Sie alle hoffentlich noch
kennen, und sein Buch zu zitieren, eigentlich entwickelt
worden ist, um als Verkehrsmittel im Fernverkehr einge-
setzt


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Als Flugzeugersatz!)

und nicht als Vorortzug missbraucht zu werden.

Sie müssen sich endlich dazu durchringen, zu sagen,
wo Sie den Transrapid in Deutschland einsetzen möchten,
wenn diese Aussage von Ihnen noch gilt, was ich hoffe.
Sie haben immer erklärt: Wir sind nicht gegen die Tech-
nik Transrapid. Wir hatten nur etwas gegen die Strecke
von Hamburg nach Berlin.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Gegen welche Strecke haben die denn nichts?)


Ich bin gespannt, ob sich diese Haltung noch verfestigt,
wenn sich zum Beispiel die Niederländer dafür entschei-
den – noch befinden sie sich ja im Prüfungsstadium –, die
Strecke für den Transrapid von Amsterdam nach Gronin-
gen zu bauen, und vielleicht eine Verlängerung von Ham-
burg nach Berlin angedacht wird. Dann werden wir dieses
Thema erneut auf den Tisch bekommen. Ich bin gespannt,
wie Sie sich dann verhalten werden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die eigentlich entscheidende Frage, die Sie mit der
Vorlage des nächsten Haushalts beantworten müssen, ist,
welche Zukunftspläne Sie mit der Versuchsanlage für den
Transrapid in Lathen haben. Der Vertrag, der dazu abge-
schlossen ist, läuft bis zum 30. Juni 2002; er ist bisher
nicht verlängert worden. Sie haben es mit der Wahl dieses
Zeitpunkts geschafft, den EXPO-Zeitraum zu über-
brücken. Die Transrapid-Versuchsanlage ist ein Außen-
standort. Aber die Leute, die dort arbeiten, sind hoch qua-
lifiziert und haben langfristige Verträge. Sie müssten sich
in der Zwischenzeit neu orientieren. Deshalb brauchen sie
endlich Planungssicherheit.

Wenn es denn tatsächlich Sinn machen sollte, die
Transrapidtechnik auch in Deutschland einzusetzen – das
ist ja Ihr Ziel –, dann muss jetzt klar sein, was ab dem
1. Juli 2002 in Lathen passiert, wer dort noch arbeiten darf
und vor allen Dingen, welche schon lange notwendigen
Veränderungen an der Versuchsanlage vorgenommen
werden.

Die letzte Forderung, die wir stellen: Der Transrapid
ist, wenn Sie glaubwürdig sind, was Sie uns dauernd er-
klären, in die Bundesverkehrswegeplanung einzubezie-
hen, und zwar spätestens mit der Fortschreibung des
neuen Bundesverkehrswegeplanes.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Da dies aber erst nach der Bundestagswahl stattfindet,
können wir es vielleicht auch selbst umsetzen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416117000
Als
nächster Redner hat der Kollege Reinhold Hiller von der
SPD-Fraktion das Wort.


Reinhold Hiller (SPD):
Rede ID: ID1416117100
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Friedrich, Sie
haben Recht: Niemand weiß so recht, weshalb es heute
diese Debatte zum Transrapid geben muss; denn die Fra-
gen sind bereits vor gut einem Jahr von der Bundesregie-
rung beantwortet worden – scheinbar auch zu Ihrer Zu-
friedenheit, da Sie keine weiteren Fragen gestellt haben.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Ihr habt den neuen Antrag geprüft, geprüft und nochmals geprüft!)


Ich habe den Eindruck, dass die F.D.P. den Entschei-
dungen der Verantwortlichen immer hinterherhechelt.
Deshalb wird dies hier immer wieder zu einem Thema.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Herr Hiller, Sie wissen genau, dass Sie nur prüfen!)


So ist zum Beispiel die ursprünglich geplante Verbin-
dung zwischen Hamburg und Berlin, die erneut zu ei-
nem Thema geworden ist, hier schon sehr oft besprochen
worden. Die Haltung der Bundesregierung und auch der
SPD-Fraktion wird bestätigt, wenn man sich nur einmal
das Verkehrsaufkommen vor Augen hält. Man kann sich
auf dieser Strecke ohne Schwierigkeiten alleine im Zug-
abteil aufhalten, wenn man keine Kommunikation
wünscht, was ja auch ein Vorteil der Eisenbahn ist; denn
diese Züge sind leer. Wenn ich mir vorstelle, dass zehn-
mal so viele Personen diese Strecke mit dem Transrapid
befahren sollten, kann ich nur sagen: Es gibt Menschen,
die etwas aus Fehlern lernen, aber es gibt auch Menschen,
die unbelehrbar sind. Dazu zählt in diesem Fall die F.D.P.,
was die Strecke Hamburg–Berlin für den Transrapid be-
trifft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie diese Technik ernsthaft favorisieren, dürfen
Sie auf keinen Fall an solchen Ideen festhalten. Denn
wenn nach Ihren Planungen und nach den Vorstellungen
des Konsortiums diese Strecke im Jahr 2003 fertig gestellt
wäre, müsste bereits nach wenigen Monaten Konkurs an-
gemeldet werden, weil das prognostizierte Aufkommen
überhaupt nicht realisierbar ist. Wenn Sie diese Technik
wollen, müssen Sie die Verfahren unterstützen, die ein-
vernehmlich zwischen dem Konsortium, also der In-




Horst Friedrich (Bayreuth)

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(C)



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(A)



(B)


dustrie, und der Bundesregierung entwickelt worden sind,
so wie wir das tun.

Es liegt auch nicht im Interesse der Bahn, die Transra-
pidstrecke Hamburg–Berlin wie einen Klotz ans Bein ge-
bunden zu bekommen. Dies wäre zum Schaden der
Bahn AG gewesen. Wir sind Herrn Mehdorn dankbar,
dass er in diesem Fall die Notbremse gezogen hat. Das hat
uns vor Schaden bei der Eisenbahn, aber auch bei der
Transrapidtechnik bewahrt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Und beim Bundeshaushalt!)


Zur Politik gehört auch, dass man für Einsichten emp-
fänglich ist. Das – so muss ich leider sagen – vermisse ich
heute nicht zum ersten Mal, sondern das ist schon häufi-
ger der Fall gewesen.

Die Bundesregierung hat ihren Beitrag zur Förderung
dieser Technik geleistet. Sie haben nicht von dem gespro-
chen, was in China vereinbart wurde. – Wenn Sie jetzt an
der Regierung wären, hätten Sie ein Hosianna ange-
stimmt, aber jetzt ist Ihnen das keinerlei Erwähnung
wert. – In China besteht die Möglichkeit, diese Technik
auch in der Praxis zu erproben, und dort wohnen mehr
Menschen als in der Norddeutschen Tiefebene. Das muss
man einmal so nüchtern feststellen. An diesen Fakten
kommen wir nicht vorbei.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich erinnere an die Vereinbarung des Verkehrsministers
Klimmt mit dem damaligen amerikanischen Verkehrs-
minister Slater. Bei solchen Unternehmungen wird ver-
sucht, Elemente der Verkehrspolitik mit der Industriepo-
litik zu verbinden, so wie es bei Ihnen ursprünglich auch
der Fall war. Aber Sie halten jetzt ausschließlich an alten
Zöpfen fest.

Es gibt weitere positive Elemente, die von entschei-
dender Bedeutung für den Technologiestandort Deutsch-
land sind. Wir sind vorangekommen. Bei der alten Bun-
desregierung war es immer so, dass unmittelbar vor einer
Debatte im Bundestag das große Interesse von fast jedem
Staat auf der Welt am Transrapid beschworen wurde. Lei-
der musste man dann feststellen, dass fast all das wie eine
Seifenblase zerplatzte. Wenn man die konkrete Entwick-
lung betrachtet, muss man feststellen, dass die neue Re-
gierung auf diesem Gebiet wesentlich weiter vorange-
kommen ist.

Sie haben auch in der Antwort auf Ihre Große Anfrage
festgestellt, dass es jetzt fünf konkrete Projekte gibt.
Dazu möchte ich angesichts der Erfahrungen mit der
Strecke Hamburg–Berlin eine Bemerkung machen. Die
Technik des Transrapid ist nicht dazu bestimmt, einen
Flughafen mit einer Innenstadt zu verbinden, jedenfalls
langfristig nicht.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das war doch Ihre Alternative!)


– Nun bleiben Sie einmal ganz ruhig! Was Sie in diesem
Zusammenhang geleistet haben, ist nichts.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es geht jetzt um den Antrag der F.D.P. und um die Beant-
wortung der Großen Anfrage, Herr Fischer. Es wäre gut,
wenn Sie nachher bestätigen könnten, was ich über die
Auslastung der Eisenbahnverbindung zwischen Hamburg
und Berlin gesagt habe; denn Sie sind auch sehr häufig
Fahrgast auf dieser Strecke. Ich bin gespannt, ob Sie da
ehrlich sein werden; denn dann werden Sie zu anderen
Erkenntnissen kommen.

Ich wollte in einem Punkt in der Tendenz gern Herrn
Friedrich Recht geben: Die Technik des Transrapid ist für
lange Distanzen bestimmt, da kann sie ihre Vorzüge voll
ausspielen. Ich meine aber, wenn sich die kürzeren
Streckenführungen bewähren werden, wird auch der Ein-
stieg in lange Verbindungen möglich. Das kann man aber
nicht von vornherein tun, wenn die Praxiserfahrung noch
fehlt.

In Japan hat man dies intelligenter gelöst, indem man
die Referenzstrecke dort angesiedelt hat, wo nachher die
bevölkerungsreichsten Gegenden miteinander verbunden
werden, sodass die Investitionen letztlich nicht in Gänze
verloren sind.

In Bezug auf die neuen Projekte wird noch in diesem
Jahr eine Entscheidung getroffen werden. Das hoffe ich
jedenfalls.

Darüber hinaus, Herr Friedrich, werden Sie bei den
nächsten Haushaltsberatungen feststellen, dass auch Geld
für Lathen vorhanden sein wird. Bis dahin ist es nicht
notwendig, dass Sie erneut eine Große Anfrage stellen
oder eine Debatte zu diesem Thema beantragen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Das überlassen Sie nur uns!)


– Natürlich können Sie das machen. Aber es bringt in der
Sache nichts. Sie können machen, was Sie wollen. Bisher
hatte ich immer geglaubt, dass Sie mit Ihrer Politik der
Sache dienen wollen. Diesen Eindruck habe ich heute bei
Ihrer Rede leider nicht gehabt.


(Beifall bei der SPD – Renate Blank [CDU/ CSU]: Die ganze Debatte ist peinlich!)


Es ist eine sorgfältige Prüfung aller Studien notwendig.
Hamburg und Berlin haben von Ihrer Idee, dort eine Trans-
rapidverbindung zu schaffen, nicht profitiert. Die Eisen-
bahnverbindung ist im Vergleich zu anderen größeren
Städten der Bundesrepublik die schlechteste, weil man
versucht hat, eine Konkurrenz zum Transrapid frühzeitig
zu vermeiden. Diese falsche Politik hat sich zulasten von
Berlin und Hamburg ausgewirkt. Deshalb freut es mich,
dass mehr als 1 Milliarde DM investiert wird, um die Ge-
schwindigkeit auf dieser Strecke auf über 200 Stundenki-
lometer zu bringen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Das war doch ein Unsinn, was jetzt erklärt worden ist!)





Reinhold Hiller (Lübeck)


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(D)



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(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416117200
Herr Kol-
lege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Fischer?


Reinhold Hiller (SPD):
Rede ID: ID1416117300
Nein, ich bin am
Ende meiner Ausführungen. Ich möchte nur noch mein
Schlusswort sagen.

Insgesamt gesehen – das hat die Bahndebatte gezeigt –
ist die Bahn bei der neuen Bundesregierung in guten Hän-
den. Auch die Technik für den Transrapid ist bei der rot-
grünen Regierung in guten Händen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416117400
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Hermann Kues von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Dr. Hermann Kues (CDU):
Rede ID: ID1416117500
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Hiller, ir-
gendwie hat der Transrapid doch noch etwas mit Logik zu
tun. Sie haben eben gesagt, die Technik des Transrapid sei
für lange Distanzen ausgelegt. Im gleichen Atemzug re-
den Sie vom Metrorapid in Nordrhein-Westfalen. Viel in-
tensiver tut das der dortige Ministerpräsident. Das passt
alles nicht zusammen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das wird auch nicht die letzte Transrapiddebatte im

Bundestag sein. Der F.D.P.-Antrag ist schon etwas älter;
er ist nicht eher beraten worden. Dafür gibt es viele
Gründe. Der entscheidende Grund dafür ist – das müssen
Sie zur Kenntnis nehmen; das müssen wir immer wieder-
holen –, dass es in der Koalition von SPD und Grünen rie-
sengroße Widersprüche beim Thema Transrapid gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie fahren kreuz und quer durch die Republik und er-

zählen den Menschen mal dieses und mal jenes, je nach-
dem, was gerade gut ankommt. Der Transrapid – deswe-
gen werden wir es immer wieder thematisieren – ist und
bleibt ein Paradebeispiel dafür, wie SPD und Grüne mit
neuen, zukunftsweisenden Technologien, in diesem Fall
Verkehrstechnologien, umgehen. Reden, auch hier im
Bundestag, Herr Kollege Schmidt, ist das eine. Die Tatsa-
chen sind das andere.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich habe nur gehustet! Was glauben Sie, was ich jetzt sagen würde, wenn ich reden könnte!)


Ich habe mich manchmal gefragt, was der Verkehrsmi-
nister, der 1969 im Amt war – das war Georg Leber –, und
der damalige Finanzminister – das war Helmut Schmidt –,
die damals die Grundentscheidung für den Transrapid
getroffen haben, wohl dazu sagen würden, dass drei Jahr-
zehnte später die Nachfolgegenossen nicht nur eine voll
konzipierte Planstrecke Hamburg–Berlin kippen und
350 Millionen DM Planungskosten sprichwörtlich in den

Sand setzen, sondern dass sie sich erneut mit großem öf-
fentlichen Buhei und einem kaum glaublichen Hin und
Her Gedanken über eine neue Referenzstrecke machen,
die plötzlich wirtschaftlicher sein soll und für die man,
wenn man den Erklärungen Glauben schenken darf, von
vornherein öffentliche Mittel in begrenzter Höhe einsetzt.
Wie das alles funktionieren soll und was die sich ange-
sichts der heutigen Situation wohl denken würden, das
würde mich interessieren.

Ende der 80er-Jahre gab es in Niedersachsen einen
Ministerpräsidentenkandidaten, der Gerhard Schröder
hieß. Der hat damals die Anwohner an der zu diesem Zeit-
punkt in Aussicht genommenen Referenzstrecke Ham-
burg–Berlin, und zwar Ort für Ort und Dorf für Dorf, be-
sucht und hat gesagt, es gebe keine wirtschaftlichen
Gründe gegen den Transrapid, aber aus Umweltgründen
könne man ihn nicht akzeptieren. Ende der 90er-Jahre
wurden diese Umweltgründe nicht mehr aufrechterhalten.
Jetzt wurden plötzlich wirtschaftliche und finanzielle
Aspekte ins Feld geführt.

Sie schenken den Menschen keinen klaren Wein ein,
weil Sie nicht wissen, was Sie wollen sollen. Ihr Reden
und Handeln wird ausschließlich von vordergründigem
Opportunitätsdenken bestimmt. Das war schon bei der
Kernenergie so; darüber haben wir heute Mittag disku-
tiert. Die Quittung für dieses Auf-den-Arm-Nehmen der
Menschen bekommen Sie aktuell im Wendland.

Ich befürchte, dass das bei der Magnetschwebebahn-
technik nicht anders sein wird. Ich will das am Beispiel
der Diskussion über die Referenzstrecke belegen – denn
dazu hat die F.D.P. einen Entschließungsantrag einge-
bracht –: Im Mai und dann wieder im September 2000 er-
klärte zum Beispiel die niedersächsische Landesregierung
– ich habe sämtliche diesbezüglichen Zeitungsausschnitte
dabei –, es spreche vieles dafür, dass als eine von zwei
möglichen Referenzstrecken die Strecke Leer–Olden-
burg–Bremen–Hamburg, die über Groningen nach
Schiphol weitergeführt werden soll, ausgewählt werde.
Die Entscheidung falle noch im Jahr 2000. Der damalige
Verkehrsminister hieß Klimmt; Sie kennen ihn hoffentlich
noch. – Das war also im September 2000.

Am 23. Januar 2001 erklärte der aktuelle Verkehrsmi-
nister, zwei Streckenführungen oder zwei Standorte wür-
den nicht nur einer zügigen, sondern – man höre und
staune – einer vertieften Machbarkeitsstudie unterzogen,
nämlich der Metrorapid in Nordrhein-Westfalen, also
die Strecke von Düsseldorf nach Dortmund, und die An-
bindung des Münchener Flughafens an die Münchener
Innenstadt. Beide Projekte seien aus einer Anzahl von
von anderen Bundesländern angemeldeten Projekten aus-
gewählt worden. Auch daran könne man schon erkennen
– so wurde das „vertieft“ begründet –, dass es sich um ei-
ne vertiefte Machbarkeitsstudie handele. – Das war am
23. Januar 2001.

Am 24. Januar, einen Tag später, berichtete der von mir
geschätzte SPD-Kollege Reinhold Robbe aus Ostfries-
land nach einem Gespräch mit Minister Kurt Bodewig, in
Kürze könne auch die Trasse Amsterdam–Gronin-
gen–Bremen–Hamburg wieder in die engere Wahl kom-
men. Wörtlich sagte er:






(C)



(D)



(A)



(B)


Ich habe in der SPD-Bundestagsfraktion zahlreiche
Verbündete, die mit mir diese Sache bis Hamburg
durchziehen wollen.

(Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: Aha!)

Weiterhin sagte er, dass Herr Bodewig der Region in ab-
sehbarer Zeit diesbezüglich einen Besuch abstatten
werde. Der Besuchstermin steht mittlerweile fest. Da wird
man sich überlegen, ob man die Strecke bis Hamburg
bauen will.

Am 3. März dieses Jahres, also nicht einmal zwei Mo-
nate später, kam Ministerpräsident Clement mit einem
Tross von rund 100 Begleitern in einem Sonderwagen des
Interregio zur Versuchsstrecke ins Emsland, um sich den
Transrapid anzusehen. Bahnchef Mehdorn war auch da-
bei. – Er ist übrigens nicht mit der Bahn angereist, son-
dern mit dem Hubschrauber.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das ist ja interessant!)


Das ist ein Hinweis darauf, wie die Verkehrsverbindungen
zu etwas entlegeneren Gebieten sind. – Dieser hat dort er-
klärt, die Bahn werde gemeinsam mit dem Bund und dem
Land das Projekt realisieren. Mit der herkömmlichen
Rad-Schiene-Technik seien die Herausforderungen des
Verkehrs in Zukunft nicht mehr zu bewältigen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Hört! Hört!)


Derselbe Herr Mehdorn hatte noch im Januar 2000 im
Ausschuss erklärt, er könne den Transrapid in einer dicht
bewohnten Region wie Deutschland nicht gebrauchen.

Herr Clement hat im Hinblick auf die Finanzen erklärt
– dazu haben Sie, Herr Hiller, nicht das gesagt, was hätte
festgestellt werden müssen; Sie haben zwar etwas zur Ver-
suchsstrecke im Emsland, aber nichts zu den Finanzen ge-
sagt –, die gesamte Strecke koste 7,2 Milliarden DM.
2,7 Milliarden DM müssten aus privaten Kassen fließen.
Insgesamt 4,4 Milliarden DM erhoffe er sich vom Bund,
90 Millionen DM wolle man vom Land – eine solche
Summe vom großen Land NRW! – beisteuern.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Donnerwetter!)


Herr Clement sagte weiter: Für den Fall, dass sich der
Bund darüber hinaus auch für den Bau der Flughafenver-
bindung München durch den Transrapid entscheiden
solle, müssten die Bundesmittel entsprechend aufgestockt
werden. Bereits im April dieses Jahres – April haben wir
ja in Kürze – werde eine deutsche Großbank ihr Finanz-
gutachten vorstellen. Der Transrapid sei ein Quanten-
sprung in der Verkehrstechnik. – Das war am 3. März die-
ses Jahres.

Am 15. März erklärte der niederländische Ministerprä-
sident Kok dem niedersächsischen Ministerpräsidenten
Sigmar Gabriel, mit dem Bau der Transrapidstrecke Gro-
ningen–Hamburg könne es erst etwas werden, wenn die
Finanzen geklärt seien. Herr Gabriel zeigte sich „in ge-
wisser Hinsicht erleichtert“, dass Den Haag noch nicht
endgültig entscheiden wolle. Am 16. März erklärte der-

selbe Herr Gabriel – ich glaube, im Landtag –, die Chan-
cen für den Bau einer Transrapidstrecke vom niederländi-
schen Groningen über Leer und Oldenburg nach Hamburg
seien gestiegen. Er rechne natürlich mit einer finanziellen
Unterstützung von Bund und Europäischer Union; denn
beim Nord-Transrapid – so nennt er ihn – sei die euro-
päische Dimension interessant.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Diese Fragen hätten Sie in der Fragestunde im Niedersächsischen Landtag stellen sollen!)


Das alles – ich könnte noch weitere Beispiele anfüh-
ren – spielt sich ab, ohne dass auch nur im Ansatz geklärt
ist, wie das Ganze finanziert werden soll, wie es plane-
risch umgesetzt werden soll. Sie nehmen die Menschen
auf den Arm.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Und solange Sie die Menschen auf den Arm nehmen, wer-
den wir das hier zum Thema machen; denn das, was Sie in
der Öffentlichkeit, von München über Düsseldorf bis nach
Hannover, vortragen, muss auch hier erörtert werden.

Herr Hiller, Sie wissen ganz genau, dass sich der Ham-
burger Senat noch kürzlich für die Strecke Hamburg–Ber-
lin ausgesprochen hat. Sie wissen auch ganz genau, dass
Sie seinerzeit einen Antrag eingebracht haben, nicht eine
Strecke von Hamburg bis Berlin, sondern eine Strecke von
Hamburg bis zum neuen Flughafen Schönefeld anzubieten.
Ihre Argumente passen nicht zusammen. Sie führen die
Menschen an der Nase herum, das ist das Ärgerliche.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie wollen im Grunde genommen nicht zugeben, dass das
Kippen der Strecke von Hamburg nach Berlin eine gran-
diose Fehlentscheidung gewesen ist. Diese Entscheidung
ist nicht nach sachlichen Gesichtspunkten getroffen wor-
den, sondern nach rein ideologischen.

Über die Wirtschaftlichkeit reden wir, wenn ich Ihre Mi-
nisterpräsidenten ernst nehmen kann. – Hier wurde gesagt,
das könne im Landtag von Hannover diskutiert werden. –
Ihre Ministerpräsidenten, Herr Clement und Herr Gabriel
– letzterer wurde vom Bundeskanzler sogar als sein poten-
zieller Nachfolger dargestellt; er wird uns hier irgendwann
noch blühen –, kündigen in ihren Ländern an: Es kommen
Milliardensummen vom Bund. Wenn ich Ihre Minister-
präsidenten ernst nehme – das tue ich jetzt einmal –, dann
müssen Sie sich schon die Frage gefallen lassen, wie Sie
das in die Finanz- und Haushaltsplanung einstellen wol-
len und wie das überhaupt in den Bundesverkehrswegeplan
eingebaut werden soll. Die Öffentlichkeit hat einen An-
spruch auf Beantwortung dieser Frage.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich sage noch einmal ganz klar: Die Art und Weise, wie

die Bundesregierung und auch Sie seitens der SPD und
der Grünen mit der Magnetschwebebahntechnik umge-
hen, ist ein Trauerspiel. Es ist technologiepolitisch ein
Trauerspiel. Es ist verkehrspolitisch ein Trauerspiel. Es ist
umweltpolitisch ein Trauerspiel.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)





Dr. Hermann Kues

15763


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416117600
Als
nächster Redner hat der Kollege Albert Schmidt vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! „Ein Trauerspiel“ habe ich gerade gehört. Ich
finde, was Sie mit dem Thema inzwischen machen, ist
eine Posse.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Wie ihr die Öffentlichkeit veralbert, ist eine Posse!)


Womit würden wir unsere Donnerstagabende hier im Ple-
num füllen, wenn es das Thema Transrapid einmal nicht
mehr gäbe?

Was uns hier jetzt vorliegt, ist eine Große Anfrage der
F.D.P., die zehn Fragen umfasst. Als ich noch in der Op-
position war, nannte man so etwas eine Kleine Anfrage.

Die Bundesregierung hat, wie ich finde, präzise, kurz
und knackig geantwortet, und zwar schon im Au-
gust 2000. Alles, was dort steht, ist längst durch alle Zei-
tungen gegangen. Ich habe die Sache gedreht und gewen-
det, ich habe mir überlegt: Was könnte ich Neues in der
Debatte sagen, was nicht schon gesagt wurde? Ich muss
sagen: Mir ist nichts eingefallen. Wenn ich etwas Neues
hätte, hätte ich zudem keine Stimme, um Ihnen das mit-
zuteilen.

Deswegen verzichte ich auf den Rest der Redezeit und
wünsche Ihnen einen schönen Abend.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416117700
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Winfried Wolf von
der PDS-Fraktion das Wort.


Dr. Winfried Wolf (PDS):
Rede ID: ID1416117800
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir
etwas Ähnliches überlegt,


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


aber dann, als der Kollege Dr. Kues gesprochen hat, ge-
dacht, dass es doch etwas Neues gibt. Das Neue besteht
darin, dass nicht die SPD und die Grünen jemanden an der
Nase herumführen und auch vorher, in den Jahren 1969
bis 1999, die Herren Leber, Wissmann, Krause, Müntefering
und Klimmt niemanden an der Nase herumgeführt haben.
Vielmehr war die Industrie, die hinter diesem Projekt
steht, in der Lage, jahrzehntelang diversen Parteien, Re-
gierungen, Verkehrsministern und der Öffentlichkeit per-
manent vorzugaukeln, der Transrapid würde irgendwann
ein Erfolg.


(Beifall bei der PDS)


Es ist wahr, dass über das Projekt für die Strecke Ham-
burg–Berlin in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern,
Brandenburg und Berlin – dort hatte auch immer die SPD
Regierungsverantwortung – gesagt wurde: Ja, das machen
wir. Auch der Autokanzler hat gesagt: Das ist ein sinn-
volles Projekt. – Dass das Projekt gestoppt worden ist, ist
gut. Das wurde uns lang und breit vorgerechnet. Aber die
Zahlen aus den Jahren 1999 und 2000, die zum Stopp des
Projekts geführt haben – sie stammen dankenswerter-
weise von den Grünen –, lagen im Grunde schon vor acht
oder zehn Jahren vor.

Mein Eindruck ist: Es ist teilweise noch so, dass SPD
und Grüne etwas herumeiern,


(Renate Blank [CDU/CSU]: Etwas? Sie eiern nur herum!)


auch wenn die Entscheidung, die Strecke Hamburg–Ber-
lin nicht zu bauen, richtig ist. Es wurde nun allerdings vor-
geschlagen, den Transrapid dort einzusetzen, wo bisher
alle gesagt haben: Dort gehört er nicht hin. Dort, wo
Straßenbahnen und S-Bahnen verkehren, gehört ein
Transrapid mit einem Tempo von 400 plus X wirklich
nicht hin. Jetzt wurden aber ernsthaft Projekte vor-
geschlagen – sei es im Ruhrgebiet oder in München –, wo
der Transrapid konkret keinen Sinn macht, sondern im
Gegenteil an Zeitersparnis und Energieersparnis nichts
bringt. Auch entstünde gebrochener Verkehr. Diese Pro-
jekte wären zudem noch teurer als die herkömmliche Rad-
Schiene-Technik.

Deswegen sind wir gespannt und gelassen und werden
sehen, wie es weitergeht. Wir fordern, dass die Gelder in
diesem Bereich in die Schiene gesteckt werden. Nachdem
2,25 Milliarden DM investiert wurden, müsste der Trans-
rapid, sollte er wirklich zukunftsfähig sein, eigenständig
zukunftsfähig sein. Wir glauben, dass dies auch für
Schanghai gilt. Auch steht noch aus, dass das geltende
Magnetschwebebahnbedarfsgesetz aufgehoben wird, in
dem gesetzlich verankert ist, dass zum einen die Strecke
Hamburg–Berlin gebaut werden muss und zum anderen
dieser Bedarf nicht hinterfragt werden darf. Allein aus po-
litischen Gründen sollte man dieses Gesetz beseitigen.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416117900
Ich
schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Entschließungs-
antrag auf Drucksache 14/5690 zur federführenden Bera-
tung an den Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungs-
wesen und zur Mitberatung an den Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie, den Ausschuss für Angele-
genheiten der Europäischen Union und den Haushalts-
ausschuss zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vor-
schläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung






(C)



(D)



(A)



(B)


Künftige Gestaltung der Standortwerbung zur
Gewinnung ausländischer Investitionen für
Deutschland
– Drucksache 14/4240 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Dr. Ditmar Staffelt von der SPD-Fraktion das
Wort.


Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1416118000
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich halte die Ergebnisse,
die wir in der Unterrichtung durch die Bundesregierung
nachlesen können, für sehr erfreulich. Die Gestaltung der
Standortwerbung ist weiter optimiert worden, die Struk-
turen sind verbessert worden und die Kooperation zwi-
schen den Trägern der Standortwerbung ist in sehr viel
stärkerem Maße koordiniert. Letztendlich haben wir Er-
gebnisse erzielt, die sich sehen lassen können. Dies gilt es
erst einmal festzuhalten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde, es ist gut, dass wir diese Standortwerbung
mit unterschiedlichen Mitteln und Methoden betreiben.
Im Mittelpunkt steht natürlich das Büro des Beauftragten
für Auslandsinvestitionen. Ich halte es für gut, dass es
gelungen ist, Hilmar Kopper für diese Aufgabe zu gewin-
nen. Wir wissen alle, dass er als Persönlichkeit des Wirt-
schaftslebens im Ausland eine hohe Reputation hat. Wir
hoffen, ihn auch für die kommenden Jahre für diese für
unser Land wichtige Funktion gewinnen zu können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir sind sehr zufrieden, dass es gelungen ist, beim In-

dustrial Investment Council, das ja speziell für Ost-
deutschland geschaffen worden ist und zahlreiche Erfolge
vorzuweisen hat, die Harmonisierung der Zusammenar-
beit zu verbessern. Ich will in diesem Zusammenhang auf
die vielen Aktivitäten der Wirtschaftsförderungsgesell-
schaften der verschiedenen Bundesländer und der Aus-
landskammern verweisen, die zusammen dazu beitragen,
das Bild Deutschlands hinsichtlich seiner wirtschaftlichen
Stärke und Attraktivität zu verbessern.

Lassen Sie mich etwas zu den Ergebnissen sagen: Die
Auslandsinvestitionen in Deutschland betrugen 1997
10 Milliarden Euro, 1998 beliefen sie sich auf 19 Milliar-
den Euro, 1999 auf 49 Milliarden Euro und im Jahre 2000
wurden Investitionen ausländischer Unternehmen in
Deutschland in einer Größenordnung von 200 Milliar-
den Euro getätigt. Ich meine, das ist weiß Gott eine Leis-
tungsbilanz, die sich sehen lassen kann. Natürlich können
Sie sagen, dass darin auch der große Übernahmedeal Vo-
dafone/Mannesmann mit enthalten ist. Aber selbst wenn
Sie den herausrechneten, wären es noch 100 Milliar-

den Euro: das ist gegenüber den Ergebnissen von 1997
eine Verzehnfachung. Ich glaube, Herr Uldall, Sie sollten
dazu mal etwas Positives sagen, wenn Sie hier das Wort
ergreifen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Ganze kommt ja nicht von ungefähr. Wenn Sie sich
in Nordamerika in den letzten Monaten mit Experten der
Wirtschaft, Vertretern von Unternehmen oder Vertretern
der Finanzmärkte über Deutschland unterhalten haben,
konnten Sie leicht feststellen, dass insbesondere die Re-
formvorhaben dieser Bundesregierung – die Steuerre-
form beispielsweise – wesentliche Investitionsvorbehalte
der Vergangenheit abgebaut und die Finanzmärkte sowie
die Unternehmen für Deutschland verstärkt interessiert
haben. Dieses Interesse hat sich auch in konkreten Inves-
titionen niedergeschlagen. Das ist ein großer Erfolg auch
dieser Regierung; das muss man immer wieder sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das Gleiche gilt für die Haushaltskonsolidierung

– sprechen Sie auch darüber mit Wirtschaftsexperten in
Nordamerika – als eine Voraussetzung für die Stabilität ei-
ner Volkswirtschaft. Für die Anstrengungen auf diesem
Gebiet besteht eine hohe Anerkennung in den Vereinigten
Staaten von Amerika, Kanada und vielen anderen Län-
dern. Natürlich gibt es auch Erwartungen, beispielsweise
in die Umsetzung der Rentenreform. In diesem Punkt soll-
ten Sie sich vielleicht in den eigenen Reihen einmal die
Sporen geben, damit wir das Ganze unter Dach und Fach
bekommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Verschiedene Branchen haben sich gut entwickelt und
aufgeholt, beispielsweise die Biotechnologie, bei der wir
heute an der Spitze rangieren. Weiter nenne ich den Auf-
holprozess in der Informations- und Kommunikations-
technologie. Wir lagen in diesem Bereich im Mittelfeld
und liegen jetzt gemeinsam mit den Skandinaviern an der
Spitze in Europa und haben Anschluss an Nordamerika
– den Maßstab, dem wir uns zu stellen haben – gefunden.
In diesem Zusammenhang finde ich es ganz wichtig, dass
ein Mann wie Hilmar Kopper – Herr Uldall, Sie werden
sich daran erinnern – im Wirtschaftsausschuss des Bun-
destages darauf hingewiesen hat, die aufgezeigten Ergeb-
nisse seien nicht irgendwelche Behauptungen unter par-
teipolitischem Blickwinkel. Er hat erklärt: Diese
Steuerreform bedeutet für internationale Unternehmen ei-
nen Durchbruch und wird Deutschland in ein ganz ande-
res Licht rücken, als das bisher der Fall war.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Das kann man gar nicht oft genug sagen!)


– So ist es.

(Walter Hirche [F.D.P.]: Wir brauchen Mittel für den Mittelstand!)

– Hören Sie doch auf! Wenn ich Sie nicht so gut kennte,
müsste ich jetzt vermuten, dass hier ein Vertreter der so-
zialistischen Partei von der ganz linken Seite des Hauses




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

15765


(C)



(D)



(A)



(B)


steht. Dass sich die F.D.P. über Konzernpolitik mokiert,
hat Ihnen Herr Brüderle ein paar Wochen vor den letzten
Landtagswahlen eingeflößt; denn ansonsten haben Sie
doch immer mit allen Konzernen dieser Republik auf Du
und Du gestanden. Warum grenzen Sie die Konzerne auf
einmal aus?


(Walter Hirche [F.D.P.]: Natürlich brauchen wir die! Wir brauchen aber auch den Mittelstand!)


Wir brauchen die Konzerne genauso wie einen starken
Mittelstand in unserem Lande. Wir arbeiten sowohl für
die einen wie für die anderen, weil es gegenseitige Ab-
hängigkeiten gibt und nur so Arbeitsplätze in unserem
Lande erhalten werden können. Lassen Sie doch Ihre Po-
lemik!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich füge hinzu – ich bitte, das bei allen Betrachtungen
über den Standort Deutschland immer zu berücksichti-
gen –: Zu den Rahmenbedingungen in unserem Land
gehören auch der soziale Friede, der Umgang von
Arbeitnehmern und Unternehmern miteinander, genauso
wie eine hohe Qualifikation der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter in den Unternehmen, hervorragende
Bildungseinrichtungen und eine offene Gesellschaft, der
wir uns stellen und für die wir Rahmenbedingungen
schaffen wollen.

Summa summarum glaube ich: Diese Bundesrepublik
Deutschland kann sich mit Recht in der Welt gut präsen-
tieren. Wir freuen uns, dass die einschlägigen Institutio-
nen besser als in der Vergangenheit zusammenarbeiten.
Ich glaube, dass es uns aufgrund der Rahmenbedingun-
gen, die wir gesetzt haben, auch in Zukunft gelingen wird,
weitere wichtige Investitionen aus dem Ausland nach
Deutschland zu holen. Herr Uldall, verweisen Sie gleich
nicht nur auf Negatives. Sie wollen ja stolz auf unser Land
sein. Das können Sie in diesem Zusammenhang auch sein.
Weisen Sie also auf das Gute hin!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416118100
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Gunnar Uldall
von der CDU/CSU-Fraktion.


(Zuruf von der SPD: Enttäuschen Sie uns nicht, Herr Uldall!)



Gunnar Uldall (CDU):
Rede ID: ID1416118200
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich möchte mit einem Dank an
Hilmar Kopper, den früheren Vorstandsvorsitzenden der
Deutschen Bank, beginnen. Herr Kopper hatte im Jahre
1998 auf unsere Initiative hin, die Initiative der F.D.P.-
und der CDU/CSU-Fraktion,


(Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär: Was?)

als One-Dollar-Man die Aufgabe übernommen, für den
Standort Deutschland im Ausland zu werben. – Wie sehr
das schon in Vergessenheit geraten ist, hat eben der Zwi-
schenruf des Herrn Staatssekretärs gezeigt. Herr Staatsse-

kretär, Sie haben vergessen, dass Sie damals, als diese Ge-
schichte angeschoben wurde, noch in der Opposition und
dass wir an der Regierung waren. Sie haben zwar eine po-
sitive Rolle gespielt. Das rechne ich Ihnen persönlich
hoch an. Aber wir wollen die Dinge nicht verzerrt dar-
stellen.

Wie gesagt, ich bedanke mich als Erstes bei Hilmar
Kopper, dass er diese Aufgabe übernommen hat, und bei
seiner Kollegin Frau Martens-Jeebe. Wir bedanken uns
ebenso bei Herrn Christoph von Rohr und Herrn Feuerstein
vom Management des Industrial Investment Council, die
sich ihrer Aufgabe entsprechend um die Ansiedlung von
Unternehmen in den neuen Bundesländern kümmern. Das
war angesichts der Infrastrukturdefizite, die es damals in
den neuen Bundesländern gab und die es zum Teil auch
noch heute gibt, nicht immer leicht. Umso mehr freuen
wir uns über die Ergebnisse der Arbeit des IIC.

Die Verstärkung der Werbung um ausländische Inves-
toren geht auf eine Initiative der CDU/CSU-F.D.P.-Re-
gierungskoalition in der vergangenen Legislaturperiode
zurück. Herr Staffelt hatte mich eben aufgefordert, ruhig
einmal mit Stolz auf etwas Positives hinzuweisen. Selbst
nach den eng gefassten Kriterien der Sozialdemokraten
bezüglich der Frage, wann man stolz sein darf, muss ich
sagen: Herr Staatssekretär, auf diesen Punkt sind wir
stolz; denn das war unser Werk. Das lassen wir uns nicht
kaputtreden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Vergessen wir nicht die damalige Situation. Ich selbst
habe einmal in Tokio 16 verschiedene Dienststellen – ich
betone: 16 verschiedene Dienststellen – gezählt, die sich
um die Akquisition von Investoren für Deutschland
bemühen. Das ist eine echte teutsche Mannigfaltigkeit.
Niemand weiß, an wen er sich wenden kann und wer zu-
ständig ist.

Deswegen entstand unser Gedanke, eine zentrale An-
sprechinstitution im Ausland zu gründen. In Tokio oder
New York kennt doch kein Mensch den Unterschied zwi-
schen Sachsen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt – dort
weiß man kaum, dass es den Begriff Sachsen in Deutsch-
land überhaupt gibt –, da können wir doch beim besten
Willen von keinem Investor in Übersee verlangen, zwi-
schen diesen drei Bundesländern zu unterscheiden. Aus
diesem Grund haben wir eine gemeinsame Institution ge-
schaffen.

Es ist also einiges Gutes auf den Weg gebracht worden;
dennoch gibt es auch in diesem Bereich noch viel zu tun.
Bei der Frage der institutionellen Vertretung Deutsch-
lands im Ausland müssen wir zum Beispiel die Koordi-
nierung mit den Ländern weiter verbessern. Ich weiß, dass
das angesichts unserer 16 selbstbewussten Bundesländer
eine schwierige Aufgabe ist; aber, Herr Staatssekretär,
dann muss die Bundesregierung eben noch ihre Schular-
beiten erledigen und mit großer Nachhaltigkeit, Energie
und Konsequenz dafür sorgen, dass die Koordination in
der Ansiedlungs- und Akquisitionsphase durch zentrale
Ansprechpartner gewährleistet wird. Wenn es später da-
rum geht, die Betriebe in Deutschland bis zur Produktion




Dr. Ditmar Staffelt
15766


(C)



(D)



(A)



(B)


zu begleiten, mag das von den Ländergesellschaften über-
genommen werden, aber eine falsche Konkurrenz, eine
falsche Eifersucht zwischen den Bundesländern ist nicht
länger vertretbar.

Der Kollege Staffelt kann das, was nun folgen wird,
leider nicht mehr hören, weil er schon gehen musste. Ich
kann aber auch so bestätigen, dass Deutschland ein guter
Investitionsstandort ist; das ist überhaupt keine Frage. Wir
können mit Stolz darauf blicken, wie sich Deutschland
entwickelt hat. Die Probleme, die wir Anfang der 90er-
Jahre mit der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands hat-
ten, haben wir Mitte der 90er-Jahre beseitigt. Um die
Wettbewerbsnachteile abzuschaffen, um überkommene
Strukturen in vielen Betrieben mancher Branchen zu
überarbeiten, waren große Anstrengungen notwendig;
doch diese Arbeiten haben wir bis Mitte der 90er-Jahre
abgeschlossen. Seitdem haben wir große Sprünge nach
vorne gemacht. Ich will drei Branchen als Beispiele he-
rausgreifen.

Zum Maschinenbau:Wir erinnern uns noch genau, wel-
che Probleme damals den deutschen Maschinenbau beweg-
ten. In der Zwischenzeit sind die großen Strukturprobleme
von den Unternehmen beiseite geräumt worden. Heute lie-
gen unsere Maschinen- und Anlagenexporteure hinsichtlich
ihrer Leistungsfähigkeit im weltweiten Vergleich auf
Platz 1. Das ist eine große Leistung, die unsere Unterneh-
men erbracht haben; darüber können wir uns freuen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zum Automobilbau: Erinnern wir uns an die Sorgen,

die wir wegen der japanischen und amerikanischen Kon-
kurrenz damals hatten! In der Zwischenzeit sieht das Bild
ganz anders aus: Die japanische Automobilindustrie wird
uns von keinem mehr als das Musterbeispiel Nummer 1
vorgehalten. Vielmehr beteiligen sich unsere Unterneh-
men heute an den großen japanischen und amerikanischen
Automobilherstellern und produzieren in diesen Ländern.
Insofern können wir sagen, dass die deutsche Automobil-
branche die Nummer 1 in der Welt ist. Darauf können wir
als Deutsche stolz sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zu den Finanzdienstleistern:Auch in diesem Bereich

hört man häufig, es seien die Amerikaner, die das Feld be-
herrschen. Es sind aber nicht nur die Amerikaner. Die mö-
gen beim Investmentbanking zwar – das ist richtig – noch
vor den Deutschen liegen, aber was die Informationstech-
nologie der Finanzdienstleister angeht, sind unsere Unter-
nehmen Spitze. Diese Technologien haben die deutschen
Unternehmen selber entwickelt. Heute können wir mit
Freude zur Kenntnis nehmen, dass wir uns aus der zweiten
oder dritten Reihe an die Spitze emporgearbeitet haben.

Es gibt eine ganze Reihe von Branchen, die man noch
nennen könnte. Deswegen kann man sagen: Die deut-
schen Unternehmen haben Mitte der 90er-Jahre die Um-
strukturierungen abgeschlossen. Ich zitiere einen Slogan,
der damals, 1998, von uns gebraucht, aber immer be-
lächelt wurde: Deutschland hat den Turnaround geschafft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Damals sind wir nach vorne gekommen. Deutschlands
schwierige Branchen sind wieder an die Spitze gerückt.
Deswegen können wir feststellen: Die harten Schnitte –
erinnert sei an die Mühen und die Arbeit – wurden von der
Vorgängerregierung gemacht. Die Früchte kassiert heute
eine andere Regierung. So ist es im Leben nun einmal.
Wir freuen uns für alle Deutschen, dass diese Politik zu ei-
nem guten Ergebnis geführt hat und dass wir heute besser
dastehen als früher.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Welt ist dennoch nicht so schön, wie sie Herr Kol-

lege Staffelt gezeichnet hat. Der Anstieg des Umfangs
ausländischer Investitionen in Deutschland – er selbst hat
das Beispiel Vodafone genannt – ist rechentechnisch
durch die Übernahme von großen Betrieben zu erklären.
Wenn man das berücksichtigt, dann sieht die Welt schon
ganz anders aus.

Wir müssen leider feststellen: Im Hinblick auf das
deutsche Ansehen bei ausländischen Investoren ziehen
wieder einige Wolken am Himmel auf. Das Wichtigste in
diesem Zusammenhang ist das Betriebsverfassungsge-
setz. In Amerika schaut man auf ein solches Gesetzge-
bungswerk mit völligem Unverständnis. Man verfolgt
nicht, was im Einzelnen dahinter steht. In Bezug auf das
Mitbestimmungsmodell – in dieser Form gibt es das in
Amerika oder in anderen Ländern in Übersee gar nicht;
man hat es dort nie verstanden – hört man dort nur, dass
es von den Deutschen nicht nur nicht eingeschränkt, son-
dern sogar noch ausgebaut wird.

Dadurch werden die Akquisitionsbemühungen unserer
vor Ort operierenden guten Leute wesentlich erschwert.
Dies gilt erst recht, wenn die Mitbestimmungsregelungen
der EU Platz greifen, nach denen die Art der Mitbestim-
mung in einem Unternehmen vom Sitz des Konzerns ab-
hängig ist. Die Konsequenz wird sein, dass man seinen
Konzernsitz nicht nach Deutschland, sondern ins Ausland
verlegt. Deswegen fordere ich die Bundesregierung auf,
sich ganz intensiv dafür einzusetzen, eine flexiblere Lö-
sung zu finden, damit die Konzernspitzen nicht aus
Deutschland in andere Länder abwandern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Weitere dunkle Wolken ziehen am Himmel mit der
Verlängerung des Postmonopols auf. Es geht in keinen
amerikanischen Kopf hinein, dass von dieser Regierung
das Postmonopol in Deutschland nicht nur nicht abge-
schafft, sondern sogar noch verlängert wird.

Das, was sich jetzt negativ abzeichnet, muss verhindert
werden. Hoffentlich ist es zum Teil nicht schon zu spät.
Für die Regierung und für die Koalition bestehen zum
Beispiel noch Handlungsmöglichkeiten, was die Libera-
lisierung des Arbeitsmarktes angeht. In anderen Län-
dern versteht kein Mensch die deutschen Regelungen; sie
sind so kompliziert, dass noch nicht einmal wir Deutsche
sie richtig verstehen können. Wie soll man dann in Ame-
rika Verständnis für diese Dinge haben?

Als Letztes möchte ich Folgendes sagen: Wir müssen
in Deutschland von der übermäßigen Betonung des Kon-
sums wegkommen und wir müssen die Investitionen in




Gunnar Uldall

15767


(C)



(D)



(A)



(B)


Deutschland verstärken. Es ist doch geradezu grotesk,
dass in einem Land wie Mecklenburg-Vorpommern 2Mil-
liarden DM für Investitionen ausgegeben werden,
während gleichzeitig die gleiche Summe für Arbeitsbe-
schaffungsmaßnahmen, also für schlichten Konsum, zur
Verfügung gestellt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir können uns das auf Dauer in Deutschland nicht er-
lauben.

Es gibt eine Reihe von Punkten, mit denen wir zufrie-
den sein können. Ich denke an den guten organisatori-
schen Aufbau. Damit meine ich zum Beispiel den Beauf-
tragten für Auslandsinvestitionen oder die Tätigkeit des
IIC. Diese positiven Effekte werden aber durch ver-
schlechterte wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen
beeinträchtigt. Wer mehr für die Ansiedlung in Deutsch-
land tun will, muss vor allen Dingen auf eine gute Wirt-
schaftspolitik achten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416118300
Als
nächster Redner hat der Kollege Werner Schulz, Bünd-
nis 90/Die Grünen, das Wort.

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kol-
lege Uldall, was Sie sich wirklich gutschreiben können,
ist die Berufung des Beauftragten für Auslandsinvestitio-
nen 1998. Das war, glaube ich, eine der letzten Amts-
handlungen der Regierung Kohl und, wenn man so will,
vielleicht auch späte Einsicht; denn es ist ja ein Wunsch
aller Fraktionen gewesen, verstärkt etwas für die Werbung
des Standortes zu tun und sich verstärkt um die Akquirie-
rung von Auslandsinvestitionen zu kümmern. Aber Sie
glauben doch nicht im Ernst, dass Sie das allein mit der
Einrichtung eines einzelnen Büros und mit der Benen-
nung einer honorigen, bekannten, renommierten Persön-
lichkeit hinbekommen würden. Wenn hier die Rahmenbe-
dingungen nicht stimmen würden, wenn hier, was Sie als
Letztes gesagt haben, nicht eine positiv ausstrahlende
Wirtschaftspolitik da wäre, würden normalerweise die
ausländischen Investoren nicht auf diesen Standort
schauen. Tatsache ist doch, dass nach langen Jahren der
Dornröschenschlaf vorbei ist, dass der Standort Deutsch-
land aus diesem Dornröschenschlaf wieder erwacht ist
und dass vor allen Dingen die Wirtschaftspolitik, die
Haushaltskonsolidierung, die Steuerreform und viele De-
regulierungsmaßnahmen dazu beigetragen haben, wieder
verstärkt ausländische Investitionen zufließen zu lassen,
dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Stand-
ortes Deutschland deutlich verbessert worden ist und wir
im Grunde genommen diesen Reformstau Schritt für
Schritt aufgelöst haben und dass man wieder auf Deutsch-
land schaut, weil es sich lohnt, in Deutschland zu inves-
tieren.

Das trifft natürlich auch auf das zu, was durch das In-
dustrial Investment Council, das IIC, in Abstimmung mit
den Auslandshandelskammern und der Wirtschaft geleis-

tet worden ist. Ich glaube, dass auch die Abstimmung, die
Koordinierung bei der Werbung von Auslandsinvestitio-
nen verbessert worden ist.

Auf der anderen Seite muss man aber feststellen, dass
auch die Konkurrenz nicht schläft, im Gegenteil. Wenn
man die finanzielle Ausstattung unserer Werbung sieht,
dann muss man feststellen, dass sich das doch noch auf
sehr niedrigem Niveau bewegt. Die Ausstattung ver-
gleichbarer Einrichtungen unserer europäischen Konkur-
renten ist ungleich besser. Das gilt selbst dann, wenn man
das Büro von Herrn Kopper und das IIC zusammen be-
trachtet. Hier ist durchaus Nachholbedarf festzustellen,
eine Aufgabe, die übrigens zwischen Bund und Ländern
gelöst werden muss. Die Standortwerbung ist ja doch
mehr oder weniger eine Aufgabe der Länder und Kom-
munen, auch wenn der Bund hier wichtige Unterstützung
leistet und eine entscheidende Anlaufstelle errichtet hat.

Wichtiger und wünschenswert ist, dass sich auch die
Länder daran beteiligen, dass die Aktivitäten der Länder
koordiniert werden, nicht nur weil der Bundesrechnungs-
hof das angemerkt hat, sondern weil ja vor allen Dingen
die Länder von dieser Anlaufstelle profitieren. Ich hoffe,
dass die Entscheidungen dazu noch in diesem Jahre fallen
werden, und hoffe auch, dass die aufgetretenen Differen-
zen lösbar sind, so wie sich das angedeutet hat.

Ich glaube aber auch, dass die strategische Ausrichtung
hinsichtlich der Werbung von Auslandsinvestitionen
überprüft werden und viel stärker beispielsweise auf die
Bereiche Telekommunikation, E-Commerce, Medizin-
technik und Dienstleistungen fokussiert werden muss,
weil hier vor allem die Erstinvestitionen für uns sehr
wichtig sind.

Der Standort Deutschland ist heute wieder ein attrakti-
ver Standort. Er bietet hoch qualifizierte Arbeitnehmer,
eine überragende Infrastruktur – das hat sich herumge-
sprochen –, viele innovative Unternehmen und vor allem
Rechtssicherheit. Ich glaube, auch das sind wichtige Stand-
ortfaktoren, die dazu beitragen, dass uns hier wieder ver-
stärkt ausländische Investitionen zufließen.

Das gilt auch für die neuen Bundesländer. Das muss ich
ausdrücklich betonen. Die neuen Bundesländer stellen ein
Gebiet dar, in das zu investieren sich lohnt, nicht nur
durch die bevorstehende Osterweiterung, wodurch sich
hier eine europäische Verbindungsregion aufbaut, son-
dern auch in Bezug auf das, was wir dort schon investiert
haben, was dort im Grunde genommen an Vorleistungen
erbracht worden ist. Wer heute in diese neuen Bundeslän-
der investiert, der investiert in eine der dynamischsten Re-
gionen Europas, der investiert letzten Endes in die Zu-
kunft Deutschlands. Gerade hier kann man feststellen,
dass sich eine positive Tendenz abzeichnet. Der Fluss von
ausländischen Direktinvestitionen in die neuen Bundes-
länder hat zugenommen. Das ist doch zumindest ein posi-
tives Zeichen.

Ich danke ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Gunnar Uldall
15768


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1416118400
Als
nächster Redner hat der Kollege Walter Hirche von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1416118500
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Eine Debatte, in der sich die Fraktionen die-
ses Hauses im Grundsatz einig sind, dass man die Dinge
gemeinsam anpacken muss, ist positiv zu bewerten. Wenn
wir in Zukunft diesen Weg nicht gemeinsam weitergehen,
dann würden wir die Bemühungen um Stärkung der Aus-
landsinvestitionen in Deutschland torpedieren. Daran
kann keiner ein Interesse haben.

Wenn man sich den umfangreichen Bericht der Bun-
desregierung anschaut, dann kann man allein aufgrund
der Daten feststellen – Gründung des IIC, des Industrial
Investment Councils, im Jahre 1996 und Berufung des
Beauftragten im Jahre 1998 –, dass die entscheidenden
Weichenstellungen von der letzten Bundesregierung aus
CDU/CSU und F.D.P. vorgenommen worden sind. Herr
Uldall hat schon darauf hingewiesen, dass in der Regel
eine gewisse Zeit zwischen Säen und Ernten vergeht. Das
war auch hier der Fall.

Die Kooperation innen und außen muss natürlich im-
mer weiter verbessert werden. Mein Eindruck ist, dass in
der Kooperation außen Verbesserungen nach wie vor er-
forderlich sind. Es ist richtig, dass die Botschaften heute
anders arbeiten, als dies früher der Fall war. Das ist ein Ver-
dienst von Klaus Kinkel, der sich in den letzten Jahren sehr
stark für eine Zusammenarbeit eingesetzt hat. Die Außen-
handelskammern arbeiten nun mit den Botschaften zu-
sammen. Auch andere Aktivitäten – Stichwort „Area Ma-
nager“ – wurden zusammengefasst, indem gemeinsame
Anlaufstellen geschaffen wurden. Die Situation ist in eini-
gen Ländern allerdings noch verbesserungsfähig.

Wenn Sie sich einmal die Zahlen für das Haushaltsjahr
2000 anschauen, dann können Sie feststellen, dass der
Bund 4 Millionen DM für den Beauftragten und 11 Milli-
onen DM für das IIC bereitstellt. Unseren Ausgaben in
Höhe von 15 Millionen DM stehen zum Beispiel 60 Mil-
lionen DM gegenüber, die ein Land wie Großbritannien in
die Standortwerbung investiert. Diesen Unterschied muss
man zur Kenntnis nehmen.

Man muss aber noch einen anderen Punkt beachten.
Nach meiner Einschätzung – ich sage das unter anderem
aus meiner Erfahrung als Wirtschaftsminister in zwei
Bundesländern – ist das Verhältnis von Bund und Ländern
in diesem Bereich nach wie vor nicht optimal. Dieses Ver-
hältnis lässt sich überhaupt nur teilweise verbessern; denn
jeder Landeswirtschaftsminister hat natürlich ein Inte-
resse daran, für seine Region Vorteile herauszuholen. Ein
Botschafter in Japan hat mir nach der Wiedervereinigung
einmal gesagt, das Problem sei, dass das Jahr nur 12 Mo-
nate habe, aber wir 16 Bundesländer haben. Das heißt, es
wird eng, wenn alle Bundesländer versuchen, sich bei je-
der Gelegenheit zu präsentieren. Deswegen müssen wir
versuchen, die Zusammenarbeit auf praktische Weise zu
gestalten, ohne irgendjemandem Vorwürfe zu machen. Ich
gebe zu, dass das nicht ganz einfach ist.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Ich stimme auch ohne weiteres zu, dass letzten Endes
die Fundamentaldaten entscheidend sind, warum Unter-
nehmen nach Deutschland kommen. Man muss sich fol-
gende Fragen stellen: Gibt es Marktchancen für die Pro-
dukte? In welcher Zeit nach Kauf oder Errichtung eines
Betriebs kann man mit dem neuen Produkt am Markt
sein? Wie sieht die Kostensituation aus? Gar keine Frage,
dies ist – Herr Staffelt hat vorhin meinen Zwischenruf et-
was missverstanden – das Entscheidende. Ich bin der Mei-
nung, dass die Änderungen im Körperschaftsteuerge-
setz – Körperschaftsteuer bei Veräußerungen herunter auf
null – attraktivere Rahmenbedingungen für Investitionen
schaffen.

Herr Uldall hat noch einen weiteren Punkt angespro-
chen: Die Liberalisierung, die wir in verschiedenen Be-
reichen durchgeführt haben, hat natürlich Kapital ins
Land gelockt. Wenn Sie aber das Postmonopol verlängern
und wenn Sie in anderen Bereichen versuchen, die Libe-
ralisierung rückgängig zu machen, dann werden Sie das
Gegenteil von dem bewirken, was für die Schaffung at-
traktiver Rahmenbedingungen notwendig wäre. Die
OECD kommt zu dem Schluss, dass das deutsche Ar-
beitsrecht weltweit gesehen unflexibel ist. Es ist somit ein
Investitionshemmnis.

Auch unsere typisch deutschen Genehmigungsver-
fahren – da sollten wir uns nichts vormachen – wirken
sich hemmend auf Investitionen aus. Statt uns aufzuraf-
fen, die für Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung
geltenden Sonderbestimmungen auf ganz Deutschland zu
übertragen, haben wir die Verfahren im Osten an die behä-
bigen Verfahren im Westen angepasst. Wir müssen uns ge-
meinsam für Veränderungen einsetzen. Die Genehmi-
gungsverfahren dauern zu lange, um angesichts der
Konkurrenzsituation weiterzukommen.

Ein Punkt sollte noch stärker beachtet werden, Herr
Staatssekretär. Ich habe in der Vergangenheit im Rahmen
meiner Tätigkeit immer dann die besten Erfahrungen ge-
macht, wenn ich im Ausland bei ausländischen Investo-
ren, die schon in Deutschland sind, für den Standort
Deutschland geworben habe.

Dieser Ansatz scheint mir in den Konzepten ungenü-
gend zu sein. Es ist sinnvoll, neue Verbündete zu suchen,
um insgesamt mehr Effizienz zu erreichen. Auch die Tat-
sache, dass Deutschland im Hinblick auf die Erweiterung
der EU nach Mittel- und Osteuropa besondere Vorzüge
hat, nützt vielleicht uns allen.

Wir brauchen nämlich diese Investitionen, um mehr
Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen. Das ist doch,
wie ich denke, unser gemeinsames Ziel. Hier sind wir auf
einem guten Wege.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416118600
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Rolf Kutzmutz für die Fraktion der
PDS.


Rolf Kutzmutz (PDS):
Rede ID: ID1416118700
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Im Zusammenhang mit der Suche nach






(C)



(D)



(A)



(B)


ausländischen Investoren für Deutschland stehen für mich
drei Fragen im Vordergrund:

Erstens. Die Präsentation von „www.invest-in-ger-
many.de“ im Internet, die ich mir gestern angeschaut habe,


(Zuruf von der SPD: Wie haben Sie das denn geschafft?)


erschien mir übersichtlich, prägnant, aktuell und auch be-
nutzerfreundlich.


(Beifall bei der PDS)

Sehen das aber auch die potenziellen Investoren und die
Adressaten so? Oder gibt es noch etwas zu tun bzw. zu
verändern? Von der Beantwortung dieser Fragen hängt
schließlich ab, wie die Investorenwerbung in nächster
Zeit inhaltlich ausgerichtet und finanziell ausgestattet
werden muss.

Zweitens. Es ist bekannt, dass der Vertrag von Hilmar
Kopper im Juni endet. Es stellt sich die Frage: Verlängert er
ihn oder findet man einen anderen bekannten Manager, der
ähnlich engagiert und erfolgreich Unternehmensansiedlun-
gen in Deutschland bewirbt? An dieser Stelle ist mehrfach
bildlich von Saat und Ernte gesprochen worden. Es ist
wahr – ich will mich damit in keinster Weise bei der Regie-
rung anbiedern –, dass Herr Mosdorf persönlich sehr großen
Anteil daran hatte, dass diese Stelle überhaupt geschaffen
wurde. Er hat dafür schon dicke Bretter bohren müssen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Drittens. Seit 1997 wurden genannte SED-Millionen
für die Akquise von Projekten in Ostdeutschland einge-
setzt. Dieses Geld wird bis zum Jahresende aufgebraucht
sein. Wird dann das dort zweifellos aufgebaute Know-
how weiter finanziert oder zerstreut es sich in alle Winde?
Das ist eine wichtige Frage.

Nun zu unserem Standpunkt: Wir halten eine einzige
Anlauf- und Informationsstelle für potenzielle Inves-
toren, die auch Werbung zentral aus einer Hand koordi-
niert, im internationalen Wettbewerb für unverzichtbar.
Damit wird nicht gegen den Föderalismusgrundsatz ver-
stoßen; schließlich wird der Wirtschaftsförderung der
Länder nichts weggenommen. Im Gegenteil, dadurch
werden ihre Chancen verbessert.


(Beifall bei der PDS)

Entscheidend ist übrigens nicht die Größe einer Einrich-
tung, sondern ihre Effizienz. Aber die Herstellung von Ef-
fizienz kostet eben auch Geld.

Es geht nicht nur um eine tolle Standortwerbung, son-
dern in erster Linie um die tatsächlichen Rahmenbedin-
gungen vor Ort. Anlocken ist nämlich das eine; das Halten
von Investoren das andere. Auch die 60 Millionen DM,
Herr Hirche, die England für diese Aufgabe aufbringt, ha-
ben nicht verhindern können, dass in den letzten zwei Jah-
ren dort große Werke geschlossen wurden und Investoren
England wieder verlassen haben. Auch dies ist ein Beispiel
dafür, dass es uns hier um Effizienz gehen muss.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS – Walter Hirche [F.D.P.]: Das hat doch etwas mit der Pfund-Parität zu tun!)


Es stellt sich für uns die Frage, ob ein weiteres Neben-
einander von Bundesbeauftragten und Industrial Invest-
ment Council auf Dauer wirkungsvoll und sinnvoll ist.
Zum einen haben sich die Entwicklungspotenziale der
neuen Länder mittlerweile so ausdifferenziert, dass eine
gemeinsame Dachmarke wohl kaum noch zur Investoren-
werbung beiträgt; zumindest wird es damit nicht gelingen,
dass alle Länder tatsächlich gleichermaßen von den Akti-
vitäten profitieren werden. Zum anderen gibt es bei einer
Zusammenführung von Institutionen immer auch Syner-
gieeffekte. Warum werden also nicht beide Institutionen
verschmolzen und dann auch vom Bund allein bezahlt?
Dies bitte ich als Frage bzw. als Vorschlag zu betrachten,
nicht als Forderung. Dieses durchzusetzen, hätten wir so-
wieso nicht die Kraft.

Auf alle Fälle muss die künftige Gestaltung der Inves-
torenwerbung schnell und ernsthaft in den Ausschüssen
beraten werden. Die Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung ist dafür eine gute Grundlage. Es müssen aber
auch eigene wirkungsvolle Vorschläge gemacht und Be-
schlüsse für die Zukunft dieses wirtschaftspolitisch wich-
tigen Gegenstandes gefasst werden, und das möglichst
– das möchte ich allen ans Herz legen – vor den nächsten
Haushaltsberatungen.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416118800
Das Wort
hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesmi-
nister für Wirtschaft und Technologie, Siegmar Mosdorf.

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1416118900
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten zehn Jah-
ren hat sich die Weltwirtschaft fundamental verändert.
Lassen Sie sich folgende Zahlen einfach noch einmal auf
der Zunge zergehen: Das Weltsozialprodukt ist in den
letzten zehn Jahren im Schnitt um 3,5 Prozent gewachsen;
gleichzeitig ist der Welthandel um 7 Prozent und sind die
Finanzdienstleistungen um 12 Prozent gewachsen; die
weltweiten Direktinvestitionen aber sind um 26 Prozent
gestiegen. Das zeigt auf, dass sich die weltwirtschaft-
lichen Strukturen fundamental verändern.

In der Nachkriegszeit galt das alte klassische Exportmo-
dell. Es gab eine Megafabrik, von der aus die ganze Welt
bedient worden ist. Heute geht das so nicht mehr, weil die
Absatzländer Wert darauf legen, dass bei ihnen auch pro-
duziert wird. Das Ergebnis ist, dass man dezentral produ-
ziert und in quasi transnationalen Unternehmen zentral
steuert. Diese neue Entwicklung führt dazu, dass nicht nur
Mercedes in Tuscaloosa und Heinrich von Pierer von Sie-
mens in China investieren, sondern auch die Asiaten und
Nordamerikaner auf dem europäischen Kontinent Fabri-
ken bauen, um hier präsent zu sein.

Das ist ein bisschen das Geheimnis der Entwicklung
bei den Direktinvestitionen, die enorm gestiegen sind.
Man muss sich vorstellen: Der weltweite Zufluss von Di-
rektinvestitionen beträgt 865 Milliarden DM im Jahr. Das
kennzeichnet die ganz grundlegende Umwälzung der




Rolf Kutzmutz
15770


(C)



(D)



(A)



(B)


weltwirtschaftlichen Systeme der vergangenen 50 Jahre
in den letzten zehn Jahren.

Wir haben darauf reagiert. Ich bin dem Kollegen
Kutzmutz dankbar dafür, dass er Gunnar Uldall, weil
beide zu dem Zeitpunkt im Wirtschaftsausschuss waren
und das genau mitbekommen haben, noch einmal darauf
hingewiesen hat, dass wir bereits in einem sehr frühen
Stadium vorgeschlagen haben, eine Agentur zu schaffen,
die sich direkt um ausländische Investoren kümmert. An-
gesichts der Tatsache, dass die Grande Nation eine Agen-
tur gegründet hat, die einen englischen Namen hat – „In-
vest in France“; es ist ganz ungewöhnlich, dass die
Franzosen so etwas zulassen und viel Geld dafür auf-
wenden, ebenso wie die Briten –, mussten auch wir so et-
was machen.

Herr Hirche, bei aller Wertschätzung: Herr Rexrodt hat
lange dagegengehalten – Herr Uldall wird sich daran er-
innern – und gesagt, das bräuchten wir nicht.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das IIC ist 1996 gegründet worden!)


– Nein, es geht nicht um IIC; das ist eine andere Sache. Es
geht um die Kopper-Geschichte. Erst im Sommer 1998, in
der Schlussphase der Regierung Kohl, bestand nach etli-
chen Gesprächen Einvernehmen, dass das eine vernünf-
tige Lösung ist.

Ich bin sehr dankbar dafür, dass sich Herr Kopper dazu
bereit erklärt hat, diese wichtige Aufgabe zu übernehmen.
Ich glaube, wir alle sind dankbar dafür. Ich freue mich,
Ihnen jetzt auch mitteilen zu können, dass wir – das war
die Frage von Herrn Kutzmutz – den Vertrag mit Herrn
Kopper verlängert haben, weil wir glauben, dass er einen
guten Namen hat und dass er uns im Ausland gut vertre-
ten kann, weil er von der Sache etwas versteht, weil er
kompetent ist und weil er mit seinem guten Leumund im
Ausland Investorengespräche führen kann, die kein ande-
rer führen könnte. Das hat auch durchaus Wirkung.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Walter Hirche [F.D.P.])


Dafür, dass er das macht, gilt es wirklich Dank zu sagen.
Ich nehme aber gerne den Gedanken von Herrn Hirche

auf: Warum soll man nicht amerikanische oder asiatische
Investoren, die bei uns erfolgreich investiert haben und
sich in Deutschland wohlfühlen, bei Präsentationen in
ihren Heimatregionen zeigen: Es macht Sinn, bei uns zu
investieren und sich hier zu engagieren?

Die Zahlen sind eindrucksvoll. Wir haben im letzten
Jahr in Deutschland so viele Direktinvestitionen gehabt
wie in den gesamten 90er-Jahren nicht. Selbst wenn man
den Anteil von Vodafone abzieht, haben wir noch immer
ein erhebliches Volumen nach Deutschland geholt. Ange-
sichts der Veränderungen der Weltwirtschaft müssen un-
sere Bemühungen aber weitergehen. Deshalb ist es gut,
dass wir regelmäßig diesen Bericht für den Wirtschafts-
ausschuss und auch für das Parlament machen.

Die Dachmarke „Investieren in Deutschland“ hat, ne-
ben vielen anderen Dingen, auch der Verbesserung der
Rahmenbedingungen, mit dazu beigetragen, dass die läh-
mende Standortdiskussion, die wir Anfang der 90er-

Jahre hatten – manche werden sich noch daran erinnern –,
als es Wirtschaftsführer gegeben hat, die in Tokio oder
New York negativ über den Standort Deutschland geredet
haben, nicht mehr existiert. Das hilft uns sicher allen. In-
sofern können wir mit der Entwicklung zufrieden sein, die
wir insgesamt erlebt haben.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das nützt aber nichts! Ihr sollt Gesetze machen!)


Jetzt komme ich zum IIC, das eine gute Arbeit macht.
Herr Kutzmutz hat auch in Bezug darauf die Frage ge-
stellt, wie es weitergeht. Wir haben eine Brücke gebaut,
sodass das IIC jetzt bis zum Jahr 2004 fortgesetzt werden
kann. Unsere Perspektive ist allerdings – das stimmt
durchaus mit der Richtung überein, die Sie genannt ha-
ben; auch die Sozialdemokraten sehen das so –, diese Ein-
heiten zusammenzuführen. Werner Schulz hat eben die
Frage aufgeworfen, wie man das effizient gestalten kann.
Ich glaube, es macht Sinn, auf mittlere Sicht beide Ein-
heiten zusammenzuführen und so etwas wie eine Agentur
mit einem guten Kopf, der diese Agentur dann weltweit
repräsentieren kann, zu schaffen. „Kopper plus IIC“ wäre
eine gute Plattform der Zukunft.

Im Moment ist das IIC eine wichtige Einrichtung, die
uns – vor allen Dingen den neuen Bundesländern – hilft,
in dem schwierigen Wettbewerb zu bestehen. Wir sollten
gemeinsam versuchen, alles zu tun, um diese Entwick-
lung fortzusetzen, und auch gemeinsam die Zusammenar-
beit zwischen der Einheit, die Hilmar Kopper vertritt, und
dem suchen, was das IIC leistet.

Wir haben enorme Ergebnisse erzielt. 60 ausländische
Investoren sind nach Deutschland gekommen; das Inves-
titionsvolumen beträgt rund 4,2 Milliarden DM. Dazu hat
das IIC einen wichtigen Beitrag geleistet. Insofern können
wir, meine Damen und Herren, mit der Gesamtentwick-
lung zufrieden sein, wenn auch nicht so zufrieden, dass
wir nicht immer wieder neue Ideen und neue Impulse
brauchten. Die Weltwirtschaft ist heute eine Wettbe-
werbsarena mit 30 hoch entwickelten Volkswirtschaften.
Wir müssen uns in dieser Arena behaupten. Deshalb ist es
ganz wichtig, dass wir diesen Kurs fortsetzen und dabei
neue Ideen aufnehmen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416119000
Ich schließe
die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/4240 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Das Haus ist damit
einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 und Zusatzpunkt 7
auf:
9. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dagmar

Wöhrl, Christian Schmidt (Fürth), Wolfgang
Börnsen (Bönstrup), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU




Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf

15771


(C)



(D)



(A)



(B)


Strukturpolitische Verantwortung für Bundes-
wehrstandorte übernehmen, die die Bundesre-
gierung schließen oder verkleinern will
– Drucksache 14/5550 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Verteidigungsausschuss
Auschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Günther
Friedrich Nolting, Ina Albowitz, Hildebrecht
Braun (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der F.D.P.
Hilfe durch den Bund für die von Reduzierung
und Schließung betroffenen Bundeswehrstand-
orte ist unverzichtbar
– Drucksache 14/5467 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst für die
CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Kurt Rossmanith das
Wort.


Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1416119100
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Zur Begründung und Darstellung
dieses Antrages ist es erforderlich, dass wir uns zunächst
einmal daran erinnern – manche haben das in der gesam-
ten Euphorie scheinbar schon wieder vergessen –, warum
es dieses Antrages bedurfte: wegen einer nicht vorstellba-
ren Reduzierung unserer Streitkräfte durch diese Bun-
desregierung.

In der Tat ist die Lage der Bundeswehr dramatisch.
Schon heute wird die Bündnisfähigkeit unseres Landes
infrage gestellt. Generalinspekteur Kujat hat öffentlich
beklagt, dass der gegenwärtige Zustand der Bundeswehr
nicht mehr tragbar sei, und zweifelt bereits an der mi-
litärischen Fähigkeit Deutschlands, seinen internationa-
len Verpflichtungen nachzukommen. Diese Bundesregie-
rung, meine sehr verehrten Damen und Herren, betreibt
Sicherheitspolitik nach Kassenlage und verstößt damit
fundamental gegen die sicherheits- und außenpolitischen
Interessen unseres Landes; denn die von der Bundes-
regierung beschlossene massive Reduzierung der Bun-
deswehr und die damit natürlich verbundenen Standort-
schließungen sind rein finanzpolitisch motiviert.

Verteidigungsminister Scharping hat in der Vergangen-
heit wiederholt erklärt, dass die Bundeswehr auch nach
ihrer Reduzierung in der Fläche präsent bleiben werde.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Alles Lüge!)

Das Gegenteil ist nun eingetreten. Weite Landstriche, vor
allem in Bayern, aber auch in Schleswig-Holstein, Meck-

lenburg-Vorpommern und anderen Bundesländern, wer-
den künftig „bundeswehrfreie Zonen“ sein. Dies ist, wie
ich finde, mehr als bedauerlich,


(Beifall bei der CDU/CSU)

nicht nur für die dortige Bevölkerung, sondern insbeson-
dere für jene Regionen, in denen die Soldaten der Bun-
deswehr stets willkommen waren und in denen es, wie in
vielen Standortgemeinden in Bayern, eine jahrzehnte-
lange Tradition des positiven Miteinanders gegeben hat.

Doch auch für die Bundeswehr wird, nicht zuletzt mit
Blick auf die künftige Rekrutierung von Nachwuchskräf-
ten, ein nicht wieder gut zu machender Schaden entste-
hen. Die Bundeswehr wird schlicht und einfach in der
Fläche nicht mehr präsent sein. In Gutsherrenmanier – der
Bundesverteidigungsminister befand es nicht für nötig,
vorher mit den betroffenen Kommunen zu sprechen –
wurde unter den Standorten eine rigorose Kahlschlags-
politik betrieben. Unter dem Diktat des Finanzministers
ist Minister Scharping zu einem Vollstrecker traditionell
grüner Forderungen geworden. Die Grünen freuen sich
natürlich darüber.

Jetzt muss es darum gehen, die schwerwiegenden wirt-
schaftlichen und sozialen Folgen in den betroffenen Ge-
meinden ohne große Verwerfungen zu bewältigen. Die von
der Bundesregierung beabsichtigte Reduzierung der Bun-
deswehr um über 100 000 Soldaten und zivile Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter hat gravierende Folgen für die wirt-
schaftliche und soziale Lage der betroffenen Kommunen.

Die Standortschließungen und Standortreduzierungen
erfolgen vorwiegend in strukturschwächeren Regionen.
Kriterien wie Wirtschaftskraft und Arbeitsmarkt – vorher
von Verteidigungsminister Scharping groß hervorgeho-
ben – haben überhaupt keine erkennbare Berücksichti-
gung gefunden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Für die konkret betroffenen Gemeinden sind die Fol-

gen teilweise unübersehbar. Kaufkraft wird in erhebli-
chem Umfang verloren gehen, Wohnungsleerstand und
Arbeitslosigkeit drohen, die Gemeindehaushalte werden
erhebliche Einbußen zu verkraften haben.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das lässt den Minister kalt!)


Selbstverständlich erwarten wir vom Bundesverteidi-
gungsminister, dass er seiner Fürsorgepflicht auch gegen-
über den Angehörigen der Bundeswehr nachkommt. Des-
wegen darf es reduzierungsbedingte Kündigungen ebenso
wenig geben wie unzumutbare Versetzungen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es ist vielleicht in diesem Zusammenhang nur ein Ne-

benaspekt, aber ich möchte dennoch erneut darauf hin-
weisen, dass gerade der Freistaat Bayern überproportional
von Scharpings Reduzierungspaket betroffen ist. Die bun-
desweite Reduzierung des Personalumfangs der Bundes-
wehr beläuft sich auf rund 14,4 Prozent; in Bayern liegt
sie bei rund 19 Prozent. Bundesweit werden, wie wir wis-
sen, 39 Standorte geschlossen, davon allein 13 – ein Drit-
tel – in Bayern.




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
15772


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich möchte deshalb die Situation anhand eines Bei-
spiels, der Schließung des Fliegerhorstes in Memmin-
gerberg in meinem Wahlkreis deutlich machen, der am
stärksten betroffen ist. 2 350 Beschäftigte werden durch
die Schließung ihren derzeitigen Arbeitsplatz verlieren,
darunter 650 zivile Beschäftigte. Der Fliegerhorst ist für
die Region ein sehr bedeutender Wirtschaftsfaktor. Durch
seine Aufträge an die heimische Wirtschaft sichert er zahl-
reiche Arbeitsplätze.

Der Memminger Oberbürgermeister Dr. Ivo Holzinger,
SPD, weist darauf hin, dass im Raum Memmingen durch
die Schließung des Standortes Kaufkraft in Höhe von
250 Millionen DM jährlich verloren gehen wird. Betrof-
fen sein werden jedoch nicht nur Arbeitsplätze im Hand-
werk, im Handel oder im sonstigen Gewerbe. Der SPD-
Oberbürgermeister von Memmingen befürchtet beispiels-
weise, dass auch in Schulen, Berufsschulen und vor allem
in Kindergärten massenweise Arbeitsplätze verloren ge-
hen werden.

Dies alles betrifft nicht nur die Regionen, in denen
Standorte geschlossen werden. Es betrifft natürlich auch
jene Kommunen – wie zum Beispiel die Nachbarstadt
Sonthofen –, in denen die massive Reduzierung des Stand-
ortes de facto einer Schließung gleichkommt.

Für die Folgen der Standortschließungen trägt allein die
Bundesregierung die Verantwortung. Sie muss sich nun
auch dieser Verantwortung stellen. Es kann nicht angehen,
meine sehr verehrten Damen und Herren, dass die Stand-
ortgemeinden jetzt im Regen stehen gelassen werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)

Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, ein um-

fassendes Konversionsprogramm aufzulegen, das die
Schaffung neuer Arbeitsplätze in den betroffenen Regio-
nen unterstützt und eine sinnvolle Nutzung aufgegebener
Standorte erleichtert. Die Bundesregierung muss Finan-
zierungshilfen für Investitionen in die Schaffung und Er-
haltung von Arbeitsplätzen insbesondere in struktur-
schwachen Räumen, die vom Truppenabbau besonders
betroffen sind, gewähren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die zu leistenden Finanzhilfen müssen auch den Ausbau
der wirtschaftsnahen Infrastruktur wie zum Beispiel die
Umwandlung von Bundeswehrgelände in Gewerbege-
biete umfassen.

Das Ganze darf natürlich auch nicht von oben nach un-
ten erfolgen. Vielmehr muss sich die Bundesregierung bei
der Ausgestaltung des Konversionsprogramms und bei
der Festlegung der konkreten Maßnahmen mit den betrof-
fenen Kommunen und mit den jeweiligen Landesregie-
rungen abstimmen und deren Vorschläge berücksichtigen.
Es geht nicht an, dass man solche Maßnahmen ohne jeden
Kommentar und über die Köpfe der Betroffenen hinweg
anordnet, wie das bei den Schließungen geschehen ist.

Angesichts der größten Finanzmisere der Bundeswehr
seit ihrem Bestehen – ebenfalls das zweifelhafte Verdienst
der rot-grünen Bundesregierung – darf die Finanzierung
dieses Maßnahmenkatalogs natürlich nicht zulasten des
Verteidigungshaushalts gehen.

Lassen Sie mich am Schluss noch dies darlegen: Die
Folgenbewältigung ist nicht nur in der Zuständigkeit des
Verteidigungsministers oder der betroffenen Kommunen.
Die SPD-geführte Bundesregierung hat sich für eine
Politik der Einsparungen, Reduzierungen und Standort-
schließungen entschieden. Sie allein und niemand anders
ist für die Folgen verantwortlich. In den von der Kahl-
schlagpolitik betroffenen Standortgemeinden muss sie
sich nun auch dieser Verantwortung stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie die Rede nicht vor fünf Jahren gehalten?)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416119200
Nun spricht
für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatsse-
kretär Siegmar Mosdorf.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Jetzt wird das neue Konversionskonzept vorgestellt!)


S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1416119300
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Neustrukturierung
der Bundeswehr ist ein komplexer Planungsvorgang. Wie
Sie wissen, Herr Rossmanith, ist das keine einfache Ver-
anstaltung.

Die Beurteilung von Standorten für die zukünftige Sta-
tionierung erfolgte auf der Basis umfangreicher Kriterien,
insbesondere auch unter Berücksichtigung von arbeits-
markt- und strukturpolitischen Überlegungen. Darüber
hinaus hat das Bundesverteidigungsministerium die Mi-
nisterpräsidenten der Länder direkt beteiligt.

Trotz aller Bemühungen werden Belastungen für die
Soldaten und Zivilbeschäftigten sowie mittelbar auch für
die Region nicht zu vermeiden sein. Das muss man ehr-
lich zugeben, wenn man den Leuten nicht die Unwahrheit
sagen will. Wir haben großes Verständnis für die Sorgen
der betroffenen Menschen in den Regionen. Die Bundes-
regierung wird deshalb ihr Mögliches tun, um zu helfen.

Die Veränderungen treten, wie Sie wissen, nicht sofort
in Kraft, sondern werden zum Großteil in den Jahren 2002
bis 2004 vollzogen. Die Umsetzung soll bis 2006 abge-
schlossen werden. Jetzt ist es wichtig, dass die Akteure
vor Ort, die politisch Verantwortlichen und die Vertreter
der Wirtschaft, Konzepte und Nutzungsmöglichkeiten
für die frei werdenden Liegenschaften erarbeiten.

Herr Rossmanith, Sie haben in Bayern einen sehr ge-
schickten Wirtschaftsminister. Er hat gestern bereits di-
rekten Kontakt mit Walter Kolbow aufgenommen, um
prüfen zu lassen, ob man den Gemeinden vorrangiges Zu-
griffsrecht einräumen kann, um bei den Liegenschaften
direkt etwas tun zu können. Herr Staatssekretär Kolbow
hat mir gesagt, er finde das sehr überlegenswert und wolle
es in seinem Haus prüfen. Direkte Gespräche mit dem
Wirtschaftsminister von Bayern sind da der vernünftigste
Weg.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte ein Bei-
spiel nennen. Ich habe heute mit Herrn Wagner von Debi-
tel zu Mittag gegessen. Er hat mir berichtet, was in




Kurt J. Rossmanith

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(A)



(B)


Kaiserslautern mit frei werdenden Liegenschaften der
Alliierten gemacht wird.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Sie kennen ihn wahrscheinlich nicht. Aber ich kann Ihnen
nur raten, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Debitel hat in
Kaiserslautern auf einer solchen Liegenschaft ein Call-
Center mit inzwischen 70 Beschäftigten errichtet. Die Lie-
genschaft wurde Debitel zur Verfügung gestellt. Man hat
das Dienstleistungspersonal des zivilen Bereichs für eben
dieses Call-Center genutzt. Das ist ein vernünftiger Weg.
Solche und ähnliche Wege kann man gehen, wenn man di-
rekt helfen will. Primär ist es die Aufgabe der regional Ver-
antwortlichen, jetzt solche Initiativen zu ergreifen. Dass
dies gelingen kann, zeigt eine ganze Reihe erfolgreicher
Konversionsprojekte. Es gibt auch in meiner unmittelbaren
Umgebung, in der Nähe von Stuttgart, ähnliche Beispiele.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen von Standort-
schließungen und Dienstpostenreduzierungen sind regio-
nal unterschiedlich. In strukturschwachen Gebieten mit
ohnehin hoher Arbeitslosigkeit wirken zusätzliche Effekte
tendenziell belastender als in prosperierenden Regionen.
Ich möchte daher zunächst klarstellen, dass die struktur-
schwachen Regionen unterdurchschnittlich von den Ver-
änderungen betroffen werden. Die Bundeswehr bleibt in
der Fläche weiterhin präsent. Die relative Präsenz in wirt-
schaftlich schwachen Gebieten steigt sogar leicht an.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Purer Zynismus!)


Ich bitte um Verständnis, dass ich hier nicht auf die ein-
zelnen Dienstpostenveränderungen und Standortreduzie-
rungen eingehen kann. Hierzu habe ich bereits im Aus-
schuss für Wirtschaft und Technologie mit der Kollegin
Schulte zusammen Stellung genommen. Außerdem wer-
den wir einen gemeinsamen Bericht erstellen.

Nach der föderalen Aufgabenverteilung des Grundge-
setzes liegt die regionalpolitische Flankierung in erster
Linie in der Zuständigkeit der Länder. Aber wir werden
das gesamte Instrumentarium, auch das der Bundesregie-
rung, in unsere Überlegungen einbeziehen. Der Bund be-
teiligt sich an dieser Aufgabe, insbesondere im Rahmen
der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung
der regionalen Wirtschaftsstruktur“.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Ohne Moos nichts los, Herr Mosdorf!)


– Ich weiß nicht, wie lange Sie dabei sind. Aber auf jeden
Fall kostet das eine ganze Menge.


(Zuruf von der CDU/CSU: Oh, ja!)

Dieses Geld steht zur Verfügung.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Nein, wir brauchen zusätzliche Mittel!)


Es liegt nun in der Verantwortung der Länder, die re-
gionalen Förderschwerpunkte zu identifizieren und zu
fokussieren.


(Zuruf von der CDU/CSU: Neue Kosten, neue Mittel! – Gegenruf des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie auch sagen, wo sie herkommen sollen!)


Wir haben die entsprechenden Mittel im Rahmen die-
ser GA zur Verfügung gestellt. Das wissen Sie. Das gilt
nicht nur für die neuen, sondern auch für die alten Bun-
desländer. Beispielsweise können im Rahmen der
Infrastrukturförderung die Umstrukturierungen der
ehemals militärisch genutzten Liegenschaften in Gewer-
begebiete, der Ausbau von Technologie- und Gründerzen-
tren für KMUs oder die Errichtung von Einrichtungen der
beruflichen Bildung besonders gefördert werden. Für die
GA-Ost stehen im Bundeshaushalt für das Jahr 2001 Bar-
mittel in Höhe von 1,992 Milliarden DM zur Verfügung.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Aber nicht dafür!)


– Schon dafür. Seien Sie bitte fair.

(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Nein, nein! Das war doch vor der Schließung!)

– Ja, aber die Entscheidung über die Verwendung dieser
Mittel ist Ländersache. Jetzt können die Länder fokussieren
und sagen, in welchen Gebieten sie besondere Anstrengun-
gen unternehmen möchten.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Der Länderentscheid war vorher!)


Dies obliegt den Ländern. Ich weiß auch, dass die Ver-
antwortlichen in den Ländern darüber schon jetzt nach-
denken. Sie fangen an zu überlegen, in welche Richtung
sie diese Mittel – das gleiche gilt auch für Verpflich-
tungsermächtigungen in Höhe von 1,5 Milliarden DM –
konzentrieren werden. Wir haben einen Gesamtplan bis
zum Jahr 2006 festgelegt;


(Zuruf von der CDU/CSU: Herr Mosdorf, Sie verteilen doch jede Mark dreimal!)


aber innerhalb dieses Planes gibt es selbstverständlich
Möglichkeiten zu fokussieren.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416119400
Herr Kol-
lege Mosdorf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Ab-
geordneten Adam?

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1416119500
Gerne, Herr
Adam.


Ulrich Adam (CDU):
Rede ID: ID1416119600
Herr Staatssekretär, was
darf ich meinem Ministerpräsidenten in Mecklenburg-
Vorpommern, Herrn Ringstorff, berichten, der am 23. die-
ses Monats, nachdem er Einrichtungen der Bundeswehr
besucht hat, in der Zeitung berichtete, dass er sich um
Bundeshilfen bemühen möchte? Was darf ich ihm sagen?

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1416119700
Der Minister-
präsident des Landes Mecklenburg-Vorpommern hat ei-
nen so guten Draht zur Bundesregierung, dass ich Sie,
Herr Adam, nicht als Briefträger verwenden möchte.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das lenkt doch ab!)





Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
15774


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Es wäre nicht angemessen, Sie als einen leibhaftigen Bun-
destagsabgeordneten als Briefträger zu verwenden.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Was antworten Sie ihm?)


Deshalb sage ich Ihnen, was ich ihm im Namen der
Bundesregierung antworte. Die Antwort lautet, dass wir
im Bundeshaushalt für das Jahr 2001


(Zuruf von der CDU/CSU: Kein Geld haben!)

Barmittel in Höhe von 1,992 Milliarden DM


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Aber nicht dafür!)


für die GA-Ost zur Verfügung gestellt haben und die Mit-
tel auch zu diesem Zweck verwendet werden können.

Meine Damen und Herren, wir haben auch für den
Westen Barmittel zur Verfügung gestellt.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das ist perfide, was Sie da machen! – Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das ist der pure Zynismus gegenüber den betroffenen Regionen und Menschen! Keine einzige Mark kommt dort an!)


– Seien Sie vorsichtig! Sie haben sich schon einmal mit
Begriffen unglücklich in Szene gesetzt. Es gibt dieses
Geld. Wenn Sie das nicht wissen, kann ich es Ihnen nach-
her erläutern.

Jedes Land kann entsprechende Fokussierungen vor-
nehmen. Herr Rossmanith weiß, wovon ich rede. Die
Länder entscheiden, wo diese Mittel eingesetzt werden.
Deshalb füge ich eines hinzu: Wir haben darüber hinaus
Unterstützungsmöglichkeiten im Rahmen anderer Poli-
tikbereiche geschaffen, zum Beispiel bei der Städte-
bauförderung, bei der Verkehrspolitik, bei der Arbeits-
marktförderung, bei der Mittelstandsförderung und bei
entsprechenden Landesprogrammen, die vom Bund er-
gänzt werden.

Es gibt also Möglichkeiten, entsprechende Konzentra-
tionen jetzt auch zielgenau in solchen regionalen Gebie-
ten vorzunehmen, die davon besonders betroffen sind.
Der Bund jedenfalls strebt wieder an, die frei werdenden
Liegenschaften – das ist ein ganz wichtiger Punkt, der
schon nach der Wiedervereinigung eine wichtige Rolle
gespielt hat – so schnell wie möglich einer zivilen An-
schlussnutzung zur Verfügung zu stellen.

Dabei steht ein Verkauf der nicht für andere Bundes-
aufgaben benötigten Liegenschaften im Vordergrund. Wir
haben ausdrücklich festgestellt, dass dort, wo wir die Lie-
genschaften nicht direkt selber brauchen, der Verkauf im
Vordergrund steht. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Um
dies zu erleichtern, bestehen Altlastenregelungen.Damit
sollen auf dem Grundstücksmarkt und bei Investoren be-
stehende Vorbehalte gegenüber ehemals militärisch ge-
nutzten Anlagen abgebaut werden.

Entscheidend aber werden das Engagement und das
Zusammenspiel der regionalen Akteure sein, die schon
jetzt über die Frage nachdenken sollten – ich weiß, dass
viele Oberbürgermeister das auch tun –, wie sinnvoller-
weise genau in diesem Bereich Gewerbeparks, Existenz-

gründungszentren oder ähnliche Dinge angesiedelt wer-
den können und wie dies zu einer Revitalisierung führen
kann, die man vielleicht schon lange vorhatte, die aber ein
Stück weit blockiert war, weil man bestimmte Grund-
stücke nicht zur Verfügung hatte.

Die ganze Angelegenheit ist schwierig. Wir müssen da-
mit gemeinsam umgehen. Die Instrumentarien, die uns
auf Bundesebene zur Verfügung stehen, wollen wir voll
einsetzen. Das, was möglich ist, um im Bereich der Lie-
genschaften flexibel zu helfen, werden wir tun. Denn der
Bundesregierung liegt daran, bei diesen Liegenschaften
Fortschritte zu erzielen. Deshalb wird es zu einer Partner-
schaft mit den Regionen, aber auch mit den Bundeslän-
dern kommen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Keine einzige Mark! Das war eine reine Nullnummer!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416119800
Ich erteile
dem Kollegen Günther Nolting für die Fraktion der F.D.P.
das Wort.


Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1416119900
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär Mosdorf,
Sie haben hier über die Bundeswehrreform gesprochen.
Dazu sage ich Ihnen: Die Bundeswehrreform des
Verteidigungsministers ist halbherzig. Trotz schreiender
Wehrungerechtigkeit und nicht mehr vorhandener sicher-
heitspolitischer Notwendigkeit wird an der allgemeinen
Wehrpflicht festgehalten. Die Personalreduzierungen sind
nicht ausreichend. Es wird falsch strukturiert und auf-
grund der massiven Kürzungen im Verteidigungshaushalt
ist die Bundeswehr unverantwortbar unterfinanziert.

Anerkannte Fachleute und Institute warfen der F.D.P.
1999 vor, dass unser Modell mit dem von uns berechne-
ten Finanzplafond nicht finanzierbar sei. Sie hielten es für
ausgeschlossen, eine auftragsbezogen ausgebildete und
modern ausgerüstete Bundeswehr bestehend aus
260 000 Soldaten und 90 000 Zivilbediensteten mit einem
Haushaltsumfang von 49 Milliarden DM zu finanzieren.
Es ist für mich völlig schleierhaft, wie der jetzige
Verteidigungsminister Ausrüstungs-, Ausbildungs-, Infra-
struktur- und Personalkosten für eine um rund 25 000 Sol-
daten größere Bundeswehr als von der F.D.P. vorgeschla-
gen aus einer Kasse bezahlen will, die rund
4 Milliarden DM weniger aufweist, als die F.D.P. für ihr
Bundeswehrmodell der Zukunft für notwendig erachtet.

Während die Binnenwirkungen der Bundeswehrre-
form vorrangig durch den Verteidigungsminister zu ver-
antworten sind, fallen die Außenwirkungen auf die ge-
samte Bundesregierung zurück. Damit bin ich wieder
beim Ressortkonzept Stationierung. Dieses Konzept
wird erhebliche volkswirtschaftliche Konsequenzen und
tief greifende arbeits- und strukturpolitische Einschnitte
für die betroffenen Kommunen mit sich bringen.

In den Standortgemeinden haben sich speziell auf
die Bundeswehr ausgerichtete Wirtschaftsstrukturen




Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf

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entwickelt. Es sind im Einzelhandel und im Handwerk
streitkräfteorientierte Märkte sowie regionale Abhängig-
keiten zwischen der Bundeswehr und den kleinen und
mittelständischen Unternehmen entstanden. Dies bedarf
im Zuge des vorgesehenen Truppenabbaus einer gezielten
regionalökonomischen Anpassung.

Der Verteidigungsminister und die Bundesregierung
lehnen es jedoch grundsätzlich ab, den von Schließung
und Kürzung betroffenen Kommunen Finanzhilfen zur
Konversion zukommen zu lassen. Auch heute wurde hier
wieder kein Konzept vorgestellt. Herr Mosdorf, was Sie
hier vorgetragen haben, ist nichts Neues. Sie sind über-
haupt nicht auf die aktuelle Lage in den betroffenen Re-
gionen eingegangen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dazu sage ich Ihnen: Es ist ein Skandal, wie sich der
Verteidigungsminister und die Bundesregierung aus der
Verantwortung stehlen. Es gibt keine zusätzliche Mark für
die betroffenen Regionen. Herr Mosdorf, das haben Sie in
Ihrer Rede herausgestellt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, auf das

einzugehen, was frühere Bundesregierungen – auch die
der 90er-Jahre – gemacht haben. Ich möchte dies vor al-
len Dingen deshalb würdigen, weil die jetzige Regierung
eigenes Versagen gern auf die Vorgängerregierungen ab-
zuschieben pflegt.

Ich möchte daran erinnern, dass es die Bundesregie-
rungen von CDU/CSU und F.D.P. waren, die bei den
Strukturveränderungen der Bundeswehr Anfang der 90er-
Jahre ein Sonderprogramm „Gemeinschaftsaufgaben“
aufgelegt haben. Die entsprechenden Bundeswehr-
standorte haben 1993 und 1994 7 Milliarden DM zusätz-
lich zur Verfügung gestellt bekommen. Herr Mosdorf, da-
ran müssen Sie sich messen lassen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Diese Regierung und vor allen Dingen Minister

Scharping lieben große Worte. Sie müssen den großen
Worten aber endlich große Taten folgen lassen. Fordern
Sie beim Bundeskanzler die für die Bundeswehr überle-
benswichtige deutliche Erhöhung des Verteidigungshaus-
haltes ein! Lassen Sie sich auch nicht erst von Gerichten
zur Aussetzung der Wehrpflicht zwingen! Ersparen Sie
den Streitkräften eine weitere Reform in den nächsten
Jahren! Setzen Sie sich beim Bundeskanzler für eine An-
schubfinanzierung und für ein Konversionsprogramm
ein!

Für die F.D.P. fordere ich die Bundesregierung auf,
Herr Mosdorf, sofort ein Sonderprogramm einzuleiten,
welches den von Standortschließung bzw. -reduzierung
betroffenen Kommunen hilft, die wirtschaftlichen und
strukturellen Folgen zu mildern. Es liegt ein entsprechen-
der Antrag der F.D.P. vor. Ich hoffe, dass dieser auch die
Unterstützung im Ausschuss und dann hier im Plenum
findet.

Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Im
Zuge der Standortschließung bzw. -reduzierung sind be-

triebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Sozialver-
trägliche Lösungen für die betroffenen Zivilbediensteten
sind zu finden. Notwendige Arbeitsplatzveränderungen
sind sozial abzufedern. Ich denke, die Zivilbediensteten
haben einen Anspruch und warten auch darauf, dass end-
lich etwas passiert. Auch hier sind Sie gefordert, Herr
Mosdorf.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416120000
Nun spricht
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege
Hans-Josef Fell.


Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1416120100

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich denke, wir sind uns alle einig: Eine Bundeswehrreform
ist ein notwendiger Schritt hin zu einer modernisierten
Bundeswehr. Aber, meine Damen und Herren von der
Union und der F.D.P., eine Modernisierung im Rahmen der
angestrebten Haushaltskonsolidierung kann nur mit einer
Verkleinerung der Bundeswehr erfolgen. Wie wollen Sie
denn sonst die Finanzmittel für die Modernisierung zum
Beispiel in der Ausrüstung beschaffen?

Verkleinerung heißt in der letzten Konsequenz aber
auch, dass es Standortschließungen geben wird. Für die
betroffenen Kommunen gilt es Hilfe zu schaffen. Sie dür-
fen nicht alleine gelassen werden.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Wo ist denn Ihr Konversionsprogramm?)


Deshalb lassen Sie uns nun gemeinsam die Chancen einer
zivilen Nutzung der zu schließenden Standorte heraus-
stellen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ohne Moos läuft nichts!)


In diesen Zielen, denke ich, stimmen wir alle in diesem
Hohen Haus überein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dafür hat der Bund auch Mitverantwortung zu tragen; so
haben wir es in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Bringen Sie doch Ihre Zahlen!)


– Herr Rossmanith, vergessen Sie doch bitte nicht die Ver-
gangenheit. 58 Standortschließungen heute entsprechen
von der Größenordnung her nicht der Schließung von vie-
len hundert Liegenschaften, die unter Ihrer Regierungs-
verantwortung beschlossen wurde.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Mit einem Sonderprogramm von 7 Milliarden DM!)


Eine Reduzierung des Militär- und Zivilpersonals um
rund 90 000 Stellen entspricht nicht dem Abzug von
700 000 Soldaten unter Ihrer Regierungsverantwortung.
So nämlich sahen die Konsequenzen der Streitkräftere-
duzierungen der 90er-Jahre aus. Die Regionen hatten




Günther Friedrich Nolting
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damals mit viel weitreichenderen wirtschafts- und auch
umweltpolitischen Problemen zu kämpfen als heute.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Dafür haben die auch 7 Milliarden DM bekommen!)


Damit will ich nicht die heutigen Schwierigkeiten
kleinreden. Die betroffenen Kommunen haben sie zu be-
wältigen. Aber unter Ihrer Regierung waren die Reduk-
tionen, mit denen die Kommunen damals zu kämpfen hat-
ten, wesentlich größer als heute. Was soll also die ganze
Aufregung von heute? Ich muss mich schon fragen: Wel-
che Konzepte zur Abfederung dieser strukturpolitischen
Schwierigkeiten haben Sie denn damals entwickelt? Herr
Nolting, der Skandal, von dem Sie vorhin sprachen, fällt
natürlich ein ganzes Stück weit auf Sie zurück; denn trotz
des umfangreichen Truppenabbaus hat es keinen eigenen
Konversionsfonds des Bundes gegeben. Bündnis 90/Die
Grünen forderten ihn damals – vergeblich.

Trotz harter Konsequenzen für die Regionen brachte
die alte Bundesregierung keine gesetzliche Regelung zur
Bewältigung des Konversionsprozesses zustande. Bünd-
nis 90/Die Grünen brachten 1994 ein Bundeskonversi-
onsgesetz ein, welches Sie ablehnten.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Wir brauchen kein Gesetz, sondern Geld!)


Meinte die alte Bundesregierung damals mit aktiver
Strukturpolitik und Unterstützung der Regionen vielleicht
die pauschalierte Überlassung von 2 Prozent mehr Um-
satzsteuer für die Länder? Wohl kaum. Zwar standen den
Ländern frei verfügbare Mittel in erheblichem Umfang
zur Verfügung;


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: 7 Milliarden!)


aber die Umsatzsteuermehreinnahmen verteilten sich
nach Einwohnerzahl und nicht nach Betroffenheit von
Truppenabbau und nach Strukturschwäche der Region.
Bayern beispielsweise war mit einem unterproportionalen
Anteil von Standortschließungen überproportional von
den Mehrwertsteuereinnahmen begünstigt. Aber was ge-
schah damals mit den Mitteln in Bayern? Fragen Sie ein-
mal bei den Kommunen nach. Ich komme aus einer Kom-
mune, die damals hart betroffen war. Ich weiß als Stadtrat,
dass dort nichts ankam.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Da haben Sie in der Stadtratssitzung gefehlt!)


Nordrhein-Westfalen und Brandenburg – das sind übri-
gens rot-grün regierte Länder – entwickelten Landeskon-
versionsprogramme. Sie waren sehr erfolgreich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie uns das jetzt gemeinsam besser machen.

Wir halten die Vorschläge, die Sie in Ihren Anträgen ge-
macht haben, für teilweise sehr interessant und auch kor-
rekt.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Dann zustimmen! Wir werden Sie daran erinnern!)


Stellen wir den Regionen dem Ausmaß der Betroffenheit
entsprechende Hilfen zur Seite. Wir von Bündnis 90/Die
Grünen halten es jedenfalls für sinnvoll, dass beispiels-
weise ein Bundeskonversionsbeauftragter als Vermitt-
ler und Koordinator zwischen Bund, Ländern, Kommu-
nen und Investoren berufen wird.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Ein neuer Posten für Trittin!)


Wir meinen, dass der bestehende Gebäudebestand für
Bildungseinrichtungen, sozialen Wohnungsbedarf und
Gewerbebedarf genutzt werden kann, dass die Konversi-
onsflächen für den Städtebau verwendet werden können
und dass die betroffenen Regionen zielgerichtet Förder-
mittel aus Regionalstrukturprogrammen benötigen. Dies
muss keine Aufstockung der Haushaltsmittel bedeuten,
sondern kann auch durch Umschichtungen erfolgen.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Woher denn?)


Der Bund hat aus grüner Sicht auch Verantwortung für
die Altlastenbefreiung zu tragen, sodass eine zivile und
umweltgerechte Nachnutzung kontaminierter Liegen-
schaften möglich ist. Ermöglichen wir doch die Einrich-
tung von Naturschutz- oder Landschaftsparks auf ehema-
ligen militärischen Übungsflächen. Besonders dort haben
sich einzigartige Biotopverbundsysteme herausgebildet,
da das Gelände über Jahrzehnte nicht bebaut und nur par-
tiell genutzt worden ist.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das schafft Frösche, aber keine Arbeitsplätze!)


Nutzen wir bestehende Bundesförderprogramme, um
Investitionen in Konversionsflächen und Gebäude zusätz-
lich zu erleichtern. Dies soll besonders wachstumsinten-
sive Investitionen begünstigen, die nicht nur eine
arbeitsplatzschaffende, sondern auch eine ökologische
Zielsetzung verfolgen, zum Beispiel Investitionen zur
Energieeinsparung, zur Erzeugung von erneuerbaren
Energien und für den ökologischen Landbau. Die ent-
sprechenden Rahmenbedingungen haben wir bereits ge-
schaffen. Wir fordern natürlich auch die Länder und
besonders die Kommunen auf, eigene kreative Nachnut-
zungskonzepte zu entwickeln; denn nur die Regionen
selbst wissen am besten, wofür ein geschlossener Stand-
ort zivil genutzt werden kann.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Ohne Mittel läuft nichts!)


Mit solchen Maßnahmen können wir den Regionen im
aktuellen Konversionsprozess mehr und effektivere Hilfe
zur Seite stellen, als es die alte Bundesregierung in ihrer
ersten umfangreichen Konversionsetappe getan hat. Nut-
zen wir die Chancen, die uns die zivile Nachnutzung mi-
litärischer Liegenschaften bietet. Auf der einen Seite kön-
nen Arbeitsplätze in neu angesiedelten Unternehmen
entstehen. Arbeitsplätze können aber auch durch das Her-
richten der Liegenschaften, zum Beispiel für Bauunter-
nehmen, entstehen. Damit können die betroffenen Regio-
nen ihre Wirtschaftskraft nachhaltig stärken. Auf der
anderen Seite können unsere Umweltbedingungen durch
die Beseitigung militärischer Altlasten und durch die




Hans-Josef Fell

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künftige Vermeidung von militärisch bedingten Umwelt-
belastungen wie Flug- und Schießlärm verbessert werden,
aber auch durch die Rückgabe von Liegenschaften zur
Schaffung von Natur und Parkflächen.

Lassen Sie uns die gemeinsamen Chancen der Stand-
ortschließungen nutzen. Lassen Sie uns dabei im Sinne
der ökologischen Modernisierung nicht nur zum Schutze
unserer natürlichen Lebensgrundlagen beitragen, sondern
auch gleichzeitig Arbeitsplätze schaffen und die Regionen
wirtschaftlich stärken.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Mehr Frösche, weniger Soldaten!)


Bündnis 90/Die Grünen wollen die betroffenen Kommu-
nen nicht alleine lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Dann müssen Sie unserem Antrag ja zustimmen!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416120200
Der Kollege
Kutzmutz ist schon im Anmarsch. Sie haben das Wort.


Rolf Kutzmutz (PDS):
Rede ID: ID1416120300
Herr Präsident! Es ist – Ihnen
fällt das wahrscheinlich gar nicht mehr auf – schon ein ei-
genartiges Schauspiel eines Rollenwechsels, das hier
stattfindet. In ihren Anträgen fordern CDU/CSU und
F.D.P. ein Bundeskonversionsprogramm. Genau das ha-
ben Sie als Regierungskoalition immer abgelehnt: Die
Länder hätten schließlich bei dem Steuerkompromiss An-
fang der 90er-Jahre von der Mehrwertsteuererhöhung
2 Prozentpunkte abbekommen und daraus seien die Mehr-
belastungen durch den Truppenabbau zu finanzieren.

SPD und Grüne haben in ihren Oppositionstagen
– lang, lang ist es her – die Verantwortung des Bundes bei
der Abfederung der Folgen von Rüstungsminderung im-
mer vehement eingefordert. Rudolf Scharping und Frak-
tion verlangten am 6. November 1996 ein Konversions-
programm des Bundes.


(Zuruf von der PDS: Hört! Hört!)

Heute verlangt Rudolf Scharping kein Konversionspro-
gramm mehr, sondern beispielsweise 500 Millionen DM
für den Ausbau des früheren sowjetischen Übungsplatzes
in der Kyritz-Ruppiner Heide. Dabei klagen die meisten
Anliegergemeinden nicht nur gegen eine erneute militäri-
sche Nutzung, sie haben auch Konversionskonzepte er-
arbeitet, die jedoch durch den Wiedereinzug des Militärs
im wahrsten Sinne des Wortes bombardiert werden. Es
liegt eine absurde politische Gefechtslage vor, die aber
eine mögliche Finanzierungsquelle des unverzichtbaren
Bundesprogramms aufzeigt.

In der Sache, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU, ist Ihr Antrag insoweit zu unterstützen, als es
nicht angehen kann, dass die Bundesregierung eine Ver-
kleinerung der Bundeswehr verordnet, die Städte, Ge-
meinden, Kreise und Länder mit deren Folgen aber im Re-
gen stehen lässt.


(Beifall bei der PDS)


Herr Fell hat eben gesagt, wir dürften die Betroffenen
nicht alleine lassen. Wir fordern, frei werdende Mittel
dafür zu nutzen, die Abrüstung sozial- und umweltver-
träglich zu gestalten.


(Beifall bei der PDS)

AuchKreativität, Herr Fell, kostet Geld. Mit Kreativität

allein hat es noch nicht einmal ein Modeschöpfer weit ge-
bracht. Auch bei der Bundeswehr lösen sich die Probleme
nicht von alleine. Deshalb fordern wir ein Abrüstungs- und
Konversionskonzept, das den Abbau der Streitkräfte mit
gezielter regionaler Wirtschaftsförderung verbindet.
Die für die Wirtschaftsförderung vor Ort zuständigen Stel-
len brauchen ganz schnell belastbare Daten darüber, wann
ein Objekt in welchem infrastrukturellen Zustand von der
Bundeswehr geräumt wird. Es geht um Personal, Qualifi-
kation und vieles andere mehr.


(Beifall bei der PDS)

Wir brauchen einen Konversionsfonds des Bundes, und

zwar nicht zuletzt deshalb, weil die EU-Förderung der
Konversion gerade ausläuft. Niedersachsen hat eine Bun-
desratsinitiative gestartet, die von Mecklenburg-Vorpom-
mern unterstützt wird. Wer hindert die Bundesregierung da-
ran, entsprechende Mittel für diesen Zweck einzustellen?
Bei dem Umfang der Förderung muss nach meiner Auffas-
sung die tatsächliche Strukturschwäche der Region und
nicht nur der militärische Verlust einkalkuliert werden.

Ich habe das Ressortkonzept Stationierung einmal
nach Ländern aufgeschlüsselt und den Anteil der einzel-
nen Länder an den vorgesehenen Dienstposten mit ihrem
Anteil an der Bevölkerung und der Bruttowertschöpfung
verglichen. Das Ergebnis war, dass auch nach der neuen
Bundeswehrstruktur alle westdeutschen Flächenländer
– mit Ausnahme von Hessen und Baden-Württemberg,
die ja vergleichsweise kräftige Regionen sind – nach wie
vor überproportional viel vom Wirtschaftsfaktor Militär
profitieren werden. Diese Feststellung bedeutet keines-
wegs einen Appell, mehr Bundeswehr in den Osten zu
bringen. Es braucht also kein Bayer zu fürchten, er müsse
nach Eggesin.


(Zuruf von der CDU/CSU: Was heißt „fürchten“?)


– Sie kennen Eggesin nicht.
Konversion und die Herausforderungen der Regional-

und Strukturpolitik sind zwei Seiten einer Medaille. Was
spricht eigentlich dagegen, zu versuchen, die Probleme
des Bundeswehrabzuges im Zusammenhang mit den Pro-
blemen aus der EU-Osterweiterung zu lösen, bei der eine
Sonderförderung für die an den bisherigen EU-Außen-
grenzen liegenden Regionen unverzichtbar ist?


(Beifall bei der PDS)

Wie die Programme heißen, ist letztendlich egal. Ent-
scheidend bleibt allein, dass den von einem Strukturwan-
del betroffenen Menschen und Regionen tragfähige Per-
spektiven geboten werden müssen.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)





Hans-Josef Fell
15778


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416120400
Nun spricht
der Kollege Christian Müller für die Fraktion der SPD.


Christian Müller (SPD):
Rede ID: ID1416120500
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich
– erstens – unterstreichen, was der Kollege Mosdorf be-
reits zum Ausdruck gebracht hat: Es ist für die betroffe-
nen Regionen keine leichte Aufgabe, mit den Folgen ei-
nes Strukturwandels – gleich welcher Art, natürlich auch
bedingt durch die Schließung von Bundeswehrstand-
orten – umzugehen. Die Forderung, dies auch parlamen-
tarisch zu behandeln, ist sicherlich berechtigt. Trotzdem
wird uns die Schilderung der Einzelfälle, die man hier
natürlich komplett vornehmen könnte, vermutlich nicht
allzu weit bringen.

Lassen Sie mich – zweitens – ein Wort zu einigen De-
battenbeiträgen sagen. Wir werden sicherlich nicht in der
Lage sein, hier erneut über die Bundeswehrreform zu de-
battieren. Eine Neuauflage dieser Debatte ist nicht mög-
lich. Das steht nur unseren Kollegen Verteidigungspoliti-
kern zu. Außerdem ist über diese Reform reichlich
diskutiert worden.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Nein! Aber wirklich nicht! – Kurt J. Rossmanith [CDU/ CSU]: Wir stehen alle in der Verantwortung für die Sicherheit unserer Verteidigung!)


– Nun beruhigen Sie sich wieder! – Trotzdem sei an die-
ser Stelle auf ein paar Dinge hingewiesen, die hinter der
Debatte über die Bundesreform stehen.

Der Bericht des Wirtschaftsausschusses hat uns ge-
zeigt, dass die Rationalisierungspotenziale letztendlich
noch nicht voll ausgeschöpft wurden, sodass man festhal-
ten muss: Auch strukturpolitische Verantwortung hat bei
dem jetzigen Standortkonzept offenbar eine Rolle ge-
spielt. Das möchte ich unterstreichen.

Speziell Herr Kutzmutz hat einige Anmerkungen zum
Thema Rollenwechsel gemacht. Wenn man nachforscht,
wird man sicherlich auch auf die Antwort auf eine Große
Anfrage der SPD – Drucksache 13/4747 – zum Thema
Konversion stoßen. Finanzminister Theo Waigel hat da-
mals gesagt:

Aus der Zuständigkeit des Bundes für die Verteidigung
ergibt sich entgegen der Anfrage keine verfassungs-
rechtliche Zuständigkeit des Bundes, Maßnahmen hin-
sichtlich der Auswirkungen der Konversion zu treffen.

Nach harten Verhandlungen im Vermittlungsausschuss
kam dann das zustande, was Herr Fell und Herr Kutzmutz
bereits erwähnten.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Dennoch hat der Bund 7 Milliarden DM gegeben!)


Letztendlich konnten durch die Erhöhung des Anteils der
Länder am Mehrwertsteueraufkommen von 35 Prozent
auf 37 Prozent 2 Prozent für die Konversion verwendet
werden.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das waren 7 Milliarden DM! – Dr. Gerd Müller [CDU/ CSU]: 7 Milliarden DM! Besser als nichts!)


Sie dürften sich sicherlich auch noch daran erinnern, dass
die Mittel, die den Ländern im Zuge der Erhöhung des
Mehrwertsteuersatzes von 14 Prozent auf 15 Prozent
zusätzlich zur Verfügung standen, ebenfalls in den Kon-
versionsprozess einfließen durften. Zum Thema der pro-
portionalen, unterproportionalen oder überproportionalen
Nutzung hat der Kollege Fell, glaube ich, das Notwendige
gesagt.

Sie reden zwar immer von 7 Milliarden DM. Aber
wenn Sie genau nachrechnen, dann werden Sie feststel-
len, dass insgesamt 39 Milliarden DM zur Verfügung ste-
hen, die in den Konversionsprozess eingespeist werden
können. Diese Mittel sind nach unserer Regierungsüber-
nahme nicht gestrichen worden. Sie stehen bis heute zur
Verfügung. Herr Rossmanith, auf Bayern entfallen davon
immerhin 5,8 Milliarden DM. Das sind 700 Mil-
lionen DM im Jahr. Das ist nicht gerade wenig.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Aber nicht für diese Standortschließungen!)


– Ich hoffe, Sie wollen mit Ihrem Zwischenruf nicht zum
Ausdruck bringen, dass die Konversion nun ein für alle
Mal abgeschlossen sei, weil sie schon damals begonnen
wurde. Konversion wird immer eine Aufgabe sein, so
oder so.

Ich möchte darauf nicht näher eingehen, weil ich
glaube, dass die Debatte darüber viel zu kurz greift, und
weil wir uns aus den verschiedensten Gründen struktur-
politischen Herausforderungen – die Konversion ist nur
eine davon – im Grunde genommen permanent stellen
müssen, und zwar auch in Zukunft.

Vor welchen Herausforderungen stehen wir? Wir ste-
hen vor der Herausforderung der Globalisierung – die eu-
ropäische Wirtschafts- und Währungsunion gehört ge-
nauso dazu –, die den Wettbewerb der Standorte
verschärft. Wir stehen vor der Herausforderung, die
Strukturdefizite in Ostdeutschland, die bis heute noch
nicht ausgeglichen werden konnten, zu beseitigen. Wir
stehen des Weiteren vor der Herausforderung des überre-
gionalen Wettbewerbs, von dem insbesondere die ost-
deutschen Standorte betroffen sind. Wir werden in Kürze
durch die EU-Osterweiterung einen weiteren Schub in
Richtung Strukturwandel erhalten. Wir sind in einer
Phase, in der es um die Umorientierung der Agrarpolitik
geht; auch das ist ein Strukturwandel im ländlichen Raum.
Wenn man all das einmal zusammennimmt, wird man zu
der Ansicht gelangen müssen, dass man auf einzelne Her-
ausforderungen nicht jeweils mit Einzel- und Sonderpro-
grammen reagieren kann.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aber gar nicht ist auch keine Alternative!)


Vielmehr muss man die Ansätze nutzen und verstärken,
über die man verfügen kann.

Natürlich ist die Frage, ob gerade die Problemregionen
den Strukturwandel aus eigener Kraft zuwege bringen,
besonders heikel. Deswegen haben wir bereits in unseren
europapolitischen Anträgen zum Ausdruck gebracht, dass
Bund und Länder eine verstärkte Verantwortung für die
Moderation, die Koordinierung und auch die Begleitung






(C)



(D)



(A)



(B)


des Strukturwandels in den Regionen übernehmen müs-
sen. Das halte ich für besonders wichtig.

Im Übrigen haben wir ein bewährtes strukturpoliti-
sches Instrumentarium, das wir zur Anwendung bringen
können. Ich erwähne in diesem Zusammenhang die diver-
sen Gemeinschaftsaufgaben von der Verbesserung der
regionalen Wirtschaftsstruktur über Agrarstruktur, Hoch-
schulbau, Forschungsförderung, Städtebau, Innovations-
technologieförderung, Mittelstandsförderung, berufliche
Bildung bis hin zum Arbeitsmarkt und so weiter. Wir ha-
ben es nicht nötig, Neues zu erfinden und dadurch sprich-
wörtlich die Gießkanne mit Mitteln zu füllen, die nicht
zielgerichtet verteilt werden können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Vielmehr kommt es darauf an, die strukturpolitischen
Schwerpunkte zu definieren und Prioritäten zu setzen.
Natürlich müssen wir die wirksamsten Instrumente finan-
ziell stärken und die Förderprogramme besser aufeinander
abstimmen, sodass der Erfolg auf Projektebene durch eine
bessere Koordination erreicht werden kann. Ich denke,
wir haben noch immer den eklatanten Mangel, dass die
verschiedenen raumwirksamen Politikansätze des Bundes
und der Länder zu schlecht koordiniert werden. Das ist
doch ein politischer Denkansatz, mit dem wir uns einmal
genauer beschäftigen sollten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Gerd Müller [CDU/ CSU]: Da brauchen wir einen Koordinierungsbeauftragten der Bundesregierung!)


– Ich fürchte, das fehlte gerade noch. Wenn Sie das wün-
schen, müssen Sie erst einmal eine Wahl gewinnen, dann
können Sie das ja vielleicht werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das haben doch die Grünen, Ihr Koalitionspartner, gerade gefordert! – Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Die Grünen schlagen einen Konversionsbeauftragten vor!)


Wir haben zum Ausdruck gebracht, dass wir auch in
diesem Zusammenhang darauf achten müssen, dass wir
die Instrumente zur gewerblichen Förderung in Brüssel
mit Blick auf das Beihilferecht absichern müssen und dass
wir dafür sorgen müssen, vernünftige Spielräume für na-
tionale Programme zu behalten. Das ist eine der Aufgaben
und Herausforderungen, die uns gerade beim europä-
ischen Einigungsprozess ins Haus stehen.

Aus diesen Gründen darf man durchaus etwas über die
Finanzierungsmöglichkeiten nachdenken. Die Konzen-
tration der Mittel innerhalb der Programme und der GA
wird sicherlich auf Grenzen stoßen. Denn wo man kon-
zentriert, wird man zwangsläufig an anderer Stelle eine
Lücke hinterlassen. Deswegen wird man so begrenzte Er-
folge haben, aber nicht eine allgemeine Lösung finden.
Wichtiger wäre es – ich denke, Sie könnten das ruhig ein-
mal in Ihre Überlegungen einbeziehen –, darüber nach-
zudenken, wie man eine sinnvolle Umschichtung zwi-
schen konsumtiven und investiven Aufgaben zustande
bekommt, was in diesem Zusammenhang sehr sinnvoll

wäre. Auch der Übergang von strukturkonservierenden
hin zu strukturverbessernden Maßnahmen gehört zu den
Mitteln, die wir selbst dann noch haben, wenn wir
Haushaltskonsolidierung als ein wesentliches Prinzip un-
serer Politik festschreiben müssen.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Dann brauchen wir einen Konsolidierungsbeauftragten!)


Neben all dem brauchen wir, denke ich, mehr Klarheit
in Förderprogrammen; die Beseitigung von Parallelförde-
rung und Überschneidungen kann ebenfalls einen Beitrag
dazu leisten. Dann können wir darüber reden, wie auf
diese Art und Weise zusätzliche Mittel für die wirksams-
ten Instrumente, die wir zur Behebung struktureller Defi-
zite benötigen, organisiert werden können.

Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Nicht
neue Programme sind die Lösung des Problems,


(Zuruf von der CDU/CSU: Sondern eine neue Regierung!)


sondern die bessere Koordinierung und Ausstattung unse-
rer bewährten strukturpolitischen Programme. Deswegen
kann man Ihre Forderung nach einem Konversionspro-
gramm, was heute in verschiedenen Varianten vorgetra-
gen wurde, nur ablehnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Kurt J. Rossmanith [CDU/ CSU]: Genau das Gegenteil von dem, was Sie vorhin gesagt haben!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416120600
Für die
CDU/CSU-Fraktion gebe ich das Wort dem Kollegen
Wolfgang Börnsen.


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1416120700
Herr
Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Christian
Müller hat Recht: In der Vergangenheit sind von der
Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. Mittel für die Kon-
version ausgegeben worden, und zwar durch die Verbes-
serung der Umsatzsteueranteile und der Mehrwertsteuer-
anteile für die Bundesländer.


(Christian Müller [Zittau] [SPD]: Da gehen sie heute noch raus!)


Das bedeutet, dass die Länder und die Kommunen 7 Mil-
liarden DM mehr aus dem Umsatzsteueraufkommen und
32Milliarden DM mehr aus dem Mehrwertsteueraufkom-
men bekamen. Insgesamt bekamen die Länder und die
Kommunen also 39 Milliarden DM, um die durch den
Auszug der Bundeswehr entstandenen Probleme auszu-
gleichen. Heute gibt es dagegen keine einzige müde
Mark.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Keine Mark! – Christian Müller [Zittau] [SPD]: Das Geld gibt es auch heute noch!)


Es ist schon fast vergessen, dass der 16. Februar 2001
für 60 000 Soldaten und für 45 000 zivile Mitarbeiter ein
schwarzer Tag war. Über 200 Kommunen – die kleinen




Christian Müller (Zittau)

15780


(C)



(D)



(A)



(B)


dürfen nicht vergessen werden – leiden darunter, dass die
Bundeswehr aus den dortigen Standorten abgezogen
wird.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416120800
Herr Kol-
lege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Hans Büttner?


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1416120900
Nein,
im Augenblick nicht. Ich möchte erst einmal im Zusam-
menhang vortragen.

Ich spreche deshalb von einem schwarzen Tag, weil
nicht nur die Betroffenen auf einmal merkten, dass es für
sie ernst wird, sondern auch deshalb, weil klar wurde, dass
hinter diesem Abzug kein Konzept steht.


(Peter Dreßen [SPD]: Das sagen Sie! Ob das wahr ist, ist eine andere Frage!)


Man weiß nicht, wie es weitergehen wird. Nichts geht
weiter!

Heute ist noch einmal deutlich geworden: Es gibt keine
Stellungnahme zu einer Konversion, weder vom Verteidi-
gungsminister noch vom Finanzminister noch vom Bun-
deskanzler – Fehlanzeige! So zu handeln, nenne ich ver-
antwortungslos.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Au
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1416121000


(Peter Dreßen [SPD]: Er arbeitet!)


Der Hauptteil des Abzuges findet in strukturschwachen
Regionen statt. Dort gibt es einen Verlust an Kaufkraft
und einen Wegfall an Arbeitsplätzen.Das und nichts an-
deres ist die Wirklichkeit.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: So ist es! Die lässt man allein, diese Regionen! Alles in die Zentren!)


Nach meiner Auffassung geht der Kasernenabbau
schon vom Grundsatz her zu weit: Die Personalstärke der
Bundeswehr und ihre materielle Ausstattung müssen sich
an sicherheitspolitischen und nicht an finanzpolitischen
Erwägungen orientieren. 1990 betrug derVerteidigungs-
haushalt noch 57,5 Milliarden DM; im Jahr 2000 belief
er sich auf 45,3 Milliarden DM und in diesem Jahr beträgt
er 44,8 Milliarden DM, so wenig wie nie zuvor. Das ist
nicht zu verantworten. Eichel diktiert, Scharping reagiert.


(Beifall bei der CDU/CSU – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Scharping resigniert!)


Nach Auffassung der Union – sie wird international
geteilt – dürfte die Bundeswehr in diesem Umfang gar
nicht reduziert werden. Wenn wir noch regierten, dann
ständen nicht 60 000 militärische und 45 000 zivile
Dienstposten zur Disposition. Nicht nur das Ausmaß, son-
dern auch die Umsetzung ist in vielen Teilen militärisch
fragwürdig und wirtschaftlich unvertretbar. Der Verteidi-
gungsminister sagte, der Bundeswehrabbau müsse ausge-
wogen sein. Doch Bayern – mit 15 000 Dienstposten –

und Schleswig-Holstein – mit 10 000 Dienstposten – wer-
den überproportional belastet. Das ist ungerechtfertigt!


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind unterproportional belastet!)


Arbeitsmarkt und Wirtschaftskraft, so der Verteidi-
gungsminister, seien bei der Kasernenauswahl entschei-
dende Maßstäbe. Ich nenne das Beispiel Bundeswehrstand-
ort Schleswig: Das Bataillon – hochmodern ausgestattet
und bestens untergebracht – verfügt über hervorragende In-
frastrukturbedingungen. Es erfüllt zudem die zentralen
Funktionen des Katastrophenschutzes für Schleswig-Hol-
stein und Hamburg. Mit der faktischen Schließung werden
der Stadt an der Schlei 10 Prozent ihrer fast 13 000 Arbeits-
plätze und 22 Millionen DM ihrer Kaufkraft genommen.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Unglaublich!)

Es wird auf eine Kaserne verzichtet, die man in den letz-
ten zehn Jahren für 20 Millionen DM ausgebaut hat und
in der zusätzlich 710 Soldaten aufgenommen werden
könnten. Nach der neuen Planung soll wenige Kilometer
weiter westlich eine neue Kaserne aufgebaut werden. Das
hat mit Einsparen nichts zu tun. Das ist „Scharping-
Schilda“ in Reinkultur.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der Abzug der Soldaten aus der Schlei-Stadt entspricht

nicht militärischen Absichten. 42 Hektar Liegenschaften,
günstig direkt am Wasser gelegen, könnten zu einer
Goldader für die GEBB werden; sie verfügt darüber.
Diese Gesellschaft, seit sechs Monaten im Amt, soll be-
reits in diesem Jahr 1 Milliarde DM einnehmen. Es wer-
den faktisch nur 300 Millionen DM. Dafür bleibt aber das
Einkommen der Präsidentin, einer ehemaligen SPD-Se-
natorin, konstant. 600 000 DM verdient sie im Jahr.
Außerdem bekommt sie eine Gewinnbeteiligung. Da
könnte man ironisch sagen: Dann wird ihr Gehalt sicher
durch das Tagegeld stabilisiert, das man den Kosovo-Sol-
daten von 180 DM auf 155 DM reduzieren will. Das ist
die Wirklichkeit und die Gerechtigkeit in unserem Land!


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Soziale Gerechtigkeit à la SPD!)


Nehmen Sie ein zweites Beispiel, das von Basepohl
und Eggesin in Mecklenburg-Vorpommern. Die Arbeits-
losigkeit beträgt 25 Prozent.


(Peter Dreßen [SPD]: Die haben wir auch von euch übernommen!)


Jeder Vierte findet keine Arbeit. Trotzdem schließt Rot-
Grün die Standorte. Eine der strukturschwächsten Regio-
nen in Deutschland, die sich gerade zu entwickeln be-
ginnt, wird platt gemacht. Nach Aussage meines Kollegen
Ulrich Adam kommt es nicht nur zu einem Kaufkraftver-
lust von 30 Millionen DM jährlich, sondern die Kasernen
haben im Aufbau 80 Millionen DM gekostet. Das nenne
ich volkswirtschaftlich unsinnig und skandalös.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zusammenfassend ist festzustellen: Hier wird ruck-

zuck reduziert. Es gibt kein schlüssiges Handlungskon-
zept, weder für die 105 000 betroffenen Menschen noch




Wolfgang Börnsen (Bönstrup)


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(C)



(D)



(A)



(B)


für die Kommunen. Es ist eine Reform ohne Verantwor-
tung für die Folgen. Es fehlt immer noch ein gesamtstaat-
liches Konzept zur Kompensation des Bundeswehrab-
baus. Erforderlich ist ein faires Konversionsprogramm.
Das gibt es nicht. Erforderlich sind Mittel für die Investi-
tionen. Die gibt es nicht. Erforderlich sind auch vernünf-
tige Maßnahmen für die Zivilverwaltung.

Verdi, die neue Gewerkschaft, beklagt den Abbau von
7 000 zivilen Dienstposten allein für Mecklenburg-Vor-
pommern und Schleswig-Holstein. Sie kritisiert die rot-
grünen Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes und sagt:
Sie blockieren alle Tarifverhandlungen, sie sind hinhal-
tend, unmodern und gleichgültig. Sie beklagt die fehlende
Arbeitsplatzzusage und – das wird Sie besonders interes-
sieren – seit vorgestern sind die Verhandlungen abgebro-
chen, weil die öffentlichen Arbeitgeber blockiert haben.
Die jetzigen zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr werden
von ihrem obersten Chef im Regen stehen gelassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Genau so ist es!)


Im jüngsten Brief zum Tarifvertrag Konvers werden
unverhüllt Kampfmaßnahmen angedroht. Das ist in der
Geschichte der Bundesrepublik einmalig: Zivilbeschäf-
tigte der Bundeswehr gehen auf die Straße. Das hat es in
Deutschland noch nie gegeben! Das ist eine ganz große
Enttäuschung, die sich da breit macht, ein Protest gegen-
über dem Bundesverteidigungsminister.

Ich will, Herr Präsident, zum Schluss auf ein Dilemma
aufmerksam machen, –


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416121100
Aber bitte in
zwei Sätzen.


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1416121200
– in
dem sich der Bundesverteidigungsminister befindet. Er
befindet sich in einer Sandwichposition zwischen Eichel,
der weniger Geld für die Wehr will, und dem Teil der Grü-
nen, der die Bundeswehr abschaffen will. Das Resultat
sind Reformen, die auf Sand gebaut sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416121300
Damit
schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/5550 und 14/5467 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Das
Haus ist damit einverstanden, dann sind die Überweisun-
gen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und

(2. AAÜGÄnderungsgesetz – 2. AAÜG-ÄndG)

– Drucksache 14/5640 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe für die Bundesre-
gierung der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bun-
desministerium für Arbeit und Sozialordnung, der Kolle-
gin Ulrike Mascher, das Wort.

U
Ulrike Mascher (SPD):
Rede ID: ID1416121400
Herr Präsident!
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Liebe
Kolleginnen! Der zur Beratung anstehende Regierungs-
entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und
Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüber-
führungsgesetzes setzt die zwingenden Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichtes um.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Wie heißt das Gesetz?)


– Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz, ab-
gekürzt AAÜG, Herr Koppelin.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416121500
Ich hatte da-
mit vorhin ebenfalls Probleme.

U
Ulrike Mascher (SPD):
Rede ID: ID1416121600
Das Gericht hat
mit seinen Urteilen vom 28. April 1999 den Gesetzgeber
beauftragt, verfassungswidrige Teile der Überleitung der
Zusatz- und Sonderversorgungssysteme der DDR in das
bundesdeutsche Rentenrecht dem Grundgesetz entspre-
chend zu ändern. Gleichzeitig hat das Gericht aber die
Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers bestätigt, die
Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonder-
versorgungssystemen in die Rentenversicherung zu über-
führen und dabei die systematischen Grenzen, zum Bei-
spiel die Beitragsbemessungsgrenze, zu beachten.

Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerich-
tes und die konkretisierende Rechtsprechung für eine ver-
fassungskonforme Regelung des Bundessozialgerichtes
haben in einem ausgesprochen kontrovers und heftig dis-
kutierten Bereich des deutschen Einigungsprozesses die
notwendige Klärung bewirkt. Es ist zu hoffen, dass dies
zum Rechtsfrieden beiträgt. Bei der Umsetzung der Vor-
gaben der Gerichte für eine verfassungskonforme Rege-
lung der Überführung lässt sich der Gesetzgeber von der
befriedenden Funktion dieser Entscheidungen leiten und
setzt eins zu eins die zwingenden Vorgaben des Gerichts
verbindlich um.

Der Gesetzentwurf regelt Folgendes: Der Vertrauens-
schutz für die rentennahen Jahrgänge wird auf den Zeit-
raum bis zum 30. Juni 1995 ausgedehnt. Die in verfas-
sungskonformer Auslegung geforderte Dynamisierung
des besitzgeschützten Zahlbetrages wird entsprechend der




Wolfgang Börnsen (Bönstrup)

15782


(C)



(D)



(A)



(B)


Auslegung des Bundessozialgerichtes mit den Anpas-
sungswerten der alten Bundesländer durchgeführt. Die
Zahlbetragsbegrenzung wird für die „nicht systemna-
hen“ Zusatzversorgungssysteme aufgehoben. Im Übrigen
bleibt die Zahlbetragsbegrenzung 2 010 DM für Sonder-
versorgungs- und „systemnahe“ Zusatzversorgungssys-
teme bestehen.

Die Zahlbetragsbegrenzung für das Versorgungssys-
tem des Ministeriums für Staatssicherheit bzw. des Amtes
für Nationale Sicherheit wird verfassungskonform ent-
sprechend den Bestimmungen des Volkskammergesetzes
über die Aufhebung der Versorgungsordnung des ehema-
ligen Ministeriums für Staatssicherheit bzw. des Amtes
für Nationale Sicherheit ausgestaltet.

Die Entgeltbegrenzung für sonstige staatsnah tätige
Zusatz- und Sonderversorgte, wie dies im Rentenüberlei-
tungs-Ergänzungsgesetz von 1993 vorgesehen war, wird
nach Maßgabe des Urteils des Bundesverfassungsgerich-
tes aufgehoben. Die Entgeltbegrenzung für die Bemes-
sungsgrundlage zur Rentenberechnung für Angehörige
des Versorgungssystems des Ministeriums für Staatssi-
cherheit bzw. des Amtes für Nationale Sicherheit wird von
70 Prozent auf 100 Prozent des Durchschnittentgeltes an-
gehoben.

Entsprechend den Vorgaben des Bundessozialgerichtes
wird die Neuberechnung von Bestandsrenten zum Zeit-
punkt der Rentenüberleitung im Wege der Vergleichsbe-
rechnung vorgenommen.

Das alles mag Ihnen höchst fachchinesisch erscheinen,
hat aber für die betroffenen Menschen ganz erhebliche
Auswirkungen. Ich hoffe, dass das zur befriedenden Wir-
kung der Urteile beiträgt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bestandteil des Änderungsgesetzes sind darüber hi-
naus Regelungen zu den Beschäftigungszeiten bei der
Deutschen Reichsbahn und bei der Deutschen Post, die
Entscheidungen des Bundessozialgerichtes vom 10. No-
vember 1998 über die Anrechnung des Arbeitsverdienstes
oberhalb von 600 Mark für Beschäftigungszeiten bei der
Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post berück-
sichtigen. Dabei wird klargestellt, dass auch für Beschäf-
tigungszeiten bei der Deutschen Reichsbahn und der
Deutschen Post bei der Rentenberechnung grundsätzlich
nur der erzielte Arbeitsverdienst, für den tatsächlich
Beiträge gezahlt worden sind, in die Ermittlung der Ent-
geltpunkte eingeht.

Für Beschäftigungszeiten bei der Deutschen Reichs-
bahn oder bei der Deutschen Post vom 1. März 1971 bis
31. Dezember 1973 soll bei der Rentenberechnung gene-
rell das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt auch ohne
Beachtung der Beitragszahlung zur freiwilligen Zusatz-
rentenversicherung der ehemaligen DDR, der FZR, be-
rücksichtigt werden.

Darüber hinaus – das wird die Reichsbahner und Post-
ler besonders freuen – soll für Versicherte, die am 31. De-
zember 1973 bereits zehn Jahre bei der Deutschen Reichs-
bahn oder bei der Deutschen Post beschäftigt gewesen

sind, im Zeitraum vom 1. Januar 1974 bis 30. Juni 1990
ein Arbeitsverdienst bis zu 1 250 Mark monatlich eben-
falls ohne Beitragszahlung zur FZR berücksichti-
gungsfähig sein.

Ich denke, die Vertreter der Reichsbahner und der Post-
ler haben mit einer unermüdlichen Lobbyarbeit, aber auch
mit Unterstützung von Bundestagsabgeordneten der SPD
und auch der anderen Fraktionen


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: Das will ich auch meinen!)


daran mitgearbeitet. – Allerdings haben Sie die Chance,
Veränderungen vorzunehmen, leider nicht genutzt, als Sie
an der Regierung waren.


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: Wir haben es da schon angesprochen, Frau Mascher!)


Alle haben aber dazu beigetragen und ich denke, die
Reichsbahner und Postler können auf ihr Ergebnis stolz
sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Claudia Nolte [CDU/CSU]: Sie waren lange Zeit dagegen!)


Für all diese Korrekturen werden vom Bund und von
den neuen Bundesländern erhebliche finanzielle Leis-
tungen erbracht. Ich kann nur noch einmal sagen: Ich
hoffe sehr, dass die Umsetzung dieser Urteile zu einer
weiteren Befriedung der schwierigen Debatte über diesen
Teil der Rentenversicherung führt und dass damit insge-
samt gesehen wird, welch große sozialpolitische Leistung
die Überführung des Rentenversicherungssystems der
DDR in das der Bundesrepublik zum Nutzen der Rentne-
rinnen und Rentner war.

Danke.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416121700
Für die
Fraktion der CDU/CSU spricht nun die Kollegin Claudia
Nolte.


Claudia Nolte (CDU):
Rede ID: ID1416121800
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Diejenigen, die uns schon vor
Jahren gesagt haben, dass uns die Rentenüberleitung noch
lange Kopfzerbrechen und Bauchschmerzen bereiten
wird, haben Recht behalten. Dass dies ein der jetzigen
Bundesregierung sehr unangenehmes Thema ist, sieht
man allein daran, dass das Gesetz erst jetzt eingebracht
wurde, um unliebsame Diskussionen vor den Landtags-
wahlen zu verhindern.


(Peter Dreßen [SPD]: Das haben wir von euch aufgezwungen bekommen! – Andrea Nahles [SPD]: Das hätte Ihnen in Rheinland-Pfalz auch nichts genützt!)


Sie haben wenig Zeit, um die Verfassungsgerichtsurteile
umzusetzen. Wir haben eine sehr knappe Beratungszeit.

Dieses Gesetz ist nicht nur im Westen, sondern auf-
grund des Regelungsinhaltes auch im Osten problematisch




Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher

15783


(C)



(D)



(A)



(B)


zu vermitteln. Auch bei uns fragen sich viele, warum aus-
gerechnet diejenigen – nämlich die Mitarbeiter des MfS
– jetzt mehr Rente erhalten sollen, obwohl viele Men-
schen, die keine Chance hatten, anständige Rentenan-
wartschaften zu erwirtschaften, gar nichts erhalten.


(Peter Dreßen [SPD]: Jetzt schimpfen Sie auf das Bundesverfassungsgericht!)


Deshalb sage ich für unsere Fraktion: Bei allen Detailfra-
gen dieses Gesetzentwurfs ist ein Punkt ganz entschei-
dend. Es ist für uns nicht akzeptabel, dass wir uns aus-
schließlich um die Renten von MfS-Mitarbeitern
kümmern, ohne etwas für die zu tun, die Opfer dieses Sys-
tems gewesen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Für uns ist ganz entscheidend und wichtig, dass wir uns
um diese Personengruppe kümmern. Deshalb haben wir
schon im Juni des letzten Jahres das Dritte SED-Un-
rechtsbereinigungsgesetz eingebracht.


(Peter Dreßen [SPD]: Wir haben schon damals gesagt, dass das verfassungswidrig ist, was ihr macht! Denken Sie an das, was Herr Dreßler gesagt hat!)


Wir wären sehr dankbar, wenn Sie uns in diesem Punkt
folgen würden. Erst wenn wir an dieser Stelle befriedi-
gende Lösungen haben, können wir davon sprechen, dass
wir zum Rechtsfrieden in der Rentenüberführung beitra-
gen konnten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Haben Sie das Gesetz gemacht oder wir?)


So schmerzhaft manches in den Urteilen auch war,
sind sie doch für uns bindend. Deshalb sind wir umso
überraschter, dass die Bundesregierung in den Punkten,
wo tatsächlich Handlungsbedarf besteht, hinter den Urtei-
len zurückbleibt und nicht die Chance nutzt, Ungerech-
tigkeiten abzubauen.


(Peter Dreßen [SPD]: Die Sie geschaffen haben! Strafrecht habt ihr ins Rentenrecht eingeführt! – Gegenruf des Abg. Manfred Grund [CDU/ CSU]: Das haben wir gemeinsam gemacht!)


Ich denke hier insbesondere an die Regelung für Hoch-
schullehrer und Professoren. Frau Mascher, ich weiß
nicht, woher Sie die Hoffnung auf Rechtsfrieden nehmen.
Denn die Briefe, die ich bekomme, bekommen auch Sie.
Die Problempunkte sind also allen hier im Hause sehr
wohl bekannt. Lassen Sie mich einige davon ansprechen.

Das Bundesverfassungsgericht sagt eindeutig: Die Dy-
namisierung hat ab dem 1. Januar 1992 zu erfolgen. Der
Gesetzentwurf sieht demgegenüber eine Dynamisierung
ab dem 1. Juli 1992 vor, was dazu führt, dass den betroffe-
nen Hochschullehrern eine Steigerung um 6,84 Prozent
nicht zuerkannt wird, die alle anderen Rentner bekommen
haben, um die zusätzliche Belastung durch die Kranken-
versicherungsbeiträge, die es damals gegeben hat, aus-
zugleichen.


(Zuruf von der SPD: Das habt ihr doch gemacht!)


– Nein. – Es geht um die Frage, ob Sie bereit sind, in den
Entwurf entsprechende Regelungen aufzunehmen.

Noch gravierender ist – das steht in einem offenen Wi-
derspruch zum Bundesverfassungsgerichtsurteil –, dass
die Bestandsrenten für zusatzversorgte ehemalige Wis-
senschaftler der DDR nicht gemäß der Rentenanpassung
Ost, sondern der Rentenanpassung West errechnet wer-
den. Wir wissen alle, wie die Lohnanpassungen ausgese-
hen haben und dass sich daraus für die neuen Bundeslän-
der logischerweise ganz andere Rentenanpassungen
ergeben haben. Deshalb frage ich mich, warum ausge-
rechnet diese Personengruppe jetzt außen vor gelassen
wird.


(Erika Lotz [SPD]: Warum haben Sie diese Rede nicht vor drei Jahren gehalten?)


Das Bundesverfassungsgericht hat in der Erläuterung
zum Leiturteil sinngemäß ganz klar gesagt: Der an die be-
rufliche Stellung anknüpfende Lebensstandard und damit
auch der Abstand zwischen zusatzversorgten und normal
versorgten Rentnern soll aufrechterhalten werden.

Ich finde es unerklärlich, warum das Bundessozialge-
richt hier hinter dem Urteil des Bundesverfassungsge-
richts zurückgeblieben ist und eine andere Lösung
vorgeschlagen hat, nämlich Rentenanpassung nach West-
standard, obwohl dieses Urteil nach dem BVG-Urteil ge-
fällt wurde und Verfassungsgerichtsurteile eigentlich
auch für das BSG bindend sind. Für mich besteht da er-
heblicher Erklärungsbedarf. Ich hoffe, wir bekommen in
den Beratungen darauf eine Antwort.

Genauso frage ich die Bundesregierung, warum sie
sich hier im Bewusstsein dessen auf das BSG-Urteil und
nicht auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil stützt.
Auch da hoffe ich, dass wir bei den Beratungen eine ent-
sprechende Erklärung bekommen; denn die Einbußen, die
daraus entstehen, sind – das kann sich jeder schnell aus-
rechnen – erheblich.

Eine ebenfalls unkorrekte Umsetzung des Urteils er-
folgt bei der Vergleichsabrechnung nach dem 20-Jahres-
Zeitraum vor Eintritt des Versicherungsfalls. Der Gesetz-
entwurf sieht vor, dass all die berücksichtigungsfähigen
Arbeitsentgelte, die vor dem 1. März 1971 erworben
wurden, auf 600 DM zu begrenzen sind. Auch das schafft
wieder Ungleichheiten in ein und derselben Gruppe; denn
je älter jemand ist, umso mehr Jahre fallen in diesen Zeit-
raum und umso schlechter steht er gegenüber seinen jün-
geren Kollegen da.

So weit zu den Punkten, bei denen der Gesetzentwurf
deutlich hinter dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
zurückbleibt. Es gibt aber durchaus auch Handlungsbe-
darf, der nicht mit Urteilen abgedeckt ist, den man hier je-
doch sehr wohl aufgreifen könnte,


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Das wäre sehr wichtig!)


der aber nicht aufgegriffen wird. Da möchte ich in beson-
derer Weise auf die Zugangsrentner eingehen. Wir alle
haben gehofft, dass die Lohnangleichungen ein anderes
Tempo haben würden. Wir haben zunächst eine Über-
gangsregelung bis Mitte 1995 geschaffen, sehen heute




Claudia Nolte
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(C)



(D)



(A)



(B)


aber alle, dass das längst nicht ausreicht. Die Zugangs-
rentner haben in keiner Weise irgendeine Zahlbetragsga-
rantie und werden eine erheblich schlechtere Rente be-
kommen als ihre Berufskollegen, auch innerhalb des
Ostens, einmal ganz abgesehen von einem Vergleich
zum Westen. Deshalb bin ich sehr dafür, dass die Bereit-
schaft aufgebracht wird, zu prüfen, inwieweit man hier
eine Verlängerung der Übergangsregelung schaffen
könnte.

Frau Mascher hat die Fragen im Zusammenhang mit
den Reichsbahnern und den Postlern angesprochen.
Hier begrüße ich ausdrücklich die gefundene Regelung.
Im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung ist hier
Rechtsfrieden hergestellt worden und es ist gemacht wor-
den, was gemacht werden musste.

Nun wissen wir, dass andere Berufsgruppen ebenfalls
einen 1,5fachen Steigerungssatz hatten, wenn auch aus
anderen Gründen. Ich denke hier an das mittlere medizi-
nische Fachpersonal, das einen anerkannten Beruf, aber
relativ geringe Löhne hatte und den Steigerungssatz des-
halb als Ausgleich zugebilligt bekommen hat. Auch hier
die Frage, wie man eigentlich vermitteln will, dass dieser
Steigerungssatz bei Ihnen keine Berücksichtigung findet,
und die Bitte um Prüfung dieses Punktes.

Auch bei den Reichsbahnern muss noch etwas hinzu-
gefügt werden. Wir wissen alle, dass den Reichsbahnern –
analog zum Versorgungssystem der Deutschen Bundesbahn
– eine betriebliche Altersversorgung zugestanden hat.


(Renate Rennebach [SPD]: Und wer hat das abgelehnt?)


– Ich sage ja: Das war ein Betrachtungsfehler von uns. –
Komischerweise ist bei der Zusammenführung beider,
Reichsbahn und Bundesbahn, das Versorgungssystem der
Reichsbahner im Gegensatz zu dem der Bundesbahner
aufgelöst worden. Allerdings haben die Menschen dort
Anwartschaften erworben. Es gibt eigentlich keinen
Grund, sie ihnen vorzuenthalten. Das ist allerdings ein
Punkt, der nicht im Rahmen der gesetzlichen Rentenver-
sicherung geklärt werden kann, sondern er muss außer-
halb der Rentenversicherung vom für das Eisenbahner-
vermögen zuständigen Rechtsnachfolger geklärt werden.
Das Finanzministerium und das Verkehrsministerium
sind hier angesprochen, diese betriebliche Versorgung zu
regeln.

Ich möchte deshalb für uns festhalten, dass wir dem
Gesetzentwurf, wie er jetzt vorliegt, nicht zustimmen
können. Ich bin gespannt auf die Beratungen, die wir an-
schließend haben werden.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Diese Rede war ein Witz! Ein Treppenwitz!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416121900
Die Kolle-
gin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen, gibt
ihre Rede zu Protokoll.1) Deswegen erteile ich jetzt der

Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer für die F.D.P.-Fraktion
das Wort.


Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1416122000
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Entwurf
der Bundesregierung für ein Zweites Änderungsgesetz zum
AAÜG wird nicht die befriedende Wirkung haben, die die
Staatssekretärin hier als Wunsch in den Raum gestellt hat.


(Beifall bei der F.D.P.)

Das ist nicht zu erwarten; möglicherweise geht es auch
gar nicht.

Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass die
Überführung des sehr komplizierten DDR-Rentenrechts
mit seinen ungeheuer vielen und komplizierten Zusatz-
versorgungen und seinen differenzierten Anspruchsvor-
aussetzungen in unser westdeutsches Rentenrecht einer
Sisyphusarbeit gleichkommt.


(Renate Rennebach [SPD]: Wir waren dabei!)

– Die damalige Opposition war dabei. Aber es war allen
auch schon damals klar, dass die seinerzeit beschlossenen
Regelungen zum Verfassungsgericht gehen würden – das
ist dann auch passiert –, und es war damals abzusehen,
dass eine ganze Reihe der Regelungen, die zwar den Ge-
fühlen der Menschen entsprachen, vor allem der Men-
schen, die sich mit dem alten DDR-System nicht solidari-
siert hatten, möglicherweise verfassungsrechtlich keinen
Bestand haben würden. Dies hat uns das Bundesverfas-
sungsgericht in der Tat bescheinigt: Bei den berücksichti-
gungsfähigen Arbeitsentgelten müssen Begrenzungen
aufgehoben und angehoben werden, auch müssen Zahlbe-
tragsbegrenzungen aufgehoben und angehoben werden.

Zu Ihrem Zwischenruf, Frau Kollegin: Wir bekennen
uns ausdrücklich dazu. Natürlich ist das damals gemein-
sam verabschiedet worden.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Etwas anderes wäre undenkbar gewesen!)


– Etwas anderes wäre damals undenkbar gewesen.
Gleichwohl geht es jetzt darum, dass wir uns darauf eini-
gen – möglicherweise werden wir uns auch nicht darauf
einigen; Sie sind in der Regierung und mussten eine Vor-
lage machen –,


(Peter Dreßen [SPD]: Das haben wir auch!)

die Dinge zu ändern, die wir damals in einer Weise gere-
gelt haben, die das Rechtsempfinden derer, die zu den Op-
fern gehört haben, berücksichtigte, aber der verfassungs-
rechtlichen Prüfung nicht standgehalten hat.

Wir erkennen an, dass sich die Bundesregierung sehr
eng an das gehalten hat, was das Verfassungsgericht vor-
gegeben hat. Es gibt eine Reihe von Punkten, bei denen
man sehr wohl darüber debattieren muss, ob die Bundes-
regierung weit genug gegangen ist. Das betrifft vor allen
Dingen die Versorgung der Professoren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist dringend erfor-
derlich, ganz speziell zu diesem Tatbestand eine Anhö-
rung im Ausschuss durchzuführen,


(Andrea Nahles [SPD]: Ach du lieber Gott!)





Claudia Nolte

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(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 3

damit wir angesichts dieser komplizierten Materie die Po-
sition der Betroffenen in Erfahrung bringen können.


(Andrea Nahles [SPD]: Haben Sie zu viel Freizeit, Frau Schwaetzer? – Konrad Gilges [SPD]: Das ist reiner Wahlkampf!)


Ich kann mir gut vorstellen, dass Ihnen das nicht gefällt;

(Beifall bei der F.D.P.)


denn Sie wissen heute schon, dass Sie mit Ihrer Mehrheit
letztlich die Verantwortung für eine Regelung überneh-
men müssen, die die Betroffenen natürlich nicht zufrieden
stellt.


(Peter Dreßen [SPD]: Die aber besser als Ihre ist!)


Dass Sie lieber mit etwas anderem in Sachsen-Anhalt
Wahlkampf machen würden, ist auch völlig klar.

Deswegen biete ich als Oppositionspolitikerin an, dass
wir uns im Rahmen einer Anhörung noch einmal ausführ-
lich darüber unterhalten,


(Andrea Nahles [SPD]: Das ist kein Angebot, das ist eine Drohung!)


wie die einzelnen Vorgaben des Verfassungsgerichtes um-
gesetzt werden. Wir sind gesprächsbereit;


(Lachen bei der SPD)

aber die Verantwortung müssen letztendlich Sie selber tra-
gen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, die Kosten der Neurege-
lung sind mit circa 1 Milliarde DM, aufgeteilt zwischen
den neuen Ländern und dem Bund, so ausgefallen, dass
man durchaus überlegen könnte, ob an der einen oder an-
deren Stelle Verbesserungen möglich, wenn nicht gar not-
wendig sind.

Wir – ich sage das noch einmal – sind auf jeden Fall
zu Gesprächen bereit. Dieser Gesetzentwurf kommt spät
genug, denn das Verfassungsgericht hat uns den
30. Juni 2001 als Termin, zu dem diese Vorgaben des
Verfassungsgerichtes umgesetzt sein müssen, gesetzt.
Wir sind bereit, dieses Gesetz nicht im Schweinsgalopp,
aber konstruktiv zu begleiten, damit wir dann mögli-
cherweise doch zu einer Regelung kommen, der – si-
cherlich mit Ausnahme der PDS – alle Fraktionen, die das
eigentliche Überleitungsrecht getragen haben, zustim-
men können.

Danke schön.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416122100
Für die
Fraktion der PDS spricht die Kollegin Monika Balt.


Monika Balt (PDS):
Rede ID: ID1416122200
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Die Debatte erweckt den Eindruck, als ver-

teile die Regierung Almosen, die sie sich vom Munde ab-
gespart habe.


(Renate Jäger [SPD]: Das hat sie auch!)

– Nein! – Unter Verletzung des Einigungsvertrages und
des Grundgesetzes wurde das Rentenrecht missbraucht,
um Hunderttausenden DDR-Bürgern aus politischen Mo-
tiven willkürlich die Renten zu kürzen. Warnende Stim-
men, die es bereits 1991 zur Genüge gab,


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das fiel auch schwer, den Tätern ordentliche Renten zu zahlen!)


wurden nicht erhört. Viele Menschen sind seit elf Jahren
um einen Teil ihrer Ansprüche betrogen.

Auch das uns jetzt vorliegende AAÜG-Änderungs-
gesetz ist wahrlich kein Ruhmesblatt für den Deutschen
Bundestag. Urteile des Bundesverfassungsgerichts brach-
ten das Konzept des bisherigen AAÜG zum Scheitern und
bescheinigten dem Gesetzgeber verfassungswidriges Han-
deln. Der nun von der Bundesregierung vorgelegte Ge-
setzentwurf kann von den Abgeordneten der PDS nicht
akzeptiert werden,


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

weil er wegen unzulässiger pauschaler Rentenkürzung noch
immer im Widerspruch zu Art. 3 des Grundgesetzes steht.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Quatsch!)

Außerdem verlangen wir Änderungen bei der Dynamisie-
rung der besitzgeschützten Freibeträge. Das sind für uns
die Hauptpunkte, die die Interessen der Betroffenen wi-
derspiegeln.


(Beifall bei der PDS)

Dazu gehört übrigens auch das Rentenstrafrecht, das

vom Bundesverfassungsgericht mit klaren und entschie-
denen Worten verworfen worden ist. Im Klartext heißt
das: Staatsnähe bedeutet nicht automatisch, dass über-
höhte Arbeitsentgelte gezahlt wurden.

Diese und andere gleich lautende Aussagen gelten in
vollem Umfang auch für die noch heute bestehende will-
kürliche Rentenkürzung bei Personen, die in der DDR als
Abteilungsleiter in Ministerien gearbeitet oder in der Ar-
mee oder der Polizei als höhere Offiziere gedient haben.

Ich frage die Kolleginnen Ulrike Mascher und Andrea
Fischer, warum sie 1995 so entschieden gegen das Ren-
tenstrafrecht und alle Entgeltbegrenzungen unterhalb der
Beitragsbemessungsgrenze aufgetreten sind und heute,
nachdem sie nicht mehr einer Oppositions-, sondern einer
Regierungspartei angehören, die verfassungswidrige Pra-
xis der Regierung unter Helmut Kohl fortsetzen wollen.


(Beifall bei der PDS – Peter Dreßen [SPD]: Das ist aber nicht ganz richtig!)


Auch die seit 1997 neu geregelte Rentenkürzung für
Abteilungsleiter und höhere Offiziere ist nicht nur deshalb
verfassungswidrig, weil es nachweisbar laut Gutachten
im Staatsapparat der DDR keine überhöhten Gehälter ge-
geben hat,


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Was?)





Dr. Irmgard Schwaetzer
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(C)



(D)



(A)



(B)


sondern auch deshalb, weil diese Regelung pauschal und
unterschiedslos für Abteilungsleiter,


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Die haben für Gotteslohn gearbeitet!)


für hoch qualifizierte Spezialisten und Wissenschaftler,
für Mediziner, die als Kreisärzte oder Kreistierärzte in
staatlichen Einrichtungen gearbeitet haben, gilt. Alle wer-
den in einen Topf geworfen und ihre Rente wird pauschal
auf die Durchschnittsrente gekürzt.

Die PDS hält es für erforderlich, § 6 Abs. 2 und 3 im
AAÜG ersatzlos zu streichen und § 7 AAÜG in der von
ISOR vorgeschlagenen Weise zu korrigieren. Gerade weil
es in der deutschen Geschichte unrühmliche Beispiele
dafür gegeben hat, dass das Sozialrecht als Strafrecht miss-
braucht wurde, appelliere ich an Rot und Grün, mit dieser
Praxis im AAÜG nun wirklich Schluss zu machen.


(Beifall bei der PDS)

Kehren wir zurück zu einer Rentengesetzgebung, die po-
litisch wertneutral ist und nur tatsächlich gezahlte Ent-
gelte und Beiträge bewertet.

Danke.

(Beifall bei der PDS – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Wenn das so wäre, bekämen die StasiOffiziere eigentlich gar nichts, denn die haben gar nichts gezahlt!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416122300
Für die
Fraktion der SPD spricht die Kollegin Renate Jäger.


Renate Jäger (SPD):
Rede ID: ID1416122400
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Als wir 1991 im Bundestag damit be-
fasst waren, das ostdeutsche Rentensystem in das west-
deutsche zu überführen, hatten wir es mit grundsätzlich
unterschiedlichen Systemen zu tun. In der DDR gab es ne-
ben der Sozialversicherung und der freiwilligen Zusatz-
versorgung eine große Anzahl an Zusatz- und Sonder-
versorgungssystemen, die bestimmten Personengruppen
vorbehalten waren und deren Leistungsniveau deutlich
über dem der Rentenversicherung lag.

Bereits die letzte frei gewählte Volkskammer hatte ein
Zusatzversorgungssystem beschlossen und die Höchstbe-
träge für die Renten aus den staatsnahen Zusatzversor-
gungssystemen wie dem des Staatsapparates und der Par-
teien auf 2 010 DM und die aus dem System der
Staatssicherheit auf 990 DM begrenzt. Auch für die Son-
derversorgungssysteme – das betraf Nationale Volksar-
mee, Polizei und Zoll – erfolgte eine Begrenzung der Ren-
ten auf 2 010 DM. Es war ausdrücklicher Wille der letzten
frei gewählten Volkskammer, dass Personen, die einen be-
sonderen Beitrag zur Aufrechterhaltung oder zur Stärkung
des politischen Systems der DDR geleistet hatten und von
diesem Staat besonders begünstigt waren, nicht auch noch
überdurchschnittlich hohe Renten erzielen sollten.

Mit dem Rentenüberleitungsgesetz 1991 wurden
die in den Zusatzversorgungssystemen erworbenen An-
wartschaften in die gesetzliche Rentenversicherung der
Bundesrepublik überführt. Diese damals getroffene

Systementscheidung ist vom Bundesverfassungsgericht
grundsätzlich akzeptiert worden. Ebenso hatte vorher das
Bundessozialgericht bereits mehrfach diese Systement-
scheidung für verfassungsmäßig erklärt. Der Bundestag
konnte Regelungen im Prinzip nur im Rahmen der ge-
setzlichen Rentenversicherung treffen. Der Bundestag
hatte nicht das Recht, zum Zwecke der Überführung in be-
rufsständische Versorgungswerke einzugreifen. Er hatte
auch nicht das Recht, zum Zwecke der Überführung in die
Beamtenversorgung der Länder einzugreifen.

Wenn nun einige betroffene Berufsgruppen heute noch
fordern, dass ihr in der DDR zurückgelegtes Erwerbs-
leben nach der Wiedervereinigung so zu stellen ist, als ob
es in den alten Bundesländern zurückgelegt worden wäre,
ist das zwar aus ihrer Sicht verständlich, doch hätte dies
eine enorme finanzielle Belastung bedeutet, die natürlich
zulasten der Versicherten in den alten und den neuen Bun-
desländern gegangen wäre – mit allen negativen Folgen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch bei den Renten derjenigen, die vor 1990 in den West-
teil der Bundesrepublik übergesiedelt sind, werden in der
Rentenversicherung nur Einkünfte bis zur Beitragsbe-
messungsgrenze berücksichtigt.

Problematisch waren damals im Rentenüberleitungs-
gesetz die Ausnahmeentscheidungen zu den Sonderver-
sorgten im Staatsapparat, in den Parteien, in der Nationa-
len Volksarmee, der Volkspolizei und der Staatssicherheit.
Bei deren Rentenberechnung wurde das zu berücksichti-
gende Einkommen auf das Durchschnittsentgelt begrenzt,
bei hauptamtlichen Mitarbeitern der Staatssicherheit so-
gar auf das 0,7-fache des Durchschnittsentgelts, also noch
einmal von der Bundesregierung alten Schlages unter die
von der Volkskammer beschlossene Höhe heruntergefah-
ren.

In den Novellierungen von 1993 und 1996 wurden die
Begrenzungsregelungen modifiziert und die Einkom-
mensbegrenzungen für einen großen Teil der Betroffenen
ganz aufgehoben. Trotzdem blieb es bei etlichen nicht
verfassungsgemäßen Regelungen in diesem Bereich der
Kürzungen, die nunmehr von der von SPD und Grünen
geführten Regierung in Ordnung zu bringen sind.

Zu den einzelnen Maßnahmen hat Frau Mascher hin-
reichende Ausführungen gemacht. Auf eine Sache möchte
ich aber noch besonders hinweisen: Klar als genereller
Fehler der alten, konservativen Regierung erkennbar war
damals das „Herummodeln“ an den garantierten Zahlbe-
trägen, die die frei gewählte Volkskammer festgelegt
hatte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Damit wurden grobe Eingriffe in den Bestandsschutz vor-
genommen. Zu diesem Fehlerpaket gehörte auch die Ab-
schmelzung der garantieren Zahlbeträge im Rahmen der
Dynamisierung.
Dies hätte wahrlich schon 1996 geregelt werden können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)





Monika Balt

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(C)



(D)



(A)



(B)


Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Anhe-
bung der Entgelte für ehemalige Mitarbeiter der Staatssi-
cherheit von 70 auf 100 Prozent des Durchschnittsver-
dienstes hat verständlicherweise die Opferverbände auf
den Plan gerufen. Um die Relationen zwischen den Ent-
schädigungen der Opfer und den Renten ihrer Verursacher
einigermaßen zu wahren, hat die Bundesregierung bereits
die Kapitalentschädigung für die Opfer auf 600 DM er-
höht. Das ist Ihnen hoffentlich nicht entgangen, Frau
Nolte.


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: Das haben wir doch selber gemacht!)


Außerdem hat sie den Fonds der Stiftung für ehemalige
politische Häftlinge um 5 Millionen DM aufgestockt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Rahmen der Beratungen zum vorliegenden Gesetz-
entwurf hat der Bundesrat einen Zuschlag an Entgelt-
punkten für Verfolgungszeiten vorgeschlagen, den zu
prüfen, die Bundesregierung ebenfalls zugesagt hat. Hin-
sichtlich der Renten bei der Deutschen Reichsbahn und
der Post haben wir deutliche Leistungsverbesserungen er-
reicht. Auch die Vertreter der Gewerkschaften von Eisen-
bahn und Post haben sich zu diesen Vorschlägen positiv
geäußert.

Obwohl es – Herr Grund, hören Sie gut zu – diese glei-
chen Argumentationen ja auch in den Gesprächen zu Re-
gierungszeiten der Koalition von CDU/CSU und F.D.P.
gegeben hat – wir haben ja auch an den Gesprächen mit
den Gewerkschaften teilgenommen –, hat Ihre Regierung
keine Regelung zustande gebracht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ganz speziell möchte ich Ihnen, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der rechten Seite des Hauses, sagen: Wenn
Sie uns schon die politische Verantwortung für die jetzt
notwendigen Korrekturen und Nachzahlungsverpflich-
tungen hinterlassen haben, dann erwarte ich von Ihnen,
dass Sie konstruktiv an den Beratungen teilnehmen,


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Sie haben doch die Bedingungen definiert! Da können Sie den Bundeskanzler fragen!)


dass Sie keine neuen ideologischen Gräben aufreißen und
dass Sie auch mit den finanziellen Belastungen für Bund
und Länder verantwortungsvoll umgehen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der F.D.P.: Das ist Arroganz und Frechheit!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416122500
Ich schließe
die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 14/5640 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Das Haus ist da-
mit einverstanden. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurNeurege-
lung von Beschränkungen des Brief-, Post- und
Fernmeldegeheimnisses
– Drucksache 14/5655 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschuss

Die Kolleginnen und Kollegen Wolfgang Zeitlmann,
CDU/CSU, Hans-Christian Ströbele, Bündnis 90/Die
Grünen, Professor Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, F.D.P.,
Ulla Jelpke, PDS, und für die Bundesregierung der Parla-
mentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper geben
ihre Reden zu Protokoll.1)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 14/5655 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Anderweitige Vor-
schläge liegen nicht vor. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Christina Schenk, Christine Ostrowski,
Monika Balt, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines
... Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches

(... SGB III-Änderungsgesetz – ... SGB III-ÄndG)

– Drucksache 14/3227 –

(Erste Beratung 127. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss)

– Drucksache 14/5354 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dirk Niebel

Die Kolleginnen und Kollegen Renate Rennebach,
SPD, Heinz Schemken, CDU/CSU, Ekin Deligöz, Bünd-
nis 90/Die Grünen, und Dirk Niebel, F.D.P., geben ihre
Reden zu Protokoll.2)

Das Wort hat für die Fraktion der PDS die Kollegin
Christina Schenk.


Christina Schenk (PDS):
Rede ID: ID1416122600
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Es kann schon einmal vorkommen, dass
bei einer großen Reform wie der des Arbeitsförderungsge-
setzes ungewollt Fehler passieren. Das ist zu entschuldigen.
Nicht aber ist zu entschuldigen, wenn diese Fehler zwar er-
kannt, aber nicht umgehend behoben werden.


(Beifall bei der PDS)

Der Fehler im Arbeitsförderungsrecht, auf den wir mit

unserem Gesetzentwurf, der heute hier abschließend
beraten wird, hinweisen, führt dazu, dass Menschen un-




Renate Jäger
15788


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 4
2) Anlage 5

gerechtfertigt von ihnen zustehenden Leistungen ausge-
schlossen werden. Die 1998 in Kraft getretene Neurege-
lung im Arbeitsförderungsgesetz hat zur Folge, dass
Frauen bzw. Männer unter bestimmten Umständen ihre
Elternzeit mit dem Verlust ihrer Ansprüche auf Arbeitslo-
sengeld oder -hilfe bezahlen.

Ich gehe davon aus, dass die Mehrheit hier im Haus das
nicht gewollt hat. Es kann auch nicht angehen, dass Väter
und Mütter zwar ein Recht auf eine dreijährige Elternzeit
haben, die Wahrnehmung dieses Rechts aber zum Er-
löschen von erworbenen Ansprüchen auf Leistungen der
Arbeitslosenversicherung führen kann, also mit Leis-
tungsentzug bestraft wird.

Die Sachlage ist, so meine ich, übersichtlich und auch
einfach zu korrigieren: Nach dem alten Arbeitsförde-
rungsgesetz waren Zeiten des Bezugs von Mutter-
schafts- und Erziehungsgeld mit versicherungspflichtigen
Beschäftigungen gleichgestellt. Die vor dem Erziehungs-
urlaub erworbenen Ansprüche auf Arbeitslosengeld und
Arbeitslosenhilfe blieben so erhalten.

Mit der Einführung des SGB III wurden diese Rege-
lungen aufgehoben. Stattdessen wurden Erlöschensfris-
ten für den Bezug von Arbeitslosengeld und Arbeitslo-
senhilfe eingeführt. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld
erlischt – ich möchte Ihnen das hier noch einmal ins Ge-
dächtnis rufen –, wenn seit seiner Entstehung mehr als
vier Jahre vergangen sind. In der Realität sieht es dann so
aus, dass eine Frau, die aus der Arbeitslosigkeit heraus in
den Erziehungsurlaub bzw. in die Elternzeit wechselt und
in dieser Zeit ein zweites Kind bekommt und auch für die-
ses die ihr zustehende Elternzeit wahrnimmt, anschlie-
ßend ihren Restanspruch auf Arbeitslosengeld verliert.
Sie landet also in der Sozialhilfe oder in der finanziellen
Abhängigkeit vom Partner.

Die Folgen sind fatal: Wer kein Arbeitslosengeld be-
zieht, ist auch vom Zugang zu den arbeitsmarktpoliti-
schen Maßnahmen ausgeschlossen. Diese sind aber nur zu
oft Voraussetzung für den Wiedereinstieg in den Arbeits-
markt.

Noch schlimmer ist es hinsichtlich der Arbeitslosen-
hilfe. Hier erlischt der Anspruch bereits nach drei Jahren,
also bereits bei der vollständigen Inanspruchnahme des
Erziehungsurlaubes bzw. der Elternzeit für ein Kind.

Das Problem lässt sich sehr einfach aus der Welt schaf-
fen, indem die Fristen für das Erlöschen der Ansprüche
auf Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe in Zeiten des
Mutterschutzes und des Erziehungsurlaubes verlängert
werden. Restansprüche auf Arbeitslosengeld und Arbeits-
losenhilfe blieben auf diese Weise erhalten und könnten
nach Ablauf der Elternzeit geltend gemacht werden.

Im Familienausschuss und im Arbeitsausschuss waren
sich alle Fraktionen darin einig – es war für mich sehr
merkwürdig, das zu erleben –, dass die dargestellte Situa-
tion der Korrektur bedarf. Von allen Seiten wurde unse-
rem Lösungsvorschlag bescheinigt, dass er in die richtige
Richtung geht.


(Andrea Nahles [SPD]: Der kommt auf Wiedervorlage!)


Statt aber die Reparatur des SGB III sofort in Angriff zu
nehmen, verweisen SPD und Grüne auf die oftmals an-
gekündigte, aber noch immer nicht vorgelegte Gesamtre-
form des SGB III. Wann diese kommt, ist nach wie vor
völlig offen. Ich frage Sie: Was schadet es denn, wenn ein
offensichtlicher Fehler im SGB III jetzt behoben wird?
Das hindert Sie doch in keiner Weise daran, zu einem spä-
teren Zeitpunkt, zu dem Sie dazu in der Lage sind, die Ge-
samtreform vorzulegen, die Sie angekündigt haben.

Bei der CDU/CSU ist die Sache noch pikanter. Sie hat
in den Ausschüssen gegen unseren Gesetzentwurf ge-
stimmt, obwohl auch sie meinte, dass er in die richtige
Richtung gehe. Das ist insofern interessant, als der Bun-
desrat morgen auf Initiative des CDU-geführten Sachsen
über einen ähnlich lautenden Gesetzentwurf berät. Daher
erwarte ich von der CDU/CSU, dass sie unserem Gesetz-
entwurf heute zustimmt.


(Beifall bei der PDS)

Wenn sie das nicht tut, kann ich das nicht anders interpre-
tieren, als dass es ihr vorrangig um Schaufensterpolitik
geht und nicht wirklich um die Lösung der Probleme der
Menschen in unserem Land.


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: Manchmal hilft es, wenn nicht Sie die Anträge stellen, Frau Kollegin!)


Unser Gesetzentwurf bietet die Gelegenheit, eine von
allen Parteien als ungerecht erkannte Regelung unkom-
pliziert aus der Welt zu schaffen und somit den betroffe-
nen Frauen bzw. Männern die ihnen zustehenden Leis-
tungsansprüche zukommen zu lassen. Lassen Sie also
– ich wende mich damit an alle Fraktionen, meine natür-
lich ausgenommen – Ihre parteitaktischen Spielchen und
stimmen Sie unserem Gesetzesvorschlag zu!

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1416122700
Wir kom-
men zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Frak-
tion der PDS zur Änderung des Dritten Buches Sozialge-
setzbuch, Drucksache 14/3227. Der Ausschuss für Arbeit
und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 14/5354,
den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
des Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.

Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-
tere Beratung.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 30. März 2001, 9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.