Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung eines Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung zu erweitern. Der Zusatzpunkt soll nach der abschließenden Beratung des Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetzes ohne Aussprache behandelt werden.
Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung
- Drucksache 13/8704 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des
Finanzausschusses
- Drucksache 13/8869 -Berichterstattung:
Abgeordnete Detlev von Larcher Peter Rauen
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/8873 - Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Jacoby
Dr. Wolfgang Weng Karl Diller
Oswald Metzger
b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Entlastung der Versicherten und der Unternehmen von Lohnzusatzkosten
- Drucksache 13/8042 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
- Drucksache 13/8863 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Andreas Storm
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/8874 - Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel Antje Hermenau
Ina Albowitz
Karl Diller
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über den Änderungsantrag und den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Abgeordneten Andreas Storm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits zum zweitenmal in diesem Monat ist der Deutsche Bundestag aufgerufen, eine wichtige Weichenstellung für die Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung vorzunehmen.
Heute geht es darum, die Finanzierungslasten zwischen den Beitragszahlern und den Steuerzahlern gerechter aufzuteilen.
Andreas Storm
Nun ist es keineswegs so, daß aus dem Steuertopf bisher nichts an die Rentenkasse fließen würde. Im Gegenteil: Nach dem Rentenreformgesetz 1992 werden bereits 20 Prozent der voraussichtlichen Ausgaben über den Bundeszuschuß abgedeckt. Mit dem heutigen Gesetz zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses sollen im Jahre 1999 13,3 Milliarden DM und im Jahre 2000 16,3 Milliarden DM zusätzlich an die Rentenversicherungsträger überwiesen werden. In den Folgejahren wird dieser zusätzliche Bundeszuschuß mit den Veränderungsraten der Steuern vom Umsatz fortgeschrieben.
Zur Gegenfinanzierung dieser Maßnahme soll der allgemeine Umsatzsteuersatz um einen Prozentpunkt, also von 15 auf 16 Prozent, erhöht werden. Dadurch wird es möglich, daß der Beitragssatz für die Rentenversicherung dauerhaft um rund einen Beitragssatzpunkt niedriger als sonst erforderlich festgesetzt werden kann.
Nun sollte man meinen, diese Maßnahmen finden die ungeteilte Zustimmung des ganzen Hauses; denn schließlich hat gerade die SPD in den vergangenen Monaten immer wieder gefordert, den Bundeszuschuß für die Rentenversicherung anzuheben, um die Beitragszahler zu entlasten.
Aber wer glaubt, daß diesen Worten nunmehr auch Taten folgen, der sieht sich schwer getäuscht.
Der erste Akt dieses Politdramas zu Lasten der Rentenversicherten sieht wie folgt aus:
Da erklärt Rudolf Dreßler im Sommer, zwar wolle auch die SPD die Beitragszahler in der Rentenversicherung um einen Beitragssatzpunkt entlasten, und dies könne durchaus durch eine Mehrwertsteuererhöhung erfolgen, aber diese Mittel sollten nicht pauschal der Rentenversicherung überwiesen werden
- Sie nicken -, sondern nach Abgeltung ausgewählter sogenannter versicherungsfremder Leistungen.
Dieser Vorschlag, Herr Dreßler, hat aber selbst bei den Rentenversicherungsträgern nur Kopfschütteln ausgelöst, und das aus gutem Grund;
denn die Rentenversicherungsträger - ich erläutere es Ihnen gleich - weisen für das Jahr 1995 rund 100 Milliarden DM an Leistungen aus, denen keine vorherigen Beitragszahlungen gegengerechnet werden können. Darunter fallen ganz unterschiedliche Positionen, wie etwa die Altersrenten vor dem 65. Lebensjahr, Ersatzzeiten als Folge des zweiten Weltkrieges, Anrechnungszeiten, Kindererziehungszeiten, die Höherbewertung der Berufsausbildung oder Leistungen nach dem Fremdrentengesetz.
Wenn man sich diese Liste einmal genauer anschaut, dann kommt man leicht zu folgendem Ergebnis: Ein großer Teil dieser Leistungen sollte nicht alleine von der Gemeinschaft der Beitragszahler finanziert werden, weil hier eine gesamtstaatliche Aufgabe vorliegt. Ein anderer Teil dieser Leistungen stellt allerdings ein Element des Solidarausgleiches innerhalb der Versichertengemeinschaft dar.
Gerade dieser Solidarausgleich unterscheidet ja eine Sozialversicherung von der privaten Lebensversicherung; denn dort wird nur die Gegenleistung für die vorher gezahlten Beiträge erbracht. In der Sozialversicherung haben wir auch Elemente des sozialen Ausgleiches.
Aus diesem guten Grunde hat es der Gesetzgeber bisher vermieden, für jeden einzelnen dieser Posten zu entscheiden, ob hier eine Steuerfinanzierung oder eher eine Beitragsfinanzierung sinnvoll wäre. Würde man nämlich so verfahren, Herr Dreßler, dann wäre die Entwicklung der Rentenfinanzen überhaupt nicht mehr kalkulierbar. In einem Jahr würde erneut ein Streit darüber entstehen, wie hoch denn nun der Bundeszuschuß ausfallen müßte. Der Druck wäre dann sehr stark, diese Leistungen erheblich zu reduzieren oder sogar ganz abzuschaffen. Dann könnte man die Rentenversicherung gleich privatisieren.
Aus diesem Grunde haben wir bei der Rentenreform 1992 festgelegt, daß ein pauschaler Bundeszuschuß in Höhe von 20 Prozent der Ausgaben einen angemessenen Finanzierungsbeitrag der Steuerzahler sicherstellen soll. Mit dem heutigen Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen wird dieser Bundeszuschuß mittelfristig so erhöht, daß künftig fast jede vierte Rentenmark aus dem Steuertopf finanziert wird. Damit hat die Rentenversicherung eine langfristig verläßliche Finanzierungsbasis. Der Einstieg in eine Einzelfallabrechung wäre der Anfang vom Ende des Solidarausgleichs in der Rentenversicherung.
Noch wichtiger als dieses ist aber ein zweites Argument gegen die von Ihnen, Herr Dreßler, vorgeschlagene Einzelfinanzierung versicherungsfremder Leistungen aus dem Bundeshaushalt. Sie haben nämlich vorgeschlagen, insbesondere Leistungen nach dem Fremdrentengesetz und Leistungen im Zusammenhang mit dem Übergangsrecht für Renten nach den Vorschriften des Beitrittsgebietes aus Steuermitteln zu finanzieren.
Diese Leistungen sind aber in den nächsten Jahrzehnten naheliegenderweise rückläufig.
Wären wir Ihren ursprünglichen Plänen gefolgt, so
hätte das zu folgendem bizarren Ergebnis geführt:
Andreas Storm
Die Mehreinnahmen aus der Erhöhung der Mehrwertsteuer wären langfristig zu einem immer kleineren Teil an die Rentenversicherungsträger geflossen, und das restliche Mehraufkommen aus dieser höheren Steuerbelastung wäre den Finanzministern des Bundes und der Länder zugute gekommen, was im Interesse der Rentenversicherten eine wenig erfreuliche Vorstellung wäre.
Ein Stück weit lernfähig sind Sie ja doch.
Denn Sie haben in dem jetzt geänderten Gesetzentwurf diese entscheidende Schwachstelle korrigiert,
indem Sie nun sagen, daß Sie das gesamte Aufkommen aus der Umsatzsteuererhöhung vollständig den Rentenversicherungsträgern zugute kommen lassen wollen und im gleichen Ausmaß die Beitragszahler entlasten wollen. Damit haben Sie sich im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung in der Sache faktisch vollständig an unsere Positionen angenähert,
so daß Ihnen eine Zustimmung zum Entwurf der Koalitionsfraktionen eigentlich leichtfallen sollte.
Statt dessen haben Sie im Spätsommer eine neue Hürde errichtet. Diese sieht wie folgt aus: Sie sagen, Sie stimmen dieser Entlastung der Beitragszahler in der Rentenversicherung nur dann zu, wenn zugleich auch der Beitragssatz in der Arbeitslosenversicherung um einen weiteren Punkt gesenkt wird und dafür unter anderem die Mineralölsteuer um mindestens 10 Pfennig erhöht wird.
Nun ist es in der Tat so, daß die Beitragsbasis in der gesetzlichen Sozialversicherung auf Grund der dramatisch gestiegenen Arbeitslosenzahl in den vergangenen Monaten immer schmaler wird. Wenn in der gesetzlichen Rentenversicherung der Beitragssatz für das kommende Jahr jetzt von 20,3 auf 21 Prozent erhöht werden muß und auch in der gesetzlichen Krankenversicherung in den neuen Bundesländern die Beitragseinnahmen weggebrochen sind,
so ist dies die Folge der dramatischen Beschäftigungsentwicklung.
Aber eines müßte doch auch Ihnen aufgefallen sein: Ausgerechnet in der Arbeitslosenversicherung sind die Beiträge seit Jahren konstant.
Dies ist nur möglich, weil der Bund seinen Zuschuß
im Zuge der Defizithaftung gegenüber den ursprünglichen Haushaltsansätzen deutlich ausgeweitet hat.
In diesem Jahr belaufen sich die Finanzierungskosten der Arbeitslosigkeit beim Bund und bei der Bundesanstalt für Arbeit auf insgesamt etwa 142 Milliarden DM. Davon fließen knapp 50 Milliarden DM aus allgemeinen Haushaltsmitteln, also überwiegend aus dem Steuertopf. Damit wird ein gutes Drittel der Kosten der Arbeitslosigkeit auf der Bundesebene von den Steuerzahlern finanziert.
Allein die Ausweitung des Bundeszuschusses zur Arbeitslosenversicherung entlastet die Beitragszahler potentiell um 11 Milliarden DM bzw. 0,8 Beitragssatzpunkte. Eine weitere Aufstockung des Bundeszuschusses an die Bundesanstalt für Arbeit über das bereits jetzt vorgesehene Maß hinaus ist völlig überzogen.
Meine Damen und Herren, es ist in der Tat eine wichtige Aufgabe für die deutsche Sozial- und Finanzpolitik, die Spirale aus steigenden Sozialbeiträgen und steigender Arbeitslosigkeit zu durchbrechen.
Mit der heutigen Entscheidung, die Beitragszahler über eine moderate Umfinanzierungsstrategie dauerhaft zu entlasten,
können wir hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Wer sich hier verweigert, der trägt alleine die Verantwortung dafür, daß die Rentenversicherten dauerhaft höhere Beiträge zahlen müssen.
Deswegen, meine Damen und Herren von der Opposition: Geben Sie sich endlich einen Ruck! Stimmen Sie mit uns für eine gerechtere Lastenverteilung zwischen den Beitragszahlern und den Steuerzahlern in der gesetzlichen Rentenversicherung! Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu!
Nun spricht der Abgeordnete Rudolf Dreßler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heute anstehende Debatte zur zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfes zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung sowie zum SPD-Gesetzentwurf zur Senkung der Lohnnebenkosten knüpft direkt an die Aussprachen an, die anläßlich des zweiten Vermittlungsverfahrens
Rudolf Dreßler
und anläßlich der Verabschiedung des sogenannten Rentenreformgesetzes 1999 der Koalition in diesem Hause geführt wurden.
Der heute zur Verabschiedung anstehende Koalitionsentwurf steht - das ist wichtig festzuhalten - in direktem Zusammenhang zur bereits verabschiedeten Rentengesetzgebung der Regierung Kohl. Zugespitzt formuliert: Wir beraten heute über den Finanzierungsteil dieses ungerechten Rentengesetzes.
CDU/CSU und F.D.P. möchten gerne darüber hinwegschummeln, aber es steht fest: Ohne das heutige Gesetz macht das Kohische und Blümsche Rentengesetz keinen Sinn, meine Damen und Herren.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat vor wenigen Tagen hier im Hause gegen dieses Rentengesetz gestimmt.
Wir haben erklärt und erklären noch einmal: Wir wollen keine Kürzung des Rentenniveaus von 70 auf 64 Prozent,
weil dadurch ein Großteil der Rentnerinnen und Rentner nahe an die Sozialhilfeschwelle gerät oder sogar unter die Sozialhilfeschwelle fällt. Wir wollen keine rentenpolitische Strafexpedition gegen Schwerbehinderte.
Und nicht zuletzt, meine Damen und Herren: Wir wollen keine Privatisierung des Risikos der Erwerbsunfähigkeit.
Wir wollen das alles nicht, weil es der Rentenversicherung nicht wirklich hilft, vor allem aber, weil es zutiefst ungerecht ist. Zu alledem ist es überflüssig, um die Rentenkassen wirksam zu stabilisieren. Und weil wir das alles nicht wollen, werden wir den Finanzierungsteil dieser Operation - und nichts anderes ist der heute zur Beratung anstehende Gesetzentwurf - ablehnen.
Zum drittenmal versucht die Bundesregierung nun, die SPD indirekt oder sogar direkt in die Mitverantwortung für ihre unsoziale Rentenpolitik zu nehmen. Recht trickreich legt der Bundessozialminister dazu die argumentative Leimrute aus: Die Koalition wolle in der Rentenpolitik umfinanzieren, und die SPD wolle in der Rentenpolitik umfinanzieren; da könne man doch wenigstens dieses Stück des Weges gemeinsam gehen. So sagt Herr Blüm. Er erweckt damit den Eindruck, als handle es sich hierbei um zwei gleichgerichtete Vorschläge. Herr Blüm, das ist noch nicht einmal die halbe Wahrheit, und Sie wissen wie ich, die halbe Wahrheit ist bekanntlich auch geschwindelt. In Wirklichkeit handelt es sich nämlich um zwei völlig unterschiedliche Vorschläge. Herr Blüm will umfinanzieren, damit man den Leuten besser an die Rente gehen kann. Die SPD will umfinanzieren, damit man den Leuten nicht an die Rente gehen muß. Das ist der Unterschied.
Auf gut deutsch: Die Koalition will umfinanzieren, damit sie kürzen kann; die SPD will umfinanzieren, um Kürzungen zu vermeiden.
So sieht die Wahrheit aus, auch wenn Sie über Ihre eigenen Kürzungsvorschläge lachen, Herr Weng.
Die Vorschläge von CDU/CSU und F.D.P. einerseits und SPD andererseits sind also nicht nur nicht gleichgerichtet, sondern sie verfolgen gegensätzliche Ziele und Absichten. Deshalb sage ich den Vertretern der Koalition: Sie können von mir aus noch 23 Versuche starten, die SPD im Wege der Finanzierung in die mittelbare Mitverantwortung für Ihre unsoziale Rentenpolitik zu zwingen; Sie werden scheitern. Diese Rentenpolitik verantworten Sie ganz allein; dafür steht die Sozialdemokratische Partei nicht zur Verfügung.
Damit auch das klar ist: Die Koalition muß diese Politik nicht nur alleine verantworten; CDU/CSU und F.D.P. könnten sie auch alleine durchsetzen, wenn sie es im inneren Machtgefüge denn nun wirklich wollten oder könnten, und zwar einschließlich des Umfinanzierungsgesetzes. Eine Zustimmung der SPD dazu ist nicht erforderlich, auch keine Zustimmung der sozialdemokratisch regierten Länder im Bundesrat. Setzen Sie als Umfinanzierungsinstrument die Mineralölsteuer ein, und Sie sind alle Sorgen hinsichtlich der Zustimmung im Bundesrat los. Diese Koalition möchte gerne vergessen machen, daß sie die Mehrheit für ihre unsozialen Rentenpläne zwar hat, daß sie sie aber nicht mobilisieren kann, weil sie in sich selbst zerstritten ist und weil CSU und F.D.P. im Gegensatz zur CDU keine Mineralölsteueranhebung wollen.
Herr Blüm, wenn Ihre Koalition auf Grund ihrer Zerstrittenheit über die Finanzierung der eigenen Rentenpolitik nicht in der Lage ist, die Mehrheit, die sie hat, wirksam werden zu lassen, dann ist das allein Ihr Problem; das kann und wird die SPD nicht lösen. Wer nicht mehr regieren kann, Herr Blüm, der muß es auch verantworten und kann nicht statt dessen die Opposition vorschicken.
Im übrigen ist jetzt die Rede von der angeblichen staatspolitischen Pflicht der SPD, an dieser Operation
Rudolf Dreßler
mitzuwirken. Das klang aber alles schon einmal ganz anders. Bereits im Februar 1996, also vor eineinhalb Jahren, habe ich der Koalition von diesem Pult aus für meine Fraktion angesichts der Problemlagen in der gesetzlichen Rentenversicherung angeboten, die Rentenfinanzen gemeinsam zu stabilisieren. Die Führungsgremien meiner Partei haben dieses Angebot mehrfach wiederholt. Sie, Herr Blüm, der Bundeskanzler und andere Vertreter der CDU/CSU und F.D.P. haben dieses Angebot unisono, zusammen mit anderen Führungspersonen beider Parteien außerhalb dieses Parlaments, zurückgewiesen, und zwar nach dem Motto: Wir brauchen die SPD nicht. In nachträglicher Bewertung macht Ihre Haltung aus heutiger Sicht sogar einen Sinn. Denn Herr Blüm wußte schon damals, daß er für eine Gesetzesoperation in Sachen rentenpolitischer Grobheiten, die er ja in Wahrheit von Anfang an, also schon 1996, im Auge hatte, nie und nimmer die Zustimmung der SPD erhalten würde.
Nun erläutert der Sozialminister seit geraumer Zeit und in beredten Worten, durch die Umfinanzierung, die er mit einer im Gesetzentwurf der Koalition vorgesehenen einprozentigen Erhöhung der Mehrwertsteuer möglich machen will, könnten die Beitragssätze in der Rentenversicherung gesenkt werden. Theoretisch hat er ja recht, und gesenkt werden müßten sie auch. Das Trauerspiel ist nur: Dem steht die Wirtschafts- und Sozialpolitik seiner eigenen Koalitionsregierung entgegen; denn diese hat die Finanzprobleme in der Rentenversicherung wie auch in allen anderen Zweigen der Sozialversicherung erst heraufbeschworen.
Wer nämlich eine Wirtschaftspolitik betreibt, die ein stetiges Anwachsen der Arbeitslosigkeit - ich drücke mich dabei sehr höflich aus - in Kauf nimmt, der bewirkt, daß immer weniger Menschen in die Sozialversicherung einzahlen. Wer auf eine Arbeitsmarktpolitik fast gänzlich verzichtet,
wer statt Arbeit Arbeitslosigkeit finanziert, auch der bewirkt Mindereinnahmen in der Sozialversicherung.
Ich halte es schon für eine große Portion Chuzpe, wenn dieser Bundessozialminister vor 14 Tagen in diesem Parlament hämisch über unsere Position - wir müssen die Atomisierung des Arbeitsmarktes beenden, wir müssen die geringfügigen Beschäftigungen sozialversicherungspflichtig machen, wir müssen die Scheinselbständigkeit
wieder in die Rentenversicherung zurückoperieren - herfällt, uns vorwirft, uns fiele nichts anderes ein - wörtliches Zitat! -, um an anderer Leute Geld zu kommen, gestern bei der Bekanntgabe der Erhöhung des Beitrages zur Rentenversicherung auf 21 Prozent
aber genau dies als Begründung für diese Erhöhung angibt.
Herr Blüm, schämen Sie sich nicht, vor 14 Tagen unsere Vorschläge hier zu diskreditieren
und gestern dies dem staunenden Publikum als Begründung für die Erhöhung bekanntzugeben? Wie tief ist eigentlich diese Regierung in ihrer Argumentation gesunken!
Solange diese Koalition nicht begreift, meine Damen und Herren, daß unsere Sozialversicherung vor allem ein Einnahmeproblem hat - -
- Frau Dr. Babel, ich hoffe, Sie haben realisiert, daß Sie gerade Ihren eigenen Sozialminister ausgelacht haben, denn er hat das gestern vor der Presse genau so formuliert.
Es ist ja schön, daß Sie sich hier im Deutschen Bundestag in aller Öffentlichkeit über Herrn Blüm lächerlich machen, aber von einer Dame, die diesen Herrn politisch trägt, hätte ich doch etwas mehr Respekt erwartet, meine Damen und Herren.
Umfinanzieren, meine Damen und Herren, reicht nicht, um die sich ständig verringernde Einnahmebasis der Sozialkassen zu stabilisieren. Statt dessen muß Schluß gemacht werden mit der von CDU/CSU und F.D.P. wohlwollend geduldeten anhaltenden Flucht aus der Sozialversicherungspflichtigkeit von Arbeitsverhältnissen.
Deshalb sage ich noch einmal: Schluß mit der Sozialversicherungsfreiheit von geringfügiger Beschäftigung, Schluß mit der Scheinselbständigkeit, Schluß mit der Versicherungsfreiheit von Selbständigen, Schluß mit dieser sozialversicherungsrechtlichen Trittbrettfahrerei! Das, was einige dabei sparen, müssen nämlich alle anderen - Unternehmen und Versicherte - bezahlen.
Wir brauchen nicht nur eine Umfinanzierung, wie die Regierung behauptet; wir brauchen auch eine breitere Einnahmebasis, eine gerechtere Finanzierung der sozialen Systeme. Wer wie die Sozialversicherung vor allem ein strukturelles Einnahmeproblem hat, der muß es auch auf der Einnahmeseite lösen. Man kann dem stetigen Verfall der Einnahmebasis von Versicherungssystemen, auch der Rentenversicherung, nicht durch ständiges Zusammenstreichen der Leistungsausgaben hinterherkürzen. Das
Rudolf Dreßler
ist ein irrsinniges Hase-und-Igel-Spiel, weil der Hase Leistungskürzung jedesmal aufs neue feststellen wird, daß der Igel Einnahmeausfall schon da ist.
Daß die F.D.P. genau das erreichen will, weil sie unser System zertrümmern will, das weiß ich.
Es kommt aber darauf an, daß Herr Blüm und die CDU/CSU das endlich begreifen und ihre Rentenpolitik ändern, meine Damen und Herren.
Ich erinnere noch einmal daran: Herr Blüm wollte mit der Umfinanzierung die Beitragssätze in der Rentenversicherung senken, und zwar um einen Prozentpunkt von derzeit 20,3 auf 19,3 Prozent. Jeder und jede in diesem Hause weiß mittlerweile, daß es anders kommen wird. Die Beitragszahler erwartet zum 1. Januar nächsten Jahres statt einer Beitragssenkung, die die Regierung noch im Sommer dieses Jahres gegen unsere Warnung angekündigt hatte, eine Beitragssatzerhöhung.
Als ich im August dieses Jahres darauf hingewiesen habe, der Beitragssatz zur Rentenversicherung werde am 1. Januar 1998 auf 21 Prozent angehoben werden müssen, ist die versammelte Koalition öffentlich über mich hergefallen, hat mich der Panikmache geziehen. Herr Blüm selbst hat mich einen Hiobsbotschafter genannt.
Und wenig später hieß es bei Herrn Blüm, bei der CDU/CSU und bei der F.D.P., statt derzeit 20,3 Prozent könnten es auch 20,6 werden, dann robbte man sich auf 20,8 Prozent, immer mit dem Zusatz von Herrn Blüm: „Die Dreßlersche Behauptung von 21 Prozent - niemals, alles Lug und Trug!", bis er gestern endlich auch bei 21 Prozent gelandet ist.
Wochen und Monate hat der Sozialminister mit allen Tricks zu verhindern versucht, daß die Wahrheit ans Licht kommt. Er hat sogar den Schätzerkreis, der die fachlichen Grundlagen für die jährliche Beitragssatzanpassung errechnen muß, sicherheitshalber kurzerhand ausgeladen.
Dabei hat Herr Blüm seit dem vergangenen Sommer genau gewußt, was kommen wird. Er wußte wie ich, daß wir bei 21 Prozent landen werden. Seit gestern ist klar, daß es tatsächlich 21 Prozent werden.
Meine Damen und Herren, ich will nicht indiskret sein und die ersten Reihen der Koalition fragen, ob sie auch wußten, was Herr Blüm wußte. Aber eines ist klar: Wer so mit der Wahrheit umgeht, wer trickst, verbiegt, umdeutet oder sich in Halbwahrheiten flüchtet, untergräbt nicht nur seine eigene Vertrauenswürdigkeit, er untergräbt auch das Vertrauen der Menschen in die Institution Rentenversicherung, das er doch eigentlich schon von Amts wegen hüten und pflegen sollte.
Ich glaube diesem Arbeitsminister keine Zahl mehr. Er hat sie alle getürkt, nichts an ihnen stimmt. Es ist schlimm, daß man das bei einem Mitglied der Bundesregierung feststellen muß.
Die nunmehr absehbare Entwicklung zeigt: Es hilft der Rentenversicherung nichts, nur umzufinanzieren; es hilft nichts, nur die Leistungsniveaus zu senken. Selbst beides gemeinsam hilft nicht, weil es die Ursachen für die Finanzprobleme nicht beseitigt.
Wir brauchen statt dessen eine Kombination aus Umfinanzierung und Verbreiterung der Einnahmebasis, so wie die SPD-Rentenkonzeption und unser Gesetzesantrag zur Senkung der Lohnnebenkosten das vorsehen.
Wenn der Bundessozialminister und die CDU/ CSU-F.D.P-Koalition heute feststellen müssen, daß der Beitragssatz zur Rentenversicherung entgegen Ihren früheren lautstarken Versprechungen im zweiten Jahr hintereinander abermals kräftig angehoben werden muß, dann ist das das Eingeständnis einer gescheiterten Rentenpolitik. Nun im nachhinein durch ein Umfinanzierungsgesetz, so wie es heute vorliegt, sozialdemokratische Mitverantwortung einbauen zu wollen, das wird nicht verfangen. Für diesen rentenpolitischen Trümmerhaufen sind diejenigen verantwortlich, die seit 15 Jahren regieren: Herr Kohl, Herr Blüm und die Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die CDU/CSU-F.D.P.-Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien sagen heute morgen immer noch: Senkung der Beiträge! - Sie sind noch nicht einmal fähig, willens und in der Lage, das, was sich wirklich auf der Grundlage dieses Gesetzentwurfes der Regierungsfraktionen abspielt, hier einzugestehen, nämlich daß Sie gar keine Beitragssatzsenkung mehr durchführen wollen oder können, sondern daß Sie heute morgen uns nur noch dazu animieren wollen, ein Gesetz zu beschließen, welches eine Beitragssatzerhöhung verhindert. Von Lohnnebenkostensenkung ist bei dieser Koalition überhaupt nicht mehr die Rede.
- Ich bitte Sie, Herr Hörster, da Sie in der Rententhematik so tief nicht drin sind, doch wenigstens einmal zuzuhören, damit Sie sich statt Abendbrot einmal Gedanken machen können.
Herr Hörster, eine Erhöhung des Beitrags um 0,7 Prozent, also von 20,3 auf 21 Prozent, ist genau das, was wir befürchtet, vorausgesagt und wegen der politischen Beitragsfestsetzung der letzten beiden Jahre prognostiziert haben. Da bleiben noch 0,3 Prozent übrig. Genau die will Herr Blüm nehmen, um die nicht finanzierten Kindererziehungszeiten, die die Kassen wieder zusätzlich belasten werden, über diesen Weg zu finanzieren. Das haben wir alles durchschaut.
Rudolf Dreßler
Herr Blüm, treten Sie mit uns ein für eine Beitragssenkungspolitik.
Deshalb möchte ich noch einmal betonen: Wir stehen heute wirklich am letzten Tag einer solchen Möglichkeit. Ich muß Ihnen sagen, Herr Schäuble - Sie haben sich in den letzten Wochen sehr intensiv um diese Problematik gekümmert -: Wir können heute noch gemeinsam diese Beitragssatzsteigerung verhindern. Wir können das noch gemeinsam heute morgen tun. Die Zeit dazu ist noch vorhanden. Wenn wir nämlich den in Wahrheit ja auch von Ihnen akzeptierten Gesetzentwurf der SPD heute beschließen, dann haben wir nicht nur die Beitragserhöhung vermieden, sondern haben unser aller Versprechen, die Beiträge darüber hinaus zu senken, erfüllt. Wir hätten das Prozent Steigerung vermieden und zusätzlich einen Beitragspunkt in der Sozialversicherung gesenkt, hätten also eine Entlastung von 15 Milliarden in diesem Bereich erzielt, wovon Arbeiter und Angestellte sowie Unternehmen jeweils die Hälfte erhalten. Dann bräuchten Sie nicht in sechs Wochen vor die Bevölkerung zu treten und ihr zu sagen: Es tut uns leid, die Senkung des Solidaritätszuschlages haben wir über die Erhöhung der Rentenbeiträge wieder kassieren müssen. Es steht also auch für Sie heute morgen eine Menge auf dem Spiel.
Damit wir uns darüber klarwerden, wie das mit vorgefertigten Redemanuskripten so ist, Herr Storm, möchte ich Ihnen sagen: Ihre Fachkenntnis ist zu groß, als daß ich Ihnen heute morgen unterstelle, Sie hätten sich das selbst aufgeschrieben.
Sie haben hier soeben behauptet, und zwar einfach so, daß die Rentenversicherungsträger die Herausnahme sozialversicherungsfremder Leistungen als SPD-Position protestierend mit Nein beantwortet hätten.
Wie der Zufall es so will, kommt mir gerade eine Meldung von heute morgen, 5.45 Uhr, auf den Tisch, nach der die Rentenversicherungsträger die Bundesregierung warnen - ich zitiere -:
Der Bevölkerung sei nicht zu vermitteln, daß das Rentenniveau reduziert werde, aber die dringend erforderliche Umfinanzierung beitragsfremder Rentenleistungen nicht erfolge, sagte der Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger ...
Mein sehr verehrter Herr Storm, ich weiß ja, daß es unter den Rentenversicherungsträgern auch eine Menge CDU-Mitglieder gibt. Aber Sie sollten sich Ihre Manuskripte nicht von denen schreiben lassen. Denn der Verband der Rentenversicherungsträger und die Bundesversicherungsanstalt sind als Institutionen neutral. Sie verstehen offensichtlich mehr davon als Sie und Ihre Fraktion, wenn sie heute morgen
um 5.45 Uhr die SPD-Position, die wir seit Jahren vertreten, erneut bekräftigen.
Herr Kollege Dreßler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Storm?
Bitte schön.
Herr Kollege Dreßler, Ihre Behauptung, daß sich Abgeordnete ihre Reden schreiben ließen, liegt, so glaube ich, auch unter Ihrem Niveau.
Aber zu meiner Frage, Kollege Dreßler: Trifft es zu, daß Sie Ihre ursprüngliche Konzeption, den Bundeszuschuß ausschließlich im Ausmaß der Erstattung bestimmter versicherungsfremder Leistungen in der Rentenversicherung zu erhöhen, auf Grund der Proteste der Rentenversicherungsträger so geändert haben, daß Sie in Ihrem Gesetzentwurf nun wie die Koalition sagen: Der Bundeszuschuß wird so erhöht, daß er jedes Jahr im Ausmaß des Aufkommens eines Mehrwertsteuersatzpunktes ansteigt?
Herr Kollege Storm, ich sage Ihnen noch einmal ganz langsam zum Mitschreiben: Dies trifft ausdrücklich nicht zu. Der Gesetzentwurf der SPD beziffert dezidiert drei sozialversicherungsfremde Leistungen - die Stichwörter sind: Fremdrentengesetz, Auffüllbeträge und SED-Unrechtsbereinigungsgesetz - und sagt dann: Das darüber hinausgehende Einnahmevolumen wird für weitere sozialversicherungsfremde Leistungen verwandt. Das heißt, wir wollen diese sozialversicherungsfremden Beiträge aus dem System heraushaben, damit das System nicht weiter diskreditiert wird. Herr Storm, Sie wollen sie im System lassen. Das ist ein substantieller Unterschied in unserer politischen Auffassung.
Was die Manuskripte betrifft - mit Verlaub, Herr Storm -: Diese Behauptung liegt nicht unter meiner Würde. Denn Sie und ich wissen, daß hier eine Menge von anderen für Abgeordnete geschrieben wird. Ich habe - denn ich habe Sie als Kenner der Materie sogar schätzen gelernt - bezweifelt, daß die Passage Ihrer Rede, in der Sie das fälschlicherweise zitiert haben, von Ihnen formuliert worden ist. Insoweit habe ich Ihnen damit sogar noch einen Gefallen getan.
Sollten Sie allerdings jetzt sagen, daß diese falsche Passage von Ihnen selbst formuliert worden ist, dann machen Sie mich, Herr Storm, traurig.
Herr Kollege Dreßler, die Arbeitsweise der einzelnen Mitglieder dieses Hauses sollten wir ihnen selbst überlassen.
Herr Kollege Storm möchte noch eine Zwischenfrage stellen.
Bitte.
Herr Kollege Dreßler, stimmen Sie mit mir darin überein, daß erstens die Erhöhung des Bundeszuschusses im Ausmaß des Aufkommens eines Mehrwertsteuersatzpunktes das gleiche Finanzvolumen einbringt wie das, was im Koalitionsentwurf vorgesehen ist,
und daß zweitens auch dann, wenn - wie Sie sagen - ein Teil der Erstattungen zum Beispiel für die Zahlung von Fremdrenten verwandt wird, die Fremdrenten genauso wie im Koalitionsentwurf nach wie vor von den Rentenversicherungsträgern ausgezahlt werden, daß im Ergebnis also der faktische Unterschied zwischen den beiden Gesetzentwürfen diesbezüglich bei Null liegt?
Meine Damen und Herren, es ist so, daß wir in der Bewertung dieses Sachverhaltes offensichtlich nicht zusammenkommen.
Denn, Herr Storm, wenn ich versicherungsfremde Leistungen aus dem System herausnehme und sie administrativ bei einer Bürokratie belasse, dann ändert das nichts an dem Sachverhalt, daß diese Leistungen nicht mehr der Rentenversicherung als System und damit den Beitragszahlern direkt oder indirekt aufgelastet werden.
Sie können der Bevölkerung - Sie können sich Mühe geben, sosehr Sie wollen - nicht plausibel machen, daß eine staatliche Hoheitsaufgabe einem Versicherungssystem übertragen wird, das Unternehmen, Arbeiter und Angestellte zu finanzieren haben, aber 20 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung - das betrifft auch Sie und mich - aus der Finanzierung völlig herausläßt. Hier geht es um Ordnungspolitik und um Gerechtigkeit.
Schlußbemerkung: Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß die große Mehrheit der CDU/CSU - übrigens auch der Bundessozialminister - genau weiß, daß die Argumentation der sozialdemokratischen
Bundestagsfraktion richtig ist. Davon bin ich zutiefst überzeugt.
Wir wissen ja nicht nur aus Veröffentlichungen, daß die Koalition sich in dieser Frage auf Grund der Machtbalance - das will ich gar nicht kritisieren - selbst blockiert.
Ich möchte zum Schluß Ihnen, Herr Dr. Schäuble und Herr Glos, eine Erfahrung mitteilen, die ich vor drei Jahren in meiner Partei selbst gemacht habe. Das möchte ich Ihnen heute morgen sagen dürfen. Es geht mir dabei nicht um die innere Struktur Ihrer Partei, es geht mir um dieses Rentensystem und um die Sozialversicherungssystematik. Um eine Volkspartei sein zu können, Herr Dr. Schäuble - das wissen Sie so gut wie ich -, muß man Bedingungen erfüllen. Wenn man diese Bedingungen nicht erfüllt, hat das unglaubliche Turbulenzen zur Konsequenz und richtet für das Gemeinwohl in unserer Demokratie großen Schaden an. Deshalb, Herr Dr. Schäuble, gestatten Sie mir ein offenes Wort: Es kann nicht länger so sein, daß 95 Prozent dieses Hauses in der Bewertung eines Sachverhaltes einig sind und wegen 5 Prozent, die das alles nicht schert - Ihr Koalitionspartner, die F.D.P. -,
ein weiterer Fortschritt auf diesem Sektor verhindert wird. Ich bitte die Abgeordneten der CDU/CSU in ihrem Selbstverständnis als Volkspartei, darüber heute morgen einmal nachzudenken.
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Andrea Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Storm, Sie haben gerade - fast schon mit einem Tremolo in der Stimme - gesagt, wir hätten es hier mit einer wichtigen Weichenstellung zu tun. Mit Verlaub, wenn ich heute morgen am Zeitungskiosk, an dem ich meine Zeitungen hole, sehe, daß der neue Beitragssatz von 21 Prozent immerhin von allen Zeitungen für wert befunden wird, als Aufmacher genommen zu werden, kann ich mich des Eindruckes nicht erwehren, daß wir hier statt über strategische und kluge Weichenstellungen über nichts anderes als über Schadenbegrenzung reden.
Sie haben diese Situation überhaupt erst herbeigeführt; nun versuchen Sie zu einem viel zu späten Zeitpunkt und dann auch noch mit einem in meinen Augen untauglichen Mittel, das Allerschlimmste zu verhindern. Daß sich die Diskussion nun an der konkreten Höhe von 21 Prozent festmacht, hat zwar auch einen symbolischen Gehalt, ist aber für die weitere Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung absolut wichtig. Es gibt so etwas wie politische Schmerzgrenzen; die haben Sie mit Ihrer Politik erreicht. Daß wir jetzt bei 21 Prozent gelandet sind, ist kein Natur-
Andrea Fischer
ereignis, sondern hat mit Ihrer Politik zu tun. Sie haben den Zug in die falsche Richtung geschickt, und nun fährt er direkt auf das Stoppsignal zu.
Am Anfang stand - das wissen wir alle - die Finanzierung der Rentenüberleitung durch die Rentenversicherung. Sie können mir gerne sagen: Damals ging es nicht anders, und wir konnten nicht anders. - Aber das daraus resultierende Problem bei den Lohnnebenkosten wird nun schon seit Jahr und Tag diskutiert, und Sie haben es bislang nicht korrigiert. Also können Sie sich jetzt hier nicht hinstellen und sagen: Sind wir nicht klasse, daß wir jetzt etwas in Sachen Mehrwertsteuer unternehmen!
Ich würde gerne eine kleine Anmerkung zu der Kontroverse zwischen dem Kollegen Dreßler und dem Kollegen Storm über die Herausnahme sozialversicherungsfremder Leistungen machen. Schon die Definition versicherungsfremder Leistungen ist schwierig und nicht völlig eindeutig, weil wir es mit einer Sozialversicherung zu tun haben.
Außerdem kann es nicht darum gehen, sie gemäß dem Wortsinne herauszunehmen, so daß sie nicht mehr von der Rentenversicherung bezahlt werden müssen. Es gibt Umverteilungselemente in der Rentenversicherung,
zu denen wir uns politisch bekennen sollten.
Wir streiten hier um die Frage, wie wir diese Leistungen finanzieren und ob es klug ist, sie ausschließlich über die Sozialversicherungsbeiträge zu finanzieren.
Uns allen, die wir die Sozialversicherungen auch für die Zukunft sichern wollen, wird der jetzige Beitragssatz von 21 Prozent bei allen weiteren politischen Vorhaben und Reformen wie Blei auf den Füßen liegen.
- Ja, aber da können Sie doch hier jetzt nicht Matschen. Die 21 Prozent haben wir doch nicht zu verantworten.
- Mit Verlaub, Sie sind jetzt seit 15 Jahren an der Regierung. Sie, die an diesem Punkt nichts anderes als phantasielose und kraftlose Schadensbegrenzung machen, sagen jetzt: Die anderen sind schuld.
Das ist doch absurd.
Ein weiterer Grund für diese fatalen 21 Prozent - neben der falschen Finanzierung - ist die Flucht aus der Sozialversicherung.
Darüber diskutieren wir seit Tagen. Jetzt bricht bei Ihnen ein hektischer Aktionismus aus. Sie können sich am Ende ja doch nicht einigen; wir wissen es doch schon. Sie erzählen jetzt herum, was Sie mit dem Problem machen wollen.
Lassen Sie uns doch einmal über dieses Problem nachdenken, unabhängig davon, ob Sie noch eine Regelung finden werden oder nicht. Das glaube ich, ehrlich gesagt, nicht. Jede Regelung hat ja, wie wir alle wissen, auch ihre Tücken. Es gibt aber auch eine politische Begründung dafür, warum die Leute die Sozialversicherung verlassen. Dies hat auch etwas mit den 21 Prozent und dem Beitrags-Leistungs-Verhältnis zu tun, also mit der Tatsache, daß die Menschen dieses Verhältnis nicht mehr hinnehmen, daß sie es für ein schlechtes Angebot halten.
Warum hat das Beitrags-Leistungs-Verhältnis eine solche Bedeutung bekommen? Warum denken darüber so viele Leute nach? Das hat auch etwas mit einem Verlust des Vertrauens in die politische Steuerung der gesetzlichen Rentenversicherung zu tun. Vor diesem Hintergrund wird die Frage „Kann ich das nicht besser privat machen?" bedeutsam. Obwohl auch ich finde, daß in den letzten Jahren in der Art, wie die Sozialversicherungen behandelt wurden, einiges schiefgelaufen ist, appelliere ich an alle, sich klarzumachen, daß die Überlegung, nicht in die Sozialversicherung zu gehen, zutiefst egoistisch ist und die anderen trifft.
Der einzelne hat dadurch natürlich zunächst einen Vorteil, der allerdings darin besteht, daß man sagt: Sollen doch die anderen Idioten die Renten für meine Eltern und Großeltern zahlen. Demgegenüber sage ich: Das geht nicht. Auch wenn die Bundesregierung noch soviel falsch macht - die Sozialversicherungen
Andrea Fischer
leben davon, daß wir alle mitmachen und uns an ihr
beteiligen, daß alle gemeinsam die Lasten schultern.
Es ist unbestritten, daß wir diesen Teufelskreis durchbrechen müssen. Es liegt ja ein Vorschlag auf dem Tisch. Im Gegensatz zu Ihrem Vorschlag ist er im Vermittlungsausschuß schon lang und breit diskutiert worden. Kollege Storm, wenn wir in diesen Vorschlag Elemente eingebaut haben, die sich auch in Ihrem Entwurf finden, dann sagen Sie in überheblicher Weise: Na, sehen Sie einmal; Sie sind ja lernfähig. - Ich betone: Dabei handelt es sich um einen Kompromiß. Das heißt, wir haben uns bewegt. Nur, Sie bewegen sich nicht mehr.
Wir waren doch vor Wochen schon viel weiter. Ich brauche Ihnen angesichts der Debatten der letzten Wochen um das bündnisgrüne Wahlprogramm nicht zu erläutern, daß der Vorschlag in bezug auf die Mineralölsteuer, der sich im Kompromißpapier findet, nicht von den Bündnisgrünen ist. Ich brauche Ihnen auch gar nicht zu erklären, daß wir von der Mehrwertsteuererhöhung nicht viel halten. Beide Punkte sind aber in diesem Kompromißvorschlag enthalten, weil wir der Überzeugung gewesen sind: Wir müssen uns bewegen. Sie bewegen sich nicht. Das hat natürlich auch mit Ihren internen Widersprüchen zu tun. Der Vorschlag des Kollegen Schäuble, auf den wir uns zubewegt haben, hat das Mißfallen der CSU gefunden. Die F.D.P. brauchte unbedingt die Senkung des Soli-Zuschlags. Darin liegt der eigentliche Grund, warum eine Bewegung von Ihnen auf uns zu nicht gelungen ist.
Jetzt sollen wir angeblich wieder die Verweigerer sein. Ich glaube, so wollen Sie das unbedingt haben. Sie haben ein Problem damit, daß Ihre Leistungsbilanz im nächsten Jahr - wenn wir alle vor die Wählerinnen und Wähler treten - nicht gut genug ist, weil Sie nicht weit genug gekommen sind. Deswegen entfalten Sie jetzt eine hektische Betriebsamkeit mit Pressemeldungen. Daneben möchten Sie gern die Opposition als Blockierer und Verweigerer darstellen. Dabei machen wir nicht mit. Wir haben uns sehr weit auf Sie zubewegt. Wir haben sehr viele Punkte mitgetragen, die uns einiges kosten, weil auch wir schließlich eine politische Identität haben. Sie haben sich nicht bewegt, und deswegen fällt der Blockadevorwurf auf Sie zurück.
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Dr. Gisela Babel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In zweiter und dritter Lesung
beschließt der Deutsche Bundestag heute ein Gesetz zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung, also die Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Punkt. Mit diesem Steuergeld soll die Senkung der Rentenversicherungsbeiträge bewirkt werden, und zwar schnell.
Die übrige Rentenreform ist vor zwei Wochen beschlossen worden: mit Sparmaßnahmen, die - wie wir alle wissen - langsam wirken und erst langsam entlasten. Der Grund liegt im verfassungsgeschützten Vertrauen. Man kann nicht von jetzt auf gleich in rentenbegründende oder rentenerhöhende Tatbestände eingreifen.
In der Zwischenzeit steigt der Beitragssatz zur Rentenversicherung aber noch an. Gestern - ein schwarzer Donnerstag für die Rentenversicherung - mußte der Bundesarbeitsminister eingestehen, daß wir einen Versicherungsbeitrag von 21 Prozent brauchen, um die Renten bezahlen zu können. Ich sage offen: Dies ist ein Schock.
Die Koalition sollte - so hatten wir es verabredet - Maßnahmen ergreifen, um die Kosten zu senken. Wir haben diese Maßnahmen auch ergriffen - bei lautem Wehgeschrei der Opposition, die sofort ankündigte, daß sie diese Sparmaßnahmen bei gewonnener Wahl nicht akzeptieren würde.
Auch das muß ich sagen: Wir stellen fest, daß das Ergebnis dieser Maßnahmen nicht unseren Erwartungen entspricht. Zwei Gründe will ich für diese Entwicklung anführen. Der erste und wichtigste Grund ist sicherlich die Arbeitslosigkeit. Sie steigt kontinuierlich und führt damit zu Einnahmeausfällen in der Rentenversicherung.
Ein zweiter Belastungsfaktor ist die Frühverrentung, die noch immer anhält. Gerade deswegen, weil diese Schleuse erst so spät und so langsam geschlossen wurde - auch im vergangenen und in diesem Jahr -, werden über 200 000 Versicherte früher aus dem Arbeitsleben ausscheiden und länger Rente beziehen.
Wir müssen diese Tatbestände zur Kenntnis nehmen. Es liegt am Vertrauensschutz, den wir hier alle bejahen. Die Folge ist, daß die finanzielle Belastung langsamer absinkt. Die zusätzlichen steuerfinanzierten Gelder sollen nur den Anstieg der Beitragssätze bremsen.
Es ist schon sehr seltsam: Die SPD hat immer gesagt - es gab auch den Vorwurf, wir hätten die Wiedervereinigung falsch finanziert -, wir sollten die notwendigen Mittel für die Rentenversicherung aus dem Haushalt nehmen, also durch Steuererhöhungen finanzieren. Sie haben also vorgeschlagen, die Steuern zu erhöhen. Jetzt baut die Koalition einen Ihren
Dr. Gisela Babel
Wünschen entsprechenden Baustein in die Reform ein;
der steuerfinanzierte Anteil an der Rentenversicherung steigt. Meine Damen und Herren, was der Öffentlichkeit noch immer nicht hinlänglich bekannt ist: Er beträgt schon heute 67 Milliarden DM im Jahr. 20 Prozent aller Renteneinnahmen kommen aus Steuermitteln. Das soll nun noch mal um 15 Milliarden DM aufgestockt werden. Aber jetzt sträubt sich die Opposition,
und zwar nicht, weil sie Steuererhöhungen ablehnt - das macht eigentlich nur die F.D.P.; die Steuererhöhung macht uns hier auch zu schaffen -,
sondern weil sie - und das ist völlig unverständlich - die Sparbeschlüsse ablehnt. Die Kosten der Rentenversicherung möchte sie allein durch mehr Steuergelder dämpfen.
Herr Dreßler, es gab in der Vergangenheit genügend Beispiele, die belegen, daß Sie sich sehr lange Zeit gegen bestimmte Entscheidungen der Koalition gewehrt haben. Dazu gab es eindringliche Reden an Ihre eigene Fraktion - die waren gar nicht an uns gerichtet -, in denen gewarnt wurde, hier bloß nicht nachzugeben. Da haben Sie schon mehrere Blessuren erlitten.
Ich bin ganz sicher, daß Sie letztlich nicht darum herumkommen, zu den Sparmaßnahmen in der Rentenversicherung ja zu sagen - ganz egal, ob das mit oder ohne Regierungsverantwortung ist. Im Moment tun Sie allerdings so, als ob Sie für alle Zeiten Ihre Oppositionsrolle beibehalten wollten, weil Sie nie die Verantwortung übernehmen wollen, das durchzuhalten, was Sie hier verteufeln.
Meine Damen und Herren, die Koalition verzichtet nun also - wir nehmen das zur Kenntnis - auf Ihre Mitwirkung bei den Sparbeschlüssen.
- Nein. Wir wollen nur Ihre Zustimmung zur Mehrwertsteuererhöhung. Jetzt hören wir, daß Sie die nicht mittragen. Sagen Sie an dieser Stelle doch mal
- davon war in Ihrer Rede auch nichts enthalten -, welche Reformen Sie in der Rentenversicherung eigentlich wollen.
Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß Sie Reformen nur durch Mehrbelastung des Steuer- und Beitragszahlers erreichen wollen.
Im Bundesrat ist die SPD gefordert. Bitte bedenken Sie: Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände - das ist für Sie jetzt nicht unbedingt eine gute Adresse -, aber auch die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft haben gestern gemeinsam an Bundestag und Bundesrat appelliert, die von uns gewollte Umfinanzierung mitzutragen. Ich zitiere: „Ziel muß es sein, eine Entlastung der gesetzlichen Rentenversicherung im Umfang von einem Beitragspunkt zu erreichen." - So gestern BDA und DAG in ihrer gemeinsamen Erklärung.
Ich habe kein Wort dazu gehört, wie Sie eigentlich rechtfertigen wollen, sich hier abermals zu entziehen. Ich gehe auch davon aus, daß die Entscheidung, die Sie für Ihre Fraktion hier ankündigen, im Bundesrat nicht durchgehalten werden kann. Dafür ist die Lage zu ernst. Wir von der F.D.P. stimmen dem Gesetz zu.
Ich bedanke mich.
Ich gebe der Abgeordneten Dr. Barbara Höll das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was uns eben geboten wurde, ist schon fast kabarettreif.
Man ist über etwas geschockt, was man schon weiß. Dann wird aber noch versucht, dies glaubwürdig herüberzubringen.
Der heute vorliegende Gesetzentwurf ist nur eine Fortsetzung Ihrer chaotischen Haushalts- und Finanzpolitik. Mit einer Hand schmeißen Sie das Geld zum Fenster hinaus: Gestern wurde im Haushaltsausschuß beschlossen, den Eurofighter zu produzieren; Milliarden, gebunden für Jahrzehnte, werden rausgeschmissen.
Der Bau des Transrapids soll in 14 Tagen beschlossen werden. Der Soli-Zuschlag wird gesenkt; dies wirkt sich auf die höheren Gehaltsgruppen natürlich wesentlich stärker aus als auf die niedrigen.
Mit der anderen Hand versuchen Sie zusammenzukratzen und zusammenzuhalten, was geht. Herr Waigel mußte gestern die zweite Haushaltssperre - beginnend mit dem heutigen Tag - für dieses Jahr verkünden. Hierin ordnet sich auch Ihr Gesetzentwurf ein.
Vor 14 Tagen haben Sie mit Ihrer Mehrheit beschlossen, die lebensstandardsichernde Funktion der Renten aufzugeben, denn das, was dem zugrunde liegt, nämlich daß Männer und Frauen 45 Jahre lang arbeiten, erfüllt in diesem Land heute kaum noch jemand. Er bzw. sie kann dies nicht, auf Grund Ihrer Arbeitsmarktpolitik.
Sie wollen die Löcher in Ihrer Rentenkasse kurzfristig durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer stop-
Dr. Barbara Höll
fen. Dies wird uns nun als eine moderate Umfinanzierungspolitik verkauft und eingeordnet in die Diskussion zur Senkung der Lohnnebenkosten. Herr Hundt ist, wie heute überall in der Presse zu lesen ist, völlig entgeistert darüber, daß die Beiträge zur Rentenversicherung ab Januar 1998 auf 21 Prozent - und damit natürlich die Lohnnebenkosten - steigen müssen.
Das Problem ist aber nicht die Höhe der Zuschußleistungen des Bundes an die Rentenversicherungsträger. Es geht um zwei Dinge: Es geht darum, daß Sie mit der Erhöhung der indirekten Steuern die sogenannte Entlastung wieder den Bürgerinnen und Bürgern, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aufbürden. Damit bürden Sie sie gleichzeitig vielen Menschen auf, die nichts von einer Entlastung haben: den Rentnerinnen und Rentnern, den Kindern. Jede Brille muß bezahlt werden. Jedes Medikament wird durch die Mehrwertsteuererhöhung stärker belastet. Denen ist nicht geholfen, wenn Sie sagen: Für sie gilt weiterhin der ermäßigte Mehrwertsteuersatz.
Es geht ferner um die Frage des Bundeszuschusses. Sie werden dieses Problem erst dann wirklich lösen können - hier muß ich Herrn Dreßler widersprechen -, wenn Sie sich neuen Finanzierungsquellen zuwenden. Denn die SPD macht mit ihrem Vorschlag letztendlich genau das gleiche wie die Koalition: Auch Sie wollen nur die indirekten Steuern erhöhen. Das ist jedoch keine Antwort zur Lösung der Probleme.
Es geht darum, wirklich etwas zu ändern. Dies kann nur - dazu liegen Vorschläge der PDS auf dem Tisch - durch eine tiefgreifende Reform der Renten geschehen. Dies muß man mit Ruhe und Augenmaß machen und ordentlich diskutieren.
Ich nenne hierzu erstens eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze. Wir kennen die Zahlen und wissen, daß diejenigen Menschen, die tatsächlich mehr verdienen, nicht entsprechend ihrem Einkommen in die Rentenkassen einzahlen müssen.
Ich nenne zweitens die Ausweitung der Versicherungspflicht für jede und jeden, das heißt, auch für Selbständige, auch für Beamte, für Abgeordnete, für Staatssekretäre sowie Ministerinnen und Minister. Diese Beitragspflicht muß dann konsequenterweise natürlich so weit gehen, daß auch jeder Ehepartner und jede Ehepartnerin die Beiträge in die Rentenversicherung zahlt, wenn der andere Ehepartner oder die andere Ehepartnerin nicht berufstätig ist und keine Kinder erzieht oder Pflegeleistungen erbringt. Aber das ist natürlich mit dem Ziel verbunden, daß ein eigenständiger Anspruch erworben wurde, der der Arbeitsleistung entspricht, die im Haushalt erbracht wurde.
Ich nenne drittens die Bindung der Arbeitgeberbeiträge an die Wertschöpfung der Unternehmen anstatt an die Lohnsumme. Dann erst können wir das Problem der tatsächlichen Entlastung der Arbeit lösen. Das ist das Hauptproblem, um dessen Lösung Sie sich drücken,
indem Sie wieder nur über die indirekten Steuern diskutieren.
Es geht gerade in den kleinen und mittelständischen Betrieben darum, den Faktor Arbeit nicht weiter zu belasten. Vielmehr müssen die Beiträge zur Sozialversicherung daran geknüpft sein, welchen Umsatz und welche Gewinne die Unternehmen haben, so daß Betriebe mit wenigen Beschäftigten, aber mit sehr hohen Umsätzen und einer sehr hohen Wertschöpfung entsprechend in die Versicherungskassen einzahlen und so die kleineren Betriebe mit einem hohen Anteil an Arbeitskräften tatsächlich entlasten.
Dies wäre keine Mogelpackung, sondern würde gewährleisten, daß da, wo Alterssicherung draufsteht, auch Alterssicherung drin ist.
Ich danke Ihnen.
Ich gebe dem Bundesminister für Arbeit, Dr. Norbert Blüm, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es eines Beweises für die Notwendigkeit der Rentenreform bedurft hätte, dann ist es ein Rentenversicherungsbeitrag in Höhe von 21 Prozent.
Wenn es eines Beweises für die Dringlichkeit der Umfinanzierung bedurft hätte, dann sind es diese 21 Prozent.
Die SPD verweigert eine Reform, die entlastet. Die SPD verweigert die Umfinanzierung und beklagt anschließend zu hohe Beiträge.
Der Gesetzentwurf der SPD zur Rentenversicherung besteht aus zwei Teilen - das ist ganz einfach -: mehr Einnahmen und mehr Ausgaben.
Mehr Einnahmen: Sie wollen Geld vom Bund: von der Bundesanstalt für Arbeit für die Absicherung der Arbeitsmarktrisiken und der Erwerbsunfähigkeit, von der Unfallversicherung für die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, von den Arbeitgebern für eine Umlage für die Frühverrentung.
„Wir wollen mehr Geld" - das ist die Botschaft von Dreßler und SPD. Anschließend beschwert sich die SPD über zu hohe Beiträge.
Mehr Ausgaben: Sie wollen Einschränkungen zurücknehmen: Anhebung der Altersgrenze, Rente nach Mindesteinkommen verlängern.
Mehr Einnahmen und mehr Ausgaben - das ist alles, was der SPD zur Rentenversicherung einfällt.
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Wir werden die Rentenreform durchsetzen. Es tut mir leid, daß es nicht im Konsens geschehen konnte. Wir waren offen für den Konsens. Aber ein Konsens, der nur mit mehr Ausgaben und mehr Einnahmen zustande kommt, ist kein Konsens, weil er keine Lösung bringt.
Sie haben keine Antwort auf die demographischen Veränderungen. Sie beginnen in Ihrem Denken am 1. Januar 2016. Dann wollen Sie darauf antworten.
Das machen Sie der Öffentlichkeit klar: Sie verweigern die Umstrukturierung, Sie verweigern die Rentenreform. Zweimal nein, das ist zweimal zuviel.
Zur Umfinanzierung: Sie ist ganz einfach. Wir schlagen 1 Prozent für die Rentenversicherung vor, Sie schlagen 1 Prozent für die Rentenversicherung und 1 Prozent für die Bundesanstalt für Arbeit vor. Heute steht nur die Rentenversicherung zur Diskussion. Heute steht nicht die Bundesanstalt für Arbeit zur Diskussion.
Was ist das für eine Logik? Weil Sie nicht 2 Prozent bekommen, verzichten Sie auch auf das eine Prozent. Weil Sie nicht alles bekommen, sagen Sie: Wir wollen lieber nichts! Meine Damen und Herren, man riecht es zehn Meter gegen den Wind: Es ist Wahlkampf! Wahlkampf, Wahlkampf - und sonst nichts. Die Rentenversicherung wird von der SPD im Stich gelassen.
Die Umfinanzierung ist die am schnellsten wirkende Entlastung. Reformen brauchen immer einen Zeitvorlauf. Jetzt müssen die Beiträge gesenkt werden. Deshalb brauchen wir die Umfinanzierung jetzt.
Alle Ihre kunstvollen Reden - pauschale Erstattung - sind etwas für Insider. An der Debatte kann auch ich noch teilnehmen.
Rentenversicherungsträger, Arbeitgeber und Gewerkschaften ziehen eine pauschale Erhöhung der Erstattung vor, weil die Rentenversicherung bei der Erstattung ganz pragmatisch ein schlechtes Geschäft macht. Die Fremdleistungen nehmen nämlich ab. Reden Sie nicht so lange darum herum! Es ist nichts anderes als eine kindliche Rechthaberei, um das Unternehmen Rentenreform kaputtzumachen.
Was Sie da alles von Schätzungen erzählen! Die Zahlen sind nicht die Zahlen des Norbert Blüm, das sind die jeweiligen Zahlen der Rentenversicherungsträger.
Ein Weiteres: Mit Knappschaft und allem fließen 86 Milliarden DM aus der Steuerkasse an die Rentenversicherung; mit den Erstattungen sind es noch 10 Milliarden DM mehr. Behaupten Sie hier nicht ständig, die Rentenversicherung würde vom Bund im Stich gelassen. Nie ist mehr Bundeszuschuß gezahlt worden. Auch Sie waren 1989 für die pauschale Erhöhung.
Aber ich fürchte, das alles ist Rentenchinesisch. Heute müssen Sie klar erklären, ob Sie die Umfinanzierung und die Beitragssenkung wollen. Wir bieten es Ihnen an. Wenn Sie nein sagen, müssen Sie das erstens vor den Rentnern verantworten, denn auch die Rentner wären von der Beitragserhöhung betroffen - das ist das Wesen der Nettolohnrente; die Rentenerhöhung wäre dann niedriger -, Sie müssen es zweitens vor den Jungen verantworten, und Sie müssen es drittens vor den Arbeitslosen verantworten. Deshalb sollten wir nicht lange darum herumreden: Ja oder nein, sind Sie für Beitragssenkung jetzt, oder reden Sie lange darum herum, um Wahlkampf zu machen? Letzteres ist die Quintessenz der ganzen Debatte.
Im übrigen muß durch die Umfinanzierung auch eine Fahrtrichtung verändert werden. Nicht das Sozialbudget hat sich verändert, sondern unter dem Dach des Sozialbudgets ist die Beitragsbelastung größer geworden. Hätten wir noch das Verhältnis von 1975, hätten wir heute 88 Milliarden DM weniger über Beiträge zu finanzieren. Der große Schub dieser Verschiebung ist bis 1983 erfolgt. Ich sage das, um Legenden zu beseitigen. Wir müssen diese Fahrtrichtung umkehren, und zwar von der Belastung der Arbeit hin zur Belastung des Verbrauchs, ohne die Lohnbezogenheit der Rente aufzugeben.
Wir brauchen also erstens eine Entlastung durch Reform. Sie verweigern sie. Wir werden sie durchsetzen. Zweitens brauchen wir eine Entlastung durch Umfinanzierung. Dazu brauchen wir Sie, und dazu müssen Sie jetzt klar Farbe bekennen, statt lange darum herumzureden. Drittens brauchen wir Neueinstellungen. Die stärkste Beitragsentlastung heißt mehr Beitragszahler. Auch dazu brauchen wir eine Kostensenkung.
Um 6,4 Milliarden DM verringerte Beitragseinnahmen müssen ja ihre Gründe haben. Das sind schon fast die 0,4 Prozent, um die die Beiträge stärker steigen. Da gibt mir eine Zahl zu denken: die Entwicklung der Beschäftigtenzahl und der Arbeitslosenzahl zwischen 1996 und 1997. Um 50 000 ist die Zahl der Beschäftigten stärker zurückgegangen, als die Zahl der Arbeitslosen gestiegen ist. Darüber muß man doch einmal nachdenken. Es ist doch relativ unwahrscheinlich, daß sich diejenigen, die entlassen wurden, zu Hause hingesetzt und gar nicht arbeitslos gemeldet haben. Da liegt doch die Vermutung nahe, daß hier auch eine Massenauswanderung aus Solidarpflichten stattgefunden hat. Dem muß ein Riegel vorgeschoben werden, aber nicht durch perfekte Regelungen. Es muß immer Ausnahmen geben. So perfekt ist das nicht, und der Haushalt ist nicht mein Thema.
Diejenigen, die reguläre Arbeitsplätze in Teilzeitarbeitsplätze unterhalb der Versicherungspflicht umwandeln, lassen Beitragszahler zurück, die mehr zahlen müssen. Das ist auch eine Wettbewerbsverzerrung und gegenüber den Arbeitgebern ungerecht und unzumutbar, die mit Pflichtbeiträgen die Solidarkassen stützen.
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Ich bleibe dabei: Heute ist nicht der Tag, an dem lange Geschichten besprochen werden. Am heutigen Tag besteht die Chance, daß ein Ruck durch das Land geht und jeder seine Hausaufgaben macht: Wir, der Staat und die Politik, sparen. Es geht auch in der Rentenversicherung nicht ohne Sparen. Zweitens geht es um Umfinanzierung, drittens um das Stoppen der Massenauswanderung, viertens um eine vernünftige Tarifpolitik der Tarifpartner und schließlich um Neueinstellungen. Einstellungen sind die beste Beitragsentlastung.
Deshalb haben wir heute den Beweis zu erbringen, ob wir jetzt zwölf Monate Wahlkampf machen wollen oder ob Sie Ihre Pflicht erfüllen. Sie haben doch selber eine Beitragssenkung für die Rentenversicherung in Höhe von 1 Prozent vorgeschlagen. Sie haben sogar selber die Mehrwertsteuer vorgeschlagen. Nur, weil Sie die 2 Prozent nicht bekommen, wollen Sie auch das eine Prozent nicht. Sie lassen die Rentenversicherung, die Beitragszahler, die Jungen und die Alten im Stich, und das haben Sie zu verantworten.
Deshalb mein letzter Appell, wenn es heute nicht geht, dann im Bundesrat die Chance zu ergreifen, auch gegenüber der Öffentlichkeit zu verdeutlichen, daß wir zu gemeinsamem Handeln fähig sind.
Jetzt müssen Kräfte gebündelt werden, jetzt ist nicht die Zeit der Rechthaberei. Deshalb plädiere ich dafür: Springen Sie über den Schatten! Hören Sie auf mit all diesen Filigranargumentationen! Ja oder nein zur Umfinanzierung - das ist die Frage, über die Sie heute entscheiden müssen. Wir sind für ja.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Peter Rauen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der jährliche Bundeszuschuß zur Rentenversicherung soll um zirka 16 Milliarden DM erhöht werden. Um diesen Betrag sollen die Beitragszahler entlastet werden. Das entspricht knapp einem Beitragspunkt.
Damit der Zuschuß finanziert werden kann, soll die Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt erhöht werden. Dazu brauchen wir die Zustimmung der SPD, dazu brauchen wir die Zustimmung des Bundesrates.
Meine Damen und Herren, da die Beitragssenkung zur Rentenversicherung unmittelbar zu einer Reduzierung der gesetzlichen Lohnzusatzkosten führt, kann man in Verantwortung für die Arbeitsplätze in Deutschland diesem Gesetz nur zustimmen.
Ich kenne schon lange kein ernst zu nehmendes Institut und auch keine Partei in Deutschland mehr,
die nicht die zu hohen Lohnzusatzkosten als ursächlich für die Probleme auf dem Arbeitsmarkt nennt.
Im Januar 1996 haben Regierung, Gewerkschaften und Unternehmerverbände das Ziel der Halbierung der Arbeitslosigkeit unter der Voraussetzung formuliert, daß die Staatsquote von über 50 Prozent wieder auf unter 46 Prozent zurückgeführt wird und die Beiträge für die sozialen Sicherungssysteme durch strukturelle Reformen unter 40 Prozent gehalten werden. Die Staatsquote ist seither leicht zurückgegangen, zumindest nicht gestiegen.
Anders sieht es jedoch bei den Beiträgen aus. Sie sind für Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung von 39,7 Prozent im Dezember 1995 auf zur Zeit 42 Prozent gestiegen. Gestern hat Minister Blüm angekündigt, daß im nächsten Jahr der Beitrag zur Rentenversicherung auf 21 Prozent steigt; dann sind es insgesamt 42,7 Prozent.
Diese Beitragssteigerungen in nur zwei Jahren bedeuten, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer je zur Hälfte zirka 48 Milliarden DM jährlich dafür aufbringen müssen. Die Arbeit wird für die Unternehmen immer teurer, und die Arbeitnehmer haben netto immer weniger in der Tasche. Vor diesem Hintergrund sind für mich die Bekenntnisse der SPD, die Lohnzusatzkosten senken zu wollen, schon lange nicht mehr glaubwürdig.
Sie haben alle strukturellen Reformen, die wir in den letzten Jahren erfolgreich durchgeführt haben, abgelehnt. Das gilt für das Beschäftigungsförderungsgesetz, für das Arbeitsförderungs-Reformgesetz, für das Entgeltfortzahlungsgesetz genauso wie für die Gesundheitsreformen bis hin zur Rentenreform und zu dem Finanzierungsanteil, über den wir heute debattieren, vom Scheitern der Steuerreform ganz zu schweigen.
Für die Arbeitsplätze in Deutschland halte ich diese Verweigerungshaltung für unverantwortlich. Wir haben zur Zeit eine dramatische Entwicklung, die niemand mehr übersehen darf. Zwischen Oktober 1995 und Mai 1997, also in nur 19 Monaten, sind fast exakt 1,1 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze in Deutschland verlorengegangen. Das sind heute 3,84 Prozent weniger Beitragszahler als noch im Oktober 1995.
Ohne die strukturellen Reformen bei den sozialen Sicherungssystemen, die offenbar gegriffen haben, wären allein auf Grund des Rückgangs der Zahl der Beitragszahler die Beiträge noch mehr als ohnehin schon geschehen gestiegen.
Völlig neu in der Nachkriegsgeschichte ist jedoch die Tatsache, daß der Rückgang bei den ordentlichen Beschäftigungsverhältnissen um 415 000 Menschen höher ist, als im gleichen Zeitraum die Arbeitslosenzahl zugenommen hat. Das hat es vorher so nie gegeben.
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Diese Erkenntnis ist für mich der Beweis dafür, daß sich die Menschen massiv gegen die zu hohen Abgaben und Steuern zur Wehr setzen und Ausweichkonstruktionen suchen und finden. Wenn wir bei den viel zu hohen Lohnzusatzkosten nicht stramm umkehren, werden wir die Wende auf dem Arbeitsmarkt nicht schaffen. Im Gegenteil: Wir werden noch mehr Arbeitsplätze ins Ausland, in die Schattenwirtschaft und in die 610-Mark-Jobs vertreiben.
An letzterem kann man sehr praktisch deutlich machen, wohin wir mit den zu hohen Steuern und Abgaben gekommen sind. Zirka 70 Prozent der Beschäftigten in Nebenjobs hätten, wenn diese steuer- und sozialversicherungspflichtig gemacht würden, die Steuerklasse V bzw. die Steuerklasse VI. Bei der Steuerklasse V muß der Arbeitgeber 1454 DM aufwenden, damit der Arbeitnehmer so wie jetzt 610 DM netto bekommt, bei der Steuerklasse VI gar 1585 DM. Nach der jetzigen Regelung muß er 786 DM aufwenden, damit 610 DM dabei herauskommen.
Meine Damen und Herren, den doppelten Aufwand für denselben Lohn? Ich glaube, die Schattenwirtschaft läßt grüßen. Die Spanne zwischen Bruttoarbeitskosten und Nettoeinkommen ist einfach zu groß. Ein Handwerker, der einen Stundenlohn von zirka 25 DM erhält, bekommt als Junggeselle davon zirka 16 DM und als Verheirateter zirka 18 DM netto ausgezahlt. Für eine Arbeitsstunde in der Kfz-Werkstatt zahlt er etwa 80 bis 90 DM. Er muß also fünf bis sechs Stunden arbeiten, um von seinem Nettolohn eine einzige Arbeitsstunde kaufen zu können. Das ist weltweit einmalig.
Die Arbeitskosten sind zu hoch, und die Arbeitnehmer verdienen, daran gemessen, netto zuwenig. Wir haben in Deutschland genügend Arbeit, aber nicht mehr genügend Arbeit zu bezahlbaren Preisen.
Wir haben heute im Bundestag und später im Bundesrat die Chance, diese Entwicklung zumindest zu stoppen. Die Sozialversicherungsbeiträge müssen herunter durch strukturelle Reformen, durch Konsolidierung über die Ausgaben bei den sozialen Sicherungssystemen oder im Ausnahmefall - so wie hier - durch Umfinanzierung mittels Steuern. Die letzte Möglichkeit ist aber nur begrenzt einsetzbar, weil das Verschieben zwischen Beitrags- und Steuerlast letztlich keine Senkung der Staatsquote bringt.
Es ist jedoch völlig falsch, Sozialversicherungsbeiträge allein mit Lohnzusatzkosten, wie es leider häufig geschieht, gleichzusetzen. Lohnzusatzkosten werden ausschließlich durch zwei Faktoren bestimmt. Erster Faktor sind die Beiträge der Arbeitgeber in die sozialen Sicherungssysteme. Diese Beiträge sind überwiegend gesetzlich bestimmt. Zweiter Faktor sind die Soziallöhne, also der Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlte Nichtarbeit im Verhältnis zur wirklich geleisteten Arbeit. Dieser Teil ist überwiegend tariflich bestimmt. Weil die Unternehmerbeiträge in die Sozialkassen auch auf die Soziallöhne zu entrichten sind, müssen beide Faktoren multipliziert werden.
Durch die letzten Tarifabschlüsse zum Beispiel im Baugewerbe wurde die Möglichkeit geschaffen,
Lohnzusatzkosten von 107 Prozent um 25 Prozent auf 82 Prozent zu senken, weil die Tarifpartner bezahlte Nichtarbeit erheblich reduziert haben und die Möglichkeit schufen, 150 Stunden jährlich zu flexibilisieren - zum Ausgleich von Schlechtwettertagen und ähnlichen Ausfällen. An diesem Beispiel erkennt man, welch große Verantwortung auch den Tarifpartnern bei der Frage der Lohnzusatzkosten zukommt.
Allerdings - auch dies muß klar gesagt werden -: Eine Senkung der Beiträge führt zu höherem Nettoeinkommen der Arbeitnehmer, steigert damit das Realeinkommen und bietet den Tarifpartnern die Chance, moderate Lohnabschlüsse zu tätigen. Der umgekehrte Fall träte ein, wenn die Beiträge weiter stiegen. Das wäre für unsere internationale Wettbewerbssituation verheerend.
Um mehr Arbeitsplätze in Deutschland zu erreichen, gibt es in Wahrheit keine Alternative zu strukturellen Reformen bei den sozialen Sicherungssystemen mit dem Ziel, die Beiträge deutlich zu senken. Diese Reformen wurden und werden jedoch ohne Ausnahme von der Opposition mit allen Mitteln bekämpft und zu verhindern versucht.
Sie reden zwar davon. In Wahrheit aber verhindern Sie den gesetzlichen und tariflichen Abbau von Lohnzusatzkosten. Sie wollen umfinanzieren und nicht reformieren. Sie wollen mehr und nicht weniger Staat. Aber genau dies ist Gift für die Arbeitsplätze in Deutschland.
Ich kann Sie nur herzlich bitten, diesem Gesetzentwurf heute zuzustimmen, damit der Zuwachs an Lohnzusatzkosten endlich gestoppt werden kann.
Schönen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Meine Kolleginnen und Kollegen, ich kann die Wiedersehensfreude ja verstehen. Trotzdem brauche ich einen Augenblick Ihre Aufmerksamkeit für eine Mitteilung, die der eine oder andere von Ihnen vielleicht mit einem gewissen Bedauern aufnehmen wird.
Wir haben jetzt zwei namentliche Abstimmungen hinter uns zu bringen. Wir müssen die Sitzung nach der ersten namentlichen Abstimmung unterbrechen, weil wir, um in die zweite Abstimmung eintreten zu können, erst auszählen müssen. Ich bitte Sie also, daran zu denken, daß nach der ersten namentlichen Abstimmung und einer Unterbrechung der Sitzung eine zweite namentliche Abstimmung folgt.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversiche-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
rung. Das ist die Drucksache 13/8704. Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/8869, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/8870 vor, über den wir zuerst abstimmen. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.- Ich eröffne die Abstimmung. -
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat und abstimmen will? - Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Abgegebene Stimmen: 589. Mit Ja haben gestimmt: 249. Mit Nein haben gestimmt: 340. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 591; davon:
ja: 251
nein: 340
Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Robert Antretter
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Klaus Barthel
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Arne Börnsen Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien
Peter Dreßen Rudolf Dreßler Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger
Annette Faße Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs
Katrin Fuchs
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth Konrad Gilges
Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Achim Großmann
Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz
Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller Gerd Höfer
Frank Hofmann Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Lothar Ibrügger Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Dr. Uwe Jens
Volker Jung Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel Konrad Kunick Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann Christa Lörcher
Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Rolf Niese
Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel
Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler Otto Schily
Dieter Schloten
Günter Schluckebier Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Ottmar Schreiner Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann
Brigitte Schulte Volkmar Schultz (Köln) Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Bodo Seidenthal
Lisa Seuster
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller
Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt
Karsten D. Voigt Hans Georg Wagner
Hans Wallow
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit
Gert Weisskirchen Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier Dr. Norbert Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln)
Angelika Beer Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Antje Hermenau Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Oswald Metzger Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Egbert Nitsch Cem Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst Halo Saibold Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt Wolfgang Schmitt
Ursula Schönberger
Werner Schulz Christian Sterzing
Manfred Such Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm
Fraktionslos
Kurt Neumann
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam Peter Altmaier Anneliese Augustin
Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Rudolf Braun Paul Breuer
Georg Brunnhuber Klaus Bühler Hartmut Büttner
Dankward Buwitt
Manfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke Ulf Fink
Dirk Fischer Leni Fischer (Unna)
Klaus Francke Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther Gottfried Haschke
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Detlef Helling
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe Norbert Königshof en Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Andreas Krautscheid Dr.-Ing. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann
Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach
Walter Link Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski
Günter Marten Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann Johannes Nitsch
Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald
Norbert Otto
Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch
Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger
Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler
Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz
Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik
Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth
Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz
Christian Schmidt Dr. -Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg
Hans Peter Schmitz Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze
Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Jürgen Sikora
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Johannes Singhammer Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt
Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Theodor Waigel
Dr. Jürgen Warnke Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun
Günther Bredehorn
Jörg van Essen Horst Friedrich Rainer Funke Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt
Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch
Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Lisa Peters
Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann Andrea Gysi
Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll
Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Behrendt, Wolfgang SPD Siebert, Bernd CDU/CSU
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetzentwurf selbst, und zwar in zweiter Lesung. Es gibt jetzt keine namentliche Abstimmung. Ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen, weil wir in zweiter Lesung mit Handzeichen abstimmen und weil ich Klarheit über die Mehrheitsverhältnisse haben möchte. -
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Die Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. verlangen namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.- Darf ich fragen, ob die Urnen besetzt sind?
Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, daß über den Gesetzentwurf abgestimmt wird.
Ich eröffne die Abstimmung. -
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme abgeben möchte? Ich frage noch einmal, ob ein Mitglied des Hauses anwesend ist, das seine Stimme noch abgeben möchte. - Dann schließe ich die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später bekanntgegeben.*) Wir setzen die Beratungen fort.
Es folgen jetzt einige einfache Abstimmungen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Entlastung der Versicherten und der Unternehmen von Lohnzusatzkosten auf Drucksache 13/8042. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 13/ 8863, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/8042 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und der Gruppe der PDS gegen die Stimmen der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden ist.
Das war die zweite Beratung. Damit entfällt nach der Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Nun rufe ich die Tagesordnungpunkte 18a und 18b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
*) Seite 18186A
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Gesetzes zur Fortentwicklung des Haushaltsrechts von Bund und Ländern
- Drucksache 13/8293 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses
- Drucksache 13/8875 - Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann Dr. Wolfgang Weng Karl Diller
Oswald Metzger
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Oswald Metzger, Antje Hermenau, Kristin Heyne, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine umfassende Haushalts- und Finanzreform: Transparenz, Wirtschaftlichkeit und parlamentarische Kontrolle
- Drucksachen 13/8472, 13/8876 -Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann Dr. Wolfgang Weng Karl Diller
Oswald Metzger
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Dietrich Austermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir unterhalten uns heute über das Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetz, ein kompliziertes Thema mit einer komplizierten Überschrift. Trotzdem, glaube ich, steckt in dem Thema mehr, auch an Reformwirkung, als manch einer sich verspricht. Es geht immerhin um die Frage, ob es uns gelingt, mit weniger Geld öffentliche Aufgaben besser zu erledigen. Das ist eine komplizierte Materie.
Wenn wir uns allerdings umsehen, stellen wir fest: Es gibt eine Reihe von Erfahrungen mit Verwaltungsreformen im Ausland, die eindrucksvoll belegen, daß der Schlüssel zu erfolgreichem Vorgehen im öffentlichen Haushalts- und Rechnungswesen liegt. So wurde, international viel beachtet, bereits Mitte der 80er Jahre in Holland eine Veränderung bei der kommunalen Rechnungslegung vorgenommen und den Kommumen ein kaufmännisches Rechnungswesen verordnet. Dies war quasi die Geburtsstunde einer kunden- und bürgerfreundlichen Verwaltung, die seither gleichzeitig in der Lage war, erhebliche Haushaltsmittel einzusparen.
Die internationalen Erfahrungen zeigen: Die grundlegende Reform des Haushalts- und Rechnungswesens ist eine notwendige, wenn auch nicht die einzige Bedingung für eine erfolgreiche Verwaltungsreform.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, den wir heute abschließend beraten, will eine verstärkte Flexibilisierung des Haushaltsgrundsätzegesetzes, also des gemeinsamen Gesetzes von Bund und Ländern - es gilt gleichermaßen - und der Bundeshaushaltsordnung, die nur für den Bund gilt, sowie bei der Ausführung der Haushalte von Bund und Ländern. Dazu tragen ein weiter rechtlicher Rahmen für die Zulassung sogenannter Deckungsfähigkeit, das heißt eine Lockerung des Bezugs auf einen speziellen Ausgabetitel im Haushalt, die erweiterte Übertragbarkeit von Haushaltsmitteln, also eine Änderung des Prinzips der Jährlichkeit, sowie eine Lockerung des Gesamtdeckungsgrundsatzes bei.
Gegen derartige Regelungen gab es bis vor kurzem eine vielfältige Kritik. Der hessische Finanzminister hat lange gezögert und dieses Zögern dann damit begründet, man wolle es besonders solide machen.
- Das ist nach den Erfahrungen, die wir mit ihm im steuerlichen Bereich haben, anzunehmen.
Dann stellte er sich an die Spitze der Bewegung mit der Aussage: Das traditionelle kameralistische Haushaltsrecht ist nicht mehr wettbewerbsfähig. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als die Reform im Bund weit fortgeschritten war.
Das Haushaltsrecht des Bundes und der Länder wurde in der Reform von 1969, also vor fast 30 Jahren, zu Zeiten der Großen Koalition grundlegend neu gestaltet. Kern war die Abkehr des öffentlichen Haushaltsrechts von einer rein fiskalischen Betrachtungsweise auf eine gesamtwirtschaftliche Ausrichtung. Das angestrebte Ziel - das kann man heute sagen - wurde erreicht. Die Reform war wichtig, und sie war erfolgreich, auch wenn sie inzwischen etwas Staub angesetzt hat. Ziele, Verfahren und Instrumente der öffentlichen Verwaltung einschließlich des Haushaltsrechts müssen immer wieder überprüft werden mit dem Ziel, die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung zu erhöhen.
Wie das erreicht werden kann, wurde in vielen Modellvorhaben untersucht, zum Beispiel hinsichtlich der Ausdehnung der sachlichen und zeitlichen Verfügbarkeit von Haushaltsmitteln. Durch diese Erleichterung sollten die Bewirtschafter, also die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, die Möglichkeit bekommen, den Einsatz der Geldmittel zu optimieren. Die bisherigen Erfahrungen der Modellversuche der letzten zweieinhalb Jahre waren positiv. Das führte dazu, daß auch die Ministerpräsidenten vor kurzem einen entsprechenden Beschluß gefaßt haben, nachdem beim Bund mit der Novellierung des Haushaltsgrundsätzegesetzes frühzeitig begonnen wurde.
Dietrich Austermann
Ein weiterer Schritt war sicher die Kommission „Schlanker Staat". Diese Kommission hat festgestellt, es müsse Aufgabe der modernen Haushaltspolitik sein, zu prüfen, welche Möglichkeiten bestehen, durch höhere Flexibilität Einsparungen und größere Wirtschaftlichkeit zu erzielen sowie stärkeres Kostenbewußtsein zu schaffen.
- Genau. Es war vom Ziel und von der Aussage her eine gute Kommission, Herr Kollege Willner. Es geht jetzt für uns darum, dies auch in praktische Politik und Gesetze umzusetzen.
Es darf dabei allerdings nicht außer Betracht gelassen werden, daß das parlamentarische Bewilligungsrecht über manchem anderen Recht rangiert und daß die Transparenz der öffentlichen Finanzwirtschaft nicht gefährdet werden darf.
Auch die Rechnungshöfe von Bund und Ländern haben sich dafür ausgesprochen, eine notwendige Überprüfung und Fortentwicklung des Haushaltsrechts zu betreiben.
Das vorliegende Gesetz, über das wir nun abschließend beraten, geht von folgenden grundsätzlichen Überlegungen aus. Ein zentraler Punkt ist größere Flexibilität. Das heißt eine begrenzte Lockerung des Grundsatzes der Jährlichkeit. Jeder weiß inzwischen, was unter dem Begriff „Dezemberfieber" zu verstehen ist, nämlich daß sich kurz vor Ende des Jahres in der Verwaltung eine gewisse Ausgabenwut breitmacht. Da noch Mittel vorhanden sind und da für den Fall, daß sie nicht ausgegeben werden, die Gefahr besteht, im nächsten Jahr schlechter bedient zu werden, werden gelegentlich Dinge angeschafft, die nicht unbedingt erforderlich sind.
Die Regelung, die wir jetzt einführen, nämlich eine gewisse Abkehr von der Jährlichkeit, bedeutet, daß die Mittel künftig nur dort ausgegeben werden, wo sie am sinnvollsten und wirtschaftlichsten eingesetzt werden. Mit der überjährigen Verfügbarkeit nicht in Anspruch genommener Haushaltsmittel kann der Ausgabendruck zum Ende des Haushaltsjahres beseitigt werden.
Verfehlt wäre allerdings eine völlige Aufgabe der Jährlichkeit, da öffentliche Haushalte und gesamtwirtschaftliche Entwicklung in einer sozialen Marktwirtschaft in einer Wechselbeziehung stehen. Etwa die Hälfte des Bruttosozialproduktes ist dem öffentlichen Sektor zuzuordnen. Die finanzpolitischen Eckwerte sind von entscheidender Bedeutung für die Wirtschafts- und Finanzmärkte. Die Festlegung der Eckwerte, zum Beispiel die Steigerungsrate der Haushalte oder die Feststellung der Defizite, setzt Jährlichkeit voraus.
Meine Damen und Herren, die moderne Haushaltswirtschaft bedeutet eine stärkere Eigenverantwortung der Bewirtschafter, also der Mitarbeiter. Sie sollen mehr Handlungsspielraum erhalten. Entscheidungen sollen dezentralisiert werden. Dadurch werden gleichzeitig die Motivation und das Eigeninteresse der einzelnen Bereiche der Verwaltung verstärkt.
In diesem Zusammenhang möchte ich eine Anregung unseres Kollegen Hollerith im Haushaltsausschuß erwähnen, der sich für den Bereich der Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen für eine weitergehende Selbstbewirtschaftung der Mittel ausgesprochen hat. Dies kann bereits heute nach einer Kann-Regelung geschehen. Wir haben diese Regelung gleichwohl nicht aufgegriffen, weil sie vor allem in den Praxisbereich der Länder gehört und wir das Gesetz nicht so gestalten wollen, daß die Länder Gelegenheit haben, zu behaupten: Ihr habt in unseren Bereich hineingewirtschaftet. Deswegen lehnen wir das Ganze ab. - Wir wollen ihnen nicht die Möglichkeit geben, Probleme zu sehen, wo eigentlich keine sind. Hier ist die Verantwortung der Länder gefragt.
Kostentransparenz für öffentliche Dienstleistungen schärft das Bewußtsein für wirtschaftliches Handeln. Deshalb soll eine Kosten- und Leistungsrechnung eingeführt werden. Sie dient der Kalkulation von Gebühren und Entgelten, unterstützt die Ermittlung bedarfsgerechter Haushaltsansätze bei der Planung und fördert eine wirtschaftliche Haushaltsführung. Auch sie ist eine wesentliche Grundlage für die Kontrolle in der Verwaltung.
Meine Damen und Herren, ich sage es noch einmal: Dies alles soll geschehen, ohne daß das parlamentarische Budgetrecht - das höchste Recht von uns allen, des Parlaments - ausgehebelt wird. Jede Änderung des Haushaltsrechts muß dem Parlament die umfassende alleinige Entscheidungs- und Feststellungskompetenz für den Haushaltsplan belassen.
Weiterhin bestimmen wir den eigentlichen Rahmen des politischen Geschehens.
Ich sage es noch einmal: flexiblere Anwendung des Jährlichkeitsprinzips; Ausweitung der Dekkungsmöglichkeiten; Verpflichtungsermächtigungen sollen dort entfallen, wo Verpflichtungen aus laufenden Ausgabenansätzen übertragen werden; Lockerung des Gesamtdeckungsgrundsatzes; Einführung von Kosten- und Leistungsrechnung; Wirtschaftlichkeitsuntersuchung und Regelung von elektronischen Kassenanordnungen. In diesen sieben Punkten wollen wir das geltende Haushaltsrecht verbessern.
Im Rahmen dieses Gesetzentwurfs wird die externe Finanzkontrolle des Bundes neu gestaltet, es werden Prüfungsämter geschaffen, die dem Bundesrechnungshof nachgeordnet sind und seiner Dienst- und Fachaufsicht unterliegen. Der Bundesrechnungshof kann ihnen Prüfungsaufgaben übertragen. Die Vorprüfung bei den Behörden der unmittelbaren Bundesverwaltung entfällt damit. Das heißt, die Verwaltung wird kleiner und effektiver. Dadurch wird es möglich sein, Prüfungen effizienter zu gestalten, so daß losgelöst von einer Einzelentscheidung in der
Dietrich Austermann
Verwaltung grundsätzliche und strukturelle
Schwachstellen erkannt und behoben werden. Hierdurch kann auch der derzeitige Personalbestand verringert werden.
Sobald Erfahrungen mit dem Gesetz vorliegen, kann entschieden werden, welche weiteren Änderungen vorgenommen werden müssen.
Ich habe darauf hingewiesen: Das vorgesehene Reformvorhaben wird zur Zeit noch unterschätzt, wenn auch nicht von allen Fachleuten. Wir haben im Haushaltsausschuß eine ausführliche Anhörung zu diesem Komplex durchgeführt, die die Tendenz der Vorlage bestätigt hat. Sachverständige und Vertreter der Kommunen und kommunalen Spitzenverbände wie wissenschaftliche Rechtsgutachter haben eingehend Stellung genommen. Dabei ist erkennbar geworden, daß der Gesetzentwurf einen mittleren Weg zwischen der notwendigen Flexibilisierung auf der einen Seite und der parlamentarischen Verantwortung und Kontrolle auf der anderen Seite geht.
- Einen sicher schmalen Weg. Dabei muß man klar sehen, daß, wie es der Kollege Willner richtig sagt, ein schmaler Weg durchaus der richtige Weg sein kann. Dies wurde von den Gutachtern mehrheitlich bestätigt.
Mit der Schaffung zusätzlicher Steuerungselemente sollen künftig Entscheidungen soweit wie möglich auch im Verwaltungsbereich im Wege des Wettbewerbs getroffen werden. Die effektivste Möglichkeit ist es natürlich, bestimmte Bereiche ganz auszugliedern und diese zu privatisieren. Das ist unsere Politik. Sie muß in vielen Ländern - nicht nur wegen des Drucks auf die öffentlichen Kassen - weitergeführt werden. Auch die Gemeinden sind aufgefordert, beherzt zu privatisieren und dieses nachzuahmen.
Ein weiteres Instrument ist die Einführung von Kennziffern, mit denen gleichartige Leistungen verschiedener Verwaltungen miteinander verglichen werden. Zur Zeit ist es ja so, daß Verwaltungsleistungen in vielen tausend Gemeinden und Städten in Deutschland mit durchaus unterschiedlichem wirtschaftlichen Erfolg angeboten werden und einer unterschiedlichen wirtschaftlichen Meßlatte unterliegen. Wir wollen Vergleichbarkeit herstellen, um auch die eine oder andere Verwaltung dazu zu bringen, ein unwirtschaftliches und für den Steuerzahler vielleicht zu aufwendiges Verfahren zu beenden.
Erfreulicherweise ist die Reform des Haushaltsrechts ein Bereich, in dem sich der Streit zwischen Regierungsparteien und Opposition in Grenzen hält. Auch die SPD hat das Konzept als überzeugend bezeichnet, allerdings weitergehende Regelungen gefordert. Die Grünen waren etwas rigoroser, sie haben ein eigenes Papier vorgelegt, aber in dem Papier -
wie so oft - keine klare gesetzliche Alternative genannt.
Es war ein Katalog, der sich oft selbst widersprochen hat: Dem Hinweis, die Verwaltung sei exekutivlastig, und unser Gesetzentwurf sei ineffizient, wurde ein ganzer Katalog von Maßnahmen gegenübergestellt, die allein, wenn man die Begriffe verwendet, deutlich machen, daß es den Grünen offensichtlich nicht um mehr Eigenverantwortung geht. Wenn es dort heißt, es werde verbesserte Haushaltskontrolle, verbesserte Subventionskontrolle, umfassende Finanzkontrolle, Überwachung durch den Rechnungshof, Verzahnung der EU-Kontrollinstanzen und Neuordnung des staatlichen Rechnungswesens gefordert, dann wird doch ganz klar: Man möchte mehr Einfluß nehmen. Der scheinbare Wille, die Verwaltung flexibler zu machen, tritt hinter das Streben zurück, in jede Phase der Verwaltung hineinzuregieren und sie zu parlamentarisieren.
Das ist, liebe Kollegin Hermenau, genau der falsche Weg. Wer jedes Detail kennt, läßt es oft an der großen Linie sowie an wichtigen und vor allen Dingen richtigen Entscheidungen fehlen. Das kann man, glaube ich, generell für die Grünen sagen.
Die Bundesregierung hat im Bundeshaushalt 1995 ein Modellvorhaben zur Erprobung flexibler Instrumente eingeführt, das positiv verlaufen ist. Wir wollen das Ganze jetzt übertragen. Rund 26 Milliarden DM oder 6 Prozent der Gesamthaushalte können mit der Wirkung flexibilisiert werden, daß wir Haushaltsmittel sparen: im nächsten Jahr 350 Millionen DM, mit steigender Tendenz.
Lassen Sie mich mit zwei Bemerkungen schließen. Die erste ist diese: Ich habe gesagt, die Reform ist etwa 30 Jahre alt. Wir haben eine Verwaltungsraupe. Sie wird vielleicht nicht gerade zu einem Schmetterling, aber ich hoffe, daß die Regelungen künftig dazu führen, daß mit weniger Geld öffentliche Aufgaben besser erledigt werden können.
Die letzte Bemerkung: Wir haben mit diesem Gesetz ein weiteres Gesetz verbunden, das eine Klarstellung im Zusammenhang mit der Umwandlung der Staatsbank der DDR in zwei andere Banken erreichen soll. Ich darf Sie bitten, beiden Gesetzen zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
Ehe ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, komme ich auf den Tagesordnungspunkt 17a zurück. Ich gebe das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung - das sind die Drucksachen 13/8704 und 13/ 8869- bekannt. Abgegebene Stimmen: 593. Mit Ja haben gestimmt 311, mit Nein haben gestimmt 281 Abgeordnete; es gab eine Enthaltung. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 592; davon:
ja: 311
nein: 280
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun Paul Breuer
Georg Brunnhuber Klaus Bühler Hartmut Büttner
Dankward Buwitt
Manfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke Ulf Fink
Dirk Fischer Leni Fischer (Unna)
Klaus Francke Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther Gottfried Haschke
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Detlef Helling
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr. -Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther
Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Andreas Krautscheid Dr.-Ing. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet
Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann Werner Lensing
Christian Lenzer Peter Letzgus
Editha Limbach
Walter Link Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven
Sigrun Löwisch
Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer Hans Michelbach Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold
Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler
Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner
Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz
Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik
Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz
Christian Schmidt Dr. -Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze
Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Margarete Späte
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr vo: Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl
Michael Stübgen
Egon Susset
Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall
Wolfgang Vogt Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Theodor Waigel
Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann
Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl
Michael Wonneberger Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun
Günther Bredehorn
Jörg van Essen
Horst Friedrich
Rainer Funke Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Lisa Peters
Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Sohns Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
Dr. Guido Westerwelle
Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Robert Antretter Hermann Bachmaier Ernst Bahr
Doris Barnett
Klaus Barthel Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Arne Börnsen Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury
Hans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Freimut Duve
Ludwig Eich
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger Annette Faße
Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs Katrin Fuchs (Verl) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Alfred Hartenbach
Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller Gerd Höfer
Frank Hofmann Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Lothar Ibrügger Barbara Imhof
Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Volker Jung Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel Konrad Kunick Werner Labsch Brigitte Lange
Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Dr. Elke Leonhard
Klaus Lohmann Christa Lörcher
Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Rolf Niese
Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel
Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig
Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler Otto Schily
Dieter Schloten
Günter Schluckebier Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Ottmar Schreiner Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann
Brigitte Schulte Volkmar Schultz (Köln) Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Bodo Seidenthal
Lisa Seuster
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller
Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt
Karsten D. Voigt Hans Georg Wagner
Hans Wallow
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit
Gert Weisskirchen Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier Dr. Norbert Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln)
Angelika Beer Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Antje Hermenau Ulrike Höfken Michaele Hustedt
Dr. Manuel Kiper Monika Knoche Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Oswald Metzger Kerstin Müller Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Egbert Nitsch Cem Özdemir
Gerd Poppe Simone Probst Halo Saibold Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt Wolfgang Schmitt
Ursula Schönberger
Werner Schulz Christian Sterzing
Manfred Such Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann Andrea Gysi
Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer
Dr. Barbara Höll Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf
Gerhard Zwerenz
Fraktionslos
Kurt Neumann
Enthalten
SPD
Dr. Uwe Jens
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Behrendt, Wolfgang SPD Siebert, Bernd CDU/CSU
Nun gebe ich das Wort der Abgeordneten Uta Titze-Stecher.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe gerade zum Herrn Präsidenten bemerkt: Das Thema ist so trocken, es hat den Charme eines Karnickels. Sie werden verstehen: Angesichts der Bedeutung des Gesetzentwurfes, der ja gravierende Auswirkungen auf die Finanzwirtschaft von Bund, Ländern und Kommunen hat, ist es schon gerechtfertigt, sich damit seriös auseinanderzusetzen.
Wie der Kollege Austermann eben sagte, hat der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages am 24. September eine öffentliche Anhörung zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Haushaltsrechts von Bund und Ländern - kurz: Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetz; so heißt das Ungetüm - durchgeführt. Dabei haben alle Sachverständigen natürlich die Notwendigkeit einer Überprüfung des Haushaltsrechts mit dem Ziel, einen Beitrag für eine effektivere und leistungsfähigere Verwaltung zu erbringen, betont. Allerdings solle damit keine Beeinträchtigung des parlamentarischen Budgetrechts verbunden sein, und die Vergleichbarkeit öffentlicher Haushalte solle gewahrt bleiben. Auch diese Punkte sind vom Vorredner bereits genannt worden.
Ferner sagten die Sachverständigen, konkrete Informations-, Rechnungslegungs- und Steuerungsinstrumente beim Haushaltsvollzug seien dabei ebenso zu entwickeln wie die im Gesetzentwurf angebotenen Instrumente der Flexibilisierung der öffentlichen Haushaltswirtschaft. Auf diesen Komplex wird der Kollege Diller im Anschluß genauer und im Detail eingehen.
Ich will mich im Zusammenhang mit der Diskussion des Gesetzentwurfs auf den Art. 2 - „Änderung der Bundeshaushaltsordnung" - und dort auf die Nr. 16, die sich mit dem § 100 der Bundeshaushaltsordnung, den Prüfungsämtern, befaßt - es handelt sich also um den Komplex der externen Finanzkontrolle - beschränken.
In der Bundesrepublik Deutschland haben sich zwei unterschiedliche Formen der externen Finanzkontrolle herausgebildet, die zweistufige und die einstufige. Beim Bund und bei einigen Ländern wird die Arbeit der Rechnungshöfe durch Vorprüfungsstellen vorbereitet und unterstützt. Diese sind fachlich und dienstrechtlich jedoch den Behörden zugeordnet, bei denen sie eingerichtet sind. Das ist die zweistufige Finanzkontrolle. In elf Bundesländern aber nehmen die Rechnungshöfe die Prüfungen bereits alleine vor oder übertragen sie ihnen nachgeordneten Prüfungsämtern. Diese Form der Finanzkontrolle nennen wir einstufig. Mit den unterschiedlichen Formen der externen Finanzkontrolle haben sich in der Vergangenheit bereits verschiedentlich parlamentarische Gremien befaßt. Sie haben auch versucht, durch bestimmte Maßnahmen die Probleme in den Griff zu bekommen. Langer Rede kurzer Sinn: Die Ergebnisse sind mager. Deswegen soll jetzt mit der Neuordnung der externen Finanzkontrolle alles anders werden.
An Stelle der bisher vorhandenen Vorprüfungsstellen bei Bundesinstitutionen, bei Ländern und bei kommunalen Gebietskörperschaften sollen jetzt dem Bundesrechnungshof nachgeordnete Prüfungsämter eingerichtet werden, die seiner Dienst- und Fachaufsicht unterliegen. Das finden wir in Ordnung, und wir begrüßen, daß aus der zweistufigen eine einstufige Finanzkontrolle wird.
Insbesondere soll damit die Möglichkeit eröffnet werden, erstens den Prüfungsstoff nach einheitlichen Standards und rationell zu bewältigen, zweitens die Qualifikation des Personals zu verbessern und drittens effizientere Prüfungsmethoden anzuwenden.
Uta Titze-Stecher
Wir meinen, daß dadurch auch insgesamt eine wirksamere Budgetkontrolle geschaffen wird und das Parlament umfassender informiert werden kann.
Das sind Forderungen, die auch bei der öffentlichen Sachverständigenanhörung erhoben worden sind, die eindringlich angemahnt wurden.
Ein Teil der Länder hat diesen Weg bereits mit Erfolg und durchweg positiven Ergebnissen beschritten. Deswegen sprechen acht Gründe für die Einführung der einstufigen Finanzkontrolle.
Erstens. Die organisatorische Zuordnung der Prüfungsämter zum Bundesrechnungshof verstärkt die Unabhängigkeit dieser Kontrolle.
Zweitens. Die verwaltungsinterne Kontrolle und die externe Finanzkontrolle werden eindeutig abgegrenzt.
Drittens. Der Bundesrechnungshof kann das Personal seinen spezifischen Anforderungen entsprechend selbst einstellen.
Viertens. Die Unterstellung der Prüfer unter die Dienstaufsicht des BRH schafft die notwendige Distanz zu den zu prüfenden Einrichtungen, stärkt die kritische Haltung und vermeidet Interessenkonflikte, die in der Vergangenheit ab und an vorgekommen sind.
Fünftens. Die Zusammenfassung der vielfach zu kleinen Arbeitseinheiten bei den Vorprüfungsstellen zu leistungsfähigeren Organisationseinheiten in den Prüfungsämtern ermöglicht, ressortübergreifend, fachlich spezialisiert und wirtschaftlich - worauf wir als Haushälter immer Wert legen - zu prüfen.
Sechstens. Der hohe personelle Aufwand bei Steuerung und Koordinierung der Vorprüfungstätigkeit sowohl bei den Vorprüfungsstellen selbst als auch beim Bundesrechnungshof, hervorgerufen durch die Verteilung auf Vorprüfungsstellen, auf eine Vielzahl von Behörden, wird verringert. Das Stichwort „schlanker Staat" wurde auch vom Vorredner genannt.
Siebtens. Effizienz und Effektivität der Prüfungen werden verbessert. Eine vom Bundesrechnungshof selbst durchgeführte Analyse der Aufgabenwahrnehmung der Vorprüfungsstellen, und zwar nur in der unmittelbaren Bundesverwaltung einschließlich Sondervermögen, hat nämlich gezeigt, daß in einem erheblichen Umfang einzelfallbezogene, vorwiegend belegabhängige Prüfungen unter förmlichen und rechnerischen Gesichtspunkten durchgeführt werden. Dazu kann ich nur sagen: Da stehen Aufwand und Ergebnis wirklich nicht in einem angemessenen Verhältnis, das auch das Bundesverfassungsgericht bei Verwaltungsaufgaben verlangt.
Achtens. Durch die Flexibilität der Aufgabenzuweisungen, durch die Verteilung der Leitungs- und Steueraufgaben innerhalb der externen Finanzkontrolle und durch die gezieltere Aus- und Fortbildung werden Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen, deren Ausmaß immer mehr zunimmt, insbesondere aber
Querschnitts- und Organisationsprüfungen verstärkt ermöglicht.
Mit der Neuordnung werden die bisher in der unmittelbaren Bundesverwaltung einschließlich Sondervermögen vorhandenen 75 Vorprüfungsstellen aufgelöst und der für die bisherigen Aufgaben zur Verfügung stehende Stellenbestand von 1500 Stellen um 600 auf 900 vermindert.
Für die Steuerung der Prüfungsämter durch den BRH sowie für die bislang von den Vorprüfungsstellen der Länder und Kommunen wahrgenommenen Aufgaben ist allerdings eine Personalkapazität in der Größenordnung von 150 Stellen vorgesehen, so daß die Neuordnung zu einer Nettoeinsparung von zirka 450 Stellen führen wird.
Bei den Beratungen hat sich der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages dafür ausgesprochen, daß die Stellen in den Prüfungsämtern grundsätzlich mit Personal der Vorprüfungsstellen der unmittelbaren Bundesverwaltung besetzt werden sollen. Nur dann, wenn der Personalbedarf für die Prüfungsbereiche, die bisher von den Ländern und Kommunen vorgeprüft worden sind, nicht aus der unmittelbaren Bundesverwaltung gedeckt werden kann, können Planstellen mit Bediensteten aus den Vorprüfungsstellen der Kommunen, Gebietskörperschaften und Länder in der Größenordnung bis zu den genannten 150 Stellen besetzt werden.
- Da hättest du als Kollege eigentlich klatschen müssen.
- Bei mir nicht.
Nach unserer Kenntnis hat der größte Teil der Bewerber aus den Vorprüfungsstellen der unmittelbaren Bundesverwaltung bereits eine Übernahmezusage erhalten. Bei der Festlegung der Standorte der neuen Prüfungsämter wird aus wirtschaftlichen Gründen auf geeignete Liegenschaften des Bundes zurückgegriffen, was wir natürlich begrüßen.
Bei gründlicher Durchsicht der Vorlage zur Neuordnung der externen Finanzkontrolle bleiben ein paar offene Fragen, die ich hier jetzt stellen werde und die in der Bereinigungssitzung Mitte November hoffentlich beantwortet werden können.
Erstens. Die Neuordnung ist in den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf des Bundeshaushalts 1998 noch nicht eingearbeitet. Es ist nicht ganz klar, wie viele Stellen welcher Wertigkeit auf Grund der Auflösung der Vorprüfungsstellen in welchen Einzelplänen wann entfallen sollen. Nun weiß der In-
Uta Titze-Stecher
sider, daß in der Bereinigungssitzung insbesondere die Personalfragen gelöst werden. Ich erhoffe mir dort Antworten auf meine Fragen.
Zweitens. Gemäß Anlage 8 der Vorlage soll die Neuordnung der Finanzkontrolle eine Einsparung bei den Personalkosten von 42 Millionen DM erbringen. Im Entwurf des Bundeshaushaltes sind hingegen in dem neuen Kapitel 20 03 - die genannten Prüfungsämter des Bundes - globale Mehrausgaben von 15 Millionen DM ausgewiesen.
Drittens. Das Bundesministerium der Finanzen beabsichtigt, von den eingesparten 450 Stellen den Ressorts 180 Stellen für den Aufbau interner Controlling-Einrichtungen zur Unterstützung der Leitungsfunktion zur Verfügung zu stellen. So weit, so gut. Die Frage ist, wie dieser geplante Aufgaben- und Personalzuwachs begründet wird.
Viertens. Unklar ist in Anlage 8, ob in den Einsparungsbetrag von 42 Millionen DM die Kosten für die 180 genannten Stellen bereits eingerechnet sind.
Fünftens. Unklar ist auch, wieso in Anlage 8 von Gesamtpersonalkosten nach der Neuordnung von 101 Millionen DM die Rede ist, auf der letzten Seite der Vorlage allerdings von Personalkosten in Höhe von 119 Millionen DM. Dieser Widerspruch müßte aufgelöst werden.
Sechstens. Es findet sich keine Aussage dazu, welche Übergangszeit die Umorganisation benötigt und welche Kosten damit verbunden sind.
- Wir müssen dies aber zumindest ungefähr wissen, damit wir der Sache zustimmen können.
Siebtens. Ob die in Anlage 5 dargestellte Aufbauorganisation und Personalausstattung der neuen Prüfungsämter aufgabengerecht ist, entzieht sich meiner Beurteilungsmöglichkeit. Dazu müßte der Bundesrechnungshof Ausführungen machen.
Eine letzte Bemerkung: Die Neuorganisation der externen Finanzkontrolle soll laut Gesetzentwurf der Bundesregierung nach Abschluß der Umstrukturierung Einsparungen für den Bundeshaushalt in Höhe von rund 35 Millionen DM pro Jahr und für die Haushalte von Ländern und Kommunen von rund 20 Millionen DM pro Jahr erbringen. Bei solchen Aussichten muß ein Haushälter ja sagen, vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen stimmen. Weil sie in diesem Fall stimmen und in Ordnung sind, stimmt die SPD diesem Punkt des Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetzes zu.
Das Wort hat der Kollege Metzger, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses dröge Thema ist eines, das die Wirklichkeit unseres Gemeinwesens viel stärker bestimmt, als es der Aufmerksamkeit hier im Plenum und der Aufmerksamkeit weit darüber hinaus entspricht.
Wir haben ein Instrumentarium der staatlichen Buchhaltung, das aus dem 19. Jahrhundert stammt und dessen gesamtwirtschaftliche Betrachtungsweise auf der Wirtschaftspolitik der 60er Jahre basiert, weil mit der Finanzreform des Jahres 1969 die gesamtwirtschaftliche Ausrichtung Teil der staatlichen Buchhaltung wurde.
Wir brauchen aber Instrumente, die Begriffe wie Wirtschaftlichkeit, Kosten- und Leistungsrechnung, Darstellung der Vermögensverschiebungen der staatlichen Ebenen auch in die Zukunft hinein korrekt abbilden. All diese Anforderungen erfüllt der Regierungsentwurf nicht.
Die Koalition und die Regierung haben einen langen Anlauf genommen - und sich dann mit einem marginalen Trippelschrittchen bewegt. Sie kriechen förmlich im Schneckentempo der Entwicklung nach, die bei den Kommunen in Deutschland bereits sehr viel stärker zu wirtschaftlichkeitsorientierten Modellen und Konzepten geführt hat.
Eines muß man klar sagen: In Zeiten knapper Kassen muß der Staat auch seine technischen Instrumentarien modifizieren, damit jede öffentliche Mark auch tatsächlich sinnvoll ausgegeben wird und trotzdem die parlamentarische Kontrolle gewährleistet ist.
Die Entmachtung der Parlamente zeigt sich ganz deutlich daran - diese Erfahrung macht die Koalition, wenn sie an die laufende Haushaltslochdiskussion und die entsprechenden Debatten der letzten Jahre denkt -, daß oft selbst die Koalitionshaushälter innerhalb von wenigen Tagen im Schweinsgalopp Haushaltsentwürfe der Regierung nachbessern müssen, weil das Berichtswesen, mit dem das Parlament über die Einnahmen- und Ausgabenentwicklung des Staates auf dem laufenden gehalten wird, nicht mehr funktioniert. Sie werden an diese Aussage spätestens in der Bereinigungssitzung am 12. und 13. November 1997 denken, wenn - ein bzw. zwei Tage nach der Steuerschätzung - wieder einmal ein Bundeshaushalt in ganz erheblichem Volumen verändert wird.
Die Fraktion der Grünen hat - nur um unter Beweis zu stellen, wie ein globalerer Ansatz in der Grundorientierung aussieht - einen Antrag eingebracht, der dem Problem deshalb Rechnung trägt, weil wir sagen: Ohne eine Bund-Länder-Kommission, ohne eine große Finanzreform wie in den 60er Jahren wird alles, was jetzt versucht wird, ohne eine Veränderung von Grundsätzen nur eine kleine Marginalie sein.
Oswald Metzger
Um ein paar Details zu nennen: Die Kosten- und Leistungsrechnung, die im Regierungsentwurf steht, ist mit einer Kann-Bestimmung und einer zusätzlichen Einschränkung versehen. „In geeigneten Bereichen" soll eine Kosten- und Leistungsrechnung eingeführt werden.
Ohne die vorherige Einführung einer Kosten- und Leistungsrechnung wird bei überjähriger Buchung von Ausgaben überhaupt nicht erkennbar, ob damit Lasten nur in die Zukunft verschoben werden oder ob Wirtschaftlichkeit tatsächlich zu Einsparungen im laufenden Haushaltsjahr führt, und zwar zu einer nachhaltigen Einsparung auch über den Tageshorizont hinaus.
Deshalb sagen wir Grünen in unserem Konzept: Ohne eine Kosten- und Leistungsrechnung quer durch alle Haushaltsbereiche, die zu doppelter kaufmännischer Buchführung führt - weg von der Kameralistik -, werden wir genau diese Transparenz und Voraussetzung nicht hinbekommen. Dazu gehört natürlich auch, daß man Kennziffern für die Leistungsfähigkeit von bestimmten Verwaltungsbereichen entwickelt, um die Vergleichbarkeit von „Produkten", die die öffentliche Verwaltung herstellt, zu ermöglichen.
Dann kann man Rankinglisten erstellen, auf denen man sieht, daß eine Leistungsabteilung im Finanzministerium vielleicht effizienter arbeitet als eine im Innenministerium. Auch das ist eine Anreizwirkung für die Beschäftigten im öffentlichen Sektor.
Wenn man vom schlanken Staat spricht, dann hat immer die Vorstellung im Hinterkopf zu sein, daß die öffentliche Hand ihre Leistungen mit möglichst geringem Einsatz möglichst wirksam erbringt. Das nenne ich Wirtschaftlichkeit. Dazu gehört aber auch, daß das Parlament - hier reden wir für das Parlament und nicht für die Exekutive - Kontrollbefugnisse erhält, die über das hinausgehen, was das heutige Haushaltsrecht auszeichnet.
Wir brauchen also ein Berichtswesen, das den Abgeordneten aus dem Haushaltsbereich, aber auch dem Parlament insgesamt zeitnahe Berichte über die Steuerung der einzelnen Haushaltsbereiche zufließen läßt, so daß man auf Grund des parlamentarischen Kontrollrechts sofort reagieren kann, wenn Entwicklungen aus dem Ruder laufen.
Dazu muß man sich auch der Datenverarbeitung zeitgemäß bedienen. Ich könnte mir idealtypisch vorstellen, daß künftig online die Berichte, die aus den einzelnen Ressorts des BMF zusammenlaufen, von den Abgeordneten in ihren Büros abrufbar sind und die politische Kontrolle dadurch anders ausgeübt wird als heutzutage.
Genauso muß dem Rechnungshof als natürlichem Partner des Parlaments durch die Haushaltsrechtsänderung eine wesentlich stärkere Rolle zukommen, damit wir Parlamentarier den Rechnungshof nicht nur - wie heute noch überwiegend - als Kontrolleur im Nachgang begreifen, sondern auch als Institution,
die zeitnah Wirtschaftlichkeitsanalysen erstellt, um tatsächlich gegenzuchecken, was uns die Regierung mit ihrem Kostenansatz in ihren Gesetzentwürfen vorlegt.
Alles in allem muß man deutlich feststellen, daß auch das, was der Bundesfinanzminster gestern aus anderen Gründen mit seiner Haushaltssperre verfügt hat, unter Beweis stellt, daß unser Haushaltsrecht so intransparent und ineffizient ist, daß der Minister zwei Monate vor Ablauf eines Jahres in Zeiten, in denen versucht wurde, die Haushalte über die Jahre hinweg abzuschmelzen, glaubt, noch 1 Milliarde DM aus den Ausgabeansätzen im sächlichen Verwaltungsbereich herausbringen zu können.
Das zeigt natürlich, daß das Dezemberfieber zwar häufig überschätzt wird, daß es trotzdem in der Verwaltung faktisch grassiert. Um das alles abzustellen und einen Entwurf vorzulegen, der tatsächlich langfristig einen effizienten Mittelverbrauch im öffentlichen Bereich sicherstellt, sind wir der Auffassung, daß dieser Schritt ein zu geringer ist, als daß er die Zustimmung unserer Fraktion findet. Denn er führt im Ergebnis nur dazu, daß die Verwaltung Freiräume bekommt und die parlamentarische Kontrolle unter den Tisch fällt. Dieser Gesetzentwurf ist nur dem Diktat der knappen Kassen geschuldet, weil Waigel eine Hauskollekte in den Ressorts in Höhe von sage und schreibe 350 Millionen DM - 350 Millionen DM; man verspricht sich gern, weil im Finanzbereich meistens nur von Milliarden die Rede ist - einsammeln wollte.
Wenn das Einsparen von 350 Millionen DM die ganze Effizienzrendite dieser Operation ist, dann zeigt das, wie kläglich der Versuch war, den die Regierung hier gestartet hat.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Weng, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein interessantes Phänomen, daß die SPD-Fraktion dem Gesetzentwurf zustimmt, aber zugleich dem Kritiker applaudiert.
Aber darüber muß die SPD selbst nachdenken.
Dezemberfieber, schlampiger Umgang mit den Steuergeldern, Verantwortungslosigkeit, Nachlässigkeit - das sind die Schlagworte, mit denen die handelnde Politik immer wieder konfrontiert wird. Die Kritik betrifft eigentlich die Verwaltungen, die Prügel bekommen aber die Parlamentarier. Deswegen ist es naheliegend, daß diese immer wieder über die Gesetze nachdenken und Veränderungen vorschlagen.
Dr. Wolfgang Weng
Der Bürger, meine Damen und Herren, hat das Gefühl der Ohnmacht, und der jährliche Bericht des Rechnungshofs ebenso wie das immerwährende Klagen des Bundes der Steuerzahler bestärken ihn in dem Gefühl, daß das Ausgabeverhalten der öffentlichen Hand besser funktionieren müsse.
Die Bundesrepublik ist ein Land, in dem vieles sehr detailliert geregelt und in Grundsätze, in Gesetze, in Ordnungen gegossen ist.
Reformen sind nicht immer leicht. Die F.D.P., die ja eine Partei ist, die Reformen immer will, hat über Verbesserungen in dem genannten Bereich ausführlich diskutiert. Noch in der vergangenen Woche hat unsere Fraktionsvorsitzendenkonferenz einmütig Veränderungen, Verbesserungen und die Modernisierung des Haushaltsrechts gewünscht.
So ist es erfreulich, daß die Bundesregierung - übrigens auch in der Folge erfolgreicher Modellvorhaben, Herr Kollege Struck - einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, der Verbesserungen der gewünschten Art herbeiführen soll. Das Ziel: mehr Verantwortung an die Verwaltung, mehr direkte Verantwortung an diejenigen, die das Steuergeld direkt ausgeben, und bessere Revision durch Konzentration der Finanzkontrolle beim Rechnungshof.
Nur wer die jetzigen Regeln kennt, kann nachvollziehen, was die künftigen Regeln verbessern sollen. Das Jährlichkeitsprinzip der öffentlichen Haushalte und auch der übliche Ablauf der parlamentarischen Beratung haben immer dazu geführt, daß gegen Jahresende nicht verbrauchtes Geld mit vollen Händen ausgegeben wurde. Erstens fiel es sonst an die öffentliche Kasse zurück - es hieß dann immer, der Finanzminister bekomme es wieder; in Wirklichkeit wurde es eingespart -, zweitens bestand aber die Gefahr, daß man im kommenden Jahr weniger Geld erhielt, weil man ja gezeigt hatte, daß man mit weniger Geld auskommen konnte. Kaufmännisch gesehen ist solches Verhalten der Behörden Unsinn. Aber warum sollte eine Behörde kaufmännisch denken?
Meine Damen und Herren, dies soll sich ändern. Künftig werden größere Spielräume eingeräumt, künftig wird es interne Rückstellungen für größere Ausgaben des Folgejahres geben können. Dies wird die direkt handelnden Personen sehr viel stärker in die Verantwortung nehmen - ein gutes Ziel.
Die öffentlichen Haushalte sind sehr detailliert aufgegliedert. Das hat zweifelsfrei Vorteile für den Haushaltsgesetzgeber, engt aber die handelnden Ausgabenstellen stark ein. Künftig sollen in viel größerem Maße als seither globale Geldbeträge für eine Gesamtaufgabenstellung zur Verfügung stehen, so daß, wenn sich zum Beispiel eine Maßnahme verzögert, dafür eine andere vorgezogen werden kann,
wenn beide in gleicher Weise notwendig sind, aber für beide das Geld nicht gereicht hätte. Auch hierbei wird die Verantwortung der handelnden Verwaltung deutlich größer. Dies soll ein Ansporn sein.
Kontrolle bleibt nötig. Aber während jetzt vielfach die Bundesbehörden mit eigener Vorprüfung und hausinterner Revision arbeiten und der Rechnungshof nur die Gesamtprüfung vornimmt, wird künftig diese Prüfung aus einem Guß durch den Rechnungshof und die ihm nachgeordneten Prüfungsämter erfolgen.
Dies bringt hohe Verantwortung für den Rechnungshof, meine Damen und Herren. Das ist gewollt. Aber damit er nicht, wozu Behörden ja neigen - auch der Rechnungshof ist vielleicht nicht ganz frei davon -, eine Eigendynamik der Personalaufblähung entwickelt, haben wir als Haushaltsausschuß Personalmenge und -struktur Grenzen gesetzt. Auf Antrag der Koalition von CDU/CSU und F.D.P. haben wir beschlossen, daß der Rechnungshof das erforderliche Personal durch Umsetzung aus den Ministerien aufbauen muß und in der Bundesverwaltung die überzähligen Stellen gestrichen werden. Die Kollegin Titze-Stecher hat hier die Zahlen ja im einzelnen genannt. Die hiermit verbundenen Einsparungen an Personal sind natürlich ein wünschenswerter Nebeneffekt.
Wir vertrauen dem Rechnungshof, der in seiner Eigenschaft als Beauftragter für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung hier nun selbst mit gutem Beispiel vorangehen kann. Sicherlich wird er sich nicht den Vorwurf einhandeln wollen, eine aufgeblähte Behörde zu sein.
Meine Damen und Herren, die F.D.P.-Fraktion sieht durchaus, daß die Veränderungen auch Risiken einschließen, und zwar in erster Linie Risiken für die Rechte des Parlaments bzw. die Mitwirkungsmöglichkeit der einzelnen Parlamentarier. Ich will aber hierzu in der Abwägung feststellen:
Erstens. Das Recht, den Haushalt zu gestalten, bleibt bei den Parlamenten. Über die Art der Ausgestaltung kann der Haushaltsgesetzgeber auch zukünftig entscheiden.
Zweitens. Der Abgeordnete, der sich intensiv mit einer Angelegenheit befaßt - im Vorfeld der Haushaltsentscheidungen ebenso wie beim laufenden Haushaltsvollzug -, wird auch weiterhin intensiv mitwirken können. Das heißt, Fleiß und Engagement machen sich auch zukünftig durch politische Erfolge bezahlt.
Drittens. Für das Parlament wird der Gesamtüberblick schwieriger, weil natürlich die seitherige sehr detaillierte Haushaltsgestaltung eine schnelle Ubersicht über Abläufe und neue Pläne gibt. Das wird so nicht mehr möglich sein, aber einen Tod muß man sterben. Wer durch effektive Verwaltung Geld sparen will, muß auch die nötigen Spielräume an die
Dr. Wolfgang Weng
Verwaltung geben und darf nicht jedes Detail reglementieren wollen.
Wir wollen und werden die Möglichkeiten des besseren Umgangs mit Geld auch dazu nutzen, mit weniger Geld das gleiche zu erreichen; Einspareffekte sind ja eingebaut. In den Bereichen, in denen mit den neuen Möglichkeiten schon ab dem kommenden Jahr gearbeitet wird, müssen die Behörden mit weniger Geld auskommen, um das gleiche Ziel zu erreichen, und damit ihre Effektivität beweisen.
Daß wir Wert darauf legen, daß die Gelder für die notwendigen Investitionen und Sachausgaben nicht für Personal aufgewendet werden, versteht sich fast von selbst. Ich will aber gerade auf diesen Aspekt auch aus der Sicht der F.D.P.-Fraktion ausdrücklich hinweisen.
Meine Damen und Herren, der Appell an die Bürger, zukunftsgerichtet und flexibler zu sein, gilt natürlich auch für die politisch Handelnden. Künftige Generationen von Parlamentariern werden den öffentlichen Haushalt verändert gestalten können. Ich bin sicher, daß insbesondere liberale Politiker auch unter den neuen Voraussetzungen ihre Chancen nutzen werden.
Deshalb stimmt die F.D.P.-Fraktion dem Gesetzentwurf auch in zweiter und dritter Beratung zu.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Professor Christa Luft, PDS.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Jawohl, das Thema, das wir hier debattieren, ist außerordentlich spröde und enthält sehr viel Haushaltschinesisch, aber ich denke, denjenigen, die uns heute morgen zuhören, sollten wir folgendes sagen: Es geht um höchst sensible politische Dinge.
Es geht erstens darum, daß effizienter mit öffentlichen Geldern, mit Steuergeldern umgegangen wird. Wenn der Bundesrechnungshof in seinem kürzlich vorgelegten Jahresgutachten wiederum davon spricht, daß von Bundesministerien, Sozialversicherungen und Behörden im vergangenen Jahr Steuergelder in Milliardenhöhe verschwendet worden sind, dann muß selbstverständlich die Alarmglocke läuten.
Es geht zweitens darum, daß die Kontrollmöglichkeiten, die Kontrollverantwortung der Legislative gegenüber der Exekutive nicht nur gesichert bleiben, sondern ausgebaut werden. Das setzt ein hohes Maß an Transparenz der öffentlichen Haushalte voraus; das setzt aber selbstverständlich auch ein hohes Maß an Stabilität in der Haushaltsführung voraus. Auf diesen Aspekt möchte ich ausdrücklich aufmerksam machen; er ist in dieser Debatte noch nicht angeklungen.
Wenn wir über das jetzt in Rede stehende Thema der haushaltsrechtlichen Fortentwicklung debattieren, dann dürfen wir doch nicht außer acht lassen,
daß solche Dinge, wie sie sich allein am gestrigen Tag ereignet haben - ich meine die vielen haushaltsrelevanten Hiobsbotschaften -, für eine Fortentwicklung des Haushaltsrechtes und für das Ergebnis, das man damit erzielen will, tödlich sind.
Ich erinnere daran: Wir haben gestern zur gleichen Zeit drei schlimme Botschaften vernommen:
Der Bundesfinanzminister verhängt zum zweitenmal in diesem Jahr eine Haushaltssperre. Daraus werden Ausgabenkürzungen resultieren, auf die das Parlament keinerlei Einfluß mehr hat.
Zeitgleich erklärt der Bundesarbeitsminister die Anhebung der Rentenbeiträge von 20,3 auf 21 Prozent, was ja nicht nur eine weitere Belastung der Beschäftigten und der Unternehmen bedeutet, sondern auch einen weiteren notwendigen Zuschuß aus dem Bundeshaushalt an die Rentenkassen zur Folge haben wird. Auch das ist ein Automatismus, auf den die Parlamentarier keinerlei Einfluß mehr haben.
Zur selben Zeit aber stimmt eine Mehrheit im Haushaltsausschuß dem 23 Milliarden DM schweren Eurofighter-Beschaffungsprogramm der Regierung zu,
das für 17 Jahre im voraus den Bundeshaushalt belastet.
Auch das entzieht sich der weiteren parlamentarischen Debatte. Man muß denken, man sei im falschen Film.
Am 11. November steht die nächste Steuerschätzung an. Wir werden mit neuerlichen Katastrophenmeldungen zu tun haben. Als Mitglied des Haushaltsausschusses kann ich nur sagen: Die außerordentlich intensive Arbeit und auch die enorme extensive Arbeit, die dort geleistet werden muß und geleistet wird, wird vielfach zunichte gemacht, wenn solche Hiobsbotschaften uns täglich ins Haus stehen.
Vor diesem Hintergrund müssen wir die Fortentwicklung des Haushaltsrechts debattieren. Sie stimmen mir doch sicherlich, meine Damen und Herren von der Koalition, zu: Haushaltsrechtlich können Sie soviel gar nicht hereinholen, wie Sie wirtschafts- und finanzpolitisch laufend in den Sand setzen!
Damit keine Mißverständnisse entstehen: Eine Fortentwicklung des Haushaltsrechts ist notwendig, um
Dr. Christa Luft
den effizientesten Umgang mit den Geldern, die den Bürgern in Form von Steuergeldern genommen werden, zu gewährleisten.
Die Bundesregierung greift - das muß man sagen - mit ihrem Gesetzentwurf einige Punkte notwendiger Veränderungen auf. Ich nenne Flexibilisierung, Globalisierung, Überjährigkeit, gegenseitige Deckungsfähigkeit. Im Prinzip ist das schon die richtige Richtung. Aber Voraussetzung ist - das ist eine Anforderung an die Parlamentarier selbst, also an die Legislative -, daß gegenüber den Ressorts und den Verwaltungszweigen die Handlungsziele, die erreicht werden müssen, genau definiert werden.
Voraussetzung ist aber auch eine voll etablierte, funktionierende Kosten-Leistungs-Rechnung.
Da sind Sie außerordentlich zögerlich. Nur dieses Verfahren aber ermöglicht den Parlamentariern, die finanzwirtschaftlichen und ökonomischen Folgen der Mittelverwendung genauestens zu kontrollieren. Die angestrebte Effektivierung des Haushaltshandelns der Ressorts darf nicht zu Lasten der parlamentarischen Handlungsspielräume gehen. Genau aber diese Gefahr sehe ich, auch bei dem Entwurf, den Sie hier vorgelegt haben.
Wir sind uns einig darin, daß die eigentliche Ursache für den permanenten Haushaltsnotstand nicht das Haushaltsrecht ist, wenngleich es, wie gesagt, verändert werden muß, sondern darin liegt, daß so viele Millionen Menschen nicht die Chance haben, Steuerzahlerin und Steuerzahler zu werden, weil ihnen der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt ist.
Ursachen liegen ebenfalls in den noch immer vorhandenen Steuerschlupflöchern, in der nicht erfolgten Besteuerung spekulativer Aktiengewinne. Man könnte diese Palette fortsetzen. Das alles könnte vor der Bundestagswahl in Angriff genommen werden. Sie brauchen nicht auf eine große Steuerreform nach der nächsten Bundestagswahl zu warten, wenn Sie es denn politisch als Problem erkennen würden.
Lassen Sie mich aber auch sagen, daß es mich zutiefst befremdet, wie distanziert und häufig sogar abwiegelnd mit den zumeist sehr kritischen Berichten des Bundesrechnungshofs umgegangen wird, von seiten der Regierung und auch von seiten der Koalitionsabgeordneten.
Wir können uns die in der Regel sehr aufwendigen Arbeiten dieses Kontrollorgans sparen, wenn mit den Ergebnissen nicht sorgfältiger umgegangen wird. Ich nenne Ihnen Beispiele aus der jüngsten Zeit, die ich überschauen kann.
Es gibt einen Bundesrechnungshofbericht mit kritischen Anmerkungen zur Eurofighter-Beschaffung. Es gibt kritische Anmerkungen zum Bau der Bundestags-Kita in Berlin. Es gab kritische Anmerkungen zum Verkauf der DDR-Banken. Allein eine Neuorganisation der externen Finanzkontrolle des Bundes - so notwendig sie denn auch ist - reicht natürlich nicht aus. Es kommt auf eine andere Einstellung zu den Prüfergebnissen an. Das, meine ich, muß in dieser Debatte betont werden.
Danke.
Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Irmgard Karwatzki.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über den Charme des Gesetzes haben die Kollegen Titze-Stecher und Dietrich Austermann ihre Ausführungen gemacht. Ich schließe mich diesen Aussagen vollinhaltlich an.
- Doch, deinen auch.
Dennoch: Das Gesetz ist sehr wichtig.
Ich bedanke mich für die Bereitschaft des Hauses auf allen Seiten, das Modell zur Fortentwicklung des Haushaltsrechtes von Bund und Ländern jetzt auf eine breite Basis zu stellen. Danken möchte ich besonders den Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses, die bereit waren, auch der Änderung des Staatsbankgesetzes zuzustimmen.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren hier im Plenum, ebenfalls um Ihre Zustimmung.
Ich sage gerne zu, Frau Kollegin Titze-Stecher, die Fragen, die Sie heute gestellt haben, bis zur Bereinigungssitzung zu beantworten, was mir dann hoffentlich auch in Ihrem Sinne zufriedenstellend gelingen wird.
Im übrigen, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben insbesondere die ersten drei, vier Redner das Gesetz so klar vorgestellt, daß ich mich jetzt nur noch in Wiederholungen ergehen könnte. Das will ich nicht tun. Ich werde daher, wenn Sie damit einverstanden sind, meine Rede zu Protokoll geben.*)
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
*) Anlage 3
Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist.
- Schön.
Dann hat jetzt das Wort der Kollege Karl Diller, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist in der Tat so: Das beste Haushaltsrecht nutzt nichts, wenn die handelnde Regierung von der Planaufstellung bis zum Haushaltsvollzug am letzten Tag ständig management by chaos macht.
Das beste Haushaltsrecht nutzt nichts, wenn sich die handelnde Regierung über das Recht hinwegsetzt
und entgegen den Protesten dieses Recht weiterhin biegt, so daß der SPD-Fraktion in wichtigen Fragen des Haushaltsrechts nichts anderes blieb, als im Sommer dieses Jahres den Beschluß zu fassen, den Gang nach Karlsruhe anzutreten und in Karlsruhe wichtige Bereiche des Haushaltsrechts einer verfassungsrechtlichen Überprüfung unterziehen zu lassen.
Deshalb muß das Haushaltsrecht geändert werden; es muß modernisiert werden. Der Vorschlag der Regierung geht uns nicht weit genug. Wer unsere Argumente dazu im einzelnen nachlesen will, den bitte ich, das im Protokoll des Deutschen Bundestages nachzulesen.*) Ich möchte mich nämlich dem Beispiel meiner Vorrednerin anschließen.
Zuvor aber möchte ich noch eine Anmerkung machen. In der Drucksache 13/8875 heißt es auf der Seite 3 unter „D. Kosten":
Durch die Neuorganisation der externen Finanzkontrolle ergeben sich nach Abschluß der Umstrukturierung Einsparungen für den Bundeshaushalt von rd. 35 Mio. DM/Jahr
- das ist korrekt; aber dann heißt es:
und für die Haushalte der Länder und Gemeinden von rd. 20 Mrd. DM/Jahr.
Das ist allzuviel Optimismus. Das muß korrigiert werden, Herr Präsident. Es muß 20 Mio. heißen.
Vielen Dank.
s) Anlage 3
Ich gehe davon aus, daß das Haus auch in diesem Fall damit einverstanden ist, daß die Rede zu Protokoll gegeben wird. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann wird so verfahren.
Jetzt hat das Wort der Kollege Dietrich Austermann, CDU/CSU.
- Wir können es nicht davon abhängig machen, Herr Kollege Austermann, ob Sie nun reden oder nicht. Sie müssen schon ans Pult treten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich deshalb noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich davon ausgegangen bin, daß der Kollege Diller auch diese Debatte, bei der es thematisch nicht vorgegeben ist, zu einer Philippika gegen die Arbeit des Finanzministers und der Bundesregierung nutzen würde. Er hat das getan, indem er gesagt hat, die Regierung habe sich über das Gesetz hinweggesetzt. Das steht ein bißchen in Widerspruch zu dem, was er an anderer Stelle gesagt hat. Auf der einen Seite sagt er, das Gesetz müsse geändert werden. Auf der anderen Seite sagt er, die Regierung halte das Gesetz nicht ein.
Die SPD hat angekündigt, sie werde das Verwaltungshandeln der Regierung, das Finanzgebaren in Karlsruhe überprüfen lassen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Diller?
Ja, bitte.
Herr Kollege Austermann, da Ihr Redebeitrag offensichtlich nur dem einzigen Zweck dient, Zeit zu schinden, damit noch genügend Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktionen zusammenkommen, versichere ich Ihnen: Wir werden uns bei der Abstimmung der Stimme enthalten. Sie können Ihre Rede beenden. Wir können zur Abstimmung kommen.
Ich gehe davon aus, Herr Kollege Diller, daß die SPD sowohl vor der Bundestagswahl, also zum gegenwärtigen Zeitpunkt, wie auch nach der Bundestagswahl nicht alleine wird sagen können, was in Deutschland zu geschehen habe, da sie nicht die Mehrheit hat. Wenn Sie also für Ihre Fraktion erklären, sie wolle sich der Stimme ent-
Dietrich Austermann
halten, mag es gleichwohl so sein, daß andere destruktive Kräfte die Gelegenheit wahrnehmen, eine vorübergehende Minderheit zu ihrem Vorteil zu nutzen.
Ich will den Punkt noch einmal aufnehmen, auch im Hinblick auf die anwesenden Zuhörer. Sie haben der Bundesregierung vorgeworfen, daß sie gesetzliche Regelungen in der Praxis nicht einhalte und daß Sie wegen des Haushaltsgebarens gezwungen seien, das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Ich kann dazu nur feststellen: Es gibt bereits konkrete Entscheidungen von Verfassungsgerichten, wer wann wo die Haushaltskriterien verletzt hat.
Eine solche Entscheidung gibt es bezogen auf das Land Niedersachsen. Für das letzte Haushaltsjahr ist Herrn Schröder bestätigt worden, daß er die Verfassung nicht eingehalten hat. Das Land ist praktisch pleite. Eine solche Entscheidung gibt es auch bezogen auf das Saarland, das Land, in dem Herr Lafontaine regiert und in dem nicht nur der Rechnungshof gesagt hat, die Regierung verhalte sich verfassungswidrig. Eine solche Entscheidung gibt es ebenfalls für das Land Schleswig-Holstein, regiert von Frau Simonis, wo der Rechnungshof eindeutig gesagt hat, was dort mit der Verscherbelung von Staatsvermögen passiere, sei rechtlich nicht in Ordnung. Wer also im finanzpolitischen Glashaus sitzt, sollte nicht sagen, hier regiere das Chaos.
Der zweite Punkt. Es geht darum, ob wir jetzt eine Haushaltssperre verhängen sollten oder nicht. Nun kann doch derjenige, der schon vor einem halben Jahr gesagt hat, er wisse ganz genau, welche Haushaltssituation und welche neuen Löcher sich zu welchem Zeitpunkt ergeben würden, jetzt nicht die richtige, vernünftige, im Gesetz vorgesehene Entscheidung des Bundesfinanzministers, nämlich eine Sperre nach § 41 BHO zu verhängen, kritisieren. Es handelt sich hier, lieber Kollege Diller, nicht um den letzten Strohhalm. Wer verantwortlich handelt, unterstützt den Finanzminister und sorgt damit dafür, daß die Entscheidungen getroffen werden, die möglichst einen sparsamen Umgang mit den Haushaltsmitteln gewährleisten und die sicherstellen, daß wir die Maastricht-Kriterien erfüllen. Dies haben wir angestrebt; dies ist unser Ziel. Ich denke, daß wir durch die Haushaltssperre die entsprechenden Mittel auch bei der praktischen Haushaltsdurchführung einsparen werden.
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist: Wer dieses Haushaltsgebaren kritisiert, sollte bitte der Öffentlichkeit auch deutlich machen, wo denn seine Alternativen sind. Ich habe in dieser Debatte bisher nicht gehört, daß Sie vorgeschlagen hätten, an der und der Stelle solle diese oder jene Ausgabe gekürzt werden und an der und der Stelle könnten wir
Mehreinnahmen erzielen. Statt dessen gab es sowohl im Bundesrat wie auch im Bundestag selbst und im Haushaltsausschuß alle möglichen Versuche, die Mehrheit an der vernünftigen Arbeit im Interesse des Landes zu behindern.
Dies mußte hier deutlich gesagt werden. Nachdem das gesagt ist, darf ich mich noch einmal mit der Bitte an Sie wenden, dem von der Regierung vorgelegten Gesetzentwurf zuzustimmen, der zwei Bereiche enthält: Im ersten Teil wird das Staatsbankgesetz neu geregelt, und mit dem zweiten Teil wird mehr Flexibilität in der öffentlichen Verwaltung sichergestellt.
Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Fortentwicklung des Haushaltsrechts von Bund und Ländern; das sind die Drucksachen 13/8293 und 13/ 8875. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der SPD angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit bei gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenommen.
Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einer umfassenden Haushalts- und Finanzreform, Drucksache 13/8876. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/8472, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der SPD angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung eines Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung sowie zur Änderung besoldungsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 13/8447 -
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
- Drucksache 13/8882 -Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Wilhelm Pesch Walter Schöler
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/8887 -Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Pützhofen
Jürgen Koppelin Dr. Rolf Niese
Oswald Metzger
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen damit zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen - Drucksachen 13/8447 und 13/8882 -, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/ Die Grünen und PDS in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20a bis 20 d auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Artikels 38 des Grundgesetzes
- Drucksache 13/3519 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Innenausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes
- Drucksache 13/3520-
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes
- Drucksache 13/3523 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Europawahlgesetzes
- Drucksache 13/3521 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe der PDS fünf Minuten erhalten soll. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Gregor Gysi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In allen Parteien, nicht nur in der PDS, wird über Politikverdrossenheit und zum Teil auch über Demokratieverdrossenheit in unserer Gesellschaft geklagt. Das ist tatsächlich ein Problem. Ich denke, daß es deshalb auch Aufgabe der Politik sein muß, sich selber interessanter zu machen. Dazu gehört die Erweiterung des Wahlrechts. Das heißt, wir sollten die Fragen erörtern, wie man die Bundestagswahlen und auch die Wahlen zum Europäischen Parlament attraktiver gestalten kann, wie mehr Bürgerinnen und Bürger in die politische Auseinandersetzung einbezogen werden können und wie mehr unmittelbare Demokratie durch das Wahlrecht entstehen kann.
Wir haben Ihnen nun vorgeschlagen, Art. 38 des Grundgesetzes zu ändern, und zwar durch Aufnahme zweier neuer Gesichtspunkte. Erstens wollen wir, daß Jugendliche ab Vollendung des 16. Lebensjahres die Möglichkeit haben, den Bundestag und auch das Europäische Parlament zu wählen, das heißt ein aktives Wahlrecht bekommen.
Ich möchte jetzt eigentlich nicht auf die wissenschaftlichen Gutachten eingehen, die es dazu gibt und die nachweisen, daß heute Jugendliche mit 16 und 17 Jahren eine politische Reife haben, wie sie 18jährige vor 30 oder 40 Jahren hatten. Es hat einen Entwicklungsschub gegeben, so daß es gerechtfertigt ist, den 16- und 13jährigen das Wahlrecht einzuräumen.
Dr. Gregor Gysi
Vielmehr möchte ich umgekehrt die Frage stellen: Gehört das Wahlrecht nicht zu den Kategorien, die man Grundrechte nennen könnte? Wenn das so ist, dann braucht doch derjenige, der sich entscheidet, jemandem das Wahlrecht zu entziehen, dafür besonders gute Gründe, und nicht umgekehrt derjenige, der meint, daß Menschen dieses Wahlrecht haben sollten. Das heißt, wenn Sie den 16- und 17jährigen kein Wahlrecht einräumen wollen, dann müßten Sie dafür sehr gute Gründe nennen, dann müßte nicht umgekehrt ich lange begründen, weshalb 16- und 13jährige ein Wahlrecht bekommen sollten.
Auf jeden Fall würden Jugendliche dadurch auch für Abgeordnete zu einer interessanten Gruppe. Das ist nicht zu vernachlässigen; denn die Folge dessen wäre, daß wir uns dann über Ausbildungsplätze und andere Dinge konstruktiver unterhielten.
Zweitens schlagen wir vor, daß Bürgerinnen und Bürger, die keine deutschen Staatsangehörigen sind, die aber legal fünf Jahre und länger ihren ständigen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben, ein aktives und passives Wahlrecht bekommen. Das betrifft die Frage der Integration von Mitbürgerinnen und Mitbürgern; das betrifft die Frage, ob man das Wahlrecht am Lebensmittelpunkt oder mehr am Blut, an einer formalen oder einer faktischen Zugehörigkeit zu einer Staatsbürgerschaft orientiert. Ich denke, der Lebensmittelpunkt muß entscheidend sein.
Wir haben gestern erlebt, wie schwierig es ist, in den Fragen der Staatsangehörigkeit in diesem Hause Klarheit herzustellen. Daher wäre es ein logischer Schritt, daß wir jenen, die zwar nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben, die aber fünf Jahre und länger legal bei uns leben und ihren Lebensmittelpunkt hier haben, politische Rechte einräumen, damit sie von anderen endgültig als gleichwertig gesehen und anerkannt werden. Das wäre in wichtiger Schritt zur Beseitigung von Ausländerfeindlichkeit und Rassismus in unserer Gesellschaft.
Übrigens finde ich auch das Umgekehrte im Grunde genommen skandalös. Heute kann ein Deutscher, der seit 25 Jahren in Chile lebt, drei Monate vor der Bundestagswahl hier einreisen und seinen Wohnsitz begründen; dann wählt er den Kanzler, mit dem ich mich die ganze Zeit herumzanken muß, und dampft danach wieder nach Chile ab. Ich finde, derjenige soll dann sein Wahlrecht in Chile ausüben, nämlich dort, wo er seinen Lebensmittelpunkt hat. Das wäre angebrachter.
- Das weiß ich nicht; aber einmal wäre mir schon zu viel.
Ich will nur darauf hinweisen, daß ich glaube, daß das ein wichtiger Integrationsakt wäre.
Wir haben diese Dinge in unserem Gesetzentwurf zur Änderung des Bundeswahlgesetzes gesondert vorgeschlagen, so daß Sie darüber unabhängig von den anderen Fragen, deren Änderung wir ebenfalls noch vorgeschlagen haben, entscheiden können. Ich will diese Änderungsvorschläge kurz benennen.
Wir haben uns im letzten Jahr mit der Frage der Überhangmandate herumschlagen müssen. Wir haben Vorschläge dazu gemacht, wie man Überhangmandate vermeiden kann, nämlich erstens dadurch, daß man die Abweichung zwischen Wahlkreisen in der Bevölkerungszahl auf 25 Prozent nach oben und unten reduziert - dadurch wäre die Möglichkeit für Überhangmandate deutlich begrenzt -, und zweitens dadurch, daß wir Kompensationen zwischen den Landeslisten einer Partei vorschlagen, so daß es zu Überhangmandaten gar nicht kommen kann.
Bitte vergessen Sie nicht, daß das Bundesverfassungsgericht in der Frage der Überhangmandate eine Vier-zu-vier-Entscheidung getroffen hat. Das heißt, es wäre durchaus denkbar, daß bei der Neuwahl einer Richterin oder eines Richters ein Fünf-zudrei-Verhältnis in der Frage entstünde, ob Überhangmandate grundgesetzwidrig sind oder nicht. Stellen Sie sich einmal vor, Sie nähmen jetzt keine Gesetzesänderung vor und es gäbe eine neue Zusammensetzung des Senats. Nach der nächsten Wahl würde eine Grundgesetzwidrigkeit festgestellt, und dann müßten wir sehr vieles wiederholen und würden bei der Bevölkerung, glaube ich, einen ausgesprochen schlechten Ruf bekommen, weil wir vorher die Möglichkeit zu einer Gesetzesänderung hatten und sie nicht genutzt haben.
Ich denke also, hier ist unbedingt eine Änderung angebracht, zumal sich die Bürgerinnen und Bürger darauf verlassen müssen, daß die Zweitstimmen, so wie es auf jedem Wahlschein steht, letztlich entscheidend für die Zusammensetzung des Bundestages sind.
Wir haben ferner vorgeschlagen - aus Zeitgründen kann ich nicht weiter darauf eingehen -, die Fünfprozenthürde zu streichen. Wir sind immer noch der Meinung, daß das eine Fehlkonstruktion und der Versuch der Parteien im Bundestag ist, sich gegenüber anderen Parteien, die draußen sind, abzuschotten. Ich kann die Vergleiche mit der Weimarer Republik nicht akzeptieren. Wir haben eine demokratische Grundstruktur. Daher brauchen wir die Fünfprozenthürde nicht, um die Wiederholung der Verhältnisse in der Weimarer Republik zu verhindern. Hinzu kommt: Andere Länder haben keine Fünfprozenthürde; ihre Demokratie ist trotzdem nie gefährdet gewesen.
Auch in meiner Partei wird manchmal das Argument vorgetragen, dann könnten aber auch rechtsgerichtete Parteien in den Bundestag einziehen.
Herr Kollege Gysi!
Noch zwei Sätze.
Dazu will ich nur sagen: Probleme löst man nicht dadurch, daß man sie nicht sichtbar macht, sondern dadurch, daß man sie an der Wurzel packt. Das ist das Entscheidende.
Dr. Gregor Gysi
Letztlich haben wir vorgeschlagen - das halte ich für ganz wichtig, um Fortschritte in bezug auf die Demokratie zu erzielen -, daß die Bürgerinnen und Bürger künftig auch die Möglichkeit haben müssen, auf den Landeslisten der Parteien selber eine Auswahl zu treffen, so daß nicht die Parteien alleine über die Reihenfolge bestimmen, sondern die Wählerinnen und Wähler mitbestimmen können. Dann würden Abgeordnete nämlich nicht nur darum kämpfen, einen entsprechenden Listenplatz durch die Partei zu bekommen, sondern dann müßten sie zugleich bei den Wählerinnen und Wählern darum kämpfen, daß sie auf den Listen auch noch angekreuzt werden.
Das Wort hat der Kollege Michael Teiser, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Gysi, Ihr Beispiel von demjenigen, der aus Chile kommt und drei Monate vor der Wahl hier seinen Wohnsitz nimmt, um dann diesen Kanzler zu wählen, kann ich sehr gut nachvollziehen; denn es ist wichtig, daß dieser Kanzler wiedergewählt wird. Dafür lohnt es sich auch, daß man extra aus Chile anreist und hier drei Monate seinen Wohnsitz nimmt.
Ich wäre, da wir die Gesetzentwürfe, die Sie eingebracht haben, an den Innen- und den Rechtsausschuß überweisen, gern bereit, meine Rede zu Protokoll zu geben. Dazu muß man allerdings eine ausgefertigte Rede haben. Insofern ist mir diese Möglichkeit verwehrt, und ich will versuchen, in aller Kürze auf unsere Argumente einzugehen, die wir Ihnen dann im Innen- und im Rechtsausschuß natürlich entgegenhalten werden.
Sie haben eine Änderung des Grundgesetzes beantragt. Sie haben das gerade vorgestellt. Sie wollen das Wahlalter auf 16 Jahre herabsetzen. Sie wollen das Ausländerwahlrecht einführen. Sie wollen das im Bundeswahlgesetz und im Europawahlgesetz niederschreiben.
Das erste, was mir aufgefallen ist, ist Ihre Formulierung, in der es um die Fünfprozentklausel geht. Dort schreiben Sie:
Die zur Wahl des 14. Deutschen Bundestages erneut vorgesehene Fünfprozentklausel ... erschwert eine Vertretung der Interessen der Ostdeutschen im politischen Prozeß auf Bundesebene.
Da dies eine Regelung ist, die Sie interessiert, schließe ich daraus, daß Sie sich für die alleinige Vertretung der ostdeutschen Interessen in diesem Bundestag halten. Das weise ich zurück. Hier sitzen Sozialdemokraten aus den neuen Bundesländern, hier sitzen Christdemokraten, hier werden künftig auch
Liberale aus den neuen deutschen Bundesländern sitzen. Insofern halte ich das für anmaßend.
- Angesichts der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit und da wir auch irgendwann zum Schluß kommen wollen, bitte ich, auf Zwischenfragen zu verzichten.
Ich will eine kurze Anmerkung zum Ausländerwahlrecht machen. Das Bundesverfassungsgericht hat am 31. Oktober 1990 nochmals deutlich festgestellt:
Das Wahlrecht, durch dessen Ausübung das Volk in erster Linie die ihm zukommende Staatsgewalt ausübt, setzt nach der Konzeption des Grundgesetzes die Eigenschaft als Deutscher voraus.
Und zu Art. 20 Abs. 2 Satz 1 hat es festgestellt:
Das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland ist Träger und Subjekt der Staatsgewalt. Das Staatsvolk wird gebildet aus den Deutschen und denen, die nach Art. 116 Abs. 1 gleichgestellt sind.
Das heißt, die Ausweitung des Wahlrechts auf Ausländer würde die Grundsätze der Verfassung berühren und gegen Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes verstoßen. Sie kennen den Grundsatz der Unabänderlichkeit. Ich brauche Ihnen das nicht vorzutragen.
Wir halten das Wahlrecht für Ausländer auch aus verfassungspolitischen Gründen auf Grund Ihrer Argumente nicht für geboten, weil wir nicht sehen, daß dieses Wahlrecht ein Mittel zur Integration wäre. Wir glauben im Gegenteil, daß es dieser Integration eher entgegenstehen würde. Wenn nämlich jemand das Wahlrecht hätte, hätte es für ihn gar keinen Sinn mehr, weiter nach der Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit zu streben. Daher werden wir auch diesen Antrag ablehnen.
Das Wahlalter wollen Sie auf 16 Jahre herabsetzen. Sie haben die Mündigkeit und die Weitsicht 16- und 17 jähriger beschrieben. Ich darf daran erinnern, daß Jugendliche unter 18 Jahren in der Regel selbständige private Verpflichtungen und Geschäfte kaum eingehen können, daß sie nur begrenzt für Schäden haftbar sind.
Wir haben erst vor kurzem eine Diskussion darüber geführt, die, unabhängig davon, wer welche Position einnahm, zu folgendem Ergebnis geführt hat: Bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres sind die Menschen völlig unwissend; sie wissen nicht einmal, was Straftaten sind, und sie werden deswegen nicht bestraft. Zwei Jahre später haben dieselben Menschen nach Ihrer Auffassung dann die Reife, im Prinzip die Geschicke dieses Staates durch ihre Stimme mitzulenken. Was die Geschäftsfähigkeit, die Strafmündigkeit usw. betrifft, wollen Sie wahrscheinlich alle Einschränkungen beibehalten. Inso-
Michael Teiser
fern ist das in sich nicht schlüssig. Wir werden das ebenfalls zurückweisen.
Zur Fünfprozentklausel gibt es den Reformbericht des Bundestages, Drucksache 13/7950. Ich könnte Ihnen das jetzt zitieren. Dort ist sehr deutlich und ausführlich dargestellt worden, warum diese Fünfprozentklausel sowohl politisch sinnvoll als auch verfassungsrechtlich geboten ist.
Das gleiche trifft auch auf Ihre Einlassung zum Europawahlrecht zu.
Zu den Überhangmandaten will ich Ihnen unsere Meinung auch deutlich machen. Es interessiert uns nicht, welche Auffassung das Bundesverfassungsgericht in einer künftigen anderen Zusammensetzung möglicherweise vertreten könnte. Das kann so oder so sein. Das Bundesverfassungsgericht in seiner jetzigen Zusammensetzung hat in seinem jüngsten Urteil zumindest die Verfassungsmäßigkeit ausgleichsloser Überhangmandate bestätigt. Es hat auch bestätigt, daß die jetzige Anzahl verfassungsrechtlich zulässig ist. Sie wissen natürlich auch, daß wir durch die Neuzuschnitte der Wahlkreise dazu kommen werden, die Zahl der Überhangmandate erheblich zu reduzieren, so daß das von Ihnen vorgebrachte Argument im Prinzip ad absurdum geführt wird.
Meine Damen und Herren, um es abzukürzen und meine Redezeit nicht auszuschöpfen: Wir werden uns mit Ihren Kollegen im Innenausschuß bzw. im Rechtsausschuß weiter über Ihre Gesetzentwürfe unterhalten.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Wiefelspütz, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bekommen ja häufiger Besuch von Parlamentariern aus dem Ausland, zum Teil von weither. Mit unseren Gästen reden wir auch häufiger über das Wahlrecht. Insbesondere wenn Vertreter aus sogenannten jungen Demokratien zu uns kommen, unterhalten wir uns sehr häufig über Probleme des Wahlrechts, weil man fragt: Wie macht ihr das in Deutschland?
Herr Gysi, ich stelle bei meinen Gesprächen immer wieder fest, daß unser Wahlrecht in Deutschland sehr hoch eingeschätzt wird. Unser Wahlrecht ist fast ein - auch wenn der Ausdruck vielleicht nicht ganz präzise ist - Exportartikel geworden. Viele junge Demokratien interessieren sich für unser Wahlrecht, weil sie der Auffassung sind, daß das Wahlrecht in der Bundesrepublik Deutschland zumindest einen wichtigen Beitrag zu einer stabilen demokratischen Kultur geleistet hat, die auch bestimmte Belastungen ausgehalten hat, aushält und hoffentlich auch in Zukunft aushalten wird.
Das schließt nicht aus, daß wir in verschiedenen Bereichen durchaus offen sein sollten für Weiterentwicklungen.
Unsere Position ist: Wir stehen grundsätzlich zu unserem Wahlrecht, aber es gibt durchaus zwei, drei Punkte, wo sich Nachdenken lohnt und wo auch Weiterentwicklungen nötig sind. Ich will freimütig sagen: Das, was hier von der PDS vorgeschlagen wird, verdient eine sorgfältige Debatte in den Fachberatungen. In einigen Punkten sind wir dezidiert gegen Ihre Vorschläge; bei anderen lohnt sich eine Diskussion; da sind wir noch nicht am Ende. In weiteren Punkten finden wir sogar Positionen, die auch unsere eigenen sind.
Ich will das ganz kurz durchgehen. Die SPD hat auf ihrem Jugendparteitag einen Beschluß erwirkt, der das Wahlrecht für 16jährige beinhaltet. Ich will freimütig sagen: Das ist in der SPD nicht unumstritten, aber wir haben hierfür eine Mehrheitsentscheidung. Das ist auch in der SPD-Bundestagsfraktion nicht unumstritten. Wir sollten das aber sehr sachverständig beraten. Wir werden in diesem Punkt aufgeschlossen sein und das Ergebnis unserer Beratungen mittragen.
Ich bin aber der Auffassung, wir sollten einmal in Ruhe überlegen, ob die Rechte und Pflichten von 16jährigen auch wirklich stimmig sind. Das sollte man sich einmal im Gesamtzusammenhang anschauen. Ich habe ein bißchen die Sorge, daß wir Kindheit und Jugend, gesamtgesellschaftlich gesehen, immer enger zusammendrücken. Die Frage ist, ob man einen jungen Menschen unter Umständen nicht auch überfordert.
Wenn wir, Herr Gysi, das mit jungen Leuten diskutieren - wie Sie das getan haben und wie auch ich es regelmäßig tue -, stelle ich eigentümlicherweise immer wieder fest: Bei 16-, 17jährigen gibt es eine deutliche Mehrheit gegen das Wahlrecht für 16jährige. Ich sage das einmal so als Nachricht. Es überrascht mich immer wieder, daß sie es selber nicht wollen. Trotzdem glaube ich, daß wir uns dem öffnen sollten, weil es vielleicht doch eine Chance sein könnte, junge Menschen stärker einzubinden. Wir sollten diese Frage noch einmal ernsthaft und verantwortlich miteinander diskutieren und darum ringen, ob das ein richtiger und geeigneter Weg ist.
Ob den Ausländern schon bei fünfjähriger Anwesenheit oder erst bei sechs-, sieben- oder achtjähriger Anwesenheit in Deutschland das Wahlrecht zugebilligt werden sollte, darüber kann man reden. Ministerpräsident Johannes Rau hat hier schon einmal in einem anderen Zusammenhang deutlich gemacht, daß es keinen vernünftigen Grund gibt, Menschen, die lange Zeit hier sind, das Wahlrecht vorzuenthalten.
Auf der kommunalen und auf der Landesebene wird das zum Teil schon gemacht. Wir sollten im Rahmen einer Verfassungsänderung darüber reden, ob man es für Ausländer auch auf der Ebene der Bundestags- und der Europawahlen machen kann. In dieser Frage sind wir aufgeschlossen. Wir sollten das sorgfältig miteinander besprechen.
Dieter Wiefelspütz
Die Fünfprozentklausel wollen wir beibehalten. Herr Gysi, ich bin der Auffassung, daß im Wahlrecht Kontinuität eine große Rolle spielt. Was nicht passieren darf: Wir sollten uns nicht interessengeleitet das Wahlrecht maßgeschneidert zurechtlegen. Das gilt für alle. Das gilt für große Parteien, aber auch kleine Parteien sollten aufpassen, daß sie jetzt nicht Vorschläge machen, die eindeutig die Interessen des Urhebers erkennbar machen.
- Das gilt für alle Beteiligten. Ich sage es sehr deutlich.
Die Fünfprozentklausel hat sich in der Bundesrepublik Deutschland bewährt. Wir werden sie nicht ändern wollen. Dafür wird es in diesem Hause keine Mehrheit geben. Es ist ja auch weniger ein rechtliches - das haben wir kürzlich noch einmal vom Bundesverfassungsgericht bestätigt bekommen - als eher ein verfassungspolitisches Problem. Wir werden hier mit großer Mehrheit sagen: Wir wollen weiterhin die Fünfprozentklausel haben.
Ich glaube auch nicht, daß es eine Mehrheit für Präferenzstimmen bei der Wahl von Landeslisten geben wird. Auf der Landesebene haben wir vergleichbare Systeme in Baden-Württemberg und in Bayern, die sehr interessant sind. Wir sollten aber unser bewährtes Bundestagswahlsystem nicht verändern. Man könnte es verändern; aber ich glaube nicht, daß es uns entscheidend weiterbringt. Hier sind Stabilität und Kontinuität ein großer Wert. Deshalb sollten wir das bisherige System beihalten.
Herr Kollege Wiefelspütz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gysi?
Bitte schön.
Kollege Wiefelspütz, wir haben gerade die Erfahrungen aus Bayern ausgewertet und festgestellt, daß dieses System wirklich zu einer Belebung bei Wahlen geführt hat. Ich erinnere an das berühmte Beispiel: Frau Hamm-Brücher stand ursprünglich auf der Landesliste ganz unten und hat durch die Wählerinnen und Wähler einen vorderen Listenplatz erhalten. Das war für sie Anlaß, ihre politische Rolle in dieser Gesellschaft wahrzunehmen.
Was mich interessiert, ist: Wir haben doch das Problem - und zwar in allen Parteien, das gilt für die PDS genauso wie für die anderen -, daß man vier Jahre lang gezwungen ist, darum zu ringen, vom eigenen Landesverband möglichst einen günstigeren Listenplatz als bei der vorangegangenen Wahl zu bekommen, so daß also in Wirklichkeit die eigene Partei über meine Chancen entscheidet. Denn in etwa kennt man ja die zu erreichenden Prozentzahlen bei Wahlen.
Sie wollen fragen!
Herr Präsident, ich akzeptiere das.
Meine Frage ist: Wäre es nicht eine Belebung von Demokratie und auch der Auseinandersetzung im Rahmen der Bundestagswahlen, wenn ich auf der einen Seite darum kämpfen muß, daß meine Partei mich auf die Liste setzt, und auf der anderen Seite darum kämpfen muß, daß die Wählerinnen und Wähler meinen Namen auf der Liste auch ankreuzen, damit ich tatsächlich in das Parlament einziehe? Könnte das nicht zu einer wirklichen Belebung der Demokratie führen, wie die Erfahrungen in Bayern zum Beispiel beweisen?
Herr Gysi, lassen Sie uns doch vereinbaren, daß wir uns die Erfahrungen von Bayern und auch von Baden-Württemberg hier im Bundestag noch einmal schildern lassen und ernsthaft würdigen, um auf diese Weise eine Entscheidungsgrundlage zu haben. Meine Einschätzung ist die: Wir werden bei unserem - wie ich glaube: bewährten - System bleiben. Es spricht eher nichts dagegen, einmal darüber zu sprechen, ob die von Ihnen genannte Änderung für Bundestagswahlen Sinn machen könnte. Ich bezweifle das eher. Aber Ihr Vorschlag liegt auf dem Tisch. Wir werden darüber sprechen wollen und auch müssen.
Ein wichtiger Punkt ist die Kompensation von Überhangmandaten. Da ist die Position der SPD ja bekannt. Wir sind nicht gegen Überhangmandate, sondern dagegen, daß Überhangmandate eine oder einige Parteien gegenüber anderen bevorteilen. Ich halte das verfassungspolitisch nicht für überzeugend.
An die Adresse der Koalition gewandt meine ich: Ein Ergebnis von 4 : 4 bei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes ist zwar auch ein Ergebnis; aber es stiftet nicht den Rechtsfrieden bzw. die Überzeugungskraft, die eine Regelung fände, die man hier mit großer Mehrheit im Bundestag beschließen würde.
Wir wollen, daß Überhangmandate kompensiert werden. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Ich will mich hier gar nicht festlegen. Das wäre ein Diskussionspunkt, eine Verhandlungssache. Im Moment jedenfalls führt die bisherige Regelung der Überhangmandate - dadurch, daß sie nicht kompensiert werden - zu der Möglichkeit von Verzerrungen. Ich habe in der Tat ein wenig Sorge, daß wir 1998 ein Bundestagswahlergebnis erzielen, das uns erneut zu Diskussionen veranlaßt, die wirklich problematisch sein könnten, weil das Ergebnis dieser Bundestagswahl möglicherweise nicht anerkannt wird - nicht im rechtlichen Sinne, sondern von Teilen der Bevölkerung nicht anerkannt wird. Das sind dann Legitimationsprobleme, um es einmal etwas hochtrabend auszudrücken. Das sollte sich eine entwickelte Demokratie nicht leisten. Damit könnte sehr viel Schaden angerichtet werden.
Wir werden also Ihren Antrag sehr nachdrücklich nutzen, um uns dafür einzusetzen, eine vernünftige Regelung für die Kompensation von Überhangmandaten zu finden.
Wir sollten - das möchte ich abschließend sagen - die Vorschläge der PDS sorgfältig prüfen. Einige Positionen scheinen mir sehr vernünftig zu sein; andere
Dieter Wiefelspütz
wiederum lehnen wir ab; bei einer dritten Kategorie wird man miteinander Erfahrungen austauschen und schauen müssen, wie man damit umzugehen hat. Insgesamt gesehen - das sage ich noch einmal - leistet unser Wahlrecht einen Beitrag zu einer stabilen und entwickelten demokratischen Kultur in Deutschland. Das schließt aber nicht aus, daß wir den einen oder anderen Punkt nicht noch weiter entwickeln könnten.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Gerald Häfner, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PDS ist auf den Geschmack gekommen. Mich freut das. Ihre Partei hat jetzt schon einige Male an demokratischen Wahlen teilgenommen. Sie genießen das; das gebührt Ihnen auch. Jetzt denken Sie schon darüber nach, wie man das Wahlverfahren verbessern kann.
- Das weiß ich, Herr Zwerenz. Aber regen Sie sich nicht so auf, wir begrüßen Ihre Vorschläge ja; sie gehen fast alle in Richtung auf mehr Demokratie und mehr Beteiligung. Das halten wir für sinnvoll, und deshalb unterstützen wir sie.
Allerdings - Sie werden mir nachsehen, daß ich darauf hinweise - gibt es in Ihren Vorschlägen nicht viel Neues. Es ist nicht ein Vorschlag dabei, den ich nicht schon kenne - und das meine ich in diesem Fall ganz persönlich. Fast alle Vorschläge und Entwürfe, die Sie hier eingebracht haben, sind bereits von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebracht worden. Sie stammen, Herr Gysi - übrigens einschließlich der beiden Beispiele, die Sie eben gebracht haben, nämlich Chile und Frau Hamm-Brücher -, aus meiner Feder. Deswegen habe ich mir schon überlegt, ob wir nicht eine Zweitverwertungsgebühr für Fälle des Recyclings grüner Gesetzentwürfe durch die PDS beanspruchen sollten.
- Abschreiben ist erlaubt. Aber man muß es doch nicht so offensichtlich machen, wie die das tun.
- Ich habe nur vier Minuten Redezeit. Erlauben Sie mir deshalb noch ein paar Bemerkungen zur Sache.
Ihr erster Antrag entspricht praktisch vollständig dem von mir eingebrachten Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/5575 aus dem vergangenen Jahr. Hier geht es darum, einen Ausgleich für Überhangmandate zu schaffen. Wir haben in diesem Parlament darüber lange und ausführlich gestritten. Ich habe damals darauf hingewiesen: Helmut Kohl ist schon jetzt - im Hinblick auf seine Arbeit - nur ein Überhangkanzler und führt eine Überhangregierung. In der nächsten Legislaturperiode wollen wir so etwas nicht mehr haben. Ich gehe aber davon aus, daß die Deutschen seiner lähmenden Herrschaft so überdrüssig sind, daß sie sie auch mit dem Instrumentarium der Überhangmandate nicht mehr verlängern, sondern Kohl abwählen werden.
Aber es ist ein untragbarer Zustand in einer Demokratie, daß ein Wahlergebnis durch Überhangmandate verfälscht, ja sogar auf den Kopf gestellt werden kann. Wir könnten im nächsten Bundestag - jedenfalls besteht diese Möglichkeit - auf diese Weise andere Mehrheitsverhältnisse bekommen, als von den Wählerinnen und Wählern mehrheitlich gewollt, wenn wir das prozentuale Stimmenergebnis zugrunde legen. Das ist ein untragbarer Zustand. In diesem Punkt stimmen wir Ihren - das heißt: unseren
- Forderungen also ganz und gar zu.
Auch die Forderung, das Wahlalter auf 16 Jahre abzusenken, entspricht einer alten Forderung der Grünen.
Der Vorschlag zum Kumulieren und Panaschieren mit dem Hinweis auf das bayerische Wahlrecht ist inhalts-, passagenweise sogar wortgleich mit dem Gesetzentwurf, den ich in der 11. Legislaturperiode für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebracht habe.
- Das freut mich, Herr Gysi. - Ich verhehle nicht, daß ich es für erheblich demokratischer halte, wenn die Bürgerinnen und Bürger nicht nur eine starr vorgegebene Liste ankreuzen, auf der die künftige personelle Zusammensetzung des Parlaments von den Parteien schon weitgehend entschieden ist, sondern die Bürgerinnen und Bürger auch innerhalb der Listen die Möglichkeit der Auswahl beispielsweise von Kandidaten haben, die sie unterstützen wollen, die aber von der Partei auf einen unteren Listenplatz gesetzt wurden.
Herr Kollege Häfner, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Grundsätzlich immer und von Herrn Wiefelspütz besonders gerne.
Ich überlege mir, was ich Ihnen nach der Sitzung dazu sage, Herr Häfner.
Ist Ihnen so schnell nichts eingefallen? So kenne ich Sie gar nicht.
Ich möchte beim parlamentarischen Anstand bleiben und Sie nicht öffentlich beleidigen.
Das vermeiden wir beide regelmäßig.
Herr Häfner, ich wollte von Ihnen als Bayer gerne einmal hören, wie Sie Ihre
Dieter Wiefelspütz
Erfahrungen in Bayern beurteilen. Wir haben bei Bundestagswahlen seit 45 Jahren ein Wahlrecht ohne diese Besonderheiten. Würden Sie uns angesichts Ihrer einige Jahrzehnte umfassenden Erfahrungen in Bayern wirklich entsprechende Änderungen empfehlen?
Wenn Sie, Herr Wiefelspütz - was ich vermute - in Ihren Hintergedanken bestimmte unerfreuliche Verhältnisse der bayerischen Politik beklagen, so möchte ich Ihnen entgegnen, daß diese nach meiner Überzeugung nicht am Wahlrecht liegen. Ich bin der Meinung, daß es für die Bürgerinnen und Bürger tatsächlich ein erhebliches Mehr an Demokratie bringt, wenn sie auf den Listen auswählen können. Der Charme dieser Regelung besteht im übrigen auch darin - das mag vielen Parteipolitikern, auch meinen Kollegen, nicht gefallen; das räume ich offen ein -, daß man nicht nur auf einer Liste, sondern auch zwischen den Listen auswählen kann. Das heißt, es ist beispielsweise durchaus möglich, die Grünen zu wählen und dabei trotzdem noch einen Kandidaten oder eine Kandidatin der SPD anzukreuzen, weil man die betreffende Person gut findet und sie ebenfalls unterstützen möchte.
Die Wählerinnen und Wähler in Bayern haben das sehr gut verstanden und machen davon regen und bewußten Gebrauch.
Über die sonstigen Verhältnisse in Bayern werde ich wahrscheinlich mit Ihnen gemeinsam dasselbe Klagelied anstimmen. Aber, wie gesagt, ich glaube, daß die in manchem rückständigen politischen Zustände in Bayern ihre Ursache nicht im Wahlrecht finden, sondern daß diese in anderen Umständen begründet sind, die jetzt in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen.
Ich kann also die bayerische Regelung zum Kumulieren und Panaschieren - darum ging es ja bei Ihrer Frage - durchaus auch aus meinen eigenen Erfahrungen zur Nachahmung empfehlen. Wir praktizieren dieses Wahlverfahren in Bayern übrigens nicht nur bei Landtagswahlen, sondern auch bei Kommunalwahlen. Das hat sich durchaus bewährt.
Solange Wahlen die einzige Möglichkeit darstellen, wie die Bürgerinnen und Bürger in diesem Staat die Staatsgewalt auf Bundesebene ausüben können - im Grundgesetz heißt es ja schließlich: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen... ausgeübt." -, ist es wichtig, daß diese Wahlen als einzige Möglichkeit der Mitbestimmung so demokratisch wie möglich sind, daß nicht die Ergebnisse verzerrt werden können, daß sie allen denselben Einfluß ermöglichen und daß sie für alle durchschaubar sind. Und es ist wichtig, daß diese elementaren Spielregeln der Demokratie möglichst auch von allen politischen Parteien im Konsens beschlossen werden.
Ich halte die Vorschläge, die von der PDS vorgelegt worden sind, für begrüßenswert und für unterstützenswert. Ich meine allerdings, daß man dabei nicht stehenbleiben sollte. Ich bin mit Nachdruck der Meinung, daß die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger über die Teilnahme an Wahlen hinausgehen
muß. Ich meine, daß wir auf allen Ebenen - das heißt: auch auf der Bundesebene - die Möglichkeit von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden brauchen.
Ich meine weiter, daß wir auch eine Verstärkung der Bürgerbeteiligung bei Planungsverfahren brauchen. Und ich meine, daß wir Verbandsklagerechte und Akteneinsichtsrechte brauchen. Das heißt, das Programm für mehr Demokratie in diesem Land geht über Ihre durchaus begrüßenswerten Anträge weit hinaus.
Das Wort hat der Kollege Kleinert, F.D.P.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! An sich möchte ja jede hier anwesende Partei in diesem Hause möglichst zahlreich vertreten sein. Bei einer feststehenden Zahl von Mandaten stößt sich aber dieser Wunsch etwas mit dem Streben nach Harmonie und Kollegialität. Man muß dann doch sehen, wie man die Wähler dazu bekommt, daß sie das eigene Bedürfnis nach möglichst vielen Mandaten befördern. Dessenungeachtet werden nach sorgfältiger Betrachtung der Lage immer wieder Versuche unternommen, durch eine Änderung des Wahlrechts in die eine oder andere Richtung mehr Unterstützung für die eigene Partei zu gewinnen. Diejenigen, die diese Versuche machen, laufen ein großes Risiko, weil das Ende häufig ganz anders aussieht, als man am Anfang erhoffte. Alle diese Versuche sind also in bezug auf das Ziel, durch Wahlrechtsänderungen die Situation der jeweils eigenen „Abteilung" zu verbessern, zu relativieren. Das möchte ich vorab sagen.
Ein Zweites vorab: Es ist schön, von Herrn Gysi zu hören, daß wir nun solche demokratischen Grundstrukturen haben, daß wir vor diesem Hintergrund eine Reihe von Dingen, die die Verfassungsmütter und Verfassungsväter im Hinblick auf Erfahrungen aus Weimar im Auge hatten, gar nicht mehr berücksichtigen müßten. An dieser Stelle, Herr Kollege Gysi, fällt mir ein, daß ich als Student im Radio eine Bundestagsdebatte gehört habe, in der Herr Renner rief: „Das ist undemokratisch, Herr Bundeskanzler!" Er bezog sich dabei auf irgend etwas - ich weiß nicht mehr, was -, was Herr Adenauer ausgeführt hatte. Herr Adenauer hat daraufhin Herrn Renner mit dem Hinweis beschieden - das habe ich sehr lebhaft in Erinnerung -: „Ach, Sie alter Demokrat. " Das ist mir gerade wieder eingefallen.
Davon abgesehen: Ich möchte mit dem anfangen, was ich nicht für richtig halte. Ich halte es nicht für richtig, das Wahlalter 18 Jahre einzuführen.
Detlef Kleinert
- Entschuldigung, Wahlalter 16 Jahre. - Ich freue mich wie bei so vielen anderen Dingen, daß ich bei Herrn Wiefelspütz hier auch Zweifel habe anklingen hören.
Der entscheidende Hinweis ist doch wohl der: Was sagen politisch interessierte Jugendliche im Gemeinschaftskundeunterricht? Was sagen sie zu der Frage, ob sie dieses Wahlalter wollen oder nicht? Die Antworten sind negativ. Leider sind auch eine Reihe anderer Antworten auf einfache Wissensfragen negativ. Das ermutigt nicht, zu glauben, eine Herabsetzung des Wahlalters sei der Entwicklung unserer Demokratie förderlich. Das aber gehört zu den Punkten, die man immer mal wieder gründlich betrachten sollte. Darum stehe ich wie die Vorredner nicht an, zu sagen, daß wir für Ihre Vorschläge dankbar sind, weil man über alles von Zeit zu Zeit mal wieder nachdenken muß.
Die Frage der Überhangmandate wird meiner Ansicht nach mathematisch erheblich verkannt. Überlegen Sie mal, welche Differenzen in der Gewichtung von Wählerstimmen dadurch entstehen, daß die Wahlkreise ungleich geschnitten sind. Die Abweichungen bei der Gewichtung der einzelnen Wählerstimmen addieren sich allein durch den Zuschnitt der Wahlkreise, und zwar ungeachtet aller immer wiederkehrender Reformbemühungen, zu größeren Differenzen, als sie sich etwa bei den Überhangmandaten ergeben. Mit solchen gewissen Ungleichgewichten wird man wohl leben müssen.
Daß Sie sich über die 5 Prozent Gedanken machen, das kann ich sehr gut verstehen.
Ich verstehe das als Mitglied der Freien Demokratischen Partei sehr gut. Wir machen uns da immer mal wieder unsere Gedanken; sonst wären wir auch ganz schön blind.
Wir ziehen aber einen anderen Schluß als Sie. Wir versuchen, hoffnungsfroh zu kämpfen und über die Fünfprozenthürde hinwegzukommen, einen Erfolg zu erzielen, ohne am Wahlrecht herumzunörgeln und herumzubasteln.
Das ist eine Frage der Grundeinstellung zu einem solchen Problem. Die Grünen machen im Moment so entspannt heitere Gesichter, weil sie wähnen, sie seien dem Problem entronnen. Aber das haben wir schon anders gesehen; das könnte auch wieder anders kommen.
- Ja, ich habe das schon verstanden. In der momentanen Lage ist das richtig.
Zum Schluß noch ein Wort zum Panaschieren.
Das muß aber kurz sein!
Ich bedanke mich sehr, Herr Präsident. - Als Student durfte ich in Bayern wählen. Wir haben schon damals Stimmzettel in gewaltigen Zeitungsformaten bekommen. Ich erinnere mich lebhaft an meine Wahlentscheidung - ich bin nämlich nur bis Bezold und Bungartz gekommen.
Herzlichen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Dr. Gysi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte zunächst nur etwas richtigstellen, was Sie gesagt haben, Herr Häfner. Sie haben gesagt, wir hätten in unserem Gesetzentwurf Ihren Vorschlag zur Ausschaltung von Überhangmandaten wörtlich übernommen. Das muß umgekehrt gewesen sein; denn unser Gesetzentwurf ist von Januar 1996, Ihrer ist wesentlich später gekommen. Deshalb möchte ich darum bitten, das zu korrigieren.
Sie, Herr Kleinert, haben uns unterstellt, daß die Wahlrechtsänderungsvorschläge, die wir unterbreiten, im Interesse der PDS seien. Ich glaube, wenn Sie sich die Vorschläge genau ansehen, werden Sie feststellen, daß die meisten dieser Vorschläge nichts mit dem Eigeninteresse der Partei zu tun haben. Es gibt nicht einmal Hinweise darauf, daß 16- bis 17 jährige überdurchschnittlich häufig PDS wählen würden. Hier geht es vielmehr um Grundsatzfragen der Demokratie, nicht um die Interessen einer Partei.
Keine Erwiderung? - Dann schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 13/3519, 13/3520, 13/ 3523 und 13/3521 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Gruppe der PDS
Haltung der Bundesregierung zu den Turbulenzen an den internationalen Finanzmärkten
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Gysi, PDS.
- Es steht Ihnen frei, sie herbeizurufen.
Wollen Sie das machen, Herr Kollege Fischer? Dann warte ich auf Ihren Ruf. - Jetzt ist der Staatssekretär da.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben diese Aktuelle Stunde nicht deshalb beantragt, weil uns das Schicksal von Großaktionären und anderen Börsenspekulanten besonders am Herzen liegt - damit hat sicher auch niemand gerechnet -, sondern weil wir auf Fehlentwicklungen hinweisen wollen, von denen wir überzeugt sind, daß sie dringend der Korrektur bedürfen.
An diesen Turbulenzen an den Börsen wird eines deutlich: Es gibt keinen Zusammenhang mehr zwischen der Wirtschaftsentwicklung und der Entwicklung der Finanzmärkte. Die Börsen reagieren völlig unabhängig von der konkreten wirtschaftlichen Situation in den betreffenden Ländern. Auf den Finanzmärkten hat wirklich eine ungeheure Globalisierung stattgefunden.
Hier gibt es ein Problem. Das Problem ist, daß die Bundesregierung 1985 alle Instrumente zur Regulierung von Kapitaltransfers - auch zur Regulierung auf dem Aktienmarkt und damit auf dem Finanzmarkt - beseitigt hat. Nachdem sie diese Instrumente beseitigt hat, erklärt sie jetzt immer, daß sie leider nichts machen könne. In solchen Situationen bleibt Bundesfinanzminister Waigel als einziges Instrument das Telefongespräch. Dies führt er nachts, und dadurch ändert sich natürlich auch nichts.
Wir stehen hier vor der grundsätzlichen Frage: Soll sich wirklich das Konzept der F.D.P. durchsetzen, daß Politik immer schwieriger bis unmöglich wird, das heißt, daß sich die Politik vollständig den Wirtschaftsinteressen unterordnen muß? Sollten wir nicht lieber wenigstens über Instrumente nachdenken, wie man auf solche Märkte Einfluß nehmen kann? Denn letztlich hat dies alles Auswirkungen bis hin zu den Arbeitsplätzen. Deswegen sind hier Instrumente von entscheidender Bedeutung, die Politik möglich machen.
Wenn wir über den Euro sprechen, kommen wir wieder in eine ganz ähnliche Situation, in der ebenfalls die Instrumente fehlen werden, um auf Finanzmärkte Einfluß nehmen zu können. Sie wissen sicher noch, daß ein einzelner Spekulant das europäische Währungssystem zu Fall gebracht hat. Nun muß sich die Politik fragen, ob man so etwas noch einmal zulassen will oder ob man nicht eher Instrumente braucht, um auf Finanzmärkte wirklich Einfluß nehmen zu können. Sie haben diese Instrumente beseitigt und tragen deshalb die Verantwortung dafür. Wir müssen uns jetzt gemeinsam darüber Gedanken machen, wie man diese politischen Instrumente zurückbekommt.
Ich möchte eine zweite Bemerkung machen: Wenn die Spekulation solche Blüten treibt, wenn sie zum Teil völlig unabhängig von wirtschaftlichen Entwicklungen stattfindet - die Börse in Hongkong hat auch Auswirkungen auf Leipzig, unabhängig davon, welche Entwicklung es gerade in Leipzig gibt -, müssen wir wirklich neu über unser Steuerrecht nachdenken
und die Spekulationsfrist abschaffen. Wir müssen Spekulationsgewinne wesentlich höher besteuern.
Es kann nicht dabei bleiben, daß der Spekulant derjenige ist, der in dieser Gesellschaft am günstigsten gestellt ist. Das Steuerrecht ist im Augenblick aber so ausgelegt. Sie haben eine Situation geschaffen, in der in erster Linie Geld mit Geld und nicht mehr Geld mit Produktion verdient wird.
Eines Tages kommt es zu einem Börsenkrach, nicht zu so einem, über den man lachen kann, bei dem man gar nicht richtig versteht, welcher Auslöser wie zu was geführt hat, sondern zu einem, der vergleichbar - vielleicht sogar noch sehr viel schlimmer - ist mit dem Schwarzen Freitag des Jahres 1929. Sie alle kennen die Auswirkungen.
Ich frage Sie: Wenn es eine solche Situation gäbe, welche Instrumente hätte die Bundesregierung heute noch, um darauf Einfluß zu nehmen? Außer dem berühmten nächtlichen Telefongespräch von Theo Waigel hätten Sie praktisch überhaupt keine Instrumente mehr. Deswegen müssen wir Politik wieder möglich machen und zurückgewinnen.
Spekulationssteuern - sie mögen nicht Ihren Interessen entsprechen, sie entsprechen vor allem nicht den Interessen der F.D.P. - wären dringend erforderlich, die Spekulationsfrist gehört abgeschafft. Herr Schmidt, darf ich Sie daran erinnern, daß schon einmal ein CDU-Parteitag beschlossen hat, diese Frist abzuschaffen, um Spekulationsgewinne schneller und uneingeschränkter besteuern zu können? Wieder scheitert ein solches Vorhaben an der F.D.P. Es lohnt sich wirklich, darüber nachzudenken.
Noch ein letzter Hinweis: Wir erleben in letzter Zeit zunehmend, daß Bürgerinnen und Bürgern geraten wird, ihre kleinen Sparguthaben in Aktien anzulegen. Das passiert nicht nur durch bestimmte Schauspieler in bestimmten Werbesendungen - dafür mag die Politik nicht unmittelbar verantwortlich sein -, sondern das passiert auch durch die Bundesregierung und dieses Haus.
Ich finde, dieses Beispiel zeigt, daß man Bürgerinnen und Bürger davor warnen muß, ihre kleinen Sparguthaben in Aktien anzulegen. Sie können ganz schnell verlorengehen. Deshalb ist dies sicher nicht die richtige Orientierung, die von der Politik ausgeht. Wir stehen hier in der Verantwortung; denn viele verlassen sich auf die Informationen durch bestimmte Medien und die Politik.
Das gilt auch für die Vorstellung, daß man Lohnerhöhungen vielleicht dadurch ersetzen könne, daß man Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen kleine Aktienpakete überreicht. Wenn die dann an Wert verlieren, war es nichts mit der Lohnerhöhung; statt
Dr. Gregor Gysi
dessen gibt es nur Verluste. Deshalb sollte man von solchen Vorstellungen lieber Abschied nehmen.
Das Wort hat der Kollege Friedhelm Ost, CDU/CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Also Gysi als Soros-Nachfolger: Das kann sich keiner vorstellen, aber er hat es hier versucht. Mich hat es sehr gewundert, Herr Gysi, wie Sie über Märkte reden. Sie haben nämlich überhaupt noch nicht begriffen, was Märkte sind. Ich verstehe aber Ihre große Sorge. Ich könnte mir vorstellen, daß Sie Ihr obskures Parteivermögen in Red Chips in Hongkong angelegt haben und jetzt wegen einiger Marktkorrekturen bangen.
An den internationalen Aktienmärkten haben sich in nervösem Verlauf in den letzten Tagen einige Korrekturen ergeben.
Die Kurse sind Achterbahn gefahren. Heute haben Sie bei den Kursen überall Pluswerte, gestern gab es wieder überwiegend ein Minus. Damit muß man sich beschäftigen. Ich denke, die Märkte reagieren besser, als es jede Regierung tun könnte.
- Natürlich. Sie haben es doch versucht. Es gab keine Märkte. Sie haben am Ende die Lektion lernen müssen, was es heißt, den Markt fast 50 Jahre lang außer Kraft zu setzen. Die Firma Honecker und Genossen ist in den betrügerischen Konkurs gerannt.
- Ohne Märkte, natürlich! Sie haben doch daran mitgewirkt. Sie haben keinen Sinn für Märkte und deswegen auch nicht für Börsen. Man merkt das auch an Ihrer Fragestellung.
Natürlich neigen Börsen zu Übertreibungen. Nicht die Finanzmärkte generell, sondern die Aktienmärkte haben übertrieben reagiert. Da gab es große Ausschläge nach unten. Aber die anderen Finanzmärkte haben überhaupt nicht reagiert. Die Devisenmärkte zum Beispiel haben sich relativ ruhig verhalten. Betrachten Sie doch das Verhältnis der D-Mark zu den Währungen unserer wichtigsten Handelspartner. Betrachten Sie auch die Märkte für festverzinsliche Wertpapiere und die Geldmärkte. Sie müssen auch einmal den Finanzteil einer Zeitung lesen und nicht nur Ihre Blättchen, in denen wenig darüber steht.
- Sie können doch nicht von der großen Weltwirtschaftskrise, vom Börsencrash reden, wenn der DAX
- das ist der Index für die deutschen Standardaktien
- seit Anfang des Jahres um 55 Prozent gestiegen ist.
- Ich erkläre Ihnen das; Sie haben das wahrscheinlich nicht begriffen.
Der DAX ist um 55 Prozent gestiegen, und jetzt hat er sich um 15 bis 20 Prozent abgeschwächt. Das ist eine Normalisierung, die gesund ist. Das ist in Ordnung.
Ich sage Ihnen: Alle Ihre Warnungen sind unnötig. Auch die Kleinaktionäre in Deutschland haben sich ganz vernünftig und ruhig verhalten. Es gab keinen Run aus den Aktien, keinen Crash. Es normalisiert sich auf ein vernünftiges, normales Maß, und am Ende spielen die fundamentalen Daten eine große Rolle.
Ich sage Ihnen: Die Bundesbank und die Bundesregierung haben sich hervorragend verhalten. Sie haben kein nervöses und unsinniges Gerede in die Welt gesetzt, wie Sie es uns gerade erzählt haben. Sie haben statt dessen auf die fundamentalen Daten und Fakten in Deutschland, aber auch in Amerika verwiesen.
Ich gebe zu: Diese Entwicklungen an den internationalen Aktienmärkten spiegeln die Globalisierung und Internationalisierung der Wirtschaft und der Finanzströme wider. Das ist schon richtig. Aber Sie können doch nicht sagen: Wenn in Hongkong eine Grippe ausbricht, haben wir hier sofort eine Lungenentzündung und die Welt geht unter. Wenn hier das Jahr 1929 beschworen wird: 1987 war der Einbruch am Aktienmarkt viel stärker als 1929. Lesen Sie es nach!
Die Welt ist heil geblieben. Sie haben an Hand der Entwicklungen in den letzten zehn Jahren gesehen, daß es sich auch für den Kleinaktionär lohnt, sein Geld in Aktien anzulegen. Aktienkapital ist Risikokapital; das ist schon richtig. Aber letztendlich orientieren sich die Aktienkurse an der Entwicklung der einzelnen Gesellschaft, an der Entwicklung der fundamentalen Daten.
Die Haltung der Bundesregierung, nach der Sie fragen, kann ich nur loben. Sie hat auf die fundamentalen Daten in Deutschland hingewiesen. Wir befinden uns in einer guten Wachstumsphase. Wir haben großen Erfolg in der Außenwirtschaft; der Export steigt um 10 bis 12 Prozent.
- Erst einmal gilt es doch, die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Wenn Sie nicht weiterhin alles bremsten
- die große Steuerreform, die Rentenreform -, dann wäre die Entwicklung noch positiver.
Friedhelm Ost
Die Politik, die Sie betreiben, ist eindeutig eine Politik gegen Arbeitslose, gegen den Mittelstand und auch gegen Investitionen.
- Natürlich, Sie bremsen alles aus. Das haben wir in den letzten Tagen mehrfach erlebt.
Die Stabilität der D-Mark zeigt das Vertrauen der nationalen und der internationalen Anleger in unsere Wirtschaft und auch in die Politik, wie sie die Bundesregierung immer wieder dargelegt hat.
Herzlichen Dank.
Ich erlaube mir die Bemerkung: Auch wenn wir über Börsen reden, muß es im Deutschen Bundestag nicht so laut wie an der Börse zugehen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Bury.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige Leute haben in dieser Woche viel Geld an der Börse verloren. Die meisten Menschen aber haben wegen dieser Bundesregierung seit Jahren weniger Geld in der Börse.
- Wissen Sie, wie man es nennt, wenn Theo Waigel umhergeht? - Wandelschuldverschreibung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Achterbahnfahrt an den internationalen Börsen: Ausgelöst von der Währungs- und Börsenkrise in Südostasien, kam es weltweit zu Kurseinbrüchen an den Aktienmärkten. Vom „Black Monday II" an der Wall Street war bereits die Rede, und an diesem Dienstag erlebte der deutsche Aktienmarkt mit einem Minus von 7 Prozent einen dunkelgrauen Tag. Den „Schwarzen Montag" 1987 habe ich selbst in der Wertpapierabteilung einer Bank erlebt. Damals war die öffentliche Aufmerksamkeit geringer, aber die Kursverluste waren wesentlich größer. Vor zehn Jahren hat es Monate gedauert, bis sich die Börsen vom Crash erholt hatten. Diesmal hat sich die Stimmung bereits nach wenigen Tagen gebessert. Die Börsen in Westeuropa und den USA scheinen sich stabilisiert zu haben, im übrigen auf einem Niveau, von dem zu Beginn dieses Jahres nur Optimisten ausgehen konnten.
Was ist passiert? Nach jahrelang steigenden, in den letzten Monaten sogar haussierenden Kursen kam es zu der von nicht wenigen Experten als überfällig bezeichneten Korrektur. Über die Gründe dieser Korrektur an den internationalen Aktienmärkten ist in den letzten Tagen viel diskutiert worden. Viel Psychologie, aber auch handfeste Gründe stecken dahinter. Schließlich wurde der Kursrückgang von den realen ökonomischen und finanzpolitischen Problemen in Südostasien und von Währungsspekulationen gegen den Hongkong-Dollar eingeleitet.
Herr Kollege Gysi, wenn Sie hier mit Blick auf das Europäische Währungssystem Instrumente zu einer Stabilisierung fordern, dann heißt die Antwort meines Erachtens Euro,
weil Sie mit einem größeren Währungsblock gegen internationale Devisenspekulation weniger anfällig sind.
Erfreulich an der Debatte über den Zustand der Börse in den letzten Tagen ist, daß sie in fast allen Medien und nicht nur dort, sondern auch an den Stammtischen stattfand. Das Thema Aktie ist in den letzten Jahren zu einem Volksthema geworden - ein Erfolg, den der Finanzplatz insbesondere dem Börsengang der Deutschen Telekom AG zu verdanken hat. Rund 400 000 neue Aktionäre konnten für die T- Aktie gewonnen werden. Auch sie mußten in den letzten Monaten erfahren, daß die Börse keine Einbahnstraße ist.
Die Börse ist der Markt für Risikokapital. Hier treffen kapitalsuchende Unternehmen und risikofreudige Anleger zusammen. Die einen suchen Kapitalgeber, die ihr Wachstum finanzieren; die anderen - vom rationalen Investor über den kühl kalkulierenden Renditejäger bis zum Zocker, den es auch gibt - wollen sich mit den mageren Zinsen für Sparanlagen oder Anleihen nicht zufriedengeben, und sie setzen darauf, daß die Kehrseite von Risiko Chance heißt.
Langfristig fahren die Aktionäre mit dieser Haltung nicht schlecht. Die Aktienanlage schlägt in jedem langfristigen Vergleich alternative, konservativere Anlageformen wie Renten, Edelmetalle, Immobilien oder Lebensversicherungen.
In den letzten Tagen schwanken die Kurse an der Wall Street und an der Frankfurter Börse zwischen Berg- und Talfahrt. Die hohe Volatilität mag manche Betrachter erschrecken. Bei den Kursrückschlägen handelt es sich jedoch um Buchverluste. Es werden keine realen Werte zerstört.
Gezeigt haben die internationalen Börsenturbulenzen allerdings, wie eng die Verflechtungen der Volkswirtschaften sind. Insofern ist es für die Realwirtschaft gefährlich, sich so einseitig auf den Export zu stützen und die Binnenkonjunktur sträflich zu vernachlässigen, wie es diese Bundesregierung seit Jahren tut.
Dies erhöht die Anfälligkeit für externe Einflüsse. Deshalb brauchen wir neben einer international abgestimmten Wirtschafts- und Finanzpolitik dringend eine Stärkung der Binnenkonjunktur. Diese Regie-
Hans Martin Bury
rung wird das nicht mehr schaffen - deshalb: Ordern Sie Verkaufsoptionen auf Kohl und Calls auf SPD.
Das Wort hat Kollege Wolfgang Schmitt, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Gysi! Ich hätte eigentlich von Ihnen eine etwas freudigere Rede erwartet. Sie haben hier gefordert, daß Spekulationsgewinne stärker besteuert werden sollen. Wenn Sie aufmerksam das verfolgt hätten, was in dieser Woche passiert ist, dann hätten Sie eigentlich feststellen müssen, daß das, was die Spekulanten in dieser Woche verloren haben, durch jede noch so starke Besteuerung im Inland nicht hätte hereingeholt werden können.
Ein Beispiel: Es heißt, Bill Gates habe in dieser Woche allein 3 Milliarden US-Dollar verloren. Da hätte selbst die optimale Umsetzung von PDS-Steuerpolitik nicht ausgereicht, solche Verluste herbeizuführen.
Ich finde, Kollege Gysi - auch bei aller Kritik an den Ausschweifungen des internationalen Finanzsystems und der Aktienmärkte -, diese Woche hat gezeigt, daß Märkte funktionieren können, und auch die vergangenen Monate haben dies gezeigt, denn der Auslöser für diese Börsenturbulenzen war ja die Krise in Südostasien. Sie wollen mir nicht erzählen, daß das, was sich in Thailand ereignet hat, abgehoben von den realwirtschaftlichen Vorgängen in Südostasien geschah.
Wenn Sie aufmerksam die Presse verfolgten, dann hätten Sie merken können, daß die einschlägige Wirtschaftspresse schon seit zwei Jahren darauf hingewiesen hat, daß in Südostasien die Fundamentaldaten absolut nicht mit der Art und Weise übereinstimmen, wie dort beispielsweise Wechselkurspolitik betrieben wurde.
Hätten Sie die Zeitung gelesen, dann hätten Sie festgestellt, daß Thailand, daß Indonesien, daß die Philippinen mit hohen Leistungsbilanzdefiziten zu kämpfen haben, daß ein Spekulationsboom am Immobiliensektor stattgefunden hat, daß es eine mangelnde Bankenaufsicht und ein schwaches politisches System in diesen Ländern gegeben hat, daß die Bindung an den Dollarkurs in dem Moment nicht aufrechtzuerhalten war, als die Konjunkturen in Südostasien asynchron zu der der Vereinigten Staaten abliefen, und daß es in diesen Ländern - das ist auch bedeutsam für die Wettbewerbsfähigkeit dieser Region - einen Mangel an qualifizierten Fachkräften gibt.
Wir stellen fest, daß in dieser Region ein eklatantes Politikversagen stattgefunden hat. Es findet nach wie vor seine Fortsetzung, und ich sage Ihnen auch klar, was die Ursache dafür ist: Sie besteht in der Kumpanei zwischen superreichen, einflußreichen Familien in diesen Ländern und der Politik. Korruption ist an
der Tagesordnung. Von einer soliden Finanz-, Währungs- und Börsenpolitik kann keine Rede sein.
Man muß dem Internationalen Währungsfonds an dieser Stelle sehr dankbar sein, daß er seine Unterstützungsleistungen an klare Bedingungen geknüpft hat. Wir hegen die Hoffnung - übrigens im Sinne der mit uns verbündeten Nichtregierungsorganisationen Thailands, wo ich in der letzten Woche war und mit denen wir uns sozusagen gegenseitig beglückwünscht haben, daß dies passiert ist -, daß die Industriestaaten an dieser Stelle hart bleiben.
Sie haben darauf hingewiesen, daß die Krise auch dazu führen kann, daß einige ehrgeizige Projekte, angefangen beim Rüstungssektor und aufgehört bei wahnsinnigen Staudammprojekten, jetzt endlich zurückgestellt werden und daß die Regierung auch durch das Volk auf der Straße in Bangkok gezwungen wird, endlich eine Politik zu verfolgen, die nicht nur zum Nutzen der wenigen Reichen in diesem Land ist, sondern breiteren Bevölkerungsschichten zugute kommt.
Die „Zeit" hat in dieser Woche getitelt, „Die Krise ist gut" . Ich will noch einmal darauf hinweisen, daß die Krise in der Tat gut ist, solange der Internationale Währungsfonds seine Stützungsmaßnahmen nicht dazu benutzt, die risikobehafteten Ausleihungen westlicher Banken beispielsweise in dieser Region abzusichern.
Ich hoffe, es wird nicht das passieren, was nach der Mexikokrise in US-amerikanischen Zeitungen nachzulesen war. Dort war nämlich vielfach die Behauptung zu lesen, die gesamte Rettungsoperation für den mexikanischen Peso hätte im Grunde genommen nicht den Mexikanern genutzt, sondern sehr risikofreudigen US-amerikanischen Anlegern.
Ich hoffe, wir kommen zu Regulierungsmechanismen, Kollege Wolf, die dazu führen, daß die Bevölkerung der betroffenen Länder nicht die Zeche zu bezahlen hat, sondern diejenigen, die leichtfertig weiterhin Geld in diese Ökonomien gepumpt haben, ohne die entsprechenden Fundamentaldaten zu berücksichtigen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, das Schimpfen auf die Spekulanten ist hier vollkommen fehl am Platze. Sie überbringen nur die schlechten Nachrichten, während dieser Krise doch eine schlechte Politik zugrunde liegt. Ich hoffe, daß sich in den betroffenen Ländern die politischen Verhältnisse im Interesse der dortigen Bevölkerung nachhaltig ändern werden.
Ich danke Ihnen.
Herr Kollege Funke, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Dinge haben mich ganz be-
Rainer Funke
sonders gefreut: zum einen, daß sich die Partei der Sozialisten
jetzt immerhin um die Aktionäre kümmert und sich darüber Gedanken macht, wie die Gewinne, die angeblich vorhanden sind,
- zu wahren und zu versteuern sind. Aber Sie haben sich überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, was passiert, wenn auch einmal Verluste entstehen. Werden diese dann aus der Kasse von Herrn Waigel sozusagen sozialisiert? Das kann ja wohl nicht richtig sein. Zu einer Börse gehört nun einmal, daß man Gewinne und Verluste hinzunehmen hat. Deswegen haben wir das Steuerrecht entsprechend ausgestaltet.
Zum anderen habe ich mich darüber gefreut, daß wir im Grunde genommen keine besänftigenden Worte beispielsweise der Bundesregierung benötigen, keine Appelle an die Bevölkerung zur Besonnenheit. Die privaten Aktionäre in unserem Land sind trotz gelegentlich anderslautender Äußerungen keine Spekulanten, sondern sind durchaus reife Anleger geworden.
- Das gehört zur Börse dazu, Herr Fischer. Ich vermute einmal, daß Ihnen ein bißchen Spekulantentum durchaus liegen würde und Sie durchaus bereit wären, an der Börse das eine oder andere Mal etwas zu wagen; davon lebt die Börse im übrigen. Sie stellen damit den Unternehmen Kapital zur Verfügung. Darüber sollten wir uns freuen und dies nicht noch belächeln.
Die deutschen Aktionäre achten stärker als bisher auf fundamentale Unternehmensdaten, auf die Wachstumsaussichten, die stabile Zinsentwicklung und die solide Währungspolitik in unserem Lande. Natürlich ist uns auch wieder einmal vor Augen geführt worden, in welchem Maße die Finanzmärkte bereits internationalisiert sind, wie groß die Medienvernetzung dieser Welt ist und wie Angst oder Euphorie an den Börsen im Takt der Zeitzonen rund um den Erdball gehen. Es ist heute selbstverständlich, daß sich unsere Börsenhändler morgens zunächst die Entwicklungen an der japanischen Börse und an der Börse in Hongkong und abends, bevor sie nach Hause gehen, die letzten Daten von Wall Street ansehen. Auch daraus wird deutlich, wie schnell - sozusagen in Sekundenschnelle - die Börsen reagieren können. Wir leben nicht mehr auf einer Insel, sondern alles ist in der ganzen Welt in der Tat vernetzt.
Unsere Wirtschaft benötigt in dieser Situation Rahmenbedingungen, wie sie sie von unserem Parlament und auch von der Bundesregierung bekommen hat. Hier möchten wir erwähnen, daß die Koalition entscheidende Schritte zur Stärkung unseres Finanzplatzes unternommen hat. Hierzu gehören das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz, das in der Beratung ist, und das Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz - es wird im Rechtsausschuß beraten -, das den international operierenden Großunternehmen die Anpassung ihrer Konzernbilanzen an internationale Standards erlaubt. Es gehört ferner die Stückaktie dazu, die in Amerika selbstverständlich ist und die wir mit dem Euro einführen werden.
Die Rahmenbedingungen, die unsere deutschen Anleger an der Börse vorfinden, sind also in Ordnung. Deswegen hat es auch keine überspitzten Reaktionen gegeben.
- Entschuldigen Sie, Herr Fischer. Sie können ja rechnen: Am Ende des letzten Jahres, am 30. Dezember, war der DAX bei 2 800. Heute ist er bei 3 750. Das sind präterpropter 27 Prozent Gewinn. Darüber kann man sich als Aktionär doch nur freuen.
Da würde ich zusammen mit Herrn Gysi dann eher darüber nachdenken, wie das zu versteuern ist, anstatt sich hier aufzuregen.
Ich bin optimistisch. Im Grunde genommen gibt es nämlich keine Alternative zur Aktie. Deswegen wird es auch in Deutschland stabile Verhältnisse geben.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Hansgeorg Hauser.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben eine Aktuelle Stunde. Deswegen sollte man auch mit aktuellen Daten beginnen. Nach einer Erholung an den asiatischen Märkten eröffnete der DAX heute morgen - wie man börsenfachmännisch so schön sagt - behauptet. Er lag mit 3 750 Punkten immer noch fast 900 Punkte über dem Niveau von Beginn des Jahres 1997, rund 1 490 Punkte über dem Stand von Ende 1995 und rund 2 200 Punkte über dem Stand von Ende 1992.
Ich denke, hier von einer Krise zu sprechen wäre völlig verfehlt. Alle seriösen Marktbeobachter sind sich in ihrer Einschätzung einig, daß es sich um eine Korrektur vorangegangener Höhenflüge handelt. Die volatile Kursentwicklung der letzten Tage ist vor dem Hintergrund des weltweit starken Anstiegs in diesem Jahr zu sehen. Es ist eine Binsenweisheit, daß die Märkte immer wieder Konsolidierungsphasen einlegen. Diese können bei hohem Niveau natürlich abrupter und ausgeprägter ausfallen.
Wie der US-Notenbankpräsident am Mittwoch vor dem US-Kongreß ausführte - hören Sie gut zu, Herr
Parl. Staatssekretär Hansgeorg Hauser
Fischer -, ist gut denkbar, daß wir in wenigen Jahren diese Episode als ein heilsames Ereignis im Hinblick auf die volkswirtschaftlichen Implikationen ansehen.
Die jüngsten volatilen Kursbewegungen in den wichtigen Industrieländern betreffen auch nur die Aktienmärkte. Das ist auch schon richtig gesagt worden. Die übrigen Wertpapiermärkte in diesen Ländern sind ruhig und freundlich. Der Wechselkurs der D-Mark gegenüber dem Dollar ist stabil. Im Europäischen Währungssystem gibt es keine Anzeichen von Spannungen.
Auslöser dieser Kurskorrekturen an den Aktienmärkten war die Währungsentwicklung in Südostasien. Herr Schmitt hat es sehr richtig gesagt: In diesen Ländern besteht ein erheblicher wirtschaftspolitischer Korrekturbedarf. Das rasche Wachstum in diesen Ländern in den vergangenen Jahren hat zwar den wirtschaftlichen Wohlstand erhöht. Zugleich haben sich aber auch Probleme aufgestaut, die jetzt rasch gelöst werden müssen.
Dazu gehören insbesondere die Reform der Finanzsysteme durch den Aufbau effizienter Aufsichtsstrukturen, eine angemessene Wechselkurspolitik und eine Verringerung der Leistungsbilanzdefizite. Die Regierungen haben diese Reformen in enger Zusammenarbeit mit den internationalen Finanzierungsinstituten, insbesondere dem IWF und der Weltbank, in Angriff genommen. Das und das unverändert gute Wachstumspotential in den Ländern Südostasiens werden zur Beruhigung beitragen.
Stärkere Bewegungen an den internationalen Finanzmärkten machen uns immer wieder deutlich, daß der enorme technische Fortschritt im Computerwesen, die weltweite Öffnung der Märkte, die freie Konvertibilität der Währungen und die zunehmende Integration sogenannter Schwellenländer in die Weltwirtschaft zu einem sehr starken Anstieg bei den grenzüberschreitenden Kapitalbewegungen geführt hat. Ein großer Teil dieser Kapitalbewegungen dient der Finanzierung des Welthandels und der Umschichtung von Kapital in die Sektoren und Regionen mit den besten Rentabilitätsaussichten. Aber natürlich kann man die spekulativen Bewegungen nicht ausklammern.
Neu ist auch, daß diese kurz- und langfristigen Kapitalbewegungen in unserem Informationszeitalter sehr viel schneller und wirkungsvoller als früher eine schlechte Wirtschaftspolitik bestrafen, aber auch eine gute Politik durch die Bereitstellung von Kapital belohnen. Diese Tatsachen werden weltweit anerkannt. Auf der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds in Hongkong, die kürzlich stattgefunden hat, bestand jedenfalls großes Einvernehmen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, die Liberalisierung des internationalen Kapitalverkehrs fortzuführen.
Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten aus offenen Finanzierungsmärkten und aus dem Zustrom ausländischen Kapitals großen Nutzen gezogen, insbesondere auch, als es um die Wiedervereinigung und die Finanzierung der Folgekosten des Sozialismus ging.
Bei der Beurteilung der augenblicklichen Entwicklung an den Aktienmärkten muß immer wieder unterstrichen werden, daß die wirtschaftlichen Fundamentaldaten in den USA, in Europa und in Deutschland sehr solide sind. Vor diesem Hintergrund geht die Bundesregierung auch von einer Fortsetzung der günstigen Konjunkturentwicklung in Deutschland aus.
Ich möchte dazu einige Fakten nennen: Die Kapitalmarktzinsen bewegen sich auf einem sehr niedrigen Niveau. Es gibt keine Inflationstendenzen. Das Preisniveau ist praktisch stabil. Vermögenseffekte aus der Kursentwicklung dürften für die Konsumausgaben von relativ geringer Bedeutung sein; das waren auch die Erfahrungen des Jahres 1987. Auf der Wechselkursseite bestehen keine Risiken für die Konjunktur; der Dollar ist angemessen bewertet. Südostasiatische Länder haben für die deutschen Exporteure im Vergleich zu Europa und anderen Regionen keine so große Bedeutung. Was wir ansonsten beklagen, nämlich daß wir unsere Geschäfte dort erst noch intensivieren müssen, führt in diesem Zusammenhang zu beruhigenderen Entwicklungen.
Die deutschen privaten Anleger haben besonnen reagiert. Wie die Kursentwicklung über einen längeren Zeitraum zeigt, war die Aktie längerfristig eine gute Investition. Sie hat sich auch in Deutschland als ein Instrument für eine langfristige Anlage bewährt. Das kann man insbesondere für die ehemaligen Bundesunternehmen sehr deutlich sagen. Auch im Bereich der Telekom und im Bereich der Lufthansa lohnt es sich, langfristige Anlagen zu bedenken und nicht auf kurzfristige Spekulationen zu setzen.
Lassen Sie mich abschließend kurz den Anlagetip von Herrn Bury kommentieren. Herr Bury, Pessimisten, Bedenkenträger, die vor allem warnen und Angst haben, und Reformgegner, die keine Veränderungen wollen, setzen auf die SPD. Das ist richtig. Optimisten, die in unserem Land Veränderungen erreichen wollen, damit der Wohlstand und auch das soziale Gefüge in diesem Land erhalten werden können,
die setzen auf die Regierung Kohl und auf diese Koalition.
Das Wort hat der Kollege Dr. Rössel, PDS.
Herr Präsident! Lieber Kollege Ost, ich möchte Ihnen eindeutig sagen: Die PDS liest nicht nur irgendwelche Blättchen - welche meinen Sie denn? -, sondern sie liest regelmäßig auch „Wall Street Journal" und „Financial Times". Wir kommen darauf noch zurück.
Dr. Uwe-Jens Rössel
Zur Ausgangslage. Die Bundesregierung - den Eindruck haben wir heute gewonnen - versucht offenbar noch immer, den Ernst der Lage herunterzuspielen. So spricht der Bundeswirtschaftsminister in einem Statement von „technischen Bereinigungen" , die sich derzeitig auf den internationalen Finanzmärkten abspielen sollen. Das dürfte sich als eine glatte Fehleinschätzung erweisen. Warum? Die derzeitigen Kursturbulenzen an den internationalen Finanzmärkten mögen vielleicht auch spekulativ begründet sein. Sie haben aber - das ist das eigentliche Problem - ganz tiefe Hintergründe. Es handelt sich um schwere Strukturkrisen in Ostasien, die in Thailand und auf den Philippinen ihren Ausgang genommen haben, die jetzt aber auch in Lateinamerika vorhanden sind, Strukturkrisen, die begründet sind in anhaltend hohen Auslandsschulden, in gravierenden Handels- und Leistungsbilanzdefiziten der betreffenden Länder und teilweise in einer Bindung der jeweiligen Landeswährung an den US-Dollar, wo man sozusagen Äpfel an Birnen anbindet - bei Strukturen in den betreffenden Ländern, die nie und nimmer auch nur annähernd mit den amerikanischen Wirtschaftsverhältnissen vergleichbar sind.
Es gibt weltweit große Sorge, daß, ausgehend von der Krise in Asien, jetzt eine globale Finanz- und Wirtschaftskrise auch den lateinamerikanischen Raum ergreift und daß es damit zu einer Wiederauflage der Mexiko-Krise von 1994/95 mit ähnlichen Erscheinungen und Auswirkungen kommt. Eine Folge war damals: Der US-Dollar fiel innerhalb von einem halben Jahr von 1,75 DM auf 1,36 DM.
Wir wollen nicht hoffen, daß all das wieder eintritt.
Die Politik ist gefragt; Herr Gysi hat das gesagt. Diese Krisen, die sich zum Teil in den Aktienkursbewegungen widerspiegeln, haben nämlich immense Auswirkungen auf die bundesdeutsche sowie auf die Weltwirtschaft überhaupt. Ich komme auf die wichtigste zu sprechen: Die falsche Orientierung der Bundesregierung, alle Karten auf den Export zu setzen, drückt sich bereits in den Arbeitslosenzahlen aus. Sie sind drastisch angestiegen. Diese falsche Orientierung wird aber jetzt durch die Finanz- und Währungskrise wahrscheinlich weitere bittere Pillen erhalten.
Ich habe gerade etwas im „Wall Street Journal" von heute gelesen, was ich hier zitieren möchte: In Europa und in Japan können die Börsen Schwierigkeiten auslösen. Aber in Westeuropa, besonders in Deutschland und Frankreich, werden erhebliche Exportverluste eintreten. Als Zeichen für Europas Verwundbarkeit mag der schwedisch-schweizerische Konzern ABB gelten, mit Fabriken auch in Mannheim und in Hennigsdorf. ABB plant jetzt, vor allem wegen der Krise in Asien, einen Abbau von 10000 Arbeitsplätzen. - Das ist leider kein Einzelbeispiel.
Herr Funke und Herr Hauser, Sie können mir doch nicht erzählen, daß das Dinge sind, die nur mit technischen Bereinigungen zu tun haben. Es sind handfeste wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Auswirkungen, die auf uns zukommen
und die in der Konzeption der Bundesregierung nicht annähernd erfaßt sind.
Ein zweites Problem: Die Banken gewinnen immer, auch wenn die Kurse fallen. Das ist für uns im Bundestag ein Thema. Wir brauchen ein völlig neues Herangehen an die Besteuerung der Bankgewinne.
Es sind doch nicht mehr nur die Aktienkursgewinne zu besteuern. Wir benötigen ebenfalls ein völlig neues Vorgehen bei der Besteuerung von Gewinnen aus Termingeschäften. Auf Grund ihres Differenzcharakters werden Termingeschäfte fast überhaupt nicht besteuert. Hier liegen doch immense Reserven für die Sanierung der öffentlichen Haushalte.
Ein letztes Thema: Die Bundesregierung stimmt in den Chor derer ein, die sagen: „Setzt auf private Altersvorsorge!" , wohl wissend, daß die gesetzliche Rentenversicherung immer mehr ins Schlittern gerät; darüber haben wir heute morgen ausführlich debattiert. Mit dieser Orientierung will sie den Anlegerinnen und Anlegern eine gewisse Sicherheit geben. Diese Sicherheit mag in der Vergangenheit durch die Analysen bestätigt worden sein. Es gibt aber keine Gewähr, daß sich die Aktienentwicklung so fortsetzt, wie sie in der Vergangenheit war.
Ich erinnere daran, daß der japanische Aktienindex Nikkei 225 im Jahre 1990 bei rund 40 000 Punkten lag. Heute liegt er nur noch bei 16 000 Punkten. Das heißt: Das Aktienbarometer ist um 60 Prozent gefallen. Die Anleger beispielsweise, die auf Pensionsfonds in japanischen Aktien gesetzt hatten, haben damit fast 60 Prozent ihrer Einsätze verloren.
Herr Ost, das ist die Wahrheit. Sie können es gern widerlegen. Ihnen fehlen dazu aber die Fakten.
Und Ihnen, Herr Kollege, die Zeit.
Das ist sehr gut formuliert. Vielen Dank.
Die Bundesregierung ist gefordert, diese Entwicklung sehr ernst zu nehmen, nicht im Interesse der Großkapitalanlegerinnen und -anleger, sondern im Interesse von Millionen von Menschen, die die negativen Wirkungen dieser Turbulenzen durch die Arbeitsmarktkonjunktur und anderes mehr zu spüren bekommen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Steiger, CDU/CSU.
Hen Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Dr. Rössel, eines haben wir in diesen Tagen lernen müssen:
Wolfgang Steiger
Die Kommunisten haben in Hongkong kaum das Sagen, schon kracht die Börse runter.
Deshalb sollten wir alle uns darum bemühen, daß dieser Zustand nicht auch noch dieses Land ergreift.
Sie haben eben darüber gesprochen, daß wir uns die Fakten ansehen sollen.
Dazu sollten wir wirklich einmal übergehen.
Die Turbulenzen, denen die amerikanischen und auch die europäischen Wertpapiermärkte ausgesetzt waren, sind in keiner Weise mit dem Börsencrash von 1987 vergleichbar. Dies betrifft sowohl das Ausmaß als auch die Ursachen. So verzeichnete der Dow-Jones-Index am vergangenen Montag mit einem Rückgang von 551 Punkten den historisch größten Kursverlust. Gemessen am Kursniveau aber war er dies bei weitem nicht. Mit mehr als 22 Prozent war der Kurseinbruch von 1987 wesentlich stärker als der am vergangenen Montag.
Entscheidend für die Unterschiede beider Ereignisse sind Anlaß bzw. Ursachen der Kursrückgänge. 1987 waren binnenwirtschaftliche Fehlentwicklungen in den USA wie wirtschaftliche Überhitzungserscheinungen und in deren Folge Zinsanhebungen bei einem völlig überbewerteten Aktienmarkt die Ursache. Verstärkt wurde dieser Einbruch noch durch den von Computern gesteuerten Handel institutioneller Anleger.
Ausschlaggebend aber, Herr Dr. Rössel, für die jüngsten Turbulenzen war der Verlust des Vertrauens in die Wirtschaftspolitik der südostasiatischen Schwellenländer. Das dortige Wachstum basierte auf geliehenem Vertrauen. Diesem Vertrauen wurden die Verantwortlichen nicht gerecht. In der Tat: Kennzeichnend waren zum einen krisenhafte Zuspitzungen im Immobilienmarkt vieler Länder, zum anderen ein dramatischer Verlust - das ist schon gesagt worden - der Wettbewerbsfähigkeit durch die Anbindung der Währungen, insbesondere des HongkongDollars, an den US-Dollar. So gerieten zunächst die Währungsmärkte unter Druck und in deren Folge die Aktienmärkte. Die Börse in Hongkong ist um 33 Prozent eingebrochen.
In Europa und in den USA dürften sich diese Finanzmarktturbulenzen allerdings nur unwesentlich auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken. Es bestehen kaum konjunkturelle Zusammenhänge mit der Situation in Südostasien. Hinzu kommt die solide Grundverfassung beider Wirtschaftsräume, sowohl des europäischen als auch des amerikanischen Wirtschaftsraums. Die Turbulenzen haben überhaupt keine Liquiditätsprobleme verursacht. Die entstandenen Buchverluste halten sich in diesen Räumen in der Tat in Grenzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der DAX liegt zur Zeit um mehr als 25 Prozent über dem Niveau zu Jahresanfang 1997.
Herr Dr. Rössel, ich will Ihnen vielleicht noch einen Punkt mitgeben: Die Volatilität der Börsen wird noch einige Zeit anhalten. Es ist auch ein gewisses Rückschlagpotential zu befürchten, vor allen Dingen ist es nicht auszuschließen. Danach - davon bin ich fest überzeugt - werden sich die guten konjunkturellen Fundamentaldaten - der heutige Stand des DAX ist ein erster Hinweis darauf - wieder durchsetzen.
Bei einer objektiven Situationsbetrachtung können wir das, was schon mehrfach gesagt worden ist, gar nicht oft genug festhalten: daß nämlich die Panikverkäufe der Kleinanleger ausgeblieben sind. Ganz im Gegenteil, nicht zuletzt durch die Erfahrungen, die man in den letzten Tagen machen konnte, und nicht zuletzt durch die politischen Rahmenbedingungen haben die Kleinanleger in der Tat eine erstaunliche Börsenreife bewiesen. Ich bin fest davon überzeugt, daß sie diese Gelassenheit auch dann bewahren werden, wenn in den kommenden Tagen noch weitere Kursschwankungen kommen sollten.
Umgekehrt war sogar zu beobachten, daß eine ganze Reihe von Privatanlegern die niedrigen Kurse dieser Tage dazu genutzt hat, um an der Börse einzusteigen, wohl wissend, daß dies keine Einbahnstraße ist und ein Auf und Ab nicht ausgeschlossen werden kann. Es ist so: Im langfristigen Vergleich - Herr Dr. Rössel, Sie mögen vielleicht in diesen Tagen andere Erfahrungen gemacht haben - zeigt sich, daß die Aktie die Geldanlage mit der besten Rendite für jeden ist, der für sein Alter Vorsorge leisten will.
In Zukunft wird es unser aller große politische Aufgabe sein, die Aktie stärker als bisher zu unterstützen und auch volkswirtschaftlich zu nutzen. Sie ist der Schlüssel zu mehr Risikokapital in Deutschland. Sie ist der Schlüssel zu einer Verbesserung der privaten und der betrieblichen Altersvorsorge. Sie hilft weiter bei einer Fortentwicklung des gut funktionierenden Finanzplatzes Deutschland.
Danke.
Das Wort hat der Kollege Bernd Scheelen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Analyse der Entwicklung der letzten Tage sind wir uns, glaube ich, einig, wenn es darum geht, festzuhalten, daß die Korruption in manchen Staaten Südostasiens einen großen Teil Schuld trägt an dieser Entwicklung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Was hat denn die Bundesregierung getan, das zu verhindern? Ich darf einmal daran erinnern, daß die Zahlung von Bestechungsgeldern immer noch steuerlich abzugsfähig ist. Sie haben Anträge, mit denen wir das ändern wollten, bisher immer abgelehnt. Es wäre ein erster Schritt, mit diesen Verhältnissen aufzuräumen.
Wenn ich die Reden der Kollegen der Koalition Revue passieren lasse, dann habe ich die vielen Be-
Bernd Scheelen
schwichtigungsformeln im Ohr. Das ist zwar in der derzeitigen Situation psychologisch sicherlich richtig, aber sie gehen mir teilweise doch etwas zu weit. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Hauser, sagen Sie, im Grunde sei gar nichts gewesen. Wenn man Berichte in den Zeitungen und den anderen Medien in den letzten Tagen verfolgt hat, weiß man, daß das Wort „Krise" das meistgebrauchte Wort gewesen ist. Also, irgend etwas muß da wohl passiert sein.
Wenn Sie sagen, der Dollar sei stabil, darf ich fragen, ob es Stabilität ist, wenn der Dollarkurs innerhalb von Stunden um 3 Pfennig steigt oder sinkt. So ganz stabil scheinen mir die Verhältnisse im Moment nicht zu sein. Wir müssen uns darum bemühen, sie wieder zu stabilisieren. Darüber sind wir uns sicherlich einig.
Ich darf Ihnen ein Zitat aus der neuesten Ausgabe der „Zeit" verlesen:
Viele Abläufe im Wirtschaftsleben, vor allem im Finanzbereich, verstehen wir nicht bis ins letzte.
Das ist eine Äußerung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. Wenn die Fachleute, die die internationalen Geldströme kontrollieren sollen, ein solches Eingeständnis machen, ist die Frage, ob es nicht doch einen gewissen Handlungsbedarf auch seitens nationaler Regierungen gibt.
Ökonomisch - darüber sind wir uns, glaube ich, auch alle einig - wird man das, was an den Börsen passiert ist, als notwendige Korrektur des überhitzten Aktienmarktes ansehen müssen. Aber ich glaube, die Situation zeigt dreierlei:
Zum einen - das ist schon erwähnt worden; ich will es aber trotzdem noch einmal sagen, weil es einfach eine Tatsache ist - ist es so, daß sich die Finanzmärkte von der realen Wirtschaftsentwicklung völlig abgehoben haben. Ich glaube, es ist viel wichtiger, die Politik in der Bundesrepublik dahin gehend zu gestalten, sich weniger um Shareholder-value zu kümmern als um Arbeitsplätze und Investitionen.
Da macht es auch überhaupt keinen Sinn, wenn die Bundesregierung beispielsweise die Vorschläge zur Senkung der Lohnnebenkosten, die wir als SPD- Fraktion hier eingebracht haben, einfach ablehnt und damit Chancen für mehr Beschäftigung und mehr Wachstum im nächsten Jahr ausschlägt.
Denn die Frage ist doch: Wer baut noch Fabriken, wer investiert noch in Maschinen, in Dienstleistungsbetriebe, ins Handwerk, wenn es sich mehr lohnt, Monopoly zu spielen - was man aus dem Kindergarten kennt; aber dies findet real an den Börsen statt -, als Geld in sinnvolle Dinge zu investieren, die Arbeitsplätze schaffen?
Es hat sich immer gezeigt, daß das Setzen auf die schnelle Mark oft ein böses Erwachen nach sich zieht. Es ist die Frage, ob die Regierung nicht auch in gewisser Weise diese Mentalität gestützt hat. Wenn ich an die aufwendigen Werbekampagnen denke, die zur Einführung der Telekom-Aktien und der Lufthansa-Aktien gelaufen sind, muß ich feststellen, daß sie den Kleinanlegern suggeriert haben, daß das eine absolut sichere Anlage mit garantiert hohen Zugewinnraten sei. Sie haben verschwiegen, daß die Börse eben auch Risiken birgt.
Viele Kleinanleger stehen im Moment vor der Situation, feststellen zu müssen, daß sich die TelekomAktie kurz oberhalb des Ausgabekurses bewegt -
- nein, nein, schauen Sie einmal genau hin, das ist deutlich weniger! - und daß es sich angesichts der Kurssprünge, die wir hatten - der Kurs stand einmal fast 50 Prozent höher als der heutige Kurs -, oft um nur auf dem Papier vorhandene Daten handelt.
- Wir steigen in SPD-Aktien ein, das haben Sie vorhin gehört. Die Bürger werden am 27. September nächsten Jahres schon richtig entscheiden und denen ihre Stimme geben, die eben nicht auf die Hauser-Papiere, sondern auf die SPD-Papiere setzen.
Das wird für Sie am 27. September ein sehr schwarzer Sonntag werden!
Zum Schluß wollte ich, weil meine Redezeit abgelaufen ist, darauf hinweisen, daß die Kleinanleger - das ist auch mehrfach gesagt worden - sehr besonnen reagiert haben. Das ist auch gut so. Trotzdem steht die Regierung unter Handlungszwang. Sie sollten gerade im Hinblick auf die Auswirkungen dieser Krise auf Ihren Haushalt im nächsten Jahr gut überlegen, was Sie tun; denn dieses Schönreden und die Behauptung, es habe keinerlei Auswirkungen auf das Wachstum des nächsten Jahres, halte ich für verfrüht, halte ich auch für psychologisch nicht richtig. Ein guter Hausvater sollte auf schwierige Situationen vorbereitet sein.
Machen Sie Ihre Arbeit, und wenn Sie sie nicht machen, machen wir sie ab 27. September nächsten Jahres für Sie.
Vielen Dank.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Damit sind wir auch am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 12. November 1997, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.