Gesamtes Protokol
Guten Tag, meine Da-
men und Herren!
Ich begrüße Sie alle herzlich.
Die Sitzung ist eröffnet. – Ich sage jetzt nicht: wegen
Überfüllung geschlossen.
Zu Ihrer Information teile ich Ihnen mit, dass die Be-
fragung der Bundesregierung entfällt,
weil heute keine Kabinettssitzung stattgefunden hat und
weil eine Vereinbarung zwischen allen Fraktionen, Herr
Kollege Koppelin, und der Bundesregierung, die Regie-
rungsbefragung dennoch durchzuführen, nicht besteht.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
heutige Tagesordnung um die erste Beratung des von den
Fraktionen der SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen
und der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Grundgesetzes, Art. 12 a, erweitert werden.
Der Gesetzentwurf soll ohne Beratung überwiesen wer-
den.
Darüber hinaus soll heute eine vereinbarte Debatte zur
aktuellen Situation in Nahost, die im Anschluss an die
Fragestunde beginnen soll, stattfinden. Hierzu liegt ein
Antrag der F.D.P.-Fraktion auf Drucksache 14/4392 vor.
Sind Sie mit dieser Ergänzung einverstanden? – Ich sehe
und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlos-
sen.
Ich rufe nun den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 1
auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen SPD,
CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Grundgesetzes
– Drucksache 14/4380 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzent-
wurf an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
zu überweisen. Gibt es dazu andere Vorschläge? – Das ist
nicht der Fall. Dann ist die Überweisung dieses Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes be-
schlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksache 14/4356 –
Wir kommen zuerst zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beant-
wortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Wolf-
Michael Catenhusen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Abgeordneten Maritta Böttcher
auf:
Wann wird die Bundesregierung eine Expertenkommission
einberufen, die gemäß dem Beschluss des Deutschen Bundestages
vom 6. Juli 2000, mit dem der Antrag der Fraktionen SPD und
Bündnis 90/Die Grünen für eine Modernisierung der Ausbil-
dungsförderung für Studierende auf Bundestagsdrucksache
14/2905 entsprechend der Beschlussempfehlung auf Bundestags-
drucksache 14/3730 angenommen wurde, Vorschläge zur Weiter-
entwicklung und besseren Abstimmung von Bildungsfinanzie-
rungs-, Familienförderungs-, Steuer- und Unterhaltsrechtssystem
erarbeiten soll, und wer wird dieser Expertenkommission an-
gehören?
Herr Staatssekretär, bitte.
W
Liebe
Kollegin Böttcher, auf Ihre Frage nach Einberufung einer
Expertenkommission gemäß dem Beschluss des Deut-
schen Bundestages vom 6. Juli 2000 kann ich Ihnen
12069
126. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 25. Oktober 2000
Beginn: 13.00 Uhr
antworten: Die Bundesregierung ist zur Umsetzung die-
ses Beschlusses in Gesprächen mit den Koalitionsfraktio-
nen. Ergebnisse dazu kann ich Ihnen heute nicht mitteilen.
Zusatzfrage, bitte
sehr, Frau Kollegin.
Zunächst einmal danke für
die nicht befriedigende Antwort. Aber zumindest ist es
eine Antwort.
Können Sie näher bestimmen, bis wann diese Kom-
mission eingesetzt wird?
W
Da
auch dies ein Bestandteil des Ergebnisses sein wird,
möchte ich hier die Absprache mit den Koalitionsfraktio-
nen nicht vorwegnehmen.
Weitere Fragen liegen
nicht vor. Der Geschäftsbereich ist damit abgeschlossen.
Ich danke dem Herrn Staatssekretär.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Par-
lamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Ver-
fügung.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Hartmut
Koschyk auf:
In jeweils welcher Höhe beabsichtigt die Bundesregierung, die
für das Jahr 2001 eingeplanten Haushaltsmittel in Höhe von
64 Millionen DM zur Unterstützung der deutschen Minderheiten
in Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa einschließlich nichteuro-
und über welche deutschen Mittlerorganisationen werden die Mit-
tel in den betreffenden Staaten – unter Angabe der jeweiligen
Höhe – zur Verfügung gestellt?
Herr Staatssekretär, bitte.
F
Ich darf die Frage wie folgt be-
antworten: Eine endgültige Aufteilung der Mittel auf die
jeweiligen deutschen Minderheiten in den genannten
Staaten ist noch nicht vorgenommen worden. Zum einen
ist der Haushalt 2001 vom Parlament noch nicht verab-
schiedet. Zum anderen hängt dies, wie Sie wissen, Herr
Kollege Koschyk, auch von den Planungsgesprächen mit
den jeweiligen Regierungen und Dachorganisationen der
deutschen Minderheiten ab, die noch nicht geführt wor-
den sind.
Wie in den vergangenen Jahren werden aller Voraus-
sicht nach rund zwei Drittel der durch den Haushalt be-
willigten Mittel auf Fördermaßnahmen in der Russischen
Föderation einschließlich der Nachfolgestaaten der
UdSSR entfallen. Der Rest wird für die Förderung der
deutschenMinderheiten in den übrigen StaatenOstmittel-,
Ost- und Südosteuropas verwandt.
Aus diesen von mir genannten Gründen kann noch
keine Aufteilung auf die einzelnen Mittlerorganisationen
vorgenommen werden. Ein erheblicher Teil der Projekt-
mittel wird über die Gesellschaft für Technische Zusam-
menarbeit und das Deutsche Rote Kreuz abgewickelt. Da-
neben werden – wie in der Vergangenheit – weitere rund
20 bis 30 Mittlerorganisationen bei der Durchführung der
Projekte beteiligt.
Eine Zusatzfrage,
bitte, Herr Kollege Koschyk.
Herr Staatssekretär,
die Mittel, die Sie angesprochen haben, sind in den letz-
ten Jahren – von 138,8 Millionen DM in 1998 auf 74 Mil-
lionen DM im laufenden Haushalt – erheblich zurückge-
gangen und sollen nach dem Haushaltsentwurf der
Bundesregierung im nächsten Jahr auf 64 Millionen DM
zurückgehen; das ist also noch einmal eine Verringerung
um 10 Millionen DM gegenüber dem Haushaltsansatz
dieses Jahres. Nimmt die Bundesregierung die erhebli-
chen Sorgen der Vertreter deutscher Minderheiten in den
betreffenden Staaten und zunehmend auch von Regie-
rungsstellen angesichts dieses Rückgangs zur Kenntnis?
Kann die Bundesregierung überhaupt einen weiteren
Rückgang der Mittel verantworten?
F
Herr Kollege Koschyk, wie Sie
wissen, befinden wir uns in sehr guten Gesprächen, auch
mit den Betroffenen. Sie wissen ebenfalls, dass es bei den
Maßnahmen, die wir fördern wollen, eine Veränderung
gegeben hat und wir nicht so sehr in Großprojekte ein-
steigen, sondern in viele kleinere, regional bezogene Pro-
jekte. Das wird übrigens auch gutgeheißen.
Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass wir mittlerweile an
der einen oder anderen Stelle so genannte Rückflussmit-
tel haben, die vor Ort zur Verfügung stehen. Dies muss bei
der Frage, welche Haushaltsmittel wo zur Verfügung ste-
hen, beachtet werden.
Zweite Zusatzfrage,
bitte sehr.
Herr Staatssekretär,ich darf jetzt einmal ein Land ansprechen, in dem es nieumstrittene und teilweise nicht erfolgreich durchgeführteGroßprojekte gegeben hat, sondern immer nur kleinere:die Republik Polen. Auch dort ist ein drastischer Rück-gang der Mittel von 26 Millionen DM im Jahr 1998 auf14 Millionen DM in diesem Jahr festzustellen. Wenn Siebei der Zweidrittelteilung bleiben – auch bei 10 Milli-onen DM weniger im nächsten Jahr –, wird das für Poleneinen weiteren erheblichen Rückgang von Mitteln zurFolge haben.Wie begründen Sie in einem solchen Fall, bei demdurch die Kürzungen laufende Projekte und der Erfolglaufender kleiner, regionaler Projekte – ganz in demSinne, wie Sie es gerade genannt haben – gefährdet sind,einen weiteren Rückgang der Mittel?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Oktober 2000
Parl. StaatssekretärWolf-Michael Catenhusen12070
F
Herr Kollege Koschyk, es gibt
eine Schwierigkeit. Ich könnte Ihnen eine Zahl nennen,
bei der ich nicht ganz sicher bin – es geht um Rückfluss-
mittel –, ob die Größenordnung stimmt; das müssen wir
noch überprüfen. Jedenfalls handelt es sich nicht um eine
unerhebliche Summe.
Im Übrigen denke ich, dass der Anteil unserer Förde-
rung im Fall von Polen im Verhältnis zukünftig gleich
bleibt. Sie wissen, nach den Minderheiten in den Nach-
folgestaaten der ehemaligen Sowjetunion erhielt Polen
den größten Anteil der Projektmittel. Ich gehe davon aus,
dass dieses Verhältnis in Zukunft trotz der veränderten
Haushaltssituation so bleiben wird.
Ich danke Herrn
Staatssekretär Körper.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Technologie auf. Zur Beantwortung
steht Herr Staatssekretär Siegmar Mosdorf zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Max
Straubinger auf:
Treffen neuerliche Zeitungsberichte zu, dass der Bund bereit ist, entgegen den bis-herigen Vereinbarungen mehr als 50 Prozent des EXPO-Verlusteszu tragen, und werden diesbezüglich Verhandlungen mit der nie-dersächsischen Landesregierung geführt?
Herr Staatssekretär, bitte.
S
Frau Präsiden-
tin! Lieber Kollege Straubinger, Sie haben im
„Straubinger Tagblatt“
etwas gelesen, was Sie unglaublich aufgeregt hat.
Herr Staatssekretär,
Sie sollten diesen Scherz für das ganze Publikum auf-
klären.
S
Max Straubinger
hat bei seiner Frage auf Zeitungsberichte aus dem
„Straubinger Tagblatt“ Bezug genommen.
Lieber Kollege Straubinger, Sie wissen, dass es Ende
August ein Gespräch des Bundesfinanzministers mit dem
niedersächsischen Ministerpräsidenten gegeben hat. Bei
diesem Gespräch ist vereinbart worden, gemeinsam alle
Anstrengungen zu unternehmen, um die Defizite bei der
EXPO so gering wie möglich zu halten. Die letzten Tage
der EXPO mit den positiven Besucherzahlen geben dazu
auch etwas Hoffnung. Es ist verabredet worden, dass De-
tailvereinbarungen nach Abschluss der EXPO und nach
Vorliegen der entsprechenden Berichte getroffen werden.
Erste Zusatzfrage,
Herr Kollege Straubinger, bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
Sie haben meinen Namen mit dem „Straubinger Tagblatt“
in Verbindung gebracht. Leider Gottes bin ich nicht der
Besitzer dieser Zeitung.
– Leider auch nicht. Das ist bei der SPD aufgrund ihrer
Beteiligungen möglicherweise leichter.
Der Bericht sagt ja – es wurde nicht nur im
„Straubinger Tagblatt“, sondern auch in der „FAZ“ und in
anderen größeren Zeitungen darüber berichtet –, dass der
Bund bereit ist, einen höheren Anteil an dem Defizit zu
übernehmen. Damit würde von der bisherigen Vereinba-
rung der hälftigen Teilung – 50 Prozent der Bund und
50 Prozent das Land Niedersachsen – abgewichen.
Damit stellt sich für mich die Frage: Was sind die ver-
gangenen Vereinbarungen insgesamt wert, wenn weitere
Verhandlungen durchgeführt werden, wenn der Bund of-
fensichtlich bereit ist, einen höheren Anteil des Defizits
zu übernehmen? Ein Weiteres: Ist die Defizitübernahme
– das wurde in den genannten Zeitungsberichten auch
dargestellt – im Hinblick auf zukünftige Entscheidungen
im Bundesrat zu sehen? Es wird kolportiert, dass gerade
wegen der notwendigen Zustimmung des Bundesrates zu
den Steuergesetzen bzw. zur Entfernungskostenpauschale
dem Land Niedersachsen ein Entgegenkommen signali-
siert werden soll.
S
Herr Kollege
Straubinger, es ist mir völlig schleierhaft, wie Sie auf die
letzte Frage kommen. Zu Ihrer ersten Frage möchte ich Ih-
nen sagen: Wir haben vertragliche Vereinbarungen – das
wissen Sie – und diese gelten bis zum Ende der EXPO. Es
ist verabredet worden, dass über die Behandlung des mög-
lichen Defizits bei Vorliegen der genauen Zahlen ent-
schieden werden soll. Ein solches Vorgehen entspricht
auch einer guten Praxis bei der Buchhaltung und bei
betriebswirtschaftlichen Abrechnungen. Würde man sich
über die Aufteilung des Defizits verständigen, bevor die
aktuellen Zahlen vorliegen, wäre das auch aus der Sicht
des Bundes nicht hilfreich. Wir wollen die endgültigen
Zahlen abwarten und dann die abschließenden Gespräche
führen.
Eine zweite Zusatz-
frage des Kollegen Straubinger.
Herr Staatssekretär,gesetzt den Fall, das errechnete Defizit von 2,4 Milliar-den DM wird zutreffen: Würde sich der Bund an diesemDefizit zu zwei Dritteln beteiligen, bedeutete dies für denBund eine zusätzliche Mehrbelastung von 384 Milli-onen DM. Gibt es in Ihrem Haus oder vonseiten der
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Oktober 2000 12071
Bundesregierung insgesamt Überlegungen, wie diesezusätzlichen 384 Millionen DM abgedeckt werden kön-nen?S
Ich kann Ihnen
bestätigen, dass Ihre Rechnung mathematisch stimmt. Ich
kann Ihnen aber nicht bestätigen, dass wir zwei Drittel des
Defizits übernehmen.
Herr Kollege Otto
will eine Zusatzfrage stellen.
Herr Staats-
sekretär, da in der Tat – worauf Herr Kollege Straubinger
zu Recht hingewiesen hat – nicht nur in dem bedeutenden
„Straubinger Tagblatt“, sondern in der gesamten deut-
schen Medienlandschaft die Rede davon war, der Bund
sei bereit, einen höheren Anteil an dem Defizit zu über-
nehmen, frage ich Sie: Sind diese Berichte alle an den
Haaren herbeigezogen? Hat es nicht doch schon Vorge-
spräche – welcher Art auch immer – gegeben, in denen
dem Land Niedersachsen – zufälligerweise das Land, aus
dem unser Bundeskanzler kommt – ein höherer Anteil des
Bundes signalisiert worden ist?
Ihre Antwort auf die Frage des Kollegen Straubinger
hat den Eindruck erweckt, als ob es in den abschließenden
Gesprächen nur noch um die Höhe des Defizits ginge. Ich
frage Sie: Hat es bisher keinerlei Vorgespräche mit der
niedersächsischen Landesregierung über die Höhe des
Anteils gegeben, den der Bund zu tragen bereit ist?
S
Verehrter Kol-
lege Otto, ich kann Ihnen nicht sagen, ob es Gespräche in
der Landesregierung darüber gegeben hat. Ich kann Ihnen
nur sagen, dass es Vereinbarungen gibt, die der Bundesfi-
nanzminister, wie ich ihn kenne, einhalten wird, und dass
keine Zusagen gemacht werden, bevor nicht die Endab-
rechnung vorliegt. Wir werden die Finanzen genau anse-
hen. Wenn auch Sie, Herr Otto, die EXPO besuchen und
mithelfen, dass noch mehr Besucher kommen, dann kann
die EXPO ja noch ein großer Erfolg werden. Erst wenn
die EXPO zu Ende ist, kann die genaue Höhe des Defizits
ermittelt werden. Danach werden wir das fair mit der nie-
dersächsischen Landesregierung besprechen. So wird das
Verfahren sein. Ich glaube, Sie würden das nicht anders
machen.
Nun hat der Kollege
Koppelin eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da
Frau Breuel erklärt hat, dass sie sich für die Verluste der
EXPO verantwortlich fühlt – das habe ich gelesen –,
möchte ich Sie fragen: Werden die Verantwortlichen für
das Defizit der EXPO – falls die Summe der Verluste, die
in den Medien genannt worden ist, zutrifft – in Regress
genommen werden?
S
Da Sie zu den-
jenigen gehören, die Frau Breuel damals gebeten haben,
diese Aufgabe zu übernehmen, möchte ich Ihnen sagen:
Sie hat sich mit Nachdruck in diese Aufgabe hineinge-
kniet und hat sich für die EXPO sehr engagiert. Deshalb
kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie Frau Breuel in Re-
gress nehmen wollen.
Damit danke ich dem
Herrn Staatssekretär Mosdorf.
Die Frage 4 wird schriftlich beantwortet. Die Frage 5
der Kollegin Gudrun Kopp aus dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten wird auch schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatsse-
kretärin Dr. Edith Niehuis zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 der Abgeordneten Maria Eichhorn
auf:
Wann wird die Bundesministerin für Familie, Senioren,Frauen und Jugend, Dr. Christine Bergmann, das seit langem ge-plante Gespräch mit dem tschechischen Jugendminister führen,dem insbesondere mit Blick auf die EU-Osterweiterung und dendeutsch-tschechischen Jugendaustausch große Bedeutung zu-kommt?
Frau Staatssekretärin, bitte.
D
Frau Kollegin, es wurden mehrere Terminvorschläge für
ein Treffen ausgetauscht. Allerdings konnte bislang kein
definitiver Termin vereinbart werden. Es wird jedoch be-
absichtigt, dass Frau Ministerin Dr. Bergmann nach Prag
reist, sobald eine Vereinbarung über den Zeitpunkt ge-
troffen ist. Das tschechische Ministerium für Bildung, Ju-
gend und Sport ist um die Übermittlung eines Terminvor-
schlags gebeten worden.
Eine Zusatzfrage,
bitte sehr.
Frau Staatssekretärin,
welche Gründe gibt es dafür, dass dieses seit längerer Zeit
geplante Gespräch bisher nicht zustande kam, und was
wurde konkret getan, damit dieses Gespräch schnellst-
möglich nachgeholt werden kann?
D
Herr Minister Zeman und Frau Ministerin Dr. Bergmannsollten ursprünglich – das wissen Sie sicherlich – ge-meinsam an einer Veranstaltung des Koordinierungsbürosfür den deutsch-tschechischen Jugendaustausch „Tan-dem“ im Oktober 1999 in Weimar teilnehmen. Im Rah-men dieses Treffens wollten sich beide Minister den Fra-gen der Vertreterinnen und der Vertreter von deutschenund tschechischen Jugendaustauschorganisationen stellen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Oktober 2000
Max Straubinger12072
und einen Meinungsaustausch über die jugendpolitischeZusammenarbeit führen.Herr Minister Zeman hat dann aufgrund aktueller Ent-wicklungen in Tschechien den Besuch kurzfristig abge-sagt. Er hat im Gegenzug Frau Ministerin Dr. Bergmannzu einem Arbeitsbesuch nach Prag eingeladen. FrauMinisterin Dr. Bergmann nahm diese Einladung an undwollte den Besuch mit einem Gespräch mit dem Arbeits-und Sozialminister Dr. Spidla verknüpfen. Wie Sie viel-leicht wissen, hat unser Ressort auch zu dem tschechi-schen Sozialministerium Kontakte. Der für April 2000 insAuge gefasste Termin konnte nicht realisiert werden, danicht alle drei Minister an dem geplanten Tag verfügbarwaren.Ein weiterer Terminvorschlag von tschechischer Seitefür ein Treffen am 20. Juli scheiterte an Terminschwierig-keiten auf deutscher Seite, ebenso wie der deutsche Alter-nativvorschlag für den 1. August auf tschechischer Seitescheiterte. Der vom tschechischen Jugendministerium an-gekündigte neue Terminvorschlag steht noch aus. Auf Ar-beitsebene ist bereits nachgefragt worden. Ein baldigerneuer Vorschlag wurde in Aussicht gestellt.
Die zweite Zusatz-
frage.
Ist daran gedacht, die-
ses Gespräch jetzt endgültig stattfinden zu lassen? Wenn
ich mir die Reihe der Versuche ansehe, zweifle ich daran,
ob das wirklich der Fall ist. Nimmt man sich jetzt einen
Zeitraum vor, in dem dieses Gespräch stattfinden soll,
meinetwegen bis Weihnachten, damit man das endlich ab-
haken kann?
D
Ich gehe davon aus, dass das noch in diesem Jahr stattfin-
det. Wir haben im Sommer, einmal die deutsche, einmal
die tschechische Seite, versucht, einen Terminvorschlag
für die drei Minister hinzubekommen. Dies ist unglückli-
cherweise nicht gelungen. Nun haben Minister und
Ministerinnen ja auch vielfältige Termine und wenn man
versucht, einen Termin für drei Minister zustande zu be-
kommen, erschwert das natürlich das Ganze. Sie können
sicher sein, dass sowohl die deutsche als auch die tsche-
chische Seite großes Interesse daran haben, dass dieses
Gespräch stattfindet; denn der deutsch-tschechische Ju-
gendaustausch ist ebenso wie die deutsch-tschechischen
Beziehungen in einem hervorragenden Zustand.
Ich rufe die Frage 7
der Kollegin Maria Eichhorn auf:
Was wird seitens des BMFSFJ getan, um die guten Kontakte,die auch durch den Aufbau des „Koordinierungszentrumsdeutsch-tschechischer Jugendaustausch“ entstanden sind, zu be-fördern?
Frau Staatssekretärin.
D
Das BMFSFJ fördert und unterstützt den deutsch-tsche-
chischen Jugendaustausch in erheblichem Umfang, im
Wesentlichen über das Koordinierungszentrum „Tandem“
in Regensburg. Diese Förderung hat zu einer erheblichen
Ausweitung der Jugendbegegnungen und zur Neugrün-
dung vieler Partnerschaften zwischen deutschen und
tschechischen Jugendorganisationen geführt.
Ab 1998 ist der Koordinierungsstelle die Bewirtschaf-
tung des größten Teils der Mittel aus dem KJP-Sonder-
programm für den deutsch-tschechischen Jugendaus-
tausch übertragen worden. Der Koordinierungsstelle
werden zusätzlich alljährlich Mittel zur Qualifizierung
des deutsch-tschechischen Jugendaustausches zur Verfü-
gung gestellt, zum Beispiel für Tagungen mit den Zen-
tralstellen der Jugendorganisationen sowie den Fachstel-
len, für die Erarbeitung von Materialien, für weitere
innovative Projekte.
Mit Unterstützung des BMFSFJ startete „Tandem“
neue Initiativen mit der Vermittlung von grenzüberschrei-
tenden beruflichen Praktika – zur ergänzenden Finanzie-
rung werden ESF-Mittel beantragt – sowie mit Hospitati-
onsaufenthalten in Einrichtungen der Jugendhilfe. Im
Jahre 1999 wurden 36 Hospitationen mit einer Dauer zwi-
schen vier und zwölf Wochen vermittelt und gefördert.
Mit Blick auf den EU-Beitritt Tschechiens werden auch
europäische Themen aufgegriffen.
Von großer Bedeutung insbesondere für die tschechi-
sche Seite sind der Erfahrungsaustausch und der Know-
how-Transfer zu Freiwilligendiensten. Tschechien ver-
fügt bislang noch nicht über Freiwilligendienste. Da es
jedoch an dem EU-Programm „Europäischer Freiwilli-
gendienst“ partizipieren möchte, sind die Erfahrungen
und Hilfestellungen aus Deutschland sehr willkommen.
Auch zwischen den beiden Jugendministerien gibt es
eine direkte Kooperation. Im Mittelpunkt eines im ver-
gangenen Jahr begonnenen und im kommenden Novem-
ber anstehenden, weiteren Hospitationsprogramms von
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beider Ministerien
steht der Erfahrungsaustausch über Strukturen der Ju-
gendhilfe auf beiden Seiten sowie über die Jugendgesetz-
gebung.
Zusatzfrage, bitte
sehr.
Frau Staatssekretärin,Sie haben gesagt, dass dieses Koordinierungszentrumeine hervorragende Arbeit leiste. Ich kann das nur bestäti-gen, weil ich des Öfteren dort Besuche abstatte, zumalsich das Zentrum in meiner Heimatstadt Regensburg be-findet. Bei dieser Gelegenheit habe ich festgestellt, dassdie dortigen Mitarbeiter hoch motiviert sind. Sie könntenund würden gern mehr leisten, als sie schon tun, wenn dieentsprechenden Möglichkeiten gegeben wären. Darumfrage ich: Gibt es Möglichkeiten, über den Haushaltsan-satz, den wir im Ausschuss beraten haben, hinaus dieseArbeit noch mehr zu fördern und zu unterstützen? Ichhabe Sie ja auch konkret gefragt, wie die guten Kontaktegefördert werden können. Gibt es über die finanziellen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Oktober 2000
Parl. Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis12073
Möglichkeiten hinaus von Ihrer Seite Bestrebungen aufder Ministeriumsebene oder wie auch immer, die gutenKontakte, die vorhanden sind, zu stabilisieren und nochmehr auszuweiten?D
Ich teile Ihre Auffassung, dass das Koordinierungsbüro
hervorragende Arbeit leistet. Dies ist, glaube ich, in den
letzten Jahren auch durch viele finanzielle Zuwendungen
deutlich geworden. Das zeigt nicht nur die Bewirtschaf-
tung des Sonderprogramms. Vielmehr sind seit 1997, wie
Sie wissen, steigend Haushaltsmittel für den deutsch-
tschechischen Jugendaustausch zur Verfügung gestellt
worden. Insofern kann ich Ihre Erwartung – die ich in-
haltlich vielleicht teile, haushaltstechnisch aber nicht –
dass noch mehr Mittel für den deutsch-tschechischen Ju-
gendaustausch zur Verfügung gestellt werden, nicht tei-
len.
Sie wissen, dass der internationale Jugendaustausch
sehr begehrt ist. Ich muss im Laufe des Jahres immer wie-
der Fragen von Abgeordneten aus diesem Haus beant-
worten, ob der Jugendaustausch mit diesem oder jenem
Land nicht intensiviert werden könnte. Es ist sehr erfreu-
lich, dass es ein großes Interesse am internationalen Ju-
gendaustausch gibt, aber Haushaltsmittel sind auch be-
grenzt.
Sie haben gefragt, was wir darüber hinaus getan haben.
Ich bin der Meinung, dass „Tandem“ für die deutsch-
tschechische Beratung in Jugendfragen sehr gute Leistun-
gen bringt. Sie wissen, dass der Leiter des deutschen
Büros, Herr Dr. Lenk, erneut in das deutsch-tschechische
Gesprächsforum berufen wurde. Das ist auch ein Beleg
dafür, dass „Tandem“ wichtige Aufgaben leistet und ge-
rade auch diesem höheren Gremium für den deutsch-
tschechischen Jugendaustausch wertvolle Beiträge liefert.
Es wird alles getan, um dieses wichtige Büro auch in die
allgemeinen deutsch-tschechischen Fragen einzubezie-
hen. Insofern ist die Zusammenarbeit hervorragend.
Noch eine Zusatz-
frage? – Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin,
teilen Sie meine Meinung, dass im Hinblick auf die EU-
Osterweiterung gerade die Verbindungen zwischen der
Jugend in Tschechien und Deutschland in Zukunft einen
großen Stellenwert haben müssen?
D
Diese Meinung teile ich voll. Sie wissen, dass diese Ar-
beit ein neues Standbein geworden ist. Dies gilt sicherlich
nicht nur für Tschechien, sondern es gilt auch für andere
Beitrittsländer. Darüber werden wir noch viel miteinander
reden müssen: über jugendpolitische Fragen, familienpo-
litische Fragen, frauenpolitische Fragen. Denn ein ge-
meinsames Europa hat nicht nur mit Wirtschaftsdaten zu
tun, sondern auch mit gesellschaftspolitischen Daten. Da-
ran arbeiten wir gerne.
Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin Dr. Niehuis.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes auf. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister
Dr. Christoph Zöpel zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Otto
auf:
Trifft es zu, dass die Bundesregierung angesichts des alsschlecht kritisierten Images der Bundesrepublik Deutschland inTschechien eine PR-Kampagne in den dortigen Medien startet undwelche Kosten sind dafür geplant?
Herr Staatsminister, bitte.
D
Ihre Frage lässt sich mit Nein beantworten.
Zusatzfrage, Herr
Kollege.
Herr Staats-
minister, wollen Sie tatsächlich in Abrede stellen, dass es
konkrete Vorbereitungen für eine solche PR-Kampagne
gibt und dass für diese PR-Kampagne Aufträge an
frühere, von der Deutschen Welle entlassene Mitarbeiter
erteilt worden sind?
D
Herr Kollege, dazu kann ich Ihnen Folgendes sagen:
Bei der Zusammenstellung der Unterlagen für die
Beantwortung Ihrer Frage hat das Auswärtige Amt darauf
keinen Hinweis gefunden. Mir persönlich ist es auch nicht
bekannt.
Zweite Zusatzfrage.
Ganz prä-
zise gefragt: Die Bundesregierung schließt aus, dass von
Ihrer Seite irgendwelche Vorbereitungen für eine PR-
Kampagne in Tschechien zugunsten des Images von
Deutschland gestartet worden sind? Das möchte ich ge-
nau wissen. Sie haben das ausgeschlossen. Habe ich Sie
richtig verstanden, dass die Bundesregierung keinerlei
Aktivitäten unternommen hat, Herr Staatsminister, um in
Tschechien eine PR-Kampagne zugunsten des Images
von Deutschland zu starten?
D
Herr Kollege, es macht immer Sinn, dass man kom-muniziert
– ja, eben –, um sich klar zu verstehen. Deshalb wieder-hole ich das, was ich eben gesagt habe: Aufgrund der Un-terlagen des Auswärtigen Amtes zu Ihrer Frage, ob es einePR-Kampagne seitens der Bundesregierung gebe, dieauch Kosten verursache – das können ja nur Mittel ausdem Bundeshaushalt sein –, beantworte ich die Frage
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Oktober 2000
Maria Eichhorn12074
nach meinem Wissen mit Nein. Wenn Sie mich allerdingsfragen, ob es in der Bundesregierung Überlegungen gebe,sich darum zu bemühen, dass die Einschätzungen derDeutschen über die Tschechen und der Tschechen über dieDeutschen besser werden, so kann ich dazu sagen, dasswir das tun. Ich kann Ihnen über die letzte Sitzung des Ko-ordinierungsrates des tschechisch-deutschen Gesprächs-forums ausführlich berichten. Dies war ein Gesprächsge-genstand dort. Es war allerdings nicht mit Kosten aus demBundeshaushalt verbunden.
– Die Kosten für die Sitzung werden aus dem Zukunfts-fonds beglichen. Der Referent bekommt auch aus demZukunftsfonds Honorar. Es ist nie auszuschließen – auchbei den weiteren Überlegungen, die ich für notwendighalte –, sich angesichts einer noch nicht voll bewältigtenVergangenheit, einer schwierigen Beziehung zu überle-gen, ob es Aufklärungsmaßnahmen geben könnte, dieman aus dem Bundeshaushalt bezahlen müsste. Ich sehezurzeit allerdings keinen Anlass dazu, weil ich mir vor-stellen kann, dass Anstrengungen aller Beteiligten imRahmen der normalen grenzüberschreitenden politischenKommunikation dazu einen wertvolleren Beitrag leistenkönnten.
Nun stellt der Kollege
Koppelin eine Frage.
Herr Staatsminister, ich
möchte Sie fragen, ob Sie bei der Vorbereitung der Be-
antwortung der Frage des Kollegen Otto auch andere
Häuser abgefragt haben, zum Beispiel das Bundespresse-
amt.
D
Es geht aus den mir zur Verfügung stehenden Un-
terlagen nicht hervor, ob das Auswärtige Amt das Bundes-
presseamt abgefragt hat.
Nun rufe ich die
Frage 9 des Kollegen Otto auf:
Weshalb haben die Vertreter der Bundesregierung im Rund-
funkrat der Deutschen Welle trotz des schwierigen Images
Deutschlands für die Beendigung des tschechischen Programms
der Deutschen Welle gestimmt?
Herr Staatsminister, bitte.
D
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Es ist in der Tat
richtig, dass die Deutsche Welle Programme einschränken
musste. Das hat damit zu tun, dass die Mittel, die der Bund
der Deutschen Welle zur Verfügung stellt, gekürzt wur-
den. Das wiederum ist im Rahmen der sowohl wirt-
schafts- als auch europapolitisch dringend erforderlichen
Haushaltskonsolidierung in Deutschland notwendig.
Damit in Zusammenhang stand die Frage, welche Pro-
gramme nicht mehr ausgestrahlt werden können. Das ist
kritisch geprüft worden. Es gibt dafür ein klares Krite-
rium: Überall dort, wo – das gilt vor allem für den grenz-
nahen Bereich – durch Deregulierung und Liberalisierung
des Medienmarktes Informationen relativ leicht zugäng-
lich sind, zum Beispiel deutschsprachige Hörfunkpro-
gramme außerhalb der Deutschen Welle relativ gut gehört
werden können, ist die Notwendigkeit deutschsprachiger
Sendungen der aus Bundesmitteln finanzierten Deutschen
Welle nicht mehr so notwendig.
– Das ist die tiefere Logik der Liberalisierung von Rund-
funk, Herr Kollege.
Zusatzfrage, Herr
Kollege Otto.
Herr Staats-
minister, ich hatte schon immer den Verdacht, dass Sie die
Liberalisierung nicht so richtig verstehen. Ich mache Sie
darauf aufmerksam, dass es hier um tschechischsprachige
Programme und nicht um deutschsprachige Programme
geht. Daher kommen Sie mit Ihrer Liberalisierung gar
nicht weiter.
Aber meine Frage ist folgende: War es denn den Ver-
tretern der Bundesregierung im Verwaltungsrat und im
Rundfunkrat der Deutschen Welle nicht möglich, zu er-
kennen, dass es – auch im Zusammenhang mit der Oster-
weiterung der EU – das nachweisbar schwierige Image,
das Deutschland in Tschechien hat, nahe legt, das tsche-
chische Programm weiterhin senden zu lassen? Wie kam
man angesichts der historischen Dinge, die wir vorhin an-
diskutiert haben, und angesichts der Tatsache, dass wir
vor der EU-Osterweiterung stehen, auf die Idee, ausge-
rechnet das tschechische Programm einzustellen?
D
Ich habe Ihnen das eben geschildert: Ein Abwä-
gungsprozess im Rahmen von notwendigen Konsolidie-
rungsbemühungen hat zu diesem Ergebnis geführt. Das
entscheidende Kriterium war, dass der außerhalb der
Deutschen Welle stattfindende Kommunikations- und
Medienaustausch zwischen beiden Ländern wegen der
gemeinsamen Grenze im Vergleich mit anderen Gegeben-
heiten auf dieser Welt umfassend ist.
Alle Erwägungen, die Sie sonst ansprechen, sind voll
nachzuvollziehen. Dass es eine Fülle von Bemühungen
geben muss, um die jeweiligen Auffassungen von Deut-
schen und Tschechen auch im Rahmen der zukünftigen
Mitgliedschaft der Tschechischen Republik in der EU ins
Bewusstsein zu heben, ist selbstverständlich.
Herr Kollege
Koppelin, bitte.
Herr Staatsminister, daSie angeführt haben, das Programm der DeutschenWelle in tschechischer Sprache habe aus Haushalts-gründen gestrichen werden müssen – Sie haben von
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Oktober 2000
Staatsminister Dr. Christoph Zöpel12075
Haushaltskonsolidierung gesprochen –, frage ich Sie, –für wie glaubwürdig Sie selber Ihre Antwort halten, an-gesichts der Tatsache, dass die rot-grüne Koalition zu-gleich zusätzliche Mittel in Höhe von 50 Millionen DMfür Friedensforschung zur Verfügung stellt.
– Das andere ist doch auch Friedensforschung.
Herr Staatsminister,
Sie dürfen die Frage beantworten.
D
Das habe ich auch vor; herzlichen Dank, Frau Prä-
sidentin.
Aus der hochkomplexen Vielfalt von Präventivmaß-
nahmen zur Konfliktvermeidung auf dieser Welt diese
beiden Dinge gegenüberzustellen führt ein wenig
in die Irre. Die hauptsächlichen Mittel, die dafür einge-
setzt werden, um Gewalt abzubauen bzw. bereits zivile
Konflikte zu vermeiden, entstammen den Zukunfts-
fonds – eine hervorragende Entscheidung, die unter der
Regierung gefällt worden ist, an der Sie beteiligt waren.
Wir versuchen, diese Zukunftsfonds weiterzuführen. Da-
mit wurde im tschechisch-deutschen Verhältnis ein spezi-
fischer Schwerpunkt bei der Konfliktvermeidung und der
Friedensgestaltung gesetzt, der im Vergleich zu vielen an-
deren Ländern – notwendigerweise – überdurchschnitt-
lich ist, sodass es – wenn ich mir das erlauben darf zu sa-
gen – der Sache nicht besonders dient, wenn Sie die Frage,
ob notwendige Entscheidungen im Rahmen der Deut-
schen Welle zu dem von Ihnen kritisierten Ergebnis ge-
führt haben, generell in eine Beziehung zur Friedens- und
Konfliktforschung in der Welt setzen.
Herr Kollege Hauser.
Herr Staatsmi-
nister, kann man, da Sie auf die Liberalisierung des Me-
dienmarktes abgestellt haben, davon ausgehen, dass Sie
sämtliche Programme der Deutschen Welle, die in Rich-
tung Osteuropa gehen, einstellen werden, sobald es ent-
sprechende Liberalisierungen auf dem dortigen Medien-
markt gibt? Kann man daraus weiter schließen, dass Sie
die Sinnhaftigkeit der Deutschen Welle überhaupt infrage
stellen, und zwar in dem Maße, wie sich die Liberalisie-
rung auf dem Medienmarkt in der Welt fortsetzt?
D
Ich kenne keinen vernünftigen Menschen, der die
Sinnhaftigkeit der Deutschen Welle infrage stellen würde.
– Auch er nicht.
Es macht Sinn, einen staatlich finanzierten Rundfunk und
ein staatlich finanziertes Fernsehen zu haben und das in
jenen Ländern auszustrahlen, in denen es relativ schwie-
rig ist, deutsche, in der jeweiligen Landessprache zu
übermittelnde Sachverhalte auf dem freien Medienmarkt
zu bekommen.
Es ist – ich nehme es auch nicht hin, Herr Otto, wenn
Sie sagen, ich hätte die Liberalisierung nicht verstanden –
in der Tat so: Dort, wo ein frei finanzierter Medienmarkt
dazu führt, dass man sich im Ausland über Deutschland in
der Form informieren kann, wie es über die Deutsche
Welle möglich ist, ist das eine sehr erfolgreiche Maß-
nahme, auch im Sinne des Abbaus nicht notwendiger
Staatstätigkeit. In Ländern hingegen, in denen das nicht
möglich ist – aus verschiedenen Gründen: weil es zu weit
ist, weil das Angebot der Medien zu klein ist –, wird die
Deutsche Welle weiterhin ihren Sinn behalten. Ich halte
das für völlig konsensual zwischen Menschen, die sich
um eine Liberalisierung des Medienmarktes bemühen.
Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass man das ernsthaft
diskutieren muss.
Nun kommt die
Frage 10 des Abgeordneten Dr. Christian Schwarz-
Schilling:
Welche konkreten Zusagen für den Wiederaufbau und die De-
mokratisierung in der Bundesrepublik Jugoslawien wurden dem
neu gewählten jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica auf
dem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der EU am
15. Oktober 2000 in Biarritz gegeben und in welchem Zeitraum
sollten sie eingehalten werden?
Herr Staatsminister, bitte.
D
Herr Kollege Schwarz-Schilling, die Staats- und Re-
gierungschefs der EU haben sich auf dem Europäischen
Rat in Biarritz darauf verständigt, die Bereitschaft zu ei-
ner Soforthilfe in Höhe von 200 Millionen Euro zu erklä-
ren, um damit die dringendsten Maßnahmen im Bereich
der Infrastruktur einleiten zu können. Die Bundesregie-
rung wird sich in den zuständigen EU-Gremien um die
unverzügliche Umsetzung dieses Beschlusses bemühen.
Zusatzfrage Nummer
eins, bitte sehr.
Teiltdie Bundesregierung die in der Parlamentsdebatte vom11. Oktober 2000 von den Vertretern der Koalitionsfrak-tionen vorgetragene Auffassung, dass die Nachbarn Ju-goslawiens im finanziellen Bereich auf keinen Fall politi-sches Opfer des Wechsels in Belgrad werden dürfen – ichglaube, Herr Erler hatte das sehr deutlich gesagt – unddass die finanziellen Mittel innerhalb des Stabilitätspak-tes nicht zulasten der anderen Empfängerländer umge-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Oktober 2000
Jürgen Koppelin12076
schichtet werden dürfen? Wenn ja: Wie will die Bundes-regierung dieser Forderung angesichts der geplantenMittelkürzungen von 2000 auf 2001 gerecht werden?D
Den Kern Ihrer Frage, Herr Kollege, kann ich mit Ja
beantworten. Die Bundesregierung teilt diese Auffassung
und sie ist, nachdem es jetzt die entsprechenden demo-
kratischen Voraussetzungen gibt, bemüht, für die notwen-
digen, durch europäische Hilfe zu finanzierenden Maß-
nahmen zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen.
Den letzten Teil Ihrer Frage, der sich auf Kürzungen in
einem Haushalt bezieht, habe ich nicht so einordnen kön-
nen, dass ich das beantworten könnte. Meinen Sie Kür-
zungen bei der EU oder im Bundeshaushalt?
Zunächst einmal bei der EU.
Herr Staatsminister.
D
Die 200 Millionen Euro Soforthilfe fließen außer-
halb des Stabilitätspaktes. Der Haushalt der EU für das
kommende Jahr ist noch nicht verabschiedet. Die Bun-
desregierung wird sich bemühen, zusätzlich zu den im
Rahmen des Stabilitätspaktes relevanten Maßnahmen
weitere Mittel einzustellen, sowohl kurzfristig als auch
bei der Finanzvorausschau bis 2006. Ihnen dürfte bekannt
sein, dass die ohnehin nicht einfache Debatte über die
Haushaltspolitik der EU darum geht, wie die auf dem Bal-
kan relevanten Programme mit den Prioritäten der
MEDA-Programme abgeglichen werden können.
Zweite Zusatzfrage,
bitte sehr, Herr Kollege.
Wenn ich das richtig verstanden habe, dann stimmt das
mit dem überein, was der Koordinator des Stabilitätspak-
tes, Bodo Hombach, in der „FAZ“ gesagt hat: dass die So-
forthilfen für Jugoslawien zunächst aus den nationalen
Budgets der EU-Mitgliedstaaten finanziert werden soll-
ten. Das ist natürlich für jemanden, der die europäische
Koordination vornehmen soll, ein guter Vorschlag. Aber
es ergibt sich die Frage: Aus welchen Etatmitteln wird
dann die Bundesrepublik Deutschland eine solche Finan-
zierung gewährleisten? Ist das in den Haushaltsberatun-
gen bereits vorgesehen?
D
Ihre Frage steht in Zusammenhang mit anderen Fra-
gen. Ich muss das jetzt beantworten, ohne dass ich an der
entsprechenden Stelle noch einmal ganz exakt nach-
gucken kann. Erlauben Sie mir, dass ich unter diesem Vor-
behalt einige Antworten gebe.
Es gibt ja in der EU Auseinandersetzungen darüber,
wie das geschehen soll. Hier hat die Bundesregierung in
der Tat eine Grundsatzposition, nämlich: Von der Agen-
da 2006 soll nicht abgewichen werden – das ist eine wich-
tige und auch richtige Position; ich verweise auch hier auf
die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung –, sodass
innerhalb der EU Umschichtungen notwendig sind.
Vor einem Jahr hätte auch ich das für einen etwas leich-
teren Vorgang gehalten. Ich habe inzwischen miterlebt,
wie schwierig das ist und wie da je nach Nähe der Mit-
gliedstaaten zu anderen von der EU zu bedenkenden Ge-
bieten reagiert wird. Aber wir halten daran fest, dass es
möglich sein müsste, innerhalb der EU-Haushalte mehr
Mittel für Südosteuropa bereitzustellen, und wir haben
den Eindruck, dass das MEDA-Programm im Augenblick
so langsam abläuft, dass hier zumindest zeitlich Um-
schichtungen möglich sind. Das ist die Position hierzu.
Aber die Haushaltsberatungen sind dort noch nicht be-
endet.
Im Rahmen des Bundeshaushalts gibt es einige zu-
sätzliche, in diesem Jahr schon aktivierbare Möglichkei-
ten im Einzelplan des BMZ. Im Rahmen der Haushalts-
beratungen, die in diesem Hause noch laufen, wird man
sich darauf verständigen können und müssen, ob es einen
Finanzbedarf gibt, der tatsächlich im Jahr 2001 finanz-
wirksam wird. Dabei teile ich – wie viele andere – Ihre
Erwartung undAnalyse, dass das wohl der Fall sein wird.
All dies kommt noch
einmal in den weiteren Fragen zur Sprache, aber trotzdem
hat die Kollegin Heinen zu einer Zusatzfrage das Wort.
Herr Staatsminister, ich
habe noch einmal eine Nachfrage: Woher kommt jetzt ge-
nau das Geld, diese 200 Millionen Euro, die die EU jetzt
in Aussicht gestellt hat? – Das habe ich doch richtig ver-
standen: Die Europäische Union hat der Bundesrepublik
Jugoslawien, also Kostunica, 200 Millionen Euro in Aus-
sicht gestellt. Die Zusatzfrage ist jetzt also, wann genau
Jugoslawien das Geld erhält – der Winter ist ja nun sehr
nahe – und woher das Geld aus dem EU-Haushalt konkret
kommt.
D
Frau Kollegin, jeder, der seit jetzt 14 Monaten mit-erlebt, wie in Brüssel entschieden wird, und hier sagt, erkönne das genau beantworten, wird Ihnen nicht die Wahr-heit sagen. Es kann keiner genau sagen. Das dauertmanchmal Monate lang. Ich habe miterlebt, wie lange esgedauert hat, bis die Montenegro-Hilfe lief. Es liegt auchnicht in der Macht eines einzelnen Mitgliedstaates. Eswäre nicht sinnvoll, wenn ich an dieser Stelle kritischeBemerkungen zu anderen Mitgliedstaaten und ihrem Ver-halten machen würde. Ich kann Ihnen nur sagen: Wer sichhier hinstellt und sagt, er wisse genau, was in welcherRatssitzung der Europäischen Union passiert und wieschnell das Geld abfließt, der handelt nicht verantwort-lich.Vielleicht verfolgen Sie ja auch, dass generell die fis-kalischen Aspekte der Außenpolitik der EU Gegenstandder Außenministerkonferenzen sind – das war auch in
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Oktober 2000
Dr. Christian Schwarz-Schilling12077
Gymnich der Fall –, und im Augenblick gibt es einige Be-schlüsse, das zu verbessern.Ich muss Ihnen das so sagen. Die Bundesregierungwird versuchen – sie hat das auch in den vergangenenzwölf Monaten getan –, das so schnell zu beschleunigen,wie es geht. Aber es müssen immer 14 andere zustimmen.Je nach Fall kann ein Veto ausreichen – manchmal ist aucheine qualifizierte Mehrheit notwendig –, um dies zu ver-hindern.Für die Bundesregierung gilt der Obersatz, dass wirvon der Agenda 2006 nicht abweichen wollen. Daher las-sen sich zusätzliche Mittel nur von Mitteln an anderenHaushaltsstellen abzweigen, die bisher noch nicht ab-geflossen sind. Von diesen Mitteln gibt es auch im inter-nationalen Bereich bekanntlich genug. Das kann man inspäteren Jahren wieder ausgleichen.
Jetzt hat der Kollege
Weiß eine Zusatzfrage.
Herr
Staatsminister, können Sie bestätigen, dass im Frühjahr
dieses Jahres die EU-Kommission vorgeschlagen hat, für
den Balkan einen Hilfeplan mit einem Finanzvolumen
von 5,5 Milliarden Euro aufzulegen, wovon 2,3 Milliar-
den Euro für Jugoslawien im Falle eines demokratischen
Machtwechsels in Serbien, wie er jetzt mit der Wahl von
Herrn Kostunica zum Präsidenten eingeleitet worden ist,
vorgesehen waren, dass aber die Realisierung dieses Hil-
feplans im Rat, also von den Regierungen, abgelehnt wor-
den ist, weil dies bedeutet hätte, dass die finanzielle Vo-
rausschau für die Jahre 2000 bis 2006 hätte geändert
werden müssen?
Bedeutet Ihre Antwort, die Sie auf die Frage von Herrn
Schwarz-Schilling gegeben haben, dass die Bundesregie-
rung eventuell auf diesen Plan der EU-Kommission
zurückkommen und im Rat vorschlagen wird, dass die fi-
nanzielle Vorausschau der EU für die nächsten Jahre im
Hinblick darauf doch noch geändert wird?
D
Herr Kollege, ich glaube, ich habe die Frage beant-
wortet. Die Bundesregierung, hier insbesondere der Fi-
nanzminister – auch ich teile diese Grundposition –,
möchte nicht von der Agenda 2006 abweichen. Sämtliche
jährlichen Haushaltspläne der EU – über den Haushalts-
plan 2001 wird derzeit beraten – wie auch die Modifi-
zierungen der Finanzvorausschau sind für mehrere Jahre
gültig. Der von Ihnen genannte Betrag von 5,5 Milliar-
den Euro bezieht sich auf die Jahre bis 2006. Es ist immer
sinnvoll, zu sagen – ich glaube, darüber sind wir uns ei-
nig –, für welchen Zeitraum entsprechende Haushaltszah-
len gültig sind. Der Betrag muss sich also im Rahmen des
Haushaltsvolumens, das nach der Agenda 2006 zur Ver-
fügung steht, bewegen.
Es gibt in diesem Zusammenhang einen Vorschlag für
ein Programm, das CARDS genannt wird. Wenn sich die
benötigten Mittel im Rahmen der mittelfristigen Finanz-
vorausschau bewegen, ist eine Realisierung möglich. An-
gesichts des derzeitigen Mittelabflusses in anderen
Programmen kommen wir zu der Überzeugung, dass das
möglich sein muss.
Ich glaube nicht, dass es sinnvoll wäre, von der
Agenda 2006 abzuweichen; denn eine Übereinstimmung
darüber war schwer genug zu finden. Ich sage ausdrück-
lich – über diesen Punkt kann man nicht streiten –: Es gibt
in Europa auf fiskalischem Gebiet derzeit nichts Wichti-
geres, als in Südosteuropa schnell zu helfen. Wenn man
aber sozusagen den Deckel der Agenda 2006 anheben
würde, käme man in viele Untiefen bezüglich der Oster-
weiterung. Auch das muss ich Ihnen nicht erklären. Ich
glaube, die Position, dieses Problem im Rahmen der
Agenda 2006 zu lösen, ist richtig.
Ich rufe die Frage 11
des Kollegen Dr. Christian Schwarz-Schilling auf:
Sind die von Deutschland und Europa für dieses und für nächs-tes Jahr in Aussicht gestellten Hilfen an Bedingungen geknüpft,etwa hinsichtlich der Demokratie des Landes, insbesondere in derTeilrepublik Serbien, und wenn ja, an welche?
Herr Staatsminister, bitte.
D
Herr Kollege, Ihre Frage berührt einige Punkte, diewir eben schon angesprochen haben. Die Bundesregie-rung hat bereits vor Amtsantritt von Präsident Kostunicaan Serbien humanitäre Hilfe geleistet und die demokrati-schen Oppositionskräfte unterstützt. Die Bundesregie-rung wird auch weiterhin solche humanitäre Hilfe leisten,sofern dafür Bedarf besteht. Die Regierung hat keinenZweifel daran gelassen, dass weiter gehende Hilfe die Ab-lösung des Regimes Milosevic durch eine demokratischlegitimierte Regierung voraussetzt.Ich komme auf die EU zu sprechen. Auch sie hat vorder Demokratisierung Serbiens humanitäre Hilfe geleistetund die demokratische Opposition unterstützt. Sie hatgleichfalls keinen Zweifel daran gelassen, dass eineumfangreichere Unterstützung die Ablösung desMilosevic-Regimes durch eine demokratische Regierungvoraussetzt.Die aktuell geltende Rechtsgrundlage für die Hilfspro-gramme der EU im Westbalkan, die OBNOVA-Verord-nung, macht dies in Art. 2 explizit deutlich. Dort steht:Grundlage und wesentliches Element dieser Verord-nung ist die Beachtung demokratischer und rechts-staatlicher Prinzipien sowie die Achtung der Men-schenrechte und Grundfreiheiten.Im Entwurf der eben schon zitierten CARDS-Verord-nung heißt es:In diesem Sinne ist die Hilfe insbesondere für denAuf- und Ausbau des institutionellen, rechtlichen,wirtschaftlichen und sozialen Rahmens bestimmt,der sich an den Werten und Modellen ausrichtet, aufdenen die Europäische Union gründet.Die Wahrung der demokratischen Grundsätze, derMenschenrechte, der Rechte der Minderheiten undder Grundfreiheiten ist eine Voraussetzung für dieGewährung der Hilfe.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Oktober 2000
Staatsminister Dr. Christoph Zöpel12078
Ich glaube, mit dieser neuen Verordnung wird das fort-gesetzt, was schon in der Vergangenheit Praxis sowohl derBundesregierung als auch der Europäischen Union hin-sichtlich der Hilfen für demokratische Oppositionsgrup-pierungen war.
Zusatzfrage, Herr
Kollege?
Ich
habe mit Genugtuung gehört, dass Sie diese Konditiona-
lität erwähnt haben, frage Sie aber: Warum sind auf dem
EU-Gipfel in Biarritz, wie veröffentlicht wurde, die Ge-
währung der Wiederaufbauhilfe und die Aufhebung der
europäischen Wirtschaftssanktionen ohne jede Bedin-
gung erfolgt? Wir haben davon nichts vernommen.
Ich weiß, dass mit der neuen Regierung, wenn man sie
schon so bezeichnen darf, Gespräche auch über den Min-
derheitenschutz geführt worden sind, insbesondere was
die Vojvodina anbetrifft. Warum werden nicht die Mit-
telzuführungen ganz konkret mit solchen Fragen verbun-
den? Bezogen auf die übrigen umliegenden Länder – ich
erinnere an die Republika Srpska – sehe ich immer nur die
Mittel fließen, ohne dass aber eine Änderung in Richtung
der Struktur erfolgt, die wir haben möchten.
D
Herr Kollege, es wäre zunächst einmal formal kor-
rekt, wenn ich sagen würde: Der Europäische Rat in Bi-
arritz hat in sehr kleinem Rahmen getagt. Ich war nicht
dabei. Ich kann Ihnen nicht sagen, warum dies nicht in der
Erklärung stand. – Diese Antwort aber würde dem Pro-
blem nicht gerecht werden.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass es – dies verbindet
sich ja mit der Tatsache, dass es zu Milosevic überwie-
gend keine diplomatischen Beziehungen gegeben hat und
dies auch mit Sanktionen verbunden war – Zweifel daran
geben kann, dass die Freigabe der Mittel darauf zurück-
zuführen ist, dass es jetzt nach freien Wahlen einen de-
mokratisch gewählten Präsidenten gibt, der sich bemüht,
in einem komplizierten Prozess – ich brauche Ihnen das
nicht zu schildern – der wirklichen Demokratie näher zu
kommen.
Auf dem Biarritz-Gipfel gab es keine formellen
Konklusionen. Das ist ein Vorteil für die Verhandlung,
aber ein Nachteil in Bezug auf die Korrektheit dessen, was
nachher übermittelt wird. Das kann auch ein Grund ge-
wesen sein.
Die Schwierigkeiten der EU bei der Umsetzung – ich
konnte dies auf Fragen eben schildern – haben wie alles
Schlechte auch einen Vorteil: Dabei wird auf all diese
Aspekte zu achten sein. Ich füge hinzu, weil mir dies
wegen persönlicher Bekanntschaften zu politischen Re-
präsentanten sehr wichtig ist: Wir werden ein besonde-
res Augenmerk darauf richten, inwieweit die Vojvodina
im Rahmen des demokratischen Prozesses, der hoffent-
lich – dies kann man als Deutscher sagen – föderale
Aspekte haben wird, Berücksichtigung findet. Ich per-
sönlich möchte mich dafür verbürgen, dass wir Sie – wie
natürlich das ganze Haus – laufend darüber informieren
werden.
Ihr Hinweis, soweit er über das hinausgeht, was ich
abstrakt dazu sagen kann, ist ausgesprochen dankenswert.
Eine Zusatzfrage der
Frau Kollegin Heinen.
Herr Staatsminister,
knüpfen Sie die Hilfen an die Bundesrepublik Jugosla-
wien an die Bedingung, dass Milosevic nach Den Haag
ausgeliefert wird?
D
Diese Frage wird nicht nur von Ihnen, sondern von
vielen gestellt. Ich denke, es ist auch berechtigt, dies zu
diskutieren.
Es ist ganz unstreitig, dass die völkerrechtliche Posi-
tion, dass Kriegsverbrecher im ehemaligen Jugoslawien
der internationalen Gerichtsbarkeit ausgeliefert werden
müssen, nicht aufgegeben werden kann.
Für die Frage, wie schnell oder wie langsam dies geht,
würde ich diesen Maßstab wählen: Wie lange hat es in
früher diktatorisch-kommunistischen Staaten gedauert,
bis die Gerechtigkeit ihren Lauf genommen hat? Darin
schließe ich unseren Umgang mit strafbaren Handlungen
in der ehemaligen DDR ein. Ich bitte, dies als Maßstab an-
zusetzen, wenn wir die Verhältnisse in Serbien respektive
der heutigen Bundesrepublik Jugoslawien berücksichti-
gen. Es macht auch Sinn, zu prüfen, wie das jugoslawi-
sche Recht mit dem Völkerrecht kompatibel gemacht
werden kann. – Ich glaube, ein anderer Umgang damit
wäre wenige Tage nach dem Erfolg demokratischer Op-
positionskräfte nicht sinnvoll.
Herr Kollege Weiß
hat eine Zusatzfrage. Bitte sehr.
Herr
Staatsminister, für die Entwicklungszusammenarbeit der
Bundesrepublik Deutschland mit vielen Ländern der Welt
gelten bestimmte Kriterien: Demokratie, Rechtsstaatlich-
keit und – wie es im EU/AKP-Abkommen enthalten ist –
Good Governance, so genannte – das kann man schlecht
übersetzen – gute Regierungsführung. Sind für die Hilfen,
die Jugoslawien zugesagt worden sind, auch solche Kri-
terien maßgeblich und entscheiden darüber, ob solche Hil-
fen dauerhaft geleistet werden?
D
Abstrakt – das habe ich mehrfach gesagt – unstrei-tig Ja. Im Augenblick besteht folgende Aufgabe. Wirmöchten, dass auch diese Länder Europas, sobald es gehtund ohne Verzögerung, die wir verschulden, in die Euro-päische Gemeinschaft integriert werden können. Auf demWeg dorthin ist, wie in allen anderen postkommunisti-schen Staaten, eine Menge zu machen an Institutionenbil-dung, an der Schaffung von Voraussetzungen für Good
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Staatsminister Dr. Christoph Zöpel12079
Governance, an Ausformung eines entsprechendenRechtssystems. Die Hilfen dienen teilweise sozusagendazu, die Voraussetzungen erfüllen zu können. Das allesist selbstverständlich. Im Augenblick – so sage ich Ihnenoffen – bin ich beeindruckt von der Fähigkeit von Oppo-sitionsparteien, dies überhaupt herbeigeführt zu haben.Dahinter steckt mehr Demokratie als in manchen Ge-wohnheitsdemokratien in westeuropäischen Ländern.Da zu drängen, auch nach mancher Fehleinschätzung,
die sich westeuropäische Staaten geleistet haben, hielteich für verkehrt. Das Ergebnis, das die Bundesregierungwill, das vermutlich Sie wollen und das ich will, ist, dassnichts unterlassen werden darf, damit sich Serbien undMontenegro so schnell wie überhaupt möglich zusammenauf den Weg zur europäischen Integration und zur vollenVerpflichtung auf die Kopenhagen-Kritieren begeben.
Nun rufe ich die
Frage 12 des Abgeordneten Peter Weiß auf:
Wie viele Mittel für Nothilfe und Wiederaufbaumaßnahmen
und zur Unterstützung der demokratischen Entwicklung in der
Bundesrepublik Jugoslawien wird die Bundesrepublik Deutsch-
land in diesem Jahr und in 2001 aus welchen Einzelplänen und
Haushaltstiteln zur Verfügung stellen?
Jetzt können wir das ganze Thema noch einmal von der
anderen Ecke beleuchten. Herr Staatsminister.
D
Herr Kollege, dazu kann ich Ihnen mitteilen, dass
die Mittel, die die Bundesregierung für Nothilfe und Wie-
deraufbaumaßnahmen und zur Unterstützung der demo-
kratischen Entwicklung in der Bundesrepublik Jugosla-
wien im Jahr 2000 zur Verfügung stellt, aus den
300 Millionen DM in dem Kap. 60 04 Tit. 547 04 – er hat
die Überschrift „Sonstige Leistungen im Rahmen des Sta-
bilitätspakts für Südosteuropa“ – stammen. Das Auswär-
tige Amt wird in diesem Jahr für die Bundesrepublik
Jugoslawien ohne Kosovo insgesamt 33 Millionen DM
zur Verfügung stellen. Davon entfallen 19 Millionen DM
auf humanitäre Hilfe und Demokratisierungshilfe, die
über Städteprojektpartnerschaften im Rahmen des Sze-
ged-Prozesses des Stabilitätspaktes abgewickelt wurden.
Es wird derzeit geprüft, ob darüber hinaus noch weitere
Mittel zur Verfügung gestellt werden können.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit hat angekündigt, in diesem Jahr 30 Millio-
nen DM für die Bundesrepublik Jugoslawien ohne
Montenegro und Kosovo zur Verfügung zu stellen. Diese
Mittel setzen sich aus 10 Millionen DM Barmitteln
– 5 Millionen DM werden dem entsprechenden Ministe-
rium in seinem Einzelplan 23 überplanmäßig zur Verfü-
gung gestellt – und 20 Millionen DM aus Verpflichtungs-
ermächtigungen zusammen.
Die Bundesregierung beabsichtigt, für das Jahr 2001
Mittel in Höhe von 200 Millionen DM für den Stabilitäts-
pakt Südosteuropa im Einzelplan 23 zu veranschlagen.
Was daraus wird, entscheidet der Bundestag.
Erste Zusatzfrage,
Herr Kollege Weiß.
Herr
Staatsminister, zulasten welcher Länder werden die der
Bundesrepublik Jugoslawien zusätzlich zur Verfügung
gestellten Mittel gehen, wenn ausweislich des Haus-
haltsplanentwurfs der Bundesregierung für das Jahr 2001
die Mittel aus dem Einzelplan 23 und dem Einzelplan 60
zusammengenommen für die Länder Mittel-, Ost- und
Südosteuropas – also die MOE-Programme, die Trans-
form-Programme und die Stabilitätspaktmittel – von 2000
auf 2001 um 151 Millionen DM gekürzt werden, was ei-
ner Kürzung von 28 Prozent entspricht? Zulasten welcher
Länder geht es, wenn zusätzlich neue Mittel für Jugosla-
wien zur Verfügung gestellt werden sollen?
D
Es geht darum, die Punkte, die klar sind, von denenzu scheiden, die noch nicht geklärt werden konnten. DemBundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeitwerden in diesem Jahr zusätzliche Mittel zur Verfügunggestellt, die es verausgaben kann.
– Ja, das sind 5 Millionen DM. Wir befinden uns ziemlicham Ende des Jahres; somit ist das vermutlich ein Betrag,der in Ordnung geht, selbst wenn man davon ausgeht, dassin Ländern, in denen es noch nicht ganz so bürokratischwie teilweise in Deutschland zugeht, Mittel schneller ver-ausgabt werden können. Wenn man selber einmal einenInvestitionshaushalt verantwortet hat, weiß man, wielange das dauert. Außerdem gibt es Verpflichtungser-mächtigungen für das nächste Jahr.Lassen Sie mich auf alle Fragen, die das nächste Jahrbetreffen, sagen: Als der Haushaltsentwurf vorgelegtwurde, konnte man nicht mit Sicherheit voraussehen, dassdie demokratischen Oppositionsparteien in Jugoslawiengewinnen würden. Das ist jetzt eingetreten. Sowohl aufdie Frage, welche Umschichtungen es innerhalb einzel-ner Etats geben soll – wobei ich zu den Dispositions-möglichkeiten im Etat des Bundesministeriums fürwirtschaftliche Zusammenarbeit nichts sagen kann, weilich ihn nicht verantworte –, als auch auf die Frage, wel-che Vereinbarungen außerdem bei den Haushaltsbera-tungen noch getroffen werden, werde ich heute keineabschließende Äußerung von mir geben können. Es ob-liegt dem Bundestag, dieses zu tun. Soweit ich das mit-verfolgen kann, wird darüber intensiv beraten.In vielen Fällen sind solche Maßnahmen ohne Erhö-hung des Haushaltsetats möglich, weil bei Investitionshil-fen immer und überall der Zeitfaktor zu berücksichtigenist. Oft hat es auch keine negativen Auswirkungen, wennman Haushaltsmittel gegen Verpflichtungsermächtigun-gen austauscht oder einmal ein Projekt um ein weiteresJahr streckt. Darüber kann man dann zwar sehr intensivdiskutieren – das bleibt einem unbenommen –, aber einemvernünftigen Management im Rahmen der Haushaltsbe-ratung wird es gelingen, die Vorkehrungen zu treffen, die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Oktober 2000
Staatsminister Dr. Christoph Zöpel12080
notwendig sind, um in Serbien und Montenegro in diesemund im nächsten Jahr das Erforderliche zu tun. Jetzt nochweiter darauf einzugehen macht keinen Sinn. Diese Fra-gen liegen überwiegend in der Entscheidungsgewalt desBundestages.
Zweite Zusatzfrage?
– Bitte sehr.
Herr
Staatsminister, in diesem Zusammenhang möchte ich
noch einmal auf einen Sachverhalt, den schon Herr
Schwarz-Schilling angesprochen hat, zurückkommen. In
der Debatte zu Jugoslawien in der letzten Sitzungswoche
haben die Vertreter der Regierungskoalition sehr nach-
drücklich vorgetragen, dass die Maßnahmen, die jetzt not-
wendig sind, um den demokratischen Wechsel und den
Wiederaufbau in Jugoslawien zu unterstützen, nicht
zulasten der anderen Länder in dieser Region gehen sol-
len. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie an dieser
Stelle noch einmal ausdrücklich fragen: Teilt die Bundes-
regierung diese Auffassung von Vertretern der Regie-
rungskoalition? Heißt das, dass Sie während der jetzt noch
laufenden Haushaltsberatungen Vorschläge unterbreiten
werden, wie die vorgesehenen Mittelkürzungen für die
Länder Mittel- und Osteuropas zurückgenommen bzw.
die Mittel erhöht werden können?
D
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die fi-
nanziellen Hilfen für Serbien und Montenegro nicht zu-
lasten anderer Länder auf dem Balkan gehen dürfen. Dass
das im Rahmen der Etatberatungen hier diskutiert wird,
wissen Sie so gut wie ich. Das muss ich nicht von neuem
darstellen. Hinsichtlich dessen, wie sich das haushalts-
technisch auswirkt, möchte ich mich nicht festlegen. Ich
verweise schlichtweg noch einmal darauf, dass man vor
allem Investitionsprogramme nicht daran messen darf,
was in einem Jahr passiert, da sie gestreckt werden kön-
nen. Viele der Dinge, über die wir hier sprechen, werden
noch in zehn Jahren im Haushalt ihren Niederschlag fin-
den.
Nehmen wir einmal ein Beispiel: Eine Brücke über die
Donau zwischen Bulgarien und Rumänien lässt sich
selbst dort nicht über Nacht bauen. Es macht keinen Sinn,
aus dem Faktor, wann der Mittelabfluss tatsächlich ge-
schieht, oder aus Verschiebungen über einige Jahre hin-
weg grundsätzliche Wertungen abzuleiten. Das macht
auch vor dem Hintergrund unserer fiskalischen Interessen
keinen Sinn; es kann vielmehr zu Verwirrungen führen.
Zusammengefasst lautet die Auffassung der Bundesre-
gierung, dass der Stabilitätspakt jetzt noch besser greifen
kann und alles das, was für Serbien getan wird, nicht zu-
lasten anderer Staaten erfolgen darf.
Nun rufe ich die
Frage 13 des Kollegen Peter Weiß auf:
Wie viele Mittel für Nothilfe und Wiederaufbaumaßnahmen
und zur Unterstützung der demokratischen Entwicklung in der
Bundesrepublik Jugoslawien wird die EU in diesem Jahr und in
2001 aus welchen Einzelplänen und Haushaltstiteln zur Verfü-
gung stellen?
Herr Staatsminister.
D
Herr Kollege, Sie wollten mit Ihrer Frage eine Ant-
wort darauf haben, woher die Mittel der EU für die Bun-
desrepublik Jugoslawien ohne Montenegro und Kosovo
im Einzelnen kommen. Ich kann Ihnen dazu sagen, dass
im Haushaltsjahr 2000 aus dem regulären Budget des
OBNOVA-Programms, das Bestandteil des Kapitels 7-5 4
„Zusammenarbeit mit den aus dem ehemaligen Jugosla-
wien hervorgegangenen Republiken“ ist, bisher 10 Milli-
onen Euro für Serbien zur Verfügung gestanden haben.
Über Kap. B7-2 1, Überschrift „Humanitäre Hilfe“ – dies
finanziert die EU-Organisation ECHO –, sind in diesem
Haushaltsjahr 32 Millionen Euro nach Serbien geflossen.
Davon gingen 4 Millionen Euro in die Vojvodina, und
zwar für die Opfer der Flutkatastrophe, die sich dort in
diesem Jahr ereignet hat.
Zusätzlich zu diesen Mitteln – darüber haben wir schon
gesprochen – hat der Europäische Rat in Biarritz eine So-
forthilfe in Höhe von 200 Millionen Euro beschlossen.
18 Millionen Euro stammen aus noch vorhandenen
ECHO-Mitteln und 2 Millionen Euro aus noch vorhande-
nen OBNOVA-Mitteln mit dem Untertitel „Schools for
Democracy“. 180Millionen Euro sollen zu diesem Zweck
neu in den OBNOVA-Etat eingestellt werden. Entschul-
digen Sie bitte, dass ich Ihnen erst jetzt dazu eine genaue
Auskunft geben konnte.
Erste Zusatzfrage,
bitte sehr.
Herr
Staatsminister, trifft es zu, dass die Europäische Kommis-
sion zur Finanzierung der von Ihnen soeben angesproche-
nen zusätzlichen Mittel vorgeschlagen hat, Kürzungen ei-
nerseits im Titel für den Agrarhaushalt 2001 und
andererseits im MEDA-Programm der Europäischen
Union vorzunehmen? Stimmt es, dass sich vor allen Din-
gen Frankreich nicht mit den Kürzungen im Agrarhaus-
halt und sich vor allen Dingen Spanien nicht mit den Kür-
zungen im MEDA-Programm einverstanden erklären
will? Wie beurteilt die Bundesregierung die Vorschläge
hinsichtlich der Umschichtungen innerhalb des EU-Haus-
halts? Wie können nach Ansicht der Bundesregierung die
angekündigten zusätzlichen Mittel für Jugoslawien sei-
tens der EU tatsächlich zur Verfügung gestellt werden?
D
Fragen dieser Art haben wir schon häufiger zu be-antworten versucht. Die Antwort darauf kann ich jetztpräzisieren. Über das von mir schon zitierte CARDS-Programm zur Unterstützung für den Westbalkan wirdnoch verhandelt. Im Rahmen der geltenden finanziellenVorausschau – Agenda 2000 – wären lediglich 3,5 Milli-arden Euro für den Wiederaufbau des Balkans bereit-stellbar gewesen. Die Bundesregierung setzt sich dafürein, dass durch Umschichtungen innerhalb der Rubrik 4
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Oktober 2000
Staatsminister Dr. Christoph Zöpel12081
„Externe Politiken“ der finanziellen Vorausschau derEU zusätzliche finanzielle Spielräume eröffnet werden,die eine Aufstockung der Westbalkanhilfe auf 5 Milliar-den Euro ermöglichen würden. Im Rahmen dieser Fi-nanzplanung wird sich die Bundesregierung im Haus-haltsverfahren 2001 dann für eine entsprechendeErhöhung des bisherigen Haushaltsansatzes einsetzen.Die für die Aufstockung der CARDS-Mittel erforder-lichen Beiträge sollen nach Vorstellung der Bundesregie-rung durch Begrenzung des Mittelansatzes für das neuauszuhandelndeMEDA-Programm auf 5Milliarden Eurogeleistet werden. Nach unserer Kenntnis über denAbflussder Mittel des MEDA-Programms wird dort im Augen-blick kein Geld ausgegeben, weshalb die Umsetzung die-ses Vorhabens möglich ist. Hierüber wird mit Spanien,mit Italien, mit Griechenland und – nach meiner Be-obachtung der diesbezüglichenWortmeldungen imAllge-meinen Rat – weniger intensiv mit Frankreich zweifellosstreitig verhandelt.Im Rahmen der Haushaltsverhandlungen werden sehrviele Tatbestände miteinander vernetzt. Wir gehen im Au-genblick davon aus, dass sich im Blick auf den Gesamt-haushalt Kompromisse finden lassen. Wir sind auch gernbereit, Sie ständig über den Fortschritt zu informieren.
Noch eine Zusatz-
frage des Kollegen Weiß, bitte sehr.
Herr
Staatsminister, Sie haben dargelegt, dass die zusätzlichen
Hilfen für Jugoslawien durch Umschichtungen im Haus-
halt der Europäischen Union finanziert werden, die den
Plafond des Etats nicht erhöhen. Trifft es zu, dass im Falle
der EU-Hilfen nicht gewährleistet ist, dass die Aussagen
der Vertreter der Koalitionsfraktionen in der Debatte der
letzten Sitzungswoche eingehalten werden, dass die Hil-
fen für Jugoslawien nicht zulasten anderer Länder gehen?
Bedeuten diese Umschichtungen nicht vielmehr, dass an-
dere Programme und andere Länder – im Zweifel auch an-
dere Länder des Balkans – mit weniger Mitteln seitens der
EU zu rechnen haben, wenn die angekündigte Jugosla-
wienhilfe tatsächlich finanziert werden soll?
D
Herr Kollege Weiß, wir wollen uns ja verständigen:
Ich habe vorhin auf Ihre Frage, ob die vorgesehenen Maß-
nahmen zulasten von Ländern auf dem Balkan gehen wür-
den, eindeutig gesagt: nein. Das wiederhole ich jetzt. Ich
habe an keiner Stelle gesagt – ich habe sehr genau aufge-
passt –, dass diese Maßnahmen nicht zulasten außerhalb
des Balkans liegender Länder, die im Rahmen der exter-
nen Politik der EU Hilfen erhalten, gehen könnte, wobei
offen bleibt, zu welchem Ausgleich es im Verlauf der Zeit-
achse kommt.
Deshalb wiederhole ich: Unsere Analyse der Haus-
haltsansätze und vor allem des Haushaltsvollzugs der
diesbezüglichen Politik der EU führt zu dem Ergebnis,
dass beim Abfluss der MEDA-Mittel – ich nenne jetzt
keine genaue Prozentzahl; aber sie ist so niedrig, dass man
erschrickt – keine konkreten Schäden auftreten.
Da in jeder Haushaltsverhandlung jedem daran Betei-
ligten etwas einfällt, was gekürzt werden kann – sonst
gäbe es ja in Bezug auf den Haushalt keine Kürzungsvor-
schläge der Opposition –, würde ich es an dieser Stelle für
die einzig verantwortliche Strategie halten zu sagen: Wir
brauchen für den Westbalkan so schnell wie möglich mehr
finanzielle Hilfen. Es ist aber nicht nötig, die für diesen
Zweck im Haushalt angesetzten Mittel zu erhöhen. Viel-
mehr ist es sowohl angesichts der Haushaltsansätze als
auch angesichts des Mittelabflusses im Zeitablauf mög-
lich, den vorgesehenen Haushaltsrahmen beizubehalten,
niemandem konkret zu schaden und trotzdem dem West-
balkan zu helfen.
– Dass wir beide das hoffen, verbindet uns. Es freut mich,
dass Sie das hoffen.
Nun rufe ich die
Frage 14 der Kollegin Ursula Heinen auf:
Welche Sanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawiensind durch Beschlüsse aufgehoben worden bzw. sollen aufgeho-ben werden?
Herr Staatsminister, bitte.
D
Der Allgemeine Rat der Europäischen Union hat am
9. Oktober 2000 in Luxemburg beschlossen, sämtliche
Sanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, mit
Ausnahme derjenigen Bestimmungen aufzuheben, die
sich unmittelbar gegen den ehemaligen Präsidenten
Milosevic und mit ihm verbundene Personen richten.
In Umsetzung dieses Beschlusses wurden am 9. Okto-
ber 2000 das Ölembargo und das Verbot von Flügen zwi-
schen dem Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien und
dem Gemeinschaftsgebiet aufgehoben. Vorbereitet wird
derzeit die Aufhebung der Finanzsanktionen gegen Un-
ternehmen, Institutionen und Einrichtungen mit Sitz in
der Teilrepublik Serbien. An deren Stelle soll das gezielte
Einfrieren von Guthaben des ehemaligen Präsidenten
Milosevic, mit ihm verbundener Personen und von Un-
ternehmen, Institutionen und Einrichtungen, die von die-
ser Personengruppe kontrolliert werden, treten.
Zusatzfrage, Frau
Kollegin? – Bitte.
Gehe ich recht in der
Annahme, dass Sie die Aufhebung der Sanktionen nicht
an irgendwelche Bedingungen knüpfen, dass also das,
was Sie vorhin auf die Frage des Kollegen Schwarz-
Schilling zu den Finanzhilfen geantwortet haben, in ähn-
licher Weise auf die Sanktionen zutrifft?
D
Ja.
Ihre zweite Zusatz-frage.
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Staatsminister Dr. Christoph Zöpel12082
Meine zweite Frage lau-
tet: Sie sprachen von der Umwandlung der Finanzsank-
tionen. Wann wird es Ihrer Meinung nach dazu kommen?
Denn Sie sagten, das Ölembargo etc. seien sofort aufge-
hoben worden und die Aufhebung der Finanzsanktionen
in Bezug auf Unternehmen solle in näherer Zukunft er-
folgen. Wann wird das in etwa der Fall sein?
D
Ich möchte die aus meiner Sicht begründbare Er-
wartung äußern, dass dies auf dem nächsten Allgemeinen
Rat, der am 20. November 2000 stattfinden wird, erfolgen
wird.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Weiß.
Herr
Staatsminister, Sie hatten ja bereits die gegenüber
Milosevic und seiner Familie verhängten Finanzsank-
tionen angesprochen. Dabei geht es um Mittel, die
hauptsächlich auf Bankkonten außerhalb Jugoslawiens
geparkt sind. Gibt es seitens der Bundesregierung und der
Europäischen Union Bemühungen, dass diese dem Volk
und dem Staat vom Milosevic-Clan geraubten Mittel si-
chergestellt und für Maßnahmen, die den Wiederaufbau in
Jugoslawien betreffen, zur Verfügung gestellt werden?
D
Es gibt diesbezüglich Bemühungen der internatio-
nalen Staatengemeinschaft. Immer dann, wenn sich eine
günstige Gelegenheit ergibt, sprechen wir Regierungen
von Staaten, über die zu lesen bzw. zu hören ist, es gebe
dort solche Gelder, darauf an.
– Wir sprechen solche Länder in der Form an, die unse-
rem Einfluss entspricht. Sie nennen in diesem Zusam-
menhang China. Auf dieses Land kann man sicherlich we-
niger Einfluss als auf Zypern nehmen. Ich war dort im
Rahmen meines offiziellen Besuches. Ich habe dem
Außenminister, Herrn Kasoulides, sehr deutlich gemacht,
dass jeglicher Hinweis darauf, dass dort mit Wissen und
Beteiligung der zypriotischen Regierung derartige Kon-
ten eingerichtet wurden, einen Vertrauensverlust im Wege
des Integrationsprozesses bedeuten würde.
Zum Umgang mit China fallen mir im Augenblick nur
die WTO-Verhandlungen ein. Ob sie dazu geeignet sind,
auf China Einfluss zu nehmen, ist offen. Die internatio-
nale Staatengemeinschaft, an ihrer Spitze die Vereinigten
Staaten – sie sind etwas mächtiger als die Bundesregie-
rung –, bemüht sich darum. Ich wollte Ihnen anhand des
einen Falles, an dem ich mich selber beteiligen konnte,
schildern, wie wir vorgehen.
Ich danke dem Herrn
Staatsminister für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen steht
die Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara
Hendricks zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 15 der Abgeordneten Ursula Heinen
auf:
In welchem Umfang wird sich die Bundesrepublik Deutsch-land am Treuhandfonds der Weltbank für die Finanzierung drin-gender Entwicklungsaufgaben in der Bundesrepublik Jugosla-wien beteiligen?
Frau Staatssekretärin, bitte.
D
Frau Kollegin Heinen, ei-
nen Treuhandfonds der Weltbank für Jugoslawien gibt es
bislang nicht. Sollte künftig ein solcher Fonds eingerich-
tet werden, wird sich die Bundesregierung entscheiden,
ob und in welchem Umfang sie sich daran beteiligen wird.
Erste Zusatzfrage.
Recht herzlichen Dank
für Ihre Antwort, Frau Staatssekretärin. Meine Frage lau-
tet: Gibt es denn schon Beratungen über die Einrichtung
eines solchen Treuhandfonds? Sind Sie schon darauf an-
gesprochen worden?
D
Es gibt in diesem Zusam-
menhang natürlich Überlegungen. Aber es kann zurzeit
noch nichts dazu gesagt werden, ob und – wenn ja – mit
welchem Volumen ein Treuhandfonds von der Weltbank
tatsächlich aufgelegt werden wird. Das hängt unter ande-
rem von einer gemeinsamen EU Weltbank-Mission in der
Region ab. Sie wird noch in diesem Monat stattfinden.
Zweite Zusatzfrage,
bitte sehr.
Kann die Bundesrepu-
blik Jugoslawien damit rechnen, dass sie in näherer Zu-
kunft wieder in den Internationalen Währungsfonds und
in die Weltbank aufgenommen wird?
D
Ich vermag diese Frage
nicht zu entscheiden, weil es sich um multilaterale Gre-
mien handelt, die das letztlich für sich allein entscheiden
müssen. Klare Voraussetzung für die Wiederaufnahme in
die Weltbank ist allerdings die Aufnahme in den Interna-
tionalen Währungsfonds. In dieser Reihenfolge müsste
das erfolgen.
Wenn sich das demokratische System in der Bundesre-
publik Jugoslawien, wie wir es alle wünschen, festigt,
wird sich die Bundesregierung in den multilateralen Gre-
mien natürlich dafür einsetzen, dass die Bundesrepublik
Jugoslawien wieder aufgenommen wird.
Eine Zusatzfrage desKollegen Weiß.
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Frau
Staatssekretärin, Hauptproblem für eine eventuelle Wie-
deraufnahme der Bundesrepublik Jugoslawien in den In-
ternationalen Währungsfonds wie in die Weltbank ist der
hohe Schuldenstand, den die Bundesrepublik Jugosla-
wien bei diesen beiden internationalen Finanzinstitutio-
nen hat. Deshalb wäre es für eine Wiederaufnahme not-
wendig – so wie es auch bei anderen Ländern der Fall
war –, dass sich eine Gebergemeinschaft für eine Über-
brückungsfinanzierung für Jugoslawien findet.
Aus diesem Grunde möchte ich die Bundesregierung
fragen: Ist seitens der Bundesregierung beabsichtigt, sich
an einer Überbrückungsfinanzierung für die Bundesrepu-
blik Jugoslawien zu beteiligen, um ihr wieder die Mit-
gliedschaft im Internationalen Währungsfonds und in der
Weltbank zu ermöglichen?
D
Sehen Sie, Herr Kollege
Weiß, diese Maßnahmen sind alle aufeinander abzustim-
men. Sie sind auch nicht kumulativ, sondern alternativ zu
ergreifen. Wenn zum Beispiel, wie aus der Frage der Kol-
legin Heinen hervorgeht, ein Weltbanktreuhandfonds ein-
gerichtet wird, dann muss nicht zugleich noch ein anderes
Finanzierungsgremium daneben treten. Da wir im Mo-
ment noch nicht genau wissen, wie die multilateralen Or-
ganisationen hier vorgehen werden – ich hatte davon ge-
sprochen, dass die gemeinsame Mission von EU und
Weltbank und möglicherweise des IWF noch in diesem
Monat stattfinden wird –, können wir diese Entscheidung
jetzt noch nicht fällen. Sie können aber zuversichtlich
sein, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre interna-
tionalen Verpflichtungen entsprechend der demokrati-
schen Entwicklung in Jugoslawien wahrnehmen wird.
Die Bundesrepublik Jugoslawien ist mit 1,7 Milliarden
US-Dollar im Ausland verschuldet. Das ist zwar eine
große Summe, die aber andererseits noch überschaubar
ist. Es ist nicht das, was man sich beispielsweise ange-
sichts der hohen Verschuldung des Bundeshaushaltes un-
ter einer sehr hohen Verschuldung vorstellt. Gleichwohl
ist es schwer, sich angesichts von 1,7 Milliarden US-
Dollar Auslandsverschuldung und der vorliegenden Ver-
hältnisse, der Kriegszerstörungen und des Niedergangs
der Wirtschaft in der Bundesrepublik Jugoslawien, vorzu-
stellen, dass Jugoslawien dies alleine leisten kann.
Seien Sie versichert: Wir werden die erforderlichen In-
strumente im Rahmen der internationalen Solidarität mit-
tragen und in den multilateralen Organisationen für eine
demokratische Bundesrepublik Jugoslawien werben. Al-
lerdings halte ich es nicht für sinnvoll, jedes denkbare Fi-
nanzierungselement kumulativ nebeneinander zu stellen.
Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin.
Die Fragen 16, 17 und 18 werden schriftlich beant-
wortet.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht die
Frau Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Schulte
zur Verfügung.
Ich rufe die Fragen 19 und 20 der Abgeordneten Ina
Albowitz auf:
Trifft es zu, dass Soldaten aufgrund der für sie geltenden be-
sonderen Altersgrenzen im Falle einer Ehescheidung bei dem ge-
setzlich vorgeschriebenen Versorgungsausgleich benachteiligt
werden und im Vergleich zu Beamten und anderen Berufsgruppen
in kürzerer Zeit vergleichsweise höhere Anwartschaften erwer-
ben?
Trifft es zu, dass ein Berufssoldat, der mit dem 53. Lebensjahr
pensioniert wurde, viele Jahre Versorgungsausgleich abgezogen
bekommt, ohne dass die von ihm geschiedene Ehefrau davon ei-
nen unmittelbaren Vorteil hat, und mit welcher Begündung wird
so verfahren?
Bitte sehr, Frau Staatssekretärin.
B
Frau Kollegin Albowitz, IhreFrage möchte ich differenziert beantworten.Sie erinnern sich: Das Bundesverfassungsgericht hatzur Zeit der sozial-liberalen Koalition – die den Versor-gungsausgleich eingeführt hat – in einer Grundsatzent-scheidung vom 28. Februar 1980 ausgeführt, dass der Ver-sorgungsausgleich zwischen geschiedenen Ehegatten mitdem Grundgesetz vereinbar ist. Soweit der Gesetzgeberaufgefordert wurde, grundgesetzwidrigen Auswirkungenzu begegnen, ist das mit dem Gesetz zur Regelung vonHärten im Versorgungsausgleich im Februar 1982 erfolgt.Danach unterbleibt die Kürzung des Ruhegehalts eineszur Zeit des aktiven Dienstes geschiedenen Berufssolda-ten nur in den im Gesetz näher bezeichneten Fällen: Ers-tens wenn der betreffende ausgleichberechtigte Ehepart-ner verstirbt, bevor das Ruhegehalt gezahlt wird, undzweitens wenn bei einer gesetzlichen Unterhaltsver-pflichtung des Ausgleichspflichtigen gegenüber dem ge-schiedenen Ehegatten bis zur Rentenberechtigung mitdem Versorgungsausgleich die entsprechenden Leistun-gen des Ehepartners in der erworbenen Ehezeit gleich-mäßig aufgeteilt sind.Versuche des Bundesministerium der Verteidigung – eskam wiederholt die Klage, dass Soldaten benachteiligtwürden –, eine andere Regelung für betroffene Berufssol-daten zu erreichen, sind auch in der Zeit der christlich-li-beralen Regierung und an den Stellungnahmen der betei-ligten Ministerien, nämlich des Bundesinnenministeriums,des Bundesarbeits- und -sozialministeriums, des Bundes-justizministeriums sowie des Bundesfinanzministeriumsaus folgenden Gründen gescheitert: Wir haben eine wach-sende Zahl von Rentnern und Pensionären. – Verbesse-rungen müssten nicht nur für Berufssoldaten, sondernauch für alle anderen Berufsgruppen erfolgen; diese sindnicht zu finanzieren.Die Höhe des Versorgungsausgleichs hängt dabei we-sentlich von dem Verhältnis der in die Ehezeit fallendenruhegehaltfähigen Dienstzeit zu der bis zu der jeweiligenAltersgrenze verlängerten so genannten Gesamtzeit ab.Da aber Berufssoldaten wegen ihrer im Vergleich zuBeamten, die zumindest nach dem Gesetz bis zum 65. Le-bensjahr arbeiten können, je nach Dienstgrad vorgezoge-nen Altersgrenzen eine geringere Gesamtzeit aufweisen,ergibt sich aufgrund der genannten Verhältnisrechnungfür sie ein höherer auszugleichender Versorgungswert.
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Dies hatte ja auch die Zeitschrift des Deutschen Bundes-wehr-Verbandes berichtet.Ein solcher bei Soldaten berufsbedingter und damitstets proportional höherer Versorgungsausgleich ergibtsich aber auch bei Beamten oder solchen Personengrup-pen, bei denen wegen Dienstunfähigkeit ein vorzeitigerVersorgungsfall eintritt und daher der Berechnung einekürzere Gesamtzeit zugrunde zu legen ist. Hier kann esaufgrund des versorgungsausgleichsrechtlichen Bewer-tungsverfahrens dazu kommen, dass sich bei Erwerb ei-nes Versorgungsanspruchs vor der sonst maßgebendenAltersgrenze ein höherer auszugleichender Ehezeitanteilergibt.Dieser höher auszugleichende Wert ist bei Soldaten un-mittelbare Folge des Soldatenversorgungsrechts. VieleBerufssoldaten scheiden aufgrund ihres Dienstgradesfrüher aus. Wenn sie dann die erforderlichen vierzigDienstjahre und damit die Höchstversorgung in Höhe von75 Prozent der Besoldung des letzten Amtes nicht erreichthaben, erhalten sie einen Zuschlag, der rund 13 Prozentder früheren Besoldung betragen kann. Damit erreicht fastjeder Berufssoldat bei seinem Ausscheiden sein Höchst-ruhegehalt. Deswegen liegt keine Benachteiligung derSoldaten vor. An dieser vergleichsweise günstigeren ver-sorgungsrechtlichen Ausgestaltung nimmt im Rahmendes Versorgungsausgleichs natürlich auch der geschie-dene Ehepartner teil.Das frühere Ausscheiden des Berufssoldaten kann sichim Rahmen des Versorgungsausgleichs allerdings auchpositiv auswirken. Dies gilt dann, wenn sich der Berufs-soldat im Zeitpunkt der Ehescheidung bereits im Ruhe-stand befindet. In diesem Fall sind – ebenso wie im Be-amtenbereich – die Versorgungsbezüge erst dann zukürzen, wenn aus der Versicherung des berechtigtenEhepartners eine Rente zu gewähren ist.Damit ergibt sich: Die dargestellte Situation ist mitdem Gesetz vereinbar und – so bedauerlich das ist, weil esauch andere Berufsgruppen betrifft – nicht zu verändern.
Nun haben wir alle
verstanden, wie kompliziert das ist. Nun hat die Kollegin
Albowitz das Wort.
Frau Staatssekretärin, ich danke
Ihnen sehr herzlich. Ich denke, nur wir beide und einige
wenige wissen, worüber hier geredet wurde. Insofern
möchte ich das jetzt abkürzen: Ich habe keine Bun-
deswehrzeitung, sondern vielmehr einen Vorgang dazu
bei mir auf dem Tisch liegen. Sie haben – ich glaube, das
geht auch nicht anders – bereits einen Teil der Frage 20
mit beantwortet. Nach der bestehenden Bundeswehrpla-
nung sollen Soldaten teilweise früher in den Vorruhestand
geschickt werden, wodurch sich das Problem verschärft.
Bei einem geschiedenen Soldaten, der nach der momen-
tanen Planung mit 48 Jahren in den Vorruhestand gehen
könnte und damit circa 30 Jahre bei der Bundeswehr wäre,
müsste in den Versorgungsausgleich erheblich länger ge-
zahlt werden, ohne dass die Ehefrau, die erst mit 65 Jah-
ren in Rente gehen kann und die nicht bei der Bundeswehr
ist, davon profitieren könnte.
Ich weiß nicht, ob wir das hier angesichts der Kompli-
ziertheit des Themas so fortsetzen sollten. Ich wäre dank-
bar, wenn Sie auf die Fragen schriftlich eingehen oder wir
über die Probleme ein Gespräch führen könnten.
B
Ich wollte gern etwas ausführ-
licher auf Ihre Fragen antworten. Wir haben das ja dann
im Protokoll stehen. Es ist eine sehr komplizierte
Angelegenheit.
Gerne, wenn die Frau Präsi-
dentin das gestattet.
Ich wollte uns nur ein
bisschen Entspannung verschaffen, indem ich gesagt
habe, wir hätten jetzt alles verstanden. Es ist sehr gut,
wenn Sie es hier klären könnten. Ich bin an dem Thema
grundsätzlich interessiert.
B
Wir sind alle an dem Thema in-
teressiert, weil wir als Abgeordnete verstärkt angespro-
chen werden. Wir alle kennen die Fälle, in denen jemand
kurz nach Erreichen der Altersgrenze den Ehepartner und
damit den entsprechenden Versorgungsanteil verliert. Das
gleiche Problem gibt es auch bei der Rente. Es trifft jeden
– auch bei anderen Berufsgruppen; wir haben uns das im
Einzelnen zeigen lassen – in dem Fall, in dem der Ehe-
partner relativ früh verstirbt und die nach der Eheschei-
dung auf diesen übertragene Versorgungsanwartschaften
verloren gehen. Eine Ausnahme besteht dort, wo die
Übergangszeit weniger als 24 Monate betrug.
Dieses Dilemma betrifft auch den ausscheidenden Be-
rufssoldaten. Er wird aber nur dann mit 48 Jahren in den
Ruhestand gehen, wenn wir ihm eine entsprechend gute
Altersversorgung gewähren. Sonst kann er sich das wahr-
scheinlich nicht erlauben.
Ich bin sehr erstaunt, dass fast alle Berufsgruppen von
diesem Problem betroffen sind. In manchen Fällen sind
die Folgen für die Betroffenen besonders hart. Aus Grün-
den der Gleichbehandlung lässt sich aber kaum eine an-
dere Regelung treffen.
Eine Zusatzfrage,
Frau Kollegin Albowitz.
Frau Staatssekretärin, ich binmir nicht sicher, ob wir das nicht doch regeln könnten. Be-rufssoldaten können ohnehin früher als der normale Bür-ger – auch unter Berücksichtigung aller Vorruhestandsre-gelungen – in den Ruhestand gehen. Es ist notwendig,tatsächliche oder von Bürgern als solche empfundene Un-gerechtigkeiten zu beseitigen.Ich bin mir nicht sicher, ob ein Berufssoldat, der mit48 Jahren ausscheidet, weil im Rahmen der neuen Bun-deswehrplanung ein geringerer Bedarf entstanden ist, eine
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Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte12085
besondere Versorgung braucht. Er ist in diesem Alter nochjung genug – das werden die meisten auch so sehen –, umsich eine zusätzliche Versorgung aufzubauen. Wir fordernauch an anderen Stellen den Aufbau einer privaten Vor-sorge durch Abschluss von Privatversicherungen in denkommenden Jahren. Ich denke, im Zusammenhang mit ei-ner umfassenden Sozialreform müssen wir auch an diesenPunkt herangehen, um für einen gewissen Grad an Ge-rechtigkeit zu sorgen.B
Frau Kollegin Albowitz, ich
möchte nur daran erinnern: Es gibt den Fall der Berufs-
offiziere der Luftwaffe, die mit 41 Jahren in den Ruhe-
stand gehen können. Das sind die Strahlflugzeugführer,
die im Vergleich zu anderen Berufsgruppen auch früher
höhere Anwartschaften erwerben. Auch das ist geprüft
worden. Wir mussten für Gerechtigkeit für alle sorgen.
Die Soldaten, die normalerweise mit 53 Jahren in Pen-
sion gehen – Offiziere gehen zum Beispiel mit 56 oder
59 Jahren in Rente –, werden sich selbstverständlich nicht
so früh pensionieren lassen, wenn die Grenze, ab der sie
einen Pensionsanspruch erwerben können, nicht auf 48
Jahre abgesenkt würde.
Wenn sich der Soldat scheiden lässt, bekommt die Ehe-
partnerin als Ausgleichsberechtigte einen entsprechenden
Anteil an der Pension. Ich weiß zwar, dass das für die Be-
troffenen unbefriedigend ist. Aber ich sehe unter dem Ge-
rechtigkeitsgesichtspunkt keine Möglichkeit für eine an-
dere Regelung.
Wir haben gestern Abend lange über Alternativen dis-
kutiert. Das Ganze wird sofort zu einem Mann-Frau-
Thema, weil die Zahl der Frauen, die wie wir beide, Frau
Albowitz, oder wie die Frau Vizepräsidentin hohe Alters-
versorgungsansprüche haben und ihren Männern im Fall
einer Scheidung eher etwas abgeben müssten, außeror-
dentlich gering ist. Viele Männer hingegen diskutieren
über dieses Thema mit Leidenschaft. Manchmal wird man
auch als Abgeordnete eingeschaltet, wenn jemand die
Regelung für zu ungerecht hält. Aber ich muss Ihnen ehr-
lich gestehen: Es lässt sich nicht anders regeln.
Drum prüfe, wer sich
ewig bindet. Es muss auch noch die Frage beantwortet
werden: Wie soll der Versorgungsausgleich im Hinblick
auf das Verhältnis von Soldaten mit kürzerer Dienstzeit
und Rentnerinnen und Rentnern geregelt werden? Das
möchte ich zu bedenken geben. Ich bitte um Nachsicht.
Eigentlich steht mir eine solche Anmerkung nicht zu.
Die Fragen 21 und 22 werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur
Beantwortung steht Herr Staatssekretär Siegfried
Scheffler zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 23 des Abgeordneten Paul Breuer
auf:
Kann die Bundesregierung definitiv zusagen, ab dem Jahre2001 Finanzmittel für den vorbereitenden Grunderwerb sowiezum Weiterbau der Autobahn A 4 von Olpe-Süd bis zur Kromba-cher Höhe und der Hüttentalstraße, B 54, bis Kreuztal zur Verfü-gung zu stellen?
S
Lie-
ber Kollege Breuer, wenn Sie gestatten, beantworte ich
Ihre Fragen 23 und 24 im Zusammenhang, da es in beiden
um eine Infrastrukturmaßnahme in Nordrhein-Westfalen
geht.
Herr Kollege Breuer,
sind Sie damit einverstanden?
Ja.
Dann rufe ich auch
Frage 24 auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, zügig Fi-nanzmittel aus dem Zukunfts-Investitions-Programm fürden vorbereitenden Grunderwerb zum Weiterbau der Hüttental-straße, B 62, von Siegen-Süd über die Landesgrenze Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz einzusetzen?
Bitte sehr.
S
Über
die Verwendung der Erlöse aus der Versteigerung der
UMTS-Lizenzen wird im Rahmen des Zukunftsinvesti-
tionsprogramms der Bundesregierung, das für den
Straßenbau mit Schwerpunkt Ortsumgehung zusätzlich
2,7 Milliarden DM für drei Jahre vorsieht, zusammen mit
den Koalitionsfraktionen und im Zusammenhang mit den
Beratungen über den Haushaltsentwurf 2001 entschieden.
Daher können zurzeit noch keine konkreten Zusagen zur
Finanzierung von einzelnen Straßenbauvorhaben ge-
macht werden.
Erste Zusatzfrage,
bitte.
Herr Staatssekretär, wie
können Sie sich erklären, dass der nordrhein-westfälische
Verkehrsminister Schwanhold bereits Zusagen, die offen-
bar nicht mit dem Bundesminister für Verkehr abge-
stimmt sind, in der Öffentlichkeit abgegeben hat? Daran
möchte ich eine zweite Frage anschließen: Wie können
Sie sich erklären, dass Projekte, für die das Baurecht nicht
gilt und für die die Planfeststellungsunterlagen neu er-
stellt werden müssen – ich spreche von der Autobahn Bie-
lefeld–Halle –, von dem eben genannten Landesverkehrs-
minister in der Öffentlichkeit als quasi finanziert
dargestellt werden? Ist hier die Kommunikation zwischen
der nordrhein-westfälischen Landesregierung und der
Bundesregierung gestört?
S
DieKommunikation – das muss ich voranstellen – zwischender Bundesregierung und der Landesregierung in NRWistzurzeit nicht gestört und war auch noch nie gestört. Daswar in den Zeiten, als Sie den Bundesverkehrsminister ge-stellt haben, vielleicht ein bisschen anders. Gegenwärtiggibt es, wie gesagt, keine Probleme.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Oktober 2000
Ina Albowitz12086
Ich spekuliere nicht, weil mir die konkreten Äußerun-gen weder schriftlich noch mündlich bekannt sind. Ichnehme Ihre Aussage entgegen. Ich kann Ihnen versichern,dass die Bundesregierung gegenwärtig mit den Koaliti-onsfraktionen die letzten Abstimmungen tätigt. Wir habengerade heute im Ausschuss für Verkehr, Bau- und Woh-nungswesen in erster Lesung über den Haushaltsentwurfgesprochen. Insofern ist darüber nicht abschließend bera-ten.Sie gehen in Ihrer zweiten Frage – wenn Sie, Frau Prä-sidentin, gestatten, möchte ich auf diese zweite Fragegleich eingehen – von dem Abschnitt Krombach bisKreuztal aus, für den seit dem 11. September ein Plan-feststellungsbeschluss mit Bestandskraft besteht, wäh-rend am anderen Ende der Hüttentalstraße im Zuge derB 54 und der B 62 neu, nämlich von Siegen-West bis zurLandesgrenze, für einen Teil die Planfeststellung noch er-arbeitet werden muss. Die Planfeststellungsunterlagenwurden im Mai/Juni 1999 offen gelegt. Dort gibt es Pro-bleme mit dem Grunderwerb. Das ist Ihnen bekannt.Das wäre also Spekulation. Wenn die Entscheidung ge-troffen worden ist, werden wir rechtzeitig informieren.
Die zweite Zusatz-
frage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, kön-
nen Sie etwas über die Wahrscheinlichkeit sagen, dass
planfestgestellte Projekte, für die also Baurecht existiert
– ich nehme den noch nicht planfestgestellten Abschnitt
heraus –, eine zügige Finanzierung erfahren können, dass
also insbesondere bestimmte Maßnahmen, die in erhebli-
cher Weise Auswirkungen auf den Fortgang des Baupro-
jekts haben, nämlich vorbereitender Grunderwerb, Bau
bestimmter Brückenteile, damit überhaupt mit dem Bau
begonnen werden kann, zügig finanziert werden können?
S
Sie
werden von mir natürlich keine Äußerungen hören, wie
aufgrund der Abschlussgespräche mit den Koalitionsfrak-
tionen zur Verwendung der Mittel aus den Zinseinsparun-
gen im Zusammenhang mit dem Verkauf der UMTS-Li-
zenzen zusätzliche Mittel bereitgestellt werden können.
Sicherlich werden diese Mittel dazu beitragen, dass auch
in NRW wie in anderen Bundesländern über die Haus-
haltsfinanzierung Mittel zur Verstärkung eingesetzt wer-
den können. Aber – Ihre Frage zielt ja auf die Zinsein-
sparungen im Zusammenhang mit dem Verkauf der
UMTS-Lizenzen – hierzu ist zurzeit noch keine definitive
Aussage möglich.
Die dritte Zusatz-
frage.
Herr Staatssekretär, mei-
nen Sie, dass die Äußerungen des nordrhein-westfäli-
schen Verkehrsministers und von Kollegen aus dem
nordrhein-westfälischen Landtag im Hinblick auf die ge-
sicherte Finanzierung als etwas vorschnell zu bewerten
sind?
S
Das
kann ich nicht bewerten, weil mir diese Aussagen – Sie er-
weitern jetzt den Kreis – überhaupt nicht bekannt sind. In-
sofern kann ich dazu überhaupt keine Äußerungen abge-
ben.
Ich bedanke mich.
Damit haben Sie auf
eine Frage verzichtet.
Wir kommen damit zur Frage 25 des Abgeordneten
Koschyk:
Inwieweit ist die anhaltende lärmmindernde Wirkung von of-
fenporigem Asphalt – zum Beispiel auf Referenzstrecken und mit
bestimmten Messergebnissen – erwiesen, der zum Beispiel beim
Ausbau der Autobahn A 9 im Stadtgebiet Bayreuth Verwendung
finden soll, und wie will die Bundesregierung die Nachhaltigkeit
der Lärmminderung auf diesen Streckenabschnitten gewährleis-
ten?
S
Kol-
lege Koschyk, anhand der Ergebnisse der seit Anfang der
90er-Jahre im Auftrage der Bundesanstalt für Straßenwe-
sen nach dem Merkblatt für den Bau offenporiger As-
phaltdeckschichten aus dem Jahre 1991 auf entsprechen-
den Referenzstrecken an Autobahnen nach festgelegter
Methodik vorgenommenen Messungen konnte die lärm-
mindernde Wirkung offenporiger Asphaltschichten – im
Folgenden nur OPA 0/8 genannt – für mindestens vier
Jahre bestätigt werden.
Der für den Ausbau der A 9 im Stadtgebiet Bayreuth
vorgesehene, 1998 erstmals im Nachbarabschnitt Auto-
bahndreieck Kulmbach/Bayreuth bis Bayreuth-Nord ein-
gebaute OPA 0/8 der dritten Generation mit gegenüber
dem Merkblatt von 1991 deutlich erhöhtem Hohlraumge-
halt lässt nach den bisher vorliegenden Messergebnissen
eine über die genannte, bisher bestätigte vierjährige Dauer
hinaus länger anhaltende lärmmindernde Wirkung erwar-
ten.
Die Bundesregierung wird die Dauerhaftigkeit der
Lärmpegelminderung unter Berücksichtigung der jeweils
neuesten technischen Erkenntnisse der BASt sicherstellen
und durch geeignete Maßnahmen an der offenporigen As-
phaltdeckschicht dauerhaft gewährleisten, insbesondere
durch eine Erneuerung zur erforderlichen Zeit.
Zusatzfrage eins.
Herr Staatssekretär,Sie haben davon gesprochen, dass es mehrere Generatio-nen des offenporigen Asphalts gibt und dass auf der Re-ferenzstrecke, die Sie genannt haben, zwischen demAutobahndreieck Kulmbach und Bayreuth-Nord, diedritte Generation eingebaut worden ist. Die Messungen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Oktober 2000
Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler12087
haben eine höhere Nachhaltigkeit der Lärmminderung er-geben. Gibt es Weiterentwicklungen dieses offenporigenAsphalts, sodass damit zu rechnen ist, dass die Lärmmin-derung bei Asphalt, der bei Autobahnen künftig aufgetra-gen wird, noch höher sein wird?S
Die
Frage hat mich nicht nur als Staatssekretär interessiert. Sie
wissen, dass ich Straßenbauingenieur bin. Insofern hat
mich die Frage auch beruflich interessiert. Es ist bekannt,
dass diese Bauweise jüngeren Datums ist. Wenn wir in
diesem Zusammenhang von Generationen sprechen, spre-
chen wir nicht von Generationen im Sinne von Lebensal-
ter, sondern von der Abfolge von Bauweisen. Erst seit
etwa 15 Jahren existiert diese Bauweise. Erst seit den
90er-Jahren gibt es verlässliche Messdaten. Diese sind
zwischen 1992 und 1996 erhoben worden. Auch die tech-
nische Richtlinie wurde 1998 infolge der neueren Er-
kenntnisse noch einmal überarbeitet. Wir gehen davon
aus, dass aufgrund der Verbesserungen der Technologie
beim Einbau, aber auch einer Laborauswertung der zur
Verfügung stehenden Baustoffe zukünftig eine Lebenser-
wartung von sechs bis acht Jahren besteht.
Zusatzfrage zwei,
bitte sehr.
Unabhängig von der
Frage einer Weiterentwicklung der andauernden Lärm-
minderung durch offenporigen Asphalt bleibt es – so habe
ich Sie verstanden – also bei der Zusage, dass, wenn Mes-
sungen ergeben sollten, dass die gesetzlich vorgeschrie-
benen Grenzwerte nicht eingehalten werden, der Asphalt,
wenn er vorzeitig abgenutzt ist, auch erneuert wird?
S
Diese Frage möchte ich nicht nur mit einem klaren Ja be-
antworten, weil ich weiß, Herr Koschyk, dass Sie den
Planfeststellungsbeschluss kennen. Sie kennen auch den
Brief des damaligen Bundesministeriums für Verkehr an
den Oberbürgermeister. Sie waren 1997 selbst dabei. Die
Bundesregierung übernimmt die Verpflichtung der alten
Bundesregierung, die besagt, dass im Stadtgebiet von
Bayreuth eine frühzeitige Sanierung erfolgt, um die
Lärmminderung wieder zu erreichen, wenn eine Reini-
gung nicht ausreicht.
Nun rufe ich die
Frage 26 des Abgeordneten Klaus Hofbauer auf:
Liegen für die Streichung von Interregio-Regionalzugverbin-
dungen in Ostbayern, die zu einer „deutlichen Verringerung der
Kapazität“ einiger Strecken i. S. d. § 11 Allgemeines Eisenbahn-
gesetz führen, bereits Anträge der Deutschen Bahn AG auf
Stilllegung von Eisenbahninfrastruktureinrichtungen an das Ei-
senbahnbundesamt vor, und wie soll nach Ansicht der Bundesre-
gierung hierüber entschieden werden im Hinblick darauf, dass
eine Abkopplung der ostbayerischen Grenzregion vom internatio-
nalen Bahnfernverkehr verhindert werden sollte?
Herr Staatssekretär, bitte.
S
Kol-
lege Hofbauer, die DB Netz AG hat bislang keine derarti-
gen Anträge für die von Interregio-Zügen befahrenen
Strecken in Ostbayern an das Eisenbahnbundesamt ge-
stellt.
Zusatzfrage eins.
Herr Staatssekretär, es
ist aber allgemein bekannt und wird in aller Öffentlichkeit
diskutiert, dass ein erheblicher Teil der Strecken Ost-
bayerns vom Fernverkehr entsorgt werden soll. Das be-
deutet für die Region, dass zwei Regierungsbezirke mit
fast 3 Millionen Einwohnern in Zukunft überhaupt keinen
Fernverkehrsanschluss mehr haben.
Wenn diese Bundesregierung und die sie tragenden
Parteien immer wieder die Stärkung der Bahn betonen
und die Ökosteuer eingeführt haben, um zu erreichen,
dass mehr Menschen mit der Bahn fahren, aber zugleich
den Menschen vor Ort eine überregionale Anbindung ge-
nommen wird, dann passt eine solche Politik nicht zu-
sammen. Deswegen meine ganz konkrete Frage, Herr
Staatssekretär: Sind die Überlegungen richtig, die überall
veröffentlicht werden, und könnte eine solche konkrete
Entscheidung überhaupt getragen werden?
S
Kol-
lege Hofbauer, wenn meine Antwort nicht eindeutig ge-
nug war, muss ich das präzisieren. Ich gehe hier nicht auf
Vermutungen in der Öffentlichkeit oder auf Spekulatio-
nen ein. Die Bundesregierung sieht dann Handlungsbe-
darf, wenn das nicht eingehalten wird, was bei der Bahn-
reform gemeinsam verabredet worden war. Insofern kann
ich nur wiederholen, dass nach Auskunft des Eisenbahn-
bundesamtes die DB Netz AG bislang keine derartigen
Anträge für von Interregio-Zügen befahrenen Strecken in
Ostbayern gestellt hat. Auch sind dem Eisenbahnbundes-
amt keine entsprechenden Planungen gekannt.
In diesem Zusammenhang gehe ich auf Ihre zweite
Frage ein: Die Planungen der DBReise- und TouristikAG
zielen nicht auf eine Einstellung der Verkehrsbedienung
auf den von Interregio-Zügen befahrenen Hauptstrecken
ab. Es handelt sich vielmehr nur um eine Umstellung des
Verkehrsangebotes auf Nebenbahnen. Diese kann Gegen-
stand von Anträgen der DB Netz AG nach § 11 des All-
gemeinen Eisenbahngesetzes sein. Die Neuanmeldung
des Freistaates Bayern für den Bundesverkehrswegeplan,
Bereich Schiene, über die die DBAG und der Bund natür-
lich noch nicht entschieden haben, enthält im Hinblick auf
Ostbayern ein Vorhaben zwischen München, Landshut,
Regensburg und Marktredwitz.
Zusatzfrage zwei.
Herr Staatssekretär,heißt das konkret, dass ein Antrag von der Bundesregie-rung nicht genehmigt würde, wenn er gestellt würde?
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Oktober 2000
Hartmut Koschyk12088
S
Sie
wissen natürlich ganz genau, dass die Bundesregierung
keine Strecken genehmigt oder ablehnt. Vielmehr gibt es
einen entsprechenden Versorgungsauftrag aus der Bahn-
reform. Ich verweise auf das im September verabschie-
dete „Zukunftspaket Schiene“, das zwischen Minister
Klimmt und Herrn Mehdorn verabredet worden ist. Dass
es nicht nur ein Zukunftsprogramm zwischen Wunsch
und Wolke ist, wird daran deutlich, dass die Bundesregie-
rung für den Ausbau der Schieneninfrastruktur – daran ist
Bayern in erheblichem Maße beteiligt – über drei Jahre
jährlich 2 Milliarden DM, also insgesamt 6 Milliar-
den DM, zusätzlich bereitstellt. Daran kann man den po-
litischen Willen sowohl der Bundesregierung als auch der
Koalitionsfraktionen erkennen, dass mehr für den Ausbau
der Schieneninfrastruktur getan wird, als die alte Regie-
rung bisher getan hat.
Nun rufe ich die
Frage – –
– Ich hatte den Eindruck, dass Sie schon zwei Fragen ge-
stellt haben. Aber bitte sehr!
Ich habe nur bis eins
gezählt, Frau Präsidentin.
Herr Staatssekretär, was hilft uns das viele Geld, das
Sie ausgeben wollen, wenn keine Investitionen in das an-
gesprochene Schienennetz geplant sind? Das deutet da-
rauf hin, dass der Fernverkehr auf diesen Strecken immer
mehr abgebaut werden soll. Diese Sorge haben wir in der
Region.
S
Kol-
lege Hofbauer, lassen Sie mich die Position unseres
Hauses bzw. die Verantwortung des Bundes für den Schie-
nenpersonenfernverkehr ergänzend erläutern. Wenn Sie
von Nah- oder Regionalverkehr sprechen, dann wissen
Sie natürlich, dass bei der Bahnreform verabredet worden
ist, den gesetzlichen Auftrag den Ländern zu übertragen.
Was den Fernverkehr angeht, wissen Sie, dass sich der
Gewährleistungsauftrag des Bundes nach Art. 87 e Abs. 4
des Grundgesetzes auf die Infrastruktur und – ich sage das
mit aller Deutlichkeit – natürlich ein dem Wohl der All-
gemeinheit dienendes Verkehrsangebot – hier nehme ich
den Schienenpersonennahverkehr ausdrücklich aus – der
Eisenbahn des Bundes erstreckt. Der Bund nimmt diese
Verantwortung für beide Bereiche wahr, indem er entspre-
chend dem Verkehrsbedarf und im Rahmen der zur Ver-
fügung stehenden Haushaltsmittel Investitionen in die
Schienenwege der Eisenbahn des Bundes finanziert.
Ihnen ist aus den Haushaltsberatungen bekannt, dass
allein in diesem Jahr für zinslose Darlehen und Bau-
kostenzuschüsse in diesem Bereich immerhin 6,8 Milliar-
den DM bereitgestellt werden. Das sehen wir als unseren
Auftrag aus der Bahnreform an.
Damit wäre Ihre
Frage 27 eigentlich beantwortet.
S
Frau
Präsidentin, vielleicht gestatten Sie, dass ich den Ant-
worttext zur Frage 27 einmal konkret vorlese.
Dann rufe ich nun die
Frage 27 des Kollegen Klaus Hofbauer auf:
Wie ist die massive Streichung von überregionalen Zugver-bindungen mit der Verpflichtung der Bundesregierung zur Ge-währleistung des Wohls der Allgemeinheit in Bezug auf Ver-kehrsbedürfnisse der Bürger und zur Sicherstellung über-regionaler Schienenverkehrsangebote gemäß Art. 87 e Abs. 4Grundgesetz in Einklang zu bringen?
S
Der
Gewährleistungsauftrag des Bundes nach Art. 87 e Abs. 4
erstreckt sich auf die Infrastruktur und ein dem Wohl der
Allgemeinheit dienendes Verkehrsangebot – ausgenom-
men Schienenpersonennahverkehr – der Eisenbahn des
Bundes. Der Bund nimmt diese Verantwortung für beide
Bereiche wahr, indem er – entsprechend dem Verkehrsbe-
darf und im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haus-
haltsmittel – auf der Grundlage des Bundesschienenwe-
geausbaugesetzes Investitionen in die Schienenwege der
Eisenbahn des Bundes finanziert. Damit werden den
Eisenbahnverkehrsunternehmen Möglichkeiten zur Ver-
besserung ihrer Verkehrsangebote zur Verfügung gestellt.
Ich rufe nun die
Frage 28 des Abgeordneten Helmut Heiderich auf:
In welcher Weise will die Bundesregierung den versprochenenIC-fähigen Ausbau der gesamten Mitte-Deutschland-Verbindung,insbesondere des Streckenabschnitts Kassel–Bebra, sicherstellenvor dem Hintergrund der Mitteilung der Deutschen Bahn AG, dieInterregio-Verbindung Düsseldorf–Kassel–Bebra–Erfurt–Dres-den Ende des Jahres 2002 einzustellen?
Herr Staatssekretär.
S
Mitder Anpassung der Strecke Paderborn–Kassel–Bebra–Er-furt–Weimar–Jena–Glauchau–Chemnitz, der so genann-ten Mitte-Deutschland-Verbindung, für den Einsatz vonNeigetechnikfahrzeugen als zweiter Realisierungsstufekönnen die mit dem ursprünglich geplanten IC-fähigenAusbau des Abschnitts Kassel–Bebra beabsichtigtenFahrzeiteinsparungen weitgehend erreicht werden. Daherkann unter anderem auf den Bau der in diesem Abschnittvorgesehenen Verbindungskurve bei Altmorschen mitdem Anschluss an die vorhandene Neubaustrecke Hanno-ver–Würzburg zugunsten kleinerer Ausbaumaßnahmenvorerst verzichtet werden.Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Anpas-sung der Infrastruktur bedarfsgerecht mit dem neu zu
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Oktober 2000 12089
planenden Einsatz dieser Fahrzeuge frühestens ab demJahre 2003 abgeschlossen sein wird. Soweit der Bundes-regierung bekannt, plant die DBAG nicht die Einstellungder Interregio-Linie 20 Ende des Jahres 2002. Vielmehrwird erwogen, die Linie zwischen Weimar und Chemnitz,die zurzeit nur mit einem Zugpaar täglich verkehrt, durchgleichwertige Nahverkehrsangebote zu ersetzen.
Zusatzfrage eins.
Herr Staatssekretär,
habe ich Sie eben richtig verstanden, dass die ehemalige
Zusage des Bundesverkehrsministeriums, die Gesamt-
strecke zwischen Dortmund und Dresden IC-fähig auszu-
bauen, jetzt hinfällig geworden ist und Sie stattdessen be-
absichtigen, die Strecke mit Neigetechnikfahrzeugen zu
bedienen?
S
Viel-
leicht sollten wir hier präzisieren: Nicht die Bundesregie-
rung hat garantiert, sondern die DB AG. Mir ist das
Ergebnis der Besprechung mit dem damaligen Minister
Wissmann am 29. März 1993 wohl bekannt. Ich kenne
natürlich auch die Teilnehmer an diesem Gespräch; der
damalige hessische Ministerpräsident war dabei. Aber die
Bundesregierung schreibt nicht vor, wie die Strecke zu be-
dienen ist, wenn die DB AG durch den Einsatz von Nei-
getechnikzügen eine adäquate Fahrzeit sichert.
Zusatzfrage zwei.
Herr Staatssekretär,
ich beziehe mich mit dem Begriff der Ausbaugarantie
natürlich, wie Sie eben angedeutet haben, auf den ehema-
ligen hessischen Ministerpräsidenten Eichel. Wir – so-
wohl er als auch ich – meinen damit nicht die Bedienung
dieser Strecke durch Interregio-Fahrzeuge, sondern den
Ausbau der Schieneninfrastruktur in der Art und Weise,
wie sie damals mit „IC-fähig“ beschrieben worden ist und
wie sie eben von Ihnen, wenn ich das richtig verstanden
habe, als in der Zukunft nicht mehr notwendig bezeichnet
wurde.
Herr Staatssekretär.
S
Ich
habe nicht gesagt: „in der Zukunft nicht mehr notwendig“,
sondern ich habe darauf abgehoben, dass hier die Fahrzeit
eine entsprechende Rolle spielt. Natürlich hatten der da-
malige Verkehrsminister und auch der Ministerpräsident
die Einordnung dieser Strecke in den entsprechenden
Bundesverkehrwegeplan oder in das Bundesschienenwe-
geausbaugesetz unter Beachtung des Kosten-Nutzen-Fak-
tors vorzunehmen.
Dazu möchte ich einmal anmerken, dass ein entspre-
chender Ausbau 1,5 Milliarden DM kosten würde und
dass bei einem solchen Ausbau mit den entsprechenden
Fahrzeitgewinnen lediglich ein Nutzen-Kosten-Faktor
von 0,2 herauskommen würde. Ich denke, dass das, was
die DBAG hier vorgeschlagen hat, diesen Fahrzeitgewinn
durch den Einsatz von Neigetechnik zu erreichen, vorteil-
haft ist, weil so ganz erhebliche Mittel – ganz konkret:
über 1 Milliarde DM – eingespart werden können.
Nun rufe ich die
Frage 29 des Abgeordneten Heiderich auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Einhaltung der Zusagen
des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
für einen IC-fähigen Ausbau und die vollständige IC-Bedienung
der gesamten Mitte-Deutschland-Verbindung vor dem Hinter-
grund der Forderung des früheren hessischen Ministerpräsidenten
und jetzigen Bundesministers der Finanzen, Hans Eichel, das
Land Hessen habe einen Anspruch auf die Einhaltung dieser Zu-
sagen, und angesichts der Ankündigung der Deutschen Bahn AG,
auf dieser Relation die Interregio-Züge durch Regionalexpress-
züge und IC-Züge zu ersetzen?
Herr Staatssekretär, bitte.
S
Die
Zusage des BMVBW für einen IC-fähigen Ausbau der so
genannten Mitte-Deutschland-Verbindung bezog sich auf
den Ausbau des Abschnitts Kassel–Bebra. Mit der Anpas-
sung dieses Streckenabschnitts für den Einsatz von Nei-
getechnikfahrzeugen wird diese Zusage eingehalten. Ich
habe das schon bei den Zusatzfragen beantwortet. Auf-
grund der Bahnreform entscheidet die DB AG in eigener
Verantwortung über den Einsatz von Zügen.
Zusatzfrage eins.
Herr Staatssekretär,
meine Zusatzfrage erstreckt sich noch ein wenig auf die
Antwort zum vorigen Punkt: Sie haben gesagt, es gebe
bisher keine Erkenntnis über die Einstellung der Interre-
gio-Züge. Nun weiß ich nicht, wie die Informationswege
der Bundesregierung sind, aber ich habe hier vom ver-
gangenen Mittwoch eine entsprechende Presseerklärung,
in der der Konzernbeauftragte der Bahn AG für Hessen,
Herr Göbertzhahn, öffentlich erklärt, die Interregio-Bahn-
verbindung zwischen Düsseldorf und Dresden soll Ende
2002 eingestellt werden, und zwar insgesamt sämtliche
dort bisher verkehrenden sieben Zugpaare.
Wie sehen Sie vor dem Hintergrund dieser Ankündi-
gung und in der Erkenntnis, dass der Einsatz der Neige-
technik seit 1997 Jahr für Jahr neu versprochen worden ist
und nun, wie ich eben von Ihnen gehört habe, für das Jahr
2003 erneut versprochen wird, die Sicherstellung des
überregionalen Bahnverkehrs in der Region Nordhessen?
S
Siehaben das schon angesprochen. Natürlich liegt auch mirder Fahrplan vor. Wenn ich mir den ansehe, dann wirdklar, dass es um eine einmal am Tag durchgehende Inter-regio-Verbindung Aachen–Chemnitz bzw. Chemnitz–Aa-chen geht. Nach Auskunft der DBAG wird sie durch ent-sprechende andere Verkehrsleistungen sichergestellt.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Oktober 2000
Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler12090
Insofern wird keine Reduzierung des Angebotes vorge-nommen.Hinsichtlich der Neigetechnikzüge ist es richtig, dassdie Bahn AG sie in der Tat viel früher einsetzen wollte.Aber hier kommt es mit dem Fahrplanwechsel zu Verzö-gerungen, weil entsprechende Neigetechnikzüge zum ge-nannten Zeitpunkt nicht zur Verfügung stehen.
Wollen Sie noch eine
Zusatzfrage stellen?
Ja, gern.
Bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
in der eben von mir angesprochenen Aussage des Kon-
zernbeauftragten der BahnAG wird zum Zweiten erklärt,
dass auf dieser Strecke in Zukunft der Bahnverkehr durch
Intercity- oder Regionalexpresszüge bedient werden
solle. Bedeutet das vielleicht, wenn ich die gegenwärtigen
Ausbaumaßnahmen betrachte, die ja nur zwischen Dort-
mund und Kassel auf der einen Seite und zwischen Erfurt
und Dresden auf der anderen Seite stattfinden, dass man
zukünftig damit rechnen muss, dass im Abschnitt Kas-
sel–Bebra der Regionalexpress im Angebot ist und dass
damit natürlich die Verantwortung der Bahn AG auf das
Land Hessen und das Land Thüringen – gegebenenfalls
auch noch auf die Kommunen – abgeschoben wird?
S
Herr
Kollege Heiderich, Ihnen ist ja bekannt – in der Abkür-
zung ICE-T kommt auch der Buchstabe „E“ vor –, dass
Neigetechnikzüge eine adäquate Alternative zum ICE
sind. Diese Variante wird von der DB AG favorisiert, weil
sie wesentlich kostengünstiger ist.
Ich danke dem Herrn
Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Die Fragen 30 und 31 werden schriftlich beantwortet.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Es war vereinbart, dass wir die Debatte unterbrechen.
Deshalb frage ich: Sind alle Debattanten der nächsten
Runde schon anwesend?
– Wir müssen also nicht unterbrechen?
– Dann unterbreche ich die Sitzung für fünf Minuten.
Wir set-
zen die unterbrochene Sitzung fort.
Ich rufe die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf:
ZP 2 a) Vereinbarte Debatte
Zur aktuellen Situation in Nahost
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Helmut Haussmann, Günther Friedrich
Nolting, Ulrich Irmer, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der F.D.P.
Für eine Konferenz für Sicherheit und Zu-
sammenarbeit im Nahen Osten
– Drucksache 14/4392 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS
vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Professor Gert Weisskirchen von der SPD-Frak-
tion das Wort.
Herr Präsi-dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gute Nachbarn zuwerden – das war das Ziel der Verständigung zwischen Is-rael und Palästina, das war das Ziel in Oslo und Camp Da-vid. Es ging darum, Gemeinsamkeiten zu suchen in einerschwierigen Region: die gemeinsame Sorge um das Was-ser, die Lebensmittel und Arbeit.Immer waren es die USA, die trotz aller Schwierig-keiten, auch wenn der Prozess ins Stocken geriet, auchwenn der Prozess abriss, immer wieder, unermüdlich ei-nen neuen Anfang suchten, die Fäden neu zu knüpfen.Auch diesmal nimmt es Bill Clinton auf sich, zu versu-chen, die Fäden neu zu knüpfen. Wir wünschen, dass BillClinton dabei Erfolg hat. Wir wünschen, dass diese Re-gion endlich eine Zukunft hat, dass sie zu einer friedli-chen Region wird, dass ein gutes Zusammenleben zwi-schen Israelis und Palästinensern möglich wird.
Lieber Herr Bundeskanzler, es ist zu wünschen, dassIhre Reise, wenn Sie sie denn unternehmen – ich hoffe,Sie werden es tun –, genau diesem Zweck dienen kann,nämlich die Fäden neu zu knüpfen und so dafür zu sorgen,dass Deutschland gemeinsam mit den Europäern einenentscheidenden Beitrag dazu leisten kann, die Gewalt dorteinzudämmen. Herr Bundeskanzler, wir wünschen Ihnendabei alles Gute.
Seit Tagen, seit Wochen sehen wir nun diese schreck-lichen Bilder. Wer kann sich ihnen entziehen? JungeMenschen, von Hass erfüllt und mit Schleudern in den
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Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler12091
Händen, werfen Steine. Hundertmal und öfter antwortetder Tod. Junges Leben wirft sich weg, zerstört Chancenauf eine gelingende Zukunft. Aber ist es nicht das, woraufsich alles konzentrieren müsste: das Zusammenleben inder gemeinsamen Region? Juden und Araber, sie könnennicht leben wie Feuer und Wasser. Schimon Peres sagt:Gewalt und Frieden sind wie Feuer und Wasser.Gewiss, Ariel Scharon – wir haben es gesehen – hat fa-tal provoziert. Die Extremisten beider Seiten haben Fes-seln abgestreift. Wilde Exzesse palästinensischen Hassessind aufgelodert. Dahinter und darunter sind Schichten ei-nes Jahrhundertkonfliktes explodiert, auf die Dan Dinerkürzlich hingewiesen hat. Ich zitiere:An der Jerusalem-Frage– schreibt Dan Diner –offenbart sich die Tiefendimension des Konflikts. Anihr nämlich hängen alle anderen Fragen: nach den je-weiligen Identitäten, Legitimitäten und historischenAnsprüchen.Dabei – wenn wir es richtig verstehen und gehört haben –waren sich die beiden, Barak und Arafat, doch schon sonahe gekommen, dass es beinahe die Chance zu einemwirklich historischen Kompromiss gegeben hätte.Wie aber lässt sich nun der Zwang durchbrechen, dassGewalthandeln immer wieder neue Gewalt produziert?Gibt es einen Weg, der aus dem Zwang herausführt? DerWeg hat einen gemeinsamen Punkt. Ich hoffe sehr, dasswir alle dazu beitragen können, noch einmal alle Betei-ligten auf diesen gemeinsamen Punkt hinzuweisen unddeutlich zu machen, worum es geht. Es ist das Wissen da-rum, dass die Palästinenser die Israelis nicht ins Meerwerfen können und umgekehrt die Israelis die Palästinen-ser nicht in die Wüste schicken können. Das wissen beide.Sie sollten es wissen. Sie müssen es immer wieder neuwissen. War das nicht die Chance, die in Oslo begann?Schließlich: War es denn nicht so, dass Ehud Barak mitunerhörtem Mut dem Willen Arafats entgegengekommenwar?Der Gewinn von Zeit, das war das Ziel des Prozesses,der 1993 begonnen hatte. Beide wollten sich, nach der ge-genseitigen Anerkennung, aneinander gewöhnen, die exis-tenziellen Probleme zunächst ausklammern, Schritt fürSchritt aber dem palästinensischen Willen auf selbstbe-stimmte Autorität Raum geben. Ein eigener Staat garsollte sich so entwickeln können.Aber die palästinensischen Hoffnungen und die der is-raelischen Araber kreuzten sich mit den Ängsten einesgroßen Teils in Israel selbst. Die Mehrheit Baraks war fra-gil. Obwohl er Netanjahu politisch hat besiegen können,gesellschaftlich stärker wäre er nur geworden, hätteArafat seinerseits jene Chance wirklich konstruktiv ge-nutzt. Auf den unerhörten Mut Baraks hätte er, Arafat, mitunerhörtem Mut antworten können.
Er hat es nicht getan.Auf die Provokation Scharons jedoch hat er sich demarabischen Extremismus dann allerdings, als er auflo-derte, nicht in den Weg gestellt. Gewalteruptionen sinddie fast zwanghafte Folge dieses unseligen Miteinander-verkettet-Seins.Zwei Nationalismen stehen sich nun gegenüber, aufder einen Seite ein arabischer, von diffuser Gewalt be-setzt, schwer kontrollierbar, in Flüchtlingscamps auchnoch geschürt, mythisch aufgeladen und von sozialer Notgetränkt, und auf der anderen Seite ein Nationalismus inIsrael, pragmatisch gebrochen, von einer sich aufklä-renden Zivilgesellschaft gezähmt, die in inneren Kämpfenversucht, sich von religiösen Zwängen zu lösen – und dasnun auch noch im Angesicht des periodisch ins Unermess-liche wachsenden feindlichen Umfeldes, in dem sich Is-rael bewegt.Der unerhörte Mut Baraks ruhte auf einem zerbrechli-chen politischen Bündnis. Als es zerbrach, stürzte dieHoffnung in das Vakuum, das die Hoffnung hinterließ.Moshe Zimmermann hat den historischen Grund des-sen ausgeleuchtet – es hat etwas mit uns zu tun, was da ge-schieht –, was sich vor unseren Augen ereignet – ich zi-tiere:Am Anfang steht die „Erbsünde“ Europas: die ge-scheiterte Emanzipation und Integration der Juden.Sie brachte die Auswanderer dazu, nach Israel auch na-tionalistische Einstellungen aus ihrer Herkunft mitzuneh-men. Macht das nicht auch einen Teil unserer Ohnmachtaus, unser Wissen, dass wir Gefangene der eigenen Ge-schichte sind, dass der jüdische und der arabische Natio-nalismus die Nachgeburt auch europäischer Verstri-ckungen sind? Mit den Kreuzzügen haben sie begonnen,sich über die Vertreibungen des Islam aus Europa fortge-setzt und in der Schoah so furchtbaren Schrecken ver-breitet.Ich hoffe, niemand ist Gefangener der Geschichte. Wirteilen Schimon Peres’Hoffnung: „Krieg und Terror
nur tödliche Sackgassen.“Wenn es doch jeder verstünde!
Er hat Recht: Die Straße darf nicht über Krieg und Frie-den entscheiden.Wäre es nicht unsere Aufgabe als Europäische Union,im Nahen Osten dabei mitzuhelfen, dass eine gemeinsameWirtschaftszone aufgebaut wird, fragt uns Schimon Peres.Wäre es nicht unsere Aufgabe, den Barcelona-Prozess zuverstärken, dem Frieden ein sicheres Fundament zu ge-ben, vertrauensbildend mitzuwirken und uns gemeinsammit der arabischen Welt, den USA und Israel dafüreinzusetzen, dass auf den Einsatz von Gewalt verzichtetwird und sich eine neue Perspektive für den Nahen Ostenauftut?Wir unterstützen daher Bill Clinton und hoffen, dass esihm gelingt, Ruhe in die Region hereinzutragen oder ihrwenigstens eine neue Perspektive zu geben.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Oktober 2000
Gert Weisskirchen
12092
Diesem Ziel wird auch die Reise des Bundeskanzlers ver-pflichtet sein, ohne unsere eigenen Möglichkeiten dabeizu überschätzen. Alle unsere Hoffnungen und alle An-strengungen zielen darauf, dass die Kontrahenten wiedermiteinander reden, verhandeln und schließlich ein dauer-hafter Friede erreicht wird.Darf ich sagen, wie ich es verstehe? Ja, ich will es sa-gen und hoffte, ich könnte für viele sprechen: Wir stehenfür Israel ein. Das sage ich nicht nur mit dem Blick auf dieeigene dunkle Vergangenheit. Israel ist die Demokratie imNahen Osten. Wer nach verlässlichen Pfeilern für regio-nale Stabilität sucht, muss zu dem Ergebnis kommen: Is-rael ist der wichtigste Pfeiler für regionale Stabilität. Ohneein starkes demokratisches Israel haben die Menschenim Nahen Osten keine Zukunft. Eine friedliche Zukunftaber wird Gestalt annehmen, wenn die Menschen begin-nen, auf Gewalt zu verzichten, damit sie ohne Angst vor-einander zusammenleben können. Das beginnt damit,dass ein solches Vertrauen wieder aufgebaut wird, wie esSchimon Peres gegenüber Vaclav Havel am letzten Sonn-tag in Prag beschrieben hat: Einen Optimisten nenne ich,der optimistisch blickt, nicht nur auf sich selbst – das wäreegozentrisch, wie er sagt –, sondern Optimist ist, wer op-timistisch auf die Fähigkeiten seiner Nachbarn blickt. Dasist die große Perspektive, die sich für diese Region bietet.Heute muss, wie ich glaube, für uns alle klar sein – undso wird es auch unverrückbar für Deutschland gelten, nie-mand aus der arabischen Welt, im Nahen oder MittlerenOsten, sollte sich darin irren –: Wer Israel von der Land-karte tilgen will, der trifft auf unseren Widerstand. Wennes um das Existenzrecht Israels geht, ist Deutschland Par-tei.
Als
nächster Redner hat der Kollege Karl Lamers von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! VerehrteKolleginnen und Kollegen! Der Friedensprozess im Na-hen Osten ist mit der Eskalation von Gewalt zwischen Is-raelis und Palästinensern zum Stillstand gekommen. Ginges in Camp David noch um Frieden, so geht es jetzt nurnoch um die Abwendung roher Gewalt. Das Risiko istgroß, dass die Krise auf die gesamte Region übergreiftund zu Radikalisierung und einer weiteren Entfremdungzwischen dem Westen und der arabischen Welt führt. Dasmüssen wir mit allen Mitteln unterbinden.Dieser erneute Ausbruch von Gewalt zwischen Israe-lis und Palästinensern zeigt, wie explosiv die Lage im Na-hen Osten ist und wie viel Hass und Frustration auf bei-den Seiten, bei Israelis und Palästinensern, vorhandensind und – das füge ich hinzu – wie viel Angst auf israeli-scher Seite, auch wenn der Anschein ein anderer ist. Des-halb war der Besuch von Oppositionsführer Scharon aufdem Tempelberg unverantwortlich. Natürlich mussten diePalästinenser ihn als Provokation empfinden. Die Reak-tion der israelischen Sicherheitskräfte auf in diesem Zu-sammenhang geschehene Ausschreitungen hat die Lageeher noch angeheizt als beruhigt.Nach den Lynchmorden an den drei israelischen Sol-daten und den israelischen Vergeltungsschlägen auf Ra-mallah und Gaza-Stadt folgten leider mit der Freilassungder Dschihad- und Hamas-Häftlinge auf der palästinensi-schen Seite sowie den fortgesetzten israelischen Rake-tenangriffen auf palästinensische Siedlungen weitereSchritte der Eskalation. Die Vereinbarungen des Gipfelsvon Scharm el-Scheich, mit denen die Gewalt beendetwerden sollte, drohen zu scheitern.Nun rächt sich, dass Ministerpräsident Barak undPalästinenserführer Arafat in Camp David keinen Kom-promiss gefunden haben. Dafür tragen nach meiner Über-zeugung beide Seiten Verantwortung. Es verwundertnicht, dass die Enttäuschung und die Frustration über denbisherigen Verlauf des Friedensprozesses groß sind. Diesgilt vor allem für die Palästinenser, weil ihnen der ge-samte bisherige Friedensprozess keine Früchte gebrachthat und ihnen bis heute das Recht auf einen eigenen Staatvorenthalten wird. Sie sehen sich nach wie vor auch einemdemütigenden Besatzungsregime gegenüber, das sie fürihre wirtschaftliche Lage – wenn auch nur teilweise zuRecht – verantwortlich machen.Die Israelis waren anfangs ebenfalls enttäuscht, dassder Friedensprozess sie nicht vor schlimmen Terroran-schlägen schützte.In den letzten Jahren hatten allerdings gemeinsame An-strengungen von Israelis, von Palästinensern und von denVereinigten Staaten dazu geführt, dass es zu keinen wei-teren schweren Zwischenfällen gekommen ist. Mittler-weile sind aber auch diejenigen, die sich für den Friedens-prozess immer engagiert haben, schockiert und fragensich, ob sie einer Illusion nachgelaufen sind.Die Verunsicherung ist groß und vor allen Dingen dasgegenseitige Vertrauen ist, so fürchte ich, fast zerstört. Esbedarf viel Zeit, um aus dieser Atmosphäre der Feind-schaft zu den notwendigen, alternativlosen Friedensver-handlungen und zu Kompromissbereitschaft zurückzufin-den. Es bedarf vor allen Dingen auf beiden Seiten mehrMut als Rache und Gewalt.Klar ist für uns: Wenn es um das Existenzrecht Israelsgeht – Kollege Weisskirchen, da sind wir in diesem Hausegottlob einer Meinung –, dann kann es für Deutsche keineNeutralität geben.
Dies gebietet nicht nur die aus der Geschichte erwach-sende Verantwortung, sondern auch unsere Verbundenheitmit Israel, einem Land, das zur westlichen politischen Zi-vilisation gehört. Mit Israel verbinden uns gemeinsameVorstellungen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.Diese grundsätzliche Solidarität mit Israel schließt unse-ren besonderen Einsatz für den Friedensprozess und
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Oktober 2000
Gert Weisskirchen
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damit für einen fairen Ausgleich mit den Palästinensernausdrücklich ein.
Ein solcher Friedensprozess dient nicht nur den legitimenInteressen der Palästinenser und den Interessen der Eu-ropäer in der nahöstlichen Region, sondern auch demwohlverstandenen eigenen Interesse Israels.Zur Unterstützung des Friedensprozesses in Israelkann es insofern auch geboten sein – wir werden von is-raelischer Seite immer wieder dazu aufgefordert –, be-stimmte einzelne Aspekte und bestimmte einzelne Maß-nahmen der israelischen Politik zu kritisieren. Grund-sätzliche Solidarität und Partnerschaft bedeuten nicht Ver-zicht auf Kritik.Es ist daher richtig, dass der EU-Gipfel in Berlin dieSiedlungspolitik Israels ausdrücklich kritisiert hat. Seitdem Osloer Abkommen hat sich die Zahl der Siedler inder West Bank von etwa 100 000 auf 200 000 verdop-pelt. Auch unter der Regierung Barak hat diese Sied-lungspolitik angehalten. Das Anlegen neuer Siedlungenund israelisch kontrollierter Straßen führt dazu, dass daspalästinensische Gemeinwesen, beispielsweise die StadtRamallah, im Hinblick auf seine zukünftige Entwicklungnahezu stranguliert wird. Wir können nicht übersehen,dass diese Siedlungspolitik von den Palästinensern alseine permanente Aggression empfunden wird.Auf der anderen Seite kann nicht bestritten werden,dass Ministerpräsident Barak bei den Verhandlungen inCamp David wie auch in der Öffentlichkeit mit seinen An-geboten an die palästinensische Seite über alles hinausge-gangen ist, was bislang von israelischer Seite angebotenworden ist. Insbesondere ist festzuhalten, dass er in der is-raelischen Öffentlichkeit deutlich über zwei Hauptstädtein Jerusalem gesprochen hat. – Sicherlich wäre es nochbesser gewesen, wenn er diesbezüglich nicht nur eine Au-tonomie, sondern auch eine wirkliche Souveränitätstei-lung in Aussicht gestellt hätte. – Dieser Vorstoß Barakstraf Arafat anscheinend unvorbereitet; zumal das palästi-nensische Volk – übrigens auch die arabische Öffentlich-keit insgesamt – auf eine Kompromisslösung, vor allemim Hinblick auf Jerusalem, nicht ausreichend vorbereitetwar.Für seine Maximalforderungen dagegen blieb Arafatselbst unter den arabischen Staaten ohne engagierte Un-terstützung.Dies lässt zumindest den Verdacht zu, er habe als Re-aktion auf die unverantwortliche Provokation Scharonsden Volkszorn der Palästinenser gleichsam als Druckmit-tel vorführen wollen. Fraglich erscheint jedoch, ob erseitdem die Lage immer vollständig im Griff hat, da diewiederholten Aufforderungen zu Gewaltlosigkeit ohnesichtbare Auswirkungen blieben. Wenn diese Analyse zu-treffend ist, dann, fürchte ich, ist die Lage noch ernster, alswir sie jetzt empfinden.Jetzt jedenfalls ist es dringend geboten, die noch ge-ringe Chance auf eine Umsetzung der Resultate des Gip-fels in Scharm el-Scheich zu nutzen. Eine Voraussetzungfür den politischen Neuanfang dürfte vor allem die Un-tersuchung der Vorkommnisse der letzten Wochen undTage unter Beteiligung sowohl der USAals auch der UNOsein. Ich benutze diese Gelegenheit übrigens gerne, um andieser Stelle die herausragende und außerordentlich kon-struktive, kluge, ja weise Rolle von Kofi Annan lobend zuerwähnen.
Langfristig erwächst aus dieser schmerzlichen und tra-gischen Krise vielleicht die Einsicht – das hoffe ich je-denfalls –, einen Schritt über den Gipfel von Camp Davidhinaus machen zu müssen. Denn zu einem friedlichen undfairen Ausgleich zwischen Palästinensern und Israelisgibt es in der Tat keine Alternative. Ich weiß, der Satz „Esgibt keine Alternative“ ist vielfach ein dummer Schnack.Aber hier ist er nichts anderes als die harte Wahrheit.
Eine einseitige Schaffung von Fakten seitens der Paläs-tinenser oder der Israelis – also zum Beispiel der RückzugIsraels aus weiten Teilen der West Bank und der Versucheiner Separierung – würde nach meiner Überzeugungnicht zu einer Befriedung führen. Im Gegenteil: Es wäresogar mit einer Verschärfung des Kampfes um Jerusalemzu rechnen.Israel muss wissen, dass es militärisch gegen Steinewerfende Jugendliche nicht gewinnen kann.
Es muss hinterfragt werden, ob das israelische Vorgehenwirklich immer angemessen ist. Die Israelis müssen dasselber tun. Ich sage das mit großer Vorsicht. Aber ichmeine dies deutlicher, als ich es hier sage; um dies einmalhinzuzufügen. Israel muss sich fragen, ob die dauerndeBesetzung der West Bank nicht eine Ursache für viele Er-eignisse ist, die nur als Menschenrechtsverletzungen be-zeichnet werden können.Andererseits muss auch festgestellt werden: Palästi-nensische Intifada-Anführer, die Kinder und Heranwach-sende Steine werfend gegen Militärposten schicken, han-deln vollkommen unverantwortlich. Es ist unbegreiflich,dass sie so handeln.
Die internationalen Bemühungen um eine Entschär-fung der Lage – so auch die aktuellen Bemühungen Prä-sident Clintons, Arafat und Barak zu Gesprächen in Wa-shington zu bewegen – erfordern unsere uneinge-schränkte Unterstützung. Herr Kollege Weisskirchen,auch Sie haben das festgestellt. Der amerikanische Präsi-dent hatte sich allerdings nach dem Gipfel von Camp Da-vid öffentlich – fälschlicherweise, wie ich finde – einsei-tig auf die Seite Israels gestellt. Das hat seine Stellungnicht gestärkt. Wir müssen ein Interesse daran haben, dassdie amerikanische Position gegenüber beiden Konflikt-parteien stark ist. Natürlich ist er durch das herannahendeEnde seiner Präsidentschaft gehandicapt. Deswegensollte die Europäische Union Vermittlungsbemühungen
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unterstützen, die die Amerikaner unternehmen, und sichselber engagieren. Ich will nicht sagen, dass sie eigene,zusätzliche und unkoordinierte – dies vor allen Dingenschon gar nicht – Vermittlungsbemühungen unternehmensollte. Herr Außenminister, ich stimme Ihnen ausdrück-lich zu, dass wir, Deutschland, das auf gar keinen Fall al-lein tun sollten.Wir bekennen uns klar zu einem politischen Engage-ment Europas. Denn es geht um mehr als um die finanzi-elle und wirtschaftliche Absicherung dieses politischenProzesses, der ja ohnehin in einer sehr tiefen Krise steckt;um das einmal ganz vorsichtig auszudrücken. Wir könnendiesen Prozess aber nicht unterstützen, wenn wir ihn nichtmitgestalten. Europa hat in dieser Region ganz vitale po-litische Interessen. Der Nahe Osten heißt nicht „NaherOsten“, weil er nahe bei Amerika liegt, sondern weil ernahe bei Europa liegt.Deshalb haben wir es sehr begrüßt, dass der Hohe Re-präsentant der EU, Javier Solana, an dem Gipfel vonScharm el-Scheich konstruktiv teilgenommen hat. Wenndas zutrifft, Herr Minister, was Sie heute Morgen ausge-führt haben – ich habe keinen Zweifel daran, dass dies derFall ist –, dann möchte ich ihn zu seiner Rolle, die er inScharm el-Scheich gespielt hat, ausdrücklich beglück-wünschen.
Allerdings werden die EU-Staaten dadurch noch mehrverpflichtet, eine gemeinsame Position zu diesem Kon-flikt zu finden. Gemeinsame Erklärungen wie die vonBerlin und Biarritz reichen nicht aus, wenn die EU-Staa-ten in der Generalversammlung der Vereinten Natio-nen wieder unterschiedlich votieren und damit die Glaub-würdigkeit von Javier Solana unterminieren.Der Bundesregierung kommt innerhalb des europä-ischen Engagements eine besondere Verantwortung zu.Bilateral, im Verbund mit den EU-Partnern und in Ab-sprache mit den USA, sollte das Gespräch nicht nur mitIsrael, sondern vor allem auch mit der arabischen Welt in-tensiver geführt werden, um einer weiteren Entfremdungzwischen ihr und dem Westen vorzubeugen und um denDialog zwischen Palästinensern und Israelis sowie die füreine Friedenslösung notwendige Kompromissbereitschaftund Vertrauensbasis zu fördern.Ihre geplante Reise in die Region, Herr Bundeskanzler,wird wohl die schwerste sein, die Sie zu bewältigen ha-ben. Ich hoffe, dass die Abstimmung unter den Europäernbis dahin so weit gediehen ist, dass Sie, wenn auch ohneEU-Mandat, eine europäische Position vertreten können.Ich wünsche Ihnen im Namen meiner Fraktion für dieseReise jeden denkbaren Erfolg.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Christian Sterzing von Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir ha-ben in den letzten Wochen fürchterliche Bilder aus demNahen Osten gesehen: erschossene Kinder, Lynchmord anSoldaten und einen exzessiven Gebrauch von Gewalt, dieauch durch den Gipfel von Scharm el-Scheich nicht be-endet werden konnte. Diese Bilder haben uns alle aus ei-ner Illusion erweckt, nämlich der Illusion, dass der Oslo-Prozess, den wir alle – ich meine: zu Recht – unterstützthaben, eine Eigendynamik entwickeln und damit automa-tisch zu einem guten Ende führen würde – irgendwie, ir-gendwann.Aber wir müssen heute sehen, dass in den letzten sie-ben oder acht Jahren dieser Prozess das Vertrauen zwi-schen den Konfliktparteien eben nicht, wie gehofft, ge-stärkt, sondern geschädigt und sogar weitgehend zerstörthat. Es ist leider nicht gelungen, durch wechselseitigeAkte schrittweise Vertrauensbildung zu betreiben unddamit eine Basis für die Regelung des Endstatus dieserGebiete zu legen.Die Gewalt, die wir in diesen Tagen erleben, hat nichtdas Vertrauen vieler Menschen in dieser Region zerstört,sondern die Gewalt ist Ausdruck eines schon weitgehendzerstörten Vertrauens. Wir müssen deshalb deutlich ma-chen, dass dieser berühmte Oslo-Prozess zu einem hohenGrad an Frustration, an Enttäuschung und Vertrauensver-lust gerade auch auf palästinensischer Seite geführt hat.Ohne das zu berücksichtigen, kann man aber über Aus-wege aus dieser Situation nicht mit Hoffnung auf Erfolgreden. Der Oslo-Prozess war eben als ein Prozess ange-legt, an dessen Anfang die Palästinenser Zugeständnisseund am Ende die Israelis Zugeständnisse machen sollten.Dieser Prozess hat sich jedoch – das wurde schon ange-sprochen – für die Palästinenser nicht in dem erwartetenMaße ausgezahlt. Die Friedensdividende ist bis heute aus-geblieben. Das muss man schon deutlich ansprechen, umzu verstehen, was heute in der Region vorgeht und warumAppelle, von der Gewalt abzulassen, alleine nicht ausrei-chen.Die Situation ist schwierig, nicht nur weil die Gewaltund der Vertrauensverlust zwischen den beiden Konflikt-parteien solche Ausmaße angenommen haben, sondernweil auch die Situation, die jeweiligen Gesellschaften sozerrissen sind. Beide Gesellschaften sind in sich zerrissen;es gibt keine klaren Mehrheiten für die Fortsetzung diesesFriedensprozesses.Wir müssen feststellen, dass die gewalttätige Ausei-nandersetzung natürlich auch aus innenpolitischen Grün-den von beiden Seiten instrumentalisiert wird. Wenn wiruns das vor Augen halten und hier über Perspektiven fürdie Region reden, dann tun wir das gewiss nicht besser-wisserisch von außen, als ob wir die Lösungen parat hät-ten, sondern aus Sorge und Verbundenheit mit den Opfernder Gewalt in der Region und ganz besonders aus Solida-rität, die uns mit dem israelischen Staat verbindet, und ausVerantwortung, die wir alle für die Existenz dieses Staa-tes übernehmen wollen.Was machen in dieser Situation? Ich glaube, wir müs-sen uns genau anschauen, was die Beteiligten in der Re-gion insgesamt tun, und nicht nur – natürlich auch –, was
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sie zum Abbau der Gewalt tun. Wir müssen uns auch an-schauen, was sie tun, um eine Rückkehr zu Verhandlun-gen zu ermöglichen. Da gibt es an beide Seiten erheblicheNachfragen zu stellen.Darüber hinaus müssen wir uns fragen, welche Rollewir spielen können. Es muss einen Weg zwischen der Hy-bris einer deutschen Vermittlerrolle in der Region und ei-ner bloßen Statistenrolle der EU geben. Ich glaube, es gibteinen solchen Weg. Die Berliner Erklärung der EU vorfast anderthalb Jahren hat einen Weg gewiesen. Wir wol-len und können diesen Prozess nicht nur ökonomisch un-terstützen, sondern können auch diplomatisch-politischim Hintergrund tätig werden, um die Sprachlosigkeit derKonfliktparteien zu überwinden, um Wege aufzuzeigen,wie man – sicherlich langsam – von der Konfrontation zueiner konstruktiven Atmosphäre zurückkehren kann. Aufdiesem Weg kann – so hoffe ich – die Reise des Bundes-kanzlers ein wichtiger Schritt sein. Wir wünschen ihm da-bei viel Erfolg.
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Klaus Kinkel von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Herr Bundeskanzler, da Sie ausverständlichen Gründen weg müssen, möchte ich Ihnenauch für die F.D.P.-Fraktion sagen: Sie sollten reisen. Ichweiß, dass das schwierig ist. Ich weiß es aus meiner per-sönlichen und aus familiärer Verbundenheit mit diesemLand und ich kenne die Situation, die im Augenblick dortherrscht, glaube ich, sehr genau. Sie sollten reisen und wirwünschen Ihnen für diese Reise alles Gute!
Ein Vierteljahr nach dem tragischen Scheitern deshoffnungsvollen Nahost-Friedensgipfels von Camp Da-vid ist der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensernleider wieder aufgeflammt. Mehr als hundert Tote, erneutBilder von Gewalt und Schrecken aus Gaza und Jerusa-lem, innenpolitisch motivierte Verhärtungen der Positio-nen und Drohgebärden auf beiden Seiten und die ständigeGefahr der Eskalation zum Krieg – es scheint, als könnediese Region niemals zur Ruhe kommen.Aber wir dürfen die Hände nicht in den Schoß legen,wir dürfen auf gar keinen Fall aufgeben. Der Friedens-prozess in Nahost muss weitergehen.Es gibt auch ein paar Hoffnungszeichen. Der Krisen-gipfel von Scharm el-Scheich und auch die Gipfelkonfe-renz der Arabischen Liga in Kairo haben gezeigt, dassalle Beteiligten im Grunde davon überzeugt sind, dass eszum Frieden, wie wir alle zu Recht meinen, keine Alter-native gibt.Die arabischen Länder haben eine relativ moderateGipfelerklärung verabschiedet und entgegen allen Erwar-tungen nicht zu konkreten Maßnahmen gegen Israel auf-gerufen. Der israelische Premier Barak, mit dem ich einerelativ kurze, aber immerhin ausgefüllte Zeit zusammen-gearbeitet habe, hat trotz seiner innerpolitischen Schwie-rigkeiten in Camp David gezeigt, dass er im Grunde be-reit ist, für den Frieden über seinen Schatten, den Schattender Israelis, zu springen und den Palästinensern sogar inder Jerusalemfrage entgegenzukommen und das ist ver-dammt schwierig.
Bei aller Verzweiflung in Anbetracht der gegenwärti-gen Situation: Das Friedensmomentum im Nahen Ostenist im Prinzip und grundsätzlich weiter vorhanden. Es giltgerade jetzt – angesichts des Wiederaufflammens der Ge-walt – es zu nutzen.Die Einwirkungsmöglichkeiten von außen – wir allewissen das – sind sehr begrenzt. Allein mit bilateralenVermittlungsversuchen kommen wir offensichtlich nicht,jedenfalls nicht dauerhaft, weiter. Das gilt auch für dieAmerikaner, die in diesem Prozess die stärkste Rolle spie-len, spielen können und auch spielen müssen. Deshalb istes an der Zeit, sich möglichen Friedenslösungen – das istjedenfalls die Auffassung der F.D.P. und auch meine per-sönliche – für den Nahen Osten von einer anderen Seitezu nähern und zumindest den Versuch zu machen, mit ei-ner Initiative für die Einrichtung einer Konferenz für Si-cherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten einneues Kapitel aufzuschlagen.Wir alle wissen, dass das nicht die aktuelle Gewalt be-seitigen kann und wird. Es sind daher weiterhin Appellean die Vernunft der Konfliktparteien, bilaterale Vermitt-lungsbemühungen und ein couragiertes Einschreiten derVerantwortlichen auf beiden Seiten gegen die extremisti-schen Friedensfeinde im eigenen Lager notwendig. Abereine solche Initiative für eine Sicherheitskonferenz kanneine Perspektive für eine dauerhafte Friedenslösung bie-ten, die den Menschen in der krisengebeutelten Region ei-nen Ausweg aufzeigt und ihnen etwas Hoffnung gibt so-wie vielleicht auch Anreize schafft, die Waffen jetzt ausder Hand zu legen.Die Ansatzpunkte für eine solche Initiative sind beste-chend einfach: Der Nahost-Konflikt ist durch eine kom-plizierte, viele Länder in der Region und außerhalbbetreffende Gemengelage gekennzeichnet. Bilaterale An-sätze reichen ganz offensichtlich nicht aus. Zudem geht esim Nahen Osten nicht nur um Spannungen zwischen ein-zelnen Staaten oder Völkern, sondern um Erdöl, Wasser,Wirtschaftsinteressen und vieles mehr. Es handelt sichferner eindeutig um einen Regionalkonflikt und ein Re-gionalkonflikt braucht einen regionalen Lösungsansatz,bei dem alle Probleme auf den Tisch kommen und bei demalle mit am Tisch sitzen, die in der Region Interessen ha-ben und die bereit sowie in der Lage sind, bei einer um-fassenden Friedenslösung zu helfen.Wir haben in Europa bei der Überwindung des Ost-West-Konfliktes mit einem solchen Lösungsansatz ausge-zeichnete Erfahrungen gemacht und könnten diese Erfah-rungen in den aktuellen Konflikt einbringen. DerKSZE-Prozess hat nach der Gründung der Organisation
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vor 25 Jahren mit seinem Ansatz einer regionalen Ver-trauensbildung einen ganz entscheidenden Beitrag zumEnde des Kalten Krieges geleistet. Dies war der Fall, weildieser Prozess nicht nur eindimensional auf Rüstungs-kontrolle und unmittelbare Konfliktverhinderung ausge-richtet war, sondern mit seinen unterschiedlichen Körbenauch auf Wirtschaftsthemen, auf innergesellschaftlicheProzesse, auf einen breiten Dialog, auf Interessenaus-gleich und auf Annäherung gesetzt hat.Ich glaube, dass die Voraussetzungen günstig sind, soetwas jetzt auch für den Nahen Osten zumindest zu ver-suchen. Während des Kalten Krieges waren die Israelis– daran erinnere ich mich besonders gut – und die arabi-sche Welt auf dem Koordinatenkreuz des Ost-West-Kon-fliktes stets fest eingeordnet. Das ist vorbei. Russland wardamals Kosponsor und ist heute – die Welt hat sich andersentwickelt – bereit, sich einzubringen und bei einer aus-gewogenen, dauerhaften Friedenslösung für Nahost mit-zuhelfen. Diese Chance sollten wir nutzen.Die Initiative für die Einrichtung einer solchen Konfe-renz müsste von der Europäischen Union ausgehen. Siehat gute Kontakte zu allen Beteiligten; sie will und solltesich ohnehin stärker und aktiver einbringen. Diese Forde-rung wird von der arabischen Seite deutlich erhoben; dieIsraelis haben – das wissen wir – eine andere Auffassung.Der Hohe Repräsentant der EU für die GemeinsameAußen- und Sicherheitspolitik sollte die Federführungübernehmen. Hier könnten wir Europäer der Welt zeigen,dass wir es mit unserer gemeinsamen außenpolitischenVerantwortung ernst meinen. Die Bundesregierung solltein Abstimmung mit der französischen Präsidentschaft denAnstoß geben.Herr Kollege Fischer, ich weiß – ich habe Ihre Presse-konferenz im Fernsehen mitverfolgt –, dass Sie Zweifelangemeldet haben, ob das der richtige Ansatz wäre. Ichfordere Sie trotzdem auf, nochmals darüber nachzuden-ken. Die bevorstehende Reise des Bundeskanzlers in dieRegion könnte ein guter Ansatzpunkt sein.Unser Verhältnis zu Israel wird immer ein besonderesbleiben, einfach wegen dem, was war. Israel muss wissenund weiß es auch, dass es sich auf uns verlassen kann, vorallem dann – das ist heute schon mehrfach betont wor-den –, wenn es um Sicherheitsfragen und existenzielleFragen geht. Aber auch die Palästinenser und die gesamtearabische Welt setzen große Hoffnungen auf uns. Der An-stoß zu einer Regionalisierung der Friedenslösung fürden Nahen Osten ist für meine Begriffe ein gangbarerWeg, um diesen Erwartungen gerecht zu werden.Zum Schluss: Wir Deutsche haben von den Segnungendes KSZE-Prozesses am meisten profitiert, nämlich mitder Wiedervereinigung unseres Landes in Frieden undFreiheit. Versuchen wir doch einmal, einen ähnlichenWeg wie damals im Rahmen des KSZE-Prozesses im Hin-blick auf den Nahen Osten zu gehen und so etwas von demGeschenk, das uns gemacht worden ist, zurückzugeben.Setzen wir uns mit all unseren Kräften dafür ein, dass einsolcher Prozess auch im Nahen Osten in Gang kommt, da-mit eine der am meisten von Krieg und Gewalt gebeutel-ten Regionen dieser Erde endlich zur Ruhe kommen kann.Es ist für die Deutschen schwierig, einen Beitrag zuleisten. Auf bilateraler Ebene und im europäischen Rah-men ist es einfacher, einen der KSZE entsprechenden Bei-trag zu leisten. Es wäre der richtige Ansatz, wenn eine ent-sprechende Initiative von uns ausgehen würde. Ich bitte,darüber nachzudenken und nicht von vornherein denKopf zu schütteln; denn es haben sich ein paar Abgeord-nete, die von der Region etwas verstehen, Gedanken übereinen solchen Ansatz gemacht.Vielen Dank.
Das
Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Gehrcke von der
PDS-Fraktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Das Plenum des DeutschenBundestages hat sich, wenn mich nicht alles täuscht, inden letzten zehn Jahren kein einziges Mal im Rahmen ei-nes gesonderten Tagesordnungspunktes mit der Lage inden von Israel besetzten Gebieten befasst. Die heutige De-batte über die Krise des Friedensprozesses im NahenOsten kommt spät. Das zeigt: Wir tun uns schwer mit demThema Israel und Palästina. Aber von dem VerhältnisIsraels zu den Palästinensern und den arabischen Nach-barn hängt die Sicherheit und Stabilität in der Welt imgroßen Maße ab. Um den Frieden in der Region steht esschlecht; das muss man nicht noch einmal erklären.Ministerpräsident Barak spricht von einer Pause imFriedensprozess, einer Friedenspause sozusagen. Wennaber der Friede Pause macht, dann herrschen Gewalt undKrieg. Nein, Krieg und Gewalt brauchen eine Pause. Siemüssen stillstehen, damit der Friede eine Chance erhält.
Diese Aufforderung ist auch Inhalt der jüngsten UNO-Resolution. Diese richtet sich nicht nur, aber in erster Li-nie an die Regierung Israels.Wenn wir über Israel debattieren, dann können wir dasnicht tun, ohne uns an den Völkermord Deutscher an deneuropäischen Juden zu erinnern. Eine kritische Debatteüber das Verhältnis zu Israel ist auch deswegen zusätzlichschwierig, weil Antisemitismus in unserem Lande umsich greift und weil Rechtsextreme Synagogen und Fried-höfe angreifen und schänden. Auch das ist ein Teil desHintergrunds unserer Debatte. Ich habe zwar viel darübernachgedacht, ob es Sinn macht, hier eine solche Debattezu führen. Ich habe sehr gehofft, dass wir uns dieses Pro-blems auch bewusst werden. Aber ich bin fest davon über-zeugt, dass wir – auch um der Sicherheit Israels willen –die Verpflichtung haben, eine solche Debatte im Deut-schen Bundestag zu führen.
Meine Kritik an der Politik Israels im Hinblick auf diePalästinenser verbinde ich mit einer Kampfansage an Anti-semitismus und rechte Gewalt im eigenen Land.
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Dr. Klaus Kinkel12097
Ich kritisiere die Politik Israels, weil ich glaube, dass siekeinen Frieden schafft. Im Gegenteil: Sie gebiert leiderneue Gewalt und, wie ich befürchte, auch neue Kriege.Israel hat einen Anspruch auf Sicherheit. Israel braucht si-chere Grenzen. Diese bekommt das Land aber nur, wennauch die Palästinenser Sicherheit und durchlässige Gren-zen erhalten. Gewalt und Unsicherheit in der Region wer-den erst aufhören, wenn die Palästinenser ihren Staatbekommen, einschließlich Ostjerusalem. Erst der Palästi-nenserstaat wird auch Israel Sicherheit geben.Wir haben es heute nicht mehr nur und vorwiegendmit einer Auseinandersetzung zwischen Israel und seinenarabischen Nachbarstaaten zu tun. Darauf hat Israel im-mer eine Antwort gefunden, häufig eine militärische, dieich oftmals für falsch gehalten habe.
Wir sind heute mit einer Intifada der dritten Genera-tion konfrontiert. Sie hat ihre Besonderheiten. Es ist einAufstand der Verzweiflung, ein Aufstand gegen Entrech-tung, tiefe soziale Not, ein Aufstand gegen den Raub vonLand, Würde, Menschenrechten. Die Verzweiflung darü-ber, dass über den Frieden geredet wird, dass er aber nichtkommt, ist so groß, dass sogar Kinder zu Steinen grei-fen – und das ist fürchterlich. Dieses Mal erheben sichauch arabische und palästinensische Bürger Israels; auchdas ist neu.Ich glaube, man muss auch und gerade in Israel und beiuns bedenken: Vielleicht kann dieser Aufstand noch ein-mal militärisch niedergeschlagen werden; aber er wirdwiederkommen. Die Sicherheit Israels ist tatsächlich inGefahr. Um der eigenen Sicherheit Israels und des Rechtsder Palästinenser willen muss man fordern, dass die Re-solutionen der Vereinten Nationen nicht nur anerkannt,sondern befolgt werden. Weder Israel noch ein andererStaat hat das Recht, mit Beschlüssen der UNO nach Gut-dünken umzugehen.Mit der gleichen Selbstverständlichkeit und Eindring-lichkeit müssen wir eine Rückkehr zum Osloer Vertragfordern. Wer, Kollege Kinkel, eine Konferenz für Sicher-heit und Zusammenarbeit im Nahen Osten will, der mussan Oslo anknüpfen; denn nur dann, wenn Oslo gesichertwird, wieder Grundlage wird, sind weitergehende Überle-gungen überhaupt möglich und durchsetzbar. Dazu müs-sen sich die Menschen in Israel durchringen, darauf müs-sen die Menschen in Palästina hoffen können. Das fälltihnen leichter, wenn ihnen Freunde dazu raten und ihnenzur Seite stehen.Aus zahlreichen Gründen findet Europas Vermittlerderzeit im Nahen Osten viel Akzeptanz; Europa und da-mit Deutschland darf sich um diese Herausforderungnicht herumdrücken oder herumreden. Europa kann dazubeitragen, dass der Friedensprozess im Nahen Osten wie-der aufgenommen wird. Dabei hilft Geld für soziale Pro-jekte in den palästinensischen Gebieten. Dort ist viel ge-schehen und das ist gut so. Jetzt aber ist vor allempolitische Einmischung mit erkennbaren eigenen Positio-nen und deutlichen Forderungen nötig.Die Regierung Barak will eine Notstandsregierungbilden. Wäre es nicht besser, den Notstand zu beenden?
Ich glaube, dass viele große Hoffnung auf die Reise desdeutschen Bundeskanzlers in den Nahen Osten setzen. Ichbin dafür, dass er diese Reise antritt. Ich wünsche ihm eineglückliche Hand – eine glückliche Hand auch im Aus-sprechen von Wahrheiten; denn Wahrheiten helfen immer,dem Frieden näher zu kommen.Herzlichen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Christoph Moosbauer
von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist ange-sichts der Eindrücke der letzten Wochen nicht leicht, überdie Entwicklung im Nahen Osten zu sprechen, ohne einsehr pessimistisches Bild zu zeichnen – wenn wir heutehören, dass sich der israelische Generalstab darauf ein-richtet, dass die Auseinandersetzungen noch weit bis insnächste Jahr hinein andauern werden, wenn wir hören,dass auf der anderen Seite der palästinensische Geheim-dienstchef sagt, dass das Schlimmste noch bevorstehe,und wenn wir uns unsere Lage irgendwo dazwischen klarmachen, mit der Hilflosigkeit, wenig mehr tun zu können,als Appelle an die Vernunft zu richten, und gleichzeitig se-hen zu müssen, wie mit der Spirale der Gewalt im NahenOsten neue Fakten geschaffen werden.Es ist auch schwer mit den vielen Bildern der Gewaltim Kopf – dem Bild des kleinen Jungen, der im Kugelha-gel stirbt, den Bildern der Israelis, die von einer Men-schenmenge buchstäblich zerrissen werden. Es ist schwer,sich trotz dieser Eindrücke nicht emotionalisieren zu las-sen. Es schmerzt natürlich auch, dass wir zusehen müssen,wie das, was auch wir mit unserer Hilfe, mit viel Engage-ment und viel persönlichem Einsatz über lange Zeit auf-gebaut haben, nun in so kurzer Zeit mit groben Händeneingerissen wird.Doch unsere Aufgabe muss es jetzt sein, so schwer esin der momentanen Situation auch ist, vom Tagesgesche-hen sozusagen einen Schritt zurückzutreten und den Blickzu richten auf das, was in den letzten sieben Jahren seitden Oslo-Verträgen im Friedensprozess schief gelaufenist.Denn was immer wieder gesagt und auch jetzt noch ge-schrieben wird, nämlich dass der Besuch Ariel Scharonsauf dem Tempelberg der Auslöser für die Gewalttätig-keiten gewesen sei, stimmt ja nicht ganz. Er mag dasStreichholz gewesen sein, das das Pulverfass entzündethat. Aber was sich hier entlädt, ist doch die Unzufrieden-heit mit dem Verlauf des Friedensprozesses insgesamt,und zwar auf beiden Seiten.Deutschland und auch Europa müssen eine schonungs-lose Analyse der Jahre seit Unterzeichnung der Oslo-Ver-
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Wolfgang Gehrcke12098
träge vorantreiben. Nur sie kann die Basis für einen neuenAnlauf sein, der eine Wiederholung der Fehler vermeidet.Auf allen Seiten wurden hier Fehler gemacht. Ich plädierenicht dafür, schwarze Peter zu verteilen. Ganz im Gegen-teil: Ich warne in der aktuellen Auseinandersetzung aus-drücklich davor. Bei allem Verständnis dafür, dass mansich angesichts der Fernsehbilder zu schnellen Urteilenhinreißen lässt – jetzt der einen oder der anderen Seite dieSchuld an der Krise in die Schuhe zu schieben ist wedergerecht noch zielführend. Aber wir müssen uns fragen,warum eine solche Situation entstehen konnte, in der diegezielte Provokation Scharons zu dem führen konnte, waswir jetzt täglich in den Schlagzeilen lesen können.Wir müssen uns auch fragen, ob nicht westliche Hoff-nungen den Prozess überfrachtet und überfordert haben.Um Jerusalem ist jetzt schon Tausende von Jahren ge-stritten worden. Innerhalb eines Jahres eine Lösung fürden Konflikt zu erwarten muss vor diesem Hintergrunddann doch als allzu optimistisch erscheinen. Sosehr wirden Frieden im Nahen Osten und eine Lösung herbeiseh-nen, die den Interessen aller Beteiligten gerecht wird, sobrauchen wir dann doch Geduld. Das zeigt vor allem dieschreckliche Krise jetzt.Ich unterstreiche das, was der Bundesaußenministerheute im Auswärtigen Ausschuss gesagt hat, nämlich dassdie Situation eigentlich absurd ist und dass sich die Kon-trahenten eines Tages wieder an einen Tisch setzen unddann da weitermachen müssen, wo sie vom Tisch aufge-standen sind.Eine schnelle Lösung der vielen Probleme – Jerusalemist sicher das Problem mit den meisten Emotionen, aberbei weitem nicht das einzige – ist trotz allem nicht inSicht. Aber eine Lösung kann es nicht geben: Das ist dieLösung der Gewalt.
Wir brauchen einen langen Atem in der Nahost-Politik,auch in der deutschen und der europäischen Nahost-Poli-tik.Ich freue mich, dass mit Javier Solana in Scharm el-Scheich das erste Mal Europa mit am Verhandlungstischsaß. Auch wenn wir in Europa von einer gemeinsamenHaltung in der Nahost-Politik – das ist bereits erwähntworden – noch weit entfernt sind, so haben wir doch ei-nen Grundkonsens. Der heißt: keine Gewalt. Das ist derGrundkonsens, auf dem wir aufbauen können und müs-sen.Europa hat auch eine Vorbildfunktion. Denn wie ofthören wir mit Verweis auf die unterschiedlichen Menta-litäten, die es im Nahen Osten gibt, dass es im NahenOsten nie zu einem Frieden kommen kann. Das hat manvon Europa auch einmal gesagt, und das ist nicht allzulange her. In Europa haben wir bewiesen, dass Friedenmöglich ist. Frieden wird auch im Nahen Osten möglichsein. An diesem Ziel halten wir fest und dieses Ziel mussuns viele Anstrengungen wert sein. Ich weiß aber nicht,Herr Kollege Kinkel, ob ein KSZE-Prozess oder ein ver-gleichbarer Prozess im Nahen Osten möglich sein wird;denn wir haben andere Voraussetzungen. Vor allem man-gelt es nicht an Strukturen zur Vertrauensbildung im Na-hen Osten, sondern es mangelt daran, dass sie nicht wahr-genommen werden.
Wir haben mit dem euro-mediterranen Dialog eine demKSZE-Prozess vergleichbare Struktur. Wenn wir hier un-sere Anstrengungen verstärken, könnte das zielführendsein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es stimmt, waswir hören, nämlich dass in Camp David die Kompromiss-linien für die strittigen Fragen wie Wasser und Flücht-linge sowie auch für Jerusalem deutlich wurden, dannmuss auf dieser Basis weitergearbeitet werden. Hier istauch der deutsche Beitrag gefragt. Wenn wir dazu beitra-gen können, Konfliktursachen zu entschärfen und damiteine Lösung für beide Seiten akzeptabel oder akzeptablerzu machen, dann sollten wir das tun. Ich denke hier vor al-lem an den Bereich des Wassers. Es ist ein unheimlicherKonfliktstoff. Hier können wir helfen. Es gibt technischeLösungen, aber auch politische Lösungen, die wir unter-stützen können.Ich begrüße in diesem Zusammenhang, dass der Bun-deskanzler an seinem Plan festhält, die Region in dernächsten Woche zu bereisen. Es wird keine leichte Reisewerden. Das haben alle Redner schon gesagt. Es ist abereine wichtige Reise. Die deutsche Bundesregierung zeigtdamit vor allem, dass sie eine konstruktive Kraft in derNahost-Politik sein will und auch sein wird.Meine Damen und Herren, natürlich wünsche auch ichmir, dass die Gewaltspirale im Nahen Osten gestoppt wirdund dass die heutigen Kontrahenten im Kampf als Partneran den Verhandlungstisch zurückkehren. Aber ich machemir keine allzu großen Illusionen hinsichtlich der Wir-kungen solcher Appelle, zumal dann, wenn sie von einemeinfachen Abgeordneten kommen. Daher beschränke ichmich auf einen Appell, der mir besonders am Herzen liegt.Ich richte ihn bewusst nicht an eine, sondern an beide Sei-ten: Lasst die Kinder aus der Schusslinie
und bedenkt, was ihr in den Herzen der Kinder anrichtet,wenn ihr Hass predigt!Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, was beideSeiten zu verlieren haben und dass beide Seiten eine Weltzu gewinnen haben. Ich bin davon überzeugt, dass sichfrüher oder später der Frieden eine Bahn brechen wird.Als vor nunmehr fast drei Jahren Tausende junger Israelisin Tel Aviv gegen die Politik Netanjahus demonstrierten,hielten sie Schilder mit der Aufschrift „Yitzhak RabinsWeg wird siegen“ in die Luft. Er wird, er muss, und dasses so kommt, das ist auch unsere Aufgabe.
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Christoph Moosbauer12099
Herr Kol-
lege Moosbauer, ich beglückwünsche Sie zu Ihrer ersten
Rede in diesem Hause.
Als nächster Redner hat der Kollege Christian Schmidt
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsi-dent! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist überdie Wahrheit gesprochen worden, die man beachtenmüsse und die weiterhelfe. Der Nahe Osten ist eine Re-gion, in der es viele unterschiedliche Wahrheiten gibt, dieaus unterschiedlichen Sichtweisen und Wahrnehmungenentstehen. Wir sollten doch noch einmal den Blick auf dieWahrnehmung seitens des israelischen Bürgers lenken,der sich aus dem arabischen Bereich auch Äußerungengegenübersieht, die seine Existenz infrage stellen. In derletzten Woche war ich in einem europäischen Land aufReisen und konnte im Hotelfernseher einen arabischenSender empfangen. Dieser arabische Sender erging sich15 Minuten darin, das Verbrennen israelischer Fahnenund nach vorne stürmende, mit Kalaschnikows und ande-ren Waffen ausgerüstete palästinensische Kämpfer, allesuntermalt mit Marschmusik, zu zeigen. Das erhöht dieAngst der israelischen Bürger, von der Herr KollegeLamers gesprochen hat.Dies zeigt, dass Vertrauensbildung notwendig ist. In-sofern kommt der Gedanke einer „KSZNO“ – die hat Kol-lege Kinkel hier vorgeschlagen – zumindest in dieserFrage zu einem durchaus richtigen Schluss. Ob jetzt derrichtige Zeitpunkt zur Umsetzung dieses Gedankens ist,ist eine andere Frage; dies sollten wir an anderer Stellevertieft diskutieren. Mir kommt es jetzt darauf an, dasswir nicht nur versuchen, den Vertrauensverlust zu kom-pensieren und appellativ mit der arabischen Welt zu spre-chen. Vielmehr dürfen wir nicht vergessen, dass der Kon-takt zur arabischen Welt gerade nach den Äußerungen vonScharm el-Scheich eine Basis hat. Es gab dort keine Rufe,Krieg zu beginnen; es gab den Ruf nach den Vereinten Na-tionen. Kofi Annan hat bei einem Besuch in dieser Stadteinmal gesagt: Wenn nach den Vereinten Nationen geru-fen wird, dann wollen die Staaten einen billigeren Weg,„they want to do the cheap way“. Was in den letzten Wo-chen durch das Vergießen von Blut und die Verbreitungvon Angst und Schrecken passiert ist, war teuer genug. Ichglaube nicht, dass die verantwortungsvollen arabischenStaatsführungen einem misslungenen und aus der Handgeglittenen Manöver der palästinensischen Führung – ichsage das aus meiner Sicht – nachgeben und den Weg derGewalt gehen. Aber das muss in einen Dialog münden,der uns Europäer weitaus mehr fordern wird als jemals inden letzten Jahrzehnten, in denen wir uns sehr gut hinterden amerikanischen Positionen verstecken konnten. Wirmüssen dann bei der Aufnahme des Barcelona-Prozessesund bei der Aufnahme der Möglichkeiten, die wir in be-schränktem Rahmen haben, in einer einheitlichen Posi-tion sowohl der arabischen Welt als auch dem mit uns inbesonderer Weise verbundenen Staat Israel zeigen, dasswir konstruktiv bereit sind, auf dem Friedensweg voran-zugehen.Ich zweifle daran, dass das eine aktuelle Frage ist; ichhabe das im Zusammenhang mit der KSZNO – ich nehmeden Begriff gerne auf – angesprochen. Ich vermute, wirwerden Wochen, vielleicht Monate damit zubringen, zuhoffen, dass die Gewalt versiegt und nicht durch neue Ak-tivitäten von beiden Seiten noch stärker gefördert wird.Wenn es so weit ist, muss es allerdings Konzepte geben.Da scheint mir auf europäischer Ebene noch Nachholbe-darf zu bestehen. Wir müssen uns – ich unterstreiche das –klar werden, wie alle europäischen Staaten gemeinsamunter französischer Präsidentschaft, unter schwedischerPräsidentschaft und danach mit einer gemeinsamenStimme sprechen können. Dazu wird die Reise des Bun-deskanzlers Gelegenheit bieten. Dabei müssen und wer-den sicherlich Konsultationen mit Frankreich stattfinden,und zwar enger als auf dem Asien-Gipfel in der Frage derdiplomatischen Beziehungen zu Nordkorea, bei der Eu-ropa wieder einmal auseinander gefallen ist.Hier kann man nur Glück wünschen. Was allerdingsdas Ansinnen von Herrn Barak betrifft, das er, ausweislichder „Stern“-Vorabmeldungen, in einem Interview zumAusdruck gebracht hat, dass nämlich Europa Vermittlerspielen solle, so ist das ein Schuh, den wir uns nicht an-ziehen sollten. Wir eignen uns nicht als Vermittler auf derEbene der Friedensstiftung. Wir eignen uns allerdings– auch aufgrund unserer eigenen Interessenlage – sehr gutzu dem Versuch einer Integration dieser Region in eineZone, die sich durch wirtschaftliche Stabilität und Pros-perität entwickelt und in der durchaus auch eine politischeund möglicherweise irgendwann eine Beteiligung im Be-reich der Friedenserhaltung notwendig ist. Aber wir soll-ten nicht versuchen, im Sinne der Streitschlichtung alsVermittler aufzutreten.Wenn wir das europäische Haus anschauen, stellen wirfest, dass wir unsere Möglichkeiten noch nicht ausgereizthaben. Ich habe von der Europäischen Union gesprochen.Hier müssen wir in enger Abstimmung mit einem unsererstrategischen Partner, nämlich der Türkei, Politik betrei-ben. Ich sehe dabei eine wichtige Rolle für die Türkei, ge-rade in der gegenwärtigen Situation. Deswegen gehe ichdavon aus, dass sich unsere Bundesregierung und derBundeskanzler mit den türkischen Positionen auseinandersetzen und abstimmen; denn die Türkei hat die einmaligeChance, einerseits von der arabischen Welt, andererseitsvon Israel mit Vertrauen ausgestattet, und als enger Part-ner Europas Aktivitäten zu entfalten. Das steht übrigensüberhaupt nicht im Widerspruch zu der Position, die un-sere Fraktion und unsere Parteien zur Frage des vollenBeitritts der Türkei zur Europäischen Union haben. Dassind zwei völlig verschiedene Paar Stiefel.Ich hoffe, dass wir dieser unserer Rolle gerecht wer-den, dass wir Vertrauensbildung schaffen und dass wirnicht in derartige Plattheiten verfallen, wie sie ein jungerParteifreund des Herrn Bundesaußenministers heute in ei-nem Leserbrief in der „Welt“ von sich gibt, in dem er andie Bundesregierung und seinen Parteifreund JoschkaFischer appelliert, die Militärschläge Israels scharf zu ver-urteilen und bei Wiederholung mit militärischem Eingrei-fen seitens der Völkergemeinschaft zu drohen. Es ist kom-pletter Quatsch, der hier von sich gegeben wird. Es gehtdarum, Vertrauen zu bilden und klarzumachen, dass auch
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und gerade auf palästinensischer Seite eine große Verant-wortung liegt. Vielleicht hängt die Situation auf palästi-nensischer Seite auch damit zusammen, dass Demokratiein den palästinensischen Autonomiegebieten bisher leidernicht verwirklicht worden ist.
Als letz-
ter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der
Bundesminister Joseph Fischer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundes-regierung ist in tiefer Sorge angesichts der anhaltendenSpannungen und Konfrontationen und der vielen Opfer,der Verwundeten und Toten, auf beiden Seiten. Wir sindvor allen Dingen deswegen in so tiefer Sorge und sindauch so tief betroffen über diese Entwicklung, weil derProzess der Friedensverhandlungen beide Seiten dochsehr weit angenähert hatte. Alle Elemente eines mögli-chen Ausgleichs, eines möglichen Kompromisses warenmehr als einmal durchdiskutiert, die Enden waren so nah,dass man glaubte den entscheidenden Knoten machen zukönnen. Dann kam es wieder zu dieser Gewalteskalationund zu einem doch ganz erheblichen Rückschritt.Dies alles geschieht – die Vorredner haben es betont –auf dem Hintergrund einer Entwicklung, die bedeutet,dass diese Gewalt nichts ändern wird, dass sich beideNachbarvölker schließlich wieder dort finden werden, wosie vom Tisch aufgestanden sind. Insofern wird die Bun-desregierung alles tun, um dazu beizutragen – mehr alsbeitragen können wir nicht; allerdings können wir imRahmen unserer Möglichkeiten dazu beitragen –, einge-bunden in die europäischen Strukturen, in die transatlan-tischen Strukturen, auch in die Anstrengungen der Ver-einten Nationen, dass beide Seiten die Gewalt reduzieren,dass die Gewalt erlischt und dass die Rückkehr an denVerhandlungstisch möglich ist.Dazu gehört meines Erachtens allerdings auch dieKlarheit der Position. Ich finde es richtig, wenn Herr Kol-lege Schmidt noch einmal angesprochen hat, dass es sehrwichtig ist, dass wir auch die Perzeption, die Wahrneh-mung der israelischen Seite verstehen – so wie wir auchdie Wahrnehmung der palästinensischen Seite verstehenmüssen.Ich kann Ihnen versichern: Die Telefonate, die Ge-spräche mit beiden Seiten, führen immer dazu, dass manvon beiden Seiten gute Argumente hört, die aber letztlichdie Gewalteskalation nicht durchbrechen. Entscheidendwird aber sein, dass die Gewalteskalation durchbrochenwird, dass es zu einer Rückkehr an den Verhandlungstischkommt; denn ohne diese Verhandlungen droht in der Tat,dass die ganze Region in Brand gesetzt wird – mit fatalenKonsequenzen nicht nur für die regionale Sicherheit undStabilität, sondern darüber hinaus. Vergessen wir nicht:Wir sind Nachbarregion.Nun, der Kollege Kinkel musste weg. Ich will deshalbIhnen, Herr Gerhardt, meine Argumente sagen. Ich bingrundsätzlich voller Sympathie für die Struktur derKSZE. Die entscheidende Frage ist nur, ob das zum jetzi-gen Zeitpunkt eine Lösungsperspektive bedeutet, ob dieBedingungen dafür gegeben sind. Ich finde, da muss manschon ein Stück weit in die konkreten Bedingungeneinsteigen.Die Voraussetzung für einen regionalen Sicherheits-ansatz ist die Bereitschaft aller Beteiligten, unter Wah-rung vorhandener Dissense zu kooperativen vertrauens-bildenden und sicherheitsbildenden Maßnahmen zukommen. Das kann ich mir zum gegenwärtigen Zeitpunktnicht vorstellen, und zwar deswegen nicht, weil sich zumBeispiel Israel mit Händen und Füßen dagegen wehrt, zueiner Internationalisierung zu kommen, hinter der manletztlich nur eine Isolierung Israels vermutet. Zum Zwei-ten sind die Akzeptierung der Bedingungen, etwa der Un-verletzlichkeit, der Unverrückbarkeit der Grenzen unddes Gewaltverzichts, sowie die Transparenz in diesenPunkten unter den Bedingungen des Nahen Ostens – ver-schiedene Regimes, verschiedene Interessenlagen – sonicht gegeben.Der KSZE-Prozess in Europa wäre nicht möglich ge-wesen, wenn diese Bedingungen nicht klar gewesenwären, etwa die Unverrückbarkeit der Grenzen. Das heißt,dass sich die Frage territorialer Veränderungen erst einmalgar nicht gestellt hat. Das war die entscheidende Voraus-setzung.Dass dann friedliche Veränderungen etwa im Rahmender deutschen Wiedervereinigung möglich wurden, warein entscheidender Punkt. Dazu gehörte aber auch, dassandere Territorialverzichte geleistet wurden und dass inüberragender Art und Weise die Aussöhnung nicht nur mitden Nachbarn im Westen, sondern ebenfalls – durch dieOstpolitik – mit den Nachbarn im Osten stattgefunden hat.Bedauerlicherweise, Kollege Gerhardt, müssen wirfeststellen, dass die Voraussetzungen für einen solchenKSZE-Prozess, übertragen auf den Nahen Osten, derdann viel für sich hätte, meines Erachtens erst gegebenwären, wenn analoge Prozesse, wie sie mit Ägypten er-reicht wurden, im palästinensisch-israelischen und im is-raelisch-syrischen Verhältnis stattfinden würden. Dann inder Tat würde sich meines Erachtens die Frage eines Re-gionalansatzes dauerhaft stellen, der durchaus Elementehätte, die weit über KSZE hinausgingen. Dann wäre dieSituation gegeben.Das sind meine Einwände. Sie sind nicht grundsätzli-cher Natur, aber zur Lösung der gegenwärtigen Problemewird dieser Ansatz nichts beitragen können.Ich habe auch keine grundsätzlichen Einwände gegenEinbindungsstrategien in Bezug auf den Irak. Trotzdemmuss ich sagen: Wenn Sie, Kollege Gerhardt, diese wich-tige Diskussion ernst nehmen – ich nehme sie sehrernst –, dann sollten Sie in Ihrer Funktion als Partei-vorsitzender mit dem Kollegen Möllemann einmal darü-ber reden, ob es der geeignete Zeitpunkt ist und ob es zurVertrauensbildung beiträgt, wenn er in der jetzigen Situa-tion diese Reise im November unternimmt. Ich glaube, esist nicht der geeignete Zeitpunkt.
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Christian Schmidt
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Ich möchte Ihnen noch einmal versichern: Ich bin nichtder Meinung, wir sollten eine Isolationsstrategie fahren.Ich bin aber der Meinung – die Entwicklung ist sehr ne-gativ verlaufen, und auch die Rolle des Irak innerhalb desarabischen Lagers ist neu zu bewerten –, dass Sie überdiese Thematik nochmals nachdenken sollten.Zurück zu der Frage: Was können wir tun? Wir wollenund können keine eigenständige Rolle spielen. In diesemPunkt stimme ich allen Vorrednern zu. Auf der anderenSeite können wir aber entscheidend zu einer positivenEntwicklung beitragen. Die Europäische Union hat sehrwohl Instrumente, Herr Kollege Gerhardt, die in dieseRichtung weisen.Im November findet das Treffen mit den Mittel-meeranrainerstaaten unter Einschluss der wichtigstenarabischen Staaten und auch Israels in Marseille statt.Man wird dann sehen können, ob Ihr Vorschlag sozusagenein Realisierungspotenzial hat. Der einzige bestehendekooperative Regionalprozess – dieser kooperative Pro-zess ist das einzige Instrument, das es heute gibt – wurdedurch die euro-mediterrane Konferenz eingeleitet, die vonder EU mit den wichtigsten Anrainerstaaten gerade undauch unter Einschluss des arabischen Raumes in Barce-lona organisiert wurde. Deswegen heißt dieser Prozessauch Barcelona-Prozess.Wir werden in Marseille alles tun, damit wir einen kon-struktiven Fortschritt erreichen. Aber ich prophezeie Ih-nen schon heute: Es wird sehr schwierig werden. Wirmüssen diese Instrumente fortentwickeln. Wir sollten sienicht unter dem Gesichtspunkt „entweder – oder“ sehen,sondern wir sollten gleichzeitig am Oslo-Prozess festhal-ten, für den ich keine Alternative sehe, ohne dass es zu ei-nem Rückschritt kommt.
Über diese Punkte müssen wir konkret sprechen.Die Bundesregierung hat sich sehr darum bemüht, undwir freuen uns darüber, dass Javier Solana in Scharm el-Scheich zum ersten Mal eine wichtige Funktion hatte. Wirwollen, dass wir hier zu einer weiteren Vereinheitlichungder Positionen kommen. Ich betone nochmals: Ich seheüberhaupt keinen Sinn darin, in Israel ein Gefühl der Iso-lierung zu produzieren. Diesen Grundsatz müssen wir beiallem, was wir tun, bedenken. Ansonsten werden Ent-wicklungen ausgelöst, die nicht zu mehr Frieden und Sta-bilität beitragen, sondern durch die das Gegenteil erreichtwird.
Nicht nur aus historischen Gründen, sondern auch ausdiesen Gründen müssen wir klar machen: Wir stehen nichtnur in Sonntagsreden, sondern vor allen Dingen auchdann, wenn es ernst wird, ohne Wenn und Aber zu unse-ren besonderen Verpflichtungen gegenüber Israel auf-grund unseres besonderen Verhältnisses. Diese Positionsollten wir klar herausstellen. Wir setzen uns aber auchdafür ein, dass die legitimen Interessen des palästinen-sischen Volkes unter Einschluss eines eigenen Staatesberücksichtigt werden. Aber dies muss in Frieden, im Ein-vernehmen und nicht auf dem Weg der Konfrontationgeschehen.
Beide Völker müssen zusammenfinden. In diesemPunkt muss Klarheit bestehen – das war bisher der Kon-sens in der deutschen Nahostpolitik –: Je verlässlicher undberechenbarer wir für beide Seiten sind, desto mehr wer-den wir – selbst unter schwierigsten Bedingungen – zu ei-ner Friedenslösung beitragen können.Lassen Sie mich mit einem Appell an beide Seitenschließen! Es bringt nichts, Aufrechnungen und Schuld-zuweisungen zu betreiben. Das Einzige, was nützt, ist, derGewalt abzuschwören und an den Verhandlungstischzurückzukehren. Ich denke, die Reise des Bundeskanzlersbietet eine Chance, dazu beizutragen. Ich möchte michauch in seinem Namen bei allen bedanken, die ihm in die-ser Debatte alles Gute gewünscht haben. Es wird eine sehrschwierige Reise werden. Dennoch ist es richtig, dass ersie im Interesse des Friedens unternimmt.
Ich
schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/4392 an den in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschuss vorgeschlagen. Der Entschließungs-
antrag auf Drucksache 14/4398 soll an denselben
Ausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einver-
standen? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der CDU/CSU
Ergebnisse des Europäischen Rates in Biarritz
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für
die antragstellende Fraktion, die CDU/CSU, der Kollege
Peter Hintze das Wort.
Herr Präsident! Meine sehrgeehrten Damen und Herren! Wir haben diese AktuelleStunde beantragt, weil der EU-Gipfel in Biarritz aus un-serer Sicht an seinen selbstgesetzten Zielen gescheitert ist.
Wir finden es wichtig, dass wir darüber beraten. Wir soll-ten als Parlament einen Beitrag dazu leisten, dass Nizzadoch noch ein Erfolg wird.
In Vorbereitung der großen Reformkonferenz in Nizzaist man bisher in den bekannten Gegensätzen stecken
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Bundesminister Joseph Fischer12102
geblieben: Blockade in der Frage der Mehrheitsentschei-dungen im Ministerrat, Blockade bei der Zusammenset-zung der Kommission, Blockade bei der Stimmenge-wichtung. Dies sind unstreitig zentrale Themen derRegierungskonferenz. Hier beklagen wir einen Mangel anpolitischer Führung; dem muss schnell abgeholfen wer-den.
Der einzige Punkt, bei dem der Europäische Rat vo-rangekommen ist – das ist erfreulich –, ist die Erleichte-rung der verstärkten Zusammenarbeit. Ausgerechnet dasist eine politische Forderung, die CDU und CSU lange er-hoben haben. Wir mussten sehr drängen, damit dies über-haupt in die Liste der zu behandelnden Themen aufge-nommen wurde. Wir freuen uns, dass das seinerzeit inLissabon geschehen ist, und sind froh, dass hier auch inBiarritz ein Erfolg erzielt wurde.Meine sehr geehrten Damen und Herren, Nizza nahtsehr schnell. Es ist wichtig, jetzt zu Ergebnissen zu kom-men, und zwar aus zwei Gründen: zum einen um die not-wendige Reform der Europäischen Union selber, zumanderen um die Osterweiterung, das große Stabilitätspro-jekt, auf die Reihe zu bringen. Eine weitere Verzögerunghätte unabsehbare negative Folgen politischer und wirt-schaftlicher Art, auch negative Folgen für Deutschland.Ich sage hier für meine Fraktion klipp und klar: Deutsch-land muss Anwalt der Osterweiterung bleiben. Das isteine moralische, politische und ökonomische Aufgabe,der wir uns stellen.
Ich will für meine Fraktion noch etwas klipp und klarsagen, was in der öffentlichen Diskussion vielleicht nichtimmer so deutlich geworden ist: Wir sind für einen Ver-fassungsvertrag. Wir wollen, dass es nach Nizza weiter-geht. Aber Nizza selber ist die Voraussetzung für die Er-weiterungsfähigkeit. In Nizza wird der Schlüssel für dieOsterweiterung geschmiedet. Die danach notwendigenDiskussionen wollen wir in einem fairen Prozess auch mitden Kandidatenländern führen.
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt nennen: Das Er-folgsgeheimnis der europäischen Integration war schonimmer das Zusammenwirken von kleineren und größerenStaaten. Das hat für alle Kanzler gegolten. Sie haben ge-wusst, dass nicht nur Paris und London, sondern auch DenHaag und Luxemburg erste Adressen sind, wenn es um ei-nen Erfolg für Europa geht. Wir blicken mit Sorge auf die-sen Gipfel, weil wir befürchten, dass Misshelligkeitenzwischen den kleineren und den größeren Staaten entste-hen. Ich wünsche mir von der Bundesregierung, dass sieeinen Beitrag dazu leistet, dass die gute Tradition in Eu-ropa, die für alle Kanzler galt, auch in Zukunft gilt, näm-lich dass kleinere und größere Staaten fair miteinanderumgehen.Die Regierungschefs der Europäischen Union habensich für Nizza eine ausgesprochen zaghafte Agenda vor-genommen. Trotzdem wissen wir, dass dort einige Nüssezu knacken sein werden; das ist ganz klar. Wir hätten unsschon für die laufende Regierungskonferenz ein größeresReformprojekt gewünscht.In Nizza muss der Weg für die Erarbeitung eines euro-päischen Verfassungsvertrages frei gemacht werden. Indieses europäische Verfassungsdokument gehören dieGrundrechte der Bürger, eine präzise Kompetenzabgren-zung zwischen europäischer und nationaler Ebene undeine Neuordnung der europäischen Institutionen auf derGrundlage einer klaren Gewaltenteilung.Wir als CDU und CSU haben einen solchen Verfas-sungsvertrag lange Zeit alleine gefordert. Es hat Wider-stände und Kritik gegeben. Unsere Forderung ist nichtrecht aufgenommen worden.
– Der Außenminister macht jetzt mimisch klar, dass er dasanders sieht. Sie können das gleich hier am Pult sagen.
Ich freue mich, dass mittlerweile auch die Bundesre-gierung davon spricht, und ich freue mich, dass auch Bun-despräsident Johannes Rau sich ausdrücklich für ein sol-ches Projekt eines Verfassungsvertrages ausgesprochenhat und für seine Inhalte eintritt.Von der Regierungsbank wird „Januar“ gerufen. HerrBundesaußenminister, wir haben diese Forderung bereitsin unserem Konzept für die letzten Europawahlen, alsobereits Mitte des Jahres 1999, erhoben. Damals hatte siein der politischen Diskussion etwas Mühe. Heute ist sieaufgegriffen. Ich finde das gut.Wir hoffen, dass die Bundesregierung einen Beitragdazu leistet, dass Nizza ein Erfolg wird. Das brauchen wirin Europa, auch um die Zustimmung zu Europa in der Be-völkerung wieder zu steigern. Wir hoffen, dass es nachNizza weitergeht, dass in Nizza selbst der Prozess einereuropäischen Verfassungsgebung mit Blick auf einen Ver-fassungsvertrag eingeleitet wird, damit dieses größere Eu-ropa, das wir bauen, ein gutes Fundament bekommt undwir als Bundesrepublik Deutschland am Bau diesesgroßen Hauses Europa einen guten Anteil haben.Herzlichen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Dietmar Nietan von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine liebenKolleginnen und Kollegen! Wir haben die EU-Ausschuss-sitzung gerade mit einem Eilprogramm durchgezogen,damit wir es ermöglichen können, hier in Ihrer AktuellenStunde zu reden. Es ist für mich immer sehr interessant,zu sehen, dass man nach den konstruktiven Diskussionenund guten Fragestellungen seitens der Oppositionsfrak-tionen im EU-Ausschuss hier immer sehr merkwürdige
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Peter Hintze12103
Fensterreden zu hören bekommt. Vielleicht hätten wir imEU-Ausschuss länger tagen sollen; das wäre produktivergewesen als diese Aktuelle Stunde.
Herr Kollege Hintze, es war sehr interessant, dass Sieim Zusammenhang mit Biarritz drei Mal das Wort„Blockade“ in den Mund genommen haben. Dass das beiIhnen angesichts der Strategie der CDU-Opposition einbeliebtes Wort ist, ist schon richtig. Aber es ist eine Fehl-einschätzung der Wirklichkeit, dass Sie bei Biarritz voneiner Blockade sprechen. Im Gegenteil – ich glaube, Siebrauchen das gar nicht mehr zu hoffen –, Biarritz hat ge-zeigt: Die Bundesregierung, insbesondere der Außenmi-nister und der Bundeskanzler, sind Motor für einen Erfolgin Nizza. Das haben sie in Biarritz durch ihre Verhand-lungsstrategie eindeutig gezeigt.
Wenn Sie auf der einen Seite davon sprechen, das Pro-gramm von Nizza sei ein zaghaftes, und auf der anderenSeite unterstreichen, dass Sie die EU-Erweiterung sehrschnell möchten, kann man sich des Eindrucks nichterwehren, dass Sie hier ein doppelbödiges Spiel spielen.Wer Nizza mit einem noch größeren Katalog belastet,stellt den Erfolg von Nizza und damit die Erweiterungs-fähigkeit der EU infrage. Ich finde, dieses doppelbödigeSpiel muss einmal ein Ende haben, wenn man glaubwür-dig bleiben will.
Ich danke dem Bundeskanzler ausdrücklich dafür, dasser mit seinem für einige überraschenden Vorschlag desRotationsprinzips bei den Kommissaren nicht nur deut-lich gemacht hat, dass die Bundesregierung sehr flexibelverhandeln kann, sondern dass sie mit diesem Vorschlagauch die Ernsthaftigkeit unterstrichen hat, ihren Beitragzu einem Erfolg zu leisten. Ich glaube, es ist umgekehrt:Dieser Vorschlag war kein Affront gegen die Kleinen,sondern hat Bewegung, Dynamik und einen Einigungs-druck gebracht und deutlich gemacht, dass man auf der ei-nen Seite bereit ist,
als großer Staat in der EU bei der Kommission sehr weitzu gehen, wenn es auf der anderen Seite – das halte ichauch für richtig – deutliche Fortschritte bei derMehrheitsentscheidung und bei der Stimmengewichtunggibt. Denn nur das macht die EU auch handlungsfähig.Wir erleben jetzt, dass sich die Flexibilität und dieMöglichkeit, zu weiter gehenden Einigungen zu kommen,in einigen Punkten schon abzeichnen. Wenn es uns zumBeispiel wirklich gelingt, bei der verstärkten Zusammen-arbeit das Veto wegzubekommen, steht diesem von allenunterstützten Projekt „verstärkte Zusammenarbeit“ weni-ger im Weg. Ich glaube, auch das hat etwas mit der Ver-handlungsstrategie zu tun, dass wir da jetzt einen Schrittweiter sind.Ich will noch einmal sehr deutlich sagen – Sie habendas ja betont –, dass Nizza ein Schlüssel für die EU-Er-weiterung ist. Ich glaube, da zählen nicht die Worte, son-dern die Taten. Ich sage das an dieser Stelle sehr deutlich.Es ist sicherlich einfach für den von mir sehr geschätztenPremierminister Blair, in Polen Daten für einen EU-Bei-tritt zu nennen, zugleich aber zuzulassen, dass die briti-sche Delegation bei der Regierungskonferenz nicht ge-rade zum Motor der Einigung gehört.Ich finde demgegenüber die Vorgehensweise der Bun-desrepublik wirklich vorbildlich. Es würde auch unsererDelegation auf der Regierungskonferenz nutzen, wenndie Opposition im Zusammenhang mit Biarritz nicht vonBlockade und einem Fehlschlag sprechen würde, sondernin diesem Punkt die Regierung unterstützte. Das würdeauch ihre Position stärken.
Ich will auch sehr deutlich etwas zur Frage der Kom-petenzabgrenzung und zur Frage der Folgekonferenz inNizza sagen. Das wird ja auch in der aktuellen Diskussionimmer wieder angeführt. Wenn selbst eine Zeitung wiedas „Handelsblatt“, das man ja nun nicht als Regierungs-organ bezeichnen kann, in Kommentaren schreibt, dass esinsbesondere Außenminister Fischer und BundeskanzlerSchröder zu verdanken ist, dass die Bereiche Kompetenz-abgrenzung und Stärkung der konstitutionellen Grundla-gen der EU jetzt wirklich Konturen annehmen, zeigt dasdoch, dass schon viele erkannt haben, dass Deutschlandals Motor bei der Weiterentwicklung der EuropäischenUnion wirkt. Ich hoffe, dass auch Sie irgendwann zu die-ser Erkenntnis kommen.
Zum Schluss will ich noch einmal deutlich sagen, dasses zwar wichtig ist, dass von der Opposition kritische undunangenehme Fragen gestellt werden. Wenn dieses kriti-sche Hinterfragen aber dazu führt, dass man grundsätzlichjede Bewegung in der Regierungskonferenz unter die Ru-brik Misserfolg und Blockade einordnet, dann muss mansich in der Tat fragen lassen, wie ernst man es meint, wennman sagt, dass man diese Konferenz wirklich zu einemErfolg führen will, oder ob man sich nicht insgeheim denMisserfolg wünscht,
weil man – ich sehe Herrn Merz hier sitzen –
dann vielleicht auch wieder ein Thema hat, um sich zuprofilieren. Jedes ist Ihnen dazu ja recht.Ich bitte Sie, Kolleginnen und Kollegen von der Union:Sorgen Sie mit dafür, dass, nachdem Sie nun denBrückenbauer abgesägt haben, die Pfeilewerfer bei Ihnennicht die Innenpolitik mit solchen Themen wie dem derEU belasten.
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Dietmar Nietan12104
Ich glaube, das würde weder Deutschland noch der EUnutzen.Vielen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Helmut Haussmann von
der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gab hier zumindest
zwischen den klassischen Parteien vor entscheidenden
Gipfeln immer Konsens und überhaupt keine Meinungs-
verschiedenheiten. Auch jetzt gilt: Nizza muss ein histo-
rischer Erfolg werden. Fraktionen, die sich wie wir immer
gründlich für eine pünktliche Osterweiterung eingesetzt
haben, möchten natürlich, dass die Beschlüsse von Nizza
ein Minimum an Substanz aufweisen; denn ohne Vertie-
fung steht die Erweiterung Europas auf wackligen Bei-
nen.
Es geht nun darum, dass die bisherigen Vorergebnisse – es
handelte sich ja nur um einen Vorgipfel – nicht dement-
sprechend ausgefallen sind. Das haben wir auch in inter-
nen Gesprächen geklärt und das ist auch nicht allein
Schuld der Bundesregierung. Es wird aber auf Deutsch-
land und das deutsch-französische Verhältnis, das intakt
sein soll, geschaut. Die bisherige Verhandlungsführung
der Franzosen gegenüber kleinen Staaten war nicht so,
dass ein großer Erfolg in Nizza zu erwarten wäre.
Folgende Forderungen leiten wir daraus ab:
Erstens. Die Bundesregierung und insbesondere der
Bundesaußenminister, der eine große Rede hier in der
Berliner Humboldt-Universität gehalten hat, sollten alles
tun, damit sich das Verhalten der französischen Präsident-
schaft gegenüber den kleinen Staaten bessert. Herr
Fischer, das ist die Voraussetzung für einen Erfolg. Wir
haben es dabei nicht nur mit den 15 Staaten zu tun, son-
dern die Gespräche bei jedem Besuch vor allem in den
kleinen Staaten in Osteuropa zeigen, dass diese jetzt
schon sehr genau darauf achten, wie andere Staaten be-
handelt werden. Insofern war natürlich die Behandlung
von Österreich ein extrem schlechter Auftakt.
Zweitens. Wir sollten Biarritz nicht schönen. Es gibt
heute in der Bevölkerung genügend Europa-Skepsis. Die
europäische Währung hat heute einen weiteren Tiefstand
erreicht. Das ist nicht gut für die Stimmung in der Bevöl-
kerung. Es findet keine Aufklärung über die Osterweite-
rung statt. Deshalb ist es so wichtig, dass die Bürger das
Gefühl bekommen, dass die Bundesregierung und das
Parlament die Latte für Nizza hoch legen.
Denn ohne eine gründliche Reform der internen Prozesse
ist ein Europa der 25 Staaten eben nicht handlungsfähig.
Drittens. Wir brauchen einen Erweiterungsfahrplan.
Wir müssen aufhören, die Osteuropäer auf die Folter zu
spannen. Diese Bemerkung richtet sich nicht gegen den
Außenminister, sondern gegen den Bundeskanzler. Der
Bundeskanzler reist in die Reformländer und sagt: Ich bin
der Anwalt; Sie gehören zur ersten Gruppe; wir setzen uns
für eine schnelle Erweiterung ein. Nachdem der Bundes-
kanzler zurückgereist ist, sagt er: Die Hausaufgaben sind
noch nicht gemacht; die Landwirtschaft hat ihre Reform-
aufgaben nicht erfüllt; der Finanzplan reicht nicht aus.
Der neueste Plan besteht darin, möglichst viele Länder
gleichzeitig aufzunehmen. Wir hätten es dann also mit ei-
nem Massenbeitritt von mindestens zehn Ländern zu tun.
Das führt dazu, dass die reformbereiten kleineren Länder,
die in die Europäische Union aufgenommen werden
möchten, warten müssen. Wir sind dafür, dass das so ge-
nannte Regatta-Prinzip eingehalten wird. Wenn sich die
infrage kommenden kleineren Länder vorbereitet haben
und die politischen und die ökonomischen Ziele erreicht
haben, dann müssen sie schnell die Chance erhalten, der
EU beizutreten. Nur wenn Polen dabei ist – das ist unser
größter Wunsch –, wird dort innenpolitisch klar, dass in
diesem Land noch einige Hausaufgaben zu machen sind.
Letzter Punkt. Tun Sie alles, damit nach Nizza ein eu-
ropapolitischer Konsens möglich ist, wie bisher bei allen
Vertragsänderungen.
– An die Bundesregierung, an die französische Präsident-
schaft und an Sie. Sie als Parlamentarier haben Einfluss.
Sie müssen weiter als die Regierung gehen und die Re-
gierung dazu bringen, dass in Nizza Substanzielles be-
schlossen wird. Wenn das geschieht, werden die Freien
Demokraten dem Vertrag, der nach Nizza geschlossen
wird, zustimmen.
Herzlichen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Christian Sterzing von
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieFrage, die im Raume steht, ist, ob Biarritz ein Erfolg war.Um diese Frage zu beantworten, kommt es darauf an,welchen Maßstab man anlegt. Legt man den an, den HerrHaussmann soeben angedeutet hat – er hat kritisiert, dassüber Erweiterung nicht gesprochen worden ist –, ist demzu entgegnen: Das stand schlichtweg nicht auf der Tages-ordnung. Es gibt einen anderen europapolitischen Fahr-plan, auf den man sich innerhalb der Europäischen Union
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Oktober 2000
Dietmar Nietan12105
geeinigt hat. Ich bitte Sie, ihn einmal zur Kenntnis zu neh-men. Ihre ewige Leier reißt hier niemanden mehr vomHocker.Was ist also der Maßstab für Biarritz? Wir scheuennicht davor zurück, hohe Maßstäbe an die Arbeit und andie Leistungen der Regierung anzulegen. Nur müssendiese Maßstäbe realistisch sein. In dieser Hinsicht gilt esfestzuhalten: Biarritz war ein informeller Gipfel, auf demdiskutiert wurde, auf dem man Gedankenaustausch be-trieben hat und auf dem man neue Entwicklungen be-sprochen hat. Beschlüsse standen aber nicht auf der Ta-gesordnung.Biarritz ist eben nicht Nizza; insofern ist der Vorwurfgegenüber der Bundesregierung, sie habe vieles von dem,was für Nizza vorgesehen ist, in Biarritz nicht erreicht,nicht angemessen und ohne Realitätsbezug.Wenn man ein Fazit aus den Beratungen dieses Gipfelszieht, dann kann man sagen, dass es selten einen so erfolg-reichen informellen Gipfel gab.
Das Thema Grundrechte-Charta wurde schon erwähnt.Auf diesem Gipfel ist das passiert, was sich der Bundes-tag, auch in der Debatte der letzten Sitzungswoche, er-hofft hat: dass diese Grundrechte-Charta von den Regie-rungschefs der Mitgliedstaaten akzeptiert wird. Außer-dem ist Kostunica empfangen worden und es ist über denNahen Osten gesprochen worden.Aus vielen Äußerungen kann man ablesen, dass dieBeratungen durch das Stichwort „Bewegung“ am bestencharakterisiert werden. Zwar hat es keinen Durchbruchgegeben, aber Bewegung. Schaut man sich das Thema„verstärkte Zusammenarbeit“ – auch vor dem Hinter-grund von Äußerungen des britischen Premierministers –an, dann muss man das Zustandekommen einer deutsch-italienischen Initiative anerkennen. Es geht jetzt eigent-lich nicht mehr um das Ob, sondern sehr konkret um dasWie, um die Ausgestaltung der Bedingungen, wie mandiese verstärkte Zusammenarbeit durchführen kann.Auch im Hinblick auf die Kommissionsgröße ist es un-ter Beteiligung der deutschen Bundesregierung zu einerInitiative gekommen, die – dies zeigen die entsprechen-den Reaktionen – die Debatte in Gang gebracht hat.Ebenso ist bei dem Problem der Stimmengewichtungnach dem Besuch des Bundeskanzlers in Spanien Bewe-gung entstanden. Es wird über neue Zahlen, was die Stim-mengewichtung anbelangt, gesprochen. Auch in Bezugauf das Ziel, den Komplex der Mehrheitsentscheidungenzu erweitern, hat die Bundesregierung ihre Hausaufgabengemacht. Sie hat dargelegt, in welchen Bereichen sie sicheine solche Ausweitung vorstellen kann. Darüber ist aufdem Gipfel in Biarritz sehr konkret mit den anderen Mit-gliedstaaten gesprochen worden. – Das Fazit lautet also:kein Durchbruch, aber in sehr vielen entscheidendenPunkten Bewegung.Ich bitte Sie, auch folgenden Punkt zur Kenntnis zunehmen: An all diesen Initiativen war die deutsche Bun-desregierung beteiligt. Auch dies, so glaube ich, ist eindeutliches Zeichen dafür, dass gute Gründe bestehen, mitden Ergebnissen dieses Gipfels zufrieden zu sein. Die Be-urteilung der Öffentlichkeit entspricht der unsrigen. Michwundert schon, dass Sie, Herr Kollege Hintze, einschwarzes Bild zeichnen, indem Sie darauf hinweisen,was alles auf dem Gipfel in Biarritz angeblich nicht er-reicht worden ist.
Dass Sie uns nicht alles glauben, das sei Ihnen zugestan-den. Sie sollten sich jedoch einmal bei Ihren Kollegen er-kundigen, zum Beispiel bei Ihrem Kollegen Brok,
der in der Presse sehr deutlich seine Bewertung diesesGipfels bekannt gegeben hat und hinzugefügt hat, dass dieBewegung, die in Biarritz ausgelöst worden ist, nach derGipfelkonferenz in den Verhandlungen der Regierungs-vertreter im Rahmen der Regierungskonferenz zu weite-ren Fortschritten geführt hat. Dies merkt er ausdrücklichpositiv an.
Insofern ist festzustellen: Ein bisschen Kommunika-tion mit den Kollegen im Europaparlament erspart unshier vielleicht die eine oder andere Aktuelle Stunde.Vielen Dank.
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Uwe Hiksch
von der PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Wir als PDS-Fraktion haben die Dis-kussion über die Europäische Union und über das, wasnach dem informellen Gipfel in Biarritz folgen wird,durchaus mit Sorge zur Kenntnis genommen. Diese Sorgehaben wir zum einen deshalb, weil in diesem Hause im-mer mehr feststellbar ist, dass die CDU/CSU-Fraktion dieEuropapolitik dazu nutzen will, eine parteipolitische Pro-filierung zu betreiben, und dass sie damit der europä-ischen Sache schadet. Diese Sorge haben wir zum ande-ren deshalb, weil feststellbar ist, dass die CDU/CSUdurch Zuspitzung in eine Richtung versucht, davon abzu-lenken, dass der Konsens, den es einmal in der Europapo-litik in der CDU/CSU gegeben hat, schon lange nichtmehr besteht und ihre Politik weit auseinander klafft zwi-schen dem, was beispielsweise Teile der CSU vertreten,die heute teilweise einen europafeindlichen Kurs verfol-gen, und dem, was die Europapolitiker in der CDU/CSU-Fraktion wollen.
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Christian Sterzing12106
Deshalb kann ich Sie nur auffordern, zu alten Positio-nen zurückzukehren und wieder zu lernen, dass Europa-politik kein parteipolitisches Thema sein sollte, sonderndass wir uns darum bemühen sollten, Europa weiterzuent-wickeln, zu vertiefen und vor allen Dingen zu erweitern.
Wir nehmen zur Kenntnis, dass natürlich eines stimmt,nämlich dass in Biarritz nicht das erreicht wurde, was vonTeilen der Bundesregierung gesagt wurde. WirklicheFortschritte standen nämlich noch nicht auf der Tagesord-nung und konnten auch nicht durchgesetzt werden. Esmuss festgestellt werden, dass bei einer ganzen Reihe derso genannten „leftovers“ das Problem besteht, dass Eini-gungen in diesen Punkten nach unserer Überzeugungnoch weit entfernt sind. Wir wissen aber, dass solche Ei-nigungen die Grundvoraussetzung dafür sind, dass insti-tutionelle Reformen die Grundlage dafür sein werden,durchzusetzen, dass eine Erweiterung um die mittel- undosteuropäischen Staaten möglich wird. Deshalb glaubenwir, dass die Aufgabe der Bundesregierung auch darin be-stehen muss, wieder zusammenzuführen.Wir haben der Presse entnommen – Herr Bundes-außenminister Fischer, hier besteht bei uns durchausSorge –, dass sich die Bundesregierung in eine Diskussioneingereiht hat, bei der die Unterscheidung zwischen denPositionen der großen Staaten der Europäischen Unionauf der einen Seite und der kleinen Staaten der Europä-ischen Union auf der anderen Seite in einer Weise zuge-spitzt wurde, wie sie einer europäischen Entwicklungnach unserer Überzeugung nicht gut tut. Wir würden unswünschen, dass die Bundesregierung wieder die Positioneinnimmt, die deutsche Bundesregierungen über vieleJahre eingenommen haben, nämlich die, zu versuchen, alsMittler zwischen den Interessen der großen Nationalstaa-ten auf der einen Seite und den Interessen der kleinen Na-tionalstaaten auf der anderen Seite aufzutreten. Denn esist immer die Bundesrepublik gewesen, die hier Fort-schritte möglich gemacht hat.Deshalb wollen wir die Bundesregierung zum Erstendabei unterstützen, im Sinne der Funktionsfähigkeit derOrgane deutlich zu machen und bei der Stimmenvertei-lung im Rat zu erreichen, dass auf der einen Seite unsereInteressen als großer Staat gewahrt werden, nämlich nichtvon einer Reihe kleiner Staaten, die eben nicht die Mehr-heit der Menschen in der Europäischen Union stellen,überstimmt zu werden. Auf der anderen Seite müssen aberauch die Interessen der kleinen Staaten bei der Stimmen-gewichtung berücksichtigt werden. Wir können uns vor-stellen, dass das, was die Bundesregierung als „doppelteMehrheit“ bezeichnet hat, ein Weg sein könnte, der in dierichtige Richtung führt.Zum Zweiten müssen wir in Bezug auf die Größe derKommission auf der einen Seite deutlich machen, dasswir die Funktionsfähigkeit der Kommission, gerade in ei-ner erweiterten Europäischen Union, für einen zentralenPunkt halten, um sicherzustellen, dass die EuropäischeUnion auch weiterentwickelt werden kann. Auf der ande-ren Seite muss aber auch gesehen werden, dass beispiels-weise durch das Rotationsprinzip – das können auch wiruns vorstellen – die Vertretung der Nationalstaaten we-nigstens über einen längeren Zeitraum gegeben sein muss.Wir halten es zum Dritten für notwendig und wertendeshalb die Vorschläge der Bundesregierung im Großenund Ganzen positiv, dass es hinsichtlich der Mehrheits-entscheidungen darum gehen muss, ob die EuropäischeUnion auch in Zukunft handlungsfähig sein wird, um dasErforderliche durchzusetzen. Deshalb sind wir der Über-zeugung, dass in Nizza darüber diskutiert werden muss,wie beispielsweise bei Mehrheitsentscheidungen Demo-kratisierungsprozesse dahin gehend in Gang gesetzt wer-den können, dass auch das Europäische Parlament einMitentscheidungsrecht bekommt; denn diese demokra-tisch gewählte Institution muss ebenso mitbestimmenkönnen. Dies ist eine wichtige Forderung zur Demokrati-sierung der Europäischen Union.Wir können aber nicht verstehen, dass die Bundesre-gierung als einen der Ausnahmetatbestände, die sie defi-niert hat, gerade die Handwerksordnung genommen hatund damit nach unserer Überzeugung klargemacht hat,dass sie mit rein egoistischen Forderungen in die Ver-handlung zur Schaffung von Mehrheitsentscheidungengeht.Die PDS-Bundestagsfraktion will mit ihren Forderun-gen erreichen, dass Nizza ein Erfolg wird. Wir wollendazu beitragen, dass die Vertiefung der EuropäischenUnion auf der einen Seite und vor allen Dingen auch dieErweiterung um die mittel- und osteuropäischen Staatenauf der anderen Seite ein Erfolg zum Wohle der Menschenund zum Wohle der Europäischen Union wird.Danke schön.
Das Wort
hat jetzt der Bundesminister Joseph Fischer.
Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Es gab hier ei-nige Beiträge. Gestatten Sie mir, dass ich versuche, unserePosition in der Kontroverse herauszuarbeiten.Kollege Hintze, Ihnen wird vorgeworfen, Sie hättenschwarz gemalt: In welcher Farbe sollen Sie auch sonstmalen.
Das ist die Farbe, die Ihnen angemessen ist. Ich meine dasgar nicht abwertend.
– Grün, wie die Hoffnung!
– Ach was! Machen Sie sich keine Sorgen, Herr Schäuble.Für das Schwarzmalen sind Sie zuständig, nicht unser-eins. Dass Sie die Arbeit der Regierung nicht in europä-ischen Morgenrötefarben malen können, kann ich verste-hen, auch wenn Sie es durchaus tun sollten. Ein gewisserFarbenwechsel wäre bei Ihnen zumindest im Kopf ange-messen.
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Uwe Hiksch12107
Kollege Hintze, wir haben in Biarritz über vieles nichtnur gesprochen, sondern auch bei vielem, wie ich denke,erhebliche Fortschritte erreicht. Es ging nicht nur um denFriedensprozess. Ihn haben wir zuvor in der Debatte erör-tert. Auch das Treffen mit dem neuen jugoslawischen,dem demokratischen Präsidenten Kostunica war nicht nursymbolisch, sondern auch emotional ein wichtiger Punkt.Das demokratische Jugoslawien, das demokratische Ser-bien kehren in die Gemeinschaft der europäischen Demo-kratien zurück.
Das hat auch, wie ich gehört habe, in der Belgrader Öf-fentlichkeit eine große Bedeutung gehabt.Ich komme jetzt zu den wesentlichen Punkten derRegierungskonferenz. Die wesentlichen Punkte sind ja– deutsche Leitkultur, nicht wahr? – „leftovers“. Washeißt das auf Deutsch? Überbleibsel. Aber ein Überbleib-sel von wem? Nicht von Rot-Grün,
sondern ein Überbleibsel aus der glanzvollen Regie-rungsperiode Ihrer Koalition. Warum sind sie Überbleib-sel geworden – oder „leftovers“, um wieder gemäß derLeitkultur zu formulieren? Wenn ich Sie so sehe, HerrMerz, frage ich mich natürlich: Gehört Mickeymaus zuunserer Leitkultur oder würden Sie das schon als eineÜberfremdung ansehen? – Ich möchte das jetzt nicht ver-tiefen.
– Ja, das ist wahr. Es hat in der Tat manchmal etwas Be-freiendes, wenn man so etwas liest und nicht andere Re-den lesen muss, Herr Kollege Hintze.Der entscheidende Punkt ist: Es sind deswegen Über-bleibsel, weil sie damals nicht lösbar waren. Wenn Siediesen Maßstab an Biarritz anlegen, sollten vor allen Din-gen doch Sie – getrieben von christlicher Wahrhaftig-keit – die Frage stellen: Sind diese Überbleibsel – damalsder Kern von Amsterdam – jetzt lösbarer geworden? Jaoder nein? Die Antwort auf diese Frage hätte ich von Ih-nen erwartet; das ist der Maßstab.
Ich kann nur sagen: Wenn sie lösbarer geworden sind,sollten Sie die schwarze Farbe einmal vergessen und sa-gen: Das habt ihr gut gemacht.Es kommt noch ein weiterer Punkt hinzu, nämlich dieverstärkte Zusammenarbeit. Ich erinnere mich noch gut,wie sie für illusionär gehalten wurde. Im Zuge der Erwei-terung wurde uns privat von europasachverständigen Kol-legen aus Ihren Reihen gesagt: Das ist der zentrale Punkt;denn eine sich erweiternde Union muss die Perspektivezur Vertiefung über die verstärkte Zusammenarbeit ha-ben; aber das werdet ihr nicht schaffen. – Dieser Punktgehörte nicht einmal zu den Überbleibseln, sondern zuden Hoffnungen der sachverständigen Europapolitikeraus der Union.Heute kann ich Ihnen sagen: In Biarritz ist klar gewor-den – die deutsch-italienische Initiative ist erwähnt wor-den –, dass wir diesen Punkt in Nizza weiter verhandelnwerden. Vor einem europäischen Abschluss muss man dasGanze immer unter Vorbehalt sehen; aber nach Biarritzgehe ich mit wesentlich mehr Optimismus nach Nizza.Wenn wir in diesen Punkten einen Durchbruch erzielenwollen, wird das mit dazugehören. Das muss man docheinmal anerkennen; es ist einer der entscheidendenPunkte.
Ich komme zu den anderen Punkten: zur Größe und Zu-sammensetzung der Kommission und zum Rotationsmo-dell. Wenn gesagt wird, die Bundesregierung würde sichnicht mehr um die kleinen Mitgliedstaaten kümmern,dann wissen Sie doch ganz genau, dass dieses schlichtwegQuatsch ist. Wir haben doch gegensätzliche Interessen dergroßen und kleinen Staaten – bei den Fragen, die wir hierdiskutieren, geht es ganz entscheidend darum – bezüglichder Frage der Stimmengewichtung und der Frage der Zu-sammensetzung der Kommission. Schauen Sie sich docheinmal Verhältnis, Bedeutung und Gewicht der Stimmeeines deutschen Bürgers gegenüber denen der Stimme ei-nes Bürgers eines kleineren Mitgliedslandes an. Ich sagegar nicht, dass das zu beklagen ist – es macht sogar einStück weit den Integrationsmechanismus der Europä-ischen Union aus –; das Ganze muss nur ausbalanciertsein.Genau um diese Balance geht es. Es gibt den Vorschlagder großen Mitgliedsländer, auf einen von zwei Kommis-saren zu verzichten, was nicht allen großen einfach gefal-len ist.
– Nein, Herr Schäuble, uns fällt es nicht leicht. Was solldas jetzt?Der entscheidende Punkt ist doch ein anderer. Der ent-scheidende Punkt ist, dass die Kommission nicht nur eineRepräsentationsebene für die Integration darstellt, son-dern gleichzeitig eine Funktionsebene ist. Das heißt, dieKommission kann nicht beliebig erweitert werden. Diegroßen Staaten haben vorgeschlagen: Wir verzichten aufeinen Kommissar und sind sogar bereit, für ein Jahrfünftauf die Repräsentation in der Kommission im Sinne derRotation zu verzichten, – das heißt, wir sind nicht immermit dabei, – um die Funktionalität der Kommission alsGanzes zu erhalten. Dem haben die Kleinen sehr heftigwidersprochen.
Ich bin mir sicher, was die Anzahl der Kommissare be-trifft, wird es eine Lösung im Austarieren zwischen Großund Klein geben, auch hinsichtlich der Repräsentanz undder Funktionalität. Das heißt, im Zuge der Erweiterungwird die Kommission nicht so weit ausgedehnt, dass sienicht mehr funktionieren kann.Zur Frage der Stimmengewichtung. Der Bundeskanz-ler hat klar gesagt: Es ist keine mathematische Frage, son-
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Bundesminister Joseph Fischer12108
dern es muss letztendlich politisch entschieden werden.Wir können mit verschiedenen genannten Modellen le-ben, solange der demographische Faktor mit einbezogenwird. Auch in diesem Punkt wird deutlich, dass die Dis-kussion nach Biarritz eine positive Entwicklung auslösenkann.Bei der Frage der Mehrheitsentscheidung zeichnet sich– auch und gerade auf der letzten Vorbereitungssitzungnach Biarritz – ab, dass wir hier in der Tat vorankommen.Nur kann man es sich nicht so einfach machen. Wenn Siesich die Zahlen anschauen, werden Sie erkennen, dass dieVerteilung das große Problem ist. Ich bin nachdrücklichdafür, dass wir die Beschlüsse von Tampere umsetzen undzum Beispiel eine europäische Harmonisierung des Asyl-rechts bekommen. Wenn die Dinge hier nicht in die rich-tige Proportion geraten, würde dies zu praktischen Pro-blemen führen, die auf Dauer innenpolitisch nicht mehrausbalanciert werden könnten. Dieses Argument mussman einfach zur Kenntnis nehmen. Ich bin mir sicher, dasswir bei Punkten, die von anderen Mitgliedstaaten kritischgesehen werden, mit Mehrheitsentscheidungen einen ech-ten, substanziellen Fortschritt bekommen können.Wenn ich die Fragen – ich habe es vorhin angespro-chen – einer verstärkten Zusammenarbeit, der Daseins-vorsorge und die deutsche Initiative des Bundeskanzlershinzunehme, als Folge daraus den Einstieg bis 2004 ineine Verfassungsdebatte annehme und dann höre, dassSie, Herr Hintze, ganz stolz verkünden, die Grundrechte-Charta solle Teil dieser Verfassungsdebatte sein, muss ichIhnen sagen: Sie hätten auch hinzufügen können, dass esdie Initiative dieser Bundesregierung war, dass sie daswährend ihrer Präsidentschaft auf den Weg gebracht hatund dass wir heute in den Punkten einen wirklichen Er-folg haben werden. Wenn es sich auch noch nicht in denVerträgen niedergeschlagen hat, so liegt die Sache dochauf dem Tisch, findet die Billigung aller Beteiligten aufder politischen Ebene und wird auch noch in die Verträgeeinbezogen werden.
Wenn ich einen Strich darunter ziehe, kann ich sagen:Es wird noch sehr schwer werden. Wer die europäischeGefechtslage und Kompromissstruktur kennt, wird demzustimmen. Wir wissen, wie wichtig es ist, die Interessender Großen und der Kleinen zusammenzuführen. Wirwerden die Zeit bis Nizza nutzen.
– Da Sie Österreich angesprochen haben, muss ich sagen:Österreich hat sich überaus konstruktiv verhalten.
– Entschuldigung wegen der Kleinen. In dem Punkt wer-den wir uns einfach nicht einigen. Da die Österreicherheute ihren Nationalfeiertag haben, lassen Sie uns denÖsterreichern ganz herzlich gratulieren. Das hätten Sieja erwähnen können, da die Debatten des DeutschenBundestages in Österreich sehr aufmerksam verfolgt wer-den.
– Dann werden wir uns dort sehen, Herr Gerhardt. Jetzthabe ich sogar noch eine Überraschung für Sie. Sie sehen,die Bundesregierung ist immer einen Schritt voraus.
Herr Bun-
desminister, in der Aktuellen Stunde stehen Ihnen nur
10 Minuten zur Verfügung.
Ich komme jetzt zum Schlusssatz, von dem mich nur der
Zuruf über Österreich abgehalten hat.
Wie gesagt: Es wird alles andere als einfach werden.
Dennoch bin ich nach Biarritz wesentlich optimistischer
als vorher, dass wir in Nizza einen wichtigen Erfolg ver-
buchen können. Dazu hat diese Bundesregierung wesent-
lich beigetragen. Das können Sie auch einmal anerken-
nen.
Als
nächster Redner hat der Kollege Friedbert Pflüger von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich am Anfangmeiner Rede zum Kollegen Nietan und zum KollegenFischer sagen: Ungeachtet aller parteipolitischen Diffe-renzen über einzelne Punkte und ungeachtet des für dieOpposition legitimen Vorhabens, im Vorfeld Messlattenfür den Erfolg zu errichten, ist es völlig unbestritten – daskönnen Sie auch im Lichte der Arbeit im Europaausschussnicht anders sehen –: Auch wir als CDU/CSU wollen imInteresse unseres Landes den Erfolg von Nizza, weil er– wie es der Kollege Hintze bereits gesagt hat – derSchlüssel für den Prozess der EU-Erweiterung und derWiedervereinigung Europas ist.
Ich finde, Herr Bundesminister Fischer, Sie haben hier ei-nen Popanz aufgebaut, indem Sie den Kollegen Hintzekritisiert haben.
Ich hätte an Ihrer Stelle die Kritik und die Ermahnung,dass bisher noch nicht einmal ansatzweise erkennbar ist,wo in Nizza die Kompromisslinien verlaufen werden, ge-nutzt, um die eigene Verhandlungsposition in Nizza zu-sätzlich zu stärken. Andere Regierungen machen das, in-dem sie auf die Forderungen ihrer Parlamente verweisen.Dass Sie solche Forderungen hier abtun und sie als de-struktiv bezeichnen, hat weder der Kollege Hintze noch
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Bundesminister Joseph Fischer12109
die Fraktion der CDU/CSU verdient. Das Gegenteil ist derFall: Wir wollen den Erfolg. Wir machen konkrete Vor-schläge. Aber Sie werden der Opposition in der Tat nichtverbieten können, eigene Vorstellungen im Vorfeld einessolchen Gipfels zu artikulieren.
Wenn der Kollege Hintze sagt, die in Nizza zusätzlichzu vereinbarende Konferenz über die Kompetenzauftei-lung dürfe kein neues Hindernis für die Erweiterung sein,dann ist das eine sehr konstruktive Einlassung, die ich imRahmen der innenpolitischen Debatte
für wichtig halte. Ich bin dem Kollegen Hintze für das,was er heute ausgeführt hat, besonders dankbar und ver-stehe das als einen wichtigen Beitrag zu unserer Debatte.Stichwort „Schlüssel zur Erweiterung“ – eigentlich„Schlüssel zur Wiedervereinigung Europas“ –: Herr Pro-fessor Geremek, damals der Außenminister Polens, hatvor zwei Jahren den Karlspreis der Stadt Aachen verlie-hen bekommen. Geremek ist ein Kind jüdischer Eltern.Kurz bevor das Warschauer Getto plattgemacht wordenist, ist er herausgeschmuggelt und von polnischen Bauern,den Geremeks, aufgezogen worden. Danach wollte er vonDeutschland eigentlich nichts mehr wissen, obwohlDeutsch seine Muttersprache war. Er hat sich deshalb inseinem weiteren Leben vor allem mit Frankreich beschäf-tigt. Er hat in Frankreich studiert und war Assistent an derSorbonne.Ich kann mich noch gut daran erinnern – der eine oderandere von uns war dabei –, wie Herr Geremek, nachdemer die Auszeichnung erhalten hatte, den Kaisersaal betratund plötzlich auf Deutsch redete. Geremek sagte, er habesich lange überlegt, ob er in der Sprache der Mörder sei-ner Eltern reden sollte, und fügte hinzu: Ich tue es trotz-dem, weil sich die Deutschen mehr als jedes andere Volkfür die Einbindung Polens in die euro-atlantischen Struk-turen eingesetzt haben.Herr Bartoszewski, der heutige Außenminister Po-lens – er hat neun Jahre seines Lebens in Gefängnissenverbracht, und zwar erst in Auschwitz und dann in stali-nistischen Gefängnissen –, sagte: Ich erwarte vonDeutschland, dass es gerade nach der Wiedervereinigung,die es zu einem Großteil Solidarnosc verdankt, auch dieGrenzen von Jalta endgültig beseitigt und dies nicht im-mer weiter herausschiebt und sagt: in fünf Jahren. 1995wurde auf das Jahr 2000 und 1998 auf das Jahr 2003 ver-wiesen. Und jetzt? Jetzt, so sagt er, brauchen wir ein Ziel-datum, damit wir wissen, dass ihr es ernst meint.Unsere Bitte ist: Geben Sie Polen und den anderenStaaten in Mittel- und Osteuropa eine konkrete Perspek-tive für seinen Beitritt zur EU und lassen Sie uns als Deut-sche nicht in letzter Minute, sozusagen kurz vor der Ziel-linie, von den Forderungen der Engländer, Franzosen undSpanier übertreffen!
Es wird erwartet, dass wir die Position, die wir währendder CDU/CSU-F.D.P.-Regierungszeit eingenommen ha-ben und die wir gemeinsam im Parlament vertreten haben,nämlich Motor des europäischen Einigungsprozesses zusein, weiterhin einnehmen. Deshalb bitte ich die Bundes-regierung dringend, den Gipfel in Nizza als „Schlüssel zurWiedervereinigung Europas“, so hat es der KollegeHintze formuliert, zu sehen und möglichst bald nachNizza – spätestens unter der schwedischen Präsident-schaft – einen Fahrplan vorzulegen, der den Ländern Mit-tel- und Osteuropas Licht am Ende des Tunnels bringt.Wenn wir darüber einen Konsens erzielen würden, dannwären wir sehr viel weiter.Es ist sehr wichtig, nicht nur Termine für die einzelnenEtappen der Vereinigung Europas zu nennen – dies mussauch getan werden –, sondern auch die Ängste der Men-schen in den Grenzregionen ernst zu nehmen, sie nicht ab-zutun. Gehen wir darauf ein, was sie bewegt!Es bewegt sie zum Beispiel die Frage: Kommen danicht Massen von Menschen aus Osteuropa, die dann Bil-liglohnarbeitsplätze einnehmen und uns verdrängen? –Das ist doch eine Angst, die auch wir haben würden, wennwir dort leben würden und nicht hier Politiker wären.Was ist die Antwort darauf? Die Antwort ist: Wenn wirden Menschen die Perspektive Erweiterung nehmen, dieErweiterung immer weiter hinausschieben, kommen vielmehr, weil die Menschen ihre Heimat meistens nicht des-halb verlassen, weil sie in einem anderen Land ein paarMark mehr verdienen, sondern weil sie keine Perspektivehaben.
Herr Kol-
lege Pflüger, kommen Sie bitte zum Schluss!
Ich komme zum
Schluss. – Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung,
Ängste von Menschen nicht wegzureden, sondern auf sie
einzugehen, nicht indem man sie verstärkt, sondern indem
man sie konstruktiv bearbeitet. Das ist unsere Bitte.
Wir wünschen Ihnen, Herr Bundesminister, für Nizza
wirklich viel Erfolg. Aber bitte haben Sie so viel parla-
mentarisches Verständnis, dass Sie bei all dem, was Sie
hier moralisierend gesagt haben, auch einer Opposition
zugestehen, dass sie Messlatten auflegt, vor allen Dingen
die Messlatten, die die Regierung vor einigen Monaten
selbst gezogen hat.
Vielen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Markus Meckel von der
SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident!Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Pflüger, es istin diesem Hause irgendwie schwierig, wenn der Regie-
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Dr. Friedbert Pflüger12110
rung im Vorwurfston die eigene Position dargestellt wird.Irgendwie, so denke ich dann, bin ich hier im falschenTheater.Nehmen wir die Fragen, die zuletzt angesprochen wor-den sind: Wer redet denn ständig davon, dass die Vorha-ben in Nizza geschafft werden müssen, damit die Erwei-terung kommen kann? Natürlich die Bundesregierungund die sie vertretenden Parteien. Darin sind wir uns über-haupt nicht uneins.
Die Frage ist doch: Was ist eigentlich heute dasThema? Wenn ich Herrn Hintze von Erstgeburtsrecht re-den höre – nach dem Motto: „Die Verfassungsdiskussionhaben wir erfunden!“ –, kann ich nur sagen: Schauen Siesich einmal die Programme etwa der Europa-Union an.Das ist ein Verein, zu dem eine ganze Reihe von unsgehören. Seit zehn oder mehr Jahren gibt es dort regel-mäßig Veranstaltungen über genau solche Fragen. Es wardie Bundesregierung, und zwar die jetzt regierende Bun-desregierung, die dies zu einem Thema nicht nur in ge-sellschaftlichen Runden und von Konferenzen gemachthat, sondern auf die Tagesordnung der Minister gesetzthat, also dort auf die Tagesordnung, wo es wirklich hin-gehört und wo jetzt die Entscheidungen fallen, dass die-ses Thema auf der nächsten Regierungskonferenz behan-delt wird.Bauen wir doch nicht gegenseitig einen Popanz auf,nur um herauszustellen: Wir sind mehr für Europa als dieanderen. Denn eines finde ich interessant: In den zentra-len inhaltlichen Punkten sind wir uns offensichtlich einig.Die Frage ist nur: War es ein Erfolg oder nicht? Dazu kannich Ihnen nur sagen: Den Erfolg von Biarritz werden wirin Nizza erleben; denn in Biarritz ist nichts verabschiedetworden, dort hat man versucht, Konsens zu bilden. Inmanchen Punkten ist man schon so weit, in anderen nochnicht. Wir werden Erfolg haben, obwohl uns allen klar ist,dass es noch schwer werden wird.Und, Herr Haussmann, wenn ich Ihnen das einmal sosagen darf: Dass wir in der Bevölkerung noch vieles deut-lich machen müssen, ist klar. Aber erzählen Sie uns docheinmal – das gilt auch für die Kollegen von derCDU/CSU –, wo Sie diese Veranstaltungen machen. Ichkönnte Ihnen die Veranstaltungspläne unserer Fraktionnennen.
– Ja, dann sagen Sie es doch, damit wir es gemeinsam tun.Richten Sie es nicht als Vorwurf an die Bundesregierungoder an andere Parteien, sondern sagen Sie: Dies ist einegemeinsame Aufgabe der politischen Klasse, die von unsallen wahrgenommen wird und zu deren Lösung weiter-hin noch viel zu tun sein wird.Die Bilder in Biarritz wurden von der Anwesenheit desneuen jugoslawischen Präsidenten Kostunica geprägt. Ichglaube, da haben wir alle gemeinsam einen ganz wesent-lichen Erfolg gefeiert. In einem Land, auf das wir langegeschaut haben, um das wir uns bemüht haben – wir allewaren uns darüber einig, dass die Entwicklung in Südost-europa von der Entwicklung der Demokratie in Serbienabhängt –, haben wir nun endlich einen Durchbruch undwesentlichen Erfolg. Darüber sollten wir gemeinsam frohsein.Gleichzeitig ist klar: Dies braucht europäische Hilfe.Nicht zuletzt durch deutsche Initiative ist diesbezüglich inBiarritz Wesentliches entschieden worden. Ich erinnere andie Soforthilfe in Höhe von 200 Millionen Euro. Wir allewissen, dass „Soforthilfe und EU“ manchmal ein gewis-ser Widerspruch ist. Wir müssen dafür sorgen, dass diesjetzt möglichst schnell kommt. Deshalb hat die Bun-desregierung auf unsere Initiative hin gesagt: Wir wollen,dass die deutsche Hilfe in Höhe von 50 Millionen DMmöglichst schnell dorthin fließt. Ist das nichts? Ich glaube,dass wir gemeinsam etwas Wichtiges geschafft haben.Der Faktor Zeit ist entscheidend für die Entwicklung inSüdosteuropa und die Entwicklung in Serbien, damit wirbis zur Wahl am 23. Mai in Serbien wirklich etwas ge-schafft haben. Die Menschen dort warten auf Hilfe undauf klare Orientierungen.Klar ist auch: Wir brauchen die nächsten Schritte zurIntegration Jugoslawiens, zur Integration Serbiens in dieinternationale Staatengemeinschaft. In den nächsten Ta-gen wird die Entscheidung über eine Wiederaufnahme indie OSZE fallen.Ein zentraler Punkt ist das Beharren auf der Notwen-digkeit – darüber waren wir uns im Ausschuss einig – derAchtung von Minderheitenrechten.
Dies ist ein zentraler Punkt. Hier muss ich mein Bedauernäußern, dass wir es leider nicht geschafft haben – HerrMeyer hat mir dies in einem Gespräch bestätigt –, dass dieMinderheitenrechte in der Grundrechte-Charta, ein ersterwesentlicher Schritt zu einer künftigen europäischen Ver-fassung, stärker ausgeführt werden. Wir sollten in demBemühen darum aber nicht nachlassen. Denn dies bleibtein zentraler Punkt für die europäische Entwicklung.Ich danke Ihnen.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Hannelore Rönsch von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
HerrPräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! LiebeKolleginnen! Liebe Kollegen! Wenn eine Generalproberichtig danebengegangen ist, dann hofft man auf die Pre-miere. Wir hoffen mit Ihnen, dass die Premiere in Nizzaendlich zu einem Erfolg wird.
Das, was wir in den Medien mitgeteilt bekamen, warendie Abendtischgespräche. Diese waren vordringlich da-durch gekennzeichnet, dass sich die kleinen Länder von
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Oktober 2000
Markus Meckel12111
den großen Ländern überfordert und überrumpelt fühlten.Hier hat der Bundeskanzler eine alte Tradition, die dieBundesrepublik Deutschland über viele Jahrzehnte aus-gezeichnet hat, einfach über Bord geworfen. Er hat sichder Ratspräsidentschaft der Franzosen angedient und un-tergeordnet und hat mit dazu beigetragen, dass die kleinenLänder plötzlich aufschreien, weil sie darüber nachden-ken, wie ihr Votum nachher gewertet wird. Wir werdendas in Zukunft nicht zulassen.Wir werden aber mit dazu beitragen, dass die Regie-rungskonferenz in Nizza ein Erfolg wird. Denn wir, dieChristlich Demokratische Union und die Fraktion derCSU, wollen den Erfolg Europas. Wenn der Vertreter derPDS hier vorne steht und dies anzweifelt, finde ich es aus-gesprochen infam.
Ein Nachfolger der Partei, die Europa über 40 Jahre durcheinen Eisernen Vorhang getrennt hat, stellt sich hier hinund spricht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Euro-pafähigkeit und den Willen zu Europa ab. Das können wirso nicht hinnehmen.
Ich habe durchaus positiv zur Kenntnis genommen,dass der Bundeskanzler die Mehrheitsabstimmung im Mi-nisterrat angesprochen hat. Einen klaren Einsatz für diedeutliche Ausweitung qualifizierter Mehrheiten hat dieCDU/CSU-Bundestagsfraktion immer schon eingefor-dert. Wir erwarten hier elementare Fortschritte. Wir hof-fen, dass die Handlungsfähigkeit der Europäischen Unionso auf Dauer erheblich erweitert wird.Ich hätte allerdings erwartet, dass auch die Kompe-tenzabgrenzung noch einmal klar angesprochen wird. Wirhaben im Sommer dieses Jahres den Außenminister aufeiner so genannten privaten Audienz der Humboldt-Uni-versität gehört. Dort hat er durchaus vernünftige Vor-schläge gemacht. Ich hätte mir gewünscht, dass er dies mitdem Bundeskanzler abspricht und der Bundeskanzler sichdiese Positionen zu Eigen macht. Wir wollen schon wis-sen, welche Aufgaben von der Europäischen Union undwelche von den Nationalstaaten übernommen werden sol-len und welche Zuständigkeiten möglicherweise wiedervon der Europäischen Union auf die Nationalstaatenzurückverlagert werden sollen. Die Diskussion darüber istüber Monate verschleppt worden. Hier erwarten wir auchvom Bundeskanzler ein klares Wort. Wir erwarten, dassdie Bundesregierung an dieser Stelle endlich zu einemeinheitlichen Votum kommt.Ich habe schon das fehlende Fingerspitzengefühl ge-genüber den kleinen Staaten angesprochen. Wir habenjetzt noch ein paar Monate Zeit, die Irritationen, die auchin der Bevölkerung entstanden sind, zu bereinigen. Wirwissen, dass nicht nur in der Bevölkerung der Bundesre-publik Deutschland ein ausgesprochener Europa-Skepti-zismus vorhanden ist. Dem müssen wir begegnen; wirmüssen die Bürger auf dem Weg nach Europa mitnehmen.Dies hat bereits einer der Vorredner – ich glaube, Sie wa-ren es, Herr Kollege Meckel – angesprochen. Wir werdenSie da begleiten und mit dabei sein, wenn es darum geht,um die Zustimmung der Bürger zu werben. Wir wissennämlich genau, dass die Osterweiterung der EU für dieBundesrepublik Deutschland von ganz besonderer Be-deutung ist.
Wir sind aus historischen, kulturellen und geographi-schen Gründen verpflichtet, diese Osterweiterung soschnell wie möglich voranzutreiben. Ich habe aber diegroße Sorge, dass die Verzögerung von Reformen – siekönnen vielleicht nicht in dem Zeitrahmen stattfinden,den wir uns vorgestellt haben – als Ausrede dafür genom-men wird, dass der Zeitplan der Osterweiterung nicht ein-gehalten werden kann. Wir werden sehr wachsam seinund darauf achten, dass die angemahnten Reformen um-gesetzt werden. Wir wollen im Interesse unserer mittel-und osteuropäischen Nachbarn, dass die Zeitrahmen be-nannt und in Zukunft eingehalten werden.Ich sage ein Letztes: Außenminister Fischer hat wiedereine sehr flapsige Bemerkung über Österreich gemacht.
Es hätte der Bundesrepublik Deutschland ausgesprochengut angestanden – sie hat damals dazu beigetragen, dieSanktionen gegen Österreich in Kraft zu setzen –, bei dervorbereitenden Regierungskonferenz in Biarritz ein Wortder Entschuldigung zu sagen und unsere Nachbarn aufzu-fordern, sich bei Österreich zu entschuldigen.
Dazu ist es noch nicht zu spät. Tun Sie das spätestens inNizza.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Helmut Lippelt vom Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichfinde, dies ist eine ausgesprochen skurrile Veranstaltung.
Ich belege das: Ich habe mich gefragt, warum die Oppo-sition diese Aktuelle Stunde anmeldet, und gedacht, siewerde auf die Krise, die es in Biarritz gegeben hat, kon-kret eingehen, sie auseinander falten und interpretieren.Nein, der Kollege Hintze sagt erst einmal generell, dieKonferenz sei gescheitert. Dann spricht er vom Verfas-sungsvertrag und der Verfassungskonferenz, obwohl wiruns alle in diesem Hause einig sind, dass zunächst die drei„leftovers“ von Amsterdam und einige weitere Punkte be-handelt werden müssen und dann die Erweiterung erfol-gen muss. Erst danach werden wir zur Verfassungskonfe-renz, zur Kompetenzabgrenzung usw. kommen. Was solles also, uns das zu erzählen? Dass das eine alte Idee derCDU ist, bestreiten wir doch überhaupt nicht.
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Hannelore Rönsch
12112
Dann kommt der Kollege Haussmann und sagt, es seidoch nur eine Vor-Konferenz gewesen, so schlimm sei esdoch nicht. Sie sei zwar falsch gelaufen, aber nicht vondeutscher Seite aus, sondern von französischer Seite.Seine Empfehlung schließlich ist, unser Außenministermöge mit den Franzosen einmal darüber reden, dass sie esbeim nächsten Mal ein bisschen besser machen. Das istgut und schön, aber auch noch kein Oppositionsthema.Dann kommt der Kollege Pflüger, der nun den Kolle-gen Hintze heraushauen muss. Darum sagt er erst einmal,der Kollege Hintze habe uns doch gute Hinweise gegeben.Welchen Hinweis des Kollegen Hintze erwähnt KollegePflüger? Seine Äußerungen zur Kompetenzaufteilung.Das ist zugegebenermaßen eine wichtige Angelegenheit,gehört aber jetzt auch nicht zur Sache.Dann spricht der Kollege Pflüger in einer sehr bewe-genden Weise – ich will das überhaupt nicht bewerten;Geremek ist mein Freund so gut wie Ihrer – über polni-sche Schicksale. Aber während diese Fraktion in Polenwar und sich darum bemüht hat, zu betonen, dass man denvereinbarten Termin schaffen muss, kam aus Ihrer Eckeimmer nur die Meldung, dass Sie für Big Bang und 2005seien. Irgendwie passt das – wenn ich das recht verstan-den habe – alles nicht zusammen.
Und statt dass die Opposition die Regierung prügelt,weil es bei einem Punkt dafür wirklich einen Grund ge-geben hat, muss der Außenminister Ihre Arbeit machenund Ihnen das Thema in aller Ausführlichkeit auseinandersetzen. Über diesen einen Punkt zu sprechen wäre in derTat sehr interessant. Es ist für mich nicht der Rede wert,dass bei einer solchen Vorkonferenz zunächst einmal Pro-bleme und Lösungsmöglichkeiten gesichtet werden. Manschaut hin und sieht: Der Text der Grundrechte-Charta– sie sollte ja noch nicht verbindlich werden – steht, so-dass es bereits einen Baustein für eine spätere europäischeVerfassung gibt. Abgehakt, ist für Nizza erledigt!Damit kommt man zu dem nächsten Punkt, der ver-stärkten Zusammenarbeit. Der Minister hat Ihnen dasschön auseinander gesetzt, wie wenig dafür nötig war. –Ich habe ihm das übrigens auch nicht zugetraut.
Auch ich habe gedacht, dass dies das schwierigste Themaist. Ich bin überrascht, wie sich durch die Reduzierung desThemas auf den Auslösungsmechanismus plötzlich eineLösung andeutet. – Auch dieses Thema ist also abgehaktund wird in Nizza zur Beschlussfassung auf der Tages-ordnung stehen.Dann kommen die drei „leftovers“. Das Erste ist derÜbergang zur Mehrheitsentscheidung. Wir wissen: Allehaben lange Listen eingereicht, die deutsche Liste ist diekürzeste. Damit haben wir schon ein Plus. Wir sindzuversichtlich, dass noch unter französischer Präsident-schaft diese langen Listen im Rahmen des „Beichtstuhl-verfahrens“ gekürzt werden. Dann werden wir in Nizzazwar nicht das haben, was wir alle möchten, aber wir wer-den viel mehr haben als den Status quo.
– Ja, mein Lieber, wir sind so reich an Talenten, wir kön-nen auch noch welche in der Fraktion lassen!
Jetzt komme ich zur F.D.P. und zu den kleinen Krisen.Krisen in Vorkonferenzen sind nötig, sonst löst man dieProbleme am Ende nicht richtig. Es gab eine gute Krise:hinsichtlich der Größe und der Zusammensetzung derKommission und hinsichtlich der Gewichtung der Stim-men. Ich hörte dazu vorhin von dem Kollegen Hornhues,der Vorschlag von Schröder sei Quatsch, aber ich fand dasgar nicht. Wir haben es doch alle miterlebt: Die frühereRegierung war nie in der Lage, die Blockade an diesemPunkte aufzuheben. Denn man wusste nie: Versteckte sieihr eigenes Interesse an dem immerwährenden eigenenKommissar hinter den Interessen der Kleinen oderschützte sie wirklich die Interessen der Kleinen? Das istnie deutlich geworden. Tatsache ist aber, dass die frühereRegierung nie in der Lage war, auf französische Vor-schläge einzugehen. Hier zeichnet sich ganz klar einDurchbruch ab.Dementsprechend war Biarritz ein Erfolg und ichzweifle überhaupt nicht daran, dass Nizza ein noch größe-rer Erfolg werden wird.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Gerd Müller von der CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Warum diese Aktuelle Stunde? Ichglaube, es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass dieBundesregierung nach oder, noch besser, vor einemeuropäischen Gipfel mit dem Parlament in einen Dialogtritt und die Positionen ausgetauscht werden. Das ist un-ser demokratisches Verständnis. Die Opposition hat denFehler gemacht, darauf zu bestehen, und wir haben denFehler gemacht, Ihnen, Herr Außenminister, in dieser De-batte nicht genügend zu huldigen.
Sie sprachen im Zusammenhang mit Biarritz vonÜberbleibseln. Wenn ich an die Damen und Herren aufden Rängen denke, frage ich mich, ob auch nur einMensch etwas von dem, was Sie von sich gegeben haben,verstanden hat.
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Dr. Helmut Lippelt12113
Sind die Überbleibsel lösbar – ja oder nein? – Das istdie Frage, die dem Erfolg bestimmen wird.Ob man bei der Mehrheitsentscheidung drei Stimmenmehr im Rat hat, keinen deutschen Kommissar oder nocheinen, von 99 auf 101 Abgeordnete im Europaparlamentkommt: Die Bevölkerung hat das Gefühl, hier geht es umKuhhandel.
Der große Wurf, Herr Außenminister, ist dies nicht. Mankönnte das, was Sie betreiben, als Flickschusterei be-zeichnen. Ich messe Sie ja – das muss erlaubt sein – anIhren großen Vorgaben.In der Humboldt-Universität haben Sie in der Tat diezentralen europäischen Themenstellungen aufgeworfen,nämlich die Frage nach der Rolle der Nationen in diesemeuropäischen Prozess. Was macht Brüssel in Zukunft, wasbleibt in Paris und in Berlin und was machen die Länder?Gibt es eine Finalität dieser Europäischen Union?
Wohin steuert diese Europäische Union – auf 15, auf 25,auf 30? Das waren die großen Themen; die hier im Deut-schen Bundestag mit uns zu diskutieren haben Sie sichnicht getraut.
Sie haben hier eine Rede gehalten, die im Vergleich zuIhren Vorgaben, zu dem, welche Ansprüche Sie an sichselber und an Ihr Amt stellen, getrost mit Flickschustereibezeichnet werden darf. Der große Wurf war dies nicht.Ich sage noch einmal: Die Grundprobleme wurden nichteinmal angegangen, sie wurden beiseite geschoben, zumBeispiel der Einstieg in eine klare Kompetenzabgren-zung.Ich könnte hier Helmut Schmidt zitieren, der genaudies vorletzte Woche zum Grundproblem gemacht hat:Die Bürger erkennen nicht mehr, was Brüssel macht, wasBerlin macht, wer überhaupt in dieser Demokratie nochwelche Rechtsetzung verantwortet. Sie haben das Themader Kompetenzabgrenzung beiseite geschoben.
2004 ist zu spät!
Sie haben das Thema der Reform des Ministerrates– 20 Räte, die nicht mehr kontrollierbar sind, die nichtarbeitsfähig sind, die auch nicht durch die nationalen Par-lamente legitimiert sind – nicht einmal in die Diskussioneingeführt. Keine Behebung des Demokratiedefizits! Soschaffen Sie keine Transparenz und keine Akzeptanz beider Bevölkerung.Herr Außenminister, deshalb sage ich: Das ist Flick-schusterei, nicht der große Wurf. Sie haben an der Hum-boldt-Universität eine große Vision entworfen, aber Siesind in der Realität – dort, wo Sie als Außenminister han-deln müssen, beim Rat – gescheitert. Wenn da nicht mehrherauskommt, sind Sie gescheitert.Zum Schluss will ich zum Thema der OsterweiterungFolgendes sagen: Wir wollen und wir brauchen dieseOsterweiterung. Deshalb muss die Regierungskonferenzerfolgreich sein, um die Union handlungsfähig zu ma-chen.
Deshalb liegt uns daran, diesen Prozess voranzubringen.Schaffen Sie die Voraussetzungen! Wir waren der Mei-nung, bei den Beitrittsverhandlungen zur Osterweiterungvon sechs auf zwölf zu gehen, war falsch. Jetzt sehen wir,dass die Verhandlungen nicht den Vertragstechnikernüberlassen bleiben dürfen. Die Menschen in Polen, inTschechien, in Ungarn brauchen eine Perspektive, die Sieihnen im Augenblick nicht bieten.
Dabei weisen wir immer darauf hin, dass dieser Prozessnatürlich auch für die Beitrittsstaaten beherrschbar – wirt-schaftlich, sozial – sein muss. Das ist die Sorge, das ist dasProblem. Ich habe dazu von Ihnen nichts gehört.
Ich sage Ihnen zum Schluss, Herr Außenminister: Wasdie Bevölkerung, was mich am meisten beunruhigt, istIhre Verachtung des Parlaments, Ihre Arroganz, die Sieschon auf der Regierungsbank ausstrahlen. Das ist demdeutschen Parlament nicht gemäß.Herzlichen Dank.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Hedi Wegener von der
SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Herr Hintze, Sie haben mit derBemerkung angefangen, Deutschland müsse Anwalt fürdie EU und die Osterweiterung bleiben. Wir meinen: Ge-rade die Beiträge des Bundeskanzlers haben erheblichdazu beigetragen, dass Deutschland weiterhin Anwalt fürdie EU und die Osterweiterung bleibt. Auch wir, die Mit-arbeiter des Auswärtigen Amtes und die Mitglieder desEuropaausschusses haben in den Sitzungswochen Wochefür Woche zusammengesessen, um mit der Regierung ent-sprechende Überlegungen anzustellen.Ich frage mich: Was ist eigentlich die Botschaft der vonIhnen beantragten Aktuellen Stunde? Was bezwecken Siedamit? Wenn wir diese Zeit genutzt hätten, mit demAußenminister im Europaausschuss eine qualifizierte De-batte zu führen, dann hätte es der Anfang eines Dialogs
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Dr. Gerd Müller12114
sein können. Gerade Sie beschweren sich immer wieder,der Kanzler und der Außenminister würden zu wenig in-formieren,
der Innenminister komme zu selten und das AuswärtigeAmt sei zu selten vertreten. Auf der anderen Seite müssenwir die Sitzung des EU-Ausschusses aufgrund der Aktu-ellen Stunde vorzeitig beenden.
Herr Hintze, Sie haben die kleinen Länder angespro-chen. Gerade der Vorstoß der Bundesrepublik in RichtungKommission – ich meine den Verzicht auf den zweitenKommissar, die Reduzierung der Kommission auf mög-licherweise 20 Kommissare, die Festlegung auf eineObergrenze und auf ein Rotationsprinzip, die gleichbe-rechtigte Teilhabe sowie die Konzentration der Arbeit –stärkt in erster Linie die kleinen Länder.Herr Pflüger, Sie haben gefordert, die Kompromissli-nien sollten besser herausgestellt werden. Ich glaube, dashaben die Kollegen wirklich zur Genüge getan. Sie soll-ten nicht nur zuhören, sondern das Gesetz auch auf-nehmen. Das Gleiche gilt für den Umgang mit Frankreich.Auf der einen Seite sagen Sie, Deutschland habe sichFrankreich angedient. Auf der anderen Seite sagen Sie– wo ist denn überhaupt Frau Rönsch? Von ihr stammt die-ser Vorwurf –,
wir würden keinen Dialog mit Frankreich führen. Ohne zuhinterfragen, legen Sie die Situation so aus, wie Sie es ge-rade brauchen können.Natürlich ist die Osterweiterung weiterhin das Grund-problem. So empfinden wir es ja auch. Deshalb muss derSchwerpunkt auf die verstärkte Zusammenarbeit gelegtwerden. Die Haltung der Bundesrepublik und desBundeskanzlers, die verstärkte Zusammenarbeit als In-strument gezielt auszubauen, teilen auch die kleinen Staa-ten unter den Mitgliedstaaten. Über die Ausweitung desInstruments der qualifizierten Mehrheit auf die Außen-und Sicherheitspolitik muss natürlich noch verstärkt ver-handelt werden. Es gilt: Biarritz liegt vor Nizza. Biarritzwar nötig, damit Nizza möglich ist.Schönen Dank.
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Martina Krogmann
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir alle wollenden Erfolg von Nizza. Herr Außenminister und Frau Kol-legin Wegener, wir sollten hinsichtlich dieser wichtigeneuropapolitischen Frage kein parteipolitisches Gezänkanfangen.
Wir sollten vielmehr über Parteigrenzen hinweg zusam-menarbeiten. Das war schon immer die Tradition.
Lassen Sie es mich deutlich sagen: Natürlich hat es ineinigen Bereichen Fortschritte gegeben. Aber hinter vie-len wichtigen Fragen auch und gerade zu den institutio-nellen Reformen stehen auch nach Biarritz noch dickeFragezeichen.
Im Gegenteil: Von Biarritz sind für einige Bereiche Sig-nale der Stagnation und auch Signale der Zerstrittenheit– Groß gegen Klein – ausgegangen. Die Einigkeit, die wirbrauchen, hat es erst wieder in den vollmundigen Erklä-rungen nach dem Gipfel gegeben. – Ich möchte in diesemZusammenhang den Bundeskanzler zitieren. Er hat vom„Geist von Biarritz“ gesprochen.
Dazu kann ich nur sagen: Sie müssen noch hart arbeiten,damit aus dem Geist von Biarritz nicht das Gespenst vonNizza wird.
Eines steht fest, meine Damen und Herren: Wenn wirin Nizza nicht die notwendigen Reformen schaffen, dannbekommen wir gleich zwei Probleme.Das erste Problem betrifft die Euro-Schwäche; diesverunsichert die Leute ganz extrem. Der Euro hat heutemit 82 Cents seinen historischen Tiefststand erreicht.Natürlich ist die Euro-Schwäche wirtschaftlich begrün-det. Das liegt auch an den von Ihnen unterlassenen not-wendigen Reformen, aber das soll heute nicht das Themasein.
Die Euro-Schwäche ist aber auch massiv – das will ichdeutlich sagen – politisch begründet. Die Finanzwelt war-tet doch geradezu auf Signale der Einigkeit aus Europa,
Signale, die die Reformfähigkeit der Europäischen Unionanzeigen. Das Zutrauen der internationalen Finanzmärktezum Euro wird in dem Maße wachsen, in dem das Zu-trauen in die Europäische Union wächst. Wenn wir alsodie Reformfähigkeit der Europäischen Union beweisenkönnen, wird dies auch eine stabilisierende Wirkung aufden Euro haben.
Deshalb ist ein Erfolg von Nizza nicht nur von großer Bin-nenwirkung, sondern auch von extrem großer Außenwir-kung.
Es ist doch gerade die Vielstimmigkeit in Europa, ander der Euro leidet. Sie haben es versäumt, von Biarritzein Signal der Einigkeit ausgehen zu lassen, ein Signal
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Hedi Wegener12115
dafür, dass wir in Europa in wichtigen Fragen an einemStrang ziehen und die Reform der Europäischen Unionvoranbringen wollen. Hier haben Sie versagt.
Lassen Sie mich noch das zweite Problem ansprechen,nämlich die Osterweiterung; meine Vorredner sind schondarauf eingegangen. Wenn Sie in Nizza nicht die notwen-digen Reformen schaffen, bekommen wir die Osterweite-rung nicht hin. Das müssen wir so deutlich sagen. Wirwollen in Nizza keinen Minikonsens. Das ist nicht ausrei-chend angesichts dieser historischen Aufgabe. Wir brau-chen vielmehr den großen Wurf, weil es jetzt um die großehistorische Chance zur Vereinigung Europas geht. In die-sem Sinne wünschen wir Ihnen und uns in Nizza viel Er-folg.Vielen Dank.
Als letz-
ter Redner in der Aktuellen Stunde hat der Kollege Günter
Gloser von der SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident!Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mein geschätzterKollege Peter Hintze wird heute nach getaner Arbeit zuHause vor den Spiegel treten und sich drei Fragen stellen:Erstens: Warum habe ich diese Aktuelle Stunde bean-tragt? Zweitens: Warum argumentiere ich im Sitzungssaaldes Europaausschusses immer so differenziert und warumbin ich im Reichstag ein solcher Lautsprecher? Drittens:Warum bekommen wir, wenn es zwischen den Parteien imBundestag schon so viel Übereinstimmung gibt, keine ge-meinsame Initiative hin, um ausdrücklich zu dokumentie-ren: „Das deutsche Parlament, der Bundestag, unterstütztdiese Bundesregierung“? – Sie werden sich die Antwor-ten darauf heute Abend sicherlich selbst geben können,Herr Kollege Hintze.
Der Kollege Dr. Müller hat auf die Bürgerinnen undBürger abgehoben. Ich möchte noch einmal sagen, worumes eigentlich ging. Zu den drei zentralen Fragen, der Kom-missionsgröße, der Stimmengewichtung und der Frageder qualifizierten Mehrheit, hat diese Bundesregierungund haben wir, die beiden sie tragende Fraktionen, ein,wenn ich die Entschließungsanträge lese, doch sehr am-bitioniertes Programm vorgelegt. Darin ist das festgelegt,wofür diese Europäische Union in Zukunft handlungs-fähig sein soll.Es ist ja kein Fehler dieser Bundesregierung, ein so am-bitioniertes Programm vorgelegt zu haben. Aber es mussein Kompromiss erreicht werden. Gerade weil Bundes-kanzler Schröder und Außenminister Fischer in Biarritzversucht haben, Bewegung in diese in der Tat teilweisefestgefahrene Situation zu bringen, sind entsprechendeVorschläge gemacht worden. Auch wenn wir von Biarritzkeine Ergebnisse erwarten konnten, ist doch die entspre-chende Weichenstellung für Nizza vorgenommen wor-den. Dafür möchte ich der Bundesregierung ausdrücklichdanken.
Ich möchte ausdrücklich auf den Kollegen Dr. Pflügereingehen. Es gibt an dem, was Sie gesagt haben, HerrDr. Pflüger, überhaupt nichts zu korrigieren. Manchmalhabe ich oder haben wir den Eindruck gehabt, Sie spre-chen nicht zum Haus, sondern zu Ihrer eigenen Fraktion.
Sie wollten damit ausdrücken: Liebe Freundinnen undFreunde in der CDU/CSU-Fraktion, so eigentlich müsstees weitergehen.Ich darf Sie mit einer Presserklärung vom 17. Oktobervon Michael Glos konfrontieren, der heute nicht da ist.Der letzte Satz heißt:
Dass Außenminister Fischer unnötigerweise einkonkretes Beitrittsdatum nennt, ohne die Kandida-tenländer zu verpflichten, ihre Hausaufgaben zu ma-chen, macht die Situation nicht einfacher.
Ich frage mich: Welches ist denn eigentlich die Positiondieser CDU/CSU? Einige sind jetzt nicht mehr da. Ichkenne sie alle, Herrn Dr. Pflüger, Herrn Hintze und nochein paar andere Aufrechte, den Kollegen Rühe, der sich daauch sehr dezidiert geäußert hat. Aber es gibt auch andere.Liebe Freundinnen und Freunde der CDU/CSU, ihrmüsst vielleicht erst einmal eine gemeinsame europäischeLeitpolitik finden,
und dürft nicht hier in einer so grundsätzlichen und we-sentlichen europapolitischen Frage einen so vielfachenChor anstimmen.Herr Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegen-heiten der Europäischen Union, manchmal, wenn ich Siein Bezug auf die Osterweiterung gehört habe, habe ich ge-dacht, Sie haben sich am Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion orientiert. Wir sagen eben genau, wirmüssen die Bürgerinnen und Bürger an diesem Prozessder EU-Erweiterung beteiligen. Wir müssen Informatio-nen geben. Wir müssen in der Tat ihre Befürchtungen, ihreÄngste ernst nehmen. Wir als Politikerinnen und Politikerdürfen sie nicht in ihren Ängsten bestärken,
sondern wir müssen sie informieren, wir müssen sie andiesem Prozess beteiligen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 126. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Oktober 2000
Dr. Martina Krogmann12116
Ich bitte, das in Ihren Reihen endlich einmal als gemein-samen Nenner zu vermitteln. Ich glaube, das ist wichtig.Wir waren dieser Tage beide zu einer Konferenz ein-geladen. Da ist in der Tat von einem Kollegen aus demAuswärtigen Amt, der in einem anderen EU-MitgliedstaatDienst tut, gefragt worden: Freunde, wenn ihr alle imBundestag dieses große Projekt EU-Erweiterung habenwollt und auch die innenpolitische Situation mit denÄngsten, mit den Befürchtungen kennt, warum macht ihr– die großen Parteien und andere, die sich da anschließenwollen – nicht etwas Gemeinsames in diesen Grenzregio-nen oder in strukturschwachen Regionen, die die Be-fürchtung haben, die Risiken könnten überfallartig auf dieMenschen zukommen und sie können das deshalb nichtmachen?
Ich kann diese Idee nur noch einmal aufgreifen. Siesollten endlich auch zu einem Konsens kommen. Wennder Deutsche Bundestag die Bundesregierung in diesenwesentlichen Fragen auch im Hinblick auf den Gipfel inNizza unterstützt, dann ist das gut so. Wir sollten aller-dings keine neuen Hürden aufbauen. 2004 ist keine wei-tere Hürde für die EU-Erweiterung. Hier werden andereDinge gemacht. Auch das sollte in Ihren Reihen festste-hen.Insofern wünschen wir von der SPD-Bundestagsfrak-tion dem Außenminister und natürlich auch dem Bundes-kanzler viel Erfolg in Nizza.
Die Aktu-
elle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unse-
rer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 26. Oktober 2000,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.