Protokoll:
14144

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 144

  • date_rangeDatum: 19. Januar 2001

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:16 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Tagesordnungspunkt 15: Abgabe einer Regierungserklärung zu den Ergebnissen des Europäischen Rates Nizza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14111 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für die Angelegenheiten der Euro- päischen Union zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung des Europäischen Parlaments mit seinen Vorschlägen für die Regierungskonferenz (14094/1999 – C5-0341/1999 – 1999/0825 (CNS)) (Drucksachen 14/3723 Nr. 1.1, 14/4980) 14111 A Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . 14111 B Friedrich Merz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 14114 D Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14117 C Dr. Helmut Haussmann F.D.P. . . . . . . . . . . . . 14119 D Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 14121 B Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14125 A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P. 14126 A Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 14126 B Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 14126 D Günter Gloser SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14128 C Dr. Gerd Müller CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 14130 B Markus Meckel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14131 B Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Sozialge- setzbuchs – Neuntes Buch – (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (Drucksache 14/5074) . . . . . . . . . . . . . . . 14133 B Walter Riester, Bundesminister BMA . . . . . . 14133 C Claudia Nolte CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 14134 C Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14136 C Dr. Heinrich L. Kolb F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . 14138 C Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14140 B Silvia Schmidt (Eisleben) SPD . . . . . . . . . . . 14141 A Matthäus Strebl CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 14142 C Karl-Hermann Haack, Beauftragter der Bun- desregierung für die Belange der Behinderten 14144 A Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P. . . . . . . . . . 14145 A Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 14145 D Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU . . . . . 14147 C Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlungen und Berichte des Verteidigungsausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Paul Breuer, Ulrich Adam, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion CDU/CSU: Zukunft der Bundeswehr Plenarprotokoll 14/144 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 144. Sitzung Berlin, Freitag, den 19. Januar 2001 I n h a l t : – zu dem Antrag der Abgeordneten Günther Friedrich Nolting, Hildebrecht Braun (Augsburg), weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion F.D.P.: Zukunfts- fähigkeit der Bundeswehr sichern – Wehrpflicht aussetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Heidi Lippmann, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Zukunft durch Abrüstung – Für eine grundlegende Reform der Bundes- wehr (Drucksachen 14/3775, 14/4256, 14/4174, 14/5087, 14/5088, 14/5089) . . . . . . . . . . . 14149 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Günther Friedrich Nolting, Dirk Niebel, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion F.D.P.: Wehrpflicht aussetzen (Drucksache 14/5078) . . . . . . . . . . . . . . . 14149 C Reinhold Robbe SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14149 C Kurt J. Rossmanith CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 14151 A Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14152 C Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . . . . . . . . . 14154 B Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14156 B Manfred Opel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14157 C Kurt J. Rossmanith CDU/CSU . . . . . . . . . 14158 C Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . . . . . . 14159 B Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 14159 C Thomas Kossendey CDU/CSU . . . . . . . . . . . 14160 C Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14162 C Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . . . . . . . . . 14163 D Paul Breuer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 14164 B Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg 14166 A Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . . . . 14167 C Tagesordnungspunkt 18: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (Erstes SGB IV-Änderungsgesetz) (Drucksachen 14/4053, 14/5095) . . . . . . . 14169 C Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Tourismus zu dem Entschlie- ßungsantrag der Abgeordneten Hildebrecht Braun (Augsburg), Ernst Burgbacher, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P. zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Klaus Haupt, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion F.D.P.: Wett- bewerbsbedingungen für die deutsche Tourismuswirtschaft im Euro-Land (Drucksachen 14/591, 14/1079, 14/1159, 14/4704) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14170 A Ernst Burgbacher F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 14170 A Birgit Roth (Speyer) SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 14171 B Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 14173 A Sylvia Voß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14175 B Birgit Roth (Speyer) SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 14176 B Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 14176 D Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Christa Luft, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion PDS: UMTS-Milli- arden für die Einführung einer kommu- nalen Investitionspauschale des Bundes (Drucksache 14/4557) . . . . . . . . . . . . . . . 14177 D Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . . . . . . . . . . . . 14177 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14179 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 14181 A Anlage 2 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Unterrichtung: 4. Bericht der Bun- desregierung zur Auswärtigen Kulturpolitik 1999 (143. Sitzung, Tagesordnungspunkt 12) Dr. Rita Süssmuth CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 14181 D Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (Erstes SGB IV– Änderungsgesetz – 1. SGB IV-ÄNdG) (Tagesordnungspunkt 18) Renate Jäger SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14183 A Heinz Schemken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 14184 C Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . 14185 B Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P. . . . . . . . . . . . . 14186 A Pia Maier PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14186 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Januar 2001II Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entschließungsantrags: Wettbewerbsbedingun- gen für die deutsche Tourismuswirtschaft in Euro-Land (Tagesordnungspunkt 21) Rosel Neuhäuser PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14187 D Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: UMTS-Milliarden für die Ein- führung einer kommunalen Investitionspau- schale des Bundes (Tagesordnungspunkt 23) Hans Georg Wagner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 14188 B Peter Götz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14188 D Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14190 C Gerhard Schüßler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 14191 C Anlage 6 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14192 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Januar 2001 III Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Januar 2001
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Januar 2001 Dr. Uwe-Jens Rössel 14179 (C)(A) 1) Anlage 5 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Januar 2001 14181 (C) (D) (A) (B) Albowitz, Ina F.D.P. 19.01.2001 Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 19.01.2001 Dr. Blank, CDU/CSU 19.01.2001 Joseph-Theodor Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 19.01.2001 Bodewig, Kurt SPD 19.01.2001 Brähmig, Klaus CDU/CSU 19.01.2001 Brunnhuber, Georg CDU/CSU 19.01.2001 Bulmahn, Edelgard SPD 19.01.2001 Catenhusen, SPD 19.01.2001 Wolf-Michael Deß, Albert CDU/CSU 19.01.2001 Fischer (Berlin), Andrea BÜNDNIS 90/ 19.01.2001 DIE GRÜNEN Friedhoff, Paul K. F.D.P. 19.01.2001 Friedrich (Altenburg), SPD 19.01.2001 Peter Friedrich (Bayreuth), F.D.P. 19.01.2001 Horst Friedrich (Mettmann), SPD 19.01.2001 Lilo Fuchs (Köln), Anke SPD 19.01.2001 Gehrcke, Wolfgang PDS 19.01.2001 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 19.01.2001 Dr. Gysi, Gregor PDS 19.01.2001 Hanewinckel, Christel SPD 19.01.2001 Haschke (Großhenners- CDU/CSU 19.01.2001 dorf), Gottfried Heise, Manfred CDU/CSU 19.01.2001 Dr. Hendricks, Barbara SPD 19.01.2001 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 19.01.2001 DIE GRÜNEN Homburger, Birgit F.D.P. 19.01.2001 Dr. Hoyer, Werner F.D.P. 19.01.2001 Irber, Brunhilde SPD 19.01.2001 Jünger, Sabine PDS 19.01.2001 Klappert, Marianne SPD 19.01.2001 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 19.01.2001 Lamp, Helmut CDU/CSU 19.01.2001 Lehn, Waltraud SPD 19.01.2001 Dr. Leonhard, Elke SPD 19.01.2001 Dr. Lippold (Offen- CDU/CSU 19.01.2001 bach), Klaus W. Dr. Luft, Christa PDS 19.01.2001 Matschie, Christoph SPD 19.01.2001 Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/ 19.01.2001 DIE GRÜNEN Nahles, Andrea SPD 19.01.2001 Nickels, Christa BÜNDNIS 90/ 19.01.2001 DIE GRÜNEN Otto (Erfurt), Norbert CDU/CSU 19.01.2001 Otto (Frankfurt), F.D.P. 19.01.2001 Hans-Joachim Dr. Pfaff, Martin SPD 19.01.2001 Pflug, Johannes SPD 19.01.2001 Dr. Pflüger, Friedbert CDU/CSU 19.01.2001 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 19.01.2001 Reiche, Katherina CDU/CSU 19.01.2001 Rübenkönig, Gerhard SPD 19.01.2001 Rühe, Volker CDU/CSU 19.01.2001 Schmidt (Aachen), Ulla SPD 19.01.2001 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 19.01.2001 Hans Peter Dr. Stadler, Max F.D.P. 19.01.2001 Steiger, Wolfgang CDU/CSU 19.01.2001 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 19.01.2001 Vogt (Pforzheim), Ute SPD 19.01.2001 Dr. Volmer, Ludger BÜNDNIS 90/ 19.01.2001 DIE GRÜNEN Welt, Jochen SPD 19.01.2001 Wohlleben, Verena SPD 19.01.2001 Dr. Wolf, Winfried PDS 19.01.2001 Zapf, Uta SPD 19.01.2001 Zierer, Benno CDU/CSU 19.01.2001 Anlage 2 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Unterrichtung: 4. Bericht der Bundesregie- rung zur Auswärtigen Kulturpolitik 1999 (Ta- gesordungspunkt 12, 143. Sitzung) Prof. Dr. Rita Süssmuth (CDU/CSU): Auswärtige Kulturpolitik gewinnt im Rahmen der Globalisierung ei- nen steigenden Stellenwert und eine wachsende Bedeu- tung. entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Alte Erwartungen und Interessen an den bilateralen kulturellen Austausch, an den kulturellen Eigenarten des jeweils anderen Landes oder anderen Kulturwerten blei- ben erhalten: an Sprache, Literatur, Theater, Film, bil- dende Kunst, Musik. Das Wissen um die Kultur des an- deren ist ein Schlüssel zur Identität und Wertschätzung der anderen Nation oder der grenzüberschreitenden Kul- turräume. Dabei vermitteln sich Bilder und Beurteilungen von ei- nem Land mit seinen Besonderheiten, Stärken und Schwächen. Sosehr die Kultur weltweit im Fluss ist, Kul- turen durch immer stärkere Internationalisierung Eigen- prägung zu verlieren scheinen, sind sie weltweit ein Kernbereich des Selbstverständnisses wie auch des Selbst- wertes, aber auch notwendig zum Verständnis anderer Länder und ihrer Menschen. Kultur sagt Entscheidendes aus über die Gestaltungs- kraft der Menschen in den verschiedenen Lebensberei- chen, über kreative Entwürfe, die sich in ihren Siedlungs- und Bauformen, in Sprache und Schrift, in bildender Kunst und Musik, in Mode und Design, in der Gestaltung der öffentlichen Räume, in den alltäglichen Gebrauchsge- genständen, vor allem im individuellen und im Gruppen- verhalten niederschlagen. Zur Kultur gehören entschei- dend die privaten und öffentlichen Lebensformen. Menschen identifizieren sich über ihre jeweiligen Kul- turen, über das je Eigene und das von außen Hinzukom- mende. Der Anteil der „Wiedererkennbarkeit“ im moder- nen Großstadtbild – ob New York, Jakarta, Singapur, Frankfurt, Berlin oder Paris – wächst, ebenso der des in- ternationalen englischsprachigen Unterhaltungssektors, aber gleichzeitig bleibt in der Unverwechselbarkeit die Vielfalt mit dem je Unterschiedlichen, der individuellen und kollektiven Andersartigkeit. In dieser europäischen, afrikanischen, asiatischen, amerikanischen und lateinamerikanischen Vielfalt gibt es wiederum ein verbindendes gesellschaftliches und kultu- relles Thema: die Zivilgesellschaft mit ihren Freiheits- rechten, ihrer freiheitlichen und sozial verpflichtenden Lebensgestaltung, mit Beteiligung und Selbstbestim- mung, mit den Prinzipien der Gewaltlosigkeit, der Tole- ranz, des friedlichen Zusammenlebens mit Menschen an- derer Religionen und Kulturen, anderer Hautfarbe, anderer politischer Überzeugungen. Die Zivilgesellschaft oder auch Bürgergesellschaft ist ein kulturelles Gesamt- konzept für Politik, Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft, für den Umgang zwischen Menschen und Völkern. Na- tionen weisen sich über ihre Kultur bzw. ihre Kulturen aus. Dazu gehören weltweit immer stärker die Werte und Normen von Zivilgesellschaften, von der Achtung und dem Schutz des anderen als unverletzbar in seiner Men- schenwürde, in der Bindung an das Recht und die Abkehr von Willkür, des Miteinanders anstelle von Diskriminie- rung bzw. gesellschaftlicher und individueller Ausgren- zung, an nachhaltigen Entwicklungschancen, Wohlfahrt, Freiheit und Frieden. Dabei geht es um eine Kultur der Partnerschaft und Kooperation. Im Gegensatz zu Herrschaft und Konfronta- tion wird das Prinzip der Kooperation und des kooperati- ven Wettbewerbs gesetzt. Diese zentralen Veränderungen werden auch im 4. Be- richt der Bundesregierung zur Auswärtigen Kulturpolitik deutlich angesprochen. Aber wie das erweiterte, auf die Globalisierung und die Sparzwänge antwortende Konzept umgesetzt werden soll, bleibt in zentralen Punkten offen. Wenn die Kultur – von der politischen bis zur Unter- haltungskultur – die Grundlage aller Entwicklung und Beziehungen ist, dann muss ihre Priorität in den zentralen ereichen auch sichtbar werden. Stattdessen wird an den Kultureinrichtungen und ihrer Förderung sichtbar ge- spart. Es gibt eine Reihe von sinnvollen und innovativen Ansätzen, zum Beispiel die Zusammenführung von Goethe-Instituten und Inter Nationes. Aber dort, wo Goethe-Institute geschlossen werden, tritt nichts Ver- gleichbares an ihre Stelle. Wo Kulturarbeit und -austausch abnehmen oder ganz entfallen, hat das mittel- und lang- fristig Auswirkungen auf Politik und Wirtschaft. Während Frankreich oder auch Großbritannien ihre kulturelle Attraktivität im Ausland massiv ins Spiel brin- gen, ausländische Studenten in großer Zahl anwerben, wie zum Beispiel in England, um im Wettbewerb um Zuwan- derung erforderliche Hochqualifizierte für den Arbeits- markt zu gewinnen und zugleich die Exportchancen zu er- höhen, bleibt bei uns eine solche Werbung bislang aus. Das große Interesse an Deutschland, an deutscher Sprache in Mittel- und Ost- wie Südosteuropa vermögen wir aus finanziellen Engpässen heraus nicht abzudecken. Die Diskrepanzen zwischen gewollter Neuorientie- rung Auswärtiger Kulturpolitik und faktischer Umsetzung sind zu groß. Bei Einsparungen von 3,2 Prozent von 1999 auf 2000 bei den Bundesaufgaben insgesamt entfällt ein Minus von 4,7 Prozent auf den Kulturhaushalt beim Aus- wärtigen Amt. Besonders einschneidend sind die Kürzun- gen im Bereich der Sprachförderung im Ausland, einer der vordringlichen Aufgaben deutscher Auswärtiger Kul- turpolitik. Die Förderung der deutschen Sprache in Mit- tel- und Osteuropa ist nicht nur für die dort lebenden Men- schen und deutschen Minderheiten von Bedeutung. Sprache ist auch ein Element einer Brücke, ein tragendes Element, das in seiner Funktion nicht unterschätzt werden sollte. Wer beim Sprachunterricht Stellen abbaut, nimmt wissentlich die Verschlechterung von Kommunikations- möglichkeiten in Gegenwart und Zukunft in Kauf. Nicht hinzunehmen ist der Umfang der Kürzungen der Mittel für die deutschen Minderheiten in Mittel- und Ost- europa. Ich will einmal an Zahlen deutlich machen, was hier vorgesehen oder bereits auf den Weg gebracht wor- den ist. Die Zahl der nach Polen entsandten Programm- lehrer soll im Schuljahr 2000/2001 auf 80 reduziert wer- den, im Schuljahr 1998/1999 waren dort noch 132 Pro- grammlehrer tätig. Und schon diese Zahl war, wie wir wissen, nicht ausreichend! Die Zahlen für Ungarn: 65 statt bisher 87; für Russland: 58 statt bisher 65; für Tschechien: 44 statt bisher 61; für Rumänien; 53 statt bisher 55 Pro- grammlehrer. Gerade im deutsch-polnischen und deutsch-tschechischen Verhältnis werden solche Kürzun- gen nicht zur Intensivierung unserer bilateralen Bezie- hungen – über die Kulturbeziehungen hinaus – beitragen. Von immer größerer Dringlichkeit ist die Art der Medien im Ausland. Deutschlandbilder – Bilder unserer Kultur, das heißt zugleich Bilder des Miteinanders von Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Januar 200114182 (C) (D) (A) (B) Menschen unterschiedlicher Kulturen und Hautfarben, die bei uns leben, mit uns leben – vermitteln sich so stark wie nie zuvor über das Medium Fernsehen. Der Hörfunk behält seine Rolle, ist schnell einsetzbar in Krisensitua- tionen und Konfliktzeiten. Wenn es um die Präsenz von Bildern aus unserem Land weltweit geht, dann müssen wir feststellen, dass hier Defizite vorhanden sind, wenn wir über die Grenzen Europas hinweg in andere Erdteile schauen. Dort erfährt man wenig über uns – es sei denn, andere berichten über Deutschland. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zurBeratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetz- buch (Erstes SGB IV – Änderungsgesetz – 1. SGB IV-ÄndG) (Tagesordungspunkt 18) Renate Jäger (SPD): Mit dem heute zu diskutieren- den Gesetzentwurf wollen wir das Haushaltsrecht der So- zialversicherung an die 1998 flexibilisierten Grundsätze des öffentlichen Haushaltswesens anpassen. Die Neure- gelungen sollen insgesamt zu einer wirtschaftlicheren und sparsameren Haushaltsführung der Sozialversicherungs- träger beitragen. Im Wesentlichen werden drei Änderungen in den haus- haltsrechtlichen Vorschriften des SGB IV vorgenommen: Erstens. In Zukunft werden die Sozialversicherungs- träger bei allen finanzwirksamen Maßnahmen zur Durch- führung von angemessenen Wirtschaftlichkeitsunter- suchungen verpflichtet. Bislang sieht das SGB IV nur bei Maßnahmen von erheblicher finanzieller Bedeutung sol- che Untersuchungen vor. Das reicht angesichts des großen Finanzvolumens in der Sozialversicherung nicht aus. Mir ist bewusst, dass die Sozialversicherungsträger schon heute in hohem Maße ihrer Verantwortung für eine wirtschaftliche und sparsame Verwendung der Mittel ih- rer Beitragszahler gerecht werden. Ich möchte dies an die- ser Stelle ausdrücklich betonen und auch all denen Dank und Anerkennung aussprechen, die sich in Verwaltung, Geschäftsführung und Selbstverwaltung diese Aufgabe zu Eigen gemacht haben. Dennoch wollen wir mit der neuen Vorschrift erreichen, dass auf allen Verantwortungsebe- nen ein noch stärkeres Kostenbewusstsein entsteht. Der Umfang der durchzuführenden Wirtschaftlich- keitsuntersuchung richtet sich nach der Bedeutung der Maßnahme. Damit entsteht kein unnötiger Verwal- tungsaufwand und die Regelung ist in der Praxis gut um- setzbar. Zweitens. Die Sozialversicherungsträger werden außerdem verpflichtet, in geeigneten Bereichen eine Kos- ten- und Leistungsrechnung einzuführen. Mit der Kosten- und Leistungsrechnung wird ein betriebswirtschaftliches Instrument eingeführt, das als Informations-, Steuerungs- und Kontrollinstrument das öffentliche Haushaltsrecht er- gänzen soll. Sie schafft eine in dieser Form bisher nicht vorhandene Transparenz von Kosten und Leistungen. Da die Sozialversicherungsträger bereits über Erfah- rungen damit verfügen, bieten sie sich für eine Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung geradezu an. Außer- dem sind sie in ihrer Kunden- und Produktorientiertheit mehr und mehr vergleichbar mit privaten Unternehmen. Außerdem können Träger die Kosten vergleichbarer Produkte gegenüberstellen, sodass auch ein Behörden- vergleich möglich ist. Ich gehe davon aus, dass dies auch für uns als Gesetzgeber zu zusätzlichen, wertvollen Er- kenntnissen führt und für die Versicherten eine verbes- serte Beratung bringt sowie eine schnellere Antragsbear- beitung ermöglicht. Auch in diesem Bereich haben wir besonderes Au- genmerk auf die Praxistauglichkeit gelegt. Wie in der Ge- setzesbegründung festgehalten, muss die Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung selbst wirtschaftlich sein. Deshalb wird es Bereiche (einzelne Sozialversicherungs- träger oder Teile von ihnen) geben, die zum Beispiel we- gen ihrer geringen Größe oder atypischen Struktur für die Einführung einer Kosten- und Leistungsrechnung nicht geeignet sind und dabei dann auch nicht einbezogen wer- den. Die Spitzenverbände haben die Aufgabe, die fachli- chen und technischen Vorgaben der Kosten- und Leis- tungsrechnung innerhalb von zwei Jahren zu erstellen. Damit haben die Träger auch ausreichend Zeit, Erfahrun- gen mit diesem Instrument zu sammeln. Drittens. Die Rentenversicherungsträger werden unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Träger an die Bewertungs- und Bewirtschaftungsmaßstäbe des Bundes bzw. der aufsichtsführenden Länder gebunden. Der Bund hat angesichts der finanziellen Größenordnung der Mittel, die an die Rentenversicherungsträger gezahlt werden, ein hohes Interesse daran, stärkere Einflussmöglichkeiten in Bezug auf die Haushalte der Träger zu erhalten und so eine wirtschaftliche Verwendung der gezahlten Bundes- mittel sicherzustellen. Die Vorschrift sieht vor, dass die landesunmittelbaren Träger daher an die Bewertungs- und Bewirtschaftungsmaßstäbe der aufsichtsführenden Län- der und die bundesunmittelbaren Träger an die des Bun- des gebunden werden. Unter dem Begriff „Bewertungs- und Bewirtschaf- tungsmaßstäbe“ werden Grundsätze und Richtlinien zu- sammengefasst, die für eine Vielzahl von Fällen gelten. Dies sind zum Beispiel haushaltsgesetzliche Vorgaben, Richtlinien über die Haltung und Beschaffung von Dienst- fahrzeugen und Richtlinien über die Personalbedarfser- mittlung. Alle Stellen der öffentlichen Hand stehen zu Recht in der kritischen Beobachtung der Bürger und der Medien. Deshalb ist es wichtig, besonders für die Entscheidungs- träger vor Ort, über vergleichbare Standards für die Ver- waltungskosten zu verfügen und damit besser für eine wirtschaftliche und sparsame Mittelverwendung sorgen zu können. Auch hier zeigt sich, dass es uns auf eine handhabbare Rechtsvorschrift ankommt. Insoweit ist auch den Bedenken von Rentenversicherungsträgern, die im Rahmen einer Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung geäußert wurden, Rechnung getragen worden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Januar 2001 14183 (C) (D) (A) (B) So ist über einen entsprechenden Änderungsantrag noch mal verdeutlicht worden, dass bei der Anwendung dieser Maßstäbe die Besonderheiten der einzelnen Versi- cherungsträger zu berücksichtigen sind. So bleibt den Trä- gern ein weiter Spielraum und Flexibilität für eigene Entscheidungen und zur Ausübung ihres Selbstverwal- tungsrechts. Des Weiteren soll mit dem vorliegenden Gesetzent- wurf das Problem der selbstständigen Lehrer, Pflegeper- sonen und auch Hebammen gelöst werden, die eigentlich seit 1922 rentenversicherungspflichtig waren bzw. sind und ihrer Versicherungspflicht nicht nachgekommen sind. Durch die Neuregelungen zur Bekämpfung der Schein- selbstständigkeit und die Einführung der Renten- versicherungspflicht für so genannte arbeitnehmerähnli- che Selbstständige sah sich die BfA genötigt, im Rahmen der Verjährung erhebliche Beitragsnachforderungen zu stellen. Zu Recht warfen die Lehrer ihren Auftraggebern und den Sozialversicherungsträgern mangelnde Aufklärung vor. Die Mehrzahl der Lehrer sei gutgläubig davon aus- gegangen, nicht der Rentenversicherungspflicht zu unter- liegen, und hatte zum Teil anderweitige Altersvorsorge getroffen. Nun schaffen wir für selbstständige Lehrer, aber auch für selbstständige Pflegepersonen und Hebammen eine befristete Befreiungsmöglichkeit von der Rentenversi- cherungspflicht unter denselben Voraussetzungen, unter denen auch arbeitnehmerähnliche Selbstständige ein Be- freiungsrecht haben. Dazu müssen sie in einem Antrag glaubhaft machen, dass sie von der Versicherungspflicht keine Kenntnis hatten, und sie mussten am 1. Januar 1999 das 50. Lebensjahr vollendet haben oder vor dem 10. De- zember 1998 eine anderweitige Vorsorge getroffen haben. Ich will nicht verhehlen, dass es auch weitere Forde- rungen vonseiten der Betroffenen gab. Aus Gerech- tigkeitsgründen ist es aber nicht möglich, die Gruppen, die schon lange der Versicherungspflicht unterliegen, wie das bei den selbstständigen Lehrern der Fall ist, besser zu stellen als diejenigen, die bis zum In-Kraft-treten der neuen Regelungen tatsächlich nicht rentenversicherungs- pflichtig gewesen sind. Durch eine weitere Ergänzung sollen alle Bürger der Europäischen Union, die für eine begrenzte Zeit im Aus- land beschäftigt sind, die Möglichkeit der Pflichtversi- cherung erhalten unter der Voraussetzung, dass sie zuvor in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung die all- gemeine Wartezeit von fünf Versicherungsjahren zurück- gelegt haben und nicht in einem anderen Mitgliedstaat versichert sind. Bisher stand diese Möglichkeit nur Entwicklungshelfern und deutschen Staatsangehörigen zu, die für eine begrenzte Zeit im Ausland beschäftigt sind. Die darin liegende Diskriminierung von Unionsbür- gern soll mit der vorgeschlagenen Änderung beseitigt werden. Alle drei Regelungssachverhalte sind zustimmungs- würdig, weil sie zu mehr Transparenz und Sparsamkeit führen – der erstgenannte –, weil sie aus einem Dilemma heraushelfen, nämlich den versicherungspflichtigen Selbst- ständigen enorme Nachzahlungen ersparen – der zweite –, und weil sie mehr Gerechtigkeit in die EU-Landschaft bringen. Heinz Schemken (CDU/CSU): Das Gesetz zur Än- derung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch geht von mehr Kontrolle über die Sozialversicherungsträger aus. Es sieht vor, dass von den Aufsichtsbehörden die Haus- haltspläne der Rentenversicherungsträger beanstandet werden können, wenn diese die Bewertungs- und Bewirt- schaftungsmaßstäbe des Bundes bzw. der Länder nicht beachten. Aus der Gesetzesbegründung zum 1. SGB IV- Änderungsgesetz ergibt sich mittelbar, dass die Renten- versicherungen ihre Mittel unwirtschaftlich verwenden. Die Notwendigkeit einer strengeren aufsichtlichen Kontrolle der Rentenversicherungsträger wird unter ande- rem mit der Erhöhung des Bundeszuschusses an die Ren- tenversicherung begründet. Damit liegen bei den Bewer- tungs- und Bewirtschaftungsmaßstäben teilweise reine Zweckmäßigkeitserwägungen zugrunde. Für die selbst- verwalteten Sozialversicherungsträger ist allerdings nur eine Rechtmäßigkeitskontrolle zulässig. Die Versiche- rungsträger sind bereits nach jetziger Rechtslage an die Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit streng gebunden. Sie stehen unter der Aufsicht des Prüfungs- rechtes des Bundes und der Länder durch die jeweiligen Rechnungshöfe. Dieses Recht wird auch nachdrücklich, wie die die Vergangenheit zeigt, wahrgenommen. Viel gewichtiger ist die Frage zu stellen, wie es die Bundesregierung und die Koalition SPD-Bündnis 90/Die Grünen mit der Selbstverwaltung hält. Diese Einschrän- kung der Selbstverwaltungskompetenzen geht im Grunde genommen in eine völlig falsche Richtung. Mehr Mitwir- kung und Teilhabe an Verantwortung ist in einer Zeit ge- fordert, in der die Fragen der Zukunft unserer Sozialsys- teme immer mehr auch eine Herausforderung für die Gesellschaft insgesamt werden. Deshalb wäre ein größe- res Vertrauen gegenüber den Selbstverwaltungsträgern die richtige Antwort. Stattdessen soll hier mehr staatliche Kontrolle eingeführt werden. Die geplante Bindung an Bewertungsmaßstäbe von außen bedeutet einen Eingriff in die Finanzorganisation und Personalhoheit der Selbst- verwaltung. Ein Kernbereich unseres sozialen Rechts- staates wird hier empfindlich getroffen. Hier wird der Kontrolle mehr Gewicht beigemessen als dem Grundsatz der Selbstverwaltung, wo die Arbeitnehmer und Arbeit- geber in Partnerschaft mit großem Verantwortungsbe- wusstsein am Konsens in der schwierigen Lage unserer sozialen Sicherungssysteme mitwirken. Die ungleiche Behandlung der Träger der Rentenversi- cherung, zu denen die Unfall- und Krankenversicherun- gen gehören, bringt im Übrigen eine weitere Spaltung des Selbstverwaltungsrechtes. Die CDU/CSU steht ohne Ab- striche zur Selbstverwaltung und deren Kompetenzen, die bisher mit viel Engagement und großer Verantwortlich- keit wahrgenommen werden. Dies ist für uns ein Herz- stück im Sozialstaat, der in seiner Verpflichtung auch die uneingeschränkte Mitwirkung der Menschen in der Selbstverwaltung respektieren sollte. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Januar 200114184 (C) (D) (A) (B) Es geht bei dieser Gesetzesänderung letztlich nur um eine stärkere Einflussmöglichkeit des Bundes. Auch das Argument, dass die Größenordnung des Bundeszuschus- ses eine stärkere Einflussmöglichkeit erforderlich macht, zieht nicht. Denn immerhin wird die eigentliche Gewich- tung der Verantwortung und Aufgaben, die bei den Bei- tragszahlern liegen, über die Selbstverwaltung auch wirt- schaftlich und sparsam organisiert und verwaltet. Im Übrigen werden die Mittel des Bundes im Wesentlichen durch die Vorgaben des Bundes reguliert, da sie sich aus nicht beitragsgedeckten Leistungen der gesetzlichen Ren- tenversicherung rekrutieren. Hinzu kommt das Argument, dass durch diesen Gesetzeseingriff mindestens mittelfris- tig mehr Verwaltungsaufwand und damit Kosten entste- hen, die zu Beitragserhöhungen und weiterer Belastung der Löhne führen. All das sollte uns mehr Zurückhaltung auferlegen, wenn es um immer mehr staatlichen Einfluss geht, denn im Spannungsverhältnis zwischen Selbstverwaltung und staatlichem Einfluss liegt der Anreiz, die Möglichkeit und das Recht der Mitwirkung der Versicherten. Dies zu si- chern wäre das Gebot der Stunde. Gerne hätten wir noch eine bessere Regelung zum Thema der Freiberufler gehabt, dies insbesondere bei der Stichtagsregelung. Wir vertrauen aber auf eine der Ren- tenversicherungsträger, dies insbesondere, wenn es um die Nachzahlungspflicht zur Rentenversicherung geht. Der betroffene Personenkreis, der über eine zusätzliche Alters- versorgung verfügt, sollte von Rentenversicherungsbeiträ- gen befreit werden. Dies gilt auch für die Betroffenen aus den EU-Ländern. Die CDU/CSU lehnt diesen Gesetzentwurf ab, insbe- sondere weil die Selbstverwaltung durch weitere staatliche Eingriffe in ihrer ureigensten Aufgabe eingeschränkt wird. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der heute zur Debatte stehende Entwurf hat eigentlich die Einführung von Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen sowie die Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung für die Sozialversicherungsträger zum Gegenstand. Dazu fand am 25. Oktober 2000 eine Anhörung statt. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU, Drucksache 14/1058, vor. Danach sollen entgegen dem Entwurf die Aufsichtsbehörden des Bundes und der Län- der die Haushaltspläne der Rentenversicherungsträger bei fehlender Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeits- und Bewertungsmaßstäbe gar nicht beanstanden. Das läuft dem Anliegen des Gesetzes völlig zuwider und ist daher abzulehnen. Im Änderungsantrag der Regierungskoalition, Druck- sache 14/1119, wird dagegen den Bedenken der Renten- versicherungsträger Rechnung getragen, indem bei der Aufsicht ausdrücklich „die Besonderheiten der Versiche- rungsträger zu berücksichtigen sind“. Dieser Antrag sieht also eine Interessenabwägung vor! Ein weiteres wichtiges Thema ist das Befreiungsrecht in der Rentenversicherung. Mit einem bisherigen Ände- rungsantrag, Drucksache 14/863, wollten die Regierungs- fraktionen bestimmten Gruppen von Selbstständigen, die in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert sind, eine zeitliche begrenzte Befreiungsmöglichkeit in § 231 Abs. 3 SGB VI (neu) auf Antrag einräumen. Vo- raussetzung ist, dass die Betroffenen glaubhaft machen können, von der Versicherungspflicht nichts gewusst zu haben, und 50 Jahre und älter sind oder vor der dritten Le- sung des Scheinselbstständigengesetzes eine ausrei- chende anderweitige Altersvorsorge getroffen haben. Die vorgesehene Regelung ist vor allem durch Proteste von selbstständigen Lehrern ausgelöst worden, die zum Beispiel an Volkshochschulen unterrichten. Die bisherige Änderung war zwar formal auf alle Selbstständigen in § 2 SGB VI anwendbar, wegen der Beschränkung auf sol- che Selbstständige, die selbst keinen versicherungspflich- tigen Arbeitnehmer beschäftigen, und der erforderlichen Glaubhaftmachung faktisch auf eine „Lex Privatlehrer“ beschränkt. Dies ist auch aus den Reihen des Koalitionspartners in der Koordinierungsrunde kritisiert worden, da zum Bei- spiel nicht auch alle Hebammen von der Möglichkeit Gebrauch machen könnten. Im Dezember sind wir seitens eines Berufsverbandes auf eine weitere Fallgruppe aufmerksam gemacht wor- den: In § 229 a SGB VI wird die Versicherungspflicht ge- regelt, die aufgrund eines DDR-Überleitungsgesetzes (SWG) als Selbstständige und mitarbeitende Familienan- gehörige rentenversicherungspflichtig geworden sind. Diese Gruppe hatte von Mitte 1991 bis 31. Dezem- ber 1994 die Möglichkeit, aus der Versicherungspflicht zu kommen. Einigen der Betroffenen scheint aber weder die Versicherungspflicht noch die Befreiung davon bis 1994 bekannt gewesen zu sein. Offenbar liegen zur Zeit circa 50 bis 60 Fälle im Streit mit der BfA wegen Beitrags- nachforderungen. Die Streitfälle haben sogar gute Chan- cen auf Glaubhaftmachung, da die BfA in Sozialgerichts- verfahren schon eingeräumt hat, nicht hinreichend infor- miert zu haben. Diese Erfahrungen und Erkenntnisse haben wir in ei- nen neuen Änderungsantrag eingearbeitet. Dieser modi- fizierte Änderungsantrag, der Drucksache 14/863 ersetzt, sieht nun noch vor, auch den Selbstständigen nach § 229 a SGB VI die Möglichkeit einer Befreiung einzu- räumen, wenn diese die Unkenntnis über die Versicherungs- pflicht glaubhaft machen können und eine adäquate Alters- vorsorge selbst getroffen haben. Weiterhin sind explizit genannt: Lehrer und Erzieher (§ 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI), Pflegepersonen (§ 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI), Hebammen und Entbindungspfleger (§ 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI). Ausgeschlossen sind richtigerweise Handwerker, Künstler und Publizisten – die ja die Künstlersozialversi- cherung haben – sowie hausgewerbetreibende und außer- dem die Küstenschiffer und Küstenfischer. Somit sind nun alle Gruppen, die sich mehr oder min- der berechtigt darauf berufen können, von der Versiche- rungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nichts gewusst zu haben, von der bis zum 30. Septem- ber 2001 geltenden „Amnestieregelung“ begünstigt. Da- mit dürften nun aber wirklich alle Streitfälle bereinigt sein! Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Januar 2001 14185 (C) (D) (A) (B) Im gleichen Zusammenhang hat die FDP einen Ände- rungsantrag, Drucksache 14/1033, eingebracht, der nun entweder obsolet – durch die Gesetzesbegründung klar- gestellt – ist oder aber inhaltlich abzulehnen ist: Die Aus- legung der „andersweitigen Vorsorge“ ist zu weitgehend, und die Ausdehnung des „Handwerkerprivilegs“ auf an- dere Selbständige ist unsinnig. Prinzipiell bedenkenswert ist dagegen der Vorschlag, anstelle des bisherigen Stich- tags – dem 10. Dezember 1998, der Lesung des „Schein- selbstständigengesetzes“ – einen Stichtag erst nach dem In-Kraft-Treten des Gesetzes zu nehmen. Insgesamt ist es der Koalition gelungen, in dieser kom- plizierten Materie in allen strittigen Einzelpunkten Lö- sungen zu finden, die vernünftig, sachgerecht und trans- parent sind. Wir danken dabei insbesondere auch den beteiligten Sachverständigen für ihre konstruktive Mitar- beit. Dr. Irmgard Schwaetzer (F.D.P.): Der vorliegende Änderungsantrag der Regierungsfraktionen zur Versi- cherungspflicht von freiberuflichen Lehrern und selbst- ständigen Dozenten ist geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie SPD, aber auch die Grünen mit den Selbstständigen und freien Berufen in Deutschland umgehen. Die vielen Bedingungen, unter denen diese sich nach dem rot-grünen Antrag von der Versicherungspflicht sollen befreien kön- nen, führen im Ergebnis dazu, dass sich an der Sozialversicherungspflicht von selbstständigen Lehrern grundsätzlich nichts ändert. Während die SPD dies mit ei- nem vermeintlichen Schutzbedürfnis begründet, empfin- den die Betroffenen dies zu Recht als Bevormundung. Ich kann dazu nur schlicht feststellen: Der rot-grüne Gesetz- entwurf ist einer modernen Gesellschaft nicht würdig. Worum geht es im Kern? Aufgrund einer Norm aus den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts, im Jahre des Heils 1922, möchte die Bundesversicherungsanstalt für Ange- stellte selbstständige Lehrer und Dozenten in die gesetz- liche Rentenversicherung zwingen. Das eigentlich Inte- ressante daran ist: Nicht nur die Betroffenen, sondern auch offenbar die Bundesversicherungsanstalt selber wussten bislang nichts von der Existenz dieser Norm und damit von einer etwaigen Versicherungspflicht. Daher ist diese bislang auch nie angewandt worden. Aber es kommt noch besser: Jetzt fordert die Bundesversicherungsanstalt sogar Beitragsnachzahlungen von den Betroffenen ein, die exis- tenzbedrohende Ausmaße annehmen können. All dies soll nun durch den rot-grünen Antrag sanktioniert werden. Für die F.D.P. gilt demgegenüber: Entscheidend muss für Selbstständige die freie Wahl ihrer Vorsorgeform sein, wie auch eine freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzli- chen Rentenversicherung davon unbenommen bleibt. Da- her hat die F.D.P. einen eigenen Antrag vorgelegt. Erstens. Nach dem rot-grünen Antrag können sich all diejenigen nicht befreien lassen, die erst nach dem 2. Ja- nuar 1949 geboren sind und erst nach dem 10. Dezember 1998 eine private Rentenversicherung abgeschlossen ha- ben. Dies bedeutet: Sie müssen alle monatlichen Beiträge seit dem 1. Januar 1999 rückwirkend entrichten. Bei ei- nem Regelbeitrag von rund 865 DM pro Monat sind dies für die Jahre 1999 und 2000 allein 20 760 DM! Die F.D.P. fordert hiergegen: Da viele Versicherungs- pflichtige hiervon nichts wussten oder wissen konnten, sollte hier ein Stichtag nach In-Kraft-Treten dieses Geset- zes gewählt werden. Denn das Erfordernis, wonach bereits eine eigene Altersvorsorge aufgebaut worden sein müsse, kann – insbesondere in den neuen Bundes- ländern – nicht zum Tragen kommen. Dann werden auch die Nachforderungen obsolet. Zweitens. Die F.D.P. fordert, dass zur anerkannten Vor- sorge auch und gerade kapitalgedeckte Vorsorgeformen gehören müssen. So sollten zum Beispiel Kapitalversi- cherungen, die seinerzeit unter steuerrechtlichen Ge- sichtspunkten empfohlen worden sind, Berücksichtigung finden. Denn für die meisten Betroffenen sind etwa pri- vate kapitalgedeckte Lebensversicherungen deutlich günstiger. Auch kann es nicht angehen, dass zum Beispiel manche ihr Haus verkaufen müssten, um in die gesetzli- che Rentenversicherung einzuzahlen. Drittens fordert die F.D.P. darüber hinaus noch fol- gende Erweiterung: Der Gesetzgeber geht davon aus, dass alle Freiberufler, die einen versicherungspflichtigen Ar- beitnehmer beschäftigen, versicherungsfrei sind; denn sonst würde es keinen Sinn machen, diese Gruppe von der Befreiungsmöglichkeit auszunehmen. Allerdings vermag nicht einzuleuchten, dass freiberuflich tätige Pflegeperso- nen, die in der Wochenpflege oder in der Säuglingspflege tätig sind und einen versicherungspflichtigen Arbeitneh- mer beschäftigen, selbst versicherungsfrei sein sollen (§ 2 Nr. 2 SGB VI), während freiberuflich tätige Hebammen, die dieselbe Tätigkeit verrichten und einen versicherungs- pflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, gleichwohl ver- sicherungspflichtig bleiben sollen. Diese Ungleichbehandlung hat keine sachliche Recht- fertigung. Nicht nur Pflegepersonen beschäftigen häufig andere Pflegepersonen und überschreiten damit den Be- reich der höchstpersönlichen freiberuflichen Tätigkeit. Auch Hebammen betreiben Geburtshäuser und Entbin- dungsheime und beschäftigen dabei andere angestellte Hebammen. Insoweit besteht zwischen Pflegepersonen und Hebammen kein Unterschied, der eine unterschiedli- che gesetzliche Regelung der Versicherungspflicht recht- fertigen würde. Daher sollten Hebammen in die Reihe derer aufge- nommen werden, die bei Beschäftigung eines versiche- rungspflichtigen Arbeitnehmers versicherungsfrei sind. Denn was für Lehrer und Erzieher, was für Pflegeperso- nen gilt, kann Hebammen und Entbindungspflegern, schlechterdings nicht verwehrt werden. Ich bedaure, dass im Ausschuss für Arbeit und Sozial- ordnung unser Änderungsantrag von beiden Volksparteien, also nicht nur von SPD und Grünen, sondern auch von der Union abgelehnt worden ist. Offensichtlich bedeuten Ihnen der Fleiß, das Engagement und die Kreativität der freien Berufe nicht viel. Ich sichere den betroffenen Selbstständi- gen zu: Ab Herbst 2002 werden wir dies ändern. Pia Maier (PDS): Im Zusammenhang mit dieser SGB IV-Änderung hat die Regierungskoalition auch eine Änderung der Rentengesetzgebung beschlossen. Diese Änderung bewahrt wenigstens einige freiberufliche Leh- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Januar 200114186 (C) (D) (A) (B) rerinnen und Lehrer vor horrenden Nachzahlungen in die Rentenkasse, die vorher nicht absehbar waren. Ein Schritt in die richtige Richtung, aber ein viel zu kurzer Schritt. Zum Hintergrund: Freiberufliche Lehrkräfte sind Selbstständige und wurden schon in der Weimarer Repu- blik in die gesetzliche Rentenkasse aufgenommen. Aller- dings hatte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte diese Tatsache jahrzehntelang nicht zur Kenntnis ge- nommen und folglich auch keine Rentenbescheide ver- schickt. Die Honorarkräfte kann man für ihre Unwissen- heit hier sicher nicht in Haftung nehmen. Durch das Gesetz gegen die Scheinselbstständigkeit fiel die Versicherungs- pflicht wieder auf und die freiberuflich tätigen Lehrerin- nen und Lehrer, die nicht in der gesetzlichen Rentenversi- cherung waren, sollten massive Nachzahlungen leisten – es geht hier um mehrere Zehntausend DM. Für Menschen, die an Volkshochschulen lehren und zumeist in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, ist das verdammt viel Geld. Die Koalition hat nun den Vorschlag gemacht, ältere Honorarlehrkräfte, die eine andere Alterssicherung nach- weisen, von der gesetzlichen Rente auf Antrag auszuneh- men. Damit helfen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, nur einigen Härtefällen. Aber als Stich- tag haben Sie den 10. Dezember 1998 bestimmt, den Tag der Verabschiedung des Scheinselbstständigengesetzes. Und das bedeutet, dass nur diejenigen, die schon zu die- sem Zeitpunkt für sich eine anderweitige Altersvorsorge geschaffen hatten, befreit werden können. Das hilft all je- nen, die erst beim Erhalt ihres ersten Rentenbescheides aus allen Wolken fielen, überhaupt nicht und es stürzt viele Dozentinnen und Dozenten in finanzielle Notlagen. Besonders hart trifft es die freiberuflichen Lehrerinnen und Lehrer, die in der Annahme eine Alterssicherung ein- gegangen sind, dass ihnen eine gesetzliche Rentenversi- cherung nicht zustünde. Oftmals haben sie kaum eine Möglichkeit, aus dieser privaten Altersversorgung wieder heraus zu kommen. Im Gegensatz zu vielen Lehrerinnen und Lehrern, die Ihnen sicher auch in den vergangenen Wochen geschrieben haben, gehe ich davon aus, dass diese Honorarkräfte in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden soll- ten – und das selbstverständlich zu zumutbaren Bedingun- gen. Und darum müssen auch hier die Rahmenbedingun- gen für eine paritätische Finanzierung geschaffen werden. Sicher, eine Volkshochschule kann die Honorare nicht an- heben – jedenfalls nicht ohne eine direkte Umlage auf die Kosten für die Kursteilnehmer und -teilnehmerinnen. Dasselbe gilt auch für die Anbieter von Deutschkursen und andere Träger. Wenn das kostengünstige Bildungsangebot der Volkshochschulen weiter bestehen soll – wofür ich mich hier ausdrücklich ausspreche –, dann muss der Bund für den Arbeitgeberanteil seinen Beitrag leisten. In diesem Sinne hat die PDS-Fraktion einen Entschlie- ßungsantrag gestellt. Wir treten dafür ein, die Stichtagsre- gelung so zu verändern, dass die Dozentinnen und Dozen- ten keinerlei Nachzahlungen leisten müssen! Das ist der wichtigste Punkt, weil Nachzahlungsforderungen in bis zu fünfstelliger Höhe für die überwiegende Mehrheit der Be- troffenen existenzbedrohend sind. Außerdem fordern wir die Bundesregierung auf, eine Regelung zu schaffen, die vorsieht, dass der Bund – analog dem System der Künst- lersozialkasse – einen Zuschuss übernimmt, denn die jetzt geplante Regelung gefährdet nicht nur die Existenz der Dozentinnen und Dozenten, sondern auch das Kursangebot der Bildungsträger. Wenn Bildung von allen Fraktionen in .diesem Hause immer wieder eingefordert wird, dann dür- fen wir den Abbau der Bildungsangebote der Volkshoch- schulen nicht auch noch befördern. Gerade an den Volks- hochschulen hat schon immer das berühmte lebenslange Lernen stattgefunden und darum müssen wir dafür sorgen, dass sich auch weiterhin Menschen das VHS-Angebot leis- ten können, die zwar nur über einen schmalen Geldbeutel verfügen, die sich aber dennoch weiterbilden möchten. Aus all diesen Gründen fordere ich Sie auf: Stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu und tragen Sie da- mit zum Zustandekommen einer für alle Betroffenen so- zialverträglichen Lösung bei. Lassen Sie mich zum Schluss noch einige wenige Worte zum eigentlichen Gegenstand des Gesetzes verlie- ren: Die Versicherungsträger arbeiten schon lange nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Sie werden auch mit der Einführung von Kosten- und Leis- tungsrechnungen ihre Arbeit weiter gut leisten. Dass sie sich gegen eine Umstellung wehren, ist verständlich. Es gibt allerdings einen guten Grund, diese Umstellung zu fordern: Für die Aufsichtsbehörde ist die Arbeit einfacher, wenn überall nach denselben Grundsätzen geprüft werden kann. Und für die wenigen Bürgerinnen und Bürger, die es wagen, sich näher mit dem öffentlichen Haushaltswe- sen einzulassen, zum Beispiel um eine Kontrollfunktion in Aufsichtsgremien auch tatsächlich und nicht nur formal auszuüben, wird es auch einfacher: Hat man das System dann einmal verstanden, kann man es immer anwenden. Im Sinne des Abbaus und der Vereinfachung von Büro- kratie, im Sinne von Transparenz und Einflussmöglich- keiten der Bürgerinnen und Bürger sind gleiche Haus- haltsführungsgrundsätze ein Fortschritt. Und darum wird die PDS-Fraktion diesem Gesetzentwurf zustimmen. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entschließungsantrags: Wett- bewerbsbedingungen für die deutsche Tourismus- wirtschaft in Euro-Land (Tagesordnungspunkt 21) Rosel Neuhäuser (PDS): Seit dem Einbringen des Entschließungsantrags der F.D.P. zu Wettbewerbsbedin- gungen für die deutsche Tourismuswirtschaft im Euro- Land ist geraume Zeit vergangen. Seit dieser Zeit hat sich in der Entwicklung der Tourismusbranche einiges getan. Es gibt in den neuen Ländern eine positive Entwicklung. Nicht nur die Angebote, sondern auch der Umweltschutz haben im Ausbau und der Weiterentwicklung des Touris- mus in Deutschland einen wichtigen Platz eingenommen. Dieser Aufwärtstrend ist erfreulich, weil er unter an- derem für viele Menschen, besonders in strukturschwa- chen Regionen, einen wichtigen Faktor für Beschäftigung und wirtschaftlichen Aufschwung signalisiert. Aber we- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Januar 2001 14187 (C) (D) (A) (B) der Euphorie noch eindeutige Rückschlüsse sind in die- sem Zusammenhang berechtigt. Die Tourismuswirtschaft muss sich in den nächsten Jahren noch auf enorme Verän- derungen einstellen. Nicht nur die Einführung des Euro, sondern die Fragen des Strukturwandels und die Frage der Qualität der Angebote sind in der Entwicklung des Tou- rismus in Deutschland von ausschlaggebender Bedeu- tung. Zu allen Fragen kann ich keine Ausführungen machen. Daher stelle ich zwei Fragen in den Mittelpunkt, die aus meiner Sicht weiterzuentwickeln sind, die ich allerdings nicht ausführen kann. Erstens: die Frage der Arbeitsmarktsituation. Eine weite Anerkennung der beruflichen Abschlüsse aus mei- ner Sicht genauso notwendig wie die Schaffung von Dau- erarbeitsplätzen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Befristete oder auf dem zweiten Arbeitsmarkt funktionierende Strukturen sind auf Dauer keine Lösung. Deshalb fordere ich die Verantwortung auf, Lösungswege zur Lösung die- ser Frage zu suchen. Zweitens: die Fragen der Harmonisierung bzw. er- mäßigter Mehrwertsteuersatz für arbeitsintensive Arbei- ten. Über dieses Anliegen wurde bereits in der 13. Wahl- periode diskutiert. Es wurde von der F.D.P. abgelehnt. Inzwischen wurde der Inhalt von der Geschichte einge- holt. Entsprechend einer Initiative des Europaparlamentes ist es möglich, unter anderem arbeitsintensive Leistungen mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu belegen. Tatsächlich entschieden sich nur neun europäische Länder – ohne Deutschland –, diese Möglichkeit mit eventuellen positiven Auswirkungen für den Arbeitsmarkt wenigstens auszuprobieren. Wir sind uns in diesem Haus sicher darüber einig, dass Deutschland ein preiswertes, aber kein billiges Reiseland ist. Das deutsche Gastgewerbe sei insbesondere im Ver- gleich zu anderen EU-Mitgliedstaaten durch die Anwen- dung des vollen Umsatzsteuersatzes gravierend benach- teiligt. Es gibt Reiseländer in der EU, in denen die Preise kaum unter den Preisen in Deutschland liegen. Im Ge- genteil: Sie liegen höher. Die Umsatzsteuer ist ein Faktor, der preisbestimmend wirkt, aber in den seltensten Fällen ausschlaggebend ist für die Entscheidung, wo jemand Urlaub macht. Daher ist aus meiner Sicht eine Insellösung für Deutschland nicht sinnvoll. Meine Fraktion ist vielmehr der Überzeugung, dass die Harmonisierung aller Finanz- und steuerpoliti- schen Fragen im Rahmen der EU gelingen muss, um die Wettbewerbschancen zu gewährleisten. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zurBeratung des Antrags: UMTS-Milliarden für die Einführung einer kommunalen Investitions- pauschale des Bundes (Tagesordungspunkt 23) Hans Georg Wagner (SPD): Es ist wohl zu beklagen, dass die Verfahrensabläufe im Bundestag so sind, wie sie sind. Ende November 2000 hat der Bundestag mit den Stimmen der Koalition beschlossen, die Zinsersparnisse aus den UMTS-Verkäufen in einer Größenordnung von 15 Milliarden DM beginnend mit dem 1. Januar 2001 für ein dreijähriges Investitionsförderungsgesetz, das Zu- kunftsinvestitionsprogramm, zu verwenden. Im Wesentlichen geht es um Investitionen im Baube- reich: Straßenbau, Schienenausbau, Altbau-Energiesanie- rung, die soziale Stadt sowie um die Bildungs- und For- schungspolitik als Zukunftsprogramm für unsere Kinder. Dies war der politische Wille der Koalition. Dabei waren wir natürlich offen für Vorschläge der an- deren Fraktionen. Daher bedauere ich, dass der Antrag der PDS erst heute, zwei Monate nach dem Beschluss des Bundestages, diskutiert wird. Das haben eigentlich alle Fraktionen so nicht verdient. Der Antrag muss im Zusam- menhang mit anstehenden Entscheidungen diskutiert werden; deshalb will ich auch heute auf diese Überlegung noch eingehen. Die PDS fordert eine kommunale Investitionspau- schale von 3 Milliarden DM. Bei der zu Recht angespro- chenen Haushaltslage der Kommunen muss jedoch das Gesamttableau öffentlicher Haushalte betrachtet werden. Bei der Klage des Saarlandes und Bremens 1991/1992 wegen des bundesstaatlichen Finazausgleichs und ihre Haushaltsnotlage war ein Wesentliches Kriterium die Zinssteuerlastquote. Diese Quote muss man genau betrachten: Bund 21 Pro- zent, Länder 11 Prozent, Gemeinden 7 Prozent. Das heißt: Der Bund hat die schlechteste Haushaltslage aller deut- schen Gebietskörperschaften. Die kommunalen Haushalte unterliegen der Genehmi- gung der Länderinnenminister. Nur diese haben die Mög- lichkeit, die Haushaltszügel der Kommunen zu lockern, um damit Investitionen anzuregen. Die vom Zukunftsin- vestitionsprogramm ausgelösten Investitionen erfolgen ausschließlich in den Kommunen. Denn der Bau von 125 Ortsumgehungen dient eindeutig den Kommunen. Zudem erfolgt eine regionale Unterstützung der Bauwirt- schaft: Die Erhöhung der Städtebauförderungsmittel für die alten Bundesländer bei Beibehaltung der Förderung in den neuen Ländern und die Erhöhung der Mittel „Soziale Stadt“ sind eindeutig auf der Haben-Seite der Kommunen zu verbuchen. Ich erinnere an das Altschuldenhilfegesetz, das auch finanzielle Entlastungen für die Kommunen be- deutet. Deshalb konnten wir Ihre Forderungen, meine Damen und Herren Kollegen von der PDS-Fraktion, nicht in un- sere Überlegungen mit einbeziehen. Mir kommt es jedoch darauf an, Ihre Argumente aufzunehmen und mit Ihnen zu diskutieren, obwohl die Entscheidungen, wie Sie selbst wissen, längst getroffen sind. Peter Götz (CDU/CSU): Wir haben gut die Hälfte der Legislaturperiode hinter uns. Mit Fug und Recht können wir feststellen: Diese rot-grüne Regierung macht eine kommunalfeindliche Politik. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Januar 200114188 (C) (D) (A) (B) Der Umgang mit den UMTS-Erlösen ist nur ein gutes Negativbeispiel für rot-grüne Politik. Diese Regierung will die kommunale Selbstverwaltung immer weiter aus- höhlen und lebt alte sozialistische Staatsreflexe unge- hemmt aus: möglichst alles von der Zentrale her kontrol- lieren und steuern, kein Vertrauen in die Kreativität und das Verantwortungsbewusstsein der örtlichen demokrati- schen Gemeinschaften. Ich will Ihnen anhand einiger Zahlen die kommunal- feindliche rot-grüne Politik verdeutlichen. Die Daten kommen übrigens aus dem Hause von Finanzminister Eichel, der unverdächtig ist, Zahlen für die Argumenta- tion der Union liefern zu wollen. Zunächst zur Steuerschätzung vom November 2000. Danach verlieren die Kommunen von 2000 auf 2001 – von 112,2 Milliarden DM auf 110,2 Milliarden DM – 2 Milliarden DM. Das scheint auf den ersten Blick nicht dramatisch zu sein. Aber wenn wir die Auswirkungen aller Bundesgesetze, die seit 1998 verabschiedet wurden, auf die kommunalen Haushalte betrachten, dann ergeben sich für 2001 unmittelbare Einnahmeausfälle von knapp 6,5 Milliarden DM. Dazu kommen mittelbare Einnahme- ausfälle in Höhe von knapp 5 Milliarden DM, die sich au- tomatisch über den Mechanismus des kommunalen Fi- nanzausgleichs ergeben. Dies ergibt sich aus der DStGB- Dokumentation Nr. 16, 4. Januar 2001, auf der Grundlage von Zahlen des BMF. Die Bundesregierung hat den Kommunen seit 1998 fast 11,5 Milliarden DM aus den kommunalen Steuer- haushalten herausregiert. Das ist eine riesige Summe. Das Geld fehlt in den Städten und Gemeinden bei der Förde- rung von Vereinsarbeit, bei Investitionen in Schulen, Kin- dergärten und vielem mehr. Ein Weiteres kommt hinzu: Wenn wir uns über die Zu- kunft der Städte und Gemeinden unterhalten, dürfen den Kommunen nicht laufend neue Aufgaben übertragen und gleichzeitig die Gelder weggenommen werden. Es kann und darf nur nach dem Motto gehen: Wer bestellt, bezahlt. Ich möchte Sie an Ihre eigene Koalitionsvereinbarung erinnern. Dort steht: Wir wollen die Finanzkraft der Gemeinden stärken und das Gemeindefinanzsystem einer umfassenden Prüfung unterziehen. Aber genau das Gegenteil tun Sie hier im Deutschen Bundestag: Sie schaffen im- mer neue Gesetze zulasten der Kommunen und eine umfassende Prüfung des Gemeindefinanzsystems haben Sie bis heute nicht in Angriff genommen. Stattdessen handeln Sie regelmäßig gegen Ihre eige- nen Ankündigungen. Sie missbrauchen die kommu- nalen Haushalte als Verschiebebahnhof für originäre Aufgaben des Bundes. Lassen Sie ich nur einige Beispiele nennen – Basis ist die Steuerschätzung von Mai 1998 –: Das Steuerände- rungsgesetz 1998 kostet die Gemeinden im Jahre 2001 DM 1,66 Milliarden DM. Mit dem Steuerentlastungs- gesetz 1999 belasten Sie die Kommunen im Jahr 2000 und 2001 jeweils um weitere 1,06 Milliarden DM. Es geht noch weiter: Die Familienförderung, mit der Sie sich immer loben, finanzieren die Kommunen mit über 700 Millionen DM, das Steuerbereinigungsgesetz mit 305 Millionen DM. Die Einführung der Entfernungs- pauschale kostet die kommunalen Haushalte 135 Milli- onen DM. Aber die Ökosteuer streicht der Finanzminister ohne eine Miene zu verziehen ein. Und letztlich belastet die rot-grüne Bundesregierung mit dem so genannten Steuersenkungsgesetz die Kommunen mit 4,46 Milliar- den DM. Fast 100 Milliarden DM hat der Bund im letzten Jahr durch die Versteigerung der UMTS-Lizenzen eingenom- men, zum Teil zulasten der Kommunen. Es war nicht ver- wunderlich, dass daraufhin hier in Berlin viele gute Ideen zur Finanzierung wichtiger Aufgaben genannt worden sind. Letztendlich hat die Bundesregierung die gesamte Summe selbst in ihrem Haushalt belassen. Es wird ver- fahren nach dem Motto: Erst alles selbst kassieren, dann Weihnachtsmann spielen und an die braven Kinder ver- teilen. Die Haushaltsbalance zwischen Bund, Ländern und Gemeinden wird weiter verzerrt. Gewerbesteuerausfälle und Effekte aus dem Finanz- ausgleich treffen die Kommunen insgesamt, vor allem in einzelnen Gemeinden, auf dramatische Weise. Dies wird zunehmend konkret. Ich will Ihnen das am Beispiel des Amts Stahnsdorf, einer Gemeinde mit 12 000 Einwohnern in Brandenburg, einmal vor Augen führen: In dieser Ge- meinde sind Unternehmen angesiedelt, die UMTS-Lizen- zen ersteigert haben. Gewerbesteuereinnahmen der Ge- meinde von bisher jährlich über 4 Millionen DM fallen weg. Im Dezember 2000 ist die Gemeinde über ihre Ge- werbesteuervorauszahlung für 2001 informiert worden: Sie bekommt nichts, null. Der Grund ist das negative Be- triebsergebnis wegen der hohen an den Bund zu zahlen- den UMTS-Lizenzen. Ebenso wird es 2002 sein und wir wissen, dass diese Situation noch viele Jahre anhalten wird. Finden Sie das gerecht? Von den Steuermindereinnahmen für die Kommunen bei der Einkommensteuer habe ich noch gar nicht gespro- chen. Dies ist ein Beispiel aus den neuen Ländern, die dringend auf eigene kommunale Einnahmen angewiesen sind. Die Menschen in den neuen Ländern wollen keine Al- mosen. Aber sie haben einen Anspruch darauf, dass die Früchte einer erfolgreichen Kommunalpolitik nicht von Gerhard Schröder abkassiert werden. Die CDU/CSU-geführte Bundesregierung hat den Auf- bau Ost massiv betrieben. Dabei ging es vor allem um die Stärkung der Kommunen. Und es ist sicher kein Zufall, dass die wirtschaftlich besonders erfolgreichen Wachs- tumszentren in den neuen Ländern genau dort sind, wo die Christdemokraten in Ländern und Kommunen die politi- sche Verantwortung tragen. Und wie sieht es seit dem Regierungswechsel aus? In der rot-grünen Bundesregierung hat der Kanzler, im Ne- benberuf SPD-Parteivorsitzender, die Förderung der neu- en Länder zur Chefsache erklärt. Der Bundestagspräsi- dent, im Nebenberuf stellvertretender SPD-Vorsitzender, sagt nach gut zwei Jahren rot-grüner Regierungsverant- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Januar 2001 14189 (C) (D) (A) (B) wortung, die Neuen Länder stünden auf der Kippe. Was heißt das? Weder PDS noch Rot-Grün tun den neuen Län- dern gut. Zum Schluss will ich noch auf eine tagesaktuell anste- hende Parlamentsentscheidung und ihre Wirkung auf die Gemeinden, Städte, Kreise zu sprechen kommen: die Rentenreform. Ein klares Bild fehlt bis heute. Nur eines wird zunehmend deutlich: Sie planen einen erneuten An- griff auf die kommunalen Haushalte. Die so genannte Rentenreform wird die Kommunen nach Schätzung des Deutschen Städtetages weitere 3,2 Milliarden DM kosten. Völlig unakzeptabel ist für uns ihr Konzept für eine leistungs- und beitragsfreie Grundrente. Wenn sie so kommt, wie sie es sich vorstellen, bestrafen Sie alle, die für ihr Alter vorsorgen; denn wer vorsorgt, wird versorgt und wer nicht vorsorgt, wird auch versorgt. Dieses Gesetz hat katastrophale Folgen auf die Selbstverantwortung der Menschen für Ihre Altersvorsorge. Sozialistisches Gedan- kengut führt zum unmündigen Bürger. Wir haben ein an- deres Gesellschaftsbild. Die vorgeschlagene Grundversorgung hat auch kata- strophale Folgen für die Kommunen, die Sie für die Grundsicherung verantwortlich machen wollen. Erneut werden die Städte und Gemeinden zum Zahlmeister für großzügige Sozialleistungen des Bundes. Diesen Ver- schiebebahnhof machen wir nicht mit. Ein Weiteres kommt hinzu: Sie wollen bei den Kom- munen neue Grundsicherungsämter schaffen – zusätzlich zu den Sozialämter – das heißt neue Bürokratie. Und da- mit greifen Sie in die kommunale Organisationshoheit ein. Skandalös ist Ihre Arroganz gegenüber den kommuna- len Spitzenverbänden. Sie verweigern den Kommunen jede Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren in der Sache dieser Grundsicherungsämter. Die kommunalen Spitzenverbände müssen zumindest angehört werden. Sie hätten sogar schon bei der Erarbeitung des Referen- tenentwurfs beteiligt werden müssen. Aber das alles interessiert Rot-Grün nicht. Die Schaffung von Grund- sicherungsämtern greift empfindlich in die Sphäre der kommunalen Selbstverwaltung ein. Sie haben mit Ihrer rot-grünen Mehrheit im Bundes- ausschuss für Arbeit und Sozialordnung eine Einladung der kommunalen Spitzenverbände zu der heutigen An- hörung verweigert, weil Ihnen die Kommunen lästig sind. In Sonntagsreden das Hohe Lied der kommunalen Selbst- verwaltung singen und hier, wo die Entscheidungen zu treffen sind, genau entgegengesetzt handeln – dieses Spiel lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Die finanzielle Sicherung der Menschen im Alter ist keine kommunale Aufgabe. Sie darf auch keine kommu- nale Aufgabe werden. Lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Im Jahr 2000 gaben die Kommunen über 47 Prozent ihrer Steuer- einnahmen – 55 Milliarden DM – für soziale Leistungen aus. Im Jahr 2001 werden es über 50 % sein. Steigerungen sind vorprogrammiert. – Diese Leistungen sind übertra- gene Staatsaufgaben, die nach Bundesgesetzen von den Kommunen erledigt werden müssen. Für eigene Selbst- verwaltungsaufgaben bleibt immer weniger übrig. Die Bürgerinnen und Bürger werden bei der Gestaltung des örtlichen kommunalen Lebensraums zunehmend entmün- digt. Die im Grundgesetz garantierte kommunale Selbst- verwaltung bleibt auf der Strecke. Der Umgang mit den Erlösen aus den UMTS-Lizenzen ist also nur eines von vielen Beispielen für die sozialisti- sche Politik dieser rot-grünen Bundesregierung. Die 100 Milliarden DM haben Sie teilweise zulasten der Kommunen kassiert. Das ist unanständig. Geben Sie den Gemeinden das ihnen zustehende Geld zurück! Wir brau- chen in unserem Land lebensfähige Städte und Gemein- den, die eigenverantwortlich entscheiden können. Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Ge- rade auf dem Feld der Finanzpolitik macht es mir jedes Mal Freude, feststellen zu können, dass wir mit unserer Politik Erfolge haben und einfach besser als die Opposi- tion sind. Immer mehr hat sich die Finanzpolitik für uns als ein Heimspiel entwickelt. Der Erfolg unserer nachhaltigen und soliden Finanz- politik ist für jedermann greifbar: Wir haben wieder Ver- trauen in der Bevölkerung und in der Wirtschaft geschaf- fen. Die Konjunktur gewinnt an Fahrt, der Euro erholt sich, die Arbeitslosenzahlen sinken und die Beschäfti- gung steigt. Dies sind Fakten, die nicht kleingeredet wer- den können. Mit dem Haushalt 2001 halten wir an unserem Konso- lidierungskurs fest. Die Neuverschuldung wird weiter ge- senkt. Unser Zukunftsprogramm 2000 war im letzten Jahr keine einmalige Kraftanstrengung. Die Konsolidierung des Bundeshaushalts ist für uns vielmehr eine konsequent zu verfolgende langfristige Daueraufgabe. Ziel bleibt, in 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen und danach mit dem Schuldenabbau zu be- ginnen. Wir können nicht immer mehr Lasten auf zukünf- tige Generationen verschieben. Wir wollen den Schulden- berg überwinden und ihn nicht einfach hinnehmen – wie die alte Regierungskoalition es jahrelang getan hat. Er- folgloses Durchwursteln ohne echten Reformwillen und ohne Durchsetzungsfähigkeit wäre für die Zukunft Deutschlands tödlich. Gesunde Bundesfinanzen sind erforderlich. Bei unse- rer Regierungsübernahme vor zwei Jahren haben wir ein katastrophales Finanzchaos vorgefunden. Die Bundes- finanzen befanden sich nach 16 Jahren Kohl-Regierung in einer jämmerlichen Verfassung. In den letzten Jahren der Regierungskoalition hatte der Bundeshaushalt eine chronische Unterdeckung von 80 bis 90 Milliarden Mark. Waigel konnte die Haushaltslücken nur mit enormen Neuverschuldungen und Privatisierungs- einnahmen schließen. Mit einem Schuldenberg von 1,5 Billionen sitzen wir daher nun in der schwarz-gelben Schuldenfalle. Mehr als jede fünfte Steuermark müssen wir jährlich für Zinsen ausgeben. Das sind jährliche Steuerzahlungen der Bürger und Bürgerinnen in Höhe von 80 Milliarden DM. Diese Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Januar 200114190 (C) (D) (A) (B) Steuerzahlungen hat die alte Regierungskoalition zu ver- antworten. Ihre Rolle als Steuersenkungsparteien ist da- her völlig unglaubwürdig. Durch unseren Kurswechsel in der Finanzpolitik haben wir den Sinkflug bei der Neuverschuldung eingeleitet und die Handlungsfähigkeit des Staates wieder hergestellt. Schritt für Schritt bringen wir den Bundeshaushalt wieder in ein gesundes Gleichgewicht. Nun zu den Zukunftsinvestitionen mit Zinserspar- nissen aus UMTS-Einnahmen: Die UMTS-Einnahmen von 99,4 Milliarden DM haben wir, wie von Anfang an von uns gefordert, vollständig zur Tilgung von Bundes- schulden verwendet. Der Bund hat damit zum ersten Mal seit 1970 eine echte Nettotilgung geleistet. Die Bundesre- publik wird deshalb in diesem Jahr beim Schuldenstand mit 58 Prozent wieder unter der „Maastricht-Grenze“ von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen. Wir stellen damit erneut eindringlich die Solidität un- serer Finanzpolitik unter Beweis. Dies wird von unserer Bevölkerung auch anerkannt, was uns freut und die CDU-Opposition zunehmend ärgert. Sie kann nur noch durch haltlose persönliche Angriffe gegenüber unserem Bundesfinanzminister in Erscheinung treten, wie wir ge- rade diese Woche im Haushaltsausschuss feststellen konnten. Bei einem Schuldenberg von 1,5 Billionen ist Ihre Be- hauptung widersinnig, der Bundesfinanzminister würde in Geld schwimmen und könnte daher riesige Steuersen- kungen umsetzen. Mit der Tilgung bereinigen wir von den 16 Jahren Kohl-Regierung lediglich 18 Monate Schulden- aufwuchs. Weitere 170 Monate müssen noch aufgeholt werden. Immer steigende Zinsausgaben haben die Ausgaben für Zukunftsinvestitionen zunehmend beschnitten. Daher müssen wir die Investitionen verstärken, aber auch durch Sparen die Ursache der Investitionsbeschränkungen bekämpfen. Nur so können wir die Gestaltungsspielräume langfristig absichern. Nach dieser Leitlinie haben wir uns bei der Frage der Verwendung der UMTS-Einnahmen ausgerichtet. Die durch die Tilgung entstehenden Zinsersparnisse von rund 5 Milliarden DM wollen wir vorrangig für Zukunftsin- vestitionen einsetzen, die auch den neuen Ländern zugute kommen. Für die Umweltpolitik ist es ein großer Erfolg, dass neben Bildung und Forschung ein Löwenanteil für ökologische Investitionen zur Verfügung gestellt wird. Die Grünen haben sich schon immer für die Bahn stark gemacht. Daher freuen wir uns, dass die Mittel für die Schiene um 2 Milliarden DM aufgestockt wurden. Mit diesen Mitteln können wir sofort mit der Beseitigung von Langsamfahrstellen im Bestandsnetz beginnen. Die ehe- mals 200 Langsamfahrstellen sind auf über 1000 ange- wachsen. Dies hat verheerende Auswirkungen auf den Fahrplan und die Attraktivität der Bahn. Um die Zukunft der Bahn sicherzustellen, besteht hier ein dringender Handlungsbedarf. Ein ebenso dringender ökologischer Handlungsbedarf besteht bei der Energieeinsparung in Altbauten. Wie die Eisflächen am Nordpol zeigen, ist derzeit der Klimawan- del die größte umweltpolitische Herausforderung der Menschheit.Um unser Klimaziel zu erreichen, die C02-Emissionen bis 2005 gegenüber 1990 um 25 Prozentzu reduzieren, muss insbesondere der Trend zu steigenden C02-Emissionen im Bereich der privaten Haushalte ge-brochen und umgekehrt werden. Auch hier gilt, Durch- wursteln wie bei der alten Regierungskoalition geht nicht mehr.Daher legen wir in den nächsten Wochen mit einem Teil der Zinsersparnisse ein Altbausanierungsprogramm auf, mit dem wir die Trendumkehr erreichen. Wie beim Schuldenberg wollen wir auch hier einen Kurswechsel und nicht einfach die derzeitige Situation hinnehmen. Die Modernisierung Deutschlands im Sinne nachhalti- ger Politik ist eine gesamtstaatliche Aufgabe, die nur von allen staatlichen Ebenen gemeinsam bewältigt werden kann. Gerade für die neuen Länder sind Konzepte zu ent- wickeln, die gesamtstaatlich auch umsetzbar sind. Im Rahmen der nun anstehenden Diskussion zur Neuord- nung des Länderfinanzausgleichs und zur Fortsetzung des Solidarpakts wollen wir uns daher dafür einsetzen, dass die Rahmenbedingungen für die kommunalen Investitio- nen in den neuen Ländern nachhaltig verbessert werden. Mit der einmaligen Bereitstellung von 3 Milliarden DM ist den neuen Ländern nicht gedient. Hier benötigen wir vielmehr einen langen Atem. Gerhard Schüßler (F.D.P.): Das Anliegen, das dem Antrag der PDS zu Grunde liegt, ist nachvollziehbar und verdient im Grundsatz Unterstützung. Die ausreichende finanzielle Ausstattung der Gemeinden muss sichergestellt werden. Wir erleben viel zu oft, dass auf Bundes- oder Landesebene Gesetze beschlossen oder sonstige Maßnah- men getroffen werden, die zum Teil gravierende Auswir- kungen auf die kommunalen Finanzen haben. Trotzdem wird die F.D.P. dem vorliegenden Antrag nicht zustimmen. Ich will das begründen: Grundsätzlich ist die finanzielle Ausstattung der Gemeinden Länderangele- genheit. Eine kommunale Investitionspauschale, die ich grundsätzlich begrüße, muss von den Ländern beschlossen werden. Die Belange der ostdeutschen Gemeinden, die die PDS insbesondere anspricht, sollten eine wichtige Rolle im Rahmen des Solidarpaktes II spielen. Adressat dieser Forderung sind Bund und Länder. So weit zu diesem Antrag. Die Finanzverfassung und damit auch die finanzielle Ausstattung der Kommunen sind viel grundsätzlicher an- zugehen. Es wird immer weniger akzeptiert, dass zum Bei- spiel der Bund Gesetze beschließt, deren finanzielle Aus- wirkungen die Gemeinden zwar tragen müssen, dafür aber nicht genug Finanzzuweisungen von den Ländern erhal- ten. Auch ist das Geflecht von öffentlichen Aufgaben und Ausgaben mittlerweile undurchdringlich und unverständ- lich geworden. Im Rahmen des neu zu regelnden Länder- finanzausgleichs sollte daher nach Auffassung der F.D.P. auch die Finanzverfassung reformiert werden. Ziel dabei muss sein, die Aufgaben, die Ausgaben, aber auch die Ein- nahmen der verschiedenen Gebietskörperschaften zu ent- zerren. Bund, Länder und Gemeinden müssen wissen, mit welchen Ausgaben und mit welchen Einnahmen sie zu Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Januar 2001 14191 (C) (D) (A) (B) rechnen haben. Damit verträgt sich nicht das hochkompli- zierte Gefüge aus Gemeinschaftsaufgaben. Wir haben jetzt die einmalige Gelegenheit, unser Finanzsystem grundle- gend zu reformieren. Wir sollten diese Chance nutzen. Anlage 6 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 757. Sitzung am 1. De- zember 2000 beschlossen, gemäß Artikel 76 Absatz 2 Grundgesetz gegen den folgenden Gesetzentwurf keine Einwendungen zu erheben: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vor- schriften auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zi- vil- und Handelssachen Der Bundesrat hat in seiner 758. Sitzung am 21. De- zember 2000 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab- satz 2 Grundgesetz nicht zu stellen: – Gesetz zurEinführung einerEntfernungspauschale – Fünftes Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsge- setzes – Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2001 (Haushaltsgesetz 2001) – Gesetz zur Neuregelung der sozialversicherungsrecht- lichen Behandlung von einmalig gezahltem Arbeits- entgelt (Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz) – Gesetz zur Einführung des Euro im Sozial- und Ar- beitsrecht sowie zur Änderung anderer Vorschrif- ten (4. Euro-Einführungsgesetz) – Gesetz zur Einführung einer Vergütung der Mineralöl- steuer für die Land- und Forstwirtschaft (Agrardiesel- gesetz – AgrdG) – Gesetz zur Änderung des Versicherungsaufsichtsge- setzes, insbesondere zur Durchführung der EG- Richtlinie 98/78/EG vom 27. Oktober 1998 über die zusätzliche Beaufsichtigung der einerVersicherungs- gruppe angehörenden Versicherungsunternehmen sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro – Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errich- tung eines Fonds „Deutsche Einheit“ und des Geset- zes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern – Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ver- besserung der betrieblichen Altersversorgung – Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimm- rechtsausübung (Namensaktiengesetz – NaStraG) – Gesetz zu dem Gemeinsamen Protokoll vom 21. Sep- tember 1988 über die Anwendung des Wiener Über- einkommens und des Pariser Übereinkommens (Ge- setz zu dem Gemeinsamen Protokoll über die Anwendung des Wiener Übereinkommens und des Pariser Übereinkommens) – Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes ((Neuntes) Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes) – Gesetz über die Zusammenlegung des Bundesamtes fürWirtschaft mit dem Bundesausfuhramt – Gesetz über Funkanlagen und Telekommunikati- onseinrichtungen (FTEG) – Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2001 (ERP-Wirt- schaftsplangesetz 2001) – Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeits- verträge und zur Änderung und Aufhebung ar- beitsrechtlicher Bestimmungen Der Bundesrat hat in seiner 758. Sitzung am 21. De- zember 2000 beschlossen, zu dem vom Deutschen Bun- destag am 16. November verabschiedeten Gesetz einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen. Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Ent- schließung gefasst: Da das Gesetz in vielen Unternehmen die Betriebsor- ganisation, die betrieblichen Abläufe und die Kostensitua- tion beeinflussen kann, wird die Bundesregierung gebeten, dessen Wirkungen zu überprüfen und zwei Jahre nach In- Kraft-Treten des Gesetzes einen entsprechenden Bericht vorzulegen. In die Überprüfung sollte neben der Beschäf- tigungswirkung insbesondere einbezogen werden, ob – durch die Festlegung des Schwellenwertes auf 15 Ar- beitnehmer in § 8 Abs. 7 Kleinbetriebe mit bis zu 50 Arbeitnehmern übermäßig belastet werden, – aus Gründen der Rechtsklarheit eine Bezugnahme auf Vollzeitarbeitnehmer (statt Arbeitnehmer) in § 8 Abs. 7 erfolgen sollte, – die in § 8 Abs. 4 genannten betrieblichen Gründe ge- eignet sind, eine flexible und effektive Betriebsorga- nisation zu entwickeln bzw. beizubehalten und – die Regelung des § 7 Kleinbetriebe unzumutbar be- lastet. Der Bundesrat hat in seiner 758. Sitzung am 21. De- zember 2000 beschlossen, der Bundesregierung wegen der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 1999 (Jahresrechnung 1999) auf- grund der Bemerkungen des Bundesrechnungshofes Ent- lastung gemäß Artikel 114 des Grundgesetzes und § 114 der Bundeshaltsordnung zu erteilen. Die Fraktion der F.D.P. hat mit Schreiben vom 16. Ja- nuar 2001 den Antrag „Wehrpflicht aussetzen“ – Druck- sache 14/4968 – zurückgezogen. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2000 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 12 22 – Eisenbahnen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Januar 200114192 (C) (D) (A) (B) des Bundes – Titel 639 01 – Erstattungen von Verwal- tungsausgaben des Bundeseisenbahnvermögens – – Drucksachen 14/4295, 14/4440 Nr. 1.2 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2000 Überplanmäßige Ausgaben im Einzelplan 23 a) Kapitel 23 02 Titel 836 02 – Beteiligung der Bundes- republik Deutschland an Einrichtungen der Welt- bankgruppe – b) Kapitel 23 02 Titel 896 09 – Entwicklungswichtige, multilaterale Hilfen im Rahmen internationaler Ver- einbarungen zum weltweiten Umweltschutz – – Drucksachen 14/4296, 14/4440 Nr. 1.3 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2000 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 02 Titel 686 05 – Beiträge an nationale und internationale Organisatio- nen – bis zur Höhe von 14 200 TDM – Drucksachen 14/4297, 14/4440 Nr. 1.4 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2000 Weitere überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 05 02 Ti- tel 686 30 – Beitrag an die Vereinten Nationen – Drucksachen 14/4476, 14/4571 Nr. 1.4 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2000 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 11 13 Titel 646 21 – Erstattung von Aufwendungen der BfA aufgrund der Überführung von Zusatzversorgungssystemen in die Rentenversicherung in den neuen Ländern (einschließ- lich ehemaliges Ost-Berlin) – Drucksachen 14/4477, 14/4571 Nr. 1.5 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2000 Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapi- tel 11 13 Titel 656 26 – Beteiligung des Bundes in der knappschaftlichen Rentenversicherung – Drucksachen 14/4663, 14/4864 Nr. 1 – Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – Unterrichtung durch die Bundesregierung Berichte für die Europäische Kommission zur Umset- zung des Europäischen Sozialfonds in der Bundesrepu- blik Deutschland – Zeitraum 1997 bis 1999 – hier: Verwirklichung der Chancengleichheit von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt – Drucksachen 14/4091, 14/4308 Nr. 1.1 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit-geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla-gen bzw. Unterrichtungen durch das europäische Parla-ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratungabgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 14/4092 Nr. 2.1 Drucksache 14/4092 Nr. 2.2 Drucksache 14/4170 Nr. 1.4 Drucksache 14/4170 Nr. 1.10 Drucksache 14/4170 Nr. 1.11 Drucksache 14/4170 Nr. 1.12 Drucksache 14/4170 Nr. 2.16 Drucksache 14/4170 Nr. 2.19 Rechtsausschuss Drucksache 14/272 Nr. 17 Drucksache 14/2009 Nr. 2.7 Drucksache 14/3341 Nr. 2.37 Drucksache 14/3723 Nr. 2.1 Drucksache 14/4092 Nr. 1.3 Drucksache 14/4170 Nr. 1.5 Drucksache 14/4170 Nr. 2.45 Drucksache 14/4170 Nr. 2.81 Drucksache 14/4309 Nr. 1.18 Finanzausschuss Drucksache 14/4170 Nr. 2.34 Drucksache 14/4309 Nr. 1.20 Drucksache 14/4441 Nr. 1.15 Drucksache 14/4570 Nr. 2.7 Ausschuss fürWirtschaft und Technologie Drucksache 14/3859 Nr. 2.28 Drucksache 14/4170 Nr. 2.28 Drucksache 14/4170 Nr. 2.35 Drucksache 14/4170 Nr. 2.42 Drucksache 14/4170 Nr. 2.74 Drucksache 14/4441 Nr. 1.10 Drucksache 14/4441 Nr. 1.14 Drucksache 14/4441 Nr. 1.25 Drucksache 14/4441 Nr. 1.27 Drucksache 14/4441 Nr. 1.29 Drucksache 14/4570 Nr. 1.3 Drucksache 14/4570 Nr. 2.4 Drucksache 14/4570 Nr. 2.5 Drucksache 14/4570 Nr. 2.6 Drucksache 14/4570 Nr. 2.18 Drucksache 14/4570 Nr. 2.19 Drucksache 14/4570 Nr. 2.21 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 14/4570 Nr. 2.17 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 14/1188 Nr. 1.1 Drucksache 14/1188 Nr. 2.6 Drucksache 14/1579 Nr. 1.6 Drucksache 14/1579 Nr. 2.2 Drucksache 14/3428 Nr. 2.24 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 14/4309 Nr. 1.32 Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Drucksache 14/3859 Nr. 2.3 Drucksache 14/4092 Nr. 1.2 Drucksache 14/4092 Nr. 2.4 Drucksache 14/4092 Nr. 2.5 Drucksache 14/4092 Nr. 2.6 Drucksache 14/4170 Nr. 2.30 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 14/4309 Nr. 1.9 Drucksache 14/4309 Nr. 1.25 Drucksache 14/4570 Nr. 2.8 Drucksache 14/4570 Nr. 2.9 Drucksache 14/4570 Nr. 2.10 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Januar 2001 14193 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin Drucksache 14/4570 Nr. 2.11 Drucksache 14/4570 Nr. 2.15 Drucksache 14/4570 Nr. 2.16 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 14/4309 Nr. 1.6 Drucksache 14/4570 Nr. 1.6 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 14/3341 Nr. 2.11 Drucksache 14/3341 Nr. 2.19 Drucksache 14/3859 Nr. 2.20 Drucksache 14/4309 Nr. 1.41 Drucksache 14/4309 Nr. 1.45 Drucksache 14/4309 Nr. 1.49 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 14/3341 Nr. 1.1 Drucksache 14/4092 Nr. 2.10 Drucksache 14/4170 Nr. 2.29 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 144. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Januar 200114194 (C)(A)
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414400000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 sowie Zusatz-
punkt 9 auf:
15. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung

zu den Ergebnissen des Europäischen Rates
Nizza

ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union (22. Ausschuss) zu der
Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung des Europäischen Parlaments
mit seinen Vorschlägen für die Regierungskon-

(14094/1999 – C5-0341/1999 – 1999/0825 – Drucksachen 14/3723 Nr. 1.1, 14/4980 – Berichterstattung: Abgeordnete Michael Roth Peter Altmaier Christian Sterzing Dr. Helmut Haussmann Manfred Müller Zur Regierungserklärung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundeskanzler Gerhard Schröder. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Europäische Rat von Nizza hatte ein überragendes Ziel, nämlich die Europäische Union fähig zur Aufnahme von neuen Mitgliedstaaten zu machen. Wir Deutschen sind mit der festen Absicht nach Nizza gegangen, genau dies zu leisten. Ich stelle heute fest: Wir haben erreicht, was wir wollten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


(CNS))

Gerhard Schröder (SPD):
Rede ID: ID1414400100

Die Europäische Union wird zum Jahresbeginn 2003 in
der Lage sein, erste Neumitglieder aufzunehmen.

Nach der Schaffung des finanziellen Rahmens durch
die Agenda 2000 unter deutscher Präsidentschaft hat die
Europäische Union die zweite und damit letzte noch aus-
stehende Vorbedingung für die Beitritte neuer Mitglieder
erfüllt. Damit tritt der Erweiterungsprozess in ein neues
Stadium. Wir verlassen die Ebene, die bislang aus abs-
trakten Deklarationen und dem technischen Abgleich von
Verhandlungspositionen bestand. Von nun an geht es da-
rum, konkrete und für beide Seiten tragfähige Lösungen
in teilweise sehr schwierigen Sachfragen zu finden.

Ich bin am Tag vor dem Beginn des Gipfels in Nizza
sehr bewusst zu unseren polnischen Nachbarn und Freun-
den nach Warschau gefahren. Gemeinsam haben wir da an
das Lebenswerk von Willy Brandt erinnert. So wie
Adenauer der Architekt der Aussöhnung mit unseren
westlichen Nachbarn war, so ist die Öffnung der Europä-
ischen Union nach Mittel- und Südosteuropa ohne die
Friedenspolitik Willy Brandts nicht denkbar.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


Er hat den Grundstein dafür gelegt, dass heute in Eu-
ropa, wie er es in einem anderen Zusammenhang einmal
formuliert hat, zusammenwachsen kann, was zusammen-
gehört. Unsere Nachbarn in Mittel- und Osteuropa haben
die deutsche Einigung von Beginn an mit Sympathie be-
gleitet. Ohne ihre Mithilfe wäre sie wohl erst viel später
und unter sehr viel schwierigeren Bedingungen Wirklich-
keit geworden. Niemand in Mittel- und Osteuropa hat da-
für von uns Deutschen jemals Dankbarkeit oder eine Ge-
genleistung eingefordert. Trotzdem haben wir Deutsche
nicht vergessen, was unsere Nachbarn und Freunde zur
staatlichen Einheit unseres Landes beigetragen haben.

14111


(C)



(D)



(A)



(B)


144. Sitzung

Berlin, Freitag, den 19. Januar 2001

Beginn: 9.00 Uhr


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Nicht zuletzt deshalb weiß Deutschland um seine beson-
dere Verantwortung für das Gelingen des Erweiterungs-
prozesses. Die Freunde und Partner in Mittel- und Osteu-
ropa können also auf uns zählen.

Im Bewusstsein dieser Verantwortung bin ich im De-
zember von Warschau nach Nizza gefahren und habe
mich dort mit aller Kraft für eine faire Behandlung ge-
rade auch jener Länder eingesetzt, die nicht mit am
Verhandlungstisch saßen. Glaubwürdig und wirkungs-
voll konnte ich das nur tun, weil wir Deutsche in Nizza
eben nicht die nationale Karte gespielt, sondern ein für
alle Beteiligten akzeptables und gutes Ergebnis für Eu-
ropa gewollt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dass wir mit dieser Haltung auch im Hinblick auf deut-
sche Anliegen gleichwohl ein sehr befriedigendes Ergeb-
nis erzielt haben, unterstreicht nur, dass dieser Ansatz
richtig war.

Meine Damen und Herren, nicht alle Hoffnungen, mit
denen wir nach Nizza gegangen sind, haben sich am Ende
erfüllt. Wir hätten uns durchaus ein weiter reichendes Er-
gebnis etwa beim Übergang zu Mehrheitsentscheidun-
gen im Rat vorstellen können. Dass das nicht gelungen ist,
ist bedauerlich. Gleichwohl muss man anmerken, dass
auch wir in einigen Punkten politischen Grund hatten, zu
sagen, dass Mehrheitsentscheidungen noch nicht möglich
seien. Insofern haben wir nicht mit dem Finger auf andere
zu zeigen, sondern auch uns selbst zu sehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: So ist es!)


– Sie können ja gleich von dieser Stelle aus erklären, dass
Sie etwa in der Asylfrage sofort zu Mehrheitsentschei-
dungen übergehen wollen. Ich bin sehr gespannt darauf,
Herr Haussmann, ob Sie das wirklich wollen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sie müssen sagen, wenn es originell gemeint ist, damit Ihre Kameraden auch lachen!)


– Es reicht mir ja, wenn Sie lachen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)


Trotzdem fällt meine Bewertung des Gesamtergebnis-
ses von Nizza positiv aus. Ich wiederhole, dass das ent-
scheidende und zentrale Ziel erreicht wurde: Die Europä-
ische Union ist ab 2003 erweiterungsfähig. Nun liegt es an
den Kandidatenländern selbst, das Ziel, beitrittsfähig zu
werden, durch eigene Anstrengungen zu erreichen. Diese
Anstrengungen können und werden wir unterstützen; wir
können sie aber nicht ersetzen.

Auf deutsch-italienische Initiative hin hat die Regie-
rungskonferenz außerdem den Rahmen für die Zeit nach
Nizza abgesteckt. Damit ist klargestellt, dass die Diskus-
sion über Europa weitergehen wird. Viele Fragen stellen

sich in diesem Zusammenhang. Ich nenne nur die Kom-
petenzabgrenzung zwischen nationaler und europäischer
Ebene, die Gewaltenteilung zwischen den Brüsseler Insti-
tutionen, den künftigen Status der Grundrechte-Charta,
die Vereinfachung der Verträge oder auch die Rolle der
nationalen Parlamente.

Niemand muss uns darüber belehren, wie wichtig die
Beantwortung dieser Fragen ist. Gerade deshalb haben
wir uns in Nizza und auch davor so hartnäckig und
schließlich erfolgreich für eine umfassende Regierungs-
konferenz 2004 eingesetzt. Wenn wir diesen Fragen – es
handelt sich um europäische Verfassungsfragen – schon in
Nizza hätten noch näher treten wollen oder sie gar hätten
lösen wollen, dann säßen wir wohl heute noch dort und
dann würden die Beitrittskandidaten mit Fug und Recht
an unserer Bereitschaft zweifeln, die Türen der Europä-
ischen Union für neue Mitglieder tatsächlich aufzustoßen.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Es ist nur fair und red-
lich, die Kandidaten an der Diskussion über diese und an-
dere Zukunftsfragen und an der Regierungskonferenz
2004 zu beteiligen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zur Debatte steht nämlich die Ausgestaltung der Europä-
ischen Union, der auch diese Länder in wenigen Jahren
angehören werden.

Aber nicht nur die Kandidatenländer müssen wir ein-
beziehen. Die Brücke zur Regierungskonferenz 2004
kann nur eine breite öffentliche Diskussion im Vorfeld
dieser Konferenz schlagen. Es ist schlicht wahr, dass die
Menschen immer weniger etwas mit einem Europa auf
Rezept, verordnet von der Weltgeschichte, anfangen kön-
nen. Sie wünschen sich stattdessen ein Europa der besse-
ren Argumente, die man ihnen auch nahe bringt. Wir brau-
chen also eine europäische Öffentlichkeit. Dafür müssen
wir neue Formen der Beteiligung und der politischen De-
batte finden. Erste Vorarbeiten hierfür werden schon un-
ter schwedischem Vorsitz beginnen, der hierfür – und
natürlich für seine Arbeit überhaupt – unsere volle Unter-
stützung hat. Dies habe ich dem amtierenden Ratspräsi-
denten Persson zugesagt, als ich ihn über meine Reise
nach Moskau und das Treffen mit Präsident Putin unter-
richtet habe.

Die Europäische Union ist ein realer und wichtiger Fak-
tor bei der Ausgestaltung der internationalen Ordnung. In
diesem Sinne werden wir auch das transatlantische Ver-
hältnis mit dem neuen amerikanischen Präsidenten George
W. Bush gut und fruchtbar weiterentwickeln. Das steht für
uns fest und daran ist auch nicht zu rütteln.

Die europäische Einigung ist kein abstraktes Großpro-
jekt mehr, das sich hinter verschlossenen Türen im fernen
Brüssel oder in den Köpfen einiger Technokraten abspielt.
Spätestens mit dem Übergang zum Euro im nächsten Ja-
nuar wird Europa für die Menschen im wahrsten Sinne
des Wortes greifbar werden. Der Euro in Gestalt von
Münzen und Scheinen wird das Bewusstsein der Bürge-
rinnen und Bürger, zu einem Europa zu gehören, viel-
leicht stärker prägen als jeder Integrationsschritt vorher.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)





Bundeskanzler Gerhard Schröder
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(B)


Das wird natürlich – das ist auch verständlich – dazu
führen, dass die Menschen noch mehr Rechenschaft da-
rüber verlangen werden, wer in Europa was auf welcher
Grundlage und mit welchem Recht entscheidet. Die
Verantwortlichkeiten im Geflecht zwischen den Brüsseler
Institutionen, den nationalen Regierungen und Parlamen-
ten und den Regionen müssen klar und zurechenbar sein.
Die jüngsten Erfahrungen im Umgang mit BSE unter-
streichen diesen Ansatz ausdrücklich.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Das stimmt!)

Unser Drängen auf eine klare Abgrenzung der Kompe-

tenzen zwischen der europäischen Ebene und den Mit-
gliedstaaten ist deshalb alles andere als eine vertragstech-
nische Fleißarbeit. Es geht im Kern darum, das Fundament
der Legitimität europäischer Entscheidungen freizulegen
und, wo nötig, neu zu bestimmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Übrigens freue ich mich, dass in dieser Frage sehr weit-
gehend Übereinstimmung zwischen der Bundesregierung
und den Ländern besteht, und zwar unabhängig von der
Frage, wie sie, parteipolitisch gesehen, regiert werden.
Wir werden die Zusammenarbeit in dieser Frage weiter
vertiefen und werden im Vorfeld der Regierungskonfe-
renz 2004 und sicherlich auch während dieser Konferenz
in engem Kontakt mit den deutschen Ländern operieren.
Wir wissen, es muss nicht alles und jedes in Brüssel ent-
schieden werden. Wo es Sinn macht, Entscheidungen auf
die nationale oder auch regionale Ebene zurückzuholen,
darf es kein Tabu sein, auch darüber nachzudenken und
entsprechend zu verfahren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Umgekehrt muss aber auch klar sein: Kompetenz-
abgrenzung ist keine Einbahnstraße. Wo die europäischen
Lösungen bessere sind, müssen die europäischen Lösun-
gen auch verwirklicht werden. Das BSE-Problem zum
Beispiel hat eine europäische Dimension. Aber wir stehen
zugleich in nationaler Verantwortung. Dies gilt für den
Bund; aber das gilt auch für die Länder.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung hat erste notwendige Konse-
quenzen gezogen. Diesen klaren Kurs einer verbraucher-
orientierten Ausrichtung der Landwirtschaft werden wir
auch auf europäischer Ebene weiter vertreten.

Die Politik muss Befürchtungen und Sorgen der Bür-
gerinnen und Bürger ernst nehmen. Zwar ist es so, dass
eine breite Mehrheit in unserem Land die Erweiterung der
Europäischen Union unterstützt. Sie wissen, dass die
Erweiterung uns politisch wie wirtschaftlich immense
Chancen bietet.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das ist richtig, wenn man sie richtig macht!)


Alle in Europa werden von der Erweiterung profitieren,
ich füge hinzu: erst recht wir Deutschen.

Auf der anderen Seite wird die Erweiterung aber, zeit-
lich begrenzt und bezogen auf bestimmte Regionen, auch
Verwerfungen mit sich bringen – auch das muss man aus-
sprechen –, Verwerfungen, die wir nicht mit dem Verweis
auf die Großartigkeit des Projektes wegdrücken, verdrän-
gen oder auch nur verharmlosen dürfen; vielmehr müssen
diese Verwerfungen und die daraus resultierenden Belas-
tungen klar bezeichnet werden und dafür müssen
Handlungsoptionen entwickelt werden. Wir müssen kon-
sequent und frühzeitig gegensteuern und Verwerfungen
abfedern. Gerade auf die Grenzregionen kommen Anpas-
sungsprozesse zu. Wir wollen dabei helfen, diese zu be-
wältigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber nicht nur die Bundesregierung will helfen, sie zu
bewältigen; in Nizza ist es auf deutsche und österreichi-
sche Initiative hin gelungen, die Möglichkeiten zur För-
derung der Grenzregionen festzuschreiben. Ich denke, das
ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Von ausschlaggebender Bedeutung für den Arbeits-
markt und für den Strukturwandel wird aber sein, dass wir
das Problem der Freizügigkeit von Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern richtig lösen. Käme es im Zuge der
Erweiterung zu sofortiger umfassender Arbeitnehmer-
freizügigkeit, wären wir mit verstärktem Zuzug nach
Deutschland konfrontiert. Angesichts der noch immer viel
zu hohen Arbeitslosigkeit wird die Aufnahmefähigkeit
des deutschen Arbeitsmarktes bis auf weiteres erheblich
eingeschränkt sein.

Wir wissen aber auch, dass in den nächsten Jahren im-
mer mehr Arbeitnehmer aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden
werden. Im nächsten Jahrzehnt wird diese demographisch
bedingte Verringerung des Erwerbspersonenpotenzials bei
uns zunehmend spürbar werden. Spätestens dann werden
wir Zuwanderung dringend benötigen, um unseren Le-
bensstandard zu halten, aber auch um unsere sozialen Si-
cherungssysteme zu finanzieren.

Die richtige Lösung für das aktuelle Problem der Frei-
zügigkeit kann also nur eine befristete Übergangsrege-
lung sein. Vernünftige Übergangsregelungen liegen aber
genauso im Interesse der Beitrittskandidaten. Sie verhin-
dern soziale Spannungen und gewährleisten, dass Kandi-
datenländer ihre dringend benötigten qualifiziertesten
Fachkräfte nicht verlieren.

Eine derartige Übergangsregelung ist übrigens nichts
Neues in Europa. Auch bei der Erweiterung der Union um
Spanien und Portugal 1985 gab es die Sorge um eine zu
hohe Einwanderung billiger Arbeitskräfte. Damals wurde,
ebenso wie im Fall Griechenlands, eine siebenjährige
Übergangsfrist bis zur Gewährung der vollen Arbeitneh-
merfreizügigkeit beschlossen.

Der Investitions- und Wachstumsschub, den Spanien
und Portugal durch den Beitritt erhielten, führte dann
dazu, dass die spanischen und portugiesischen Arbeits-
kräfte zu Hause dringender gebraucht wurden als im Aus-
land. Ich bin überzeugt: Eine ähnliche wirtschaftliche Dy-
namik kann es in Mittel- und Osteuropa nach dem Beitritt
wieder geben.




Bundeskanzler Gerhard Schröder

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(B)


Die Erfahrungen aus den damaligen Beitritten sind ein-
deutig: Wir brauchen Übergangsregelungen mit nicht we-
niger, sondern mit mehr Flexibilität, und zwar einer Fle-
xibilität zugunsten der alten und zugunsten der neuen
Mitgliedstaaten. Dabei gilt der Grundsatz: Kein Kandida-
tenland darf diskriminiert werden, aber Differenzierungen
müssen möglich sein.

Ich habe deshalb am 18. Dezember 2000 für die Er-
weiterungsverhandlungen ein Fünf-Punkte-Konzept zur
Freizügigkeit vorgeschlagen:

Erstens. Eine angemessene Übergangsfrist mit einer
Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für sieben
Jahre.

Zweitens. Ein flexibles Modell, das die Verkürzung der
Übergangsfrist für einzelne Beitrittsländer zulässt. Hierzu
sind Pflichtüberprüfungen, also eine Art von Besichti-
gungsterminen, nach fünf Jahren erforderlich.

Drittens. Auf Antrag könnte bei geeigneten Kandida-
ten, wenn die Voraussetzungen vorliegen, bereits vorher
eine Aufhebung der Beschränkungen erfolgen.

Viertens. Bei allgemeinem und fachlichem Arbeits-
kräftemangel in den alten Mitgliedstaaten können diese
gemäß jeweiligem nationalen Recht bereits während der
Übergangszeit kontrollierte Zugangsmöglichkeiten schaf-
fen; das heißt: Flexibilität auch für unsere EU-Partner.

Fünftens. Parallel dazu brauchen wir schließlich für die
Dauer der Übergangsfrist eine Einschränkung der Dienst-
leistungsfreiheit in einigen Teilbereichen, insbesondere in
der Bauwirtschaft und im Handwerk.

Die Reaktion der Bürgerinnen und Bürger auf diese
Vorschläge bestärkt mich in der Überzeugung, dass wir
sehr wohl Unterstützung für den Erweiterungsprozess fin-
den, wenn wir die Anliegen und Sorgen der Menschen in
der eben gekennzeichneten Weise auch wirklich ernst
nehmen. Genau das tut die Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Denjenigen, die dieses Konzept kritisiert haben oder
weiterhin kritisieren, sage ich: Wir brauchen eine Legiti-
mation für den Erweiterungsprozess. Das gilt vor allen
Dingen für die Grenzregionen. Ohne diese Legitimation
und ohne Übergangsfristen wird es wirklich sehr schwie-
rig werden, die notwendige Zustimmung zu finden. Wir
alle miteinander haben nichts davon, wenn wir die Er-
weiterung nicht mit den Bürgerinnen und Bürgern, son-
dern gegen die vor allen Dingen Betroffenen durchsetzen
würden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Übrigens sind auch die ersten Reaktionen der Partner
in der Europäischen Union, einiger Beitrittskandidaten
und der Kommission durchaus ermutigend. Das ist wahr-
scheinlich auch deshalb so, weil die Beitrittskandidaten
selbst für Bereiche, die ihnen besondere Sorgen machen,
Übergangsfristen einfordern werden, vielleicht sogar wei-
ter reichende als diejenigen, die ich genannt habe. In die-
sem Punkt zueinander zu kommen ist Aufgabe des Ver-

handlungsprozesses, den der deutsche Kommissar Günter
Verheugen für die Kommission und damit für den Rat zu
führen hat. Ich bin zuversichtlich, dass wir auf der Basis
dieses Konzeptes eine Lösung finden können und werden.

Meine Damen und Herren, Beitrittsverhandlungen und
Verfassungsdiskussion, Erweiterung und Vertiefung – das
sind die großen Themen, die die Europa-Diskussion in
den kommenden Jahren prägen werden. Am Ende dieses
Jahrzehnts werden wir in einem anderen Europa leben. In
Nizza hat das alte Europa die Tür aufgestoßen zum neuen
Europa. Dieses Europa wird in der Welt mit einer Stimme
sprechen und auf dem Fundament einer gemeinsamen und
stabilen Währung ruhen. Es wird größer sein, muss aber
zugleich auch politisch enger verflochten sein und nach
meiner Überzeugung über eine verfassungsmäßige Grund-
lage verfügen. Der Weg dorthin ergibt sich keineswegs
zwangsläufig. Wir werden um dieses neue Europa wirk-
lich weiter kämpfen müssen. Unser entscheidender Part-
ner dabei war und ist Frankreich. Wir werden uns also
auch in den kommenden Wochen und Monaten eng mit
Paris abstimmen.

Warum geht es im Kern? Ich will es zuspitzen: Erwei-
terung und Vertiefung sind kein Gegensatz. Im Gegenteil,
die Erweiterung ist ohne weitere Integrationsschritte auf
Dauer nicht machbar. Ich bin fest davon überzeugt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nur die weitere konsequente Vertiefung wird den zentri-
fugalen Kräften in einer größeren Union entgegenwirken
können. Deutschland ist dazu bereit, Frankreich auch.
Präsident Chirac hat dies in seiner großen Rede hier im
vergangenen Jahr sehr deutlich gemacht. Wir brauchen
also weitere mutige Integrationsschritte. Zugleich müssen
wir die Kommission stärken. Diese Aufgabe ist nur im
deutsch-französischen Schulterschluss zu lösen.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Schön wär’s!)


Mit diesem Ziel werden Außenminister Fischer und ich
am 31. Januar nach Straßburg zum Treffen mit unseren
französischen Freunden fahren. Europa, denke ich, zählt
auf Deutschland und zählt auf Frankreich. Diese Erwar-
tungen werden wir nicht enttäuschen.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414400200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion.

Friedrich Merz (CDU/CSU) (von der CDU/CSU mit
Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Erwartungsgemäß haben Sie, Herr
Bundeskanzler, das Ergebnis des Europäischen Rates von
Nizza positiv bewertet.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Schöngeredet!)





Bundeskanzler Gerhard Schröder
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Wir schließen uns demgegenüber dem Urteil an, das fast
alle europapolitisch erfahrenen und sachkundigen Be-
obachter abgegeben haben und das auch in den Medien
– nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa – ganz
überwiegend abgegeben worden ist.

Die Vorbereitungen dieses Treffens der europäischen
Staats- und Regierungschefs waren so schlecht wie selten
zuvor. Die Verhandlungen waren geprägt von egoistischen,
nationalen Interessen, und das Ergebnis ist ernüchternd;
fast könnte man sagen: Es ist geradezu deprimierend.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Susanne Kastner [SPD]: Oje!)


Noch nie hat ein Gipfel der europäischen Staats- und
Regierungschefs so lange gedauert und noch nie ist so we-
nig dabei herausgekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Peter Hintze [CDU/CSU]: So ist es!)


Herr Bundeskanzler, Sie haben gerade von dieser Stelle
aus mit treuherzigem Gesicht all die Aufgaben beschrie-
ben, die Sie in Nizza eigentlich erledigen wollten.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Sie haben uns zu dem, was alles gemacht werden muss,
heute Morgen genau dasselbe gesagt, was Sie uns vor
Nizza gesagt haben. Im Abstand von einigen Wochen
könnte man es so zusammenfassen: Der kleinste gemein-
same Nenner der Einzelinteressen bestimmt Inhalt, Um-
fang und Grenzen dessen, was in Europa zurzeit möglich
ist. Europa ist gegenwärtig erkennbar ohne politische
Führung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nun sind die Ursachen dafür sicherlich sehr vielfältig.

Fortschritt in Europa zu erreichen, Erweiterung und
Vertiefung gleichzeitig zu begründen fällt offenkundig
schwer; vielleicht fällt es sogar schwerer als in früheren
Zeiten. Aber wäre es angesichts dieses Befundes nicht not-
wendig gewesen, die Gründe für die Probleme, die wir in
der Europäischen Union gegenwärtig haben, etwas sorg-
fältiger zu untersuchen, als dies heute Morgen in Ihrer
Regierungserklärung geschehen ist? Wäre es nicht gerade
nach den Erfahrungen von Nizza angezeigt gewesen, auch
über die Methode des Fortschritts für Europa nachzuden-
ken und konkrete Vorschläge für die Zukunft zu machen?

Herr Bundeskanzler, Sie sind, so meine ich jedenfalls,
über mindestens zwei Ursachen der Probleme, die die Eu-
ropäische Union gegenwärtig hat, einfach hinweggegan-
gen. Fortschritt in Europa – das wissen wir aus jahrzehn-
telanger Erfahrung – ist immer nur dann möglich, wenn
Deutschland und Frankreich gemeinsame Schritte gehen
und dabei auch Initiativen ergreifen. Jedenfalls müssen
sich diese beiden Gründungsländer der Europäischen
Union einig sein. Aber seit Ihrem Regierungsantritt vor
zwei Jahren ist das deutsch-französische Verhältnis so
schlecht, wie es seit Abschluss des Elysée-Vertrages vor
38 Jahren nicht gewesen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Zu allem Überfluss haben Sie, Herr Bundeskanzler,
zehn Tage vor Nizza hier im Deutschen Bundestag in ei-
ner Regierungserklärung ein größeres Stimmengewicht
im Rat gegenüber Frankreich zur entscheidenden Frage
– nicht zu einer von vielen, sondern zur entscheidenden
Frage – des institutionellen Gleichgewichts und der insti-
tutionellen Reformen gemacht. Sie mussten damit schei-
tern und Sie sind damit gescheitert und haben damit den
Gipfel in Nizza ohne Not belastet und überfrachtet.

Die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, sind doch
klar: Es gibt überall enttäuschte Erwartungen, der Ver-
druss über Europa weicht nicht etwa einer neuen Zuver-
sicht, sondern europäisches Handeln findet offenkundig
immer mehr gegen den erklärten Willen eines größeren
Teils der Bevölkerung statt. Müssen wir uns nicht darüber
im Klaren sein, dass gerade in offenen und demokrati-
schen Gesellschaften solche fundamentalen Veränderun-
gen nicht gegen die, sondern nur mit den Menschen zu er-
zielen sind?

Nun sprechen Sie in Ihrer Regierungserklärung – si-
cherlich mit guten Gründen – von der Notwendigkeit, eine
europäische Öffentlichkeit herzustellen. Ich stimme Ih-
nen ausdrücklich zu, dass dies notwendig ist. Aber, Herr
Bundeskanzler, wie wollen Sie denn Öffentlichkeit her-
stellen, die doch ein Mindestmaß an Verstehen wenigstens
der interessierten Öffentlichkeit voraussetzt, wenn die
handelnden Akteure in Nizza zum Schluss selbst gar nicht
mehr wussten und auch nicht mehr verstanden, was sie da
eigentlich beschlossen haben?


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Bis heute nicht!)


Bis zum heutigen Tage, fast sechs Wochen nach Ab-
schluss des Vertrages, streiten die Beteiligten um Einzel-
heiten, die sie doch in Nizza so einvernehmlich beschlos-
sen haben wollen.

Unser Fazit lautet daher: Die Fragen bezüglich der in-
stitutionellen Reform, die in Nizza auf der Tagesord-
nung standen und deren Beantwortung von der Bundesre-
gierung als Voraussetzung für das Funktionieren einer
Union mit 25 oder 27 Mitgliedern bezeichnet worden ist,
sind nicht wirklich beantwortet worden. Wir haben es
auch nach Nizza leider mit so genannten „leftovers“, mit
nicht gelösten großen Problemen, zu tun.

Lassen Sie mich konkrete Beispiele nennen, Herr
Außenminister. Das Abstimmungsverfahren im Rat ist
komplizierter denn je zuvor,


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das kann man nicht bestreiten!)


sodass es der interessierten europäischen Öffentlichkeit
nicht einleuchtend erklärt werden kann. Rund 70 Gegen-
stände müssen im Rat nach wie vor einstimmig entschie-
den werden. Dabei waren wir uns doch einig, dass gerade
bei der Abkehr vom Erfordernis der Einstimmigkeit ein
Durchbruch notwendig gewesen wäre. 20, möglicher-
weise bis zu 27 Kommissare werden in Zukunft in der Eu-
ropäischen Kommission Verantwortung tragen.


(Joachim Poß [SPD]: Das hätten Sie alles bestimmt verhindert, wenn Sie verhandelt hätten!)





Friedrich Merz

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Was aber aus meiner Sicht noch schwerwiegender ist:
Das Europäische Parlament wird möglicherweise bis zu
900 Mitglieder haben. Es wird der Fall auftreten, dass
größere Staaten, die neu hinzukommen, weniger Mandate
erhalten als kleinere Staaten, die heute schon Mitglied der
Europäischen Union sind. Sie können doch nicht im Ernst
behaupten, dass dies nun der große Erfolg war, den wir
uns alle von Nizza erhofft hatten und der auch nötig ge-
wesen wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Bei aller notwendigen und berechtigten Kritik will ich

die wenigen positiven Ergebnisse des Europäischen Rates
von Nizza nicht verschweigen.


(Gernot Erler [SPD]: Aha! Jetzt wird es realistischer!)


Wenn es diese Ergebnisse nicht gäbe und wenn wir die
Tragweite von Nizza für die Erweiterung der Europä-
ischen Union nicht zu bedenken hätten, dann wäre die
Entscheidung über Zustimmung oder Ablehnung der Ra-
tifikation des Vertrages längst gefallen. Es ist in diesem
Zusammenhang natürlich positiv festzustellen, dass die
Proklamation einer Europäischen Grundrechte-
Charta gelungen ist. Wir bewerten es auch durchaus po-
sitiv, dass die verstärkte Zusammenarbeit vereinfacht
worden ist. Ich bin auch mit Ihnen, Herr Bundeskanzler,
der Auffassung, dass es richtig war, den Zeitplan und den
Inhalt eines Post-Nizza-Prozesses festzulegen.

Ich will Ihnen zu dem Zeitplan aber ausdrücklich sa-
gen: Wir halten es für einen großen politischen Fehler,
dass die Staats- und Regierungschefs in Nizza beschlos-
sen haben, diesen Prozess erst im Jahre 2004 zu beginnen.


(Gernot Erler [SPD]: Wann denn sonst?)

Die weitere Diskussion in der Europäischen Union und

die Vorbereitungen für einen nächsten Schritt lassen uns
aber keine Zeit bis zum Jahre 2004. Diese Arbeiten müs-
sen heute, im Jahre 2001, beginnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Joachim Poß [SPD]: Sie beginnen ja auch!)


Das Minimalergebnis von Nizza bedeutet zunächst,
dass die Europäische Union ihr Versprechen, bis zum
1. Januar 2003 die notwendigen institutionellen Reformen
für die Aufnahme neuer Mitglieder anzupacken, nicht
vollständig eingelöst hat. Wir dürfen aber die Versäum-
nisse von Nizza nicht auf dem Rücken der neuen Bei-
trittsländer austragen. Wenn also der Erweiterungsfahr-
plan eingehalten werden soll – wir von der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion wollen ihn einhalten, weil wir
nicht nur um die ökonomische, sondern auch um die poli-
tische Dimension der Osterweiterung der Europäischen
Union wissen –, dann sind Nachbesserungen unverzicht-
bar.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es geht dabei nicht nur um die ungelösten institutionellen
Fragen. Es geht eben auch um die seit dem Berliner EU-
Gipfel vom März 1999 bis heute nicht wirklich umge-
setzten Reformentscheidungen in der gemeinsamen

Agrarpolitik. Es geht auch um die finanzielle Absicherung
der Osterweiterung.

Lassen Sie mich aber noch einmal auf den so genann-
ten Post-Nizza-Prozess zurückkommen, also auf das, was
nach dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs von
Nizza nun zu geschehen hat. Nach der Reform ist vor der
Reform. Dies ist eine der wenigen positiven Botschaften
von Nizza. Wir begrüßen daher die Erklärung zur Zukunft
der Union. Wir begrüßen insbesondere den Beschluss,
eine weitere Konferenz durchzuführen, um die Zustän-
digkeitsverteilung zwischen der Europäischen Union und
den Mitgliedstaaten, die Neugestaltung der Verträge, die
Rolle auch der nationalen Parlamente in der Architektur
Europas und den Status der Charta der Grundrechte fest-
zulegen.

Europa braucht, wie wir es seit langem fordern, einen
Verfassungsvertrag. Aber welche Inhalte soll denn ein
solcher Verfassungsvertrag haben? Die Antwort auf die
Frage nach den Inhalten eines solchen europäischen
Verfassungsvertrages sind die Staats- und Regierungs-
chefs in Nizza ebenfalls schuldig geblieben.

Die wichtigste Frage lautet: Wozu brauchen wir Eu-
ropa und wie viel Europa wollen wir? Es geht um das ge-
netische Programm der Europäischen Union. Welches
Selbstverständnis, welches Ziel soll die Europäische
Union haben und wie sollen ihre Grenzen definiert wer-
den? Ist eine Union mit möglicherweise 27 oder gar mehr
Mitgliedern als ein homogener Staatenverbund mit glei-
chen Rechten und gleichen Pflichten für alle überhaupt
noch zusammenzuhalten?


(Gernot Erler [SPD]: Deine Leute schlafen ja ein!)


Der Hinweis auf Kerneuropa, den Wolfgang Schäuble
und Karl Lamers schon 1994 gegeben haben, ist damals
bei vielen auf große Vorbehalte gestoßen.


(Zuruf von der PDS: Zu Recht!)

Heute ist uns allen klar, dass das Europa der sechs

Gründungsmitglieder nicht nur institutionell und poli-
tisch, sondern auch in seiner Werteorientierung ein ande-
res Europa war als das heutige oder das künftige. Unsere
Frage lautet: Muss der Kerneuropagedanke nicht zwin-
gend zum unverzichtbaren Strukturmerkmal einer Euro-
päischen Union der Zukunft werden?

Ein weiterer Baustein wird die Kompetenzabgrenzung
sein. Europa ist dort stark, wo es sich auf die Aufgaben
konzentriert, die im gemeinsamen Handeln der Europäer
besser gelöst werden können als im nationalen Allein-
gang. Maßstab für uns bleibt dabei das Subsidiaritäts-
prinzip. Zu den wesentlichen Aufgaben der Europäischen
Union gehören zum Beispiel die Sicherung des Binnen-
marktes, aber ganz gewiss auch die Außenpolitik, die Si-
cherheitspolitik und die Verteidigungspolitik, außerdem,
Herr Bundeskanzler, die Asyl- und Flüchtlingspolitik und
grenzüberschreitender Umweltschutz. Demgegenüber
gehören – das müsste uns doch eigentlich klar sein – Be-
reiche wie zum Beispiel Beschäftigung, Bildung, Ge-
sundheit, Sport, Fremdenverkehr, Raumordnung – alles




Friedrich Merz
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(A)



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Bereiche, um die sich die Europäische Kommission zum
Teil sehr intensiv kümmert – eindeutig in die nationale
Verantwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Gernot Erler [SPD]: Du musst Antworten geben und nicht immer Fragen stellen!)


Nach den Erfahrungen mit Regierungskonferenzen
– Nizza steht da nicht allein – mehren sich die Stimmen,
die fordern, das Projekt des europäischen Verfassungs-
vertrages nicht erneut den Regierungen zu übertragen.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Konvent!)

Aus dem Europäischen Parlament hören wir sogar die
Forderung, den Regierungen die Verantwortung für alle
künftigen europäischen Reformprojekte zu entziehen.
Herr Bundeskanzler, auch das ist ein Hinweis auf das Er-
gebnis von Nizza und darauf, welchen Eindruck Sie dort
bei den Parlamentariern hinterlassen haben.


(Zuruf von der SPD: Und was sagen Sie?)

Ich sage jedenfalls: Für die Ausarbeitung eines euro-

päischen Verfassungsvertrages macht es Sinn, darüber
nachzudenken, ob denn nicht etwa nach dem Vorbild des
Grundrechtekonvents erneut ein Projekt auf die Tages-
ordnung gesetzt wird, das für eine umfassende Beteili-
gung der Parlamente, natürlich der Regierungen, aber
auch der Nichtregierungsorganisationen und vor allem
der Bürger der Europäischen Union genügend Raum
schafft.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wenn wir uns einem solchen Verfassungsvertrag nähern,
dann will ich doch daran erinnern, wie die ersten Worte
der amerikanischen Verfassung lauten. Dort steht: „We,
the people“ – wir, das Volk – und nicht: „We, the govern-
ment“, wir, die Regierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oje!)


Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal darauf hin-
weisen: Diese Aufgaben der Europäischen Union dulden
keinen Aufschub bis in das Jahr 2004. Wir wollen ein star-
kes, ein handlungsfähiges Europa dort, wo die europä-
ische Handlungsfähigkeit unseren gemeinsamen europä-
ischen Interessen entspricht. Je besser und je früher dies
gelingt, umso mehr wird Europa die Zustimmung der
Menschen gewinnen, sie auch dort zurückgewinnen, wo
sie verloren gegangen ist, und umso besser wird es in Zu-
kunft um Demokratie, Freiheit, Frieden, Wohlstand und
Gerechtigkeit in Europa bestellt sein.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Gernot Erler [SPD]: Nur eine Schlaftablette wirkt besser! Das hätte mein kleiner Bruder besser gemacht!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414400300
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Joachim Poß, SPD-Fraktion.


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1414400400
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Heute Morgen sollte es eigentlich um die Zu-
kunft Europas gehen, nicht um eine Polemik gegen die
Bundesregierung, Herr Merz.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Ich weiß nicht, wie man nach der Regierungserklärung
des Bundeskanzlers so grundlegend das Thema verfehlen
kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber Sie haben schon im letzten Satz Ihrer Rede im De-
zember angekündigt, woran Sie die Bundesregierung, ins-
besondere den Bundeskanzler, messen würden. Das ha-
ben Sie hier einzulösen versucht. Sie haben damals zu
verstehen gegeben, dass Sie möglicherweise unzurei-
chende Fortschritte ausschließlich der Bundesregierung
zur Last legen würden. Herr Merz, Sie übertünchen damit
die Orientierungslosigkeit Ihrer Partei. Wir werden ja se-
hen, ob auf Ihrem Landesparteitag in Nordrhein-West-
falen der Antrag gegen die Ratifizierung der Beschlüsse
von Nizza eine Mehrheit erhalten wird. Das wird eine
ganz spannende Frage sein, Herr Merz. Wir werden genau
beobachten, wie Sie dort agieren werden, ob Sie zum Bei-
spiel ein solches Risiko in Kauf nehmen werden.

Sie brauchen, was die Haltung der CDU/CSU angeht,
nur die Tickermeldungen vom 11. Dezember zu nehmen:
„Nach Nizza geht es voran“, das war die Reaktion der
CSU, und zwar von Herrn Goppel. Bei Reuters war zu le-
sen: „Gipfelergebnis löst in der Union gegensätzliches
Echo aus. Während CSU-Chef Edmund Stoiber von ei-
nem entscheidenden Schritt nach vorn sprach, übte die
CDU-Vorsitzende Angela Merkel scharfe Kritik. Der
große Wurf für Europa ist nicht gelungen, sagte Frau
Merkel.“


(Michael Glos [CDU/CSU]: Da hat Sie Recht!)


Herr Merz hat sich damals in dem Sinne geäußert, wie es
heute Morgen hier wieder zu hören war.

Nein, meine Damen und Herren von der CDU/CSU,
bei den unbestreitbaren Verdiensten, die Sie und insbe-
sondere der ehemalige Bundeskanzler in der Europapoli-
tik haben, machen Sie es sich mit einer solchen Rede, wie
sie Herr Merz heute Morgen hier gehalten hat, viel zu ein-
fach. Das ist eigentlich unter Ihrem Niveau.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gernot Erler [SPD]: Peinlich, peinlich!)


Sie kritisieren den Zeitpunkt 2004, Herr Merz. Wir sind
mitten im Post-Nizza-Prozess. Jeder Schritt, der dazu
stattfindet – der Bundeskanzler hat von einigen gespro-
chen –, ist Bestandteil dieses Prozesses. So viel hätten Sie
in der Tat im Europaparlament lernen können, Herr Merz.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)





Friedrich Merz

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(C)



(D)



(A)



(B)


Sie wiederholen die strategischen Fehler, die Sie schon im
letzten Jahr gemacht haben.

Zunächst einmal ist doch festzuhalten: Die Bundesre-
gierung hat in Nizza gut verhandelt, und zwar im europä-
ischen wie im deutschen Interesse.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Helmut Hausmann [F.D.P.]: Falsch! Weder noch!)


– Herr Hausmann, Sie und andere wissen es doch: Sie hat
das erreicht, was in dieser konkreten Verhandlungssitua-
tion möglich war. Leider konnte auch die Bundesregie-
rung nicht verhindern, dass das Ergebnis von Nizza hinter
unseren Erwartungen zurückgeblieben ist. Aber ohne das
große Engagement von Bundeskanzler Gerhard Schröder
wären die Fortschritte noch geringer gewesen. Das wird
allmählich überall in Europa anerkannt, meine Damen
und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDSNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Wo denn?)


– Ich komme darauf noch zurück.
Man muss so ehrlich und realistisch sein anzuerken-

nen, dass nur durch die Einigung in letzter Minute ein
Scheitern des Gipfel von Nizza verhindert werden konnte.
Die Strategie der Bundesregierung und der anderen
Regierungen, ein Scheitern des Gipfel auf jeden Fall zu
verhindern, war richtig. Ein Scheitern hätte niemandem
genutzt und der europäischen Integration mit Sicherheit
geschadet.

In der Tat haben die Ergebnisse, wenn man sie sich
konkret anschaut, nicht die nötige umfassende institutio-
nelle Reform der EU gebracht, und der Bundeskanzler
hat das in seiner Regierungserklärung überhaupt nicht
verschwiegen. Insoweit haben die Kritiker des Ergebnis-
ses von Nizza sicherlich Recht. Aber die Ergebnisse von
Nizza werden ausreichen, um die Vertiefung und Er-
weiterung der Europäischen Union voranzutreiben.
Wenn diese Änderungen ratifiziert werden, gibt es keine
formellen Hindernisse auf dem Weg zur Erweiterung der
EU mehr.

Also: Das drängendste Ziel des Gipfels von Nizza, die
Voraussetzungen für die Erweiterung zu schaffen, wurde
damit erreicht. Das wird in den Beitrittsländern so gese-
hen und auch entsprechend beurteilt. Deswegen wird der
Gipfel insgesamt positiv bewertet. Insbesondere in Ost-
europa wird die Verhandlungsführung der Bundesregie-
rung und des Bundeskanzlers sehr gewürdigt, nicht zu-
letzt in Polen. Darauf können wir stolz sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die im Einzelnen erzielten Ergebnisse sind differenziert
zu betrachten. Die Fortschritte beim Übergang zu Abstim-
mungen mit qualifizierter Mehrheit im Rat werden die Ar-
beit der EU befördern und uns ohne Frage weiterbringen,


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Wohin denn?)


sind aber insgesamt zu gering, Herr Haussmann. Insbe-
sondere in den Bereichen Steuern, Gemeinsame Außen-
und Sicherheitspolitik,


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Handel!)

Sozialpolitik, bei den Strukturfonds und der gemeinsa-
men Handelspolitik sind die erzielten Ergebnisse nicht
ausreichend.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Leider! Leider!)


Dass die Anwendung der verstärkten Zusammenar-
beit, das heißt die Möglichkeit, dass Mitgliedstaaten im
Rahmen der EU Integrationsfortschritte machen können,
ohne dass alle Mitgliedstaaten daran mitwirken, verbes-
sert worden ist, ist zu begrüßen. Hier sind wir einen
Schritt weitergekommen. Das werden Sie sicherlich ak-
zeptieren.

Beschlüsse im Ministerrat werden durch die neuen
Entscheidungsverfahren nicht einfacher. Aber hierzu
sage ich – Herr Merz hat sich schon darauf eingelas-
sen –: Eine fundierte Bewertung dieser Frage ist erst
dann möglich, wenn erste Erfahrungen mit den modifi-
zierten Entscheidungsprozeduren gesammelt worden
sind.

Die Tage von Nizza haben uns allen im Parlament, un-
seren Kollegen im Europäischen Parlament wie auch den
Bürgerinnen und Bürgern in Europa mit fast schmerzhaf-
ter Deutlichkeit gezeigt, wie schwierig es ist, in der
Europäischen Union derzeit substanzielle Fortschritte zu
erzielen. Dabei ist es nur bedingt eine Entschuldigung,
dass es in Nizza um nichts Geringeres als die Teilung
bzw. Neuaufteilung von Macht und Einfluss zwischen
den Mitgliedstaaten und den unterschiedlichen Institutio-
nen ging.

Leider – das hat Nizza gezeigt, das will niemand weg-
diskutieren – spielen nationale Egoismen immer noch
eine zu bestimmende Rolle, während eigentlich die Ein-
sicht in die Notwendigkeit einer schnellen grundlegenden
Reform der Europäischen Union und ihrer Institutionen
vorherrschen müsste.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb werden wir zunächst einmal mit den erzielten

Ergebnissen leben müssen. Vor diesem Hintergrund ist es
mit Sicherheit nicht hilfreich, aus Unzufriedenheit das Er-
gebnis von Nizza als unzureichend abzulehnen. Ich
glaube nicht, dass sich der Europäische Rat durch eine
Nichtratifizierung der Nizza-Ergebnisse zu größeren
Fortschritten beim Umbau der Europäischen Union und
ihrer Institutionen bewegen ließe.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Man muss es versuchen!)


Im Gegenteil: Divergierende Tendenzen in der EU wür-
den, Herr Haussmann, vermutlich weiter gestärkt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Noch schlimmer ist, dass eine Nichtratifizierung ein

historisch verheerendes Signal an die Beitrittsländer




Joachim Poß
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(D)



(A)



(B)


wäre. Auch Sie von der F.D.P. können das nicht wollen,
Herr Haussmann,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Im Gegenteil!)


weil dies mit Sicherheit einen Aufschub des Erweite-
rungsprozesses nach sich ziehen würde. Angesichts von
Nizza in Larmoyanz zu verfallen oder Europaskepsis zu
kultivieren ist keine Haltung, die den Herausforderungen
der Zukunft gerecht würde. Die Beitrittskandidaten haben
ein Recht darauf, dass die Europäische Union den Bei-
trittsprozess mit Vernunft, Augenmaß, aber auch mit
ganzer Kraft weiterführt.

Die Ergebnisse von Nizza sind nicht das letzte Wort.
Der Prozess der inneren Reform der Europäischen Union
muss weitergehen. Dies war nicht nur der ausdrückliche
und einvernehmliche Wille der Staats- und Regierungs-
chefs in Nizza, sondern manifestiert sich in der Verein-
barung einer weiteren Regierungskonferenz im Jah-
re 2004 über die notwendige Weiterentwicklung der euro-
päischen Verträge. Darüber sind wir uns im Parlament
doch fast alle einig. Auch diesen Teil der Beschlüsse müs-
sen Sie einmal zur Kenntnis nehmen und würdigen. Die
Forderungen, die hier aufgenommen wurden, sind doch
auch aus Ihren Reihen gekommen. Sie untergraben mit
dem, was Herr Merz hier heute Morgen gesagt hat, in der
Substanz Ihre eigenen Forderungen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Vereinbarung dieser Regierungskonferenz, bei der
die Grundfragen der europäischen Integration im Vorder-
grund stehen sollen, war unser Ziel und ist damit aus-
drücklich als Erfolg zu werten. Dem bayerischen Minis-
terpräsidenten Stoiber ist zuzustimmen, wenn er die große
Relevanz des Post-Nizza-Prozesses und der Regierungs-
konferenz von 2004 für die deutschen Länder und den
deutschen Föderalismus betont.


(Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Nehmen Sie diesen Vorwurf zurück!)


– Herr Waigel, dass Ihnen das nicht passt, kann ich nach-
vollziehen angesichts der inneren Gemengelage und Ge-
fühlslage, die bei Ihnen bzw. in der CSU sehr wahr-
scheinlich nach wie vor anzutreffen ist.

Ohne die umfassende Klärung der Frage, welche Auf-
gaben die Europäische Union in Relation zu ihren Mit-
gliedstaaten überhaupt haben soll, könnte sich die EU
überfordern. Denn die Erweiterung macht eine Überprü-
fung des Aufgabenzuschnitts dringend erforderlich. Die
Europäische Union – auch da sind wir uns fast einig; das
wird im Konkreten aber noch zu diskutieren sein – muss
sich auf die Aufgaben konzentrieren, die einen europä-
ischen Mehrwert mit sich bringen, also auf die Aufgaben,
die die Nationalstaaten in einer globalisierten Welt allein
nicht mehr zufriedenstellend bewältigen können. Die
derzeitige Gewaltenteilung zwischen Europäischer Kom-
mission, Europäischem Rat, Europäischem Parlament
und den nationalen Parlamenten ist keine Basis für ein
bürgernahes und umfassend demokratisches Europa.

Auch hier müssen wir 2004 den Durchbruch schaffen, um
die augenfälligen Defizite in Bezug auf die demokratische
Legitimierung und die Bürgernähe der EU endlich abzu-
bauen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es wäre ein großer Fehler, davon auszugehen, dass die
grundlegende Frage, wie die Europäische Union in Zu-
kunft aussehen soll, nur die Flure in Brüssel und Straß-
burg sowie die europapolitischen Zirkel und nicht auch
die Köpfe und Herzen der Bürgerinnen und Bürger in Eu-
ropa immer stärker beschäftigt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Menschen beschäftigen sich damit. Sie haben aber
eine Wahrnehmung von Europa, die nicht in unserem ge-
meinsamen Interesse liegen sollte. Ich jedenfalls hielte
es – darauf weise ich nach der heutigen Rede von Herrn
Merz hin; ich dachte eigentlich, das Problem sei ausge-
standen – für verfehlt und unverantwortlich, wenn die hier
im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien die vor uns
liegenden europapolitischen Aufgaben nicht als gemein-
same Verantwortung auffassen würden und wenn die in
der Bevölkerung existierenden Unsicherheiten und Ängs-
te über den weiteren Weg Europas zu Wahlkampfzwecken
instrumentalisiert würden. Das wäre unverantwortlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was wir brauchen – dem stellen wir uns; das tun der
Bundeskanzler, der Bundesaußenminister und hoffentlich
alle Parteien –, ist ein breiter europapolitischer Diskurs,
der die Regierungskonferenz von 2004 und die notwendi-
gen grundlegenden Richtungsentscheidungen konstruktiv
vorbereitet. Wir sind aufgerufen, für Europa mit Worten,
aber auch und vor allem mit Taten nachhaltige Überzeu-
gungsarbeit zu leisten. Denn ohne Bürgerinnen und Bür-
ger, die von Europa wirklich überzeugt sind, wird ein ver-
eintes, demokratisches und solidarisches Europa nicht
entstehen können.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal an
den Ausruf von Jean Monnet erinnern: „Wir einigen keine
Staaten; wir führen Menschen zusammen.“ Ich bitte Sie:
Lassen Sie uns das gemeinsam in den nächsten Jahren hier
vom deutschen Parlament aus umsetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414400500
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Helmut Haussmann, F.D.P.-Fraktion.


(Peter Hintze [CDU/CSU]: Jetzt wird’s besser!)



Prof. Dr. Helmut Haussmann (FDP):
Rede ID: ID1414400600
Sehr verehrter Herr
Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Damit es
überhaupt keinen Zweifel an der Haltung der Freien
Demokraten gibt: Ich spreche hier für die Fraktion, die




Joachim Poß

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(D)



(A)



(B)


seit Jahrzehnten unbeirrt für die Wiedervereinigung
Europas eingetreten ist. Wir haben in der Ära Brandt/
Scheel gegen den Widerstand vieler Konservativer in
Deutschland die neue Ostpolitik mit durchgesetzt. Wir ha-
ben in der Ära Kohl/Genscher ohne wirkliche Unterstüt-
zung von Sozialdemokraten und Grünen die einheitliche
europäische Währung durchgesetzt.


(Beifall bei der F.D.P.)

Unser liberaler Außenminister Klaus Kinkel hat in der

letzten Beitrittsrunde gezeigt, dass sich die Erweiterung
und die Vertiefung Europas nie ausschließen dürfen. Ich
kann mit Stolz feststellen: Keine Fraktion im Deutschen
Bundestag hat sich in den letzten zehn Jahren so konse-
quent, aber auch so aktiv für die Osterweiterung der
Union, also für die Wiedervereinigung Europas, einge-
setzt.


(Beifall bei der F.D.P.)

An dieser unserer Überzeugung, dass wir die Osterweite-
rung der Europäischen Union pünktlich brauchen und
dass wir mit den vagen Zeitplänen der Bundesregierung
unzufrieden sind, hat sich kein Jota geändert und wird sich
kein Jota ändern.

Gerade weil wir so aktiv für die Osterweiterung der
Europäischen Union eintreten, ist das Ergebnis von
Nizza für uns so enttäuschend. Richtig ist: Wer für die
Erweiterung ist, kann dem Vertragsentwurf von Nizza in
der bisher bekannten Form nicht einfach zustimmen.


(Gernot Erler [SPD]: Sondern? Was wollen Sie denn machen?)


Wenn Sie heute in der „FAZ“ lesen, dass der frühere
Präsident des Europäischen Parlaments, der von mir hoch
geschätzte SPD-Kollege Hänsch, wörtlich sagt: „Seit vie-
len Jahrzehnten gab es in Europa keinen so miserablen
Vertragsentwurf“, sollten Sie mit Ihrem Jubel der Zustim-
mung vorsichtig sein.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Wir haben das doch auch gesagt. Ich habe die Mängel doch erwähnt!)


Es ist eine schwache Leistung, die bereits in Berlin
schwach begann. Die wirklichen Anhänger der europä-
ischen Integration – bei Ihnen, letztlich auch bei den Grü-
nen und der Union – wissen das auch ganz genau. Herr
Fischer, Sie haben das völlig zu Recht im Sonderaus-
schuss gesagt. Wenn Sie heute noch in der Opposition
wären, wären Sie doch der Erste gewesen, der diesen Ver-
trag in der vorliegenden Form scharf angegriffen hätte,
und zwar aus europäischer Überzeugung zu Recht.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Etwas differenzierter, Herr Haussmann!)


Der Gipfel von Nizza war zunächst eine große Chance
für Vertiefung und Erweiterung. Sie wurde vertan und
man muss heute fragen – das hat sich schon in Berlin ab-
gezeichnet –: Was ist aus dem wirklich positiven deut-
schen Markenzeichen „europäische Integration“ der
früheren Regierung Kohl/Kinkel inzwischen geworden?

Das ist nicht nur eine nationale Betrachtung, sondern auch
eine internationale.

Das gemeinsame Ziel im Europaausschuss des Parla-
ments war: Nizza muss gleichzeitig Handlungsfähigkeit
und Effizienz verbessern sowie die demokratische Le-
gitimation stärken. Diese Ziele wurden definitiv nicht er-
reicht. Entscheidend war, dass manche Staats- und Regie-
rungschefs – zuletzt auch Bundeskanzler Schröder im
Deutschen Bundestag – leider die Bevölkerungszahlen
der Mitgliedsländer in den Vordergrund gestellt haben.
Wer die Situation in Frankreich ein bisschen beurteilen
kann, weiß, was dies in Frankreich bedeutet. Herr Merz,
Sie sind zu Recht darauf eingegangen. Jeder Regierungs-
chef ließ sich für kleinliche nationale Erfolge feiern. Es
gab in Nizza niemanden, der für wirkliche Integrations-
fortschritte nationale Egoismen aufgegeben hätte.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In der Bundesrepublik Deutschland, dem größten Land
Europas, richtet sich ein solcher Vorwurf naturgemäß ge-
gen die Bundesregierung. Sie ist der besonderen Verant-
wortung der Deutschen für die Wiedervereinigung der
Europäer nicht gerecht geworden. Herr Fischer, Sie erhal-
ten hier die Quittung dafür, dass Sie sich in europäische
Visionen verstiegen und um das harte Brot der täglichen
Arbeit in Europa zu wenig gekümmert haben, sodass das
deutsch-französische Verhältnis gestört ist.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Waren Sie mit Westerwelle im Container, sodass auch Sie nichts mehr sehen?)


Mehr als ein Schulterzucken von Außenminister
Fischer oder Bundeskanzler Schröder darüber, dass sich
nicht alle Hoffnungen erfüllt hätten, war nicht drin. Das
zeigt, dass man zu wenig Hoffnungen hatte. Zu der Be-
merkung von Bundeskanzler Schröder, nicht alle Hoff-
nungen hätten sich erfüllt, muss man sagen: Es waren von
Anfang an schwache Hoffnungen und nicht einmal die ha-
ben sich erfüllt.

Bezüglich der Osterweiterung sage ich Ihnen Folgen-
des voraus: Die Gegner der Osterweiterung werden den
mangelnden Einstieg in Mehrheitsentscheidungen zu
weiteren Verzögerungen missbrauchen. Darin liegt die
große Gefahr für die Osterweiterung.


(Beifall bei der F.D.P.)

Antieuropäische Kräfte sowohl in den derzeitigen als
auch in den künftigen Mitgliedstaaten werden ermuntert,
über das Vetorecht ihrer Regierungen europäische Ent-
scheidungen zu blockieren. Die Erweiterung Europas
braucht gleichzeitig den Übergang zu Mehrheitsentschei-
dungen. Sie können Europa mit 25 Mitgliedstaaten nicht
voranbringen, wenn im Prinzip das Vetorecht gilt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Lösung kann nur darin liegen, dass man die Er-
gebnisse von Nizza verbessert. Im Europäischen Parla-
ment gibt es nur ein Thema: Was kann man tun, um den




Dr. Helmut Haussmann
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(D)



(A)



(B)


Vertrag von Nizza zu verbessern und ihn so zustim-
mungsfähig zu machen?

Mit dieser kritischen Haltung, Herr Fischer – Sie wer-
den ja gleich reden –, sind wir nicht alleine. Wir befinden
uns in allerbester Gesellschaft führender europäischer
Integrationsforscher, aller wesentlichen Vertreter im Eu-
ropaparlament, aber auch der Kommissare, die wie
Verheugen mutig sind und sagen: Das Ergebnis von Nizza
reicht nicht aus. Der Versuch, uns in die Ecke derjenigen
zu stellen, die die Erweiterung angeblich verzögern oder
gar verhindern wollen, ist daher absolut grotesk.


(Beifall bei der F.D.P.)

Das Gegenteil ist der Fall: Gerade weil wir eine schnelle
Erweiterung wollen, können wir den Ergebnissen von
Nizza nicht zustimmen. Wir werden uns zusammen mit
dem Europäischen Parlament an dem Post-Nizza-Prozess
beteiligen, um den Vertrag von Nizza durch Nachbesse-
rungen zustimmungsfähig zu machen.

Nun ist politische Führung in der Europapolitik mehr
denn je gefragt. Herr Bundeskanzler, Herr Außenminister,
Sie als Vertreter des wichtigsten und größten Staates in
Europa müssen dieser Verantwortung gerecht werden.
Deutschland muss auch in Zukunft der Anwalt der euro-
päischen Wiedervereinigung bleiben. Stellen Sie sich
bitte in die Tradition ehemaliger Bundeskanzler, aber
auch ehemaliger Außenminister, denen wir so viele Fort-
schritte in Europa verdanken. Bringen Sie zunächst das
Verhältnis zu Frankreich wieder in Ordnung.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir alle sollten hier ein kritisches Zeichen setzen, dass
wir mit dem Ergebnis von Nizza im Interesse Europas nicht
zufrieden sind. Beteiligen wir uns an der Verbesserung des
Vertrages von Nizza, damit er zustimmungsfähig wird!

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414400700
Ich erteile das Wort
dem Außenminister Joseph Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414400800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es entspricht
der Tradition des Hauses, dass in einer Europade-
batte – bei anderen Debatten lässt sich anhand des klaren
Pro und Kontras genau verfolgen, wo die Fraktionsgren-
zen verlaufen – ein Stück weit quer zu den politischen La-
gern diskutiert wird, weil das Europathema kein par-
teipolitisches Thema ist. Herr Merz, ich finde es schade,
dass Sie hier im Grunde genommen versuchen, Innenpo-
litik zu machen. Deshalb lassen Sie mich bei der Bewer-
tung der Ergebnisse von Nizza eine klare Gegenposition
zu Ihnen beziehen: „Der Gipfel von Nizza war ein wich-
tiger und entscheidender Schritt auf dem Weg zur europä-
ischen Einigung. Insofern war er durchaus ein Erfolg.“


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Starker Beifall!)


– Ja, das sagte Edmund Stoiber in der 758. Sitzung des
Bundesrates am 21. Dezember 2000.

Sie können nicht kritisieren, dass es in Europa an poli-
tischer Führung mangele. Fragen Sie sich lieber einmal
selbst, wie es um die Führung in Ihrer Fraktion bestellt ist,
wenn Sie sich anschauen, welche Haltung die CDU/CSU
einnimmt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Kollege Haussmann, ich komme auf die Frage
zurück, weshalb man eigentlich das Ergebnis von Nizza
kritisiert. Kritisiert man das Ergebnis, weil es einem in
dem einen oder anderen Punkt nicht zusagt oder weil man
meint, dass es nicht ausreichend sei? Kritisiert man es und
lehnt man es unter dem Gesichtspunkt ab: Wir wollen es
nicht? Wäre es nicht angemessener – das Parlament kann
in seiner Kritik weiter gehen als die Bundesregierung, die
in die europäische Kompromissstruktur eingebunden ist –,
konstruktiv zu kritisieren? Ich möchte Sie nur darauf hin-
weisen, dass der Bundesrat und die Ministerpräsidenten
offensichtlich die klügere Variante gewählt haben und
dies auch zu entsprechenden Erträgen im Vorfeld von
Nizza geführt hat. Das ist der entscheidende Unterschied.

Gestatten Sie mir, an diesem Punkt klipp und klar zu
sagen: Der europäische Einigungsprozess entscheidet
über die Zukunft aller Mitgliedstaaten im 21. Jahrhundert.
Deswegen wird es ganz entscheidend darauf ankommen,
dass wir diesen Einigungsprozess unter dem Gesichts-
punkt der großen historischen Herausforderung der Er-
weiterung voranbringen. Das hatte der Gipfel von Nizza
zu leisten und er hat es auch geleistet.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Aber nicht in ausreichendem Maße!)


– Das werde ich Ihnen gleich noch erklären. – Nizza hat
entscheidende Fortschritte gebracht – der Bundeskanzler
hat diese dargestellt –, nämlich in der Frage einer wesent-
lich handhabbarerer verstärkten Zusammenarbeit und in
der Definition des Post-Nizza-Prozesses inklusive der
Abschlussperspektive für das Jahr 2004.

Wenn man dann noch den ersten Schritt hinzunimmt,
nämlich die Annahme der Grundrechte-Charta auf der po-
litischen Ebene, die Erwartung, dass der Beschluss, der
gefasst wurde, 2004 faktisch auf einen Verfassungspro-
zess zur Kompetenzfrage hinausläuft – in Verbindung mit
der Grundrechte-Charta –, und wenn man dann noch die
Komponente der verstärkten Zusammenarbeit hinzu-
nimmt und sieht, dass wir am 1. Januar des kommenden
Jahres die Euro-Einführung haben, dass wir die begin-
nende Erweiterung haben und dass wir im Vorfeld von
2006 auch die Notwendigkeit eines neuen Finanzkom-
promisses haben werden, dann kann ich Ihnen nur sagen:
Wenn Sie diese Parameter anlegen und betrachten, was
Nizza geleistet hat, gleichzeitig aber fordern, dass wir das
deutsch-französische Verhältnis wieder in Ordnung
bringen und Nizza ablehnen sollen, dann müssen Sie mir
einmal erklären, wie Sie das jenseits des Zustands der
Schizophrenie zusammenbringen wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Dr. Helmut Haussmann

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(C)



(D)



(A)



(B)


Sie zitieren Herrn Hänsch – ich habe den Artikel heute
Morgen auch gelesen –, Sie zitieren aber nicht den fran-
zösischen Außenminister. Wenn wir sagen würden, Nizza
ist gescheitert, und wenn wir die Position der F.D.P. über-
nehmen würden, wir wollten einen neuen Gipfel, weil
Nizza gescheitert sei, wäre das für das deutsch-franzö-
sische Verhältnis so ziemlich das Schlimmste, was eine
Bundesregierung machen könnte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Haussmann, Sie sind viel zu klug, um so etwas zu
fordern. Das gilt auch für Ihre Fraktion; es gibt bei Ihnen
genügend erfahrene Außenpolitiker. Herr Kollege Kinkel
weiß nur zu gut, worauf so etwas hinauslaufen würde und
dass es jenseits oppositioneller Rhetorik und Forderungen
schlichtweg eine Katastrophe wäre, wenn wir so vorgehen
würden. Insofern ist diese Forderung nicht nur nicht klug,
sondern sie ist gegen die Interessen Deutschlands, sie ist
gegen das Interesse, ein gutes deutsch-französisches Ver-
hältnis zu haben, und sie ist gegen die europäischen In-
teressen gerichtet. Daher lehnen wir sie ab.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Widerspruch bei der F.D.P.)


Meine Damen und Herren, was hatte Nizza tatsächlich
zu leisten? Herr Kollege Merz, es tut mir Leid: Nizza hatte
all das, was Sie dem Bundeskanzler vorgeworfen haben
– was die Vertiefungsperspektive betrifft –, nicht zu leis-
ten. Was Nizza zu leisten hatte, war die Abarbeitung der
„leftovers“, die Sie genannt haben. Sie sind aber nicht auf
ein einziges „leftover“ eingegangen. Gehen wir einmal
die einzelnen Punkte durch; ich möchte mich nicht in Po-
lemik erschöpfen, sondern wirklich diskutieren.

Sie haben den Punkt der Mehrheitsentscheidung ge-
nannt. Der Bundeskanzler hat in der Abschlusspressekon-
ferenz gesagt – er hat es wiederholt und ich habe es in der
Sondersitzung des Europaausschusses auch gesagt –, wir
hätten uns in diesem Punkt durchaus ein ambitionierteres
Ergebnis gewünscht.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Da bestätigen Sie mich!)


– Nein, ich bestätige Sie nicht, sondern ich möchte, dass
wir jetzt ernsthaft über das Problem diskutieren. Zwei
große Problembereiche standen dem entgegen. Das kön-
nen Sie nicht bei der Bundesregierung abladen; denn wir
waren willens, hier weiter zu gehen, haben aber keine
Einstimmigkeit dafür bekommen.

Der erste große Problembereich ist das, was man mit
Finanz- und Steuerpolitik beschreiben kann. Großbri-
tannien hat von Anfang an und auch schon im Vorfeld
klargemacht, dass seine Bewegungsspielräume auf die-
sem Gebiet minimal sind. Das ist ein Faktum, das Sie
nicht bei der Bundesregierung abladen können. Ein zwei-
tes Ziel von uns war, Mehrheitsentscheidungen in der Au-
ßenhandelspolitik zu bekommen. Das wiederum wurde
von anderen Partnern an die Bewegung in der Steuerfrage
geknüpft. Das war die Situation.

Die Bundesregierung war im europäischen Interesse
bereit, bei beiden Punkten weiter zu gehen und Bewegung

hineinzubekommen und auch in anderen Bereichen noch
draufzulegen. Der Bundeskanzler hat dies in verschiede-
nen Gesprächen angeboten. Dass wir das nicht durchset-
zen konnten, können Sie jetzt als Versagen der Bundesre-
gierung kritisieren. Aber das ist doch irreal. Man kann
sich die Dinge doch nicht sozusagen schöner träumen, als
sie tatsächlich sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Früher gab es größere Fortschritte!)


– Herr Haussmann, kommen Sie mir jetzt nicht mit
„früher“.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Was war denn mit Maastricht?)


Sie können natürlich sagen: Wenn eine christlich-liberale
Koalition in Nizza gewesen wäre, dann hätte Gott der
Herr ein Einsehen gehabt und ein Wunder gewirkt, sodass
sich die steuerpolitischen Positionen anderer Mitglied-
staaten plötzlich verändert hätten.


(Peter Hintze [CDU/CSU]: Schon besser!)

– Herr Kollege Hintze, ich sehe, dass uns die christliche
Herkunft verbindet. Uns Katholiken ist der Wunderglaube
in der Theologie durchaus zu Eigen, aber nicht in der Po-
litik. Glauben Sie mir! Das wissen Sie doch auch.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der zweite Punkt, den Sie, Herr Kollege Merz, ange-
sprochen haben, war die Größe der Kommission. Die
Bundesregierung hat gemeinsam mit der französischen
Regierung von Anfang an gesagt, wir wünschen uns eine
kleinere Kommission. Aber das ist kein „leftover“. Die
kleinen Länder haben sich mit ihrer Forderung durchge-
setzt. Sonst hätte es in Nizza kein Ergebnis gegeben. Die
F.D.P. bezieht ja diese Position: Kein Ergebnis ist besser
als dieses Ergebnis. Das ist die Konsequenz der Position
der F.D.P. in Bezug auf die Ablehnung. Das muss man
wissen.


(Joachim Poß [SPD]: So ist es!)

Die Europäische Volkspartei wird dies ja als größte

Fraktion im Europaparlament mit entscheiden.

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Insofern: Herr Kollege Merz, man begegnet sich, auch
hier im Deutschen Bundestag, immer zweimal. Eine ent-
sprechende Rede werden Sie nach der Ratifizierung noch
einmal halten müssen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ja, Sie bestätigen alles, was ich gesagt habe!)


Ich gehe davon aus, dass die EVP und auch Sie, die
CDU/CSU, der Ratifizierung als gute Europäer und ge-
tragen von der europäischen Orientierung trotz aller Kri-
tik, die Sie äußern und die wir teilweise auch nachvoll-
ziehen können, zustimmen werden. Davon gehe ich fest
aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Bundesminister Joseph Fischer
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(C)



(D)



(A)



(B)


Insofern möchte ich hier den konstruktiven Ansatz fort-
setzen.

Wir hätten uns eine kleinere Kommission gewünscht.
Aber das war mit den kleinen Mitgliedstaaten nicht
machbar. Nun wird der Bundesregierung vorgehalten: Ihr
müsst die kleinen Mitgliedstaaten pflegen. Das ist richtig.
Der Bundeskanzler hat wirklich sehr viele Reisen ge-
macht.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Österreich war gut!)


– Mit Österreich besteht eine schöne Initiative in Bezug
auf die Grenzregionen. Herr Haussmann, wären Sie dabei
gewesen, hätten Sie richtig gestört, als wir da zusammen-
gesessen haben.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Ja! Ja!)

Wenn Sie da immer wieder gesagt hätten, ihr mögt euch
nicht, hätten sie bei diesem Gipfel richtig gestört.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Denn die Kooperation zwischen der österreichischen und
der deutschen Delegation war hervorragend, durch keine
Sprachbarriere getrübt und von vielen gemeinsamen In-
teressen getragen und geprägt.


(Zuruf von der F.D.P.: Das ist wochenlang in den Zeitungen berichtet worden!)


Dies ist in einer gemeinsamen Initiative zum Ausdruck
gekommen, an deren Verwirklichung wir gemeinsames
Interesse haben.


(Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Herr Präsident, der lügt!)


– Herr Waigel, vergessen wir es.

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ja, bitte, sa gen Sie etwas!)

– Nein.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Machen Sie keine Show, sondern reden Sie mal richtig!)


– Ich mache doch keine Show, sondern ich versuche, auf
Ihre Argumente einzugehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Friedrich Merz [CDU/ CSU]: Sie bestätigen mich in jedem Argument! Der Rest ist Show!)


– Herr Merz, immer, wenn Ihnen nichts mehr einfällt und
wenn Ihnen in einer lebendigen parlamentarischen Kon-
troverse die Sachargumente ausgehen, dann sprechen Sie
von Show.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Weil er bei seiner Rede eingeschlafen ist! – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Nein!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414400900
Herr Minister, gestat-
ten Sie eine kleine Zwischenbemerkung.

Zwischenrufe sind erlaubt. Aber, Herr Waigel, zu ru-
fen: „Herr Präsident, der lügt!“, ist jenseits der zwischen
uns vereinbarten Regeln.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414401000

Herr Präsident, ich habe diesen Zwischenruf in diesem
Fall nicht als aggressiv und ernst gemeint empfunden. In-
sofern halte ich selbst ihn für nicht rügenswert. Aber das
ist meine ganz persönliche Meinung.


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.
Herr Merz, in den europäischen Fragen geht es mir

– das wissen Sie – wirklich nicht um Show. Sie mögen
das, was wir erreicht haben, kritisieren. Aber werfen Sie
mir in diesen Punkten nicht Show vor, nur weil ich nicht
dieselbe langweilige Rhetorik wie andere habe, die hier
vorgetragen haben. Hören Sie doch auf!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Kritisieren Sie etwa den Bundeskanzler?)


– Nein, ich meine Ihren Oppositionsführer. Ich habe viele
Jahre Regierungserklärungen von dem in europäischen
Fragen von mir sehr geschätzten Dr. Helmut Kohl als
Bundeskanzler morgens um 9 Uhr miterlebt. Daher weiß
ich, wie lebendig diese Regierungserklärung heute Mor-
gen war. Mein Gedächtnis funktioniert sehr gut.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zweieinhalb Stunden meinen Sie?)


Zur Sache: Der entscheidende Punkt ist doch, dass die
kleinen Mitgliedstaaten je einen Sitz wollten. Daher war
eine kleinere Kommission nicht durchsetzbar. Auch hier
handelt es sich also nicht um ein „leftover“.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist doch kein Widerspruch zu dem, was ich gesagt habe!)


– Aber Sie haben gesagt, dies sei ein „leftover“.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das Problem ist ungelöst!)

– Nein, das Problem ist nicht ungelöst. Wir werden eine
Kommission in der Größenordnung der Mitgliedstaaten
haben, das heißt mit maximal 27 Mitgliedern. Dies läuft
zwar auf eine größere innere Differenzierung hinaus, aber
es ist – im Gegensatz zu Amsterdam – kein „leftover“, wie
Sie es behauptet haben. Das ist für mich der entscheidende
Punkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Bundesminister Joseph Fischer

14123


(C)



(D)



(A)



(B)


Der dritte Punkt betrifft das Abstimmungsverfahren.
Ich kann Ihnen sagen: Die Bundesregierung hätte sich das
Verfahren der doppelten Mehrheit gewünscht. Das war
unsere Position,


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Hätte, hat aber nicht!)


und zwar deswegen, weil die Prinzipien der Staatenmehr-
heit – das Prinzip des Staatenverbundes – und der Bevöl-
kerungsmehrheit – das demokratische Prinzip des Bürger-
europas in der Europäischen Union – die Mehrheitsregeln
eines sich integrierenden bzw. eines, wie ich hoffe, eines
Tages die politische Einheit erreichenden Europas be-
stimmen. Die Position der Bundesregierung war, die bei-
den Grundprinzipien – Staatengleichheit und Gleichheit
der Bürgerinnen und Bürger – zur Geltung zu bringen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie beschreiben doch nur, was ich gesagt habe!)


Das setzt angesichts der Größendifferenzen eine gewisse
Gewichtung voraus. Das konnten wir nicht durchsetzen.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Auch nicht!)

Auf der anderen Seite wird gesagt – wir teilen diese

Auffassung –, dass das deutsch-französische Verhältnis
für die Bundesregierung und für die Koalition – dasselbe
gilt für die Vorgängerregierungen – unverzichtbar ist.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Dann darf man das nicht vor Nizza durch öffentliche Erklärungen belasten!)


Es ist das Schwungrad der europäischen Einigung.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der F.D.P.)


Insofern müssen wir für Positionen unseres Partners Ver-
ständnis haben, selbst wenn sie nicht die unsrigen sind,
und wir müssen einen gemeinsamen Weg finden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir hielten den Vorschlag der französischen Präsident-
schaft für das Abstimmungsverfahren – es beinhaltet ein
entsprechendes Sicherheitsnetz – für einen Kompromiss,
der unter dem Gesichtspunkt der Funktionalität, aber auch
des Staatenprinzips und des Demokratieprinzips nicht nur
vertretbar ist, sondern auch unsere Billigung gefunden
hat. Dieses Abstimmungsverfahren ist kein „leftover“.
Die Voraussetzungen, um die Erweiterung jetzt beginnen
zu können, sind damit geschaffen worden.

Allein die Reaktion in den Kandidatenstaaten macht
doch klar, wie viel Hoffnung damit verbunden wird. Des-
wegen werbe ich emphatisch für die Ratifizierung. Als
überzeugter Integrationist, als überzeugter Europäer weiß
ich selbst, dass viele Hoffnungen in Nizza nicht in Erfül-
lung gegangen sind. Gleichzeitig hat Nizza aber eine ent-
scheidende Voraussetzung für den Erweiterungsprozess
geschaffen, den wir jetzt zügig vorantreiben müssen. Es
ist zu lange gewartet worden. Gerade die F.D.P. hat immer
wieder zu Recht darauf hingewiesen, dass endlich Nägel

mit Köpfen gemacht werden müssen, das heißt, dass Er-
weiterung stattfindet.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Aber mit Köpfen!)


– Herr Haussmann, wir werden keine Erweiterung be-
kommen, wenn dieser Vertrag abgelehnt wird. Das ist
doch die Konsequenz.

Ich komme auf die Chancen des Post-Nizza-Prozes-
ses zu sprechen, was die Vertiefung betrifft. Herr Merz,
Sie haben dem Bundeskanzler offensichtlich nicht zu-
gehört. In der Rede des Bundeskanzlers steckte eine pro-
grammatische Orientierung im Hinblick auf die nächsten
Schritte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Peter Hintze [CDU/CSU]: Sehr verborgen!)


– Nicht „sehr verborgen“! – Ich sage Ihnen: Gerade per-
spektivisch gesehen sind die weiteren Schritte hin zur po-
litischen Integration von entscheidender Bedeutung. Das
gilt zum Beispiel für die Frage der Kompetenzabgren-
zung. Darüber Einigkeit zu erzielen wird im Post-Nizza-
Prozess ein verdammt schweres Unterfangen werden.
Kompetenzabgrenzung lässt sich leicht fordern, aber die
Umsetzung ist – man denke an die unterschiedlichen na-
tionalen Traditionen und Interessen – alles andere als ein-
fach. Gerade die großen Fraktionen im Europaparlament
werden merken, wie schwierig es in der Praxis sein wird,
dieses Thema durchzudeklinieren.

Als letzten Punkt möchte ich das deutsch-franzö-
sische Verhältnis ansprechen. Ich habe vorhin schon ge-
sagt – der Bundeskanzler hat es nachdrücklich unterstri-
chen –: Ich finde es unfair, was alles in den Medien und
von Teilen unserer Öffentlichkeit bei der französischen
Präsidentschaft abgeladen wurde. Es gab einen Wider-
streit der nationalen Interessen.

Manches in Nizza erinnerte gerade uns Deutsche an
den Versuch der alten Westbundesländer, sich im Prozess
der Erweiterung – es ging damals um den Länderfinanz-
ausgleich – zu arrondieren. Mir kam das alles, was in
Nizza geschah, sehr bekannt vor, weil ich damals selbst
Mitglied einer Landesregierung war. Die alte Union hat
versucht, sich gewissermaßen ihrer selbst vor der großen
historischen Aufgabe der Erweiterung zu vergewissern.
Als die alten Westbundesländer versuchten, ihre Inte-
ressen zu arrondieren, hat das den Einigungsprozess nicht
aufgehalten. Es war ein Schritt, der vollzogen wurde. Die-
sem Schritt folgten weitere. Wie wir gesehen haben, war
dieser Prozess – bei allem, was es zu kritisieren gibt – sehr
erfolgreich.

Das alles bei der französischen Präsidentschaft abzula-
den finde ich unfair. Die französische Präsidentschaft
hatte eine extrem schwierige Aufgabe in einem extrem
schwierigen Umfeld zu erfüllen. Das muss man wissen.

Wenn uns an einem guten deutsch-französischen Ver-
hältnis liegt, müssen wir auch und gerade in einer solchen
schwierigen Situation zu unseren französischen Freunden
und Partnern stehen. Die Bundesregierung tut dies. Für
uns ist das deutsch-französische Verhältnis ein unver-




Bundesminister Joseph Fischer
14124


(C)



(D)



(A)



(B)


zichtbares Fundament des europäischen Einigungspro-
zesses, an dem wir weiterarbeiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414401100
Ich erteile dem Kolle-
gen Roland Claus, PDS-Fraktion, das Wort.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1414401200
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Erinnern wir uns an die letzte
Regierungserklärung des Bundeskanzlers vor dem Gipfel
in Nizza: Er hat hier vor dem Deutschen Bundestag sehr
behutsam und bedächtig seine Erwartungen formuliert.
Das brachte ihm dann den Vorwurf ein, er agiere leiden-
schaftslos, und zwar ausgerechnet vom Erfinder der deut-
schen Leidenschaftskultur, Friedrich Merz. Aber ich
glaube, dem Kanzler war schon damals klar, dass man die
Erwartungen nicht zu hoch stecken darf. Er hat wohl ge-
ahnt, dass es nicht so toll wird. Auch wir meinen, dass die
Osterweiterung der Europäischen Union, zu der wir aus-
drücklich stehen, kein Thema für kurzschlüssige Antwor-
ten auf schwierige Fragen ist.


(Beifall bei der PDS)

Mit dem Gipfel war wohl nur Edmund Stoiber so rich-

tig zufrieden. Ich frage mich jetzt, wie das mit der von der
Union vorgetragenen Kritik zusammenpasst. Ich sehe
natürlich auch schon den langen Anlauf des Kollegen
Friedrich Merz zu der Rolle rückwärts, die er dann antre-
ten wird, wenn es um die Ratifizierung geht.

Wir wollen eine andere Frage stellen, meine Damen
und Herren. Versetzen Sie sich einmal in die Lage eines
europafreundlichen Fernsehzuschauers, der versucht hat,
den Nizza-Prozess in den Medien zu verfolgen. Für ihn
war dieser Vorgang quälend: nicht so sehr, weil es sich
hier um schwierige und andauernde Prozesse handelt,
sondern weil er seine Probleme in dem nicht wiederfand,
was seine Regierung dort verhandelte.


(Beifall bei der PDS)

Dass dies das Problem von Nizza war, haben auch viele
Kommentatoren gesagt.

Nun wird dem geneigten Fernsehzuschauer, der viel-
leicht auch heute die Rede des Kanzlers gehört hat, ge-
sagt, es werde eigentlich alles gut, wenn er die Regierung
nur weiter gewähren lasse. Dass dieser Mensch in Kon-
flikte kommt, werden Sie doch wohl eingestehen; ich
finde, Sie haben es auch schon eingestanden. Das Pro-
blem ist also, dass sowohl die großen Erwartungen als
auch die Sorgen von Bürgerinnen und Bürgern im Zu-
sammenhang mit einer erweiterten Union hier zu wenig
vorkamen. Auf die Ängste wird zu wenig eingegangen
und die Hoffnungen werden zu wenig aufgegriffen.


(Beifall bei der PDS)

Nizza war insofern für sehr viele Bürgerinnen und Bürger
ein Technokratenakt. Die Lust auf Europa hat das nicht
gestärkt.

Die PDS tritt nachdrücklich für die Osterweiterung der
Europäischen Union ein. Wir sagen allerdings: Wer die

Osterweiterung will, muss den Nizza-Vertrag ablehnen
und ihn nachbessern. Das Ja der PDS zur Grundrechte-
Charta ist ein Beleg dafür, dass wir keine europafeind-
lichen Gesellen sind. Wie Sie wissen, ist für die Linken
jedes Ja über die eigenen Positionen hinaus ein großer
Schritt, und wir bekennen uns zu diesem Ja. Ich räume
auch ein, dass wir es gegenüber unseren osteuropäischen
Freunden mit der Ablehnung des Nizza-Vertrages schwer
haben. Aber wir meinen, es ist besser, eine schwierige Si-
tuation einzugestehen und anzunehmen, als falsche Hoff-
nungen zu wecken.


(Beifall bei der PDS)

Es gibt bekanntlich auch bei der deutschen Vereinigung
nicht nur Schokoladenseiten.

Für die PDS ist die verabschiedete Sozialagenda nicht
akzeptabel. Faktisch ist in Verbindung mit den ungelösten
Problemen der Stimmengewichtung ein ständiges Veto-
recht im Sinne von Sozialdumping festgeschrieben. Ebenso
sind wir gegen den Einstieg in eine Militärmacht mit eu-
ropäischen Eingreiftruppen. Bei den Problemen der Stim-
mengewichtung im Ministerrat wurde in Nizza mit der
Entscheidung für die dreifache Mehrheit die Flucht ins
Undurchschaubare angetreten. Wenn Ihnen bei der Stim-
menauszählung einmal ein Computer abstürzt, dann gute
Nacht!

Ich möchte noch auf einen besonders bemerkenswer-
ten Aspekt der Regierungserklärung eingehen. Die Bezie-
hungen zu Polen und Frankreich bildeten den Rahmen
der Rede des Bundeskanzlers. Wenn damit die Selbstkri-
tik verbunden ist, für das deutsch-französische Verhältnis
mehr zu tun, um es auf den erforderlichen Kooperations-
stand zu bringen, geht das in Ordnung. Ich habe aber in
diesem Zusammenhang auch eine Hoffnung: Die histo-
rische Aussöhnung mit Frankreich war für die Aussöh-
nung mit dem Westen entscheidend. Ebenso historisch
entscheidend sollte und könnte die Aussöhnung mit Polen
sein; sie könnte das Signal für eine neue Dimension der
Verbindung mit dem Osten werden.


(Beifall bei der PDS)

Sie knüpfen dabei zu Recht an Willy Brandt an. Polen

kann dann eine Brücke zwischen dem Westen und dem
Osten im vereinten Europa werden. Diese Vision kann
Wirklichkeit werden, wenn Polen nicht ein Katzentisch in
der Festung Westeuropa eingeräumt wird, sondern ihm
Chancen, zur Brücke in einem neuen Europa zu werden,
eröffnet werden.


(Beifall bei der PDS)

Im Übrigen: Die Tschechen, die Slowaken, die Ungarn

und die Ukrainer werden das nicht übel nehmen, sondern
sehr wohl verstehen.

Herr Bundeskanzler, Sie haben Ihre Hoffnungen für ein
geeintes Europa vorgestellt und die Schwierigkeiten nicht
ausgeblendet. Sie sagen Ja zum Vertrag von Nizza, wir
nicht. Die Osterweiterung der EU wird die sozialistische
Opposition im Bundestag jedoch weiterhin konstruktiv
unterstützen. Kritik kann bekanntlich auch sehr hilfreich
sein.


(Beifall bei der PDS)





Bundesminister Joseph Fischer

14125


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414401300
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich der Kollegin Leutheusser-Schnarren-
berger das Wort.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1414401400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte
mich doch noch einmal zu dem äußern, Herr Außenminis-
ter, was Sie zur Bewertung der bisherigen Position der
F.D.P. gesagt haben.

Die F.D.P.-Fraktion hat aufgrund ihrer historischen
Verdienste und ihrer inneren Überzeugung ein großes In-
teresse daran, dass der Osterweiterungsprozess gelingt,
ohne dass sich die Europäische Union in ihrer inneren
Verfasstheit in eine Rückwärtsbewegung begibt. Wir wol-
len, dass sich die europäische Integration an dem Ziel ori-
entiert, dass wir auch einmal eine europäische Verfassung
bekommen, wie auch immer sie dann intern ausgebildet
sein mag. Davon war unser Einsatz für die Grundrechte-
Charta gekennzeichnet, die im Moment in der Schublade
liegt, aber 2004 vielleicht Gegenstand des Vertrages wer-
den soll.

Uns treibt im Moment die Sorge um, Herr Außenmi-
nister, ob wir mit dem, was jetzt als Ergebnis von Nizza
vorliegt, eine einigermaßen sichere Grundlage für den Er-
weiterungsprozess schaffen können. Dass es in einigen
Punkten Ergebnisse gegeben hat, ist klar; sonst hätte man
sich nicht so lange auf diesen Prozess vorbereitet und
auch nicht mehrere Tage lang nach einer Lösung suchen
müssen.

Es ist wohl auch unstreitig, dass es nach wie vor er-
hebliche Defizite gibt. Wir als Parlament, auch als F.D.P.-
Fraktion, müssen uns fragen, was wir in der Phase nach
Nizza tun können, um nachzubessern und die Risiken ei-
nes möglichen Rückschlages gering zu halten bzw. aus-
zuschließen. Das ist unser Anliegen. Das ist unsere Posi-
tion.

Ich wollte das noch einmal deutlich machen, weil wir
nicht in die Ecke derjenigen gehören, die sagen: Gott sei
Dank haben wir jetzt einen Vorwand dafür, uns aus dem
europäischen Integrationsprozess auszuklinken.


(Beifall bei der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414401500
Herr Minister, Sie ha-
ben die Gelegenheit zur Reaktion.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414401600

Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, ich möchte
mich für Ihre Erläuterung, was die Haltung der F.D.P.-
Fraktion betrifft, ausdrücklich bedanken.

Was die Sache, das Ziel, das Sie erläutert haben, an-
geht, so sehe ich null Unterschied zu dem, was die Bun-
desregierung und – so nehme ich an – große Teile aller
Fraktionen hier vertreten, nämlich dass der Erweite-
rungsprozess nicht zu einem Rückschritt bei der Integra-
tion führen darf. Da stimme ich Ihnen ohne jede Ein-
schränkung zu. Dies wäre eine fatale, rückwärts laufende
und meines Erachtens den Erweiterungsprozess beschädi-
gende Konsequenz.

Insofern war die Herstellung des Zusammenhangs von
Vertiefung und Erweiterung, wie ihn auch Mitglieder der
früheren Bundesregierungen immer wieder formuliert ha-
ben, kein rhetorischer Trick, um sich scheinbar aus-
schließende Ziele unter einen Hut zu bringen, sondern in
der Sache gerechtfertigt. Davon bin ich überzeugt.

Es gibt in der Europäischen Union der 15 unterschied-
liche Sichtweisen zu den Ergebnissen von Nizza. Ich habe
neulich mit einem französischen Kollegen in Paris eine
sehr vertiefende und sehr gute Diskussion geführt. Und
ich sage Ihnen – die Bundesregierung sieht es als ihre ihre
Aufgabe an, dem Parlament diese Botschaft zu vermit-
teln –: Wir müssen Acht geben, nicht nur unsere Sicht zu
sehen. Die französische Regierung, aber auch die franzö-
sische Öffentlichkeit nehmen teilweise eine unterschied-
liche Bewertung vor. Wir dürfen jetzt durch die Bewer-
tung von Nizza nicht ein zusätzliches deutsch-fran-
zösisches Problem heraufbeschwören, denn sonst erhal-
ten wir mit Sicherheit das negative Ergebnis, vor dem wir
uns gemeinsam fürchten. Das ist es, worum es mir geht.

Wenn ich hier als Abgeordneter säße – Kollege
Haussmann hat es ja gesagt –, würde ich doch nicht er-
warten, dass die Ergebnisse nicht kritisiert werden. Im
Gegenteil: Es ist die Pflicht der Abgeordneten zu kritisie-
ren; das hilft uns auch. Aber unsere gemeinsame Perspek-
tive muss die Ratifikation sein. Wenn wir jetzt in Paris sa-
gen müssten: „Unser Parlament hat gesagt, es ist mit den
Ergebnissen unzufrieden“, würde das zu einem schweren
Konflikt mit Frankreich führen. Wir können 2002 nicht
sagen: Wir wollen eine neue Regierungskonferenz. Ich
hielte das auch in der Sache nicht für richtig.

Allein dieses Argument müsste Sie doch sehr nach-
denklich machen, gerade auch vor dem Hintergrund der
großartigen europapolitischen Tradition Ihrer Partei und
der Außenminister, die Sie gestellt haben, und die Sie zu
Recht unterstreichen. Insofern appeliere ich nochmals an
die Freien Demokraten zuzustimmen.
Ich weiß, bei Amsterdam hatten wir die gleiche Situation.
Hätte das Ergebnis von unserer Stimme abgehangen, hätte
ich selbstverständlich trotz meiner Bedenken zugestimmt,
weil ich ein Scheitern eines Europavertrages im Deut-
schen Bundestag mit meiner Stimme niemals zugelassen
hätte, auch nicht in der Opposition. Ich weiß also um die
Verführung, abzulehnen. Aber Sie sollten gerade auf-
grund der ganz anderen, längeren Tradition Ihrer Partei
und Fraktion, aufgrund der großartigen europapolitischen
Tradition der Außenminister, die Sie, angefangen von
Walter Scheel, gestellt haben, ernsthaft darüber nachden-
ken, ob Sie nicht gerade aus diesem Grund besondere Ver-
pflichtung haben. Deswegen werbe ich für die Zustim-
mung zur Ratifizierung auch und gerade der liberalen
Partei.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414401700
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Peter Hintze, CDU/CSU-Fraktion.

Peter Hintze (CDU/CSU) (von Abgeordneten der
CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben eben alle






(C)



(D)



(A)



(B)


mitverfolgt, wie positiv der Herr Bundesaußenminister
die Ergebnisse des Gipfels von Nizza bewertet hat. Jeder
im Saal kann sich bestimmt ganz gut ausmalen, wie ein
Oppositionsredner Joseph Fischer an diesem Tag und an
dieser Stelle über die Ergebnisse von Nizza gesprochen
hätte, wenn eine CDU/CSU-geführte Regierung mit ei-
nem derart dürftigen Ergebnis vor das Plenum dieses Hau-
ses getreten wäre, liebe Freunde.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: Ich kann mir auch vorstellen, was Sie gesagt hätten!)


Die Frage ist: Hat unsere Regierung bei dieser Regie-
rungskonferenz versagt?


(Gernot Erler [SPD]: Nein!)

– Kollege Erler ruft markig in den Raum: Nein!


(Detlev von Larcher [SPD]: So meint er es auch!)


Das historische Versäumnis von Nizza ist, dass hin-
ter den Beschlüssen keine Vision erkennbar ist. Wenn
Monnet, Schuman, Adenauer, de Gasperi und andere
so gehandelt hätten, dann hätte es nie europäische Ge-
meinschaften gegeben und dann hätten wir immer
noch keine Europäische Union. – Dieses vernichtende
Urteil über die handelnden sozialdemokratischen Regie-
rungschefs in Europa hat Ihnen Ihr Parteifreund und
Abgeordneter, der frühere Präsident des Europäischen
Parlaments, Hänsch, bei seiner Rede im Europäischen
Parlament ins Stammbuch geschrieben. Die Aussage lau-
tet: Die Regierungschefs heute haben vor der historischen
Aufgabe versagt.


(Beifall bei der CDU/CSU– Detlev von Larcher [SPD]: Jetzt erzählen Sie Ihre Vision! Die will ich jetzt hören!)


– Das will ich gerne tun.
Nizza hatte vier kardinale Konstruktionsfehler, die

rasch überwunden werden müssen, damit die Osterweite-
rung gelingt.

Erster Konstruktionsfehler: Die Unübersichtlichkeit
der Verträge nimmt zu. Um einen wichtigen Beitrag zur
Handlungsfähigkeit leisten zu können, sollten die Ver-
träge einfacher und transparenter werden. Herausgekom-
men ist aber wachsende Undurchsichtigkeit. Man schaue
sich nur die Vorschriften über die verstärkte Zusammen-
arbeit oder den Außenhandel an. Wo Vereinfachung Not
getan hätte, ist es komplizierter geworden. Das ist so, als
wollten die europäischen Rechtsetzer die hawkingsche
Theorie von der fortschreitenden Unordnung durch ihre
Texte belegen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Europa wird erst dann wieder Zustimmung finden, wenn
das politische Geschehen in Brüssel und Straßburg trans-
parenter wird. Um dieses zu erreichen, fehlte in Nizza die
Kraft.

Ich möchte noch einen anderen Gedanken anführen: Es
haben nicht nur die Regierungschefs in Nizza versagt,

sondern schon im Vorfeld hat man versagt. Diese Regie-
rungskonferenz wurde miserabel vorbereitet und konnte
in der Tat in Nizza selbst nicht mehr repariert werden.
Wenn man dieses erreicht hätte, wäre das Wunder einge-
treten, das der Bundesaußenminister erwähnt hat. Das war
nicht zu erwarten. Die Methode der Regierungskonfe-
renz hat sich erschöpft. Wir müssen sie durch eine kreati-
vere Methode ersetzen. Die nationalen Regierungschefs
– heute hier Bundeskanzler Schröder – feiern ihre kleinen
Pyrrhussiege, während Europa durch das geschwächt
wird, was sie meinen erstritten zu haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen des Abg. Gernot Erler [SPD])


Diesen Zusammenhang haben auch die Kollegen von der
F.D.P. angesprochen. Die Osterweiterung ist eine große
historische und moralische Aufgabe. Sie muss aber auch
praktisch geschultert und mit kreativem Geist gefüllt wer-
den. Diese Aufgabe müssen wir jetzt dringend, und zwar
schneller als geplant, angehen. Wir brauchen den Verfas-
sungsvertrag, wir brauchen eine Erarbeitungsform wie bei
der Grundrechte-Charta und wir brauchen klare, visionäre
und kräftige Entscheidungen.


(Gernot Erler [SPD]: Wir brauchen Sie, Herr Hintze!)


Ein zweiter Konstruktionsfehler von Nizza ist: Die par-
lamentarische Demokratie und die Gewaltenteilung sind
nur auf niedrigem Niveau verwirklicht. Warum sind denn
die Bürger über das frustriert, was in Europa passiert? Sie
sind frustriert, weil sie keine Einflussmöglichkeiten se-
hen. Wenn ihnen die Regierung in einem Land nicht passt,
können sie sie abwählen. Wir haben das schmerzlich er-
lebt. Auch Sie werden es vielleicht schmerzlich erleben.
Das finden die Bürger aber gut.

In Europa können sie wählen, was sie wollen, es
scheint nichts zu passieren. Das müssen wir ändern. Wir
müssen dem Europäischen Parlament das Recht geben,
den Präsidenten der Kommission zu wählen, und die Bür-
ger müssen das Recht haben, die Kommission auf diesem
Wege wieder abzuwählen, wenn ihnen das Geschehen in
Brüssel nicht passt. Deswegen muss die Konstruktion ver-
ändert werden. Zu Zeiten der 68er hieß es: „Alle Macht
den Räten!“, heute heißt es: „Alle Macht dem Rat!“ Der
Rat ist ein Geheimparlament, das hinter verschlossenen
Türen tagt. Das muss geändert werden. Er muss zu einer
zweiten Kammer werden und öffentlich tagen. Die Leute
müssen verfolgen können, was geschieht. Seit dem Ora-
kel von Delphi gab es in Europa keine so undurchsichtige
Entscheidungsinstanz wie den Ministerrat der Europä-
ischen Union. Das wollen wir ändern.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Herr Hintze, warum haben Sie diese Rede nicht vor vier Jahren gehalten?)


Dritter Konstruktionsfehler: Die Entscheidungsver-
fahren werden immer komplizierter. Die Staats- und Re-
gierungschefs haben etwas Tolles geschafft. Sie haben ge-
sagt: Wenn mehr dazukommen, müssen wir es noch
komplizierter machen. Das Quorum für Mehrheitsent-
scheidungen steigt von 71 auf über 74 Prozent. Damit
werden im Grunde die minimalen Fortschritte, die man




Peter Hintze

14127


(C)



(D)



(A)



(B)


bei dem Übergang von dem Prinzip der Einstimmigkeit
zum Prinzip der qualifizierten Mehrheit erreicht hat, ad
absurdum geführt. Die Echternacher Springprozession ist
gegenüber Europa eine fortschrittliche Veranstaltung. Da
hieß es: zwei Schritte vor, ein Schritt zurück. In Nizza lautete
das Motto: ein Schritt vor, zwei Schritte zurück. – Das ist der
Grund, warum wir das Ergebnis von Nizza kritisieren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Gernot Erler [SPD]: Jetzt zitieren Sie schon Lenin!)


Es gehört übrigens zu den Rätseln der schröderschen
Regierungskunst, warum der Kanzler die Frage der
Stimmgewichtung Deutschlands vor der Konferenz in
Nizza im Deutschen Bundestag zu der entscheidenden
Frage erklärt hat, um dann am Ende in Nizza kläglich ein-
zuknicken. Jetzt muss er den Bürgern erklären, wieso die
Stimmgewichtung zwischen anderen Ländern fein austa-
riert wird, während die Größe Deutschlands gegenüber
kleineren aber keine Rolle spielt, und wie der Sand aus
dem deutsch-französischen Getriebe wieder herauszube-
kommen ist.

Es ist schon interessant, dass um die Stimmgewichtung
im Ministerrat mit Zähnen und Klauen gekämpft wurde,
während die Sitze im Europäischen Parlament mit leich-
ter Hand verteilt wurden, mit so leichter Hand übrigens,
dass Belgien und Portugal im Europäischen Parlament
mehr Sitze als Tschechien und Ungarn bekommen, ob-
wohl beide größer sind als Belgien und Portugal. Das ist
kein fairer Umgang mit Kandidatenstaaten aus Mittel-
und Osteuropa. Diese haben sich nicht für die Demokra-
tie entschieden, um von Westeuropa dann schlecht behan-
delt zu werden, liebe Freunde. Das ist Politik nach Guts-
herrenart!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Die sind aber ganz zufrieden!)


Der vierte Konstruktionsfehler: Es fehlt die große Li-
nie. Es ist vieles im Einzelnen vereinbart worden, es ist
auch manches Ordentliche vereinbart worden. Ich nenne
den Post-Nizza-Prozess und die verstärkte Zusammen-
arbeit. Leider bleibt das alles Stückwerk, weil ein leiten-
des Prinzip, eine leitende Idee oder eine leitende Vision
fehlt.

Was kann der Deutsche Bundestag tun? Was kann die
deutsche Regierung tun? Wir können darauf drängen, dass
die schlechten Entscheidungen von Nizza schnell nach-
gebessert werden. Die Ungerechtigkeit gegenüber Un-
garn und Tschechien muss noch vor der Unterschrift kor-
rigiert werden. Ich führe sie darauf zurück, dass dies zu
später Stunde, mitten in der Nacht, festgelegt worden ist.
Herr Bundeskanzler, ich möchte Sie dennoch fragen, wie
es dazu kommen konnte. Der Bundesaußenminister zeigte
sich im Ausschuss überrascht, so, als habe er noch gar
nicht gesehen, dass Belgien und Portugal Tschechien und
Ungarn vorgezogen werden, dass sie mehr Sitze im Euro-
päischen Parlament bekommen, obwohl sie weniger Ein-
wohner haben.

Wir sollten als Deutscher Bundestag mit der Ratifizie-
rung warten, bis im Europäische Parlament abschließend
darüber gesprochen worden ist. Wir sind es den Parla-

mentskollegen in Europa schuldig, dass wir auch auf ihr
Votum hören. Die Staats- und Regierungschefs haben sie
schlecht genug behandelt. Wir sollten unsere Kollegen
besser behandeln.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Gernot Erler [SPD]: Ein europäischer Geisterfahrer! – Detlev von Larcher [SPD]: Herr Hintze, wo war die Vision?)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414401800
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Günter Gloser, SPD-Fraktion


Günter Gloser (SPD):
Rede ID: ID1414401900
Herr Präsident! Verehrte Kol-
leginnen und Kollegen! Die SPD-Bundestagsfraktion ist
für die Erweiterung der Europäischen Union. Sie ist
für die endgültige Überwindung der Spaltung Europas.
Deshalb wird sie dem Vertrag von Nizza zustimmen.


(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Hintze, natürlich sind auch wir für ver-

einfachte Verträge. Aber wir sind gegen Vereinfachungen
in der Politik, so wie sie Ihr Fraktionsvorsitzender in sei-
nen heutigen Ausführungen vorgetragen hat und so wie
Sie und der Kollege Haussmann sie heute ebenfalls vor-
getragen haben. Man sollte dies vermeiden, vor allem,
wenn man diesen Prozess über Monate hinweg in dem
entsprechenden Fachausschuss begleitet hat. Deshalb
möchte ich noch auf ein paar Punkte eingehen.

Der Bundeskanzler hat zu Recht gesagt, diese Bundes-
regierung sei mit einem sehr ehrgeizigen Programm in die
Verhandlungen gegangen. Damit es – auch für die Öf-
fentlichkeit – deutlich wird: Wir in diesem Parlament ha-
ben bis auf wenige Ausnahmen diesem ambitionierten
Programm zugestimmt. Eine gemeinsame Initiative die-
ses Parlamentes hat es nicht gegeben, aber in den ent-
sprechenden Debatten im Deutschen Bundestag und in
den Ausschüssen gab es große Übereinstimmung. Das,
was jetzt – auch in der heutigen Debatte – gesagt wird,
spiegelt den Prozess nicht wider. Genau so, wie heute der
Bundeskanzler und der Bundesaußenminister den Nizza-
Gipfel bewertet haben, nämlich ehrlich und kritisch, ist
auch die Diskussion abgelaufen. Wir haben – das muss
man einmal festhalten – die Signale, die von Nizza gerade
im Hinblick auf die osteuropäischen Länder ausgegangen
sind, erkannt.

Ich war zum Zeitpunkt dieses Gipfels in Warschau. Mir
ist dort noch einmal ganz deutlich geworden, welchen
Stellenwert die Bundesregierung in den Verhandlungen
gehabt hat und dass sich die Bundesregierung für die
Interessen aller Beitrittskandidaten eingesetzt und sich
nicht – wie kürzlich die CSU auf ihrer Tagung – zu be-
stimmten Äußerungen verstiegen hat. Sie hat beispiels-
weise nicht über einen isolierten Beitritt Ungarns speku-
liert. Nein, die Bundesregierung war Fürsprecher aller
osteuropäischen Beitrittskandidaten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich
müssen wir auch über bestimmte Defizite diskutieren, die




Peter Hintze
14128


(C)



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aus der Regierungskonferenz von Nizza resultieren. Dies
ist ebenfalls ein wichtiger Punkt, der eine breitere Öffent-
lichkeit finden müsste. Ich glaube allerdings, dass wir alle
in diesem Parlament in den nächsten Wochen und Mona-
ten auch die Möglichkeit haben werden, im Hinblick auf
die Regierungskonferenz 2004 über diese Bereiche zu de-
battieren.

In diesem Zusammenhang möchte ich nur zwei Punkte
deutlich herausstellen und ich freue mich, dass der Bun-
deskanzler diese in seiner heutigen Regierungserklärung
ebenfalls deutlich gemacht hat. So hat er gesagt, dass er
die Kandidatenländer an der Diskussion über die Zu-
kunftsfähigkeit der Europäischen Union beteiligen
will, obwohl noch kein Beitritt stattgefunden hat. Ich
finde, dies ist ein gutes, dies ist ein deutliches Zeichen an
die Beitrittsländer.


(Beifall bei der SPD)

Ich nenne einen weiteren Punkt, der in allen Fraktionen

diskutiert worden ist, und schließe mich denjenigen an,
die den Ablauf solcher Regierungskonferenzen kritisie-
ren. Ich mache es mir aber nicht so einfach, wie Sie, Herr
Haussmann, es sich teilweise gemacht haben, nach dem
Motto: Die Konferenz war nicht gut vorbereitet; da ist
nicht richtig verhandelt worden.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das sieht man am Ergebnis!)


Was Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger vorhin in
Bezug auf die Grundrechte-Charta gesagt hat, sollte uns
veranlassen, ernsthaft darüber nachzudenken, wie der
Konvent ein Modell sein könnte, eine größere Beteiligung
der Parlamente an einem solchen Prozess sicherzustellen.
Ich sage aber auch ganz bewusst: Man sollte sich nicht der
Illusion hingeben, zu glauben, die Möglichkeiten, die die-
ser Konvent bei der Erarbeitung der Grundrechte-
Charta gut genutzt hat, seien eins zu eins auf die Er-
arbeitung eines Verfassungsvertrages zu übertragen. In
diesem Bereich wird es ganz bewusst verengte Diskus-
sionen in vielen nationalen Parlamenten geben. Trotzdem
sollten wir Mut zum Risiko haben und versuchen, bei der
Vorbereitung der Regierungskonferenz die Arbeit dieses
Konvents zum Vorbild zu nehmen.

Aufgrund der Diskussionen muss ich noch folgenden
Punkt erwähnen: Es wird immer davon gesprochen, dass
die Bürgerinnen und Bürger wenig Akzeptanz für dieses
Europa und für die Europäische Union zeigen. Wir müs-
sen uns in der Tat überlegen, wer in dieser Europäischen
Union was machen soll. Wir müssen die Frage beantwor-
ten: Welche Aufgaben sind auf der nationalen Ebene und
welche Aufgaben sind von den Ländern, von den Regio-
nen und den Kommunen zu leisten?

Andererseits ist es sicherlich wichtig, auch zu klären,
welche Aufgaben die Institutionen untereinander haben.
Wir sollten nicht immer wieder davon sprechen, dass wir
die Bürgerinnen und Bürger bei diesem Prozess mitneh-
men müssen. Wir sollten einfach einmal organisieren,
dass sie an diesem Prozess beteiligt werden können. Dazu
gibt es verschiedene Möglichkeiten.

Lassen Sie mich noch folgenden sehr wichtigen Punkt
anführen – der Bundeskanzler hat ihn schon ausgeführt –
die EU-Erweiterung. Ich möchte diesen Punkt aber mehr
unter dem Aspekt der Innenpolitik behandeln. Es war ein
deutliches Signal, das auf der Konferenz in Brighton ge-
geben wurde, was die Freizügigkeit für die Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer betrifft. Aber es gibt noch viele
andere Bereiche. Wir müssen den Erweiterungsprozess
auch innenpolitisch flankieren. Wir wissen um die Chan-
cen und wir wissen bereits heute um die Erfolge dieses
Prozesses. Wir wissen auch, inwieweit Deutschland Vor-
teile aus diesem Prozess ziehen kann. Wir wissen aller-
dings auch um die Risiken. Ich appelliere hier insbeson-
dere an einen Teil der Kolleginnen und Kollegen der
CDU/CSU-Fraktion: Nutzen Sie die Risiken und die
Ängste, die mit bestimmten Prozessen verbunden sind,
nicht für Wahlkampfzwecke aus! Ergreifen Sie vielmehr
gemeinsam mit uns Initiativen, um diese Risiken politisch
beherrschbar sind zu machen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Die Gewerkschaften sollten sich einmal an der Diskussion über die Erweiterung beteiligen!)


Wenn wir diesen Prozess gestalten und eine Öffent-
lichkeit herstellen wollen, dann genügt es nicht, wenn wir
im Deutschen Bundestag oder in den entsprechenden
Länderparlamenten diskutieren und Hearings durch-
führen. Gerade Nizza hat gezeigt, dass wir manchmal
nicht genau Bescheid darüber wissen, welche Prozesse in
den anderen Ländern stattfinden. Es gibt beispielsweise in
Großbritannien und in den skandinavischen Ländern an-
dere Vorstellungen über eine europäische Verfassung.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Richtig!)

Es gibt in einzelnen Ländern andere Vorstellungen da-
rüber, wie zum Beispiel die Sozialsysteme finanziert wer-
den sollen und wie die Ausländerpolitik formuliert werden
soll. Es ist wichtig, einen über die Grenzen hinausgehen-
den Diskurs zu organisieren, um einander besser zu ver-
stehen. Ich glaube, hier besteht noch ein größerer Nach-
holbedarf.

Herr Haussmann, Sie haben vorgetragen, warum die
Freien Demokraten


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Für eine Verbesserung sind!)


diesem Vertrag nicht zustimmen werden. Ich erinnere in
diesem Zusammenhang an eine Diskussion, die wir vor
einigen Jahren in diesem Parlament zum Amsterdamer
Vertrag geführt haben.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Er war aber besser!)


Eine Kollegin aus Ihrer Fraktion hat in dieser Debatte aus-
geführt:

Ich kann für die F.D.P.-Bundestagsfraktion nur er-
klären: Wir werden nach sorgfältiger Analyse und
Prüfung dem Vertrag von Amsterdam zustimmen,

(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Richtig!)





Günter Gloser

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(B)


auch wenn wir nicht verkennen, dass es wünschens-
wert gewesen wäre, ein Mehr an institutionellen
Reformen schon in diesem Vertragswerk zu verein-
baren.

Die Rednerin fährt an anderer Stelle fort:
Eine Ablehnung des Vertrages von Amsterdam
würde wirklich einen Stillstand bedeuten, würde ein
Zurückschreiten bedeuten, würde bedeuten, dass die
Verbesserungen, die im Vertrag vereinbart worden
sind ... nicht kommen werden. Das wäre nicht nur ein
Rückschritt für den Integrationsprozess Europas.
Vielmehr würde das ja erst recht die Erweiterungs-
prozesse behindern.

Es war Frau Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die das
in einer Debatte des Deutschen Bundestages 1997 gesagt
hat. Was damals gegolten hat, gilt auch heute.

Vor dem Hintergrund dieser Beitrittsperspektive emp-
fehle ich Ihnen, Herr Kollege Haussmann, aber auch Ih-
rer Fraktion, diesen Antrag zurückzuziehen und die Bei-
trittsperspektive im Bundestag in großem Konsens zu
eröffnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414402000
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Gerd Müller, CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Gerd Müller (CSU):
Rede ID: ID1414402100
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Diese Woche hat gezeigt: Die Bun-
desregierung ist angeschlagen,


(Lachen bei der SPD)

nicht nur innen-, sondern auch europa- und außenpoli-
tisch.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Reines Wunschdenken!)


Es stellt sich die Frage: Können wir uns in dieser für Eu-
ropa entscheidenden Phase einen angeschlagenen Außen-
minister leisten?


(Zuruf von der SPD: Ja!)

Wird Joseph Fischer vor dem Hintergrund der Ereignisse
dieser Woche im Ausland noch als deutscher Verhand-
lungspartner akzeptiert?


(Zurufe von der SPD: Ja! – Detlev von Larcher [SPD]: Und wie!)


Ich meine: nein. Er kann die deutsche Führungsrolle
nicht mehr wahrnehmen. Außerdem ist er im vergangenen
Jahr – es ist traurig, aber wahr – auf der europäischen
Ebene im Ministerrat abgetaucht.


(Lachen des Abg. Peter Dreßen [SPD])

Das kann sich Deutschland nicht leisten.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sie reden ja wirres Zeug!)


Herr Gloser, ich stimme Ihnen zu: Wir müssen einen
neuen Ansatz finden, auch die Bürger und Bürgerinnen an
der europäischen Diskussion teilhaben zu lassen. Leider
hat Nizza die Dinge weiter verkompliziert. Die Bürger
blicken nicht mehr durch: Wer entscheidet wann, wo,
was? Stichwort BSE: Sind die Schuldigen in der Europä-
ischen Kommission, im Ministerrat oder in der Bundesre-
gierung?


(Joachim Poß [SPD]: Kommen Sie mal zur Sache, Herr Kollege!)


Wir brauchen einen anderen Ansatz. Die Themen müssen
wieder in den Deutschen Bundestag. Wir müssen in der
Europäischen Union mehr Demokratie wagen. Dazu muss
das nationale Parlament einen wesentlichen Beitrag leis-
ten.

Die CSU wird in den nächsten Wochen ein Gutachten
zur Frage der zukünftigen Mitwirkung des Deutschen
Bundestages bei der europäischen Rechtsetzung vorle-
gen. Wir brauchen ein maßgebliches Mitwirkungsrecht
bei der europäischen Rechtsetzung.

Herr Gloser, ich nehme das Stichwort COSAC auf.
Natürlich brauchen wir auch eine andere Form der Zu-
sammenarbeit der nationalen Parlamente in Europa. Die
COSAC muss weiterentwickelt werden. Dieses Thema
kann man allerdings in vier oder fünf Minuten inhaltlich
nicht ausreichend diskutieren.

Zu Nizza. Das Ergebnis von Nizza ist nicht befriedi-
gend. Die Frage der Kompetenzabgrenzung – was
macht Brüssel, was verantwortet Deutschland, was wird
von den Ländern und was von den Kommunen verant-
wortet? – soll jetzt angegangen werden, nicht 2004. Dies
ist ein Kernpunkt des Ergebnisses von Nizza. Wir stellen
mit Freude fest: Diese Forderung der CSU, über Jahre
hinweg erhoben, soll nun endlich umgesetzt werden.

Wenn ich die heutige Debatte und den Vertrag – natür-
lich im Lichte der Auseinandersetzung in der Entste-
hungsphase – abwäge, denke ich, dass wir am Ende zu ei-
ner Ratifizierung kommen müssen. Wir werden zu einer
Ratifizierung kommen, denn wir können uns nicht weitere
zwei Jahre Ratifizierungsdebatten leisten. Wir müssen
nach vorne gehen und offensiv die Voraussetzungen für
die Erweiterung schaffen. Auf die entscheidenden Fragen
in diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung noch
keine Antworten. Es gibt neue „leftovers“; sie hat neue
„leftovers“ geschaffen.

Die Bürgerinnen und Bürger – nicht nur in Deutsch-
land, sondern auch in den Beitrittsstaaten – wollen wis-
sen, wie das neue Finanzsystem in der Europäischen
Union ausschaut. Wie wird die Osterweiterung finanziert?
Im Augenblick ist der Finanzansatz vollkommen unzurei-
chend. Die Osterweiterung ist bisher nicht finanziert. Es
gibt kein Konzept der Bundesregierung, welchen Weg sie
beschreiten will.

Zur Agenda 2000. Wir brauchen eine grundlegende
Reform der Agrar- und Strukturpolitik in der Europä-
ischen Union. Die CDU/CSU hat bereits vor zwei Jahren
Vorschläge für die Agenda-2000-Verhandlungen vorgelegt.
Ich nehme als Stichworte die nationale Kofinanzierung




Günter Gloser
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(B)


und die Deckelung der Finanzförderung der Großbe-
triebe. Sie sind bei der Agenda 2000 in die Richtung mar-
schiert, die Großbetriebe in Europa zu präferieren. Heute,
im Angesicht der nationalen BSE-Debatte rudern Sie
zurück und nehmen unseren Begriff der flächen-
deckenden, der bäuerlichen Landwirtschaft auf, die Sie in
den letzten zwei Jahren mit aller Massivität getroffen und
zu zerstören versucht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Susanne Kastner [SPD]: Das ist jetzt schon dreist, Herr Müller! Schauen Sie einmal, was die Bayerische Staatsregierung gemacht hat!)


Wo ist Ihr Konzept einer zukunftsweisenden Agenda für
die Agrar- und Strukturpolitik?

Die Bürgerinnen und Bürger wollen ein gerechtes
System der Verteilung der Asyl- und Flüchtlingsströme
in der Europäischen Union. Hier handelt es sich um ein
„leftover“ der Schröder-Regierung.

Die entscheidende Frage ist: Ist die Europäische Union
nach Nizza erweiterungsfähig? Ich meine: unter be-
stimmten Voraussetzungen – ja. Wir müssen – ich kann
das nur noch kurz ansprechen – aber zu einer Differenzie-
rung bei den Beitrittsstaaten kommen. Die Kriterien sind die
Grundlage. Der Erweiterungsprozess darf nicht überdehnt
werden. Der Beschluss, die EU um zwölf Staaten auszu-
weiten, war ein grundlegender Fehler, auch, dass sogar der
Türkei ein Angebot unterbreitet wurde.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Warum?)


Hier brauchen wir einen neuen Denkansatz. Nicht jedes
Land, das eine europäische Perspektive sucht, kann Voll-
mitglied der Europäischen Union werden. Diesen Län-
dern müssen Möglichkeiten einer abgestuften Integration
geboten werden.


(Beifall des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU])


Ich denke dabei zum Beispiel an die Ukraine und an den
Balkan. Wir können Europa nicht bis zum Ural ausdeh-
nen, ohne zu sagen, wie das funktionieren soll.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Problem
der Bundesregierung ist: Die Lösung dieser zentralen Pro-
bleme wird nicht angegangen. Der Kanzler hat kein euro-
päisches Gewicht. Der Außenminister ist angeschlagen.
Deutschland fehlt eine handlungsfähige, erfolgreiche Re-
gierung zur Durchsetzung deutscher Interessen in Europa.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Gernot Erler [SPD]: Bei euch ist alles Müller, oder was!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414402200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Markus Meckel, SPD-Fraktion.


Markus Meckel (SPD):
Rede ID: ID1414402300
Herr Präsident! Meine Kol-
leginnen und Kollegen! Herr Müller, mein Eindruck ist,

dass Sie unter einem großen Wirklichkeitsverlust lei-
den.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Joachim Poß [SPD]: Verlust? Er ist nie in der Wirklichkeit angekommen!)


Wenn Sie berücksichtigen, bei welchen wichtigen Punk-
ten, von denen wir alle gesagt haben, dass sie für uns zen-
tral sind, wir vorangekommen sind, können Sie Ihr Urteil
in keiner Weise belegen.

Obwohl wir gemeinsam gern mehr durchbekommen
hätten – das ist gar keine Frage, das ist auch deutlich dar-
gestellt worden –, müssen wir eindeutig feststellen: Dies
war ein historischer und entscheidender Schritt, weil von
nun an das Tor für die Erweiterung offen ist. Das ist die
Perspektive, aus der dies betrachtet werden muss. Dies ist
zehn Jahre nach den Umbrüchen in Europa wahrhaftig
eine historische Perspektive.

Sie haben eben davon gesprochen, dass Joschka Fischer
die deutsche Führungsrolle nicht mehr wahrnehmen
könne. Ich kann Ihnen nur sagen: Er will sie auch gar nicht
wahrnehmen. Wir wollen keine deutsche Führungsrolle,
sondern unseren Platz in diesem integrierten Europa.


(Beifall bei der SPD).

Mit Führungsrolle hat das aber nichts zu tun. Wir haben
uns schon einmal die Hörner daran gestoßen und ganz Eu-
ropa ins Verderben geführt.

Ein anderer Begriff, der in diesem Zusammenhang im-
mer wieder falsch benutzt wird , ist der Begriff der euro-
päischen Wiedervereinigung.Wir alle wollen eine euro-
päische Vereinigung, aber ein „Wieder“ gibt es in dieser
Frage nicht. Es gibt keinen historischen Zustand, zu dem
wir in irgendeiner Weise zurückkönnten oder -wollten.
Wir wollen etwas Neues schaffen: ein Europa der Inte-
gration, der Freiheit und der Demokratie. Leider haben
wir dies in der Vergangenheit so nicht gehabt.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Was jetzt getan werden muss – ich denke, das ist ein

wesentlicher Erfolg –, ist, die Zeit bis zur Erweiterung,
das heißt bis zur Teilnahme der ersten Staaten an der Eu-
ropawahl im Jahr 2004, zu nutzen. Das ist ein ungeheuer
ehrgeiziger und wichtiger Schritt, der gemeinsam von den
Mitgliedstaaten als Zielvorstellung geäußert worden ist.
Dies macht zugleich deutlich: In den Köpfen der Men-
schen in den Beitrittsstaaten wird die Identifikation mit
Europa in dem halben Jahr zuvor verstärkt, weil es in
diesen Ländern einen Europawahlkampf geben wird. Dies
ist für das gemeinsame Bewusstsein in Europa ungeheuer
wichtig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Natürlich ist dies ehrgeizig in Bezug auf die Verhand-

lungen. Es bewirkt einen ungeheuren Druck bei den
Beitrittsstaaten. Dieser Druck darf nicht nachlassen. Die
Aufgaben sind nach wie vor groß. Wir alle kennen die
schwierigen Bereiche. Aber ich sage gleichzeitig: Auch
uns selbst trifft dieser Druck; denn bei jedem einzelnen
Kapitel und Punkt, über die verhandelt wird, müssen wir
uns als Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Position




Dr. Gerd Müller

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(D)



(A)



(B)


einigen. Wir wissen alle, dass dies vor den Wahlen in der
Europäischen Union nicht einfach wird. Aber dies ist
ein zentrales Anliegen. Wir werden uns bemühen müs-
sen, möglichst schnell eigene klare Positionen heraus-
zuarbeiten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein anderer Punkt ist mir ebenfalls wichtig, den wir

gegenüber den Kandidatenstaaten zur Sprache bringen
wollen. In den letzten Jahren haben immer wieder die
Frage des Beitritts, der Zeitpunkt des Beitritts eine zen-
trale Rolle gespielt. Ich hoffe, dass wir jetzt nicht mehr
immer nur über die Einzelheiten des Beitritts reden, son-
dern auch über die Perspektive Europas und über die
Gestaltung des künftigen Europas verhandeln. Das ist ein
Perspektivenwechsel, der durch Nizza ermöglicht worden
ist und den wir wahrnehmen müssen.

Auch ist es gut, wenn wir in bilateralen Gesprächen
versuchen, ein solches Ziel zu erreichen. Wir haben zum
Beispiel im Rahmen der deutsch-polnischen Parlamen-
tariergruppe geplant, im ersten Halbjahr dieses Jahres ein
gemeinsames Europapapier zu verfassen, das zwar kein
von den Parlamenten verabschiedetes Papier ist, aber den
Versuch darstellt, Positionen abzustimmen und gemein-
sam Fragen zu formulieren. Dabei wird man erkennen
können, wie unsere gemeinsame Vorstellung von Europa
aussieht.

Ich möchte noch einmal auf die innenpolitische Per-
spektive zurückkommen, die Herr Gloser schon ange-
sprochen hat. Es ist wichtig, die Ängste und Befürchtun-
gen, die es in unserer Bevölkerung gibt, ernst zu nehmen.
Dies müssen wir auf zweierlei Weise tun, wobei wir deut-
lich zwischen irrationalen Ängsten, die auf Unkenntnis
beruhen und durch übertriebene Thesen hervorgerufen
sind, und realen Ängsten differenzieren sollten. Wir brau-
chen Informationen. Ich danke der Bundesregierung


(Walter Hirche [F.D.P.]: Wo ist denn der Bundesaußenminister?)


und den vielen Initiativen, die durch Informationen deut-
lich machen, dass viele dieser Befürchtungen irreal sind
und dass die Gefahren nicht so sind, wie sie oft dargestellt
werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es lässt sich natürlich nicht leugnen, dass es insbe-

sondere in den Grenzregionen zu Belastungen kommt.
Hier ist es zu begrüßen, dass es – dieser Punkt ist schon
angesprochen worden – durch eine gemeinsame Initiative
mit Österreich gelungen ist, deutlich zu machen – das hat
Herr Verheugen als zuständiger Kommissar schon
angekündigt –, dass diese Grenzregionen eine besondere
Unterstützung brauchen. Dazu gehört natürlich zum einen
Geld. Dies darf den Rahmen der Agenda 2000 nicht spren-
gen, aber es gibt noch Mittel, auf die man zurückgreifen
kann. Zum anderen ist es wichtig, dass es durch eine Flexi-
bilisierung des Beihilferechtes ermöglicht wird, dass Na-
tionalstaaten – bei uns sind auch die Länder ange-
sprochen – in diesen Regionen tätig werden.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Warum haben Sie denn unseren Vorstoß vor vier Wochen abgelehnt?)


Die Bundesregierung plant entsprechende Schritte. Sie
werden am 6. Februar dieses Jahres die Gelegenheit
haben, eine Rede des Bundeskanzlers zu hören, in der er
erste Überlegungen der Bundesregierung zur Förderung
der Grenzregionen vorgetragen wird. Wir brauchen gera-
de in diesem Bereich eine regionale Wirtschaftspolitik.
Dazu laufen die Vorbereitungen.

Ich möchte nun einen Punkt ansprechen, der im Rah-
men der Integration noch nicht erwähnt wurde, und zwar
die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und
insbesondere die europäische Sicherheits- und Verteidi-
gungspolitik. Dabei geht es nicht, wie manche in Zeitun-
gen immer wieder schreiben, um eine europäische
Armee – darauf möchte ich noch einmal deutlich hin-
weisen –, also nicht darum, dass Europa jetzt aufrüsten
will. Es geht vielmehr um ein gemeinsames europäisches
Handeln in den Fragen der Krisenprävention und des
Krisenmanagements.

Wir sollten ernst nehmen, dass auch der UN-General-
sekretär die Bedeutung der Europäischen Union in diesen
Fragen anerkannt hat und ständige und engere Koopera-
tionen zwischen den UN und der Europäischen Union an-
strebt. Bis Ende dieses Jahres sollen sowohl im zivilen als
auch im militärischen Bereich erste operative Einsatz-
fähigkeiten in Bezug auf das EU-Krisenmanagement
geschaffen werden. Da ist wahrhaftig eine ganze Menge
zu tun.

Der Vorteil der Europäischen Union in diesen Fragen
ist, dass wir anders als bei der NATO, der OSZE oder den
UN verschiedene Kapazitäten zusammenführen können,
und zwar politische, wirtschaftliche und die in Zukunft
aufgebauten militärischen Kapazitäten, um die Krisen-
prävention bzw. – wenn nicht anders möglich – das Mana-
gement der Bewältigung von Krisen möglichst kon-
zeptionell und im abgestimmten Handeln umzusetzen.
Dies ist eine ganz zentrale europäische Aufgabe. Hier sind
wir wesentliche Schritte vorangekommen.

Neben dem Aufbau der dafür nötigen Institutionen ist
das Wichtigste der politische Wille. Hier sind alle Betei-
ligten gefordert. Hier kann man gerade angesichts des
Gipfels in Nizza und angesichts der Vergangenheit die Be-
fürchtungen haben, ob es uns Europäern gelingt, gemein-
sam handlungsfähig zu werden.

Es gibt in Europa, in Deutschland und auch unter uns
einige, die dem amerikanischen Handeln gegenüber, das
manchmal durchaus unilateral ist, skeptisch eingestellt
sind und sagen: Dies sollte nicht sein. – Gleichzeitig müs-
sen wir uns aber fragen, ob wir als Europäer in diesen Fra-
gen zu gemeinsamem Handeln fähig sind. Denn nur dann,
wenn dies der Fall ist, werden wir gegenüber Amerika ein
entsprechendes Gewicht einbringen können. So werden
wir die transatlantische Zusammenarbeit auch in Sicher-
heitsfragen stärken. Dies ist nicht, wie manche in Amerika
denken, ein Widerspruch. Es ist unsere zentrale Aufgabe,
bei deren Bewältigung wir auch auf dem Gipfel in Nizza
ein Stück weit vorangekommen sind und wofür wir in
Zukunft noch einiges zu tun haben.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN)





Markus Meckel
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(C)



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Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414402400
Ich schließe die Aus-
sprache.

Herr Kollege Hirche, Sie fragten vorhin, wo der Bun-
desaußenminister sei. Der Bundesaußenminister hat sich
beim Bundestagspräsidenten entschuldigt: Er nimmt am
Neujahrsempfang des Diplomatischen Korps beim
Bundespräsidenten teil.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Aber einen Staatssekretär hätte er doch schicken können! Es laufen doch genügend herum! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ein Staatssekretär ist in El Salvador!)


– Hier wurde nach dem Bundesaußenminister gefragt. Ich
habe Ihnen hiermit erläutert, dass er sich ausdrücklich ent-
schuldigt hat.

Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zum
Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Druck-
sache 14/5084. Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag der F.D.P.? – Die Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Der Antrag ist abgelehnt.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für die Angele-
genheiten der Europäischen Union zu der Entschließung
des Europäischen Parlaments mit seinen Vorschlägen für
die Regierungskonferenz, Drucksache 14/4980. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Bei Gegenstimmen der CDU/CSU-Frak-
tion und Enthaltung der F.D.P. ist die Beschlussempfeh-
lung angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Sozialgesetzbuchs –
Neuntes Buch – (SGB IX) Rehabilitation und
Teilhabe behinderter Menschen
– Drucksache 14/5074 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Haushaltsausschuss

Ich erlaube mir an die Bundesregierung folgende An-
regung: Da wir alle nicht wissen müssen, in welchem
Kapitel des Sozialgesetzbuches was enthalten ist, ist es
schön, dass in Klammern hinzugefügt worden ist, um
welches Thema es sich handelt, nämlich um den Bereich
der Rehabilitation. Es wäre gut, wenn man in Zukunft
ebenso verfahren würde. Ich weiß natürlich, worum es
sich handelt; denn ich bin Sozialpolitikerin. Da uns alle
dies interessiert, wage ich, diese Anregung zu geben.


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Ich höre keinen
Widerspruch. – Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bun-
desminister für Arbeit, Walter Riester, das Wort.

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Frau Präsidentin! Zunächst einmal herzli-
chen Dank für die Anregung, ich werde sie aufgreifen.

Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden
Neunten Buch Sozialgesetzbuch zur Rehabilitation
macht die Bundesregierung in der Politik für behinderte
und mit behinderten Menschen ihren zweiten Schritt. Den
ersten Schritt haben wir im letzten Jahr gemacht, indem
wir das Schwerbehindertengesetz verändert haben, und
zwar zusammen mit den Verbänden der Behinderten, der
Wirtschaft, den Gewerkschaften und behinderten Men-
schen. Ich darf Ihnen kurz bilanzieren: Unser Ziel war und
ist es, in zwei Jahren 50 000 zusätzliche Arbeitsmög-
lichkeiten für behinderte Menschen auf dem ersten Ar-
beitsmarkt zu schaffen. Eine erste Zwischenbilanz: Die
Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen ist im Ver-
gleich mit dem Dezember des zurückliegenden Jahres um
13 000 zurückgegangen. Was mich fast noch mehr freut:
Die Vermittlungsquote ist um 30 Prozent gestiegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit der Vorlage des Neunten Buches Sozialgesetzbuch
gehen wir nun konsequent weiter, indem wir uns dafür
einsetzen, dass zur Fürsorge für behinderte Menschen
überall dort, wo es möglich ist, eine Politik entwickelt
wird, die behinderte Menschen in die Lage versetzt,
selbstverantwortlich ihr Leben zu bewältigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dabei geht es in einem ersten Schritt darum, die
Vielfalt der Angebote der Leistungsträger zu bündeln und
die zum Teil mühsamen Behördengänge, die gemacht
werden müssen, um Leistungen zu erhalten, zu verein-
fachen und so die Dienstleistungen zum Menschen zu
bringen. Dies werden wir dadurch erreichen, dass wir auf
Kreisebene Servicestellen einrichten – die ersten Signale
der Leistungsträger zeigen, dass sie mitmachen –, in de-
nen Leistung koordiniert angeboten wird und in denen be-
hinderte und von Behinderung bedrohte Menschen Infor-
mationen bekommen können. Damit hören die Wege von
Pontius zu Pilatus auf, damit hört auf, dass man sich vor
Gerichten darüber streitet, wie weit Zuständigkeit der
Leistungsträger geht. Wir möchten, dass die Dienstleis-
tung zum Menschen kommt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Sinne einer eigenverantwortlichen Unterstützung
möchten wir, dass diese Leistungen als Wunsch- und
Wahlrecht ausgestaltet werden und Leistungen dort, wo
es sinnvoll ist, als Geldleistungen gewährt werden kön-
nen. Wir werden darüber hinaus Modellprojekte entwi-
ckeln, mit denen geprüft werden soll, ob diese Leistungen






(C)



(D)



(A)



(B)


auch in eigenen Budgets ausgewiesen werden können.
Wir möchten damit den unterschiedlichen Interessen und
den unterschiedlichen Voraussetzungen, die Menschen
mit Behinderungen einbringen, auch bei den Leistungen
Rechnung tragen.

Dies ist ein weiterer wichtiger Schritt, der durch einen
dritten Punkt ergänzt wird: Wir wollen eine die Träger
übergreifende Qualitätssicherung der Leistung herbei-
führen. Insgesamt wollen wir: Dienstleistung zum Men-
schen bringen, ein Wahlrecht der Leistung und eine die
Träger übergreifende Qualitätssicherung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Konsequent muss die Leistung der medizinischen Re-
habilitation und der Eingliederung in den Arbeitsprozess
durch die Leistungen der Träger der Sozialhilfe und der
öffentlichen Jugendhilfe ergänzt werden. Wir werden sie
einbeziehen, um die Gesamtheit der Rehabilitation im
Neunten Buch Sozialgesetzbuch zusammenzufassen.
Dabei werden wir die Leistungen der Sozialhilfe weiter-
hin als nachrangige Leistungen vorsehen, wollen sie aber
integrieren, um den Leistungsanspruch in seiner Gesamt-
heit zu fasssen und Übersichtlichkeit herbeizuführen.

Bei den Leistungen der Sozialhilfe für die medizini-
sche Rehabilitation und die Eingliederung wollen wir auf
die Bedürftigkeitsprüfung verzichten und damit sicher-
stellen, dass von Geburt an Behinderte nicht anders be-
handelt werden als Menschen, die nach einem Unfall,
zum Beispiel im Kindergarten, behindert werden. Auch
hier muss für Gleichheit gesorgt werden.

Nächster Punkt. In dem von mir angesprochenen
Schwerbehindertengesetz haben wir erstmals festgelegt,
dass schwerbehinderte Menschen bei der Eingliederung
in den Arbeitsprozess Unterstützung durch eine Arbeits-
assistenz bekommen, und zwar dort, wo es dringend
notwendig und erforderlich ist. Diese Regelung wollen
wir im Neunten Buch Sozialgesetzbuch konsequent auch
auf andere Leistungsträger ausdehnen; denn ohne Ar-
beitsassistenz ist es für viele schwerbehinderte Menschen
nicht möglich, den entsprechenden Weg zu gehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein nächster wichtiger Punkt, den wir im Gesetz regeln
wollen, betrifft die Menschen, die gehörlos sind. Gehör-
lose Menschen werden zukünftig einen Rechtsanspruch
auf Unterstützung haben, damit sie sich auf den Ämtern
und bei Inanspruchnahme von Leistungen in der Laut-
und Gebärdensprache verständlich machen können; denn
ohne Unterstützung bleibt ein Leistungsangebot für
gehörlose Menschen sinnlos. Sie werden dadurch in der
Lage sein, sich in der Laut- und Gebärdensprache ver-
ständlich zu machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Damit gehen wir in der Politik für und – ich betone –
mit behinderten Menschen einen neuen und entscheiden-
den Schritt, und zwar nicht nur quantitativ, sondern auch

qualitativ. Mir ist dies sehr wichtig. Wir werden – ich
kündige das schon an – als weiteren Schritt das Gleich-
stellungsgesetz angehen, indem wir den dritten Teil des
betroffenen Bereichs für und mit behinderten Menschen
regeln. Ich bin mir sehr sicher, dass wir unsere Gesell-
schaft durch diese rechtlichen Schritte und vor allem
durch eine veränderte Praxis menschlicher gestalten. Eine
Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, wie insgesamt
miteinander umgegangen wird und wie mit Behinderun-
gen und Nichtbehinderungen umgegangen wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414402500
Für die CDU/CSU-
Fraktion erteile ich das Wort der Kollegin Claudia Nolte.


Claudia Nolte (CDU):
Rede ID: ID1414402600
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute in
der Tat um ein sehr entscheidendes Gesetz in der Behin-
dertenpolitik, ein Gesetz, um das lange gerungen wurde
und das die Chance bietet, dass sich der Paradigmen-
wechsel, den wir in den letzten Jahren in der Behinder-
tenpolitik verfolgen konnten, in einem Gesetz nieder-
schlägt.


(Monika Ganseforth [SPD]: Endlich!)

Das ist ein weiterer Schritt in der Rehabilitation und der
Eingliederung von Menschen mit schweren Behinderun-
gen.

Ich bedaure es sehr, dass es in unserer Regierungszeit
nicht gelungen ist, ein SGB IX auf den Weg zu bringen.


(Zuruf von der SPD: Das ist wahr!)

Liebe Kollegen von der SPD und von den Grünen, bei
näherer Betrachtung des Gesetzgebungsverfahrens und
dessen, was wir jetzt vor uns haben, ahne ich langsam,
warum uns das nicht gelungen ist. Wir hatten einfach zu
hohe Ansprüche.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das ist wohl wahr! Wir waren nicht bereit, sie in dem Maße zurückzuschrauben!)


Auch die Ansprüche und Erwartungen der Behinderten-
verbände waren damals deutlich höher als heute.


(Zuruf von der SPD: Weil Sie große Ansprüche hatten, haben Sie nichts gemacht!)


Um was geht es uns beim SGB IX? Derzeit gibt es ein
leistungsfähiges Eingliederungs- und Rehabilitations-
recht mit hohen Leistungsansprüchen. Wir haben einge-
spielte Verfahren der Selbstverwaltung und kompetente
Interessensvertretungen im Bereich der Behinderten-
organisationen und -verbände. Eigentlich ist das heutige
System gut. Das vorhandene gegliederte System sichert
Kompetenz, Leistungsfähigkeit und Wettbewerb. Aber
das Problem ist, dass das verzweigte System für den Be-
troffenen intransparent ist, dass er gar nicht so recht weiß,
welche Leistungsansprüche er hat, dass dieses System
sehr stark vom Fürsorgegedanken und weniger von der
Einsicht geprägt ist, dem Betroffenen vor allem ein selbst-
bestimmtes Leben zu ermöglichen.




Bundesminister Walter Riester
14134


(C)



(D)



(A)



(B)


Außerdem gibt es oft ein Nebeneinander und weniger
ein Miteinander der Reha-Träger. Dort, wo die Kompe-
tenzen unklar sind, gibt es sehr lange Verfahrenswege.

Deshalb muss es doch in einer neuen Kodifizierung
des Rehabilitations- und Eingliederungsrechtes darum
gehen, größere Transparenz sicherzustellen, den Betrof-
fenen mehr Wahlfreiheit zu ermöglichen, eine bessere
Zusammenarbeit von Leistungsträgern, Einrichtungen
und Betroffenen zu bewerkstelligen sowie eine höhere Ef-
fizienz zu erreichen. Das erfordert ein Stück weit auch
eine bessere Abstimmung der einzelnen Leistungsgesetze
aufeinander.

Zudem gab es zu unserer Zeit auch noch die Erwartung,
dass mit einem SGB IX auch Leistungsverbesserungen
verbunden sind. Diesen Zahn hat uns die jetzige Koalition
schon bei der Festlegung der Eckpunkte gezogen. Diesen
Erwartungen ist sie durch den Finanzierungsvorbehalt
konsequent entgegengetreten.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Ist bei dieser Regierung auch nicht anders zu erwarten!)


Das also ist gar nicht erst angedacht worden.

(Erika Lotz [SPD]: Wer 1,5 Billionen Schulden hinterlassen hat, müsste ruhig sein!)


Aber auch bezüglich der anderen Ziele, über die es in
diesem Haus eigentlich eine große Übereinstimmung
gibt, hat dieses Gesetz die Erwartungen überhaupt nicht
erfüllt.


(Peter Dreßen [SPD]: Ach, Frau Nolte! – Erika Lotz [SPD]: Schulden hinterlassen und uns dann Vorhaltungen machen!)


Die Regelungen werden komplizierter, sie werden nicht
transparenter, sondern undurchsichtiger,


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Auch wahr!)

und sie sind mit einer größeren Bürokratie verbunden.
Durch die Einführung neuer unbestimmter Rechtsbegriffe
gibt es auch neue Unsicherheiten. Es wird also erst einen
langen Weg durch die Instanzen geben, bis klar ist, wel-
ches Recht neu kodifiziert wurde.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Ein Beschäftigungsprogramm für die Sozialgerichte ist das!)


Zudem sind Ansätze vorhanden, die deutlich machen,
dass hier eine andere Philosophie zum Tragen kommt:
weniger Selbstverwaltung und mehr staatlicher Dirigis-
mus.

Auch vom Gesetzestechnischen her finde ich den Ent-
wurf höchst unbefriedigend. Viele Inhalte werden in
Verordnungen abgeschoben. Man muss sich das einmal
vorstellen: Allein in das erste Kapitel haben Sie
16 Verordnungsermächtigungen hineingeschrieben. Ein
Parlament, das das mit sich machen lässt, macht sich bald
selbst überflüssig.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das zeugt nicht von Selbstvertrauen der rot-grünen Koalition!)


Letztlich fehlt diesem Entwurf die Vision eines moder-
nen Rehabilitationsrechtes. Eigentlich schreiben Sie den
Status quo fest; Sie machen lediglich aus zwei Gesetzen
eines. So wird zum Beispiel nicht deutlich, wie die
Selbstbestimmung des Betroffenen sichergestellt werden
soll. Wie wollen Sie dem Prinzip „ambulant vor stationär“
zur Durchsetzung verhelfen? Sie schreiben das zwar
hinein, aber machen nicht deutlich, wie das praktische
Verfahren aussehen soll.


(Silvia Schmidt [Eisleben] [SPD]: Wunschund Wahlrecht!)


– Ja, die Regelung zum Wunsch- und Wahlrecht ist ge-
kennzeichnet von dem Bemühen, es allen recht machen zu
wollen: den Leistungsträgern, die bezahlen müssen, den
Einrichtungen, deren Existenz gesichert sein soll, aber
auch den Betroffenen.


(Silvia Schmidt [Eisleben] [SPD]: Wir reden von Individuen, die selbst entscheiden können!)


So kommt eine Wischiwaschi-Lösung heraus, bei der
überhaupt nicht klar wird, wo Sie stehen. Letztendlich
scheuen Sie den Streit mit den etablierten Einrichtungen.

Diese fehlende Vision wird am deutlichsten, wenn man
sich das Gesetzgebungsverfahren anschaut. Es gab
keinen Entwurf, von dem Sie sagen konnten: Das ist unser
Konzept, damit ist uns ein großer Wurf gelungen.
Stattdessen haben Sie eine Flut von Gesetzentwürfen pro-
duziert, mit einer Halbwertzeit, die am Ende drei Wochen
betrug.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das ist doch typisch für Riester!)


Man ist überhaupt nicht mehr mitgekommen. Anhand der
Änderungen, die gegenüber dem Vorgängerentwurf vor-
genommen wurden, konnte man ziemlich genau sehen,
wer der letzte Gesprächspartner des Ministeriums war.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: So ist das!)


Sie müssten doch selber eine Konzeption haben, anstatt
zu versuchen, alles glatt zu ziehen und es jedem recht
machen zu wollen. Wie wir wissen, kommt dabei am Ende
nichts Gescheites heraus.


(Erika Lotz [SPD]: Wer nichts auf die Beine gebracht hat! – Peter Dreßen [SPD]: Ich glaube, Sie haben den Entwurf gar nicht gelesen!)


– Im Gegensatz zu Ihnen habe ich sogar jeden Ände-
rungsentwurf gelesen, lieber Herr Kollege.

Ich sage für die CDU/CSU-Fraktion noch einmal ganz
deutlich: Wir halten ein Sozialgesetzbuch IX für richtig
und notwendig. Dazu gehört meines Erachtens, dass die
verschiedenen Leistungsgesetze aufeinander abgestimmt
werden – ein Ansatz, der in diesem Gesetzentwurf fehlt.
Ebenso ist es unumgänglich, eine befriedigende Lösung
für die Eingliederungshilfe zu finden, insbesondere für
die Frage des Nachranggrundsatzes.

Es gab einmal eine Opposition aus SPD und Grünen,
die vehement ein Leistungsgesetz für Menschen mit




Claudia Nolte

14135


(C)



(D)



(A)



(B)


Behinderung forderte. Tun Sie es doch jetzt, wo Sie es
können, verdammt noch mal!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Klaus Brandner [SPD]: Beklatschen Sie jetzt Ihre eigenen Untaten?)


Die Sozialhilfeträger zu Rehaträgern zu erklären,
sie aber ausdrücklich im Bundessozialhilfegesetz zu be-
lassen – sodass man dann natürlich auch den Prinzipien
des Bundessozialhilfegesetzes unterworfen ist –, ist einer
der eklatantesten Konstruktionsfehler in diesem Gesetz-
entwurf. Dadurch kann es am Ende keine befriedigende
Lösung geben. Das wird auch nicht dadurch besser, dass
Sie auf die ursprünglich geplanten Verschlechterungen im
Sozialhilferecht schlussendlich verzichten.

Ein weiterer problematischer Punkt – es kam dazu
schon ein Zwischenruf – sind die Servicestellen. Ich un-
terstelle einmal, sie sind gut gemeint. Aber bekanntlich ist
das Gegenteil von gut nicht böse oder schlecht, sondern
gut gemeint. Was bedeutet das in der Konsequenz? Die
Servicestellen sollen beraten und unterstützen, sie sollen
entscheidungsreife Vorlagen für die Rehaträger erar-
beiten. Sie müssen also professionell arbeiten, haben aber
keine Entscheidungskompetenz. Diese können sie auch
nicht haben, weil letztendlich die Rehaträger entscheiden
müssen, denn sie sind diejenigen, die das Geld geben. Sie
können nicht Finanz- und Entscheidungsverantwortung
trennen.

Dies bedeutet aber letztendlich, dass die Servicestellen
zur Barriere werden. Es kommt zu einem höheren Zeit-
aufwand, zu mehr Bürokratie, weil eine Stelle erst einmal
alles vorab regelt, was am Ende der Rehaträger noch ein-
mal regelt. Dies führt zu mehr Frust bei den Betroffenen,
aber auch bei denjenigen, die in den Servicestellen und bei
den Rehaträgern arbeiten. Reibungsverluste sind vorpro-
grammiert. Die Akten werden von einem zum anderen
geschoben werden und jeder wird sagen: Wir sehen gar
nicht ein, wie die anderen das entschieden haben. – So
kann es nicht funktionieren.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414402700
Frau Kollegin, den-
ken Sie bitte an die Redezeit.


Claudia Nolte (CDU):
Rede ID: ID1414402800
Ich komme zum Schluss.
Die Kollegen geben mir eine Minute ihrer Redezeit ab.
Ich möchte meinen Gedanken noch zu Ende führen.

Wenn Sie das nicht wollen, müssten die Servicestellen
Entscheidungskompetenz bekommen. Aber dann müssten
Sie sich vom gegliederten System verabschieden, hätten
ein Einheitssystem und müssten dafür sorgen, dass Ent-
scheidungs- und Finanzkompetenz zusammenfallen.

Es ist nicht zu verhehlen, dass das ganze Gesetz von
solchen Tendenzen gekennzeichnet ist: mehr Kompetenz
der BAR, mehr Kompetenz und mehr Mitspracherechte
der Länder und der Bundesregierung bei der Ver-
sorgungsplanung. Diese Tendenzen heißen wir nicht gut.

Ich bedaure sehr, dass unser Angebot zur Zusammen-
arbeit von Ihnen zu keinem Moment ernsthaft geprüft
oder gar angenommen worden ist. Ich weiß nicht, wie wir

im Laufe der Beratung unsere grundsätzlichen Bedenken
ausräumen wollen. Wir haben ein wenig den Eindruck,
dass Sie dieses Gesetz gern im Windschatten der Debatte
über die Rente und die Mitbestimmung still durchziehen
wollen.


(Peter Dreßen [SPD]: Jetzt können Sie doch mitarbeiten! Niemand hindert Sie daran!)


Ich hoffe, dass es uns trotzdem im Zuge der Beratungen
gelingt, die groben Schnitzer aus diesem Gesetz zu ent-
fernen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das wird schwer, aber wir versuchen es!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414402900
Nun erteile ich der
Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen,
das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

legen! Ich glaube nicht, dass ausgerechnet dieses Gesetz
sich dazu eignet, es im Windschatten über die Bühne zu
bringen. Wir haben darüber auch sehr offen und viel dis-
kutiert.

Behindert ist man nicht, behindert wird man – die Bun-
desregierung hat sich zum Ziel gesetzt, diesem ein Ende
zu bereiten. Ich freue mich, dass wir nach der bereits voll-
zogenen und längst überfälligen Novelle des Schwerbe-
hindertengesetzes heute das nächste große Reformprojekt
auf den Weg bringen, das wir Menschen mit Handicap in
unserer Koalitionsvereinbarung versprochen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das SGB IX steht für die Zusammenführung und Ver-
einfachung des Rehabilitationsrechts.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Na ja!)

Sie haben selbst gerade zugegeben, dass es diesen An-
spruch auch tatsächlich erfüllt. Seit vielen Jahren, ja fast
schon Jahrzehnten, wurden immer wieder Bemühungen
gestartet, die Rehabilitationsleistungen in einem neuen
Sozialgesetzbuch zusammenzuführen und so zu verein-
heitlichen. Ich bin sehr froh, dass uns dies nach nur ein-
einhalb Jahren Vorbereitungszeit und Diskussion – wir
sind die erste Bundesregierung überhaupt; auch darauf
haben Sie gerade verwiesen – gelungen ist.

Es ist den beiden Regierungsfraktionen nicht allein
gelungen. Sie haben es vielmehr durch intensive Zusam-
menarbeit mit den Behindertenverbänden, den Selbsthil-
feinitiativen und mit vielen einzelnen Menschen mit
Handicap geschafft, denen wir zu danken haben, dass sie
unsere Arbeit stets kritisch und konstruktiv begleitet
haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Claudia Nolte
14136


(C)



(D)



(A)



(B)


Vielfach wurden die Hürden beschrieben, die behin-
derte Menschen aufgrund der unterschiedlichen Regelun-
gen und Zuständigkeiten zu überwinden haben, um Hilfen
zu bekommen, natürlich ganz zu schweigen von den Hür-
den, die ihnen das Leben sowieso schon bereitet. Mit
diesem Gesetz vereinfachen wir nicht nur das Rehabilita-
tionsrecht durch die Zusammenführung in einem zen-
tralen Gesetzbuch, sondern garantieren vor allem schnelle
und verlässliche Bearbeitungszeiten.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Glauben Sie wirklich daran bei der Anzahl der Verordnungen, die darin sind?)


Genau dazu schaffen wir die Service- und Beratungsstel-
len. Ich denke, dass das Ziel erreicht wird. Ich glaube
auch, dass viele darauf sehr lange gewartet haben und jetzt
zu Recht froh sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meines Erachtens wurden gerade die viel zu langen
Wartezeiten völlig zu Recht kritisiert. Es wurde kritisiert,
dass sich Zuständigkeiten überschneiden und dass
einzelne Rehabilitationsschritte nicht nahtlos ineinander
übergehen. Rehabilitation ist nun einmal ein dynamischer
Prozess und die zum Teil lebensnotwendigen Bedarfe von
Menschen lassen sich nicht durch Gesetzbücher begren-
zen und sie enden nicht an den Türen einzelner Institutio-
nen.

Ich möchte den Befürchtungen einiger Rehaträger ent-
gegentreten, dass es mit der Einrichtung gemeinsamer
Servicestellen darum gehe, Zuständigkeiten zu entziehen
oder einen neuen Verwaltungsapparat zu schaffen. Es geht
vielmehr darum, vorhandene Ressourcen zu bündeln.
Dazu zählt für uns neben den bereits verankerten Reha-
trägern vor allem die Behindertenselbsthilfe, die in die
Koordinations- und Beratungstätigkeit zukünftig ver-
stärkt einbezogen wird. Auch das ist ein wirklich neuer
Schritt.

Wir begrüßen – der Minister hat darauf hingewiesen –,
dass nach dem Bundessozialhilfegesetz in Zukunft bei der
beruflichen und medizinischen Rehabilitation die Be-
dürftigkeitsprüfung entfällt. Für viele in den Werkstät-
ten beschäftigte behinderte Menschen bedeutet das, dass
sie ihren Arbeitsplatz in der Werkstatt mit ihrem Einkom-
men endlich nicht mehr mitfinanzieren müssen. Entfallen
wird damit ebenso die von vielen als entwürdigend emp-
fundene Antragstellung und Überprüfung persönlicher
Lebensverhältnisse.

Damit beenden wir endlich die bislang bestehende Un-
gerechtigkeit im Leistungsrecht, das immer zwischen
Menschen, die von Geburt an behindert sind, und Men-
schen, die erst im späteren Leben, zum Beispiel durch ei-
nen Unfall oder eine Erkrankung, zu Behinderten wurden,
unterschieden hat. Auch hier wird deutlich: Die Situation
der Menschen mit Handicap steht im Mittelpunkt unserer
Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Darüber hinaus haben wir im SGB IX endlich eine Lö-
sung der Umwidmungsproblematik der Behindertenein-
richtungen gefunden. Kein Mensch mit Behinderung darf
aus Kostengründen aus einer Einrichtung der Behinder-
tenhilfe in eine Pflegeeinrichtung verlegt werden. Das ha-
ben wir seit vielen Jahren fraktionsübergreifend gefor-
dert. Wenn, so sagt dieser Gesetzentwurf, die notwendige
Pflege in der Einrichtung nicht geleistet werden kann und
eine Verlegung aus medizinischen Gründen in eine andere
Einrichtung notwendig ist, dann wird das nicht über den
Kopf des oder der Betroffenen hinweg entschieden. Bei
den Verhandlungen der Einrichtungsträger muss auch der
Wunsch des Menschen mit Behinderung berücksichtigt
werden. Das ist ein großer Erfolg in Richtung Selbstbe-
stimmung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Bündnis 90/Die Grünen haben sich besonders dafür
stark gemacht, dass neben der Kompetenz der verschie-
denen Rehabilitationsfachgebiete nun auch die bisher
weitgehend ungenutzte und nicht selten an den Rand ge-
drängte Ressource der Selbsthilfe und des Expertentums
der Betroffenen in den Rehabilitationsprozess einge-
bracht und gleichberechtigt behandelt wird. Viele Be-
richte von Betroffenen zeigen, dass es gerade das Zusam-
mentreffen und die vielen kleinen Tipps anderer
Betroffener waren, die sie motiviert haben, mit ihrer Be-
hinderung besser umzugehen, neue Herausforderungen
anzunehmen und sich der persönlichen Situation oder der
Bürokratie nicht ausgeliefert zu fühlen.

Ein anderer für uns vom Bündnis 90/Die Grünen zen-
traler Aspekt dieses Gesetzentwurfs ist die Stärkung der
Wahlfreiheit von Menschen mit einem Handicap. Wenn
wir es mit der Förderung eines selbstbestimmten Lebens
von behinderten Menschen ernst meinen, dann müssen
wir uns von überkommenen paternalistischen Herange-
hensweisen in der Behindertenpolitik und in der Behin-
dertenarbeit Schritt für Schritt verabschieden.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Gerade da greift doch der Entwurf zu kurz!)


Behinderte Menschen und deren Angehörige müssen wir
stattdessen als kompetente und auch kritische Kundinnen
und Kunden von Dienstleistungen begreifen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das steht aber so nicht im Gesetzentwurf!)


Die Eröffnung der Inanspruchnahme eines persönlichen
Budgets sowie die damit verbundene Möglichkeit der
Selbstorganisation und der selbstbestimmten Wahl der
Hilfen ist ein echter Quantensprung in der deutschen Be-
hindertenpolitik in Richtung Selbstbestimmung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


„Persönliches Budget“ darf aber kein anderer Aus-
druck für „Einsparungen“ sein. Es ist wie die Sachleistung
ein Leistungsangebot, das die Rehabilitation und die För-
derung eines selbstbestimmten Lebens von Menschen mit
Behinderung zum Ziel hat. Vor allem geht es uns darum,
ein weiteres Instrument für die Stärkung der Wahlfreiheit




Katrin Göring-Eckardt

14137


(C)



(D)



(A)



(B)


der Betroffenen zu schaffen, sodass auch weiterhin die
Wahl zwischen verschiedenen Formen der Inanspruch-
nahme von Leistungen besteht. Hierbei wird das persön-
liche Budget in Zukunft ein wichtiges Instrument sein.

Wir begrüßen es außerordentlich, dass das SGB IX für
den Bereich des Sozialrechtes die deutsche Gebärden-
sprache bzw. die lautsprachbegleitenden Gebärden als
Sprache der gehörlosen und ertaubten Menschen aner-
kennt. Das bedeutet, dass sie zukünftig bei allen Beratun-
gen, zum Beispiel beim Arztbesuch, einen Gebärdenspra-
chedolmetscher oder eine -dolmetscherin hinzuziehen
können. Das ist ein bedeutsamer Schritt für gehörlose und
ertaubte Menschen und ein längst überfälliger Schritt in
eine moderne Gesellschaft ohne Barrieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Das SGB IX ist der erste Schritt, Art. 3 Abs. 3 des
Grundgesetzes „Niemand darf wegen seiner Behinderung
benachteiligt werden“ umzusetzen. Wo das Sozialrecht
betroffen ist, haben wir einen Antidiskriminierungs-
grundsatz mit der nötigen Beweislastumkehr eingeführt.
Wenn also zum Beispiel ein Arbeitgeber in Zukunft einen
Beschäftigten nicht einstellt, dann muss er gegebenenfalls
begründen, dass diese Absage nichts mit der Behinderung
des Arbeitsuchenden zu tun hatte. Auch hier handelt es
sich um einen großen Fortschritt. Das gilt ebenso für die
Verbesserung der Situation von Frauen mit Behinde-
rungen oder von allein erziehenden Müttern oder Vätern
mit behinderten Kindern.

Auch wenn die finanziellen Rahmenbedingungen – da-
rauf ist hingewiesen worden – es nicht erlaubt haben, alle
Wünsche aufzugreifen, so haben wir es hier dennoch mit
einem ganz klaren Abbau von Barrieren im Sozialrecht zu
tun. Wir befinden uns auf einem gutem Weg, was die
Schaffung von 50 000 neuen Arbeitsplätzen für behin-
derte Menschen angeht, und Sie können sicher sein, dass
sich meine Fraktion auch mit allem Nachdruck dafür ein-
setzen wird, dass ein Antidiskriminierungsgesetz für
Menschen mit Behinderungen geschaffen wird.


(Beifall der Abg. Helga Kühn-Mengel [SPD])

Das Vertrauen, das wir bei Menschen mit Behinde-

rungen geschaffen haben, sollten wir nicht leichtfertig
aufs Spiel setzen. Es kann nicht sein, dass wir auf der ei-
nen Seite hier und heute gemeinsam unser Engagement
für behinderte Menschen kundtun und auf der anderen
Seite den Menschen, für die wir nun Antidiskriminie-
rungsregelungen durchsetzen, das Lebensrecht abspre-
chen.


(Beifall des Abg. Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU])


Wir müssen uns zu unseren ethischen Grundwerten be-
kennen und zur Kenntnis nehmen, dass wir Familien mit
den abstrakten Versprechungen der Gentechnik zuneh-
mend verunsichern.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Sehr richtig!)

Natürlich wünschen sich Eltern ein gesundes Kind. Doch
wer bestimmt überhaupt noch, wie viele vorgeburtliche

Untersuchungen eine Frau über sich ergehen lassen muss,
um herauszufinden, wie gesund das Kind in ihr ist? Mög-
licherweise wird festgestellt, dass das Kind behindert sein
wird. Müssen dann nicht wir Politiker, aber auch unsere
Gesellschaft alles daran setzen, dass die Beantwortung
der Frage, ob das Kind auch wirklich ausgetragen wird,
nicht davon abhängt, ob die Gesellschaft alle notwendige
Unterstützung und Begleitung anbieten kann?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Ich wünsche mir, dass gesellschaftliches Miteinander
von Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Be-
hinderung eine Bereicherung für beide Seiten bleibt, und
bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414403000
Nun erteile ich dem
Kollegen Dr. Heinrich Kolb für die F.D.P.-Fraktion das
Wort.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1414403100
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte ist der
zumindest vorläufige Abschluss eines Verfahrens, das ich
in zehn Jahren in diesem Hohen Haus noch nicht erlebt
habe und das mir rückblickend wie ein Selbstfindungs-
prozess der rot-grünen Koalition vorkommt.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Seit zwei Jahren ist das aber üblich!)


Von der Koalitionsvereinbarung bis heute haben Sie sich
zwei Jahre lang über Eckpunkte, mehrere Diskussions-
entwürfe, einen Vor-Referentenentwurf und den jetzigen
Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen in einem sehr
zähen Verfahren von Ihren überaus ehrgeizigen Zielen
verabschiedet. Sie legen heute – ich muss es leider so sa-
gen – ein Sammelsurium von Vorschriften vor, das viele
behinderte Menschen und Verbände mit Recht als enttäu-
schend empfinden. Der große Wurf ist es in jedem Falle
nicht.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Dass die Bundesregierung, obwohl Bundesminister

Walter Riester den Entwurf gestern der Presse vorgestellt
hat, sich das Vorhaben nicht per Kabinettsbeschluss zu Ei-
gen gemacht hat, unterstreicht in besonderer Weise die
Qualität der Vorlage. Herr Minister Riester, auch die ge-
ringe Begeisterung, mit der Sie den Gesetzentwurf heute
hier eingeführt haben, ist darauf ein Hinweis.


(Klaus Brandner [SPD]: Das Parlament ist keine Karnevalsveranstaltung!)


Meine Damen und Herren, die behinderten Menschen
in unserem Lande haben lange auf dieses Gesetz gewar-
tet. Sie haben sehr viele Vorschläge ein- und sehr viel Ge-
duld aufgebracht. Belohnt werden sie dafür leider nicht.


(Beifall bei der F.D.P.)





Katrin Göring-Eckardt
14138


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich will einige Punkte nennen. Das Wahl- und Wunsch-
recht der behinderten Menschen zwischen Geld- und
Sachleistungen – ein begehrter Wunsch der Betroffenen –
wurde gewährt, aber nur eingeschränkt. Voraussetzung ist
gleiche Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit. Der Nach-
weis ist vom Behinderten zu erbringen, was im Einzelfall
nur schwer gelingen wird.

Was das persönliche Budget angeht, so wird es nur die
Erprobung im Modellvorhaben geben. Das Ob und Wie
entscheidet allein der Rehabilitationsträger. Das ist – das
muss ich sagen – nach den vielen vollmundigen Ankündi-
gungen und Erklärungen aus den Reihen der Koalition
eine große Enttäuschung für die Betroffenen.

Schon diese beiden Punkte zeigen: Das rot-grüne Glau-
bensbekenntnis zieht sich bedauerlicherweise auch durch
das SGB IX. Den Menschen wird nicht zugetraut, dass sie
selbst am besten wissen, was gut für sie ist. Für rot-grüne
Politiker kann und muss das – so sieht es aus – nur der
Staat entscheiden. Sie wollen normierte Einheitsleistun-
gen. In dem Bemühen um die Einheitlichkeit der Leis-
tungserbringung weisen sie die Planung und Steuerung
des gesamten Leistungsgeschehens den Rehabilitati-
onsträgern zu. Die freien Träger von Diensten und Ein-
richtungen werden in ihrem Entwurf zu rein ausführenden
Stellen degradiert.

Für uns aber ist die Ausrichtung auch des SGB IX an
den schon im Bundessozialhilfegesetz und SGB XI be-
währten Grundsätzen der Subsidiarität und des Wettbe-
werbs unverzichtbar.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinde-

rung erfordert Wahlfreiheit, das heißt die Möglichkeit, aus
einer möglichst großen Vielfalt von Angeboten freier, im
Wettbewerb stehender Leistungserbringer auszuwählen.

Wir haben die große Sorge, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, dass mit Ihrer Konzeption gerade für die Menschen
mit schweren geistigen und mit mehrfachen Behinderun-
gen und auch für deren Eltern keine Verbesserungen er-
reicht werden. Ich sage das wegen des auch weiterhin
geltenden, ja zementierten Grundsatzes der Nachran-
gigkeit der Sozialhilfe. Ich sage das auch wegen der Fest-
schreibung der lebenslangen Unterhaltspflicht für Eltern
stationär betreuter Menschen mit schwerster geistiger
bzw. mehrfacher Behinderung. Diese Eltern, die oft jahr-
zehntelang ihr schwerst behindertes Kind zu Hause be-
treut und versorgt haben, müssen – wie andere Eltern
nicht behinderter Kindern auch – irgendwann einmal das
Gefühl haben dürfen, aus der Pflicht zum Unterhalt ent-
lassen zu werden, Vermögen ansparen und eine Altersver-
sorgung aufbauen zu können, die in etwa dem Niveau ver-
gleichbarer Eltern nicht behinderter Kinder entsprechen.
Wir unterstützen jedenfalls die Forderung, die Heran-
ziehung unterhaltspflichtiger Eltern für die Kosten der
Betreuung, Förderung und Pflege ihrer behinderten Söhne
und Töchter auf den Zeitraum bis zur Vollendung des
27. Lebensjahres zu begrenzen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Lassen Sie mich auf einen anderen Punkt zu sprechen
kommen. Die zwangsweise Schaffung der örtlichen Ser-
vicestellen der Rehaträger nach § 23 SGB IX bis Ende
2002 ist unglücklich. Sie wird wohl – das steht zu be-
fürchten – nur Kosten verursachen und in Wirklichkeit
nichts bringen. Ich frage: Was soll der Zwang, wo sich
doch die Kostenträger der Reha bereits auf eine weitge-
hende freiwillige Zusammenarbeit verständigt haben und
wenn am Ende und zuletzt doch wieder der einzelne Re-
haträger entscheidet? Ich stimme Frau Nolte zu: Hier wird
nur unnötige Bürokratie geschaffen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ihr Gesetzentwurf beinhaltet erhebliche rechtliche und

finanzielle Risiken. Die Sozialhilfeträger werden auf ei-
nen Schlag Rehaträger. Abgrenzungsschwierigkeiten
sind vorprogrammiert. Das gesamte soziale Leistungssys-
tem wird von heute auf morgen geändert, ohne dass vor-
her in ausreichendem Umfang verfassungsrechtliche oder
finanzielle Überprüfungen vorgenommen worden wären.
Das Rehasystem, meine Damen und Herren von Rot-
Grün, ist auf die Sozialhilfe, die sich als lebenslange
Eingliederungshilfe für Behinderte von kurzfristigen Re-
hamaßnahmen unterscheidet, nicht zu übertragen. Leis-
tungsverschlechterungen können daher nicht ausge-
schlossen werden; eine vollständige Bauchlandung der
Koalition mit ihrem Vorschlag übrigens ebenfalls nicht.

Leider gilt – ich sagte das bereits – auch weiterhin der
Nachranggrundsatz des Bundessozialhilfegesetzes. Das
ist deswegen bedauerlich, weil damit auch in Zukunft
nicht ausgeschlossen werden kann, dass behinderte Men-
schen in Pflegeeinrichtungen abgeschoben werden, um
Leistungen aus der Pflegeversicherung zu beziehen. Dazu
tragen auch die Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen
Bundessozialhilfegesetz und Pflegeversicherung bei. Auf
die Klärung dieses Punktes werden wir in den kommen-
den Beratungen besonders achten.

Immerhin wird für die erwerbsfähigen Menschen mit
Behinderung das wichtige Thema Arbeitsassistenzen
endlich geregelt. Aber die schwerstbehinderten Menschen
in den Werkstätten haben wieder das Nachsehen, wie
schon zuvor beim Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslo-
sigkeit Schwerbehinderter. Sie gehen leer aus.

Im Übrigen ist festzustellen, dass sich durch den ge-
samten Gesetzentwurf ein roter Faden von Ungereimthei-
ten und programmierten Fehlentwicklungen zieht. So ist
zum Beispiel nach § 29 SGB IX die Förderung von Selbst-
hilfegruppen, -organisationen, oder Kontaktstellen vorge-
sehen. Die gleiche Bestimmung findet sich in § 20 Abs. 4
SGB V. Wer soll denn nun was fördern? Oder erhalten
diese Gruppen etwa Geld aus beiden Töpfen?

In § 18 SGB IX ist vorgesehen, dass Sachleistungen
der Rehabilitation auch im Ausland erbracht werden kön-
nen, wenn dort gleiche Qualität und Wirksamkeit billiger
geleistet werden können. Aber ich frage Sie: Warum nur
im Ausland? Warum wird der Vorrang der Belegung der
Eigeneinrichtungen durch die Rentenversicherungsträger
nicht beseitigt?


(Beifall bei der F.D.P.)





Dr. Heinrich L. Kolb

14139


(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn im Ausland Sachleistungen der Rehabilitation bei
nachgewiesener Wirtschaftlichkeit erbracht werden kön-
nen, warum verwehren Sie das dann privaten Kliniken im
Inland?


(Walter Hirche [F.D.P.]: So ist es! „Inländerdiskriminierung“ nennt man das!)


Es bleibt festzuhalten: Der jetzt vorliegende Gesetz-
entwurf für ein SGB IX bleibt hinter den Erwartungen der
behinderten Menschen zurück. Er beseitigt nicht den
Nachranggrundsatz der Sozialhilfe. Er bringt zu wenig für
die Behinderten in den Werkstätten und für ihre Familien.
Er schafft eine Fülle von Unsicherheiten für die Rehabili-
tations- und Sozialhilfeträger.

Ich schlage Ihnen vor, mit dem gesamten Entwurf noch
einmal in die interne Beratung zu gehen. Es hat mehrere
Diskussionsentwürfe gegeben. Da erwartet man fast
schon einen zweiten Referentenentwurf. Wenn Sie das al-
lerdings nicht tun, dann erwartet uns eine Menge Arbeit
im Ausschuss, um den Entwurf der Realität und den Be-
dürfnissen der Menschen anzupassen. Um der Sache und
um der Menschen willen sind wir aber auch dazu bereit.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414403200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dr. Ilja Seifert, PDS-Fraktion.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1414403300
Frau Präsidentin! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Die große Umwälzung der
bevormundenden Behindertenpolitik findet heute wirk-
lich nicht statt. Aber, à la bonne heure: Erstmalig liegt ein
diskutabler Entwurf auf dem Tisch des Hauses. Alle Ach-
tung! Sie wollen das Finalitätsprinzip einführen und
durchsetzen. Sie wollen dem Wunsch- und Wahlrecht
Geltung verschaffen. Sie wollen die Zuständigkeiten
klären. Sie wollen sogar einen Anspruch der Selbsthilfe
auf Förderung durchsetzen.

Nur, wenn Sie schon Finalitätsprinzip sagen, warum
sagen Sie dann nicht klipp und klar: gleiche Leistung bei
gleichartiger Beeinträchtigung, unabhängig von Art und
Ursache der Beeinträchtigung? Wenn Sie Wunsch- und
Wahlrecht sagen, warum schaffen Sie den § 3 a des BSHG,
den Heimeinweisungsparagraphen, nicht ab? Da können
wir über das Wunsch- und Wahlrecht reden.


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: So ist es!)

Was zu den Zuständigkeiten zu sagen ist, haben die

Kolleginnen und Kollegen der anderen Opposition bereits
gesagt. Was die Förderung der Selbsthilfe angeht: Wann
gibt es denn endlich eine institutionelle Grundausstattung,
wenigstens für das Telefon und die Miete eines Raumes?
Wo bleiben denn die umfassenden Klagerechte nicht nur
für dieses Gesetz?

Zum Titel. Also, ich bin sehr für Teilhabe von Men-
schen mit Behinderungen am Leben der Gemeinschaft.
Wenn Sie diesen Begriff aber inflationär gebrauchen, ent-
wertet er. Das ist so bei Inflation. Es reicht nicht aus, den

Begriff „Rehabilitation“ einfach durch „Teilhabe“ zu er-
setzen, wenn man den Inhalt nicht mitverändert.

Machen Sie doch wenigstens den kleinen Schritt und
sagen Sie: In Zukunft muss es zwei Berichte geben, einen
Bericht zur Entwicklung der Teilhabechancen von Men-
schen mit Behinderungen am Leben der Gemeinschaft
und einen anderen Bericht, der die Entwicklung der Re-
habilitation darstellt. Beides zusammen zu sehen ist aber
falsch.

Es ist hier bereits mehrfach gesagt worden: Um ein
Leistungsgesetz handelt es sich leider nicht. Das, was wir
wirklich bräuchten, kommt nicht. Aber Sie hätten wenigs-
tens in bestimmten, relativ kleinen Bereichen etwas tun
können. Zum Beispiel gibt es keine Verbesserung für er-
wachsene behinderte Menschen in der Familie; Herr Kolb
wies darauf hin. Es gibt keine Verbesserungen für Men-
schen im Förderbereich der Werkstätten für Behinderte.
An eine Herausnahme der Eingliederungshilfe aus dem
BSHG ist nicht gedacht. Das wäre wirklich etwas Gutes.

Vielleicht – ich biete das an – können wir in der weite-
ren Diskussion dieses SGB IX wenigstens in ganz kleinen
Schritten hin zu einem Leistungsgesetz entwickeln. Da-
mit wäre nämlich die materielle Ausgestaltung des von Ih-
nen angekündigten Gleichstellungsgesetzes, das bürger-
rechtorientiert sein muss, gegeben. In dieser Hinsicht
biete ich Ihnen ausdrücklich konstruktive Zusammenar-
beit an. Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen auf
der Regierungsbank und von den Koalitionsparteien, eine
schleichende Aushöhlung des gerade vor einem halben
Jahr beschlossenen Schwerbehindertengesetzes durch
dieses SGB IX gibt es mit uns nicht. Versucht das bitte
nicht!


(Peter Dreßen [SPD]: Das ist doch gar nicht der Fall!)


– Lesen Sie es doch einmal! – Wenn dort ganz unter der
Hand die Prüfpflicht der Arbeitgeber, ob ein Platz mit ei-
nem schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann,
abgeschafft wird – das können Sie nachlesen –, dann ist
das, gelinde gesagt, ein wenig unfair.

Es reicht ebenfalls nicht aus, wenn Arbeitsassistenz
nur ein einziges Mal erwähnt wird und eben nicht präzi-
siert, sondern unter den Kostenvorbehalt der Mittel für die
Ausgleichsabgabe gestellt wird. Damit wird sozusagen
der Schwarze Peter den Hauptfürsorgestellen zugescho-
ben. Der Rechtsanspruch auf Arbeitsassistenz ist ein ho-
hes Gut, das im Schwerbehindertengesetz verankert
wurde. Sie müssen aber irgendwann einmal sagen, wie Sie
sich die Ausgestaltung dieser Arbeitsassistenz vorstellen.
Der Kollegin Nolte stimme ich ausdrücklich zu, dass es
nicht ausreicht, alles mit Verordnungsermächtigungen zu
machen. Entweder beharren wir auf unserem Recht als
Gesetzgeber oder wir sagen: Die Regierung kann machen,
was sie will.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS sowie des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.] – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Wenn die wenigstens wüssten, was sie wollen!)


Das ist aber nicht mein Verständnis von parlamentarischer
Demokratie.




Dr. Heinrich L. Kolb
14140


(C)



(D)



(A)



(B)


Es gibt akzeptable und diskutable Ansätze, aber wenn
Sie nicht ein wenig zulegen, indem Sie die Mitwirkung der
Betroffenen institutionell stärken und Leistungen anbieten,
die wir in der Gesellschaft wirklich brauchen, dann kann
nicht mehr von Teilhabe die Rede sein, sondern nur noch
von geteilter Aufmerksamkeit. Das brauchen wir nicht.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und hoffe,
dass wir zu einer vernünftigen, guten und erfolgreichen
Diskussion kommen.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414403400
Ich erteile das Wort
der Kollegin Silvia Schmidt, SPD-Fraktion.


Silvia Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1414403500
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Zwanzig Jahre warten unsere Mitbürger und Mitbürgerin-
nen mit Behinderungen und zwanzig Jahre warten Ver-
bände und Interessenvertretungen schon auf ein Sozialge-
setzbuch IX. Wir setzen das lang geforderte und längst
überfällige Gesetz endlich um. Wir nehmen den Gleich-
stellungsauftrag in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes
und Art. XIII des Vertrages von Amsterdam nicht nur
ernst, sondern sozialdemokratische Politik übernimmt
hier eindeutig Verantwortung.


(Beifall bei der SPD)

Behinderte Menschen sind Experten in eigener Sache

mit Fähigkeiten und Kompetenzen. Es gilt, Möglichkei-
ten zu schaffen, damit diese endlich wahrgenommen wer-
den können. Unser Entwurf eines SGB IX stellt einen
massiven Wendepunkt in der Behindertenpolitik dar. Po-
litik für behinderte Menschen wird durch Politik von und
mit ihnen abgelöst. Das ist ein entscheidendes Ereignis
und damit ereignet sich tatsächlich der geforderte Para-
digmenwechsel. Dieser Entwurf, Herr Kolb, findet hohe
Anerkennung bei allen betroffenen Verbänden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Ich habe an einigen Diskussionen teilgenommen, bei denen das nicht so war!)


– Lesen Sie bitte einmal in der Fachliteratur nach, welche
Haltung die jeweiligen Verbände und Vereine einnehmen.
Endlich finden wir in der Behindertenpolitik internatio-
nalen Anschluss. Wir reagieren auf die Grundrech-
te-Charta der EU und auf Diskussionen innerhalb der
Weltgesundheitsorganisation um einen neuen Begriff der
Behinderung.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Aber der ist doch nicht verwandt worden!)


Meine Damen und Herren, liebe Mitbürger und Mit-
bürgerinnen, im Mittelpunkt unseres Neuanfangs steht ein
innovatives Rehabilitationsmanagement. Die einzu-
richtenden Servicestellen sollen ein optimales Manage-
ment im Sinne der behinderten Menschen garantieren.
Unsere Behindertenpolitik ist eine Politik der Bewegung
und der Weiterentwicklung.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Deswegen das Leistungsgesetz!)


Die Politik des Stillstandes, Herr Meckelburg, hat ein
Ende.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Wo ist denn das Leistungsgesetz?)


– Warten Sie noch eine Weile! – Man denke nur an den
letzten Entwurf unserer Vorgängerregierung zum
SGB IX, der ohne Diskussion am grünen Tisch entstanden
ist und 1993 von den Verbänden und Betroffenen zum
größten Teil abgelehnt und verworfen wurde. Das sind
wahrscheinlich die hohe Verantwortung und die hohen
Ansprüche, die Sie, Frau Nolte, vorhin erwähnt haben.
Die Betroffenen wollten Ihren Gesetzentwurf nicht. Die
Ansprüche waren wahrscheinlich zu hoch.


(Beifall bei der SPD)

Seither sind von Ihnen nur Ankündigungen zu hören ge-
wesen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Wir haben 1994 mit Ihnen das Grundgesetz geändert, Frau Kollegin!)


Wir haben das Gespräch mit den Verbänden und allen
Beteiligten wieder aufgenommen. Unser Wahlverspre-
chen und die Koalitionsvereinbarungen mündeten in Dis-
kussionen mit den Betroffenen, Verbänden und Trägern,
sie führten zu einer gemeinsamen Entwicklung der Eck-
punkte und zu insgesamt sechs Arbeitsentwürfen zum
SGB IX. In größtmöglicher partizipativer Demokratie ha-
ben wir einen breiten Konsens erreicht. In diesem Sinne
appelliere ich an Sie, meine Damen und Herren, die bei
der Realisierung und Umsetzung des SGB IX mit in der
Verantwortung stehen, mitzuarbeiten. Damit meine ich
ausdrücklich auch die verehrten Kolleginnen und Kolle-
gen von der Opposition.

Die Teilhabe von behinderten Menschen ist eine ge-
samtgesellschaftliche Aufgabe und darf nicht durch inter-
fraktionelle Grabenkämpfe blockiert werden. Gemeinsam
und im Sinne eines breiten gesellschaftlichen Konsenses
müssen wir innovative Wege beschreiten. Es ist fatal, kon-
traproduktive Ängste zu schüren, wo Lösungen gefragt
sind. So gehen wir davon aus, dass die Umsetzung des
SGB IX die Kommunen langfristig nicht zusätzlich be-
lasten wird. Mittelfristig wird sie die Kommunen sogar
entlasten. Die Entbürokratisierung, das heißt verkürzte
Bearbeitungszeiten, werden dazu führen, dass Kosten ein-
gespart werden.

Natürlich bedaure ich, dass das Problem des Rückgriffs
auf das Privatvermögen im Sozialhilferecht noch nicht
umfassend gelöst ist. Das werden wir aber erst mit einer
generellen Reform der Sozialhilfe ändern können.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Am SanktNimmerleins-Tag!)


Aber der erste Schritt ist bereits getan: Die Bedürftigkeits-
prüfung bei Leistungen der Sozialhilfeträger zur medizi-
nischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben
einschließlich der Leistungen im Arbeitsbereich aner-
kannter Werkstätten entfällt.

Meine Damen und Herren, ich möchte noch kurz zwei
Beispiele aus unserem Gesetzentwurf hervorheben, die




Dr. Ilja Seifert

14141


(C)



(D)



(A)



(B)


zeigen, dass sich eine bürgernahe Modernisierung des So-
zialstaates an den Bedürfnissen und Nachfragen behin-
derter Menschen orientiert und nicht an den Anbietern so-
zialstaatlicher Leistungen.

Das Anliegen der Betroffenen wird zukünftig im Mit-
telpunkt stehen. In Diskussionsrunden und in einem regen
Meinungsaustausch und nicht zuletzt in unseren Werk-
stattgesprächen haben wir die Berücksichtigung besonde-
rer Probleme und Bedürfnisse von behinderten Frauen
im Gesetzentwurf festgeschrieben.


(Beifall bei der SPD)

Die Zeiten, in denen Frauen Bittstellerinnen und Almosen-
empfängerinnen waren, angewiesen auf soziale Brotkru-
men einer Wohlstandsgesellschaft, sind mit dem von uns
eingeleiteten Paradigmenwechsel in der Behindertenpoli-
tik endlich vorbei.


(Beifall bei der SPD)

Unsere sozialdemokratische Reformpolitik setzt auf das
Prinzip des Empowerments. Betroffene Frauen werden zu
Expertinnen in eigener Sache und damit zu Beteiligten.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Hatten Sie jetzt schon etwas zum Leistungsgesetz gesagt?)


Die Interessenvertretungen behinderter Frauen werden in
allen beratenden Gremien mitbestimmen, Herr Meckelburg.
Behinderte Frauen mit Erziehungspflichten erhalten einen
Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit und einen Rechtsan-
spruch auf Arbeitsassistenz. Behinderte Frauen werden in
Zukunft durch geeignete wohnortnahe Angebote gleiche
Chancen im Erwerbsleben erhalten. Betroffene Frauen se-
hen sich im täglichen Leben immer noch ständig mit
Diskriminierungen konfrontiert. Rollstuhlfahrerinnen
schilderten mir sexuelle Belästigungen. Um es ganz deut-
lich zu sagen: Diese Frauen können ihre unerträgliche
Hilflosigkeit und ihre Ängste kaum verarbeiten. Die Er-
weiterung des Rehabilitationssportes ist nur eine der zahl-
reichen Möglichkeiten, diese Frauengruppe zu unterstüt-
zen und ihr Selbstbewusstsein zu stärken.

Es wurde vorhin das Stichwort „Leistungsgesetz“ in
die Debatte eingebracht. Am Rande bemerkt – die eben
angesprochenen Leistungen sind ebenfalls zusätzliche
Leistungen –: Es wird auch Mittel für Haushaltshilfen und
für Reise- und Verpflegungskosten geben.

Abschließend möchte ich noch auf ein Kernstück un-
seres Reformwerkes, nämlich auf die Früherkennung
und Frühförderung als Komplexleistung, eingehen.
Erstmals sind nicht ärztliche psychologische, heilpädago-
gische, sozialpädiatrische und psychosoziale Leistungen,
verbunden mit der Beratung von Eltern, in der medizini-
schen Rehabilitation möglich. Die Resonanz auf § 30, der
einen deutlichen Richtungswechsel aufzeigt, ist nicht nur
bei allen Verbänden und in der Fachwissenschaft, sondern
gerade auch bei den betroffenen Eltern äußerst positiv.
Bitte nehmen Sie das zur Kenntnis.

Herr Kolb, in diesem Zusammenhang möchte ich er-
wähnen, dass der neue § 40 a BSHG eindeutig klarstellt,
dass die Eingliederungshilfe in einer Behindertenein-

richtung die Pflege mit umfasst. Damit hat das Abschie-
ben von Schwerstbehinderten in Pflegeheime endlich ein
Ende. Verschiebebahnhöfe wird es nicht mehr geben.


(Beifall bei der SPD – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das grundsätzliche Abgrenzungsproblem haben Sie damit nicht gelöst! – Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das werden wir prüfen!)


– Prüfen Sie das!
Unsere behinderten Mitbürger und Mitbürgerinnen,

auch Menschen mit temporärer Behinderung und ältere
Menschen, werden nicht mehr in die Rolle der Hilfesu-
chenden gedrängt; denn das Leitmotiv sozialdemokrati-
scher Behindertenpolitik ist: Teilhabe und Selbstbestim-
mung sowie Bürgerrechte für alle.

Lassen Sie uns den eingeschlagenen Weg gemeinsam
gehen, damit Integration und Selbstbestimmung behin-
derter Menschen nicht nur ein Versprechen ist, sondern
zur Selbstverständlichkeit in unserer Zivilgesellschaft
wird.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414403600
Das Wort hat nun der
Kollege Matthäus Strebl, CDU/CSU-Fraktion.


Matthäus Strebl (CSU):
Rede ID: ID1414403700
Sehr geehrte Frau Prä-
sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei
der Gestaltung eines Sozialgesetzbuches IX – Rehabilita-
tion und Teilhabe behinderter Menschen – darf es, so
möchte ich feststellen, für uns alle, unabhängig von der
Fraktionsangehörigkeit, nur ein Leitmotiv geben: Wie
können die Beteiligungschancen der rund 7 Millionen be-
hinderten Menschen deutlich verbessert werden? Was
können wir für die Mitwirkungsmöglichkeiten ihrer An-
gehörigen tun?

Weit mehr als die Hälfte der Betroffenen ist aus Krank-
heitsgründen schwerbehindert. Die deutlich verlängerte
Lebenszeit führt dazu, dass das Risiko der Behinderung
und der Pflegebedürftigkeit weiter zunimmt. Auch der
Rehabilitationsbedarf wird sich erhöhen. Die von CDU/
CSU und F.D.P. geführte Bundesregierung hatte bereits
erste Antworten darauf gegeben: das verfassungsrechtli-
che Diskriminierungsverbot von 1994 und die Pflege-
versicherung von 1995.

Ich hatte gehofft, dass wir auf dieser Basis das SGB IX
gemeinsam aufbauen würden. Doch Ihre Signale waren
gänzlich andere – dazu will ich eine kurze Rückschau hal-
ten –, wie ich auch der bisherigen Debatte entnehmen
konnte: Sie verschieben Kosten der Krankenversicherung
auf die Pflegeversicherung, senken massiv die Beiträge
von Arbeitslosen zur Pflegeversicherung und verursachen
dadurch jährliche Verluste von etwa 400 Millionen DM
bei der Pflegeversicherung.


(Gerald Weiß [Groß-Gerau] [CDU/CSU]: So ist es!)





Silvia Schmidt (Eisleben)

14142


(C)



(D)



(A)



(B)


Die unter Norbert Blüm – daran möchte ich erinnern –
komfortabel aufgebauten Rücklagen drohen nun von
Walter Riester verscherbelt zu werden. Doch Sie spielen
beim SGB IX weiter auf Zeit: Noch im Wahlkampf 1998
haben Sie den Menschen ein Leistungsgesetz des Bundes
versprochen, das – ich zähle jetzt die einzelnen Punkte
auf – die Rechtslage wesentlich vereinfachen, mehr Über-
schaubarkeit und Effizienz sicherstellen und die Lage der
betroffenen Menschen verbessern sollte.


(Silvia Schmidt [Eisleben] [SPD]: Das macht es auch!)


Falls Sie es nicht wissen sollten: Heute sind wir im drit-
ten Amtsjahr Ihrer Regierung. Was vorliegt, ist viel Pa-
pier. Aber von den hehren Absichten ist wenig übrig ge-
blieben. Es ist ebenfalls festzustellen: Von der rot-grünen
Koalition wird bisher eine Behindertenpolitik mit be-
schränkter Hoffnung betrieben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich wiederhole: Im Bundestagswahlkampf von 1998 ha-
ben Sie den Menschen ein Bundesleistungsgesetz ver-
sprochen.


(Adolf Ostertag [SPD]: Was habt ihr eigentlich 16 Jahre lang gemacht?)


Mit Ihrer Vorlage zementieren Sie aber weitgehend die
bestehenden Verhältnisse, die von allen Seiten unstrittig
als dringend reformbedürftig angesehen werden, verehrte
Frau Kollegin Schmidt. Sie nehmen zumeist nur kleine
Veränderungen im Eingliederungsrecht vor, eine Prosa
– so möchte ich feststellen – mit vielen Worten und klei-
nen Taten.

Im Bundestagswahlkampf 1998 versprachen Sie weni-
ger Bürokratie und mehr Effizienz. In Ihrer Vorlage for-
dern Sie den Aufbau neuer Behördenstrukturen, die neben
den bestehenden Organisationen arbeiten sollen. Völlig
unklar sind der Status und die Kompetenzen, die dieser
Quasibehörde zugestanden werden sollen. Arbeiten Sie
neben vorhandenen Einrichtungen oder mit diesen zu-
sammen? Das ist hier die Frage.

Unter dem Strich stelle ich daher fest: Nicht weniger,
sondern mehr Bürokratie ist das Ergebnis Ihrer so ge-
nannten Reform. Der VDR rechnet allein mit rund
300 Millionen DM an zusätzlichen Verwaltungskosten.
Ich fordere Sie auf: Geben Sie dieses Geld den Betroffe-
nen und den Verbänden, statt es in eine neue Bürokratie
fließen zu lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dies wäre eine wirkliche Verbesserung der Beteiligungs-
chancen behinderter Menschen.

Wir haben in Bayern sehr frühzeitig mit den Betroffe-
nen und ihren Verbänden über das heutige Projekt ge-
sprochen. Im Frühjahr des Jahres 2000 haben wir in Mün-
chen eine Anhörung dazu durchgeführt, verehrte Frau
Kollegin Schmidt. Alle eingeladenen Verbände – Caritas,
Blindenbund, die Lebenshilfe, die Diakonie, das Rote
Kreuz, um nur einige zu nennen – haben uns klare Vor-
stellungen mitgegeben. Sie wünschen ein einheitliches
Bundesleistungsgesetz, das die behindert geborenen und

die später von Behinderung betroffenen Menschen ohne
Bedürftigkeitsprüfung und Rückgriff auf Vermögens-
werte gleichstellt. Viele Menschen mit Behinderung oder
auch chronisch erkrankte Menschen empfinden die Ein-
kommens- und Vermögensprüfung nach dem Sozial-
hilferecht zu Recht als diskriminierend.

Ich sage es noch einmal ausdrücklich: Wir unterstützen
Sie bei der Gestaltung eines einheitlichen Leistungsgeset-
zes, wie Sie es vor der Wahl versprochen haben. Handeln
Sie jetzt, sonst fühlen sich die Verbände und der be-
troffene Personenkreis von Ihnen getäuscht und ent-
täuscht.

Die Betroffenenverbände wünschen eine größere
Überschaubarkeit und eine Vereinfachung des Behinder-
tenrechts. Weiter sollten die Anspruchsvoraussetzungen
bei den verschiedenen Trägern vereinfacht und harmoni-
siert werden. Dies kann ich bei den über 300 Seiten, die
uns von Ihnen geliefert wurden, nicht feststellen. Schaf-
fen Sie keine neuen Hürden, sondern verfahren Sie nach
dem Modell, dass die vorhandenen Einrichtungen ver-
netzt werden und stärker kooperieren. Danach sollte die
erste angelaufene Station gemeinsam mit dem Betroffe-
nen ein Konzept erarbeiten und dieses dann mit dem Re-
habilitationsträger abstimmen. Das funktioniert aber nur
mit einem einheitlichen Bundesleistungsgesetz, weil
sonst wieder Abgrenzungsprobleme und Rechtsirritatio-
nen auftreten werden.

Alle Verbände, die wir angehört haben, waren sich
darin einig, dass es bei der zu erwartenden demographi-
schen Entwicklung keine Deckelung der bisherigen Aus-
gaben geben darf, wenn nicht notwendige Leistungen ge-
strichen und das heutige Hilfeniveau für die behinderten
Menschen unterlaufen werden sollen.

Verehrte Frau Kollegin Schmidt, schon bei der Budge-
tierung im Gesundheitswesen haben Sie den Kern einer
Zweiklassenmedizin gelegt. Ich bin gespannt, wie die
neue Bundesgesundheitsministerin in Zukunft hier ver-
fahren wird. Das gleiche Schicksal droht nun auch bei den
Beteiligungschancen behinderter Menschen.

Die Union und auch die CDU/CSU-Fraktion wollen
ein neues SGB IX. Wir sind bereit, im Deutschen Bun-
destag, aber auch mit den Bundesländern dafür zu streiten
und unseren Teil dazu beizutragen, dass zwischen Bund
und Ländern eine faire Finanzierung vereinbart wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414403800
Achten Sie bitte auf
die Redezeit.


Matthäus Strebl (CSU):
Rede ID: ID1414403900
Betrachten Sie unsere
Kritik als konstruktiven Beitrag und als Mitwirkung an
dem ehrgeizigen Ziel, eine gerechte Teilhabe behinder-
ter Menschen zu erreichen.

Deshalb appelliere ich an die Koalition: Zeigen Sie
mehr Mut und ziehen Sie das vorgelegte Konzept der Mit-
telmäßigkeit zurück. Hören Sie auf die Betroffenen und
ihre Verbände. Dann wird es in diesem Plenum eine große




Matthäus Strebl

14143


(C)



(D)



(A)



(B)


Mehrheit für das dringend erforderliche Sozialgesetzbuch
geben. Wir alle sind das den betroffenen Menschen schul-
dig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414404000
Das Wort hat nun der
Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Be-
hinderten, Karl-Hermann Haack.

Karl-Hermann Haack,Beauftragter der Bundesregie-
rung für die Belange der Behinderten: Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich
auf einige Argumente konzentrieren, die hier von der Op-
position vorgebracht worden sind.

Als Erstes möchte ich feststellen: Herr Kolb, Sie sind
ein politischer Schnarchhahn.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Sie sind ein Heißsporn, Herr Kollege!)


Am Mittwoch ist im Kabinett das SGB IX beschlossen
worden und Sie stellen sich zwei Tage später hier hin und
behaupten, dieses SGB IX sei gar nicht beschlossen. Es ist
beschlossen. Sie haben am Mittwoch geschlafen.


(Beifall bei der SPD – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Was ist denn das für ein parlamentarischer Umgang, was für ein Stil! – Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung rügt in dieser Weise! Das ist unglaublich!)


Als Zweites, Frau Nolte, möchte ich Ihnen sagen, auch
Ihnen allen von der schwarz-gelben Zunft: Die Behinder-
tenverbände, die Wohlfahrtsverbände, die Kirchen stim-
men diesem Gesetzentwurf zu.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir hatten vor einigen Tagen in Potsdam eine abschlie-
ßende Sitzung mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der
Freien Wohlfahrtspflege und den Behindertenorganisatio-
nen. Sie haben diesem Gesetz zugestimmt.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Sie machen doch nur Parteipolitik auf Steuerzahlerkosten! Der Kongress der Behindertenverbände war eine reine SPD-Veranstaltung auf Steuerzahlerkosten!)


Die Bundesvorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsver-
bandes, Frau Stolterfoht, hat dabei gesagt, dieses SGB IX
sei der innovative, qualitative Sprung im Umbau des So-
zialstaates.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das heißt mit anderen Worten, Sie haben während der Er-
stellung dieses Gesetzentwurfs gar nicht den Prozess mit-
bekommen, dem wir uns gestellt haben.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das war doch kaum nachzuvollziehen, weil Sie ständig neu vorgelegt haben! Ein Zickzackkurs!)


In der alten Koalition haben Sie dreimal versucht, ein
SGB IX zu schaffen. Sie sind daran in Ihrer alten Koali-
tion gescheitert, weil Sie das mit den sieben sozialen Si-
cherungssystemen hinter verschlossenen Türen ohne die
Betroffenen auskungeln wollten. Da haben Ihnen die Be-
troffenenverbände erklärt: So nicht!

Wir haben den Paradigmenwechsel begonnen, indem
wir die Betroffenen und ihre Verbände Schritt für
Schritt einbezogen haben. Kein Punkt – ob das persönli-
che Budget als Modellversuch, ob die Wahlfreiheit, ob die
Servicestellen, ob die Arbeitsassistenzen –, der die Qua-
lität dieser neuen Politik deutlich macht, ist ohne die Be-
troffenen erarbeitet worden. Dazu hat es Workshops ge-
geben, dazu haben wir Vorschläge erarbeitet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Nur heiße Luft!)


Das erklärt Ihre Uneinsichtigkeit in die neue Qualität, das
Nichtverständnis der neuen Qualität von Gesetzgebung
dieser Koalition, dass wir Schritt für Schritt Entwürfe vor-
gelegt haben.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Augenwischerei!)


Wir haben die jeweiligen Ergebnisse von Wochenbera-
tungen und Tagesberatungen veröffentlicht. Ich bin der
Abteilung V im Bundesministerium für Arbeit und So-
zialordnung dankbar dafür, dass sie das immer wieder neu
formuliert und zur Diskussion gestellt hat, mit der Maß-
gabe, von allen, die davon betroffen sind, die daran inte-
ressiert sind, Rückmeldungen zu erbitten. Diese Rück-
meldungen sind gekommen. Also sage ich: Sie sind dabei.

Jetzt komme ich zu drei Punkten. Der erste Punkt: Frau
Nolte beklagt „dunkle Begriffe“. In sieben sozialen Si-
cherungssystemen, die sich mit den Belangen von behin-
derten Menschen, von Rehabilitanden beschäftigen, gibt
es sieben unterschiedliche Begrifflichkeiten, sieben un-
terschiedliche Verfahren für Leistungsgewährung, sieben
unterschiedliche Zugangswege. Dies wird nun vereinheit-
licht. Dass die Versicherungssysteme an dieser Frage kein
Gefallen haben, dass sie gern weiter in ihrem Garten gär-
teln, ist doch logisch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber wir haben ihnen gesagt: Die Regelung geschieht auf
der Grundlage eines Begriffs, der auf der Ebene der WHO
geprägt worden ist, des Begriffs der gesellschaftlichen
Teilhabe. Damit lösen wir uns aus über 100-jähriger Tra-
dition, Behinderung als Krankheit zu begreifen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Nein, meine Damen und Herren, behindert sind wir alle
oder wir werden es. Behinderung ist zu beschreiben mit
„fehlender Kompetenz“, mit „Defiziten“. Wir gleichen
das jetzt aus, indem wir Kompetenzen stärken und Ein-
gliederung ermöglichen. Das ist das Neue.


(Beifall bei der SPD)





Matthäus Strebl
14144


(C)



(D)



(A)



(B)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414404100
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schwaetzer?

Karl-Hermann Haack,Beauftragter der Bundesregie-
rung für die Belange der Behinderten: Bitte, Frau Kolle-
gin, nur zu.


Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1414404200
Herr Kollege, bei
dem großen Behindertenkongress, den Sie veranstaltet
haben, kam in der Diskussion ganz klar heraus, dass diese
Servicestellen nur dann sinnvoll sind,


(Karl-Hermann Haack, Bundesbeauftragter: Darauf komme ich gleich!)


wenn sie tatsächlich die Entscheidung der Rehabilitati-
onsträger vorwegnehmen könnten. Sehen Sie in irgendei-
ner Weise eine Möglichkeit, dies durchzusetzen? Ist es
nicht richtig, was von Behindertenverbänden formuliert
worden ist, dass diese Servicestellen eine reine Augenwi-
scherei sind und eine Doppelarbeit bedeuten, weil sich die
Rehaträger natürlich nicht die letzte Entscheidung vor-
wegnehmen lassen?

Karl-Hermann Haack,Beauftragter der Bundesregie-
rung für die Belange der Behinderten: Ich fange gleich mit
diesem Punkt an. Als Erstes hatte ich gesagt, dass wir eine
neue Begrifflichkeit haben. Als Zweites komme ich jetzt
zu den Servicestellen. Bisher – das hat der Minister schon
gesagt – läuft ein Mensch mit rehabilitativen Ansprüchen
von Pontius zu Pilatus. Ich gebe Ihnen hierzu einige Zah-
len an die Hand: 52 Prozent der Menschen wohnen auf
dem Land. Das heißt, die Menschen, die auf dem Land
wohnen, gehen von der Stadt A zur Gemeinde B und zum
Kreishaus C, um dort ihre Leistungen zu erbitten.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Ich möchte eine Antwort auf meine Frage!)


Jetzt fassen wir dies in den Servicestellen zusammen.
Der Grundsatz heißt nun: Die Dienstleistung folgt dem
Menschen und nicht der Mensch der Dienstleistung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Antworten Sie doch auf die Frage!)


Dies hat zur Konsequenz, dass die Servicestellen auf
Landkreisebene eingerichtet werden. Die Leistungen
werden somit ortsnah und zeitnah erbracht. Innerhalb ei-
ner zeitlichen Begrenzung muss entschieden werden,
sonst hat der Rehabilitand das Recht, selbstständig Leis-
tungen in Anspruch zu nehmen und die Rechnung bezah-
len zu lassen.

Als Drittes: Einmal entschieden ist immer entschieden.
Ein anderer Systemträger darf die Biografie eines Behin-
derten nicht neu interpretieren. Auch damit ist Feier-
abend.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nun komme ich zu Ihrer Frage. An diesem Verfahren

haben die Versicherungssysteme kein Gefallen gefunden.

Ich nenne in diesem Zusammenhang Frau Nolte, die von
den Rechtsverordnungen spricht. Genau das ist der Punkt:
Wir möchten ein System haben, das auf der Ebene der
Selbstverwaltung funktioniert und ortsnah, zeitnah und
kompetent ist – das kann jeweils vernetzt sein. Man ist da-
bei, ein solches System zu etablieren.

Ich habe mich gestern mit den Vorständen der BfA, der
Unfall- und der Krankenversicherung getroffen. Sie ha-
ben mir versprochen: Zum 1. Juli dieses Jahres wird die-
ses System stehen. Also bewegen wir uns in die richtige
Richtung. Es ist entschieden: Wenn die Servicestelle die
Entscheidung des Rehaträgers vorbereitet hat, dann wird
sie auf dieser Grundlage erfolgen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Ein Dampfplauderer sind Sie!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414404300
Herr Kollege, ich darf
Sie einen Augenblick unterbrechen. Ich möchte ungern
die Debatte zu sehr verlängern. Herr Koppelin, Sie haben
eine Zusatzfrage?


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Nein, eine Kurzintervention!)


– Nein, diese gestatte ich Ihnen nicht mehr, weil Frei-
tagnachmittag ist.


(Zuruf des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.])

– Das kann ich entscheiden. – Wollen Sie jetzt eine Zwi-
schenfrage stellen oder nicht?


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Ja!)

Dann formulieren Sie jetzt eine Frage. – Das kann ich ent-
scheiden, Herr Kollege. Da bin ich mir sicher. Ich glaube,
es ist im Sinne des Ablaufs der heutigen Debatte. Ich bin
für Lebendigkeit und Zwischenrufe. Aber wir sollten uns
bemühen, die Debatte nicht allzu sehr zu verlängern. Des-
wegen habe ich auch die Redezeit von Herrn Haack wie-
der laufen lassen, um einigermaßen im Zeitplan zu blei-
ben. Dafür bitte ich um Verständnis.


(Karl-Hermann Haack, Bundesbeauftragter: Nein, das gibt es nicht! Wo kommen wir denn da hin?)


Jetzt hat der Kollege Koppelin das Wort zu einer Zwi-
schenfrage.


(Heiterkeit bei der SPD – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das war eine präzise Frage, auf die er nicht geantwortet hat!)


– Auch Herr Haack darf nicht überziehen. Er hat Ihre
Frage beantwortet, auch wenn Sie mit der Antwort nicht
zufrieden sind. Während er auf Ihre Frage geantwortet
hat, habe ich seine Redezeit gestoppt. Das sind die Spiel-
regeln dieser Geschäftsordnung.

Jetzt hat der Kollege Koppelin das Wort. Bitte sehr.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1414404400
Da ich nicht die Gelegen-
heit zu einer Kurzintervention bekomme – ich bitte um
Verständnis dafür, dass ich das bedaure – und gern etwas
zu dem Stil der Rede gesagt hätte – darüber werden wir an






(C)



(D)



(A)



(B)


anderer Stelle reden müssen –, darf ich folgende Frage an
Sie richten.


(Karl-Hermann Haack, Bundesbeauftragter: Nein, das Ganze ist bunter!)


– Es geht schon wieder los. Sie sind nicht in der Lage, ein-
mal zuzuhören.

Ich möchte gerne folgende Frage stellen, weil ich mich
zum Thema der Behinderten sehr engagiere.


(Karl-Hermann Haack, Bundesbeauftragter: Ja, ich auch!)


– Ich denke, Sie sollten sich Ihre Kommentare sparen und
zuhören.


(Karl-Hermann Haack, Bundesbeauftragter: Jawohl!)


Das können Sie anscheinend nicht.

(Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Oberlehrer!)

Ich frage Sie: Finden Sie als Behindertenbeauftragter

der Bundesregierung den Stil, in dem Sie heute Ihre Rede
halten, in Ordnung? Ist es nicht so, dass es bei aller poli-
tischen Auseinandersetzung – diese muss natürlich von
der Bundesregierung und allen Fraktionen geführt wer-
den – Aufgabe des Behindertenbeauftragten der Bundes-
regierung sein muss, die Interessen der Fraktionen zum
Wohle der Behinderten zusammenzuführen und nicht das
Sprachrohr einer Partei und der grobe Klotz zu sein, der
auf die Oppositionsfraktionen einschlägt? Ich sehe – se-
hen Sie das nicht auch so? – Ihre Aufgabe darin, diejeni-
gen, die sich in allen Fraktionen zum Wohle der Behin-
derten engagieren, zusammenzuführen. Finden Sie nicht
auch, dass Ihre Rede heute völlig daneben ist?


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414404500
Jetzt hat Kollege
Haack das Wort zur Beantwortung dieser Frage. Bitte
sehr.

Karl-Hermann Haack,Beauftragter der Bundesregie-
rung für die Belange der Behinderten: Herr Koppelin, es
liegt vom 19. Mai 2000 eine Entschließung vor, in der
exakt das steht, was wir heute realisieren. Das haben Sie
einmütig mitbeschlossen.

Jetzt sagen Sie – wir müssen uns das anhören –, dass es
nicht richtig ist, dass das SGB IX die Zustimmung der be-
teiligten Verbände und Organisationen findet.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Die Briefe, die ich bekomme, sehen anders aus! – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Sie haben eine selektive Wahrnehmung!)


Herr Kolb behauptet zudem, es liege kein entsprechender
Kabinettsbeschluss vor.

Ich erkläre Ihnen jetzt den Weg, den wir hier vorsehen:
Nach der geplanten Anhörung werde ich den Vorschlag zu

einer gemeinsamen Sitzung aller Beauftragtem und Be-
richterstatter der hier im Hause vertretenen politischen
Parteien über diesen Gesetzentwurf machen, mit der Maß-
gabe, zu einer einheitlichen Beschlussfassung zu kom-
men.

Nur, angesichts dessen, dass Sie hier sagen, es liege
kein Kabinettsbeschluss vor, das seien nur Rechtsverord-
nungen und die Verbände stimmten dem Vorhaben nicht
zu, muss die Musik auch einmal von einer anderen Seite
gespielt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Es geht um den Stil Ihrer Rede!)


Das bin ich den Kolleginnen und Kollegen der Koalition,
die an diesem Thema Woche für Woche gearbeitet haben,
und den Damen und Herren aus den betroffenen Verbän-
den und Organisationen schuldig, die nach Berlin ge-
kommen sind und gesagt haben: Wir arbeiten mit Ihnen
zusammen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Wenn die Kurzintervention von der SPD gekommen wäre, hätte die Präsidentin diese zugelassen!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414404600
Frau Kollegin, falls
Sie mir mit diesem Zuruf Parteilichkeit vorwerfen, weise
ich diesen Vorwurf zurück. Das ist nicht in Ordnung. Ich
bemühe mich um einen vernünftigen Ablauf. Ich über-
lege, was ein „Schnarchhahn“ eigentlich sein soll. Dazu
werde ich nichts Weiteres sagen. Aber ich verwahre mich
dagegen, dass Sie mir unterstellen, ich sei in der Amts-
führung parteilich. Das Präsidium hat auch darauf zu ach-
ten, dass der Ablauf der parlamentarischen Beratung ver-
nünftig vonstatten geht. Darum bemühe ich mich.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Herr Kollege, jetzt haben Sie das Wort. Ihre Redezeit
läuft wieder.

Karl-Hermann Haack,Beauftragter der Bundesregie-
rung für die Belange der Behinderten: Ich möchte nun auf
den dritten qualitativen Sprung, auf das Thema Wahlfrei-
heit, zu sprechen kommen. Das bisherige System war da-
durch geprägt, dass gesagt wurde: Der Mensch mit Be-
hinderungen ist ein Objekt der Fürsorge. – Nun soll ihm
ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht werden.

An dieser Stelle möchte ich zunächst einmal den Orga-
nisationen und Gruppen einen ausdrücklichen Dank aus-
sprechen, die sich in der Vergangenheit, in den letzten
50 bis 100 Jahren, Menschen mit Behinderungen zuge-
wandt haben und ihnen im Rahmen des Fürsorgegedan-
kens ein angemessenes Leben ermöglicht haben und die
nach den vielen Gesprächen der letzten Zeit bereit sind,
mit uns gemeinsam voranzugehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen hier vor dem Deutschen Bundestag:
Dieser Paradigmenwechsel wird nicht nach dem Prinzip




Jürgen Koppelin
14146


(C)



(D)



(A)



(B)


„Entweder-oder“, sondern nach dem Prinzip „Sowohl-
als-auch“ organisiert werden. Dies bedeutet im Klartext:
Alle diejenigen, die als Betroffene oder als Nichtbetrof-
fene in der Sache engagiert sind, werden gemeinsam die
nächsten Schritte organisieren.

Ein weiterer Punkt: Wahlfreiheit bedeutet konsequen-
terweise auch, Arbeitsassistenzen zur Verfügung zu stel-
len. Hier ist festgestellt worden, dass die Einrichtung von
Arbeitsassistenzen auch für Werkstätten und für den vor-
gelagerten Werkstattbereich gelten müsste.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: 7,5 Minuten Redezeit sind bei ihm sehr lang!)


In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass nach
der Eingliederungsverordnung an Werkstätten und ge-
schützte Einrichtungen Pauschalen gezahlt werden, die
die Arbeitsassistenz ersetzen. Insofern erübrigt es sich, für
diesen Bereich zusätzlich Geld im Zusammenhang mit
der Arbeitsassistenz zur Verfügung zu stellen.

Was heißt Arbeitsassistenz? Ein Gehörloser hat nun die
Möglichkeit, im Rahmen seines betrieblichen Ablaufes
einen Gebärdendolmetscher zur Seite gestellt zu bekom-
men. Ein Blinder bzw. ein Sehbehinderter hat nun die
Möglichkeit, eine Vorlesekraft zur Verfügung gestellt zu
bekommen. Ein Rollstuhlfahrer bzw. ein Querschnitts-
gelähmter hat die Möglichkeit, an Werktagen eine Arbeits-
assistenz zur Verfügung gestellt zu bekommen. Bisher
war es so, dass dies per Antrag bei der Hauptfürsorgestelle
genehmigt werden musste. Jetzt besteht hier ein Rechts-
anspruch.

Ich denke, dass das ein Beispiel dafür ist, dass wir ver-
suchen, in den Lebensentwürfen von Menschen mit Be-
hinderungen den emanzipativen Gedanken einzuführen
bzw. auf eine sichere Grundlage zu stellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Abschließend zum Thema Bedürftigkeitsprüfung – es
handelt sich bei der Eingliederungshilfe um einen Betrag
von 16 Milliarden DM –: In den diesbezüglichen Ver-
handlungen mit dem Finanzministerium hatten wir fol-
gendes Modell entwickelt: 15 Milliarden DM fließen
in die Neuformulierung des Bund-Länder-Finanzaus-
gleiches ein, werden aber als Nulllinie definiert. Das
heißt, die Länder müssen akzeptieren, dass der Anteil, den
sie bisher im Rahmen des Bundessozialhilfegesetzes ha-
ben tragen müssen, verrechnet wird. Der Bund bezahlt
dann den Aufwuchs für die späteren Jahre.

Das ist vom Bundesfinanzminister und den finanzpoli-
tischen Sprechern der Länder nicht akzeptiert worden.
Deswegen haben wir den Weg gewählt, im Hinblick auf
die Diskussionen in den kommenden Jahren einen Türöff-
ner zu suchen, indem wir die medizinische und berufliche
Rehabilitation, die aus der Eingliederungshilfe bezahlt
wird und bisher dem Bedürftigkeitsprinzip unterworfen
war, von der Heranziehung von Einkommen und Vermö-
gen freistellen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414404700
Herr Kollege, Sie
müssen jetzt zum Schluss kommen.

Karl-Hermann Haack,Beauftragter der Bundesregie-
rung für die Belange der Behinderten: Schlusssatz: Die in
dem Gesetz enthaltenen Übergangsfristen haben den
Sinn, den Gesetzgeber und die Beteiligten zu zwingen,
Rechenschaft über das abzulegen, was wir an neuen In-
strumenten in das Gesetz hineingenommen haben, um
dann eine weitere Diskussion zu ermöglichen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Haben Sie für die SPD oder für die Regierung gesprochen? – Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Für die Regierung wohl kaum, sonst wäre es traurig!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414404800
Als letzter Redner in
dieser Debatte hat der Kollege Peter Weiß für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1414404900
Frau Präsi-
dentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zu einigem
von dem, was über eine angeblich neue Zeit in der Behin-
dertenpolitik gesagt worden ist, möchte ich eingangs fest-
stellen: Politik und Gesellschaft setzen sich nicht erst seit
dieser Legislaturperiode für unsere Mitbürgerinnen und
Mitbürger mit Behinderungen ein. Was bei uns in
Deutschland an ambulanten Diensten, Werkstätten und
Wohnheimen für Behinderte in den letzten 20 Jahren ge-
schaffen worden ist, kann sich sehen lassen und zeugt da-
von, wie sich Politik und Gesellschaft für die behinderten
Mitbürgerinnen und Mitbürger einsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Erika Lotz [SPD]: Aber zum SGB IX habt ihr immer nur geredet!)


Richtig ist, Frau Kollegin, dass ebenfalls seit Jahrzehn-
ten zu Recht der dringende Wunsch besteht, das Recht der
Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen in ein
neues, umfassendes Sozialgesetzbuch zu überführen. Herr
Haack, es ist richtig, dass die Betroffenen und die Ver-
bände die Neufassung des Sozialgesetzbuches begrüßen.
Sie müssen aber auch zugeben – das haben Sie verschwie-
gen –, dass alle sachlichen Kritikpunkte, die in der heuti-
gen Debatte vorgetragen wurden, von den Verbänden und
Betroffenen nach wie vor geäußert und nicht durch ihre all-
gemeine Zustimmung zum SGB IX ersetzt werden. Das
haben Sie leider verschwiegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Ganz genau! Da schnarcht er nämlich!)


Eine weitere Anmerkung. Ich empfinde es als gut,
wenn in einer Debatte über ein Sozialgesetzbuch mit un-
endlich vielen organisatorischen Regelungen zur Selbst-
vergewisserung auch etwas über die ethischen Grundla-
gen, die uns in der Behindertenpolitik leiten, gesagt wird.
Deswegen begrüße ich, was Frau Kollegin Göring-
Eckardt zum Schluss ihrer Rede vorgetragen hat. Nur,
Frau Göring-Eckardt, mittlerweile kommen mir Zweifel
an der Haltung der Bundesregierung insgesamt, nachdem
der neue Kulturstaatsminister Nida-Rümelin mit seinen




Karl-Hermann Haack

14147


(C)



(D)



(A)



(B)


Äußerungen zur Neudefinition der Menschenwürde ge-
nau das Gegenteil zum Ausdruck gebracht hat. Wenn die
Menschenwürde, die in unserem Grundgesetz garantiert
ist – uns Politikern ist die Verpflichtung auferlegt, sie in
unserem Handeln und in unserer Politik zu achten –, so
umdefiniert wird, dass Menschenwürde nur noch dem zu-
stehen soll, der über die bewusste Fähigkeit verfügt,
Selbstachtung zu empfinden,


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Gefährlich, gefährlich!)


dann ist das nicht mehr die Menschenwürde, die die Vä-
ter unseres Grundgesetzes gemeint haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nun beklagen sich die Koalition sowie der Herr Bun-

desbeauftragte und der Herr Bundesminister über die Kri-
tik am SGB IX. Nur die Messlatte hat Rot-Grün hoch
gehängt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Die sind unten durch gelaufen!)


– So ist es, sie sind unten durch gelaufen.
Vor der Bundestagswahl haben Sie erklärt – ich darf zi-

tieren –:
Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich für die Schaf-
fung eines eigenen Leistungsgesetzes ausgespro-
chen. … Bündnis 90/Die Grünen treten dafür ein,
den ganzheitlichen Charakter der Behindertenhilfe
zu erhalten. Wir fordern ein eigenes Leistungsgesetz
für Behinderte …

So war es in der „Lebenshilfe Zeitung“ vor der Bundes-
tagswahl zu lesen.

Das ist Ihre Messlatte. Vor dieser großen und – wie ich
zugeben muss – schwierigen Aufgabenstellung hat die
Koalition bei der Vorlage ihres Gesetzentwurfes versagt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet!)


Den Elementen, die Sie mit diesem Gesetzentwurf än-
dern, fehlt schlichtweg die Logik.

Im Rahmen der Rentenreform wollen Sie ein so ge-
nanntes Grundsicherungsgesetz durch das Parlament
bringen. Behinderte Menschen sollen zur Sicherung ihres
Lebensunterhalts Sozialhilfe – die neue Bezeichnung heißt:
bedarfsorientierte Grundsicherung – bekommen. Die El-
tern des erwachsenen Behinderten werden beim Unterhalt
nicht mehr herangezogen. Aber für die Leistungen, die
aufgrund der Behinderung im Rahmen der Eingliede-
rungshilfe notwendig werden, soll weiterhin die Sozial-
hilfe zuständig sein. Wenn es Ihnen mit der Forderung
nach einem Leistungsgesetz ernst gewesen wäre, dann
hätten Sie doch zuallererst diejenigen Leistungen, die
Menschen aufgrund ihrer Behinderung dringend benöti-
gen, aus der Sozialhilfe herausnehmen und in ein Leis-
tungsgesetz überführen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die gebotene Gleichstellung von Behinderten mit Nicht-
behinderten verpflichtet den Gesetzgeber doch, zualler-
erst die Nachteile, die der Behinderte aufgrund seiner Be-
hinderung hat, auszugleichen.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Besonders widersinnig ist, dass gerade erwachsene

Menschen mit Behinderungen bzw. deren Eltern zur
Deckung der Kosten der für sie notwendigen Hilfen he-
rangezogen werden sollen, wenn sie so schwer behindert
sind, dass sie nicht in einer Werkstätte für Behinderte ar-
beiten können. Dass Sie innerhalb der Gruppe der Men-
schen mit Behinderungen eine neue Klassengesellschaft
errichten, dass Sie ausgerechnet diejenigen, die besonders
auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind, nämlich die
Schwerst- und Mehrfachbehinderten, benachteiligen, ist
völlig unverständlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Des Weiteren hat man erwartet, dass die bestehenden

Probleme der Abgrenzung zwischen der Pflegeversiche-
rung und der Sozialhilfe durch das neue Gesetz gelöst
werden. Hier wird mit dem Gesetzentwurf in der Tat für
Klarstellungen gesorgt. Aber eine generelle Klärung wird
wiederum vermieden. Die Klärung dieser Frage wird in
der Zukunft immer dringender werden, weil auch die Zahl
alt gewordener Menschen mit Behinderungen in den
nächsten Jahren zunehmen wird. Dies werden Mitbürge-
rinnen und Mitbürger sein, die in Werkstätten für Be-
hinderte gearbeitet und durch Beitragszahlungen in die
Pflegekasse einen eigenen Anspruch an die Pflegeversi-
cherung erworben haben.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt und un-
terstützt grundsätzlich das Vorhaben, ein Sozialgesetz-
buch IX zu schaffen. Doch mit dem jetzt von der Bundes-
regierung vorgelegten Entwurf wird dieses Ziel leider nur
ungenügend erreicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Letztlich ist das neue Gesetz nur ein zusätzliches Dach für
die weiterhin nebeneinander bestehenden Gesetze. Für
diejenigen, die mit diesem Gesetz umgehen müssen, ma-
chen Sie die Anwendung nicht einfacher, wie Sie es ver-
sprochen haben, sondern eher komplizierter.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Sie bringen sich vor allem in Schwierigkeiten, weil Sie
den zentralen Punkt bei der Reform des Behinderten-
rechts, nämlich die Überführung der Eingliederungshilfe
aus dem Bundessozialhilfegesetz in ein eigenes Leis-
tungsgesetz für Behinderte, entgegen Ihren Wahlverspre-
chungen und Ankündigungen nicht anpacken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Deswegen ist zu diesem Gesetzentwurf festzustellen:

Probleme nicht gelöst, mehr Bürokratie! Mit diesem Ge-
setzentwurf machen Sie eigentlich niemanden so recht
glücklich, wahrscheinlich sich selber auch nicht. Sie ma-
chen weder die Menschen mit Behinderungen noch deren
Eltern, noch die vielen engagierten Pädagogen und Pfle-
gekräfte glücklich, die in den Einrichtungen und Diensten
großartige Leistungen für unsere behinderten Mitbürger




PeterWeiß (Emmendingen)

14148


(C)



(D)



(A)



(B)


und damit auch für die Gesellschaft erbringen. Für ein
solch wichtiges Gesetzgebungsvorhaben sollte gelten:
Wenn man etwas richtig machen will, dann muss man
ganze Sachen machen. Halbe Sachen sollte man lieber
gleich bleiben lassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414405000
Ich schließe die Aus-
sprache.

Bevor ich abstimmen lasse, möchte ich jeden bitten,
darüber nachzudenken, was er von dem Wort „Schnarch-
hahn“ hält. Ich halte diesen Ausdruck zwar nicht für par-
lamentarisch; aber ich weiß nicht genau, was ich mir da-
runter vorstellen soll.


(Heiterkeit im ganzen Hause)

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf

Drucksache 14/5074 zur federführenden Beratung an den
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitbe-
ratung an den Innenausschuss, den Rechtsausschuss, den
Finanzausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Tech-
nologie, den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft
und Forsten, den Verteidigungsausschuss, den Ausschuss
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den Ausschuss
für Gesundheit, den Ausschuss für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen, den Ausschuss für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung und den Haushaltsaus-
schuss zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden?
– Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlos-
sen.

Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 17 sowie Zusatz-
punkt 10 auf:
17. Beratung der Beschlussempfehlungen und der


(12. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Paul Breuer,
Ulrich Adam, Georg Janovsky, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Zukunft der Bundeswehr

– zu dem Antrag der Abgeordneten Günther

(Augsburg)

der Fraktion der F.D.P.
Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr sichern –
Wehrpflicht aussetzen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Heidi
Lippmann, Wolfgang Gehrcke, Uwe Hiksch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Zukunft durch Abrüstung – Für eine grund-
legende Reform der Bundeswehr

– Drucksachen 14/3775, 14/4256, 14/4174,
14/5087, 14/5088, 14/5089 –
Berichterstattung:
Abgeordente Peter Zumkley
Paul Breuer

ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Günther
Friedrich Nolting, Dirk Niebel, Birgit Homburger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Wehrpflicht aussetzen
– Drucksache 14/5078 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen
Reinhold Robbe für die SPD-Fraktion.


Reinhold Robbe (SPD):
Rede ID: ID1414405100
Sehr verehrte Frau Präsiden-
tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte
über die Zukunft der Bundeswehr wird im Augenblick ein
wenig überschattet von anderen Themen der Verteidi-
gungs- und der Sicherheitspolitik, wozu ganz sicher auch
die Diskussion über die Verwendung von uranhaltiger
Munition im Zusammenhang mit NATO-Kampfeinsätzen
gehört, die wir gestern hier im Hause geführt haben. Trotz-
dem ist es nach meiner Auffassung gut, dass wir heute
noch einmal Gelegenheit haben, jenes Thema zu behan-
deln, das aus den verschiedensten Gründen zu den heraus-
ragendsten in der deutschen Öffentlichkeit zählt.

Die Strukturreform der Bundeswehr gehört zu den
größten Reformprojekten in der deutschen Nachkriegsge-
schichte. Noch nie zuvor wurde eine so umfassende Er-
neuerung von Grund auf für einen Bereich des öffentlichen
Lebens in Angriff genommen. Auch wenn es in der Ver-
gangenheit bei der Bundeswehr viele Anpassungen, Um-
schichtungen, Verkleinerungen und Veränderungen gege-
ben hat, so stehen wir jetzt vor der Aufgabe, das Heer, die
Luftwaffe, die Marine sowie den Sanitätsdienst vollkom-
men neu auszurichten und fit zu machen für die Zukunft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Von dieser Reform werden mehr Menschen betroffen
sein als von irgendeiner anderen grundlegenden Verände-
rung sowohl im privatwirtschaftlichen wie im öffentli-
chen Bereich. Man muss sich immer wieder vor Augen
führen, dass es sich bei der Bundeswehr um den größten
öffentlichen Arbeitgeber handelt, der Hunderttausende
von Menschen zwischen Flensburg und Garmisch-Par-
tenkirchen sowie zwischen Aachen und Görlitz in Brot
und Arbeit hält. Nicht zuletzt deshalb ist die Reform der
Bundeswehr nicht nur in aller Munde, sondern beschäftigt
intensiv alle Ebenen des privaten, aber auch des öffentli-
chen Lebens.

Die Notwendigkeit für diese große Reform liegt auf der
Hand. Altbundespräsident Richard von Weizsäcker hat in
seinem uns vorliegenden Bericht aus meiner Sicht sehr
zutreffend darauf hingewiesen und analysiert, dass die
Bundeswehr des Jahres 2000 vor dem Hintergrund der
veränderten Sicherheitslage in Europa und in der Welt zu
groß, falsch zusammengesetzt und zunehmend unmodern
sei. In ihrer heutigen Struktur habe die Bundeswehr, so
heißt es bei von Weizsäcker, keine Zukunft. Veraltetes
Material schmälere die Einsatzfähigkeit und treibe die
Betriebskosten in die Höhe.




PeterWeiß (Emmendingen)


14149


(C)



(D)



(A)



(B)


Dies sind nur die wichtigsten Feststellungen der
Weizsäcker-Kommission zum Status quo der deutschen
Armee. Aus dieser Lagebeurteilung ergeben sich jetzt
Reformnotwendigkeiten, die der Bundesverteidigungs-
minister zwischenzeitlich konkretisiert hat. Hierbei bil-
den drei große Themenbereiche das Fundament für die in
Angriff genommene Reform:

Erstens geht es um die Investition in die Fähigkeiten
der Menschen, es geht um die bestmögliche Aus- und
Fortbildung des Personals, um umfassende Verbesserun-
gen zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes sowie
um die Reform von Besoldungs- und Laufbahnstrukturen.

Zweitens geht es um den Erwerb neuer Fähigkeiten
durch leistungsfähigere Strukturen sowie um die Moder-
nisierung von Material und Ausrüstung.

Drittens schließlich geht es auch um eine grundlegende
Reform der Wehrverwaltung und eine weit gehende
Umgestaltung der Beschaffungs-, Verwaltungs- und Be-
triebsprozesse einschließlich einer völlig veränderten
Aufgabenverteilung und einer Zusammenarbeit mit der
deutschen Wirtschaft.

Dieser letzte Punkt ist gerade deshalb so interessant,
weil hier im Grunde wirkliches Neuland betreten wird:
Der Bundesverteidigungsminister will durch modernes
Management eine Konzentration der Streitkräfte auf ihre
militärischen Kernaufgaben erreichen und dadurch Spiel-
räume für die dringend notwendigen Investitionen schaf-
fen.

Bei allen unterschiedlichen Bewertungen dessen, was
die Weizsäcker-Kommission erarbeitet und die Bundesre-
gierung an Konsequenzen daraus entwickelt hat, gibt es
zu den grundsätzlichen Fragen der Strukturreform eigent-
lich eine breite Übereinstimmung im Parlament, wenn
man einmal davon absieht, was die PDS dazu sagt. Aber
das interessiert mich an dieser Stelle eigentlich weniger.

Nun will ich selbstverständlich die Probleme nicht
klein reden, die die CDU/CSU beim Personalumfang, bei
der Finanzausstattung und auch beim vorgelegten Tempo,
mit dem die Bundeswehrreform in Angriff genommen
wurde, erkennt. Ebenso wenig will ich unter den Tisch
kehren, dass die F.D.P.-Fraktion die Strukturreform zum
Anlass nehmen möchte, die Wehrpflicht abzuschaffen,
respektive auszusetzen.


(Beifall bei der F.D.P. und der PDS sowie des Abg. Jann-Peter Janssen [SPD])


Opposition wie Koalition bekennen sich aber eindeu-
tig zur Notwendigkeit der Reform und betrachten es auch
als eine nationale Aufgabe, in dieser wichtigen Frage ein
wenig mehr über den parteipolitischen Tellerrand zu
blicken, als dies bei anderen Fragen der Fall ist.

Wir haben in der Debatte über die Strukturreform nun-
mehr eine Phase erreicht, in der es nach Vorlage der so ge-
nannten Grobplanung jetzt um die Feinplanung und damit
auch um Standortentscheidungen geht. Hier ist natürlich
fast jede Kollegin und jeder Kollege im Deutschen Bun-
destag tangiert, sofern es in ihrem oder seinem Wahlkreis
eine Bundeswehreinrichtung bzw. einen Bundeswehr-
standort gibt.

Gewisse Presseveröffentlichungen über mögliche Stand-
ortschließungen haben uns einen Vorgeschmack auf das
gegeben, was uns in den kommenden Wochen voraus-
sichtlich noch ins Haus stehen wird. Es liegt in der Natur
der Sache, dass dann, wenn über Standortschließungen öf-
fentlich spekuliert wird, sofort alle Bürgermeister, Land-
räte, Industrie- und Handelskammern und öffentlichen
Institutionen lautstark Protest einlegen. Derartige Aufge-
regtheiten lassen sich nicht vermeiden, auch wenn der
Bundesverteidigungsminister hier zum hundertsten Mal
erklärt hat, dass alle bisherigen Veröffentlichungen über
angebliche Schließungen allein auf Spekulationen beru-
hen.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Na!)

Das ist zunächst einmal ein Stochern im Nebel und hat
nicht unbedingt etwas mit dem zu tun, was wir vielleicht
noch Ende dieses Monats vom Minister konkret hören
werden.

Für die Bundeswehrangehörigen, für die Repräsen-
tanten der betroffenen Standorte und nicht zuletzt auch für
uns als Parlamentarier ist es wichtig zu wissen, dass der
Entscheidungsprozess im Hinblick auf den Umfang der
künftigen Standorte völlig transparent und für jedermann
nachvollziehbar gestaltet wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Ebenso wichtig ist die Tatsache, dass für den Bundes-
verteidigungsminister die Fürsorgepflicht gegenüber
den Angehörigen der Bundeswehr an erster Stelle steht.
Die Standortentscheidungen werden also nicht nach Guts-
herrenart getroffen oder gar von irgendwelchen politi-
schen Konstellationen vor Ort oder auf Landesebene ab-
hängig gemacht.

Die Kriterien des Verteidigungsministers sind seit lan-
ger Zeit bekannt.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Eine Übertreibung!)


Deshalb will ich als Vertreter eines großen ländlichen
Flächenwahlkreises mit vielen Bundeswehrstandorten un-
terstreichen, wie wichtig es ist, lieber Peter Ramsauer, dass
neben militärischen Notwendigkeiten auch betriebswirt-
schaftliche Erfordernisse, die Verantwortung gegenüber
der Fläche und die Auswirkungen von Standortent-
scheidungen auf die wirtschaftliche und arbeitsmarktpoli-
tische Situation in einer Region berücksichtigt werden. Ich
denke, das muss ganz oben anstehen.


(Beifall des Abg. Jann-Peter Janssen [SPD])

Unabhängig davon hat Bundesminister Scharping ges-

tern noch einmal alle Mitglieder dieses Hauses ausdrück-
lich schriftlich gebeten, ihm gegebenenfalls zusätzliche
Kriterien für die Standortentscheidungen zu nennen, da-
mit er diese noch berücksichtigen kann.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Dann muss er erst einmal rauslassen, was er vorhat!)


Eine gleiche Aufforderung ist auch an die Ministerpräsi-
denten der Länder ergangen.




Reinhold Robbe
14150


(C)



(D)



(A)



(B)


Mit der Bekanntgabe der Standortentscheidungen wer-
den alle offenen Fragen beseitigt werden, die sich in nach-
vollziehbarer Weise die Soldaten, die Zivilbeschäftigten
und alle direkt oder indirekt Betroffenen und Verantwort-
lichen im Laufe der zurückliegenden Wochen gestellt
haben. Auch wenn die Umsetzung der Standortentschei-
dungen nicht von heute auf morgen stattfinden kann,
bringt die Gewissheit über die Zukunft der Standorte den
Betroffenen jene Planungssicherheit, die sie mit Recht
erwarten.

Unsere Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen, als
Mitglieder dieses Hauses wird darin bestehen, die weitere
Entwicklung in den Standorten persönlich intensiv und im
Rahmen unserer parlamentarischen Möglichkeiten zu be-
gleiten. Dies dient zum einen einer vernünftigen Umset-
zung der Reform und bietet zum anderen die Möglichkeit,
gegenüber den Soldatinnen und Soldaten sowie den Zi-
vilbeschäftigten unsere besondere Verbundenheit mit der
Bundeswehr und mit den dort tätigen Menschen zu doku-
mentieren.

Ich danke sehr für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414405200
Das Wort hat nun der
Kollege Kurt Rossmanith für die CDU/CSU-Fraktion.


Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1414405300
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege
Robbe, wir alle in diesem Hohen Hause sind uns darüber
im Klaren, dass die neuen sicherheitspolitischen Heraus-
forderungen und auch unsere internationalen Verpflich-
tungen, die wir gegenüber der NATO, der Europäischen
Union und den Vereinten Nationen haben, eine moderne,
einsatzfähige und durchhaltefähige Bundeswehr notwen-
dig machen.

Wir werfen Ihnen vor, dass die Veränderungen der in-
ternationalen Sicherheit und der technologischen Mög-
lichkeiten für Sie nicht der entscheidende Maßstab für die
Umstrukturierung unserer Streitkräfte sind; entscheidend
sind vielmehr einzig und allein die Finanzen, die die Bun-
desregierung einzusparen gedenkt. Unser Bundesminister
der Verteidigung ist für diese Einsparungen mitverant-
wortlich; denn die Bundesregierung hat den Haushalt ge-
meinsam beschlossen. Verehrter Herr Minister Scharping,
Sie haben das sicherheitspolitische Feld schlicht und ein-
fach dem Bundesminister der Finanzen, Eichel, überlas-
sen. Diese Tatsache kann man nicht hinnehmen.


(Peter Zumkley [SPD]: Das ist keine Tatsache!)


Sie und nicht der Bundesminister der Finanzen, der Ihnen
für diese Aufgabe die entsprechenden Mittel zur Verfü-
gung stellen muss, tragen Verantwortung für die Sicher-
heits- und für die Verteidigungspolitik in unserem Lande.

Würde sich die Bundeswehrreform nicht nur verbal,
sondern auch inhaltlich und methodisch auf Scharnhorst
beziehen, dann könnte und dürfte sie gar nicht von der
Kassenlage ausgehen. Sie müsste sich zuallererst nach der

Definition der außen- und sicherheitspolitischen Inte-
ressenlage unseres Landes richten. Diese Leistung ist bis-
her weder von Ihnen, Herr Bundesminister Scharping,
noch vom Bundesaußenminister erbracht worden. Nur auf
dieser Grundlage finden unsere Streitkräfte ihr Selbstver-
ständnis und ihre Rolle als wichtigstes Instrument unserer
Sicherheitspolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Stattdessen diktiert in der SPD-geführten Bundesregie-

rung der Finanzminister einem in der Zwischenzeit auch
politisch angeschlagenen Verteidigungsminister Umfang
und Struktur der Streitkräfte. Dieser wiederum verordnet
eine Reform und lässt gleichzeitig viele Fragen hinsicht-
lich Ausrüstung, Umfang, Auftrag und Selbstverständnis
unserer Bundeswehr offen. Das Ganze wird ohne eine
vertiefte Diskussion in Parlament und Öffentlichkeit
durchgezogen, so schlicht und einfach nach dem Motto:
Warum soll man über die Zukunft der Bundeswehr debat-
tieren, wenn das einzige Argument sowieso nur die Kas-
senlage ist?

Ich stelle deshalb fest, dass diese Bundesregierung bis-
her in keiner Weise ihrer Pflicht nachgekommen ist, eine
sicherheitspolitische Begründung für die laufende Redu-
zierung der Bundeswehr zu liefern.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Leider wahr!)

An die Stelle einer echten Reform ist wegen unzureichen-
der Finanzmittel eine bloße Sparaktion durch Rationali-
sierung, Privatisierung, Truppenreduzierung und Stand-
ortschließungen getreten. Die Bundeswehr wird weiter
verkleinert und eine Vielzahl von Standorten wird ge-
schlossen.

Der Verteidigungshaushalt sinkt permanent und der
Verteidigungsminister versucht vergeblich, über den Aus-
verkauf von Liegenschaften Geld hereinzubekommen.
Allerdings ist jedem schon jetzt klar, dass die Erwartun-
gen, die an die laufenden Privatisierungs- und Rationa-
lisierungsmaßnahmen des Verteidigungsministers ge-
stellt werden, in keiner Weise auch nur annähernd erfüllt
werden.

Gleichzeitig soll aber die Bundeswehr – zumindest ver-
bal – modernisiert werden und es werden militärische Ein-
greifkräfte für die Vereinten Nationen und auch das größte
Kontingent für die zu schaffende EU-Eingreiftruppe ge-
meldet. Dass dem Bundesminister der Verteidigung das
Geld dafür nicht gegeben wird und wir bereits heute an
Grenzen stoßen, was die Auftragserfüllung in Bosnien und
im Kosovo anbelangt, spielt dabei offensichtlich keine
allzu große Rolle. Die haushaltspolitischen Realitäten,
Herr Bundesminister Scharping, stimmen in keiner Weise
mit den verteidigungspolitischen Verpflichtungen überein,
die Sie und diese Bundesregierung eingegangen sind. Hier
beginnt für mich außen- und sicherheitspolitisches Aben-
teurertum; denn die Bundesregierung ist internationale
Verpflichtungen bei der NATO, bei der Europäischen
Union und bei den Vereinten Nationen eingegangen, die
weder personell noch strukturell, materiell und finanziell
abgesichert sind.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)





Reinhold Robbe

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(C)



(D)



(A)



(B)


Wir haben von Wildbad Kreuth aus bewusst die Stand-
ortfrage angestoßen, weil wir von der miserablen Infor-
mationspolitik des Bundesministeriums der Verteidi-
gung genug haben und es an der Zeit ist, dass auch einmal
die betroffenen Gemeinden Gehör finden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Noch im letzten Sommer haben Sie, Herr Bundesmi-

nister Scharping, öffentlich und, wie man jetzt weiß, wi-
der besseres Wissen nicht nur einmal, sondern in allen
möglichen Diskussionsrunden versichert, wenn über-
haupt würden nur Kleinstandorte bis zu einer Dienstpos-
tenzahl von 50 Personen von der Bundeswehrreform be-
troffen sein, größere Standorte würden nicht geschlossen
und die Bundeswehr bleibe in der Fläche erhalten. Genau
das Gegenteil tun Sie nun:


(Peter Zumkley [SPD]: Woher wissen Sie das?)


Ohne die betroffenen Kommunen zu beteiligen und ohne
Rücksprache mit den Ländern – es werden einfach Tref-
fen vereinbart, auf denen man das Konzept darstellt und
den Ländern sagt, entweder sie akzeptierten es oder sie
akzeptierten es nicht – wird in einem geheimen Küchen-
kabinett ein Plan entwickelt,


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Küche wäre ja noch in Ordnung!)


der eine Vielzahl von Standorten massiven Reduzierun-
gen aussetzt. Ich nenne bei uns im Allgäu nur das Jagd-
bombergeschwader 34, das auch noch den schönen Na-
men „Allgäu“ trägt; es soll schlicht und einfach
geschlossen werden. Davon wären 1 500 Personen be-
troffen. Von Sonthofen soll das ABC-Abwehrbataillon ab-
gezogen werden; auch soll die dortige Feldjägerschule
– das müssen Sie mir einmal erklären – nach Hannover
verlegt werden.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Wer kommt denn aus Hannover?)


Wenn Herr Kollege Robbe sagt, Herr Scharping gehe
nicht nach Gutsherrenart vor, dann frage ich, wonach
denn dann. Soll die Feldjägerschule dem Gutsherren
Schröder näher gebracht werden, wenn Sie sie nach Han-
nover verlegen?


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Keine Majestätsbeleidigung!)


Glauben Sie mir: Wir werden uns diesem Kahlschlag
massiv widersetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir, die CDU und CSU, haben uns immer als die beiden
Parteien verstanden – wir tun dies auch in Zukunft –, für
die Außen- und Sicherheitspolitik ein ganz wesentliches
Element des Handelns ist.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Deshalb werden wir einen Kahlschlag nicht hinnehmen,


(Gernot Erler [SPD]: Es wird ihn auch gar nicht geben!)


was die Standorte anbelangt, und auch keinen Kahlschlag
in unserer Sicherheits- und Außenpolitik.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414405400
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Angelika Beer.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Jetzt bin ich mal gespannt, was sie zur Wehrpflicht sagt!)



Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414405500
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir dis-
kutieren heute – durchaus nicht zum ersten Mal, Herr Kol-
lege Rossmanith – in einer wichtigen Zeit der Entschei-
dungen über die Zukunft der Bundeswehr. Eine
wesentliche Entscheidung bewegt die Öffentlichkeit und
wird von der Opposition, wie eben vorgeführt wurde, in
populistischer Manier aufgebauscht.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das nehmen Sie sofort zurück! – Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Uwe Küster [SPD]: Herr Rossmanith lässt die Bundeswehr marschieren!)


– Es ist gut, dass wir hier auch noch lachen können.
So, wie Sie versuchen, mit der Standortfrage Wahl-

kampf zu machen und Punkte in Ihren Wahlkreisen zu
sammeln, tun Sie weder der Bundeswehr noch den Stand-
orten, noch den Kommunen einen Gefallen;


(Beifall bei der SPD)

Sie schaffen vielmehr ein Klima der Panik und der Re-
formverweigerung. Unter dem Strich kann man eigentlich
nur sagen, dass Sie sich der Zukunft der Bundeswehr ge-
nerell in den Weg stellen.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Sie als Garant für die Zukunft der Bundeswehr!)


Es kommt jetzt darauf an, Planungssicherheit für die
kommenden Jahre zu schaffen. Ich habe neulich mit ei-
nem ehemaligen General gesprochen.


(Zurufe von der CDU/CSU und F.D.P.: Oh!)

Er sagte: Frau Beer, jeder Politiker, der das Wort in den
Mund nimmt, wird vom Militär belächelt; denn wir haben
diverse Reformen geplant und durchzusetzen versucht
und nie ist eine Planung mit Sicherheit durchgesetzt wor-
den.

Unser politisches Ziel als Koalition ist es – deswegen
sind wir auch Kompromisse eingegangen –, endlich diese
Planungssicherheit zu schaffen. Dazu gehört eine offene,
aber sehr differenzierte, verantwortliche Diskussion über
die Standorte; denn die Standortentscheidung wird Pla-
nungssicherheit geben, weil für die Standorte, die erhal-
ten bleiben, signalisiert wird, dass dort nicht gleich wie-
der nachgebessert werden muss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Kurt J. Rossmanith
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(C)



(D)



(A)



(B)


Die Kriterien für die Entscheidungen sind bekannt.
Nachdem die Grobplanung bereits vorgelegt worden ist
und in Kürze die Feinplanung vorliegen wird, können
wir meiner Ansicht nach davon ausgehen, dass diese
Entscheidung nach wirtschaftlichen, sozialverträglichen,
aber auch militärtechnischen Kriterien getroffen wird.
Am 29. Januar werden wir über die Entscheidung des Mi-
nisteriums unterrichtet und weiter diskutieren.

Die Bundeswehr ist weder Selbstzweck noch darf sie
als strukturpolitische Maßnahme benutzt werden, wo sich
dies nicht mit sicherheitspolitischen Entscheidungen und
Kriterien vereinbaren lässt. Dass dies in den vergangenen
Jahren in verschiedenen Bundesländern anders gehand-
habt wurde, macht die Situation schwierig, ändert aber
nichts an der grundsätzlichen Lage heute.

Die Neuausrichtung der Bundeswehr ist sicherheitspo-
litisch begründet. Sie ist begründet in der günstigen si-
cherheitspolitischen Ausgangssituation.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Unfug!)

Sie muss die Aufgabenstellungen der Bundeswehr im

Rahmen der internationalen Organisationen, wie der
UNO, der NATO und der Europäischen Union, berück-
sichtigen und ist damit auch Bestandteil der Entnationali-
sierung der Sicherheitspolitik.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414405600
Frau Kollegin Beer,
gestatten Sie eine Frage des Kollegen Braun?


Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414405700
Nein,
danke.


(Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)

Diese Aufgaben sind eingebettet in eine Konzeption

der Gewaltprävention. Dies soll helfen, Gewalt zu ver-
hindern. Prävention kann – das sehen wir gerade im
Kosovo und in Bosnien – auch Konfliktnachsorge sein.

Die Grundsatzentscheidung für diese Reform wurde
vom Kabinett am 14. Juni gefällt. Jetzt kommen die Kon-
kretisierungen.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Wie ist es mit der Wehrpflicht?)


Logische Konsequenz der Neuausrichtung und der Redu-
zierung der Bundeswehr ist die Überprüfung der Stand-
orte und die Schließung von Liegenschaften und Stand-
orten dort, wo sie nicht mehr benötigt werden.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sie würden natürlich am liebsten alle schließen!)


Wir Grüne werden – das war insbesondere unser An-
liegen – diese Standortreduzierung auch als Chance be-
greifen. Unsere Koalition hat sich dazu bekannt, dass
Konversion auch Bundesaufgabe ist. Was die Reduzie-
rung in den letzten Jahren angeht, so bestätigen heute
nicht wenige Kommunen, dass durch die Förderung von
Konversionsprojekten ein Gewinn für die Region erzielt
werden konnte. Gleiches wollen wir in den nächsten Mo-
naten und Jahren ebenfalls umsetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist bekannt, verehrte Damen und Herren, dass wir
als Grüne weiter gehen wollten, sogar weiter als die
Weizsäcker-Kommission. Wir haben gesagt, dass wir
keine Aufwuchsfähigkeit von 500 000 Soldaten mehr
brauchen, weil wir in einer entspannten sicherheitspoliti-
schen Situation leben, und dass in Zukunft andere Aufga-
ben wahrgenommen werden sollten. Wir sind für eine
Freiwilligenarmee.Aber wir sehen, dass eine Reform ein
offener Prozess ist.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Was ist mit der Wehrpflicht?)


– Ich sage natürlich etwas zur Wehrpflicht. – Wir werden
Ihrem populistischen Antrag heute nicht zustimmen, weil
wir uns darauf geeinigt haben, einen anderen Weg zu ge-
hen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden aber natürlich in Zukunft weiter über die
Frage der Wehrpflicht diskutieren; denn wir haben – das
ist ein Wesentliches, von Ihnen verschwiegenes Element,
Herr Rossmanith – einen Riesenreformschritt getan: Seit
dem 1. Januar 2001 können Frauen freiwillig in allen Be-
reichen der Bundeswehr ihren Dienst leisten.Wir werden
die Diskussion führen, ob der Zwang für Männer ange-
sichts der Freiwilligkeit für Frauen weiter aufrechtzuer-
halten ist.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Große Unterstützung für Herrn Scharping!)


Unsere Position ist bekannt, aber das ist doch nicht der ak-
tuelle Streit. Wir werden vielmehr einen Schritt nach dem
anderen gehen, und zwar gemeinsam.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Ja, einen Schritt nach dem anderen!)


Die Freiwilligkeit ist unumstritten. Freiwilligkeit ist
das Ziel unserer Gesellschaft.


(Dirk Niebel rem Antrag ja zustimmen!)


Die freiwillige Übernahme von gesellschaftlichen Auf-
gaben ist das Hauptaugenmerk für die Jugendlichen
heute. Dort werden wir weiter unseren Weg gehen.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Nennen Sie doch den nächsten Schritt! – Dirk Niebel [F.D.P.]: Wie stimmen Sie denn nachher ab, Frau Beer?)


Ich will noch etwas dazu sagen, warum ich auch den
zweiten Antrag von Ihnen ablehne.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben sich zwar inzwischen an die Weizsäcker-
Kommission angenähert – das finde ich gut, weil die
Weizsäcker-Kommission nicht ihren Stellenwert im
Entscheidungsprozess des Kabinetts gefunden hat –, aber
Sie wollen mehr Geld. Ich sage Ihnen: Wir haben eine An-
schubfinanzierung für die Reform bereitgestellt.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Wo? – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Wo?)


Wir haben eine Anschubfinanzierung sichergestellt. Mehr
Geld wird es nicht geben. Vielmehr werden wir alle




Angelika Beer

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(C)



(D)



(A)



(B)


Bemühungen des Bundesministers unterstützen, mit de-
nen er versucht, Geld effizienter auszugeben, als es die
Bundesregierung bislang unter Herrn Kohl getan hat.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Wie stimmen Sie denn gleich bei der Wehrpflicht ab, Frau Beer? Das ist doch eine spannende Frage!)


Ich komme zum Schluss.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist gut!)


Die Bundeswehr, ihre Angehörigen, die betroffenen
Gemeinden und Regionen stehen vor schwierigen Zeiten.
Das wollen wir hier überhaupt nicht verniedlichen. Ge-
rade vor dem Hintergrund der internen Umwälzungen und
der zukünftigen Aufgaben bitte ich Sie ausdrücklich um
Unterstützung – statt plattem Populismus, wie eben vor-
getragen –


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


und darum, diese Reformen im Interesse aller, auch im In-
teresse des Parlaments, ernst zu nehmen und die Diffe-
renzen, die Sie ja zugestanden bekommen, hier politisch
auszutragen, aber nicht auf dem Rücken der Kommunen
und erst recht nicht auf dem Rücken der Soldaten. Diese
Demagogie sollten Sie beenden; denn sie ist ein Schritt
nach hinten und nicht ein Schritt nach vorne.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414405800
Das Wort hat Kollege
Günther Nolting für die F.D.P.-Fraktion.


Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1414405900
Frau Präsiden-
tin! Meine Damen und Herren!

Das forsche Plädoyer aus der bürgerlichen Mitte ist
ein wichtiger Impuls für den gärenden Erkennt-
nisprozess der Gesellschaft, den der mutlose Vertei-
digungsminister gern unterbinden würde, der sich
aber nicht stoppen lässt:

(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Was ist denn das jetzt?)

Die Wehrpflicht hat ausgedient.

Diese Aussage stammt nicht aus den Reihen der F.D.P.,
sondern aus der „Braunschweiger Zeitung“ vom Septem-
ber letzten Jahres, nach dem Beschluss des F.D.P.-Bun-
desparteitages zur Aussetzung der Wehrpflicht. Ich
glaube, besser kann man es nicht sagen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Denn hier hat sich die F.D.P. bei einem zentralen
Themengebiet erneut an die Spitze eines Prozesses grund-
legender, gesellschaftlicher Neuordnung gestellt.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Günther, bleib doch ehrlich!)


Wenn ich heute die Kollegin Beer höre, die sich wieder
einmal vollmundig für die Abschaffung der Wehrpflicht

ausspricht, in der Koalition mit der SPD aber ausdrück-
lich für die Beibehaltung der Wehrpflicht stimmt, so kann
ich das nur als doppelzüngig, als Wählerbetrug, als infam
bezeichnen.


(Beifall bei der F.D.P. – Widerspruch der Abg. Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es offenbart in aller Deutlichkeit, Frau Kollegin Beer, wie
die Grünen ihre früheren Überzeugungen nur der puren
Macht wegen wieder einmal über Bord werfen.


(Beifall bei der F.D.P. – Zurufe von der PDS: Welche Überzeugungen? – Wo haben die denn noch Überzeugungen?)


Es ist den Grünen vollkommen gleich, wohin die SPD das
Schiff steuert – Hauptsache, sie sind dabei, und sei es als
blinder Passagier.


(Beifall bei der F.D.P.)

Altbundespräsident Herzog stellte bereits vor mehr als

fünf Jahren fest, dass der demokratische Rechtsstaat dem
jungen Mann die Wehrpflicht nur dann auferlegen darf,
wenn es die äußere Sicherheit des Staates wirklich erfor-
dert. Ob dies in der heutigen Zeit noch zutreffend ist,
stellte sein Nachfolger, Bundespräsident Rau, vor weni-
gen Wochen ebenfalls in Frage.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat denn Kollege Nolting vor drei Jahren gesagt?)


Der Herr Wehrbeauftragte hat vor diesem Hohen Haus
nach reiflicher Überlegung die Empfehlung gegeben, die
von Bundesverteidigungsminister Scharping getroffene
Entscheidung zur Beibehaltung der Wehrpflicht einer kri-
tischen Überprüfung zu unterziehen.


(Beifall bei der F.D.P. – Peter Zumkley [SPD]: So hat er es nicht gesagt!)


– Doch, so hat er es gesagt. – Die objektive Analyse zeigt,
dass es für die Bundesrepublik keinen objektiven sicher-
heitspolitischen Grund mehr gibt, der den gravierenden
Eingriff in die Freiheitsrechte junger Männer in Form der
Wehrpflicht rechtfertigen würde.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das haben Sie erst jetzt entdeckt! – Peter Zumkley [SPD]: Aus Saulus wurde ein Paulus!)


Meine Damen und Herren, wir dürfen nicht die Armee
erhalten, die wir gewöhnt sind, sondern müssen die Ar-
mee aufstellen, die wir benötigen – so formulierte einst
General de Gaulle. Ich denke, dies ist auch heute noch ak-
tuell.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wer die Veränderungen in der sicherheitspolitischen Lage
in Europa nicht erkennt, wird Schwierigkeiten haben, die
Bundeswehr für die Erfüllung künftiger Aufgaben fit zu
machen. Wir hinken bereits heute in diesem Bereich hin-
ter den meisten unserer Verbündeten her; und der Abstand
nimmt zu. Ein grundsätzliches Umsteuern angesichts die-




Angelika Beer
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(C)



(D)



(A)



(B)


ses Prozesses schafft aber Rot-Grün gerade auch in der
Wehrpflichtfrage nicht.

Was macht der Herr Verteidigungsminister?

(Johannes Kahrs [SPD]: Ein guter Verteidigungsminister! – Gegenruf der Abg. Heidi Lippmann [PDS]: Aber nicht mehr lange!)


Herr Scharping betätigte sich lange Zeit als Ankündi-
gungsminister; eine Ankündigung jagte die nächste. Dann
mutierte er zum Bremser der überfälligen Bundeswehrre-
form und jetzt spielt er die Rolle eines Abwiegelungs- und
Verschleierungsministers. Das wird beim Thema Uran-
munition und in der Stationierungsfrage offensichtlich.


(Beifall bei der F.D.P. – Johannes Kahrs [SPD]: Da haben Sie mal wieder im Ausschuss nicht aufgepasst! Sie sollten einmal zuhören!)


20 000 Wehrpflichtige weniger gibt es allein in diesem
Jahr in der Bundeswehr. Herr Minister Scharping, das ist
die totale Bankrotterklärung Ihrer Bundeswehrreform.


(Beifall bei der F.D.P.)

Das Leerlaufen ganzer Bataillone und Standorte hat nur
einen einzigen Grund. Der Grund ist Ihr Chaoshaushalt,
der schon seit seiner Einbringung in das Parlament nur
zwei Parameter kennt: eine überzogene Ausgabenseite
und eine unseriöse Einnahmenseite.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Herr Nolting, wie viele Standorte haben Sie denn während Ihrer Regierungszeit aufgelöst?)


Herr Minister, Sie werden bald Ihren finanzpolitischen
Offenbarungseid leisten müssen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Haben Sie vergessen, was Sie 16 Jahre gemacht haben? Oder haben Sie 16 Jahre geschlafen?)


Nein, meine Damen und Herren, in Deutschland darf die
Frage der Wehrform nicht von der Kassenlage abhängig
gemacht werden. Daher fordern wir Sie auf: Statten Sie
die Bundeswehr mit den finanziellen Mitteln aus, die für
eine wirkliche Reform notwendig sind. Dann kann zum
Beispiel für eine solide Anschubfinanzierung, für eine
wirkliche Attraktivitätssteigerung und für eine auftrags-
gerechte Ausstattung gesorgt werden.


(Beifall bei der F.D.P.)

Die F.D.P. stellt sich den Herausforderungen der Zu-

kunft an die Streitkräfte. Wir geben ein klares Bekenntnis
zur Aussetzung der Wehrpflicht ab, aber eben nicht zu de-
ren Abschaffung. Gleichzeitig stellen wir uns aber auch
der Verantwortung in punkto Gewinnung geeigneten
Nachwuchses für die Bundeswehr und wollen andere Vor-
teile der Wehrpflichtarmee beibehalten, die es ja zwei-
felsohne gibt. Wir sind für eine intelligente Reform der
Bundeswehr, ganz im Sinne der Empfehlungen der
Weizsäcker-Kommission.


(Beifall bei der F.D.P.)

Folgerichtig, Herr Kollege Robbe, plädieren wir für die
Schaffung von 30 000 Haushaltsstellen für Kurzzeitsol-

daten mit einer Dienstzeit von 12 bis 24Monaten, eine an-
gemessene Besoldung und die Option – bei Vorliegen ent-
sprechender Eignung und Leistung –, den Dienst in der
Bundeswehr verlängern zu können.

Eigentlich müsste Ihnen, Herr Kollege Scharping,
schon heute der Angstschweiß auf der Stirn stehen.


(Widerspruch bei der SPD)

Sie werden nämlich in kurzer Zeit wieder von den Rea-
litäten eingeholt werden, die Sie heute noch beharrlich
leugnen, gerade so wie bereits bei dem Thema „Frauen in
den Streitkräften“.


(Beifall bei der F.D.P.)

Denn auch in der Frage der Wehrgerechtigkeit wird der
politische Kurs der rot-grünen Bundesregierung wieder
einmal durch eine Gerichtsentscheidung bestimmt wer-
den, nicht durch eine auf sachgerechter Analyse der Fak-
ten beruhende politische Entscheidung, wie sie auch der
Herr Bundespräsident angemahnt hat. Das stellt Ihrer rot-
grünen Politik ein Armutszeugnis aus.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Wehrpflicht ist nicht nur sicherheitspolitisch nicht
mehr geboten, sie ist auch in höchstem Maße ungerecht.


(Beifall bei der F.D.P. – Johannes Kahrs [SPD]: Wann haben Sie das denn entdeckt? Als Sie in die Opposition gegangen sind?)


Nach dem Modell der rot-grünen Bundesregierung wer-
den in Zukunft nur wenig mehr als 20 Prozent der jungen
Männer zum Wehrdienst und gut 30 Prozent zum Zivil-
dienst, also dem Ersatzdienst, herangezogen werden.
Über 40 Prozent hingegen werden überhaupt keinen
Pflichtdienst für den Staat leisten müssen. Dass in Zu-
kunft der Ersatzdienst die Wehrpflicht legitimiert, kann
nicht richtig sein. Dies geht an der Verfassungsrealität
vorbei.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Meine Damen und Herren, die Bundeswehr eignet sich
wahrlich nicht als Experimentierfeld.


(Zuruf von der SPD: Dann sollten Sie sich mit Ihren Äußerungen mehr zurückhalten!)


Herr Minister, ich fordere Sie auf: Schaffen Sie hier Klar-
heit und stürzen Sie die Bundeswehr nicht in kurzer Zeit
erneut in eine Struktur- und Organisationsdiskussion.

Auf den Punkt gebracht: Die Bundeswehr muss drin-
gend reformiert werden. Dazu bedarf es einer ausreichen-
den Anschubfinanzierung, einer dauerhaften Erhöhung
des Wehretats um 2 Milliarden DM, eines Programmge-
setzes und ganz zweifelsfrei der Aussetzung der Wehr-
pflicht. Wir haben heute entsprechende Anträge gestellt.
Ich bitte Sie um Zustimmung.


(Beifall bei der SPD – Gernot Erler [SPD]: Das wird leider nicht machbar sein!)


Herr Minister, Sie haben uns am gestrigen Tage an-
geschrieben. Ich habe dieses Schreiben zur zukünftigen




Günther Friedrich Nolting

14155


(C)



(D)



(A)



(B)


Stationierung zur Kenntnis genommen. Sie sprechen
darin von einer Auflistung der Kriterien. Diese sind zwar
im Ausschuss vorgetragen worden, schriftlich haben wir
sie jedoch noch nicht erhalten. Wir wissen auch nicht,
welche Vorstellungen Sie haben. Insofern habe ich Ihr
Schreiben mit Verwunderung aufgenommen. Offen-
sichtlich wollen Sie jetzt in allerkürzester Zeit das Parla-
ment doch noch beteiligen. Sie setzen uns eine Frist von
wenigen Tagen, nämlich bis zum 24. Januar. Ich habe Sie
schon vor der Einsetzung der Weizsäcker-Kommission
aufgefordert, das Parlament zu beteiligen. Das haben Sie
abgelehnt.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist eine Frechheit!)

Sie haben das Parlament auch an der Grobplanung nicht
beteiligt und an der gegenwärtigen Feinplanung beteili-
gen Sie das Parlament ebenfalls nicht.


(Zuruf von der SPD: Ihre Äußerungen waren noch nie besonders einfallsreich!)


Sie haben Ihre Entscheidungen zum Teil zuerst den Me-
dienvertretern vorgestellt und nicht dem Parlament. Inso-
fern können Sie von uns nicht erwarten, dass wir uns in
dieser kritischen Stationierungsfrage, die Sie als Regie-
rung allein zu entscheiden haben, sozusagen einkaufen
lassen. Dieses Spiel werden wir nicht mitmachen.


(Beifall bei der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414406000
Herr Kollege Nolting,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1414406100
Frau Präsiden-
tin, ich komme zum Schluss. – Nicht das Parlament re-
giert, sondern es kontrolliert die Regierung. Dieser Kon-
trolle werden wir auch in Zukunft nachkommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Aber vielleicht mit etwas mehr Inhalt!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414406200
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Heidi Lippmann


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1414406300
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Der Kollege Nolting hat gerade auf das
undemokratische Verfahren hingewiesen. Ich kann sa-
gen: Die drei Anträge aus den Oppositionsparteien, die hier
vorliegen, haben eine Gemeinsamkeit.


(Peter Zumkley Sie sind nämlich alle drei Ausdruck dieses undemokra tischen und unparlamentarischen Verfahrens vonseiten der Regierung im Umgang mit der Bundeswehrreform. Zwischen den Anträgen von F.D.P. und PDS gibt es sogar noch eine inhaltliche Übereinstimmung, denn beide fordern die Abschaffung bzw. Aussetzung der Wehrpflicht. Doch das war es dann auch schon an Gemeinsamkeiten. Denn im Gegensatz zu der großen Militärkoalition hier im Haus lehnen wir den Umbau der Bundeswehr zur schnellen Eingreiftruppe entschieden ab, und zwar nicht nur deshalb, weil die neuen Einsatzoptionen unseres Erachtens verfassungswidrig sind, sondern weil wir Friedenssicherung und Friedenserzwingung mit militärischen Mitteln ablehnen. Wirksame Sicherheitsvorsorge kann Deutschland nur mit präventiver Politik betreiben. „Präventiv“ meinen wir nicht im militärischen Sinne. Vielmehr sollen ressortübergreifende Lösungsansätze zur Beseitigung von Konfliktursachen gesucht werden. Die Ursachen für Konflikte, wie zum Beispiel Armut, Hunger, unerträgliche soziale Gegensätze, Ressourcenknappheit, Umweltdegradation und eine Weltwirtschaftsordnung, die einseitig auf die Industriestaaten ausgerichtet ist, sind mit militärischen Mitteln nicht zu beseitigen. Diesen Ursachen kann man nur begegnen, indem sich Europa und auch die Bundesrepublik Deutschland für Gewaltverzicht, für gemeinsame Sicherheit ohne militärische Mittel, für einen friedlichen Interessenausgleich und für eine Weltordnung einsetzen, in der alle Seiten auf Hegemonieansprüche verzichten. Das erreicht man weder durch den Aufbau einer europäischen Eingreiftruppe noch durch die Stärkung der Rolle der NATO zur Durchsetzung wirtschaftlicher und geostrategischer Interessen. Man erreicht es auch nicht durch Rüstungsexporte. Diese tragen ganz im Gegenteil zu einer Verschärfung der Situation bei. Wir haben Ihnen deshalb einen Antrag vorgelegt, in dem wir Sie auffordern, die Umwandlung der Bundeswehr zu einer hochmobilen, über weite Entfernungen einsetzbaren Interventionsarmee zu stoppen und die künftige Ausrichtung strikt auf die im Grundgesetz festgelegten originären Aufgaben zu beschränken. Angesichts der sicherheitspolitischen Lage der Bundesrepublik, die noch nie so günstig war, ist der Verzicht auf jegliche militärischen Mittel eine langfristige Option, für die wir uns einsetzen. Dass das nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen ist, ist uns allen klar. Deshalb sprechen wir uns für einen schrittweisen und sozialverträglichen Abbau des Personalbestandes der Bundeswehr auf vorerst 100 000 Soldaten aus, die – das ist ganz besonders wichtig – strukturell nicht angriffsfähig sind. Bisher von der Bundeswehr übernommene Aufgaben müssen auf zivile Strukturen übertragen werden, so zum Beispiel im Bereich der humanitären Hilfe und des Katastrophenschutzes durch die Einrichtung eines „Green Corps“ und durch die Stärkung ziviler Friedensmissionen. Um dies sozialverträglich zu gestalten, ist die Einrichtung eines Amtes für Konversion und für Abrüstung dringend erforderlich; denn jede Standortschließung macht deutlich – das kann man auch der aktuellen Debatte entnehmen –, dass mangelnde Konversionsplanung den Regionen großen Schaden zufügt. Natürlich setzen wir uns auch – ebenso wie neuerdings die F.D.P. – (Gernot Erler [SPD]: Ihr neuer Partner! – Johannes Kahrs [SPD]: Die F.D.P. ist nach allen Seiten offen!)


für die Abschaffung der Wehrpflicht ein. Die Wehr-
pflicht oder der ersatzweise Zivildienst sind nicht nur aus




Günther Friedrich Nolting
14156


(C)



(D)



(A)



(B)


sicherheitspolitischen Gründen Relikte aus Zeiten des
Kalten Krieges, sondern auch ohne jeglichen demokrati-
schen Wert. Spätestens bei der Grundgesetzänderung,
durch die den Frauen der Dienst an der Waffe ermöglicht
wurde, hätte man die Wehrpflicht abschaffen oder zumin-
dest aussetzen müssen. Dieses Versäumnis muss dringend
beseitigt werden. Wenn nämlich junge Männer nach wie
vor gezwungen werden, einen Zwangsdienst zu verrich-
ten, entspricht dies nicht dem Gleichheitsgrundsatz. Es ist
vielmehr undemokratisch und diskriminierend.

Halten Sie nicht länger – Herr Nolting hat es schon ge-
sagt – aus sozialpolitischen Gründen an der Wehrpflicht
fest, weil Sie die Zivildienstleistenden brauchen, sondern
schaffen Sie endlich die dringend erforderlichen dauer-
haften Arbeitsplätze, damit die bisherige Arbeit der Zivil-
dienstleistenden erledigt werden kann!


(Johannes Kahrs [SPD]: Wir brauchen die Wehrpflichtigen!)


Lassen Sie mich noch einmal auf die Debatte zurück-
kommen, die wir gestern hier geführt haben. Diese zeigt,
wie dringend erforderlich eine fundierte Auswertung des
grundgesetz- und völkerrechtswidrigen NATO-Angriffs-
krieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien ist, nicht
nur, was den Einsatz von Munition und Waffensystemen
betrifft, sondern insbesondere auch hinsichtlich der Ursa-
chen. Das Fazit, das Sie alle hier im Hause aus diesem
Krieg gezogen haben, entspricht ausschließlich militäri-
schem Denken und zieht sich wie ein roter Faden auch
durch die Debatte über den Bundeswehrumbau. Es geht
Ihnen nicht darum, eine umfassende Ursachen- und Feh-
leranalyse zu betreiben, sondern lediglich darum, die mi-
litärischen Defizite für künftige Einsätze auszugleichen.
Das ist nicht nur ein falscher, sondern auch – abgesehen
von den unzähligen Milliarden DM, die dieser Weg kos-
ten wird – ein gefährlicher und ein tödlicher Weg.

Lassen Sie uns endlich über die Ursachen und Fehler
reden, zum Beispiel über die Interpretation der Ereignisse
von Racak, die von Ihnen allen ohne fundiertes Hinter-
grundwissen innerhalb von wenigen Stunden zum Massa-
ker erklärt wurden und so letztendlich neben anderen Fak-
toren zum Auslöser des NATO-Angriffes wurden! Legen
Sie dem Parlament und der Öffentlichkeit umgehend eine
Analyse und Bilanz vor, die vielleicht einen kleinen
Hauch von Selbstkritik und etwas weniger Selbstherrlich-
keit enthält, Herr Minister Scharping! Machen Sie endlich
Schluss damit, mit den Wählern und den Medien wie mit
kleinen Kindern umzugehen, wie die „FAZ“ gestern
schrieb.

Die deutsche Beteiligung an dem NATO-Angriffskrieg
war damals nicht humanitär und sie ist auch heute nicht
humanitär.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414406400
Frau Kollegin Lippmann,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1414406500
Mein letzter Satz. – Kom-
men Sie endlich zur Vernunft! Statt militärischer Op-
tionen und qualitativer Aufrüstung brauchen wir den

Ausbau ziviler Instrumente zur Konfliktlösung und -ver-
meidung.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414406600
Der nächste Redner ist
der Kollege Manfred Opel für die SPD-Fraktion.


Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1414406700
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Zukunft der
Bundeswehr ist zugleich die Zukunft unserer Sicherheit.
Weil dies so ist, hätte ich – nicht nur ich, sondern sicher-
lich auch die Bundeswehr, die Bürgerinnen und Bürger,
die Gemeinden, die Sie angesprochen haben – erwartet,
dass hier ein großer visionärer Wurf vor uns ausgebreitet
wird, wie denn die Opposition alles anders, alles besser
machen würde als die Bundesregierung. Was ich gehört
habe, waren nur Verunsicherung, Kritikasterei, Kleinkrä-
merei, aber überhaupt nichts von einem eigenen Konzept.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Was hat die SPD denn vorzuweisen? Die SPD hat doch nichts! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Lesen Sie es doch einmal nach!)


– Herr Nolting, ich bin sehr gerne bereit, auf Sie persön-
lich einzugehen, weil Sie hier Ihre Fraktion vertreten ha-
ben.


(Zuruf von der SPD: Aber schlecht!)

Sie haben den Antrag der CDU/CSU mit keinem Wort er-
wähnt.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht!)


Sie haben nicht erwähnt, dass Sie diesen Antrag im Ver-
teidigungsausschuss abgelehnt haben. Stattdessen ma-
chen Sie uns glauben, Sie würden mit der CDU/CSU
übereinstimmen. Das tun Sie aber gar nicht.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das habe ich doch gar nicht gesagt! Habe ich das mit einem Wort erwähnt?)


Dann haben Sie die „Braunschweiger Zeitung“ zitiert
und so getan, als sei das ein Zitat, auf dem Sie sich ausru-
hen können. Ich möchte in aller Bescheidenheit daran er-
innern, dass Sie, verehrter Herr Nolting, auf jenem Par-
teitag, den Sie zitiert haben, gegen den Antrag, den Sie
hier verteidigen, gestimmt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie waren immer für die Wehrpflicht und nicht dagegen.
Heute tun Sie so, als seien Sie der Vormann der Gegner
der Wehrpflicht gewesen. Aber das ist nicht der Fall.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Heute ist er umgefallen!)


Das weiß die Bundeswehr und das wissen wir.
Das ist keine Politik; so sollten wir alle uns in die-

sem Parlament nicht bewegen. Sie sollten sich zu dem




Heidi Lippmann

14157


(C)



(D)



(A)



(B)


bekennen, was Sie immer gesagt haben, und nicht so tun,
als seien Sie schon immer der Vorreiter einer ganz ande-
ren Politik gewesen; denn diese haben Sie selbst jahrelang
nicht mitgetragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Aber Mehrheiten erkennen Sie an, ja? Oder waren Sie immer auf der Seite der Sieger? Sie können sich doch mit Ihren Vorstellungen in Ihrer Fraktion auch nicht durchsetzen!)


Hier wird so getan, als sei diese Bundesregierung der
Innovation in der Bundeswehr nicht zugeneigt. Genau das
Gegenteil ist der Fall. Ich erinnere daran, dass jahrelang
versucht wurde, so etwas wie eine Streitkräftebasis he-
rauszuarbeiten. Es wurde versucht, das zusammenzufas-
sen, was den Friedensauftrag der Bundeswehr ausmacht.
Diese Bundesregierung hat es in kurzer Zeit geschafft, ei-
nen eigenen Inspekteur der Streitkräftebasis zu schaffen
und dadurch die Streitkräfte zu entlasten. Jahrelang haben
der Bundeswehr-Verband und wir gefordert, man solle ei-
nen eigenen Schüleretat einführen, um die Truppe zu ent-
lasten. Genau dies hat der Minister in seinem berühmten
Eckpfeilerpapier gemacht und das ist richtig so. Er hat
auch ein Controlling eingeführt, das wir jahrelang gefor-
dert haben; Sie haben das nicht getan. Außerdem hat er
einen so genannten IT-Direktor, einen Direktor für Infor-
mationstechnologie, eingesetzt, damit die vielen Hun-
derte Insellösungen, die in Ihre Verantwortung fallen,
endlich überwunden werden können.

Das zeigt, dass diese Bundesregierung gehandelt hat.
Sie ist weitergegangen und hat sich nicht darum geschert,
was es um sie herum an Verunsicherung gab.

Da der Kollege Rossmanith hier so getan hat, als sei
diese Bundesregierung nicht in der Lage, den Bundes-
wehretat zu finanzieren,


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Dem wollen Sie doch wohl nicht widersprechen!)


möchte ich daran erinnern, dass ein Finanzminister aus Ih-
rer Partei im Verteidigungsetat einfach gestrichen hat.


(Gernot Erler [SPD]: Richtig!)

Er hat Haushaltssicherungsgesetze gemacht. Ich weiß,
wie Herr Breuer damals Sturm dagegen gelaufen ist. Sie
sind auch dagegen Sturm gelaufen, den Umfang der Bun-
deswehr von 370 000 auf 340 000 zu reduzieren. Und was
ist passiert? Kein Mensch hat auf Sie gehört. Rühe und
Waigel haben gemacht, was sie wollten, und haben auf die
Sicherheitspolitiker der Union überhaupt nicht gehört.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben einige Befürchtungen geäußert, die schlicht
und einfach nicht wahr sind.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414406800
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rossmanith?


Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1414406900
Mit größtem Vergnügen, Frau
Präsidentin!


Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1414407000
Lieber Kollege
Opel, sind Sie bereit, die Zahlen, die ich Ihnen jetzt nen-
nen werde, auch entsprechend zu bestätigen, weil es halt
die Fakten sind und sie bereits die Ist-Ergebnisse darstel-
len? Der Verteidigungshaushalt lag im Jahre 1996 bei
47,2 Milliarden DM, der Haushalt 2000 bei 45,3 Milliar-
den DM, und der Haushalt für das Jahr 2001 liegt derzeit
bei 46,8 Milliarden DM. Hier sind aber bereits die 2 Mil-
liarden DM für den Bosnien- und den Kosovo-Einsatz aus
dem Einzelplan 60 eingeflossen.


Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1414407100
Herr Kollege Rossmanith, ich
bin bereit, Ihnen zu bestätigen, dass Sie einen Schulden-
berg von 1 504 Milliarden DM hinterlassen haben, der im
Haushalt 2000 82 Milliarden DM Zinsen, also einen
Schuldendienst bedeutet, der fast doppelt so hoch ist wie
der Verteidigungshaushalt, sodass wir für Zinsen bezah-
len müssen und nicht für das bezahlen können, was wir ei-
gentlich wollen, für unsere Bundeswehr. Das kann ich Ih-
nen gern bestätigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414407200
Herr Kollege Opel, es
gibt eine zweite Frage des Kollegen Rossmanith.


Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1414407300
Gern, wenn sie von der glei-
chen Qualität ist.


Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1414407400
Herr Kollege
Opel, ist Ihnen bekannt, dass im Jahre 1990 unser Land
mit großer Dankbarkeit die Wiedervereinigung erlangt hat
und dass daher enorme Kosten, jährlich bis zu 150 Milli-
arden DM Nettotransfers in die neuen Bundesländer,
übernommen werden mussten,


(Peter Zumkley [SPD]: Daran haben aber die Länder mitgewirkt!)


um die Hinterlassenschaften des real existierenden Sozia-
lismus nach und nach zu beseitigen?


Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1414407500
Herr Kollege, Sie wissen ganz
genau, dass mir das sehr nahe ist und dass mir das bewusst
ist.


(Kurt J. Rossmanit Sie nicht immer solche Bemerkungen!)


Nur, Herr Kollege, Sie wissen, dass wir einen Solida-
ritätszuschlag erhoben haben und dass dies nicht die Bun-
desregierung, sondern die Bürgerinnen und Bürger dieses
Landes bezahlen. Ihre Darstellung ist schlicht und einfach
falsch. Schon vor 1990 sind Sie in den Schuldenstaat ge-
gangen und danach taten Sie es auch. Dazu sollten Sie
sich bekennen, das wäre wenigstens ehrlich.


(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben

die Gleichgewichtigkeit von Streitkräften und Verwaltung
in der Bundeswehr zu beachten. Wenn wir von Bundes-




Manfred Opel
14158


(C)



(D)



(A)



(B)


wehr sprechen, sprechen wir von beidem. Wir sprechen
von der Gesamtbundeswehr und auch von der Peripherie,
von den Gemeinden.

Der Minister ist kritisiert worden, weil er gestern ge-
nau das machte, was Sie immer gefordert haben. Er hat
Ihnen die Chance gegeben, Herr Nolting, zu einem Kri-
terienkatalog beizutragen. Diesen Kriterienkatalog müs-
sen Sie doch kennen. Sie brauchen nur die Protokolle des
Verteidigungsausschusses zu lesen, dann wissen Sie das.
Auf der einen Seite tun Sie so, als würde der Minister Sie
nicht teilhaben lassen. Aber auf der anderen Seite lehnen
Sie es ab mitzuwirken, wenn er Sie teilhaben lässt.


(Zuruf von der F.D.P.: Unter welchen Bedingungen denn?)


Sie können doch nicht so tun, als hätte die Bundes-
wehrreform Sie überfallen. Sie haben das Weizsäcker-
Gutachten, das Eckwertepapier, das Eckpfeilerpapier, Sie
haben alle Daten. Tragen Sie endlich dazu bei, seien Sie
konstruktiv! Ich bemerke, dass Sie destruktiv sind. Dies
bedauere ich sehr. Das hat die Bundeswehr nicht verdient,
Herr Nolting.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte Sie daran erinnern, dass diese Bundeswehr ei-
nen völlig neuen Auftrag hat. Frau Lippmann – Sie ist leider
jetzt nicht da –, diese Bundeswehr ist keine Interventionsar-
mee. Die Bundeswehr hat den neuen Schwerpunkt Bündnis-
verteidigung. Wir waren über Jahre Sicherheitsempfänger.
Jetzt haben wir die Möglichkeit, Sicherheitsgeber zu sein.
Dies bedeutet, dass wir die gesamte Bundeswehr umstruktu-
rieren müssen. Von einer Interventionsarmee zu reden ist
daher gänzlich falsch.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414407600
Herr Kollege, es gibt
eine Zwischenfrage des Kollegen Nolting.


Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1414407700
Mit dem größten Vergnügen,
Frau Präsidentin.


Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1414407800
Herr Kollege
Opel, ist Ihnen bekannt, dass es eine Weizsäcker-Kom-
mission gegeben hat, in der aktive Politiker nicht mitge-
arbeitet haben und – aus der Sicht des Ministers – gar
nicht mitarbeiten sollten?


(Peter Zumkley [SPD]: Daraus wäre auch nichts geworden!)


Ist Ihnen bekannt, dass das Parlament, als es um die Grob-
planung ging, nicht in die Planung einbezogen wurde? Ist
Ihnen bekannt, dass bei der Feinausplanung, die stattfand,
das Parlament wieder nicht beteiligt wurde,


(Peter Zumkley [SPD]: Parlament und Regierung haben unterschiedliche Aufgaben!)


dass bei den Standortentscheidungen des Ministers das
Parlament im Vorfeld nicht beteiligt wurde und dass uns
jetzt eine Frist von wenigen Tagen gesetzt wurde, in der

wir uns beteiligen sollen? Wir werden damit unter erheb-
lichen Druck gesetzt und sollen offenbar eingekauft wer-
den. Ist Ihnen das alles bekannt?


Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1414407900
Herr Kollege Nolting, es gibt
verantwortliches Regierungshandeln. Dafür haben wir
eine Regierung. Ich bin dankbar, dass diese Regierung
ihre Verantwortung wahrgenommen hat.

Jetzt aber zu dem Punkt „Beteiligung des Parla-
mentes“. Wir haben in der Opposition jahrelang eine par-
lamentarische Wehrstrukturkommission gefordert. Sie
haben diese immer abgelehnt. Das ist die ganze Wahrheit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414408000
Herr Kollege Opel, es
gibt eine Frage der Kollegin Lippmann.

Ich verweise darauf, dass dies die letzte Frage ist, die
ich bei diesem Redner zulasse. Es ist bereits 13.30 Uhr
und wir haben noch zwei weitere Tagesordnungspunkte.

Frau Kollegin Lippmann, bitte.


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1414408100
Herr Kollege Opel, Sie ha-
ben mich gerade direkt angesprochen und darauf hinge-
wiesen, dass wir nicht länger Sicherheitsnehmer, sondern
Sicherheitsgeber seien. Ich frage Sie in Anbetracht der
gestrigen Debatte, die wir geführt haben, ganz konkret:
Wem geben wir welche Sicherheit und vor allem in wel-
cher Form? Haben wir den Menschen, die Sie damals in
Jugoslawien bombardiert haben, Sicherheit gegeben?


(Hildebrecht Braun [Augsburg ] [F.D.P.]: Dieser Frau ist nicht zu helfen!)


Halten Sie nach wie vor an der Interpretation des „hu-
manitären Krieges“ fest? Ist das Sicherheit, die wir
geben? Geben wir durch die derzeitigen Planungen den
Soldaten und vor allem ihren Familien Sicherheit? In
welcher Form garantieren wir diese Sicherheit?

Sind Sie nicht vielmehr der Auffassung, dass wir durch
Krisenprävention und mit nicht militärischen Mitteln
Sicherheit geben müssten,


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Die schicken die Feuerwehr dahin!)


wozu der Umbau der Bundeswehr und ihr Engagement in
der WEU und der NATO sicherlich nicht gehören?


Manfred Opel (SPD):
Rede ID: ID1414408200
Verehrte Frau Lippmann, eines
ist richtig: Die Krisenprävention – einschließlich nicht
militärischer Mittel – ist vordringlich. Wir wollen den
Frieden ohne den Einsatz von Militär.

Aber ich muss Ihnen auch sagen: Wir leben in Sicher-
heit. Wir erkennen den Wert der Sicherheit nicht, so lange
sie vorhanden ist. Wir spüren diesen ihren Wert erst, wenn
sie gefährdet oder nicht mehr vorhanden ist. Diese Sicher-
heit haben wir durch unsere Bundeswehr und vor allem
aufgrund unserer Alliierten lange Zeit bewahrt.




Manfred Opel

14159


(C)



(D)



(A)



(B)


Sowohl Art. 5 des NATO-Vertrages wie auch des
WEU-Vertrages legt fest, dass wir uns gegenseitig beiste-
hen. Lange genug haben uns die Alliierten beigestanden.
Wir wollen in Zukunft den Alliierten beistehen, vor allem
in der vergrößerten NATO. Das ist unsere Aufgabe. Das
heißt, dass wir in Zukunft Sicherheitsgeber sein werden.
Das bedeutet, dass wir die Bundeswehr umstrukturieren
müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.])


Wir haben weiter eine völlig neue Operationsführung.
Wir haben sie deswegen, weil das Gefecht schneller
geworden ist. Bei jedem Wetter und zu jeder Tageszeit
muss man einsatzbereit sein. Dies bedeutet eine völlig
neue Führung in den Streitkräften. Mit unseren Streit-
kräften müssen wir uns weiterentwickeln. Das hat auch
Auswirkungen auf die Struktur und die Stationierung.

Wir haben auch eine neue Technologie, die mehr Präzi-
sion, mehr Datenverarbeitung und eine verbesserte Ein-
satzfähigkeit nach sich zieht. Dies bedingt eine neue
Struktur. Eine neue Struktur hat zwangsläufig eine neue
Stationierung zur Folge. Es ist völlig egal, wie groß die
Geldmittel für die Bundeswehr sind. Jeder in der politi-
schen Verantwortung hätte eine Umstrukturierung
vornehmen müssen. Es gehört eben auch zur Wahrheit,
dass man sich dazu bekennt. Und es gehört zur Zukunft
der Bundeswehr, dass man dies tut.

Wir alle gemeinsam – die Gemeinden, die Soldaten, die
Bundeswehrangehörigen in Zivil und vor allen Dingen
wir in diesem Hohen Hause – müssen diese Umstruk-
turierung mittragen. Wir müssen zur Sicherheit der Bun-
deswehrangehörigen und ihrer Familien und nicht zu ihrer
Verunsicherung beitragen. Das ist unsere Aufgabe, die im
Zentrum dessen steht, was von der Politik erwartet wird.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Derzeit machen Sie das Gegenteil!)


– Verehrter Herr Breuer, mit Ihrem Zwischenruf machen
Sie genau das Gegenteil. Wir versuchen dadurch, dass wir
eine klare Zeitvorgabe für unsere Entscheidung haben,
klarzumachen


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Das ist sehr realitätsfern!)


– lassen Sie mich doch einfach ausreden –, dass wir eine
mit den Gemeinden und Ländern abgestimmte Politik
wollen. Der Minister hat mit dem Ministerpräsidenten
gesprochen. Er hat Ihnen alles das dargestellt, was auf der
Tagesordnung steht.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Aber nichts gesagt!)


– Sie mögen es nicht wahrgenommen haben. Aber das ist
Ihr Problem. Alle anderen, zum Beispiel die Soldaten,
haben es wahrgenommen.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Fragen Sie einmal Frau Simonis!)


Wenn man mit Kommandeuren und Soldaten spricht,
dann sagen diese, dass sie Ihre Verunsicherungskampagne

überhaupt nicht verstehen. Sie haben zur Bundesregie-
rung und zum Verteidigungsminister Vertrauen.

Unbeschadet dessen, welche Klänge man heute aus
dem Bundeswehr-Verband hört – dies bedauere ich aus-
drücklich; ich bin seit 1958 Mitglied dieses Verbandes
und habe solche Klänge noch nie gehört –,


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Das hat wohl seinen Grund!)


wird die Bundeswehr die Zukunft gewinnen. Wir werden
die Zukunft der Bundeswehr garantieren und damit die
Sicherheit unseres Landes.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414408300
Der nächste Redner
für die CDU/CSU ist der Kollege Thomas Kossendey.


Thomas Kossendey (CDU):
Rede ID: ID1414408400
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mit meinem
Beitrag auf zwei Aspekte eingehen, die heute noch gar
nicht erwähnt worden sind: die Situation der Zivilbediens-
teten und die Kooperation der Bundeswehr mit der Wirt-
schaft.

Lassen Sie mich zu Anfang feststellen, Herr Minister:
Was das Ziel angeht, stimmen wir mit Ihnen überein. Wir
wollen mehr als früher – das haben wir seit Beginn der
90er-Jahre deutlich gemacht – den Sachverstand der
Wirtschaft in die Bundeswehr hineintragen und wir
wollen die Auftragserfüllung der Bundeswehr durch die
öffentliche Hand auf das sachlich und rechtlich
notwendige Maß beschränken. Sosehr wir uns aber in
diesen Zielen einig sein mögen, so sehr haben wir Zweifel
angesichts des Weges, den Sie in diesem Zusammenhang
eingeschlagen haben. Lassen Sie mich das an drei Pro-
blemkreisen verdeutlichen.

Zunächst zum Stichwort Zivilbedienstete.Unseres Er-
achtens haben Sie sich – unklugerweise – unter einen
Zeitdruck gesetzt, der Sie geradezu zwingt, Fehler zu
machen, Enttäuschungen zu provozieren und Verun-
sicherung zu schaffen. Wer in den nächsten Jahren über
40 000 Zivilbedienstete einsparen will, der gerät schnell
in die Situation, dass er einsparen muss, koste es, was es
wolle. Dies trifft umso mehr zu, als die einzusparende
Zahl der Zivilbediensteten nicht das Ergebnis einer Pla-
nung ist, sondern letztendlich eher einer Vorgabe des Fi-
nanzministers folgt.

Sie sagen im Hinblick auf die Zivilbediensteten zum
Beispiel: Eine so weit gehende Arbeitsplatzgarantie, wie
ich sie ihnen gebe, haben sie noch nie gehabt. Was die
Vertreter der Gewerkschaften bei den jetzt stattfindenden
Tarifverhandlungen allerdings erleben, ist, dass das poli-
tische Versprechen, das Sie gegeben haben, von Ihren
Vertretern in den Tarifkommissionen nicht akzeptiert
wird. Sie haben im Gegenteil in den ersten Besprechun-
gen mit den Tarifpartnern deutlich gemacht, dass das In-
nenministerium einer Arbeitsplatzgarantie, wie sie die




Manfred Opel
14160


(C)



(D)



(A)



(B)


Bediensteten erwarten, nie zustimmen wird. Das muss die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Bundeswehr
verunsichern.

Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass es sich bei
diesen Mitarbeitern nicht um Kostenstellen mit zwei
Ohren handelt, sondern um Menschen, die zusammen mit
ihren Familien in Sorge sind um ihren Arbeitsplatz.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Wenn diese spüren, dass über sie nur verfügt wird, statt
dass mit ihnen gesprochen wird, dann lähmt das die Mo-
tivation.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wenn Sie darüber hinaus keine Gelegenheit ungenutzt
lassen, die Leistung dieser Mitarbeiter in ein falsches
Licht zu rücken bzw. sie manchmal sogar der Lächer-
lichkeit auszusetzen, muss das demotivierend wirken. Ich
will Ihnen dafür ein Beispiel nennen. Auf der Komman-
deurtagung haben Sie, Herr Minister Scharping, gesagt
– ich zitiere wörtlich –:

Kürzlich erzählten mir Menschen,
– natürlich anonym –

ich solle mir mal die WBV in München etwas
genauer angucken. Das habe ich dann getan. Da ar-
beiten etwas über 900 Menschen auf deutlich über
80 000 qm Büroflächen. Das ist unwirtschaftlich.
Und auch das ist nur ein Beispiel für manches andere,
das ich erwähnen könnte.

Tatsache ist: Das Bundeswehrverwaltungszentrum
in München hat eine Gebäudenutzfläche von circa
88 000Quadratmetern. Sämtliche überbauten Flächen, also
Büros, Flure, Keller, Toiletten und Wirtschaftsräume, sind
darin enthalten. In diesem Bundeswehrverwaltungszen-
trum arbeiten außer der Wehrbereichsverwaltung noch
zehn weitere Dienststellen: die Standortverwaltung, das
Kreiswehrersatzamt, das Rechenzentrum, die MAD-Stelle,
das Truppendienstgericht usw. Die Wehrbereichsverwal-
tung VI hat für sich allein eine Hauptnutzfläche von
15 000 Quadratmetern, was bei 900 Bediensteten genau
den Vorgaben entspricht, die Ihr Ministerkollege in dem
dafür zuständigen Ressort vorgegeben hat.


(Heidi Lippmann [PDS]: Nun seien Sie doch nicht so genau!)


Ich finde, wer auf diese Art und Weise über die Zivilbe-
diensteten spricht, macht sich nicht unbedingt verdient
um sie. Lassen Sie doch diese rhetorischen Taschenspie-
lertricks. Sie helfen Ihnen und uns nicht und sie verun-
sichern die Menschen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Besser wäre es, Herr Minister, Sie würden die
Beispiele ernst nehmen, die gezeigt haben, dass man Geld
und Personal sparen kann, wenn man intern optimiert und
investiert, und zwar entsprechend dem Grundsatz, den
Richard von Weizsäcker in seinem viel zitierten Bericht
angeführt hat: Sparen kostet. So ist zum Beispiel in der

Standortverwaltung in Schwanewede 1994 unter Volker
Rühe ein Optimierungsmodell ins Werk gesetzt worden,
das den Bediensteten die Möglichkeit gegeben hat, nach
einer Investition von 2,3 Millionen DM selber zu sparen.
Nachdem diese Investition getätigt worden ist, wird in
dieser Standortverwaltung jedes Jahr ein Betrag von
ungefähr 2,4 Millionen DM eingespart. Das zeigt sehr
deutlich, wie wichtig es ist, zunächst eine Anschub-
finanzierung zu geben, wenn man sparen will. Für eine
solche Anschubfinanzierung ist in Ihrem Haushalt aber
weniger Geld vorgesehen, als notwendig wäre. Letzt-
endlich spüren die Menschen, dass Anspruch und Wirk-
lichkeit auseinander klaffen. Und das verunsichert.

Genauso verhält es sich bei der Kooperation mit der
Wirtschaft. Es haben zwei große Festveranstaltungen
stattgefunden. Der Kanzler und Sie haben sich im Ram-
penlicht zusammen mit der deutschen Industrie gesonnt –
das ist für Sozialdemokraten zugegebenermaßen ein fan-
tastisches Erlebnis. Solche Veranstaltungen helfen aller-
dings der deutschen Wirtschaft nicht in dem Maße, wie sie
es erhofft hat. Es sind Kooperationsverträge unter-
schrieben worden; Sie sagen, es hätten über 600 Firmen
unterschrieben. Wenn man aber fragt, was diese Firmen
konkret von diesen Verträgen haben, wird uns mitgeteilt,
vielleicht zwei Dutzend dieser Firmen hätten Verträge mit
der Bundeswehr geschlossen.


(Manfred Opel [SPD]: Immerhin!)

In den Bereichen, in denen Sie Möglichkeiten einer al-

ternativen Finanzierung hätten – Sie persönlich haben
vielleicht keine Berührungsängste –, ist Ihr Ministerium
noch zu sehr im alten Denken verhaftet, um die Chancen,
die es dort gibt, wirklich zu nutzen. Ich will als Beispiele
nur das Wehrforschungsschiff und den Aufklärungssatel-
liten nennen.


(Peter Zumkley [SPD]: Das Forschungsschiff wäre fast an Ihnen gescheitert!)


– Verehrter Herr Kollege Zumkley, Ihr Zwischenruf ist
nicht von der Qualität, wie ich es von Ihren sonstigen
Beiträgen kenne. Streichen Sie ihn einfach wieder!


(Peter Zumkley [SPD]: Wir besprechen das mal unter uns!)


Es wird häufig eingewandt, das Grundgesetz stünde
einer Privatisierung entgegen. Herr Minister, Sie wollten
eine Gesellschaft gründen, die dazu in der Lage ist, die
Bundeswehr nach privatwirtschaftlichen Gesichtspunk-
ten aufzumöbeln. Ich glaube, diese Gesellschaft wäre
besser erst gegründet worden, nachdem Sie mit dem
Sachverstand Ihres Hauses den rechtlichen Rahmen
abgesteckt hätten. Im Augenblick ist Frau Fugmann-
Heesing, die ich als kompetente Geschäftsführerin dieser
Gesellschaft schätze, dabei, den rechtlichen Rahmen, in
dem sie arbeiten kann, selbst auszuloten. Das kann nicht
in Ordnung sein. Sie sollten den Sachverstand Ihres
Hauses und der nachgeordneten Behörden viel intensiver
nutzen, als das in der Vergangenheit geschehen ist.

Im Zusammenhang mit dem Beispiel GEBB bitte ich
Sie zu überlegen: Sie wollen, dass Ihnen die GEBB durch
Grundstücksverkäufe in diesem Jahr einen Betrag von




Thomas Kossendey

14161


(C)



(D)



(A)



(B)


nahezu 1 Milliarde DM für den Haushalt erwirtschaftet.
Ohne dieses Geld wäre der Spielraum für Investitionen
sehr klein. Sind denn die Grundstücke, die verkauft wer-
den sollen, schon identifiziert? Sind sie schon einmal be-
wertet worden? Wer aus den Kreisen der deutschen In-
dustrie oder der deutschen Makler solche Grundstücke
kaufen will, wird klugerweise bis zum Jahresende warten,
weil dann Ihre finanzielle Situation immer prekärer wird
und möglicherweise eine Situation eintritt, in der über den
Preis noch verhandelt werden kann.

Manches von dem, was Sie angefangen haben, ist
schön und richtig gedacht, in manchen Fällen haben Sie
nur Ansätze weitergedacht, die schon vorhanden waren.
Die Wege sind mir allerdings noch viel zu verschlungen,
um wirklich erfolgreich zum Ziel zu führen. Herr Minis-
ter, ich sage Ihnen sehr deutlich: Wir bieten Ihnen aus-
drücklich an, an diesem Thema gemeinsam weiterzuar-
beiten. Es ist ein viel zu wichtiges Thema, mit dem
Weichen für die Zukunft der Bundeswehr gestellt werden,
als dass wir es nur einer Partei dieses Hauses überlassen
sollten. Sie müssen sich aber ernsthaft bemühen, die Pläne
ins Werk zu setzen.

Ich nenne Ihnen als Beispiel nur das Marinearsenal in
Wilhelmshaven. Hier könnten wir den Dreiklang von In-
dustrie, militärischen und zivilen Mitarbeitern ganz prima
durchexerzieren. Im Arsenal ist eine Menge an Vorleistun-
gen erbracht worden; die Strukturen sind flacher gewor-
den, es sind nahezu die Hälfte der ursprünglichen Dienst-
posten eingespart worden. Es bietet sich für eine intensive
und verbesserte Kooperation mit der Wirtschaft an. Wir
sollten einmal gemeinsam im Ausschuss erörtern, wie wir
vor dem Hintergrund dieses Beispiels die Kooperation
zwischen Bundeswehr und Wirtschaft erfolgreich prak-
tizieren können.

Zum Schluss eine persönliche Bemerkung: Diese
schwierige Arbeit für die Bundeswehr, für die Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter im zivilen und militärischen
Bereich, erfordert in den kommenden Jahren die unge-
teilte Aufmerksamkeit des Ministers. Die Menschen in
der Bundeswehr werden große Belastungen auf sich
nehmen müssen; manche Karriereplanung wird jäh unter-
brochen und mancher Lebenslauf wird sich nicht so re-
alisieren lassen, wie er geplant war. Ich glaube, es ist nicht
gerade sehr motivierend, wenn die betroffenen Menschen,
die in schwierigen Situationen stecken, im Fernsehen hö-
ren, dass Sie in den letzten Monaten gelernt haben, eine
Akte auch einmal etwas früher aus der Hand zu legen.
Nein, diese Menschen müssen das Gefühl haben, dass Sie
das Heft fest in der Hand haben und dass Ihre politische
Aufmerksamkeit ungeteilt den Sorgen und Problemen der
Menschen gilt, die in der Bundeswehr für unsere Sicher-
heit sorgen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414408500
Kompliment, Herr
Kollege, genau auf die Minute. Nächster Redner für die
Fraktion der Bündnisgrünen ist der Kollege Winfried
Nachtwei.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414408600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur
Diskussion und Abstimmung stehen heute mehrere An-
träge der versammelten, aber sehr uneinigen Opposition.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Im Gegensatz zur Koalition? – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Wenn ich die unterschiedlichen Äußerungen aus der Koalition höre, dann kann ich nur feststellen, dass das ein Hühnerhaufen ist!)


Beiträge zur Debatte über die anstehende Bundeswehr-
reform, die selbstverständlich der öffentlichen und kritis-
chen Begleitung bedarf, sind grundsätzlich zu begrüßen.
Die militärpolitische Debatte wird und wurde auch in
diesem Haus immer wieder durch viel parteipolitisches
Getöse geprägt. Herr Breuer, Sie gehörten zu denjenigen,
die dazu sehr viel beigetragen haben. Aber die heutigen
Anträge belegen erstaunlicherweise, dass es in relativ vie-
len Punkten Konsens gibt. Wahrscheinlich war der Kon-
sens in diesem Hause – wenn man es historisch betrach-
tet – noch nie so groß. Wegen der Kürze der Zeit kann ich
allerdings nur auf die Differenzen eingehen.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Schade!)

Die CDU/CSU votiert für eine geringfügige Redu-

zierung des Bundeswehrumfanges und für einen Anstieg
der Militärausgaben. Wie Sie das mit ihrem Anspruch,
den Bundeshaushalt zu konsolidieren, vereinbaren wollen,
lassen Sie wohlweislich unausgesprochen.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Eben nicht! Aber nicht Sicherheitspolitik nach Kassenlage!)


Die F.D.P. orientiert sich in ihrem Antrag stark am – zu
Recht gelobten – Bericht der Weizsäcker-Kommission.
Das macht ihn um einiges diskussionswürdiger. Wenn die
F.D.P. sagt, die Wehrpflicht sei „sicherheitspolitisch nicht
mehr zwingend erforderlich“, dann hat sie nach bündnis-
grüner, aber bekanntlich nicht nach regierungsamtlicher
Auffassung Recht.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Dann stimmen Sie doch zu!)


– Herr Nolting, Sie blasen sich hier immer so fantastisch
auf, als hätten Sie völlig vergessen, dass es einen kleinen
Unterschied zwischen Parteipositionen, Fraktionspositio-
nen und Kompromisspositionen gibt, die man in Koali-
tionen vereinbaren muss. Das hat nichts mit Unglaub-
würdigkeit zu tun. Das ist normaler Parlamentarismus,
sonst gar nichts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn Sie gestatten, gehe ich weiter auf Sie ein, Herr
Nolting. Immerhin sind Sie derjenige in Ihrer Fraktion
gewesen, der zumindest bis zum Sommer letzten Jahres
besonders eifrig durch die Lande gezogen ist und immer
wieder verkündet hat: Die Wehrpflicht ist sicherheits-
politisch unverzichtbar. Ich frage Sie: Was hat sich seit
dem letzten Sommer sicherheitspolitisch so grundlegend
für die Bundesrepublik geändert,


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gar nichts!)





Thomas Kossendey
14162


(C)



(D)



(A)



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dass Sie jetzt zu der entgegengesetzten Schlussfolgerung
kommen? Sie verstehen, dass hier der Eindruck sehr nahe
liegt, dass nicht Sachargumente und gewandelte Überzeu-
gungen eine Rolle gespielt haben, sondern das bekannte
Fähnlein im parteipolitischen Winde. In diesem Zusam-
menhang ist mir die Auffassung Ihres Kollegen van Essen,
der überzeugter Reserveoffizier ist, aufgefallen. Ich teile
sie zwar nicht, aber er hat Respekt verdient, weil er an
seiner Überzeugung festgehalten hat.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414408700
Herr Kollege
Nachtwei, der Kollege Nolting möchte eine Zwischen-
frage stellen.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414408800

Nein, wir brauchen keine weiteren Aufblasveranstaltun-
gen.


(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Der PDS-Antrag sollte genauer zur Kenntnis genom-

men werden. Die PDS erkennt nämlich erstmalig den
Verteidigungsauftrag der Bundeswehr auch im Bünd-
niszusammenhang an. Ich vermute, dass die meisten
PDS-Anhänger davon noch gar nichts wissen; denn wenn
sie es wüssten, wären viele von ihnen sicherlich sehr irri-
tiert. Allerdings werden im PDS-Antrag die Konsequen-
zen verschwiegen. Bündnisverteidigung ist heute und in
Zukunft nicht ohne hochmobile und flexible Kräfte
möglich, also nicht ohne die Fähigkeiten, die fast mit den-
jenigen deckungsgleich sind, die man für so genannte
Kriseneinsätze benötigt.

Es ist allerdings auffällig, dass sich die drei Opposi-
tionsfraktionen in ihren Anträgen genau in diesem Punkt
ausschweigen, nämlich über den Auftrag der Krisenbe-
wältigung, der ja eigentlich im Mittelpunkt der laufenden
Bundeswehrreform steht. Die PDS erteilt ihm ganz kate-
gorisch eine Absage und setzt militärische Krisenbewälti-
gung im Grunde mit imperialistischem Interventionismus
gleich. Sie negieren dabei allerdings Kleinigkeiten, näm-
lich zum Beispiel die zurzeit unverzichtbare Rolle von
SFOR und KFOR auf dem Balkan, ohne die es keine
Gewalteindämmung gäbe. Eine kategorische Absage
Ihrerseits liefe darauf hinaus, Blauhelmtruppen überall
– vom Golan bis Zypern – abzuziehen. Das allerdings
wären Gewaltförderungsmaßnahmen nach PDS-Art.

CDU/CSU und F.D.P. dagegen kommen im Grunde
nicht über die übliche Terminologie zur militärischen
Krisenbewältigung hinaus und verpassen damit die
Chance, die zu Recht viel geforderte große Debatte zur
Bundeswehrreform etwas voranzubringen. Dabei drän-
gen sich doch die großen und bisher nicht geklärten Fra-
gen auf – Sie entschuldigen, wenn ich mich in diesen
Punkten im Plenum ab und zu wiederhole; aber da dies auf
so wenig Widerhall stößt, muss man das ab und zu wieder-
holen.

Wir schaffen keine Interventionsarmee, wohl aber eine
interventionsfähige Armee.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Hört! Hört!)


Gleichzeitig wollen wir nicht von einer militärpolitischen
Zurückhaltung, die Tradition der Bundeswehr ist, ab-
rücken. Darin besteht hier Einigkeit.


(Peter Zumkley [SPD]: Sehr gut!)

Ehrlicherweise müssen wir allerdings sagen: Die Absicht
alleine reicht nicht. Vielmehr brauchen wir eine genauere
Klärung und Verständigung über die Voraussetzungen,
Ziele und Grenzen von Kriseneinsätzen.

Angesichts der Nachgeschichte des Kosovo-Krieges
stellt sich vermehrt die Frage, wie künftig bei multilate-
ralen Kriseneinsätzen der Primat der Politik und die par-
lamentarische Kontrolle wirksam gestärkt werden kön-
nen. Dies ist auch im Zusammenhang mit der Diskussion
um uranhaltige Munition und der Frage, ob möglicher-
weise gar ein Anteil Plutonium enthalten ist, ein sehr
wichtiger Punkt.

Und schließlich: Die Integration der Bundeswehr in die
Gesellschaft ist eine demokratische und rechtstaatliche
Errungenschaft der Bundesrepublik. Daher geht es auch
um die Frage: Wie kann diese Errungenschaft bewahrt
und stabilisiert werden angesichts einer ganz anderen Re-
alität, was die Einsätze der Bundeswehr angeht, an-
gesichts einer real schrumpfenden Wehrpflicht und an-
gesichts weiterer Standortschließungen?

Wir als Sicherheitspolitikerinnen und -politiker können
uns nicht damit begnügen, dass Fragen der Bundeswehr
nur dann breites öffentliches Interesse finden, wenn
sozusagen bestimmte Nerven der Gesellschaft betroffen
sind –


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414408900
Herr Kollege
Nachtwei, Sie müssen zum Schluss kommen.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414409000

– ja, ich komme zum Schluss –, also zum Beispiel die re-
gionale Betroffenheit durch Standortschließungen, die
schwer einzuschätzenden Gesundheitsrisiken durch Strah-
len, Munitionsreste usw.

In einigen Wochen wird die Bundesregierung ihr
Weißbuch zur Sicherheitspolitik vorlegen. Das ist eine
vorzügliche Gelegenheit, über sicherheitspolitische Zu-
kunftsfragen breit zu diskutieren, zu mehr Klärung und
Verständigung zu kommen. Dazu sollten alle Fraktionen
ihren Beitrag leisten.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414409100
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Günther
Nolting, F.D.P.-Fraktion.


(Uwe Göllner [SPD]: Das darf doch nicht wahr sein!)



Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1414409200
Herr Kollege
Nachtwei, wir haben ja in den vergangenen Jahren




Winfried Nachtwei

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(C)



(D)



(A)



(B)


verschiedene Veranstaltungen gemeinsam besucht und
haben dort gemeinsam diskutiert. Wir beide mögen die
sicherheitspolitische Lage unterschiedlich einschätzen.
Die Mehrheit meiner Partei ist der Auffassung – Sie ha-
ben das ja zitiert –, dass die Wehrpflicht aufgrund der si-
cherheitspolitischen Lage, die sich ja nun wirklich ver-
bessert hat, nicht mehr zwingend notwendig ist.

Herr Kollege Nachtwei, Sie werden sich allerdings
daran erinnern können, dass ich immer gesagt habe: Die
Wehrpflicht ist dann infrage gestellt, wenn Wehr-
gerechtigkeit nicht mehr gegeben ist. Mit dem Modell,
das jetzt von Rot-Grün präsentiert wird, bewegen wir uns
auf eine absolute Wehrungerechtigkeit zu.


(Peter Zumkley [SPD]: Das ist eine Behauptung, die ist nicht bewiesen!)


Sie werden sich daran erinnern können, dass ich auch
immer gesagt habe: Der Grundwehrdienst muss die
Wehrpflicht legitimieren und nicht der Ersatzdienst. Nach
dem rot-grünen Modell aber wird es pro Jahr bedeutend
mehr Zivildienstleistende als Grundwehrdienstleistende
geben. Das heißt, in Zukunft legitimiert sich die Wehr-
pflicht aus dem Ersatzdienst. Das kann nicht richtig sein.
Auch früher habe ich immer erklärt, dass dann die
Wehrpflicht nicht mehr zu halten ist.

Ein letzter Punkt: Ich möchte nicht, dass das Bun-
desverfassungsgericht in dieser Frage eine Entscheidung
trifft, die wir als Parlament nachvollziehen müssen. Ich
möchte, dass politische Entscheidungen hier im Parla-
ment getroffen werden, so wie das der Herr Bundespräsi-
dent auf der Kommandeurtagung angemahnt hat.

In diesem Sinne habe ich meine Ausführungen hier für
die F.D.P.-Fraktion gemacht. Sie können mir nicht irgend-
welche Dinge unterstellen. Ich habe diese Meinung in den
vergangenen Jahren immer vertreten. Es ist leider so
gekommen, wie ich es früher befürchtet habe. Deswegen
plädiere auch ich mittlerweile für ein Aussetzen der
Wehrpflicht; nichts anderes.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414409300
Herr Kollege
Nachtwei, möchten Sie erwidern?


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich will mich gegenüber den Kolleginnen und Kollegen sozialverträglich verhalten! – Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


– Der Kollege verzichtet auf eine Erwiderung.
Ich erteile jetzt dem Kollegen Paul Breuer für die

CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1414409400
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Wir reden hier über die Bundeswehr,
ein absolut sensibles und wichtiges Instrument der deut-
schen Außen- und Sicherheitspolitik, dem wir Deutschen
sehr viel verdanken. Deswegen sollte man diese Debatte
nicht an einem frühen Freitagnachmittag führen. Diese
Debatte gehört eigentlich ins Zentrum einer Sitzungswo-
che.

Herr Kollege Opel, ich nehme gern auf, was Sie vorhin
hinsichtlich meiner Bemühungen in den 90er-Jahren
gesagt haben. Das haben Sie gar nicht falsch dargestellt.
Ich habe in den 90er-Jahren davor gewarnt, voreilig die
Bundeswehr zu verkleinern und ihr finanziell den Boden
zu entziehen; denn ich war der Meinung, dass in Deutsch-
land viel zu viel über die Friedensdividende und viel zu
wenig über die sicherheitspolitische Rolle des ver-
einigten Deutschlands in der Mitte Europas als Sicher-
heits- und Stabilitätsanker für unseren Kontinent geredet
wurde.

Die Frage ist, ob wir im Vorfeld der heutigen Debatte
genügend über unsere sicherheitspolitische Rolle geredet
haben. Haben wir, haben Sie, Herr Minister Scharping, der
deutschen Öffentlichkeit klargemacht, dass es Risiken
gibt, für die wir Vorsorge leisten müssen? Es gibt Risiken
in Europa, um Europa und darüber hinaus, die sich nega-
tiv auf unsere Stabilität hier vor der Haustür auswirken
können. Ich bezweifle, ob diese Diskussion überhaupt ver-
antwortlich genug geführt worden ist.

Die sicherheitspolitische Diskussion ist ausgeblieben,
das Pferd ist vom Schwanz her aufgezäumt worden. Es
wurde über Geld, aber nicht über die Begründung für die
Investitionen und die Reform geredet. Das ist ein Versa-
gen des Bundesverteidigungsministers Scharping.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie wissen, dass wir hinsichtlich der Zielsetzung in
manchen Punkten übereinstimmen, aber ich zweifle sehr
stark an der Richtigkeit Ihrer Strategie.

Ich habe mir noch einmal einen Artikel in der „Süd-
deutschen Zeitung“ vom 4. Oktober 1999 hervorgeholt. In
diesem Artikel wird über die legendäre Tagung in Deci-
monannu, Sardinien, berichtet.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Oh ja!)

Auf dieser legendären Tagung tritt Herr Scharping auf
– ich komme gleich zu Zitaten – und sagt sehr deutlich:
Bei den eingegangenen sicherheitspolitischen Verpflich-
tungen gegenüber der Europäischen Union und der NATO
ergäben sich für die Bundeswehr in den nächsten zehn
Jahren Mehrkosten in Höhe von 20 Milliarden DM. Dazu
kämen noch zwischen 10 und 20 Milliarden DM, die sich
durch den Investitionsstau der vergangenen Jahre ange-
häuft hätten. Das heißt, 30 bis 40 Milliarden DM in zehn
Jahren, sprich 3 bis 4 Milliarden DM plus pro Jahr.

Zum Sparen bei der Bundeswehr und den gleichzeitig
gestiegenen Anforderungen sagte Scharping damals – ich
zitiere –:

Wenn man beides erreichen will, kann man die Bun-
deswehr auch gleich einstellen. Das ist dann ehr-
licher.

Wenn man also gleichzeitig sparen und die Vertrags-
verpflichtungen erfüllen will – sagt Scharping –, kann
man die Bundeswehr einstellen. Ich stelle jetzt fest: Es ist
leider das geschehen, wovor Scharping gewarnt hat.


(Peter Zumkley [SPD]: Aber sie ist nicht eingestellt worden!)





Günther Friedrich Nolting
14164


(C)



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(A)



(B)


Die Vertragsverpflichtungen gegenüber der NATO, in
Europa und gegenüber der UNO sind eingegangen wor-
den und gleichzeitig wird der Verteidigungshaushalt im
mittelfristigen Finanzrahmen in einer unverantwortlichen
Art und Weise herabgefahren.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Leider wahr!)


Herr Scharping, was nun? Das ist die Situation, in der Sie
sich jetzt befinden.

Jetzt gehe ich einmal auf die Risiken und den deut-
schen Beitrag ein. Hinsichtlich des anstehenden Umbaus
der Bundeswehr besteht Übereinstimmung darüber, dass
die Einsatzfähigkeit, die Verfügbarkeit und die Durchhal-
tefähigkeit der Streitkräfte erhöht werden müssen. Wir
sagen dazu – das geht aus unserem Antrag deutlich her-
vor; dort kann man es nachlesen –: Wir müssen die Er-
höhung der Krisenreaktionsfähigkeit mit einer nach wie
vor notwendigen Vorsorge auf dem Gebiet der Landes-
verteidigungsfähigkeit verbinden, die mit der Bündnis-
verteidigung fest verklammert ist.

Wie sieht die Realität aus? Zur Realität gehört – es geht
um unsere Mitverantwortung – der Stabilitätsanker
Deutschland. Realität ist, dass wir unsere Bündnisver-
pflichtungen in der Zukunft nicht einhalten können. Herr
Scharping hat der NATO zugesagt, dass wir Deutschen
ein Divisionsäquivalent für die Dauer eines Jahres abstel-
len, und zwar in einem NATO-Partnerland. Herr
Scharping, ich sage Ihnen voraus: Bei den jetzt anstehen-
den Planungen wird sich erweisen, dass Sie eine halbe
Division für ein halbes Jahr aufstellen können und dass
Sie den eingegangenen Vertrag nicht erfüllen.


(Peter Zumkley [SPD]: Also in einem Jahr eine Division!)


Herr Scharping, was nun? Als Nächstes stellt sich für
mich die Frage der personellen Ressourcen und der damit
verbundenen Vorsorge.

Ich komme zurWehrpflicht. Ich teile das, was Kolle-
gen der SPD eben zur Wehrpflicht gesagt haben: Die
Wehrpflicht ist ein wesentlicher Bestandteil der sicher-
heitspolitischen Vorsorge für die Zukunft. Die Wehr-
pflicht schafft die Möglichkeit, dass sich die Bundeswehr
an veränderte sicherheitspolitische Situationen anpassen
kann. Was die F.D.P. macht, ist nichts anderes als umfal-
len. Kollege Günther Nolting, du verbiegst dich hier in ei-
ner Art und Weise, die ich nicht verstehen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Ach Paul, das ist doch Quatsch!)


Der Umgang mit der Wehrpflicht vonseiten der SPD ist
jedoch nicht in Ordnung. Ein zu starkes Absenken der An-
zahl der Wehrpflichtigen führt dazu, dass Wehrungerech-
tigkeit entsteht und die Legitimationsbasis für die Wehr-
pflicht immer schwieriger wird. Das muss leider gesagt
werden.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Ach, was habe ich denn gesagt?)


Es muss Wehrgerechtigkeit herrschen und es muss Vor-
sorge geleistet werden. Sie leisten dem Missverständnis
junger Leute Vorschub, es komme auf ihren Beitrag für
die deutsche Sicherheit nicht mehr an. Das ist ein riesiger
Fehler.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Leider Gottes hat er Recht!)


Deswegen sagen wir: Wenn es 30 000 Stellen für Wehr-
pflichtige mehr gibt, dann herrschen Glaubwürdigkeit
und Gerechtigkeit. Herr Scharping, bessern Sie nach!


(Manfred Opel [SPD]: Das ist aber 1 Milliarde mehr!)


Was die Finanzausstattung angeht, so sagen wir: Man
wird mittelfristig über die – nach heutigem Geldwert be-
rechnet – 50-Milliarden-DM-Grenze hinausgehen müs-
sen. Hier ist gesagt worden: Nennen Sie doch die Finan-
zierung! – Ich sage Ihnen einmal eines: Die mittelfristige
Finanzplanung sieht als zukünftige Finanzbasis der Bun-
deswehr knapp 44Milliarden DM vor. Jeder Experte sagt:
Wenn man die Bundeswehr modernisieren und sie ver-
nünftig, überlegen ausstatten will, reicht das bei weitem
nicht aus. Wenn das nicht geschieht, können wir aufgrund
unserer Verantwortung keinen deutschen Soldaten in ir-
gendeinen Einsatz schicken; das müssen Sie verstehen.
Das ist nicht möglich, wenn man gleichzeitig an dieser Fi-
nanzbasis festhält.

Wenn Sie fragen: „Wo nehmt ihr das Geld her?“, dann
antworte ich: Herr Zumkley und andere Kollegen, der
Unterschiedsbetrag von 6 bis 7 Milliarden DM pro Jahr
entspricht in etwa der Differenz in der Steuerschätzung
für ein halbes Jahr. Wenn Sie es bei einem Bundeshaus-
halt von über 450 Milliarden DM nicht schaffen, diesen
Differenzbetrag für die Stabilitätspolitik Deutschlands
aufzubringen, dann frage ich: Wozu sind Sie überhaupt
noch in der Lage? Das muss doch deutlich gesagt
werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Peter Zumkley [SPD]: Um Ihre Schulden abzubauen!)


Die großen Versprechungen des Bundesverteidigungs-
ministers Scharping im Hinblick auf die Programme zur
Verbesserung der sozialen Attraktivität der Bundes-
wehr stehen ebenfalls auf dem Prüfstand. Ich habe ein
Schreiben aus dem Bundesfinanzministerium vom
27. Dezember 2000 an den Bundesminister des Inneren
dabei. Mein lieber Georg Pfannenstein, ich bin
davon überzeugt: Auch Sie besitzen das Schreiben. In
diesem Schreiben wird deutlich, dass der Kabinettsbe-
schluss – es gebe ein Attraktivitätsprogramm; die Solda-
ten der Bundeswehr bekämen eine bessere Finanzaus-
stattung, bessere Start- und Aufstiegschancen –, auf den
Sie sich berufen, Herr Scharping, Lug und Trug ist. Hier
wird deutlich, dass der Finanzminister eine völlig andere
Linie als Sie fährt. Was kommt, ist keine Verbesserung in
den Aufstiegschancen und der Attraktivität. Den Solda-
ten droht vielmehr eine Verschlechterung, ein Eingriff in
ihre Heilfürsorge.




Paul Breuer

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(C)



(D)



(A)



(B)


Herr Minister, Sie stehen in der Gefahr, über Ihre
heutige Unglaubwürdigkeit hinaus auch künftig in der
Bundeswehr unglaubwürdig zu werden. Sie stehen in der
Gefahr, Ihrer Verantwortung überhaupt nicht gerecht zu
werden, was den Umbau der Bundeswehr angeht. Hier
muss Aufklärung geleistet werden. Tun Sie es heute am
Rednerpult des Deutschen Bundestages!

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei der F.D.P. – Peter Zumkley [SPD]: Es ist schon ein starkes Stück, über Ressortabstimmungen hier im Plenum zu berichten!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414409500
Es spricht jetzt der
Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414409600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Wer eine Diskussion über die Zukunft der Bundes-
wehr führen will, führt eine Diskussion über die Zukunft
der Sicherheit unseres Landes, seiner Partner und seiner
Freunde. Die Bundeswehr selbst hat zu dieser Sicherheit
in den vergangenen Jahrzehnten zuverlässig, gut, verant-
wortungsbewusst, leistungsstark und motiviert beigetra-
gen.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Dann sorgen Sie dafür, dass das so bleibt!)


Es wäre auch gut, wenn jeder hier in diesem Hause dies
akzeptierte.

Die Zukunft der Bundeswehr bestimmt sich zunächst
durch die Veränderungen, die eingetreten sind und die
jedenfalls in großen Teilen positiv sind. Sie bestimmt
sich auch durch die Aufgaben, die sich daraus ergeben:
äußere Sicherheit gemeinsam zu gewährleisten, Koope-
ration mit Partnern zu suchen, wo immer möglich, zum
Beispiel mit Russland, und im Übrigen zur Krisen-
prävention und Krisenbewältigung fähig zu sein. Die
Aufgaben sind unverändert, die Situation ist allerdings
grundlegend verändert. Folglich braucht man dafür auch
neue Fähigkeiten.

Dem trägt die Entscheidung der Bundesregierung vom
14. Juni des Jahres 2000 Rechnung. Ich bedanke mich aus-
drücklich bei den Kollegen Robbe, Opel und Nachtwei,
dass sie auf diese Umstände hingewiesen haben. Ohne eine
solche grundsätzliche Orientierung und, wie ich hoffe,
Übereinstimmung ist die Zukunft der Bundeswehr nicht zu
gestalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auf der Grundlage dieser jetzt grob umrissenen Situa-
tionsbeschreibung ist mehreres zu tun. Im Rahmen der
Grobausplanung, also der Festlegung der grundsätzli-
chen Strukturen, sind dann Entscheidungen getroffen
worden. Sie sind übrigens auch hier im Deutschen Bun-
destag debattiert worden. Bedauerlicherweise hat die Op-
position zu großen Teilen die damals zur Verfügung ste-
hende Redezeit – ich füge hinzu: bei einer günstigeren

Debattenzeit – mit Standort- und Gelddebatten anstatt mit
außen- und sicherheitspolitischen Debatten verbracht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Insofern sollten Sie, Herr Kollege Breuer, nicht beklagen,
was Sie selbst angerichtet haben, sondern Ihr Verhalten
ändern.

Wir haben in der Zeit seit der letzten Regierungser-
klärung und den Entscheidungen über die grundlegenden
Strukturen der Streitkräfte Folgendes gemacht: Wir haben
eine Priorisierungskonferenz zu den Rüstungsvorhaben
durchgeführt. Daraus entsteht ein Material- und Ausrüs-
tungskonzept, das Ende des Monats oder im Februar
2001 vorliegen wird. Obwohl es in erstaunlich kurzer Zeit
vorliegen wird, ist es sehr gründlich erarbeitet worden.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Und erstaunlich geschrumpft!)


Wir werden zum gleichen Zeitpunkt einen Bundes-
wehrplan vorlegen. Ich verbinde das mit der Bemerkung,
dass Sie 1997/98 einen Bundeswehrplan gegen den sach-
verständigen Rat der Militärs nicht vorgelegt haben, dass
Sie den Bundestag mit einem so genannten Datenberg ab-
gespeist haben und dass Sie auf diese Weise verschleiern
wollten, was Ihnen ehemalige Spitzenmilitärs gerne und
im Zweifel öffentlich bestätigen, dass Sie die Lücke zwi-
schen Ihren politischen Vorstellungen hinsichtlich Finan-
zen sowie Investitionen und Ausrüstungserfordernissen
der Bundeswehr im Wahlkampf 1998 nicht sichtbar wer-
den lassen wollten. Das ist auch eine Tatsache.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Paul Breuer [CDU/CSU]: Die Stunde Ihrer Wahrheit kommt! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Weshalb lassen Sie Ihren Etat dann weiter kürzen?)


Im Übrigen werden wir in den ersten Märztagen einen
Gesetzentwurf vorlegen, in dem alle erforderlichen Ver-
änderungen zum Wehrdienstgesetz, zur Laufbahnverord-
nung, zum Soldatengesetz usw. enthalten sein werden.

Herr Kollege Breuer, ich will Ihnen Ihr Engagement
nicht absprechen. Aber es wird nicht dadurch glaubwür-
diger, dass Sie damals zum sachlich Falschen hörbar ge-
schwiegen haben, weil es die parteipolitisch Richtigen ge-
tan haben, während Sie sich heute zum sachlich Richtigen
dröhnend auf Nebenkriegsschauplätzen äußern, weil es
die angeblich parteipolitisch Falschen tun.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Das steht im Widerspruch zu dem, was Herr Opel sagte!)


– Ich habe gesagt „hörbar geschwiegen“. Sie haben zum
sachlich Falschen hörbar geschwiegen, während Sie sich
jetzt zum sachlich Richtigen dröhnend auf Nebenkriegs-
schauplätzen bewegen.

Sie hätten vorher eine Frage stellen können; das ist un-
ter Kollegen ab und zu üblich.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Die Stunde Ihrer Wahrheit kommt!)





Paul Breuer
14166


(C)



(D)



(A)



(B)


Dann hätte ich Sie darüber informiert, dass ich Kenntnis
von dem Schreiben eines Unterabteilungsleiters aus dem
Bundesfinanzministerium vom 27. Dezember habe, dass
ich darüber am vergangenen Dienstagabend mit dem Bun-
desfinanzminister gesprochen habe, dass der Bundesfi-
nanzminister, der Bundesinnenminister und der Bundes-
verteidigungsminister sich einig sind, dass nicht dieses
Schreiben der Maßstab der Gesetzgebung ist, sondern der
Beschluss der Bundesregierung vom 14. Juni 2000.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Warten wir es ab!)

Im Übrigen: Wenn Sie damit fortfahren, das Verhalten

eines illoyalen Beamten, dem Sie auch eine Information
verdanken – das ist Teil der Illoyalität –, zum Anlass zu
nehmen, hier im Parlament Anklage gegen die Regierung
zu erheben, anstatt vorher zu fragen, wie der Sachstand
wirklich ist, dann betreiben Sie genau die Verunsicherung,
die Sie hinterher lautstark und dröhnend beklagen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Peter Zumkley [SPD]: Diese Verunsicherung ist gewollt! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Schieben Sie doch nicht immer Beamte vor!)


Ich habe hier schon mehrfach vorgetragen, wie die
Zahlen zum Haushalt sind. Daher will ich es jetzt nicht im
Einzelnen darstellen.

Damit sind wir bei dem Thema Feinausplanung, also
der genauen Festlegung dessen, was auf der Grundlage
der Entscheidungen über die Strukturen der Bundeswehr
im Einzelnen zu tun sein wird. Sie wissen, dass ich in
1999 und 2000 25 Anhörungen mit Kompaniechefs,
Kompaniefeldwebeln, Bataillonskommandeuren und vie-
len anderen durchgeführt habe. Ein Ergebnis dieser An-
hörungen und der Gespräche mit den militärischen Stäben
war, dass es angesichts der Einsatzerfordernisse der Bun-
deswehr dringend notwendig ist, die innere Stärke der
militärischen Einheiten zu verbessern, also beispielsweise
die von Kompanien und Bataillonen. Das werden wir tun.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414409700
Herr Minister, es gibt
den Wunsch nach einer Zwischenfrage des Kollegen Paul
Breuer. Lassen Sie sie zu?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414409800

Vermutlich bezieht sie sich auf einen zurückliegenden
Sachverhalt. Deswegen habe ich in diesem Fall aus-
nahmsweise nicht die Absicht, sie zuzulassen. – Sie müs-
sen schneller reagieren, Herr Kollege Breuer.

Es ist also notwendig, die militärischen Einheiten,
Kompanien und Bataillone, zu stärken. Das hat mit dem
zu tun, was die Militärs Führerdichte nennen. Ferner muss
die Verbindung von Ausbildungsmöglichkeiten und Ein-
satznotwendigkeiten verbessert werden. Auch das hat et-
was damit zu tun, wie eine Brigade, wie ein Bataillon im
Einzelnen zusammengesetzt ist.

Das Ergebnis dieser Anhörungen mit mehreren Tau-
send Angehörigen in den Streitkräften und der Erörterun-
gen mit den militärischen Stäben hat dazu geführt, dass
wir entsprechende Entscheidungen im Rahmen der Fest-

legung der so genannten Feinstrukturen der Streitkräfte
treffen werden. Das verbessert die Ausbildungsmöglich-
keiten.

Herr Kollege Breuer, ich setze mich mit der Bundes-
wehr auseinander. Da müssen Sie nicht lachen.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Ich setze mich gerade mit Ihnen auseinander, Herr Minister, mit Ihrer Reaktionsfähigkeit!)


– Ich stehe Ihnen gerne für ein Gespräch zur Verfügung.
Aber es tut mir Leid: Sie brauchen zu lange, um aus einem
Sachverhalt, den ich schildere, eine Zwischenfrage zu
entwickeln.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414409900
Das Stichwort ist ge-
fallen: Es besteht ein weiterer Wunsch nach einer Zwi-
schenfrage.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414410000

Aber gerne.


(Lachen bei der CDU/CSU)

– Das ist der Kollege Braun.


Hildebrecht Braun (FDP):
Rede ID: ID1414410100
Herr Minis-
ter Scharping, Sie sprechen von verbesserten Ausbil-
dungsmöglichkeiten als einem Motiv für die Feinauspla-
nung, wie sie in den nächsten Tagen veröffentlicht werden
wird. Nun pfeifen es die Spatzen von allen Dächern, dass
Teil dieser Feinausplanung die Verlegung der Schule für
Feldjäger und Stabsdienst von der Generaloberst-Beck-
Kaserne von Sonthofen nach Hannover sein soll. Ich frage
Sie: Gehen Sie wirklich davon aus, dass die Schule – übri-
gens die Schule, in der die ersten Lehrgänge der Bundes-
wehr überhaupt stattgefunden haben – sich dort nicht be-
währt hat oder dass es für die Soldaten, die dort in einer
ganz besonderen Umgebung ihre Ausbildung bekommen,
besser wäre, nach Hannover versetzt zu werden? Oder
stehen nicht in Wirklichkeit andere Erwägungen im Hin-
tergrund, vielleicht die Überlegung, dass ein besonderer
Zuwachs an Sicherheit durch Bundeswehrfeldjäger in
dieser Stadt, die sich früher als Stadt der Chaostage einen
Namen erworben hat, notwendig sei?

Ich darf auch gleich meine Zusatzfrage stellen. Können
wir über diese Entscheidung eventuell noch einmal re-
den? Denn eine solche Entscheidung widerspricht den an-
deren Kriterien Ihres Konzepts, wonach es nämlich darauf
ankommt, wie viele freigesetzte Soldaten und Zivilbe-
dienstete eine Region aufnehmen kann.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414410200

Herr Kollege Braun, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu,
dass man Kriterien sorgfältig und zuverlässig entwickeln
und dann auch anwenden muss. Ich habe mehrfach öf-
fentlich, auch im Parlament, über diese Kriterien gespro-
chen. Ich lade Sie herzlich ein, Vorschläge wie diesen
zu machen. Ich nehme diesen selbstverständlich an. So-
weit es weitere Vorschläge hinsichtlich der Kriterien und
ihrer Anwendung gibt – es gibt ja einige Kollegen im




Bundesminister Rudolf Scharping

14167


(C)



(D)



(A)



(B)


Deutschen Bundestag, die mir solche Vorschläge machen –,
sage ich Ihnen zu, dass diese sorgfältig geprüft und mit ei-
ner begründeten Entscheidung versehen werden. Das
Ganze geschieht nicht par ordre du mufti. Wir werden
über den Inhalt der Entscheidung sinnvoll miteinander re-
den können.

Wenn Sie gestatten, komme ich noch einmal auf die
wichtigen Punkte der inneren Stärke der Einheiten und
der Verbindung von Ausbildung, Einsatzerfordernissen,
Nachwuchsgewinnung usw. zurück. Ich will Ihnen hier
ausdrücklich ankündigen, dass es entsprechend den Er-
gebnissen der Grobausplanung auch zu Anpassungen
der Personalumfänge kommen wird.

Vor diesem Hintergrund werden Sie vielleicht noch et-
was besser verstehen, dass man zunächst einmal wissen
muss, wie es bei der Bundeswehr insgesamt aussieht:
Welche Umfänge hat sie? Was sind ihre Aufgaben? Wie
werden diese wahrgenommen? Man muss erst einmal
wissen, was zu stationieren ist, bevor man anfängt zu sta-
tionieren. In diesem letzten Prozess befinden wir uns zur-
zeit. Ich bedanke mich bei den Fraktionen ausdrücklich
für das Einverständnis. Ich habe auch angeregt, am Mon-
tag, dem 29. Januar 2001, eine Sondersitzung des Vertei-
digungsausschusses durchzuführen, um über dieses Res-
sortkonzept zureden.

Wir werden auch offiziell die Ministerpräsidenten ein-
beziehen. Das ist in einer ersten Runde geschehen und es
wird auch eine zweite Runde geben. Wir werden ebenfalls
mit Gemeinden reden; das weiß jeder. Insofern gibt es
klare Kriterien: militärische Kriterien, Kriterien in der
Personalführung und -fürsorge, Kriterien im zivilen Um-
feld der Standorte, Kriterien im finanziellen und wirt-
schaftlichen Bereich, neben dem, was das Grundraster
– wenn ich das einmal so sagen darf – bildet. Das sind in
erster Linie die militärischen Erfordernisse, beispiels-
weise die Nähe zu Übungs- und Ausbildungsstätten, die
internationale, multinationale Einbettung der Bundes-
wehr, die sich daraus ergebenden Einheiten und Verbände,
wie die deutsch-französische Brigade, das deutsch-nie-
derländische Korps, die amerikanisch-deutschen Einhei-
ten, das dänisch-polnisch-deutsche Korps usw. Diese
Fixpunkte sind vorhanden. Aus ihnen kann man etwas
Vernünftiges entwickeln.

Wer, soweit es um Stationierungsfragen geht, den Ein-
druck zu erwecken versucht, das Ganze sei gewisser-
maßen einer x-beliebigen politischen Willkür ausgelie-
fert, der liegt schlicht falsch.

Herr Kollege Kossendey, ich möchte dem ausdrückli-
chen Dank für die zurzeit jedenfalls von manchen in der
CDU/CSU geübte ruhige Tonlage und sachlich abgewo-
gene Erörterung noch etwas hinzufügen, das mit Ihnen
und Ihren Bemerkungen zu tun hat; denn dies soll ja eine
Debatte sein: Selbstverständlich haben auch die zivilen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundeswehr An-
spruch auf die gleiche Fürsorge. Dieser Anspruch wird
auch eingelöst werden.

Die Frage der Reduzierung der Zahl von Dienstposten
– ich habe auch darauf im Deutschen Bundestag hier und
da hingewiesen – darf nicht mit der Beseitigung oder Re-

duzierung der Zahl von Arbeitsplätzen verwechselt wer-
den. Die Kooperation mit der Wirtschaft wird dazu
führen, dass ein Teil dieser Arbeitsplätze nicht mehr bei
der Bundeswehr, sondern in kooperativen Firmen zwi-
schen Bundeswehr und privaten Unternehmen angesie-
delt sein wird.


(Thomas Kossendey [CDU/CSU]: In welcher Größenordnung?)


– Die Größenordnung, Herr Kollege Kossendey, ist nicht
aus der Luft gegriffen. Sie wissen so gut wie ich, dass man
in den 80er- und 90er-Jahren – jedenfalls noch vor der
deutschen Einheit – ein entsprechendes Verhältnis von
militärischen und zivilen Angehörigen der Bundeswehr
hatte. Das war durchaus begründet und nicht aus der Luft
gegriffen; das war durch vielfältige Entwicklungen und
Argumente untermauert.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Eins zu drei!)

Wir müssen ungefähr zu dem damaligen Verhältnis zu-
rückkehren. Ich entnehme Ihrer Gestik, dass Sie dem im
Grunde genommen zustimmen. Wenn es sich aber so ver-
hält, dann ist die Größenordnung richtig gewählt.

Ich will im Übrigen noch einmal darauf aufmerksam
machen, dass ich ganz bewusst dafür plädiert habe – Gott
sei Dank ist die Bundesregierung dem gefolgt –, nicht ei-
nen Zeitpunkt zu nennen, an dem diese Zahl von Dienst-
posten erreicht sein muss.


(Reinhold Robbe [SPD]: Sehr vernünftig!)

Das haben Sie bei Ihrer Argumentation womöglich über-
sehen. Das hat damit zu tun – genau das wurde ja auch von
Ihrer Seite gesagt –, dass erst der Umfang, die Qualität
und die Intensität der Kooperation sowie auch das Voran-
kommen der Modernisierungsprozesse in der Verwaltung
der Bundeswehr darüber entscheiden, in welchem Zeit-
raum diese Zahl von Dienstposten erreicht werden kann.
Ich werde also bei den hier zu treffenden Entscheidungen
ganz sorgfältig darauf achten, so wie übrigens auch bei
den Veräußerungen, dass nicht das kurzfristige Interesse
die langfristige Nachhaltigkeit und Verlässlichkeit be-
schädigt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, da ich vermute, dass Sie
mich ansonsten erneut fälschlicherweise einer mangel-
haften Informationspolitik zeihen würden, möchte ich Sie
zum Abschluss meiner Bemerkungen noch über etwas
informieren, was nicht unmittelbar mit dem Gegenstand
der Debatte zu tun hat, aber mit der Diskussion um Streit-
kräfte insgesamt schon. Ich habe heute am späten Mittag
durch einen Anruf von USAREUR – wo überprüft wird,
ob und in welchem Umfang es möglicherweise Unfälle
mit DU-Munition gegeben hat – Folgendes erfahren: Es
ist davon auszugehen, dass es am 28. Februar 1985 einen
solchen Unfall in Schweinfurt gegeben hat. Es ist davon
auszugehen, dass 1986 in Grafenwöhr versehentlich DU-
Munition verschossen worden ist. Es wird geprüft, ob ein
Kampfpanzer auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr,
der 1988 ausgebrannt ist, möglicherweise DU-Munition
enthielt. Es muss überprüft werden, ob ein Kampfpanzer




Bundesminister Rudolf Scharping
14168


(C)



(D)



(A)



(B)


in Gollhofen, der 1988 ausgebrannt ist, DU-Munition ent-
hielt. Dasselbe ist für Vorfälle zu überprüfen, die sich
1981 in Fulda und im März 1982 in Lampertheim ereig-
neten, und schließlich für Vorfälle, die sich im September
1988 in Oberaltertheim und 1990 in Wildflecken ereigne-
ten. Zuletzt ist zu überprüfen, ob es 1985 in Garlstedt-Al-
tenwede zu einem irrtümlichen Verschuss kam.

Ich sage Ihnen das deshalb, weil ich hier nicht noch
einmal eine Diskussion erleben möchte nach dem Motto:
Der informiert uns nicht.


(Zuruf von der SPD: Das ist lachhaft!)

Das hat nie gestimmt und wird auch in Zukunft nie so pas-
sieren.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das ist nachweislich falsch!)


Deshalb will ich auch darauf verzichten, diese Fakten
noch einmal mit den Antworten zu konfrontieren, die
1995 und 1997 auf die Anfragen des Kollegen
Pfannenstein gegeben wurden. Das können Sie selber tun.


(Peter Zumkley [SPD]: Das nimmt jetzt Dimensionen an!)


Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414410300
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zu den Abstimmungen und dabei zuerst
zu den Beschlussempfehlungen des Verteidigungsaus-
schusses.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung zu dem Antrag
der Fraktion der CDU/CSU zur Zukunft der Bundeswehr
auf Drucksache 14/5087. Der Ausschuss empfiehlt, den
Antrag auf Drucksache 14/3775 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stim-
men der CDU/CSU-Fraktion angenommen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung zu dem Antrag
der Fraktion der F.D.P. mit dem Titel „Zukunftsfähigkeit
der Bundeswehr sichern – Wehrpflicht aussetzen“ auf
Drucksache 14/5088. Der Ausschuss empfiehlt, den An-
trag auf Drucksache 14/4256 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der F.D.P.-Fraktion angenommen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung zu dem Antrag
der Fraktion der PDS mit dem Titel „Zukunft durch Ab-
rüstung – Für eine grundlegende Reform der Bundes-
wehr“ auf Drucksache 14/5089. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/4174 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5078 an die in der Tagesordnung aufge-

führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Die Überweisung ist so be-
schlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Ge-
setzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialge-

(Erstes SGB-IV-Änderungsgesetz – 1. SGB-IV-ÄndG)

– Drucksache 14/4053 –

(Erste Beratung 121. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss)

– Drucksache 14/5095 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Jäger

Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der
F.D.P. und ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS
vor.

Die Kolleginnen und Kollegen Renate Jäger, Heinz
Schemken, Ekin Deligöz, Dr. Irmgard Schwaetzer sowie
Pia Maier haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) – Ich
stelle größtes Einverständnis des Hauses fest.

Wir kommen daher sofort zur Abstimmung, und zwar
über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ände-
rung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch in der Aus-
schussfassung. Es handelt sich hierbei um die Drucksa-
chen 14/4053 und 14/5095.

Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P.
auf Drucksache 14/5111 vor, über den wir zuerst abstim-
men. Wer stimmt für den Änderungsantrag der F.D.P.? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ände-
rungsantrag ist gegen die Stimmen der F.D.P.-Fraktion bei
Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt.

Wer stimmt für den Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Der Gesetzentwurf ist damit gegen die
Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P.
angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der PDS auf Druck-
sache 14/5096. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Ent-
schließungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Frak-
tion abgelehnt.




Bundesminister Rudolf Scharping

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(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 3

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(21. Ausschuss)

ordneten Hildebrecht Braun (Augsburg), Ernst
Burgbacher, Jörg van Essen, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der F.D.P. zu der Großen An-
frage der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Klaus
Haupt, Jürgen Türk, weiterer Abgeordneten und
der Fraktion der F.D.P.
Wettbewerbsbedingungen für die deutsche
Tourismuswirtschaft im Euro-Land
– Drucksachen 14/591, 14/1079, 14/1159,
14/4704 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ernst Burgbacher

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in dieser De-
batte ist für die F.D.P.-Fraktion der Kollege Ernst
Burgbacher.


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1414410400
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Wir debattieren über
das Thema Tourismus wieder am Freitagnachmittag. Der
Saal füllt sich. Wir bleiben noch hier und geben mit die-
ser von der F.D.P. beantragten Debatte den parlamentari-
schen Startschuss für das Jahr des Tourismus.

Darüber, dass dieses Jahr des Tourismus notwendig ist,
gab es große Übereinstimmung. Ich denke, unser Antrag,
der Ihnen heute vorliegt, kann im Jahr des Tourismus auch
der Regierung und dem Parlament eine Handlungsanwei-
sung geben. Er weist insbesondere auf eine Problematik
hin, die in aller Regel viel zu wenig beachtet wird:

Zum 1. Januar 2002 wird der Euro als Bargeld einge-
führt werden. Dies wird den Wettbewerb gerade im Tou-
rismus radikal verändern. Wir Liberalen waren an der
Spitze der Befürworter des Euro. Wenn mehr Wettbewerb
herrscht, so ist dies gut für die Verbraucher.


(Beifall bei der F.D.P.)

Aber dann müssen wir unsere Anbieter, vom Familienbe-
trieb in der Gastronomie bis hin zum Reiseveranstalter,
auch in die Lage versetzen, diesem Wettbewerb standzu-
halten. Hierfür besteht politischer Handlungsbedarf. Inso-
weit muss eine Menge von Vorschriften überprüft, müs-
sen Wettbewerbshindernisse abgebaut werden. Darum
geht es.

Ganz konkret: Unsere Tourismuswirtschaft ist in vielen
Punkten benachteiligt. Ich nenne als erstes Beispiel – auch
das steht in unserem Antrag – die Mehrwertsteuersätze
in der Hotellerie. Es kann doch nicht sein, dass bei ein-
heitlicher Währung der Gast in einem Hotel in Straßburg
5 Prozent und in Kehl – wenn er über die Rheinbrücke ge-
gangen ist – 16 Prozent Mehrwertsteuer zahlen muss. Das
kann angesichts des europäischen Wettbewerbs nicht sein.

Deshalb appelliere ich an Sie: Stimmen Sie endlich dem
reduzierten Mehrwertsteuersatz für die Hotellerie zu!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es kann auch nicht sein, dass die Ökosteuer weitere

Belastungen mit sich bringt. Ich will an dieser Stelle nicht
mehr auf das Prinzip der Ökosteuer eingehen. Aber ich
muss schon feststellen, dass die deutsche Bustouristik in
einem harten Konkurrenzkampf mit ihren ausländischen
und EU-Wettbewerbern steht. Wenn Sie sich zum Beispiel
den Wettbewerb der baden-württembergischen Busunter-
nehmer mit ihren französischen Konkurrenten anschauen,
dann können Sie feststellen, dass die Belastungen für sie
aufgrund der Ökosteuer ständig steigen und dass es auf
der französischen Seite noch Subventionen gibt. Das be-
deutet, dass unsere Busunternehmer in diesem Wettbe-
werb praktisch nicht mehr mithalten können.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Deshalb fordere ich Sie auf: Weg mit dieser Ökosteuer!
Zumindest sollte es einen Verzicht auf weitere Erhöhun-
gen geben.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die Tatsache, dass Sie das ökologisch sinnvolle Ver-
kehrsmittel Bus noch bestrafen, zeigt, wie schizophren
das Prinzip der Ökosteuer überhaupt ist.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir von der F.D.P. versuchen massiv, Sie dazu zu be-

wegen, die unsägliche Trinkgeldbesteuerung endlich
abzuschaffen.


(Beifall bei der F.D.P.)

– Wenn ich einer jungen Dame oder einem jungen Herrn
Trinkgeld für guten Service gebe, dann möchte ich nicht,
dass davon das Finanzamt, die BfA oder die AOK profi-
tiert.


(Beifall bei der F.D.P. – Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Warum hat Herr Rexrodt das nicht gemacht?)


Wir reden im Augenblick über die Wettbewerbsfähigkeit.
Lieber Kollege Brecht, in Frankreich soll nach Aussage
der Bundesregierung das Trinkgeld besteuert werden. Ich
habe aber weder einen Betroffenen noch einen Politiker
antreffen können, der ein entsprechendes Gesetz kennt. Es
wird eben in der Praxis nicht angewandt. Darum geht es
doch.

Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der SPD: Ich freue mich sehr, dass immer mehr von Ihnen
sich – auch öffentlich – auf den Weg hin zu F.D.P.-Posi-
tionen begeben.


(Horst Kubatschka [SPD]: Nie im Leben!)

Es ist im Übrigen immer gut, sich der F.D.P. anzunähern.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich sage Ihnen deshalb: Gehen Sie auf diesem Weg wei-
ter! Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass
Sie unseren vernünftigen Antrag vielleicht doch unter-
stützen.




Vizepräsidentin Petra Bläss
14170


(C)



(D)



(A)



(B)


An die Adresse der Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU sage ich: Die von Ihnen angestrebte Erhöhung
der Freibeträge löst das Problem nicht und sie ist im Übri-
gen auch systemfremd. Wir müssen endlich gesetzlich
festlegen, dass Trinkgeld eine Schenkung für eine gute
Leistung ist und nicht mit dem Einkommen besteuert
werden darf.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir müssen ein Weiteres tun – ich plädiere nachdrück-

lich dafür –: Nutzen wir doch die Einführung des Euro
dazu, unsere Gesetze, Vorschriften und Standards vorbe-
haltlos daraufhin zu überprüfen, was notwendig und was
EU-wettbewerbstauglich ist! Schaffen wir all die Rege-
lungen ab, die diesen Wettbewerb behindern! Ich glaube,
das wäre in der Tat Supersprit für unsere deutsche Wirt-
schaft.


(Beifall bei der F.D.P.)

Lassen Sie mich in aller Kürze einen letzten Punkt an-

sprechen. Wir brauchen Bewegung auf dem Arbeits-
markt. Deshalb appelliere ich an Sie: Wenn Sie dem Ein-
wanderungsbegrenzungsgesetz der F.D.P. zustimmen,
dann brauchen wir die von Ihren propagierte Green Card
nicht mehr. So schaffen wir Freiraum für die deutsche
Wirtschaft.

Wirtschaftsminister Müller hat viel angekündigt. Er
spricht laufend davon, was er für den Tourismus alles tun
will. Er hat aber leider in keinem einzigen Punkt bisher
gehandelt. Er hat sich heute in der „Welt“ gegen eine Aus-
weitung der Betriebsratsgremien im Rahmen der Novel-
lierung des Betriebsverfassungsgesetzes ausgesprochen.
Der DGB geht schon vehement dagegen an. Lieber Herr
Müller, wir werden Ihr Handeln beobachten. Es reicht
nicht aus, nur anzukündigen. Jetzt muss endlich gehandelt
werden.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414410500
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Birgit Roth.


Birgit Roth (SPD):
Rede ID: ID1414410600
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das Thema
„Wettbewerbsbedingungen für die deutsche Tourismus-
wirtschaft im Euro-Land“ ist für uns Sozialdemokratin-
nen und Sozialdemokraten, für uns Tourismus- und Wirt-
schaftspolitiker von ganz enormer Bedeutung. Denn der
Tourismus ist eine der wachsenden Dienstleistungs-
branchen, die wir haben, weil sich die Wettbewerbsbe-
dingungen in den letzten beiden Jahren ganz klar verbes-
sert haben.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Verschlechtert haben!)


Der Tourismus hat ein ganz enormes Wachstums- und
Beschäftigungspotenzial, weil sich die Wettbewerbsbe-
dingungen verbessert haben, weil Reformen durchgeführt
worden sind – wir beide wissen ganz genau, dass es in den
letzten Jahren einen großen Reformstau gab, und wir ha-

ben damit aufgeräumt –, weil es wieder eine andere Stim-
mung gibt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte Ihnen im Folgenden anhand von Fakten
und Zahlen zeigen, dass sich die wirtschaftlichen und po-
litischen Rahmenbedingungen bei uns verbessert haben.

Sie wissen ganz genau, dass der Tourismusbereich
mittlerweile einen Anteil von 8 Prozent am Bruttosozial-
produkt hat. Allein diese Zahl spricht für sich. Wir haben
mittlerweile 2,8 Millionen Arbeitsplätze in diesem Be-
reich. Was für mich als junge Abgeordnete ganz beson-
ders wichtig ist: Wir gehen davon aus, dass der Touris-
mussektor circa 90 000 Ausbildungsplätze bereitstellt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Da wollen Sie sagen, dass die Wettbewerbsbedingungen
hier nicht stimmig seien? Das passt doch nicht zueinander.

Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit ergreifen,
den vielen mittelständischen Betrieben in der Tourismus-
branche zu danken, dass sie ihre Verantwortung gerade
gegenüber der Jugend annehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Denn Jugend braucht eine Zukunft, Jugend braucht Aus-
bildungsplätze und Jugend braucht eine Perspektive.

Doch zurück zu den Fakten, Herr Burgbacher:

(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Ich bin gespannt!)


Die Beherbergungsbetriebe hatten 1999 über 100 Milli-
onen Gäste. Das ist eine Steigerung gegenüber dem Vor-
jahr um 5,6 Prozent. Nehmen Sie die Übernachtungen.
Bei den Übernachtungen liegen wir bei ungefähr 308Mil-
lionen. Auch hier haben wir eine Steigerung, und zwar
von ungefähr 4,6 Prozent. Nehmen Sie die Zahl der
Ankünfte von ausländischen Gästen. Hier haben wir eine
Steigerung von circa 8,8 Prozent. Bei den Übernachtun-
gen von ausländischen Gästen haben wir einen Zuwachs
gegenüber dem letzten Jahr von 9 Prozentpunkten.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Und das alles wegen dieser Regierung!)


– Danke schön für die Zustimmung! Sie haben es genau
auf den Punkt gebracht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Horst Kubatschka [SPD]: Der Herr Burgbacher hat endlich einmal eine klare Erkenntnis gehabt!)


Besser hätte ich es nicht sagen können.
Schauen Sie sich die Inlandsreisen an. Auch hier ver-

zeichnen wir einen deutlichen Anstieg. Nehmen Sie den
Geschäftsreiseverkehr. Hier haben wir die gleichen Stei-
gerungsraten. Sie können auch einen Bereich wie den
Städtetourismus herausgreifen, zum Beispiel Berlin.
Berlin ist natürlich Hauptstadt und eine Stadt mit sehr
großer Vielfalt, keine Frage. In Berlin haben wir bei den
Zahlen der Gäste und der Übernachtungen zweistellige
Zuwächse zu verzeichnen.




Ernst Burgbacher

14171


(C)



(D)



(A)



(B)


Wie kann es denn, wenn ich Ihnen hier alle möglichen
Bereiche aufzählen kann, die Steigerungen gegenüber
dem Vorjahr aufweisen können, sein, dass die Wettbe-
werbsbedingungen nicht in Ordnung sind? Das passt doch
nicht zusammen.

Die Entwicklungen, die ich gerade angeschnitten habe,
sind auch das Ergebnis der rot-grünen Reformpolitik der
letzten zwei Jahre, durch die sich viel bewegt hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn wir, Herr Burgbacher, machen eine aktive Wirt-
schafts- und Finanzpolitik. Wir haben die Staatsverschul-
dung reduziert. Wir haben eine Steuerreform durchge-
führt, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Familien
und die Unternehmen gleichermaßen entlastet.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Nur, die wissen nichts davon! Die merken das nicht!)


Wir gehen von einem ungefähren Entlastungsvolumen
von ungefähr 75 Milliarden DM aus. Das ist aktive Wirt-
schaftspolitik. Da sagen Sie, die Wettbewerbsbedingun-
gen in diesem Lande würden nicht stimmen!

Nehmen wir die Prognosen für dieses Jahr. Wir gehen
davon aus, dass wir auch dieses Jahr ein Wirtschafts-
wachstum von 2,8 Prozentpunkten haben werden.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! – Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Das muss man erst einmal sehen!)


Auch das ist im Vergleich zu den letzten Jahren kein
schwaches Ergebnis.

Oder nehmen Sie die Zahlen der Arbeitslosigkeit. Im
Vergleich zu den letzten fünf Jahren haben wir folgende
Situation: Es ist ein Tiefstand erreicht worden. Natürlich
genügt der momentane Abbau der Arbeitslosigkeit noch
nicht. Aber wir stellen uns weiterhin der Herausforde-
rung, diese zu reduzieren. Ich weiß noch ganz genau: Vor
zwei, zweieinhalb Jahren war die Schmerzgrenze von
4 Millionen Arbeitslosen erreicht, wenn nicht sogar über-
schritten. Deswegen meine ich: Wir sind genau auf dem
richtigen Weg. Schauen Sie sich die Zahlen und die Fak-
ten an!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit Verlaub, werte Kolleginnen und Kollegen von der
F.D.P., wenn ich mir die Beschlussempfehlung anschaue,
die vor uns liegt, konstatiere ich: Dem Ganzen gingen eine
Große Anfrage und ein Entschließungsantrag voraus. Von
den ursprünglichen Kritikpunkten sind nicht sehr viele
übrig geblieben. Ich kann das jetzt in zwei Richtungen in-
terpretieren: Entweder haben wir Sie mit unseren Positio-
nen überzeugt


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Nein!)

oder wir haben in den letzten zwei Jahren enorm viel von
dem abgearbeitet, was Sie in den letzten 16 Jahren nicht
gemacht haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Stichwort Trinkgeldbesteuerung: Herr Burgbacher,
wann ist denn die Trinkgeldbesteuerung realisiert wor-
den? Da muss ich einfach auch die Frage stellen: Warum
haben Sie denn während der letzten Legislaturperiode die
Trinkgeldbesteuerung nicht abgeschafft? Ich glaube, so
kommen wir hier nicht weiter.

Was Sie auch immer kritisieren, ist die Änderung bei
den 630-Mark-Beschäftigungsverhältnissen. Sie wis-
sen, ich teile Ihre Kritik an dieser Stelle in keiner Art und
Weise. Aber ich möchte Sie noch einmal an den Miss-
brauch erinnern, der in diesem Bereich vorgefallen ist.
Hier musste etwas geändert werden.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Jetzt haben wir Schwarzarbeit! Das ist besser?)


Sind wir uns nicht alle darin einig, dass die entschei-
dende Herausforderung gerade auch im Tourismusbereich
die Servicequalität ist? Denn Deutschland ist Hochpreis-
land, auch für den Urlauber. Das Entscheidende wird die
Servicequalität sein, die wir jetzt und in den nächsten Jah-
ren anbieten werden. Wird ein Betrieb, der mit gut ausge-
bildetem Fachpersonal arbeitet, nicht einen besseren Ser-
vice anbieten können als ein Betrieb, der mit sehr vielen
630-Mark-Beschäftigten arbeitet, zu dem eine perma-
nente Fluktuation zu verzeichnen ist?

Sie kritisieren auch, dass jetzt Flexibilität nicht mehr
vorhanden sei. Sie wissen ganz genau, dass es Ausnah-
meregelungen für Engpässe in der Hochsaison gibt, sei es
für das Gastronomiegewerbe, sei es für die Landwirt-
schaft, nämlich die 50-Tage-Regelung. Ich bitte auch, dies
in Rechnung zu stellen.

Um das Tourismusgewerbe und den Tourismusstandort
Deutschland weiterhin zu fördern, ist dieses Jahr zum
„Jahr des Tourismus“ ausgerufen worden. Dabei stehen
die Vernetzung und Vermarktung von unterschiedlichen
touristischen Highlights in den einzelnen Bundesländern
im Vordergrund, natürlich auch in Zusammenarbeit und in
Absprache mit der Tourismuswirtschaft.

Sie haben Minister Müller angesprochen und sind auf
ganz andere Bereiche gekommen.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Der Ankündigungsminister!)


– In diesem Sinne möchte ich auch eine Bemerkung ma-
chen. Ich halte nicht viel davon, zu sagen, Herr Müller
habe nur angekündigt. Nehmen Sie nur einmal die Ener-
giepolitik. Gerade auf diesem Felde hat er sehr viel be-
wegt. Wenn ich auf die Regierungsbank schaue, sehe ich
Frau Staatssekretärin Wolf. Dass wir jetzt eine Mittel-
standsbeauftragte haben, kann ich nur voll unterstützen.
Ich danke Herrn Minister Müller, dass er dem Mittelstand
diese politische Bedeutung zumisst und dass wir hier eine
neue Stelle haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich meine, wir sind gerade im Bereich der Tourismus-
wirtschaft auf dem besten Wege. Dieser Bereich hat eine
positive Perspektive. Auch die Politik der letzten zwei




Birgit Roth (Speyer)

14172


(C)



(D)



(A)



(B)


Jahre hat dies unterstützt und sie wird es weiter unter-
stützen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414410700
Für die CDU/CSU
spricht jetzt der Kollege Ernst Hinsken.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1414410800
Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Verehrte Frau Präsidentin! Die meis-
ten haben bereits den „Heimtourismus“ angetreten.


(Horst Kubatschka [SPD]: Bei uns ist das Geschäftstourismus, Herr Kollege!)


Einige interessierte Kolleginnen und Kollegen sind noch
anwesend. Ich meine, es ist wert, auf das von der F.D.P.
gestellte Thema „Wettbewerbsbedingungen für die deut-
sche Tourismuswirtschaft im Euro-Land“ einzugehen.

Aber bevor ich das tue, möchte ich Ihnen, Frau Wolf,
herzlich gratulieren. Sie sind zur neuen Parlamentari-
schen Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium berufen
worden. Sie tragen nun Verantwortung auch für den Mit-
telstand. Ich wünsche Ihnen eine allzeit glückliche Hand,
darf aber schon bei dieser Gelegenheit darauf verweisen,
dass wir Sie sehr kritisch begleiten und prüfen werden, ob
das, was Sie früher gesagt haben, jetzt, wenn Sie der Exe-
kutive angehören, auch umgesetzt wird. Alles Gute und
auf gute Zusammenarbeit!


(Beifall)

Nun möchte ich insbesondere auf das eingehen, was

Frau Kollegin Roth aus ihrer Sicht vorgetragen hat, und
manches geraderücken. Liebe Frau Kollegin Roth, ich
pflichte Ihnen bei, wenn Sie darauf verweisen, dass ge-
rade der Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsbereich ist.
Das, was Sie ausgeführt haben, müsste noch durch die In-
formation ergänzt werden, dass in dieser Wirtschafts-
sparte über 100 000Ausbildungsplätze nicht nur bereitge-
stellt werden, sondern auch besetzt sind.

Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass der
Anteil an der Bruttowertschöpfung bei circa 300 Milli-
arden DM liegt. Aber um was geht es vor allen Dingen bei
dieser Debatte? Der Kollege Burgbacher hat bereits da-
rauf verwiesen. Es geht darum, Rahmenbedingungen in
dem sich verfestigenden Europa zu schaffen, damit wir
mit dieser „Leitökonomie der Zukunft“, wie die Touris-
muswirtschaft bezeichnet wird, auch weiterhin dabei
sind.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Wenn innerhalb Europas in den nächsten zehn Jahren

zu den 25MillionenArbeitsplätzen 2,5MillionenArbeits-
plätze hinzukommen, dann hoffe und wünsche ich, dass
die Bundesrepublik Deutschland in der Hotellerie, Gas-
tronomie und allem, was zu diesem Bereich zählt, mit
400 000 bis 450 000 Arbeitsplätzen dabei ist. Das wird
aber nur der Fall sein, wenn die Rahmenbedingungen
stimmen. Bei ihnen liegt einiges im Argen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Sie kennen sicherlich alle den Film mit dem Titel:
„Denn sie wissen nicht, was sie tun“. Ich erwähne diesen
Titel deshalb, weil ich genau das Gegenteil von dem
meine, verehrte Frau Kollegin Roth, was Sie eben ausge-
führt haben. Man muss feststellen, dass zutrifft, was der
Titel dieses Films besagt, dass scheinbar einige von Ihnen
– sogar die Mehrheit – nicht wissen, was sie tun; denn
dem Mittelstand wird ein Negativum nach dem anderen
aufgebürdet:


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Horst Kubatschka [SPD]: Deswegen die Zuwachszahlen!)


630-DM-Regelung, Ökosteuer, Recht auf Teilzeit, Novel-
lierung des Betriebsverfassungsgesetzes und, und, und.
Ich frage mich: Wissen Sie denn überhaupt, was Sie tun?


(Horst Kubatschka [SPD]: Jawohl!)

– Nein, das wissen Sie nicht.


(Horst Kubatschka [SPD]: Das können Sie nicht bestätigen!)


Sie würden sonst nicht solche blumigen Reden halten und
sich weigern, Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich
sind, damit sich die Tourismuswirtschaft in der Bundes-
republik Deutschland weiterhin entfalten kann.


(Horst Kubatschka [SPD]: Sie entfaltet sich doch bestens!)


Es gibt eben Landesteile, in denen der Tourismus von ent-
scheidender Bedeutung ist, wie zum Beispiel in meiner
Heimat oder in der meines Kollegen Kurt Rossmanith im
Allgäu. In diesen Regionen ist er ein bedeutender Wirt-
schaftsfaktor, den man nicht vernachlässigen kann. Viel-
mehr braucht er Rahmenbedingungen, damit das Ganze
weiterhin läuft.

Frau Kollegin Roth, ich wundere mich nicht – das ist
das Gegenteil von dem, was Sie ausgeführt haben –, dass
trotz der Gäste- und Übernachtungszahlen die Tourismus-
wirtschaft in Deutschland einfach nicht richtig in Fahrt
kommt. Lassen Sie mich zur Lage feststellen: Die Zahl
unserer Gäste ist im Jahr 1999 gegenüber dem Vorjahr um
6 Prozent gestiegen und hat erstmals die Zahl von
100 Millionen überschritten. Die Übernachtungszahlen
sind um 4,6 Prozent auf insgesamt 308 Millionen Über-
nachtungen gestiegen. Nun möchte ich nicht den Ver-
gleich mit Spanien oder Griechenland ziehen, wo die Zahl
– prozentual gesehen – doppelt so hoch ist. Es ist nicht
von der Hand zu weisen: Diese Zahlen sind bestechend.

Aber ich möchte auf etwas verweisen, weil Sie vorhin
mit Ihren Aussagen nicht ganz richtig lagen. Deshalb gilt
es, diese zurechtzurücken. Die Zahl der Beschäftigten
im Gastgewerbe ist im Gegensatz zu den Übernach-
tungszahlen im ersten Halbjahr des Jahres 2000 um
3,7 Prozent zurückgegangen. Weiterhin sehe ich mit
großer Sorge, dass 42 Prozent aller Gastronomiebetriebe
in der Bundesrepublik Deutschland trotz guter Umsatz-
entwicklung Ertragsverluste verzeichnen mussten. Auch
das kann nicht wegdiskutiert werden, verehrte Frau Wolf.
Gerade aufgrund dieser Zahlen sehen Sie, was Sie tun
müssen, um dem Mittelstand den notwendigen Schub zu




Birgit Roth (Speyer)


14173


(C)



(D)



(A)



(B)


geben, damit er nach vorne kommt. Wenn jetzt im Wirt-
sch
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414410900
„Quantität sticht Qualität“, son-
dern dann sollte auch die Qualität erhöht werden. Man
sollte sich hier gegenseitig ergänzen, Ideen aufnehmen
und etwas bewegen.

Wenn man mit den betroffenen Verbänden und den ver-
antwortlichen Unternehmen spricht,


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir!)


dann stellt man fest, dass sehr vieles im Argen liegt. Die
Umfrage des Dehoga im Sommer 2000, die in seinem
Konjunkturbericht veröffentlicht wurde, hat zum Beispiel
ergeben, dass vor allem kleine und mittlere gastronomi-
sche Betriebe massiv von Existenzsorgen und -nöten ge-
plagt sind.

Auch bei dieser Debatte muss man sich natürlich fragen:
Worauf ist das zurückzuführen? Was sind die eigentlichen
Ursachen? Auf der einen Seite beklagt der Deutsche Hotel-
und Gaststättenverband, dass ihm 80 000Mitarbeiter fehlen.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Qualifizierte!)


Auf der anderen Seite ist festzustellen, dass allein seit
April 1999 100 000 nebenberuflich Beschäftigte von der
Bildfläche verschwunden sind. Das bewegt mich.

Vorhin wurde davon gesprochen, dass der Tourismus
ein wichtiger Wirtschaftszweig ist. Dem ist meines Er-
achtens hinzuzufügen: Die Zahl der Übernachtungen
– diese Zahl ist für den Tourismusbereich wichtig – würde
sich erhöhen, wenn man auch diejenigen erfassen würde,
die in Hotels und Herbergen übernachten, die weniger als
neun Betten haben.

Ich habe mir die Arbeit gemacht, das einmal hochzu-
rechnen, und bin auf folgende Zahlen gekommen:


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir schon gehört!)


– Richtig, das haben wir im Ausschuss schon gehört, Frau
Voß. Aber hier wurde noch nicht darauf hingewiesen. Ich
richte mich hier ja nicht an Sie, die Sie im Ausschuss, der
nicht öffentlich tagt, sicherlich ab und zu ganz gut auf-
passen. Dies muss hier im Plenum noch einmal dargestellt
werden. – Circa 50 bis 70 Millionen zusätzliche Über-
nachtungen sind zu verzeichnen. Auch das ist ein bedeu-
tender Wirtschaftsfaktor. Wenn man nämlich eine Über-
nachtung mit 80 DM ansetzt – auf dem Lande ist das noch
so billig, Frau Schnieber-Jastram; da kostet eine Über-
nachtung nicht so viel wie in Hamburg –


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Im Allgäu ist es noch billiger!)


und dies hochrechnet, dann kommt man auf einen Betrag
von ungefähr 5 bis 6 Milliarden DM.

Ich habe hier die Möglichkeit, all das aufzugreifen, was
negativ ist. In diesem Zusammenhang ist natürlich nicht
von der Hand zu weisen, was Hotellerie und Gastronomie

und die gesamte Tourismuswirtschaft erneut beunruhigt:
die Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes.Dazu muss
ich Ihnen sagen: Wir werden höllisch aufpassen, dass hier
nicht Maßnahmen ergriffen werden und Gesetzesvorla-
gen durchgehen, die insbesondere die kleinen und mittle-
ren Betriebe schädigen und das Selbstständigsein nicht
mehr interessant machen. Da müssen wir vor allem heran;
dies brennt uns besonders auf den Nägeln.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Lassen Sie mich darauf verweisen, dass nicht nur eine

Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes ins Haus steht,
sondern dass vor allen Dingen auch die Ökosteuer – ich
bin dankbar, dass Kollege Burgbacher sie angesprochen
hat – eine große Belastung ist. Den meisten Mitbürgern ist
überhaupt nicht bewusst, dass ein mittelständischer Be-
trieb allein durch die Ökosteuer jährlich mit ungefähr
10 000 DM zusätzlich belastet wird.


(Horst Kubatschka [SPD]: Haben Sie etwas von der Entlastung durch die Rente gehört?)


– Das ist eine zusätzliche Belastung.
Herr Kollege Kubatschka, hinzu kommt, dass die Öko-

steuer, die die Betriebe belastet, zu einer Mineralölsteu-
ererhöhung geführt hat. Wenn ein Hamburger, Frau Kol-
legin Schnieber-Jastram, bereit ist, zu mir oder zu Kurt
Rossmanith ins Allgäu bzw. in den Bayerischen Wald oder
in den Schwarzwald zu fahren,


(Horst Kubatschka [SPD]: Fährt er nach Italien, wird es noch teurer!)


und wenn er 1 000 Kilometer hin und 1 000 Kilometer
zurückfährt – vielleicht kommen noch ein paar Kilometer
hinzu –, dann hat er bei einem Spritverbrauch von 10 Li-
ter pro 100 Kilometer allein aufgrund der Ökosteuer
42 DM mehr zu zahlen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Er soll ja mit der Eisenbahn fahren!)


Wissen Sie, was das ist? – Das ist dreimal Schweinebra-
ten umsonst. So muss das gesehen werden. Das ist Politik
gegen den kleinen Mann und gegen den Mittelstand. Das
muss hier angesprochen werden. Darum pflichte ich
Herrn Kollegen Burgbacher bei: Diese Ökosteuer muss
weg, und zwar lieber heute als morgen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Ein weiteres Un-

gemach droht durch die ersatzlose Streichung des Ra-
battgesetzes und der Zugabeverordnung. In diesem Zu-
sammenhang ist vor allem zu sehen, dass kleine und
mittlere Betriebe nicht in der Lage sind, eine breite Ange-
botspalette zugrunde zu legen. Hier ist man auf die Güter
beschränkt, die man anbietet. Diese Tatsache beinhaltet,
dass man von der Abschaffung des Rabattgesetzes nega-
tiv tangiert wird. Deshalb bin ich gegen eine ersatzlose
Streichung. Diesem Umstand muss Rechnung getragen
werden.

Verehrte Frau Präsidentin, ich spreche die letzten zwei
Sätze, dann bin ich schon fertig.




Ernst Hinsken
14174


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414411000
Sie haben so nette Ur-
laubseinladungen ausgesprochen, da kann ich nicht wi-
derstehen.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1414411100
Herzlichen Dank. – Ich
meine, dass es sich im Hinblick auf die neuen Bundeslän-
der für manchen Deutschen lohnen würde, nicht nur ins
Ausland zu reisen, sondern im eigenen Lande zu bleiben
und die Schönheiten kennen zu lernen, die ihm dort ge-
boten werden.

Deshalb die letzte Bemerkung: Kollege Burgbacher
hat eingangs darauf verwiesen, er verstehe es nicht, dass
auf der einen Seite das Jahr des Tourismus eingeläutet
werde – was wir alle begrüßen und gutheißen –, während
auf der anderen Seite die Bundesregierung nicht bereit
sei, hierfür einen einzigen Pfennig zur Verfügung zu stel-
len.


(Beifall des Abg. Ernst Burgbacher [F.D.P.] – Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt ja gar nicht!)


– Ja, sicher.
Deshalb bin ich der Meinung, man sollte Nägel mit

Köpfen machen und nicht nur ideell auf die Verbände und
Mitbürger einwirken, den Urlaub in Deutschland zu ver-
bringen, einen Aha-Effekt zu erleben. Vielmehr sollte die
Bundesregierung in die Tasche greifen und die Mittel be-
reitstellen, die man benötigt, um im Jahr 2001 den Tou-
rismus in Deutschland so attraktiv zu machen, dass viele
Mitbürger im eigenen Land bleiben und die Wirtschaft auf
diese Weise mit ankurbeln.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414411200
Jetzt spricht die Kol-
legin Sylvia Voß für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414411300
Sehr ge-
ehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Hinsken, wir haben Nägel mit Köpfen gemacht, aber
die scheinen Ihnen wehzutun. Die F.D.P. fühlt sich offen-
sichtlich schon seit vielen Monaten um den Schlaf ge-
bracht, denkt sie an die Wettbewerbsfähigkeit der deut-
schen Tourismuswirtschaft. Bei dem Versuch, sich in den
Schlaf zu zählen, stocken Sie allerdings immer bei der
Zahl 630.

Diese Zahl macht den Freien Demokraten im Zusam-
menhang mit der Neuregelung der so genannten 630-DM-
Jobs noch immer sehr zu schaffen,


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Die macht der Praxis zu schaffen, nicht uns!)


obwohl sie auf jeden empirischen Beleg für die schlaf-
raubenden Probleme verzichten und stattdessen eine Ver-
unsicherung in der Branche lediglich konstatieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der Grund dafür ist schnell genannt: Die Regelung der ge-
ringfügigen Beschäftigungsverhältnisse ist vor fast
zwei Jahren in Kraft getreten und hat sich längst bewährt.


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Das meinen Sie!)

Etwa 100 000 Arbeitsverhältnisse geringfügig Beschäf-
tigter – Herr Hinsken sagte es auch gerade – sind durch
die Regelung in Beschäftigungsverhältnisse mit Sozial-
versicherungspflicht übergegangen. Dadurch wurde eine
weitere Erosion der Finanzgrundlagen der Sozialversi-
cherung – die uns alle betreffen würde – verhindert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das haben wir so gewollt und das haben wir auch ge-
schafft.

Zu Ihrer Beruhigung sei auch noch angefügt, dass
durch diese Neuregelung, die ja nun inzwischen so neu
nicht mehr ist, im europäischen Vergleich keine Wettbe-
werbsnachteile entstanden sind. Der Bundesregierung ist
es mit dieser Regelung sogar gelungen, in wirtschaftlicher
Hinsicht einen weiteren Schritt in Richtung europäische
Einheit zu gehen. In Frankreich, Spanien und Italien –
Länder, die für ihre touristische Anziehungskraft und Be-
deutung bekannt sind – gibt es keinerlei Sozialversiche-
rungsfreiheit.

Der Regelung ist es auch zu danken, dass es sich wie-
der lohnt, fachkundiges Personal einzustellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Etwa 30 bis 40 Prozent der Stellen im Bereich von Hotel-
lerie und Gastronomie waren zeitweise 630-DM-Jobs.
Gern griff man in diesem Bereich auf ungelernte Kräfte
zurück. Was dabei auf der Strecke blieb, war die Qualität
und das, liebe Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P.,
wäre ein Grund für tiefe Augenringe mangels Schlaf ge-
wesen.

Gegen die unruhigen Nächte der F.D.P. gibt es ein wei-
teres Mittel: Holen Sie sich mehr Gelassenheit durch ei-
nen ideologisch ungetrübten Blick in die Wirklichkeit.
Nach einer aktuellen Umfrage des Instituts der deutschen
Wirtschaft, Herr Burgbacher, erwartet man für den Wirt-
schaftszweig Tourismus für das Jahr 2001 einen Anstieg
der Beschäftigtenzahl.

Zu der von Ihnen geforderten Einführung eines ver-
minderten Mehrwertsteuersatzes für die deutsche Hotel-
lerie möchte ich nur anmerken, dass die F.D.P. während
vieler, allzu vieler Jahre die Wirtschaftspolitik der
Bundesrepublik geprägt hat, ohne diesem jetzt von Ihnen
in der Opposition erkannten Handlungsbedarf jemals zu
entsprechen. Aber bei allem Respekt, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der F.D.P.-Fraktion, im jetzigen, dem
Nachlass Ihrer Regierungsjahre geschuldeten Haushalts-
konsolidierungsprozess so nebenbei Steuerminderein-
nahmen von 1,3 Milliarden DM, die Ihre Forderungen zur
Folge hätten, zu veranlassen, ist wirklich nicht zu verant-
worten und zeigt Ihren traumtänzerischen Umgang mit
diesem Metier.






(C)



(D)



(A)



(B)


Neben der Bundesregierung ist auch die Deutsche Zen-
trale für Tourismus, DZT, um ein bestmögliches Erschei-
nungsbild des Reiselandes Deutschland im europäischen
Ausland bemüht. Wir unterstützen diese Arbeit, indem der
überwiegende Teil des Finanzbedarfs der DZT durch Mit-
tel des Bundes gedeckt wird.

Im Übrigen übertrifft das Wachstum des Tourismus in
Deutschland die durchschnittliche Wachstumsrate in Eu-
ropa. Den Abwärtstrend, den Sie uns hier suggerieren
wollen, gibt es in dieser Art im Tourismus in Deutschland
wirklich nicht.

Auf Zustimmung stößt bei uns natürlich die Forderung
nach einer Integration der Tourismuspolitik in andere
Gemeinschaftspolitiken. Aber Sie wissen, hier ziehen wir
im Tourismusausschuss ohnehin an einem Strang. Ihrer
Forderung nach einem intensiveren nationalen Dialog
zwischen Politik und Tourismuswirtschaft hat die Bundes-
regierung bereits entsprochen. Mit der neuen Mittelstands-
beauftragten der Bundesregierung, der Parlamentarischen
Staatssekretärin Margareta Wolf, wird es möglich sein,
die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der Touris-
musbranche noch ertragreicher zu gestalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P.-Frak-
tion, dass Sie in Ermangelung substanzieller Einwendun-
gen gegen unsere Tourismuspolitik auch wieder das Jam-
merlied der Ökosteuer singen würden, überrascht uns
natürlich nicht. Aber Ihre mies machenden Behauptungen
werden durch ewiges Wiederholen ja nicht besser. Zahlen,
die den Niedergang des Tourismus in Deutschland bele-
gen, haben Sie gar nicht. Ich kann Sie nur noch einmal auf
die Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft ver-
weisen, in der auch die Frage nach der Stimmungslage der
Unternehmen im Wirtschaftszweig Tourismus gestellt
wurde. Sie ist – hört, hört! – im Vergleich zum vorherge-
henden Jahreswechsel besser, und das, obwohl am 1. Januar
2001 die dritte Stufe der Ökosteuer in Kraft getreten ist.

Herr Burgbacher, zu dem Beispiel mit den Bussen
möchte ich sagen: Am 8. Januar dieses Jahres waren Die-
sel und Benzin jenseits der Grenze zu Frankreich teurer
als mit Ökosteuer auf der deutschen Seite der Grenze. Sie
erfinden mit Ihren realitätsfernen, irrlichternden Vorstel-
lungen die Welle rückwärts und den Mölle seitwärts. Des-
wegen kann man zu dem Entschließungsantrag Ihrer
Fraktion nur noch humorvoll sagen: Alles Mölle-Welle,
oder was?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414411400
Zum Abschluss der
Debatte spricht noch einmal die Kollegin Birgit Roth für
die SPD-Fraktion.


Birgit Roth (SPD):
Rede ID: ID1414411500
Herr Hinsken, mein Aus-
schussvorsitzender, Sie wissen, dass ich das, was Sie ge-
sagt haben, in dieser Form nicht stehen lassen kann. Ich
möchte nur auf drei Punkte, die Sie angesprochen haben,
eingehen.

Erstens. Sie haben gesagt, es gebe im Tourismus-
bereich einen Beschäftigungsrückgang von 3,7 Prozent.

Das ist in dieser Form nicht richtig. Es gibt zwar einen
Rückgang, aber Sie müssen sehen, dass sich dieser Rück-
gang auf die Reduzierung der 630-Mark-Beschäfti-
gungsverhältnisse zurückführen lässt. Mit Verlaub,
630-Mark-Jobs sind keine richtigen sozialversicherungs-
pflichtigen Arbeitsplätze.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wollen mit unserer sozialdemokratischen Politik die
Schaffung von modernen, zukunftsweisenden sozialversi-
cherungspflichtigen Arbeitsplätzen fördern.

Sie wissen ganz genau – ich hatte das schon vorhin an-
gesprochen –, was für ein Missbrauch in puncto 630-
Mark-Jobs betrieben worden ist. Sie müssen bedenken,
wer auf der Basis von 630 DM arbeitet. Das sind in erster
Linie Frauen. Frauen werden in unserer Gesellschaft noch
immer schlechter als Männer bezahlt, haben Familien-
pause und erziehen die Kinder. Sie haben dementspre-
chend eine geringere Rente. Die Durchschnittsrente der
Frauen in den alten Bundesländern liegt momentan bei
1 000 DM. Erklären Sie mir bitte, wie man mit 1 000 DM
über die Runden kommen soll! Das geht einfach nicht.
Daran sind auch die 630-Mark-Beschäftigungsverhält-
nisse schuld. Deswegen haben wir genau in diesen Be-
reich eingegriffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414411600
Frau Kollegin Roth,
der Kollege Hinsken möchte eine Zwischenfrage stellen.


Birgit Roth (SPD):
Rede ID: ID1414411700
Nein, ich möchte den Ge-
danken erst noch zu Ende führen.

Sie müssen mir auch erklären: Warum muss jemand,
der samstags arbeitet und Überstunden macht, sein Geld
versteuern, während jemand, der neben seinem Haupt-
beruf auf der Basis von 630 DM arbeitet, dies nicht ma-
chen muss? Das ist nicht logisch. Auch deswegen ist es
auch geändert worden.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Warum dürfen Beamte zusätzlich 630 DM verdienen und andere nicht? Das ist doch die Ungerechtigkeit! – Gegenruf des Abg. Horst Kubatschka [SPD]: Beißen Sie nicht in den Teppich, Frau Kollegin!)



Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1414411800
Frau Kollegin Roth, sind
Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Zahlen, die
ich hier wiedergab, vom Deutschen Hotel- und Gaststät-
tengewerbe stammen –


(Horst Kubatschka [SPD]: Das heißt doch nichts!)


aufgrund mehrmaligen Hinterfragens muss ich diese als
authentisch und richtig einordnen – und insofern das, was
Sie hier behaupten, nämlich dass der Rückgang in erster
Linie auf die Abnahme der 630-DM-Beschäftigungen zu-
rückzuführen sei, nicht stimmt?




Sylvia Voß
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(C)



(D)



(A)



(B)



Birgit Roth (SPD):
Rede ID: ID1414411900
Herr Hinsken, ich be-
ziehe mich auf eine Studie des DIW. Darin heißt es, dass
der Grund für den Rückgang vor allem in der Rück-
führung der 630-DM-Beschäftigungen liege.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Aber weg ist weg! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Dann haben wir einen Dissens in dieser Frage.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das stelle ich auch fest!)

Zur Ökosteuer. Was haben wir denn in diesem Bereich

getan? Auf der einen Seite ist der Faktor Energie verteu-
ert worden, aber auf der anderen Seite ist – ich wäre Ih-
nen dankbar, wenn Sie auch dies einmal erwähnen wür-
den – der Faktor Arbeit günstiger geworden, weil die
Lohnnebenkosten reduziert worden sind.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!)


Das kommt – aber das wird von Ihrer Seite nicht er-
wähnt – sowohl den Arbeitgebern als auch den Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmern zugute,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


und zwar auch im Hotellerie- und Gastronomiegewerbe.

(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Nein, das stimmt doch nicht!)

– Das stimmt! Ich glaube, auch hier haben wir einen Dis-
sens. Aber ich bin dankbar, dass wir darüber diskutieren.

Zu einem weiteren Thema muss ich noch etwas sagen,
nämlich dem Recht auf Teilzeit. Herr Hinsken, wenn Sie
dieses Thema anschneiden, dann müssen Sie bitte hinzu-
fügen, dass ein Recht auf Teilzeit nur in Betrieben mit
mehr als 15 Beschäftigten greift und darüber hinaus ein
Einvernehmen mit dem Unternehmen – „wenn es der Ar-
beitsplatz erlaubt“ – erfordert. Ich sehe, dass dieser Be-
reich kompromissfähig ist und zwischen Arbeitgeber und
Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerin abgesprochen wird.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie haben keine Ahnung vom Betriebsgebaren!)


Was ist denn der Hintergrund dieser Regelung? Weil es
Studien gibt, die ganz klar belegen, dass potenziell drei
bis vier Millionen Beschäftigte bereit sind, Teilzeit zu ar-
beiten,


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Sie drängen die Leute zuhauf in die Schwarzarbeit!)


und dadurch ungefähr zwei bis drei Millionen neue sozi-
alversicherungspflichtige Arbeitsplätze – da wollen wir
hin – entstehen können. Aus diesem Grunde halte ich das
Recht auf Teilzeit für richtig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Aber es gibt dann doch noch mehr Schwarzarbeit als ohnehin schon!)


– Warum, Herr Burgbacher, soll es die Schwarzarbeit be-
günstigen, wenn jemand einen Teilzeitarbeitsplatz an-
strebt?


(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Sie fördern überall die Schwarzarbeit!)


Ich sehe überhaupt keine logische Verbindung zur
Schwarzarbeit, wenn sich zwei Beschäftigte einen Ar-
beitsplatz teilen. Meines Erachtens gibt es diese auch
nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Nehmen Sie die Scheuklappen von den Augen!)


– Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das Gleiche täten.
Danke schön.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414412000
Ich schließe die Aus-
sprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Tourismus zu dem Entschließungsantrag der
Fraktion der F.D.P. zu ihrer Großen Anfrage mit dem Ti-
tel „Wettbewerbsbedingungen für die deutsche Touris-
muswirtschaft im Euro-Land“; es handelt sich um die
Drucksache 14/4704. Der Ausschuss empfiehlt, den Ent-
schließungsantrag auf Drucksache 14/1159 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
gegen die Stimmen der F.D.P.-Fraktion bei Enthaltung der
CDU/CSU-Fraktion angenommen.

Ich rufe den letzten Tagesordnungspunkt für heute auf,
den Tagesordnungspunkt 23:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Uwe-
Jens Rössel, Dr. Christa Luft, Heidemarie Ehlert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
UMTS-Milliarden für die Einführung einer
kommunalen Investitionspauschale des Bundes
– Drucksache 14/4557 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS
fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Zunächst redet der Kollege
Dr. Uwe-Jens Rössel für die PDS-Fraktion.


Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS):
Rede ID: ID1414412100
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! In der rot-grünen Koaliti-
onsvereinbarung heißt es:






(C)



(D)



(A)



(B)


Wir wollen die Finanzkraft der Gemeinden stärken
und das Gemeindefinanzsystem einer umfassenden
Prüfung unterziehen.

Passiert ist aber fast gar nichts. Für die übergroße
Mehrheit der Städte, Gemeinden und Landkreise in der
Bundesrepublik hat sich die finanzielle Situation in den
letzten Jahren eher verschlechtert. Kommunale Selbstver-
waltung rückt in immer weitere Ferne. Einige Fakten: Die
Verschuldung der Kommunen hat sich dramatisch zu-
gespitzt und liegt derzeit bei rund 202 Milliarden DM, ein
Zuwachs von etwa 8 Milliarden DM seit dem vergange-
nen Jahr.

Besonders prekär und niederschmetternd ist die Lage
mancher ostdeutscher Kommunalhaushalte, vor allem in
strukturschwachen Regionen. Außerdem sind die kom-
munalen Investitionen dauerhaft rückläufig. Ende des
Jahres 2000 lagen sie – ich sage ausdrücklich: preisberei-
nigt, also vergleichbar – etwa 30 Prozent unter dem Stand
des Jahres 1992.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Umso schlimmer!)

– Umso schlimmer, Kollege Kutzmutz, weil die Auswir-
kungen besonders schlimm sind. – Es geht um weniger
Aufträge für das Bauhandwerk, für das Baunebenhand-
werk und für das Gewerbe insgesamt. Dies hat zur Folge,
dass der Arbeitsmarkt weiter belastet wird, die Arbeitslo-
sigkeit daher zunimmt.

Die vielerorts dramatische Situation der Kommunalfi-
nanzen hat natürlich viele lokale Ursachen, die hier nicht
zur Debatte stehen. Auch die Länder kommen ausnahms-
los schlecht weg, wenn es um die finanzielle Unterstüt-
zung für die Kommunen geht. Hierzu kann ich wohl kein
positives Beispiel benennen.

Aber auch die Politik der rot-grünen Bundesregierung
hat direkt bzw. indirekt dafür gesorgt, dass die Finanzaus-
stattung der Kommunen weiter sehr angespannt bleibt,
sich sogar verschlechtert hat.

Hierzu einige Fakten: Durch die verschiedenen seit
1998 unter Rot-Grün verabschiedeten Steuergesetze wer-
den den Kommunen im Jahre 2001 etwa 6,5 Milliarden
DM an eigenen Einnahmen fehlen. Dazu kommt, dass
auch die Länder durch die Steuergesetzgebung der Bun-
desregierung erheblich belastet werden, weniger Steuer-
einnahmen haben, was über den so genannten Finanzaus-
gleich teilweise auf die Kommunen durchschlägt. Dies
führt für die Kommunen im Jahre 2001 zu weiteren Min-
dereinnahmen in Höhe von 4,8Milliarden DM. Insgesamt
ergibt sich also die Summe von 11,3 Milliarden DM we-
niger Einnahmen seitens der Kommunen – ein unverant-
wortlicher Zustand.

Auch auf der Ausgabenseite führt die Politik der rot-
grünen Bundesregierung zwar zu einer Sanierung des
Bundeshaushaltes, die aber sehr stark zulasten der Kom-
munen geht. Zwei Beispiele: Erstens. Die originäre Ar-
beitslosenhilfe wurde mit dem Haushaltsanierungsgesetz
gestrichen. Die Kommunen müssen daraufhin etwa
900 Millionen DM mehr an Sozialhilfe aus ihren Budgets
aufbringen.

Zweitens. Der Bundesanteil am Unterhaltsvorschuss
für Alleinerziehende wurde mit eben diesem Gesetz dras-
tisch gesenkt. Die Kommunen müssen die dadurch entste-
henden Ausfälle in Höhe von 400 Millionen DM tragen.

Notwendig ist jetzt eine umfassende Reform der Kom-
munalfinanzierung. Als einen ersten Schritt dazu sieht die
PDS-Fraktion die Möglichkeit, eine Investitionspau-
schale des Bundes einführen, die ab dem Jahr 2002 im
Haushalts verankert wird und vom Bund zu bezahlen
wäre. Der Bundeshaushalt sollte diesen Beitrag aufbrin-
gen, hat er sich doch in den zurückliegenden zehn Jahren
in einer milliardenschweren Größenordnung auf Kosten
der Kommunen saniert. Wir sehen die Chance als gege-
ben, diese Entscheidung, die politische Weitsicht voraus-
setzt, zu treffen, auch unter einem Bundesfinanzminister,
der die Situation der Kommunen kennen müsste, ist er
doch viele Jahre Oberbürgermeister einer hessischen
Großstadt gewesen.

Diese Investitionspauschale des Bundes sollte ohne
Zwischenebenen und bürokratische Hürden vom Bund di-
rekt an die Kommunen weitergeleitet werden. Sie soll un-
ter Wahrung der kommunalen Selbstbestimmung vor Ort,
für Investitionen im sozialen und soziokulturellen Be-
reich und auch im Bildungsbereich eingesetzt werden.
Wir legen außerordentlich großen Wert auf eine unbüro-
kratische Bereitstellung der Mittel durch den Bund,


(Beifall bei der PDS – Wilhelm Schmidt gitter)


weil die Kommunen endlich die Chance erhalten müs-
sen – Kollege Schmidt, auch Sie kennen das aus Ihrem
Wahlkreis –,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie soll das gehen, Herr Rössel?)


eigenverantwortlich zu entscheiden.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist unzulässig!)

– Dass dies zulässig ist, zeigt die Tatsache, dass der Bund
1991 und 1993 eine solche Investitionspauschale für Ost-
deutschland eingerichtet hatte.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Richtig!)

Wir wollen sie ausdrücklich nicht nur für ostdeutsche

Kommunen, sondern auch für strukturschwache Regio-
nen im Altbundesgebiet und deren Kommunen einrichten.
Wir wollen keine ausschließlich ostbezogene, sondern
eine gesamtdeutsche Lösung.

Gerade der Mittelstand braucht die Kommunen als
Auftraggeber, Herr Schmidt. Daran mangelt es bekannt-
lich. Die Auftragslage ist sehr schwierig, und zwar auch
oder gerade weil die Kommunen als Auftraggeber immer
mehr ausfallen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wir machen gerade die positive Steuerreform! Darauf gehen Sie gar nicht ein!)


Eine kommunale Investitionspauschale des Bundes
könnte helfen, diese Chance zu nutzen. Eine kommunale




Dr. Uwe-Jens Rössel
14178


(C)



(D)



(A)



(B)


Investitionspauschale könnte dazu beitragen, eine Trend-
wende bei den Kommunalfinanzen einzuleiten und die
Einnahmeausfälle für die Kommunen aufgrund der Steu-
ergesetzgebung zumindest teilweise zu kompensieren.
Diese Einnahmeausfälle werden in den nächsten Jahren in
verstärktem Maße auftreten und für die Bürgerinnen und
Bürger weitere Einschnitte im soziokulturellen Bereich
bedeuten. Das will die PDS nicht hinnehmen. Deshalb
schlägt sie vor, eine kommunale Investitionspauschale
des Bundes alsbald einzurichten.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und ein schönes
Wochenende.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414412200
Für die guten Wün-
sche bin eigentlich ich zuständig.

Die Kolleginnen und Kollegen Hans Georg Wagner,
Peter Götz, Antje Hermenau und Gerhard Schüßler haben

ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) – Ich sehe Einver-
ständnis im ganzen Haus.

Deshalb kommen wir sofort zur Überweisung. Inter-
fraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Druck-
sache 14/4557 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 24. Januar 2001, 13 Uhr, ein.

Ich schließe mich den guten Wünschen meines Kolle-
gen Uwe-Jens Rössel ausdrücklich an und wünsche Ihnen
allen ein nicht allzu arbeitsreiches Wochenende.

Die Sitzung ist geschlossen.