Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet.
Ich komme zunächst zu einer amtlichen Mitteilung. Der gestern abend nach einer interfraktionellen Vereinbarung verschobene Tagesordnungspunkt 11, das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz, soll heute beraten und der Tagesordnungspunkt 5, bank- und wertpapieraufsichtsrechtliche Vorschriften, abgesetzt werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Wir verfahren so.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Berartung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes
- Drucksache 13/7494 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen die Redebeiträge dazu zu Protokoll gegeben werden. Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Rede zu Protokoll gegeben: Editha Limbach, Regina Schmidt-Zadel, Halo Saibold, Dr. Dieter Thomae, Wolfgang Bierstedt und die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl.*) Sind Sie damit einverstanden? - Dann haben wir das so beschlossen.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 13/7494 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe folgenden Tagesordnungspunkt auf:
Vereinbarte Debatte zu den Ergebnissen der neuesten Steuerschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
*) Anlage 2
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theo Waigel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin Ihnen dankbar, daß wir heute, am Freitag vor Pfingsten, über die Ergebnisse der aktuellen Steuerschätzung debattieren können.
Pfingsten ist schließlich das Fest des gegenseitigen Verstehens.
- Warten Sie. Übermorgen kann es soweit sein, aber erst dann, wenn die Debatte so verläuft, daß man auch Ihnen den Heiligen Geist attestieren kann. Sonst ist das zwecklos.
- Sie wollten doch eine Debatte. Wollen Sie jetzt einen Moment zuhören oder nicht?
- Gut. Ich bin Ihnen dankbar. Wir werden es nachher auch so halten.
Fakt ist: Die Steuerschätzung bringt für die öffentlichen Kassen ein Minus von 18 Milliarden DM.
Der Bund ist daran mit 9,1 Milliarden DM beteiligt. Die Wende am Arbeitsmarkt ist noch nicht geschafft.
Mehrausgaben von bis zu 20 Milliarden DM könnten 1997 notwendig sein.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Fakt ist aber auch: Diese Probleme bringen uns nicht aus dem Konzept dessen, was wir für richtig halten und durchsetzen müssen.
Wir haben dafür eine mittelfristig angelegte Strategie und werden auch kurzfristig das Notwendige tun.
Schon seit vielen Jahren verfolgen wir einen mittelfristigen Kurs zur Wachstumsstärkung.
- Sie werden doch nicht bestreiten, daß bei einem Wachstum von 1,4 Prozent im letzten Jahr und heuer voraussichtlich 2,5 Prozent ein Kurs der Wachstumsbeschleunigung vorliegt. Das kann doch niemand bestreiten.
Immer wieder haben wir durch Strukturreformen die Ausgabendynamik im Budget beschränkt.
Die SPD hat unsere Konsolidierungsmaßnahmen immer wieder torpediert und wachstumsstärkende Maßnahmen gebremst oder blockiert.
Sie haben unter anderem die Reform der Arbeitslosenunterstützung erschwert, die Reform der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes immer wieder aufgeschoben
und die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, die wir schon zum 1. Januar 1996 haben wollten und hätten haben können, bis heute blockiert und damit der Wirtschaft und den Kommunen wachstumsstärkende Impulse vorenthalten.
Sie bremsen jetzt bei allen anstehenden Reformvorhaben, bei der Steuerreform und bei der Rentenreform.
Am Mittwoch - ich konnte gestern schon darauf verweisen - hatte ich die Gelegenheit, in Bonn das neue Buch von Professor Hans Apel vorzustellen.
- Es ist doch unglaublich, daß dann, wenn man den Namen eines SPD-Mannes nennt, der vier Jahre Finanzminister und mehrere Jahre Verteidigungsminister war, höhnisches Gelächter auf Ihrer Seite ertönt. Wie gehen Sie eigentlich mit den Leuten um, die für Sie hier eingestanden sind und Politik gemacht haben?
Hans Apel nennt die Strategie der SPD der letzten Jahre beim Namen. Wörtlich schreibt er:
Es darf nicht sein, daß der Bundesrat seine Mehrheit nutzt, um sachkundige Lösungen zu blockieren.
Und weiter:
Wir hatten über lange Jahre unserer Koalition eine Mehrheit der CDU/CSU im Bundesrat.
Während der ganzen Zeit von 1969 bis 1982, als SPD und F.D.P. regierten, gab es eine CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat!
- Hören Sie einmal, was einer Ihrer führenden Politiker über die damalige Zeit sagt:
Erstens war die Lage lange nicht so dramatisch wie heute,
- das ist ganz klar, weil in Ihrer Zeit nicht die Wiedervereinigung Deutschlands stattgefunden hat; sie
fand in der Zeit der CDU/CSU- F.D.P.-Koalition statt -
und zweitens war unser zentraler Gegenspieler der damalige Ministerpräsident Stoltenberg - Helmut Schmidt schätzt ihn bis heute sehr -, und es war stets möglich, Kompromisse zu finden, die auch sachbezogen sind.
So spricht Hans Apel über Gerhard Stoltenberg, über die CDU/CSU und deren Haltung von 1969 bis 1982. Hier liegt der Unterschied zu Ihnen: Sie blokkieren und lassen den Karren an die Wand fahren; wir haben damals konstruktiv und kooperativ mit Ihnen zusammengearbeitet.
Trotz der Blockadehaltung der SPD im Bundesrat haben wir für den Bund Entlastungen auf der Ausgabenseite durchsetzen können: 1994 24 Milliarden DM, 1995 7 Milliarden DM, 1996 19,5 Milliarden DM und 1997 25 Milliarden DM. Wir haben schon im letzten Jahr auf mögliche Risiken bei den Steuereinnahmen und auf dem Arbeitsmarkt hingewiesen. Schon mit dem Jahreswirtschaftsbericht im Januar haben wir einen Teil der jetzt wahrscheinlichen Mindereinnahmen und Mehrausgaben offen dargelegt.
Wie ist die wirtschaftliche Lage? Die konjunkturelle Entwicklung ist positiv, und die Wirtschaftsindikatoren zeigen nach oben. Preisstabilität ist erreicht. Die Zinsen sind historisch günstig. Die Auftragseingänge steigen, auch die Kapazitätsauslastung steigt. Die Ausrüstungsinvestitionen springen an. Die Industrieproduktion legt zu.
Die Lohnstückkosten sinken, und die Lohnsteigerungen sind moderat.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Und unsere Wachstumsprognose für 1997 von 2,5 Prozent liegt im mittleren Bereich der Prognosen.
Meine Damen und Herren, die Versuche, die Arbeit der Steuerschätzer in Frage zu stellen oder uns falsche Vorgaben für die Berechnung der Einnahmenentwicklung vorzuwerfen, sind zum Scheitern verurteilt.
An der Steuerschätzung wirken alle mit, die zu diesem Thema kompetent etwas sagen können. Vor allem sind alle 16 Bundesländer vertreten,
von denen bekanntlich die Mehrzahl im Moment noch SPD-regiert wird.
Den Sachverständigenrat, die Institute und die Bundesbank einer stillen Komplizenschaft mit dem Bundesfinanzminister zu beschuldigen ist eine Unverfrorenheit, die sich gegen diejenigen wendet, die solche Vorwürfe formulieren.
Wie ideologiefrei Steuerschätzungen sind und Steuerschätzer arbeiten, wird übrigens dadurch deutlich, daß die größte relative Schätzabweichung auf dem Höhepunkt sozialdemokratischer Regierungsgewalt im Jahre 1974 mit 4,3 Prozent Minus auftrat.
Ich kann Ihnen deshalb nur dringend raten, die Steuerschätzung aus dem politischen Streit herauszuhalten und als das zu nehmen, was sie tatsächlich ist,
nämlich die bestmögliche Annäherung an eine zukünftige Realität unter Aufbietung allen verfügbaren Sachverstandes.
Die Hauptursachen für die Steuerausfälle sind der Basiseffekt 1996, die erreichte Preisstabilität - ein Erfolg, den doch wohl niemand im Hause in Frage stellen möchte -, die Tatsache, daß die stark anziehenden Exporte umsatzsteuerfrei sind und Steuererstattungen für Verluste der Vorjahre nachwirken. Außerdem wurden die steuerlichen Sonderförderungen intensiv genutzt. Die grenzüberschreitende Steueroptimierung der Industrie nimmt zu. Hinzu kommt die geringere Beschäftigung.
Wenn die Steuerausfälle von 18 Milliarden DM auf eine falsche Wachstumsprognose zurückzuführen wären, dann hätte das Bruttoinlandsprodukt bei einer Steuerquote von etwa 23 Prozent um über 70 Milliarden DM zurückgehen müssen. Tatsächlich betrug der Rückgang aber nur 17,8 Milliarden DM.
Was lehren uns diese Tatsachen? Es zeigt sich: Die angesprungene Konjunktur bringt noch keine Entlastung für die öffentlichen Kassen. Die Beschäftigung hat vom steigenden Wachstum ebenfalls noch nicht profitiert. - Das ist auch nicht überraschend; denn nach der aktuellen Einschätzung des Internationalen Währungsfonds sind 80 Prozent der Arbeitslosigkeit strukturell bedingt. Da liegen die großen Herausf orderungen, und da besteht die Notwendigkeit der Bewältigung, und zwar nicht nur von seiten der Politik, sondern in erster Linie von seiten der Tarifpartner, der Wirtschaft und der Gewerkschaften.
Mit Umverteilung und nachfrageorientierter Politik würden Sie in Zeiten der Globalisierung Schiffbruch erleiden.
Nur eine stabile, nachhaltige und dauerhafte Wachstumsentwicklung führt zu neuen Arbeitsplätzen. Die Senkung der Staatsquote, eine dauerhafte Konsolidierung und angebotsseitige Verbesserungen bleiben in einer globalisierten Wirtschaft der Schlüssel zum Aufschwung.
Damit das Wachstum genügend Schwung entwikkelt und gleichzeitig „arbeitsintensiver" wird, sind Kostenentlastungen und Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt, im System sozialer Sicherheit und bei den Steuern unverzichtbar.
Es ist aberwitzig, wie Oskar Lafontaine aus den Zahlen der Steuerschätzung zu folgern, jetzt sei die Steuerreform gestorben. Gerade das Gegenteil ist richtig. Wir brauchen die Steuerstrukturreform und eine Nettoentlastung, um den Problemen zu begegnen.
Die Ursachen der Steuermindereinnahmen zeigen klar: Unsere Steuerstruktur verschlechtert sich im Standortwettbewerb rapide. Jetzt muß die Steuerstruktur verbessert werden, um die legale und illegale Steuervermeidung einzuschränken. Wir brauchen mehr Transparenz, geringere Steuersätze und weniger Ausnahmen. So regen wir Investitionen am Standort Deutschland an. Nicht Stopp, sondern Vollgas ist das Gebot der Stunde in der Steuerpolitik. Verhandeln Sie endlich mit uns über die Steuerreform! Geben Sie Ihre unsinnigen Vorbehalte gegen die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer auf! Jeder Tag früher ist ein Vorteil für die Arbeitslosen in Deutschland.
Auch die Zahlen der Steuerschätzung bringen die Einhaltung der Maastricht-Kriterien nicht in Gefahr. Wir werden die 3-Prozent-Defizitgrenze nicht überschreiten. Den Zusatzbelastungen stehen auch günstige Entwicklungen an anderer Stelle gegenüber: beim Fonds „Deutsche Einheit", dem Erblastentilgungsfonds, beim Bundeseisenbahnvermögen stehen niedrigere Zinsen zu Buch. Länder und Kommunen sind voll auf den Konsolidierungskurs eingeschwenkt.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Gestern habe ich mit dem Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank über die mit dem Eintritt in die dritte Stufe notwendige Neubewertung der Reserven gesprochen.
Diese Reserven belegen den Erfolg der deutschen Volkswirtschaft in den letzten 50 Jahren. Es ist eine Ersparnis, die wir gegenüber dem Ausland angesammelt haben. Es war unbestritten richtig, daß die Bundesbank in den letzten 50 Jahren mit äußerster Vorsicht bei der Bewertung ihrer Devisen- und Goldreserven vorgegangen ist. Die dadurch stetig wachsenden Bewertungsreserven hatten maßgeblichen Anteil am Ansehen der Deutschen Bundesbank und der deutschen Stabilitätspolitik insgesamt.
Die Neubewertung wird mit der gebotenen Vorsicht angegangen. Die finanzielle Solidität der Bundesbank wird gewahrt. Die Vorsorge für Währungsrisiken und das Volumen der Goldreserven bleiben unangetastet. Keine Unze wird verkauft. Es fließt auch keine Unze zur Finanzierung in den Haushalt.
Ich halte es für wichtig, das mit aller Deutlichkeit und Klarheit zu sagen.
Es ist aber recht und billig, dieses „Erbguthaben" zur Tilgung unserer Erblastschulden zu verwenden.
Das ist kein aktueller Trick, sondern gängige und legitime Praxis. Sonst wären ja schon die bisherigen Sondertilgungen durch den Bundesbankgewinn ein Buchungstrick gewesen. Davon kann gar keine Rede sein.
Es war richtig, daß wir in der Vergangenheit Versuchen prominenter SPD-Vertreter widerstanden haben, den angeblichen Goldschatz durch offene Goldverkäufe zu heben. Ich denke da insbesondere an den früheren Arbeits- und Sozialminister Herbert Ehrenberg, der in regelmäßigen Abständen seit Mitte der 80er Jahre mit solchen Vorschlägen an die Öffentlichkeit getreten ist. Ihm ging es allerdings bei seinen Attacken auf die Bundesbankreserven nicht um die Schuldentilgung, sondern um die Finanzierung von Arbeitsbeschaffungsprogrammen und damit um die Fortsetzung einer in den 70er Jahren eklatant fehlgeschlagenen Beschäftigungspolitik.
Als Berater des früheren SPD-Vorsitzenden Vogel hat Professor Krupp ebenfalls die verstärkte Nutzung der Bundesbankreserven gefordert.
Erst im Januar dieses Jahres hat Kollege Lennartz von der SPD gefordert: „Der deutsche Goldschatz soll Barren für Barren verkauft werden. " Solchen Ratschlägen werden wir nicht folgen.
Darum ist Ihre Kritik an dem, was wir auf Grund der Empfehlung des Europäischen Währungsinstituts vorhaben, völlig unbegründet. Wir werden die Solidität und das Standing der Deutschen Bundesbank, der deutschen Währungspolitik und der deutschen Finanzpolitik voll gewährleisten. Daran wird kein Zweifel aufkommen.
In jedem Fall erfordern die Zusatzbelastungen im Budget durch die Steuermindereinnahmen und durch den Arbeitsmarkt noch 1997 Gegensteuerungsmaßnahmen. Die Notwendigkeit, 1997 zusätzliche Maßnahmen zur Defizitbegrenzung zu erreichen, hat mit mangelnder Ausgabendisziplin in den vergangenen Jahren nicht das geringste zu tun. Entscheidend ist vielmehr, daß die Staatsquote, das Verhältnis aller Staatsausgaben zum Bruttoinlandsprodukt, in diesem und im nächsten Jahr deutlich zurückgeht: von 50,2 Prozent 1996 auf 49,5 Prozent in diesem Jahr und 48,5 Prozent in 1998. Das heißt: Wir machen unser Versprechen wahr und senken die Staatsquote bis zur Jahrtausendwende wieder auf den Stand vor der Wiedervereinigung. Damals waren es rund 46 Prozent.
Der Bundeshaushalt hat an dieser Entwicklung entscheidenden Anteil. Der Bundeshaushalt hat sich mit seinem Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Leistung von knapp 13 Prozent gegenüber dem letzten Jahr vor der Wiedervereinigung unter Einschluß aller einigungsbedingten Ausgaben im Saldo überhaupt nicht erhöht. Wenn man sich vorstellt, daß trotz der gewaltigen Transferleistungen, die jedes Jahr im Bundeshaushalt zu verkraften waren, der Anteil der Bundesausgaben am Bruttoinlandsprodukt heute so hoch ist wie vor der Wiedervereinigung, dann zeigt das die ganze Leistung der Konsolidierung, die in den letzten Jahren stattgefunden hat.
Ich erinnere noch einmal an die durch den Bund übernommenen Sonderlasten, vor allem durch das sozialistische Erbe.
Sie summierten sich 1996 auf 195 Milliarden DM. Das sind 5,5 Punkte des Bruttoinlandsprodukts. Wenn wir diese Aufgaben und diese Herausforderungen nicht zu tragen gehabt hätten, wäre unser Schuldenstand um etwa 15 bis 17 Prozent niedriger und hätten wir mit letzter Sicherheit, genauso wie
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
1989, einen Überschuß im öffentlichen Gesamthaushalt.
Äußerste Sparsamkeit ist auch künftig gefordert. Spezielle Maßnahmen haben wir schon ergriffen. Ich erinnere an den Haushaltsvorbehalt bei Zuweisungen und Zuschüssen. Von den zu vergebenden Zuwendungen müssen 15 Prozent verfügbar bleiben.
- Das kommt; gemach, gemach! Pfingsten kommt und Telekom kommt. Warum sollen wir nicht unseren Freund Manfred Krug nochmals für eine großartige Leistung aktivieren, die bisher schon stattgefunden hat?
Weitere Konsolidierungsschritte, auch gesetzliche Maßnahmen, dürfen kein Tabu sein. Interessant finde ich die Forderung von Herrn Scharping, alle nicht investiven Ausgaben sofort zu stoppen. Das ist ein Wort und geht auch ökonomisch in die richtige Richtung. Nur, Herr Scharping: Dann müssen Sie uns sagen, bei welchen konsumtiven Leistungen, die nur durch Gesetz eingegrenzt werden können, Sie jetzt bereit sind mitzuwirken - im Gegensatz zu den letzten Jahren, als Sie fast alle Maßnahmen, die wir vorgeschlagen haben, spätestens im Bundesrat oder im Vermittlungsausschuß haben scheitern lassen. Das ist die Realität.
Wir wären erneut zu Einspargesetzen bereit. Es macht jedoch keinen Sinn, Gesetzentwürfe, die der Zustimmung des Bundesrats bedürfen, erneut einzubringen, wenn sicher ist, daß die Bundesratsmehrheit diese Entwürfe erneut ablehnt. Wir prüfen sorgfältig, welche gesetzlichen Einsparmaßnahmen von der SPD-Mehrheit im Bundesrat nicht zu Fall gebracht werden können.
Wir werden zur Entlastung der Einnahmeseite und zur Vermeidung von Steuererhöhungen auch verstärkt auf das Instrument der Privatisierung zurückgreifen. Wenn der Rückzug des Staates aus dem privaten Wettbewerb ordnungspolitisch richtig ist, dann kann er haushaltspolitisch nicht falsch sein. Wenn Kreditaufnahme und Schuldenstand Maßstab der finanzpolitischen Solidität sind, dann muß auch die Nutzung der Vermögenswerte staatlicher Beteiligungen zulässig sein.
Wir haben seit 1982 große Anstrengungen unternommen, um den öffentlichen Beteiligungsbesitz privatisierungsfähig zu machen. Das hat sich ausgezahlt, zum Beispiel bei Betrieben wie der Salzgitter AG, die viele für unverkäuflich hielten, die aber mit großem Ertrag veräußert wurde.
Es ist nur recht und billig, wenn wir heute den Nutzen aus diesen Privatisierungsanstrengungen im Bereich der Telekom und anderswo ziehen. Die erfreuliche Geschäftsentwicklung bei der Telekom rechtfertigt es, den Bundesanteil schneller als zunächst geplant zurückzuführen.
Das Beispiel der Lufthansa-Privatisierung zeigt, daß der Rückzug des Staates für die Unternehmen und damit auch für die Aktionäre reiche Früchte trägt.
Bei dem weiteren Verkauf von Telekom-Aktien werden wir die Rahmenbedingungen selbstverständlich einhalten und vor allem die Interessen der Kleinaktionäre umfassend berücksichtigen.
- Selbstverständlich werden wir nur in engster Abstimmung mit dem Telekom-Vorstand entscheiden und die Voraussetzungen am Kapitalmarkt genauestens prüfen. Aber, meine Damen und Herren, es steht doch nirgendwo geschrieben, daß der Bund auf die Dauer mehr als 70 Prozent Anteil bei der Telekom halten muß; ganz sicher nicht.
Ich bin entschlossen, mit der Privatisierung öffentlicher Betriebe in allen Wettbewerbsbereichen konsequent voranzugehen. Nach dem erfolgreichen Verkauf der Deutschbau vor wenigen Wochen steht ein erster Schritt bei dem Verkauf der Postbank auf der Tagesordnung.
Weitere Projekte auf der Privatisierungsliste sind die Autobahn Tank und Rast AG, die Frankfurter Siedlungsgesellschaft, die Deutsche Eisenbahn-Wohnungsgesellschaft, die Flughafenbeteiligungen in Hamburg, Köln/Bonn und Frankfurt am Main, die Deutsche Entwicklungsgesellschaft in Köln. Auf mittlere Sicht wird auch die Deutsche Post AG genug Ertragskraft gewinnen, um sich als attraktives Börsenangebot etablieren zu können.
Auch im Liegenschaftsbereich wollen wir die Verkaufsanstrengungen noch 1997 erweitern und verstärken. So ist beispielsweise die Abgabe der Bundeswohnungen auf die Tagesordnung zu setzen.
Meine Damen und Herren, der Bundespräsident hat uns dazu aufgefordert, mit gegenseitigen Schuldzuweisungen aufzuhören und endlich mit dem notwendigen Aufbruch in Deutschland zu beginnen.
Zu einem Kompromiß gehören aber immer beide Seiten. Es kann keinen Kompromiß allein zu den Bedingungen einer Seite geben. Wir sind schon mehrfach auf Sie zugegangen: bei den Steuern und bei den Renten.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Sie haben die Gespräche abgebrochen. Sie haben ständig neue Zusammenhänge hergestellt und neue Bedingungen gestellt. Sie wollten aussteigen, weil Sie bis jetzt nicht bereit waren, Verantwortung zu tragen.
Das ist die Wahrheit, das ist die Konsequenz dessen, was in den letzten Monaten passiert ist.
Es wäre im Interesse aller Arbeitslosen, wenn Sie bei den wichtigen Reformprojekten endlich zu einem fairen Kompromiß bereit wären. Ich glaube, wir könnten in wenigen Tagen auf der ganzen Linie einen Durchbruch schaffen.
Leider gibt es in Ihren Reihen noch zu viele, denen es nur darum geht, zu polarisieren und den Karren möglichst vor die Wand zu fahren.
Dabei gibt es gar keine Alternative. Nicht irgendwelche Chefstrategen oder Chefideologen, sondern diejenigen, die das Wohl des deutschen Volkes mehren, werden schließlich die Gewinner sein.
Meine Damen und Herren, ich wünsche uns allen ein gutes Pfingsten und hoffe, daß der Geist der Erleuchtung auch über die Opposition kommt.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Ingrid Matthäus-Maier.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesrepublik Deutschland steht heute vor einem öffentlichen Finanzchaos ohnegleichen.
Acht Jahre Finanzminister Theo Waigel - das sind acht Jahre Finanzschrecken für die Bürger.
Das können Sie auch mit noch so lauten Reden nicht übertönen. Sie haben gerade in Ihrer Rede Kritik an Ihrer Politik als Unverfrorenheit zurückgewiesen. Ich sage: Wer ein solches Finanzchaos nach dem Motto „Augen zu und durch! " mit so viel Unverfrorenheit verteidigt und beschönigt, der hat schlechte Karten.
Kein Wort zu einem Nachtragshaushalt, kein Wort zu
konkreten Zahlen, kein Wort dazu, was Sie wirklich
tun wollen. Dies ist wirklich eine Verhohnepipelung
des Parlaments; das würde sich nicht einmal die Bundespressekonferenz gefallen lassen.
Dann will ich Ihnen die Zahlen der neuesten Steuerschätzung sagen: 1997 fehlen 18 Milliarden DM; 1998 fehlen 32, 1999 32, 2000- immer zusätzlich -37 Milliarden DM. Das sind in vier Jahren neue, zusätzliche Haushaltslöcher in Höhe von 119 Milliarden DM, davon knapp die Hälfte beim Bund. Beim Bund kommt noch das hinzu, was Sie zur Bewältigung der enorm hohen, der viel zu hohen Arbeitslosigkeit ausgeben müssen.
Nein, meine Damen und Herren, sagen Sie nicht, dieser finanzpolitische Abgrund habe sich überraschend aufgetan. Man hat Sie immer wieder gewarnt - die Bürger, die Wissenschaft, die Wirtschaft und auch wir von der SPD. Können Sie sich noch an das letzte Jahr erinnern? - Angekündigt haben Sie eine Neuverschuldung in Höhe von 59 Milliarden DM. Wir haben gesagt: Alles Unsinn! - Geworden sind es über 78 Milliarden DM. Sie wollen die Haushaltslöcher nicht wahrnehmen. Sie haben uns immer mit Häme überzogen und haben von „Kassandra" und „Horrorzahlen" gesprochen. Leider war die Waigelsche Wirklichkeit immer sehr viel schlimmer als die von uns vorhergesagten angeblichen Horrorzahlen.
Nur zwei Zitate aus Ihren letzten Haushaltsreden. Da sagt doch der Herr Waigel:
Wenn die SPD aber schon wieder mit der alten stereotypen Leier „Haushaltslöcher" kommt, kann ich nur sagen:
- so Waigel -
Diese Mär kommt so sicher wie Ebbe und Flut.
Das ist keine Mär, meine Damen und Herren, das ist die Wirklichkeit. Was so sicher ist wie Ebbe und Flut, sind zusätzliche falsche Zahlen und Haushaltslöcher von Herrn Waigel.
Oder ein anderes Zitat von Herrn Waigel; es ist gar nicht so alt. In einer Haushaltsrede hat er gesagt:
Was haben Sie in den letzten Jahren nicht alles für „Löcher" beschworen
- das sagte er an die Adresse der SPD -
und sind selber hineingefallen!
Wir hineingefallen? Der einzige, der in einem riesigen Haushaltsloch sitzt und verzweifelt versucht, herauszukommen, ist dieser Finanzminister.
Ingrid Matthäus-Maier
Acht Jahre Finanzminister Waigel - die Bilanz ist verheerend; denn ein Minusrekord jagt den anderen.
Sie sind der Finanzminister der Steuerlügen. An die große Steuerlüge im Jahre 1990 bei der deutschen Einheit erinnern wir uns alle, an die vom letzten Jahr auch. Da wurde die Absenkung des Solidaritätszuschlags versprochen, damit die F.D.P. über die Landtagswahlen kam. Danach wurde sie zurückgenommen.
Ich verweise auf die neuen, unhaltbaren Steuersenkungsversprechen, mit denen Sie die nächste Steuerlüge anlegen.
Sie ziehen in diesen Tagen durchs Land und versprechen Steuersenkungen in Höhe von über 30 Milliarden DM. Im Gesetz stehen sogar Steuerausfälle in Höhe von über 57 Milliarden DM pro Jahr - alles neue Haushaltslöcher, meine Damen und Herren. Wo soll denn das Geld herkommen? Selbstverständlich würden auch wir gern den Solidaritätszuschlag abschaffen, aber sollen die Haushaltslöcher denn noch viel größer werden? Sollen wir alle in Ihrem Schuh densumpf versinken? Nein, alles Lug und Trug!
Wenn der Bundesrat diese Ihre neuesten Vor-
Schläge abgelehnt hat, dann ist das nicht Blockade, sondern verantwortliches Wahrnehmen dessen, was in diesem Lande nötig ist, um uns vor Ihrem Schuldensumpf zu bewahren.
Sie sind der Finanzminister der höchsten Steuer- und Abgabenbelastungen, die es je gab. Von jeder hinzuverdienten Mark geht über die Hälfte für Steuern und Sozialabgaben drauf. Durch Ihre Finanzpolitik werden aus nominalen Lohnsteigerungen reale Einkommensverluste, und das darf nicht so weitergehen.
Sie sind der Finanzminister, der Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe zuläßt.
Jedermann weiß doch: Wenn Sie durch eine kleine Änderung der Abgabenordnung auch bei den Kreditinstituten Stichproben zuließen, dann gäbe es nicht diese massive Steuerflucht nach Luxemburg. Sie sind doch dafür verantwortlich, daß immer mehr ehrliche Steuerzahler das Gefühl haben, sie seien die
Dummen. Sehen Sie denn nicht die verheerende Wirkung Ihrer Steuerpolitik auf die Steuermoral?
Sie sind der Finanzminister der verfassungswidrigen Steuergesetze: verfassungswidrige Zinsbesteuerung, verfassungswidriger Grundfreibetrag, verfassungswidriger Kinderfreibetrag, verfassungswidriges Kindergeld - zu niedrig -, verfassungswidrige Einheitswerte und verfassungswidriger Kohlepfennig. Wollen Sie denn immer erst dann tätig werden, wenn das Verfassungsgericht in Karlsruhe Sie zum Handeln zwingt?
Sie sind der Finanzminister, der unser Steuerrecht heillos verwüstet hat. Jedes Jahr ein noch dickeres Steueränderungsgesetz und eine noch spätere Verabschiedung, so daß die Finanzverwaltung gar nicht nachkommen kann. Im Steuerchaos kann keiner mehr zurechtkommen, der sich nicht teure und findige Berater leisten kann. Die Anhörung im Finanzausschuß vor zwei Tagen hat ergeben, daß Ihre neuen Vorschläge zum Steuerrecht nicht, wie Sie vorgeben, die Steuer vereinfachen, sondern weiter verkomplizieren. Ich frage Sie: Wie lange wollen Sie die Geduld der Bürger noch strapazieren?
Sie sind der Finanzminister der öffentlichen Schuldenberge: über 2 Billionen DM Staatsschulden, davon 1,4 Billionen beim Bund. Das sind 1400 Milliarden DM Bundesschulden. Natürlich durfte man für die deutsche Einheit höhere Schulden machen, aber das durfte doch kein Freibrief für eine solch maßlose Schuldenmacherei sein, wie Sie sie betrieben haben.
Sie sind der Finanzminister der drückenden Zinsbelastungen. Die durch Ihre Schuldenberge verursachten Zinslasten rauben der Politik immer mehr Handlungsspielraum. 27 Prozent der Steuereinnahmen des Bundes gehen allein für die Zahlung der Zinsen drauf. Die Ausgaben des Bundes für Zinsen betragen mit 90 Milliarden DM im Jahr mittlerweile rund das Siebzigfache der Ausgaben des Umweltetats des Bundes mit 1,3 Milliarden DM. Dieses Beispiel zeigt: Sie haben den Bundeshaushalt in eine Zinsfalle geführt und belasten die nachfolgenden Generationen in nicht verantwortbarer Weise.
Sie sind der Finanzminister der Umverteilung von unten nach oben. Wenn Sie es uns nicht glauben wollen, dann hören Sie doch wenigstens auf die Kirchen in Deutschland, die erneut beklagen, daß die
Ingrid Matthäus-Maier
Armut in diesem Lande zunimmt, und feststellen, daß gleichzeitig auch der Reichtum zunimmt. Sie sprechen so gerne von symmetrischer Finanzpolitik. Ich habe jetzt verstanden, was symmetrische Finanzpolitik bei Ihnen ist: Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose belasten und Vermögende durch Abschaffung der Vermögensteuer entlasten. Eine solche Symmetrie lehnen wir allerdings ab.
Wie ein Ertrinkender greifen Sie jetzt nach jedem Strohhalm, um aus den Haushaltslöchern herauszukommen. Die Geschichte mit dem Tafelsilber, nämlich den Verkauf der Telekom-Aktien, haben Sie hier nicht überzeugend widerlegt. Wenn Sie uns nicht glauben, lese ich einmal aus dem „Handelsblatt" vor. Da heißt es:
... man kann doch nicht einfach aus lauter Geldnot seine Versprechen brechen.
- Sie meinen, das tut er? Da haben Sie allerdings recht. -
Im Börsenprospekt
- bei der Einführung der Telekom-Aktien -
steht klipp und klar: „Der Verkauf der Aktien des Bundes bis zum 31. Dezember 1999 ist grundsätzlich untersagt. "
Dann geht der Kommentar im „Handelsblatt" weiter:
Die Folgen wären schrecklich. Das in den letzten Jahren mühsam aufgebaute Vertrauen in den Kapitalmarkt Deutschland wäre zerstört. ... Auch die Aktienkultur in Deutschland erlitte einen Rückschlag, von dem sie sich nur schwer erholen könnte.
Wie können Sie den Kleinaktionären, von denen viele zum erstenmal im Leben eine Aktie gekauft haben, diesen Ihren Wortbruch erklären?
Da Ihnen das mittlerweile unangenehm wird, denken Sie über Schleichwege nach, wie Sie an das Geld kommen können. Zum Beispiel denken Sie daran, die Aktien irgendwo zu parken. Ich sage Ihnen: Sie werden den Vertrauenseinbruch, der schon jetzt bei den Kleinaktionären eingetreten ist, nicht wiedergutmachen können.
Nach dem Tafelsilber geht es jetzt an den Goldschatz der Bundesbank.
Nein, verkaufen wollen Sie das Gold der Bundesbank nicht.
- Noch nicht. - Sie wollen es nur höher bewerten. Da sagt das „Handelsblatt": „Taschenspielertrick„, da sagt die „Stuttgarter Zeitung" : „Buchhaltertrick".
Dann fährt die „Stuttgarter Zeitung" fort:
Ein lockerer Pinselstrich, und aus roten Zahlen werden schwarze! Genial? Nein, einfach nur trickreich, und leider gar nicht ehrlich.
Das ist nicht solide Finanzpolitik, das ist „Bilanzpersil" , was wir nicht hinnehmen werden!
Haben Sie denn nicht die internationale Wirkung beachtet? Schauen Sie doch heute einmal in die internationalen Zeitungen, etwa in die „International Herald Tribune". Da sagen die Finanzminister, denen Sie immer kreative Buchführung vorgeworfen haben, daß dies doch wohl fiskalische Tricks seien, Gimmicks, also kreative Buchführung. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Wirkung im Ausland ist verheerend.
Was das Inland angeht: Man stelle sich einmal vor, ein sozialdemokratischer Finanzminister wäre auf die Idee gekommen, an die Goldreserven der Bundesbank heranzugehen! Da wäre diese Regierung vor Abscheu und Entsetzen aus dem 29. Stock des Langen Eugen gesprungen.
Ein Finanzminister mit so vielen Minusrekorden hätte normalerweise längst seinen Abschied nehmen müssen.
Läge dem Herrn Bundeskanzler am Wohl der Lage der Finanzen dieses Landes, dann hätte er Herrn Waigel schon längst den Kabinettstuhl vor die Tür gestellt; denn, Herr Bundeskanzler, die Minusrekorde von Herrn Waigel sind auch Ihre Minusrekorde.
Da das jeder von Ihnen weiß - und in den Gängen hinter vorgehaltener Hand auch sagt -, und da Sie, Herr Bundeskanzler, das auch wissen, fragt man sich: Warum werfen Sie Herrn Waigel nicht endlich aus dem Kabinett? Es gibt nur einen Grund: Sie brauchen ihn als CSU-Vorsitzenden zum Koalitionserhalt. Diese Koalition ist materiell am Ende, aber aus parteitaktischem Kalkül klammern Sie sich aneinander:
Ingrid Matthäus-Maier
Waigel hat Stoiber im Nacken, Kinkel und Waigel klammern sich aneinander, Kinkel muß sich seiner Parteifreunde Gerhardt, Westerwelle und Möllemann erwehren, und Bundeskanzler Kohl kann ohne Kinkel und Waigel seine Koffer packen.
Wir fordern Sie auf, Herr Bundeskanzler - gestern hat es Rudolf Scharping begründet -: Entlassen Sie endlich diesen Finanzminister! Die Staatsfinanzen dieses Landes können nicht länger von diesem Mann verwaltet werden.
Lassen Sie dann einen anderen einen Nachtragshaushalt vorlegen - mit ehrlichen Zahlen, mit Maßnahmen, die endlich die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Denn da liegt der Kern unseres Problems: Nicht der Sozialstaat ist zu teuer, die Arbeitslosigkeit ist zu teuer. 100 000 Arbeitslose kosten 4 Milliarden DM.
Unsere Vorschläge, die Vorschläge der SPD liegen auf dem Tisch,
zum Beispiel Verschärfung und Überwachung des Entsendegesetzes.
Bis heute, meine Damen und Herren, regen Sie sich beim Stichwort Entsendegesetz auf. Bis heute haben Sie nicht verhindert, daß auf deutschen Baustellen Portugiesen und Briten für 5 DM Dumpinglohn arbeiten. Hätten Sie das getan, dann hätten wir auch nicht länger deutsche Arbeitslose im Baugewerbe.
Unsere weiteren Vorschläge sind: Lohnnebenkosten runter im Rahmen einer ökologischen Steuerreform, Senkung der gewerblichen Steuersätze bei gleichzeitiger Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, ein 100 000-Dächer-Solarenergieprogramm, eine Steuerreform mit Entlastung der Familien und der Durchschnittsverdiener bei solider Gegenfinanzierung.
- Meine Damen und Herren, es gibt Leute, die fragen mich und schreiben mir, warum ich manchmal etwas lauter werde. Wenn die Leute wüßten, wie Sie immer herumschreien, dann würden die das verstehen.
Weiter schlagen wir vor: eine Teilzeitinitiative, eine Initiative zum Abbau von Überstunden, Umschichtungen im Bundeshaushalt zugunsten einer innovativen Forschungs- und Technologiepolitik, aktive Arbeitsmarktpolitik, überbetrieblichen Finanzausgleich für die Schaffung von mehr Lehrstellen.
All dies haben Sie abgelehnt, obwohl wir die Gesetzesvorschläge im Bundestag eingebracht haben. Sie sind die Koalition der Neinsager.
Sie sind die Koalition des Stillstandes. Sie sind eine Koalition auf Abruf, meine Damen und Herren.
Als nächster spricht der Abgeordnete Oswald Metzger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Theo Waigel sprach von Pfingsten als Fest der Erleuchtung. Wo war die Erleuchtung, Herr Finanzminister, im Jahr 1995 und im Jahr 1996 bei den Haushaltsberatungen, als die Opposition dieses Hauses genau die Zahlen prophezeit hat, die mit jeder Steuerschätzung auf den Tisch kamen und die Ihnen Haushaltsabschlüsse bescherten, die für alle staatlichen Haushalte dieser Republik eine Katastrophe darstellten?
Sie sind doch der Schönrechner, der in den vergangenen Jahren die Fakten geleugnet hat. Heute stellen Sie sich hin und tun so, als ob Sie „business as usual" machen. Aber schauen Sie sich doch diese Woche an! Zu Wochenbeginn, als der Arbeitskreis Steuerschätzung in Schwerin zusammentrat, hätte das BMF längst wissen müssen, welche Zahlen herauskommen. Tag für Tag haben Sie sich in Ihrem Haus in hektischen Aktionismus gestürzt, haben gestern den Kanossagang nach Frankfurt zum Zentralbankrat angetreten und dort Bilanzbuchungstricks bei der Bundesbank gefleht, um das Defizitkriterium 1997 zu erreichen. Ist das solide Finanzpolitik in der größten Volkswirtschaft der Europäischen Union?
Sie sagen heute als Finanzminister: Wir können trotz der immensen Vorbelastung unserer Haushalte eine weitere Nettoentlastung durch eine große Einkommensteuerreform versprechen - ungeachtet der Tatsache, daß die gestrige Steuerschätzung eine volkswirtschaftliche Steuerquote von nur noch 22 Prozent unterstellt, weit unterhalb der Mittelfeldlinie unserer Konkurrenzvolkswirtschaften. Bitte schön, welche Nettoentlastung wollen Sie denn angesichts der
Oswald Metzger
Strukturdefizite der öffentlichen Haushalte der Bevölkerung überhaupt noch versprechen?
Oder rechnen Sie damit, daß die Bevölkerung praktisch weiß, daß diese Regierung mit der einen Hand nimmt, was sie mit der anderen geben will oder zu geben vorgibt?
Sie haben meines Erachtens nur noch die Chance, der Öffentlichkeit klaren Wein einzuschenken, zum Beispiel dadurch, daß Sie einen Nachtragshaushalt vorlegen und die Defizite, die Sie gestern zunächst vor der Bundespressekonferenz - statt hier im Deutschen Bundestag - bekanntgegeben haben, im Haushalt 1997 decken: Mehrkosten für die Arbeitslosigkeit von bis zu 20 Milliarden DM plus Steuerausfälle von 9 Milliarden DM. Das macht zusammen 30 Milliarden DM. Sagen Sie doch heute diesem Hause, ob nach dem F.D.P.-Bundesparteitag am übernächsten Wochenende nicht doch eine Verbrauchsteuererhöhung zur Gegenfinanzierung des Haushalts 1997 ansteht, weil Sie trotz aller Tricks die Lösung der Haushaltsprobleme nicht in den Griff bekommen.
Denken Sie bitte bei aller Diskussion um die Haushaltslage daran, daß Sie viel Bonität und Vertrauen dieser Republik dadurch verspielen, daß Sie die „Operation Goldschatz" auf den Weg bringen. Das „Handelsblatt" tituliert Sie heute zu Recht als „Flickschusterminister", der sich quasi von einem Haushaltsloch zum anderen hangelt, dem jede finanzpolitische Linie und jedes Grundkonzept fehlt, um überhaupt die Strukturkrise der öffentlichen Haushalte in dieser Republik zu regulieren.
Herr Waigel, ich bin mit Worten bisher nie über das Ziel hinausgeschossen. Ich bin Haushälter und bemühe mich in der Regel darum, reelle und seriöse Aussagen zu machen. Aber ich sage Ihnen eines: Ein Finanzminister der Grünen, der SPD oder jeder anderen Partei - also jeder außerhalb der gegenwärtigen Konstellation - wäre längst weg vom Fenster, wenn er mit Ihrem Maßnahmentableau auf die Bühne getreten wäre.
In diesem Sinn: Gehen Sie an Pfingsten in sich!
Als nächsten Redner rufe ich den Kollegen Dr. Wolfgang Gerhardt auf.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den Niederlanden findet gegenwärtig ebenso wie hier ein heftiger Streit über die Haushaltslage statt, aber dort um die Verteilung von 3 Milliarden an Steuermehreinnahmen. Der niederländische Ministerpräsident hat dazu erklärt:
Steuererleichterungen sind unsere Formel für Beschäftigungszuwachs. Er ist Sozialdemokrat; er spricht der F.D.P. aus dem Herzen.
Er hat diese Politik vertreten, er hat sie eingeleitet und überlegt mit seiner Regierung jetzt weitere Steuerentlastungsschritte.
Was lernen wir daraus? Hohe Steuern sind kein Beleg für stabile Haushalte. Geringe Steuern sind die Chance für Beschäftigung und solide Haushalte.
Deshalb führt kein Weg daran vorbei, auch in dieser schwierigen Lage: Es gibt keine Alternative zu dem großen Steuerreformvorhaben der Koalition. Wenn es je eine so zwingende Begründung dafür gegeben hat, dann die jetzige schwierige Lage.
Wir müssen das Tempo beschleunigen. Wir müssen schneller voranschreiten. Wir dürfen nicht innehalten. Wir müssen das auch gegen Widerstände durchsetzen.
Es ist schlicht wahr, daß die Steuerschätzung, die die Opposition in ihrem Datenmaterial allein auf die rechte Seite des Hauses abladen will, in den Zahlen eine beredte Sprache spricht, auch für die Kraft anderer Parteien in Deutschland: Es ist eine Steuerschätzung für jede politische Ebene, für alle politisch Beteiligten. Wenn wir daraus eines klar sehen, ist es dies: Sie zeigt uns, daß die Gesellschaft, die Politik egal, in welchem politischen Lager noch nicht die notwendige Kraft entfaltet hat, die bestehende Lage zu verbessern, und daß sich die Steuerschätzung nicht in Vorwürfe an die Regierung und in Versuchen der Opposition, sich reinzuwaschen, teilen läßt.
Die Steuerschätzung zeigt eindeutig, daß wir in diesem Land eine Reform der sozialen Sicherungssysteme brauchen. Der Sachverständigenrat empfiehlt sie; in jeder Fachpresse kann man es nachlesen. Es ist nicht die Schuld von CDU, CSU und F.D.P., daß wir diese Reform noch nicht haben, sondern dies liegt an der Blockade der Sozialdemokratischen Partei.
Herr Gerhardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hendricks? - Nein.
Jeder weiß, daß sich in Deutschland Umverteilungspolitik über Produktivität hinaus bewegt hat. Spricht man es offen an, wird man zum Feind der Menschen erklärt, weil die Sozialdemokraten Rechenaufgaben nur unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit zulassen. Sie wissen, daß der Wettbewerb in Deutschland stranguliert ist, daß der deutsche Arbeitsmarkt der am dichtesten regulierte in der Welt ist. Fängt man nur in wenigen Sätzen an, zu appellieren, ob man den Arbeits-
Dr. Wollgang Gerhardt
markt nicht flexibilisieren könne, wird man sofort in Acht und Bann gesetzt, als beantrage man einen Anschlag auf die Tarifautonomie. Eine solche Flexibilisierung ist aber bitter notwendig.
Die Höhe der Steuer- und Abgabenlast - das kann auch der Vorsitzende der SPD nicht bestreiten - hat jede Leistungsbereitschaft in Deutschland beschädigt.
In den Gesprächen mit der Koalition war er aber nicht bereit, eine deutliche direkte Steuersenkung mit uns zu vereinbaren. Er hat sich nur zu dem Vorschlag durchgerungen, den Körperschaftsteuersatz auf 35 Prozent festzulegen. Er schafft in dieser Situation keinen Durchbruch für Beschäftigung, weil er ideologischer Gefangener sozialdemokratischer Vorstellungen geblieben ist.
Damit wird kein Beitrag zur Beschäftigung in Deutschland geleistet.
Sie wissen, Herr Fischer - eigentlich müßte ich das von Ihnen erwarten können -, daß Staatstätigkeit private Initiative erstickt.
Sie wissen so gut wie ich, daß wir immense Privatisierungspotentiale auf Bundesebene, aber insbesondere auch auf Landesebene und auf kommunaler Ebene haben.
Warum sind die sich ansonsten so modern gebärdenden Grünen nicht in der Lage, in ihren Verantwortungsbereichen in den Ländern Privatisierung voranzubringen und Beschäftigung anzuregen? Sie erledigen alles über den staatlichen Bereich.
Der Sachverständigenrat hat zusammen mit sechs wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten allen gesagt, daß die Finanzpolitik für 1997 und für die folgenden Jahre bei der beschriebenen Ausgangslage weiterhin vor der Doppelaufgabe stehe,
zum einen die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte fortzusetzen, zum anderen aber auch eine Senkung der nach wie vor hohen Steuer- und Abgabenlast herbeizuführen, um dadurch Wachstum und Beschäftigung anzuregen. Es ist und bleibt das Ziel der F.D.P.,
alle Anstrengungen zu unternehmen, um Haushaltskonsolidierung und stabile Haushalte ohne Steuererhöhungen zu erreichen,
die der Sachverständigenrat in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation in jedem Fall als fehl am Platze bezeichnet.
Wir haben in der Koalition die Haushaltskonsolidierung des laufenden Haushalts ohne Steuererhöhungen vereinbart. Wir wissen, daß wir in der Koalition über den 98er Haushalt ringen müssen. Sie werden uns dann bewerten können, wenn der Finanzminister den 98er Haushalt vorlegt.
Deshalb sage ich unumwunden: Es stehen noch schwierige gemeinsame Entscheidungen zum 98er Haushalt bevor. Wir müssen sie verantwortbar gestalten. Wir müssen sie aber ökonomisch vernünftig durchstehen und dürfen nicht kontraproduktive Entscheidungen für Beschäftigung in Deutschland treffen. Das ist unser Ziel; das muß vor der Sommerpause erreicht werden.
Die wirtschaftliche und soziale Lage in Deutschland
unterscheidet sich hinsichtlich der Fähigkeit der politischen Lager, sie zu verändern, eminent von der Situation vieler Länder, die darauf schon reagiert haben. In keinem dieser Länder hat es eine politische Gruppierung gegeben, die vergleichsweise so modernisierungsverweigernd war wie die Opposition im Deutschen Bundestag.
Es gibt keine politische Gruppierung in Neuseeland, in den Niederlanden, in den skandinavischen Ländern, die eine ähnliche Verweigerungshaltung betrieben hat, bei ganz normalen Wirklichkeiten, in die die Gesellschaften gekommen sind.
Es gibt in den Niederlanden eine bestaunenswerte Haltung der dortigen Gewerkschaften. Es gibt eine überraschend fortschrittliche Bewegung in den sozialdemokratischen Parteien.
Dr. Wolfgang Gerhardt
In der Nachbarrepublik Österreich war für uns eine bemerkenswerte steuerpolitische Klugheit der dortigen sozialistischen Partei feststellbar.
Es ist ein Restbestand eines unveränderbaren, aber von ökonomischen Kenntnissen nicht geprägten Glaubensbekenntnisses allein der Sozialdemokratie in Deutschland, daß der Arbeitsmarkt weiter reguliert werden sollte, die Steuerhöhe weiter so bleiben sollte und die sozialen Sicherungssysteme besser nicht reformiert werden sollten. Wenn Sie so etwas sagen, dann werfen Sie der Regierung doch nicht die 4 Millionen Arbeitslosen vor! An denen haben Sie Anteil, wenn Sie weiter diese Blockade in der Bundesrepublik Deutschland machen.
Wir haben die Reformpolitik mit kleinen Schritten begonnen.
Wir haben auch Rückschläge in Kauf genommen. Wir werden im Bundesrat bei Vorhaben blockiert. Wir haben Hängepartien in verschiedenen Bereichen.
Aber ich erkläre für den Koalitionspartner F.D.P.: Wir werden noch viele Tabuschwellen überwinden müssen.
) Allerdings werden wir den Kurs halten und die Linie nicht verlassen.
Das, was in anderen Ländern weltweit durch deutliche Steuersenkungen, durch deutliche Privatisierungen, durch deutliche Deregulierungen am Arbeitsmarkt erreicht worden ist, nämlich ein Beschäftigungswunder, das wird doch in einem der reichsten Industrieländer auch noch möglich sein. Es lohnt sich, dafür die politischen Kräfte zu mobilisieren.
Wir wissen in der gegenwärtigen Situation, bei der Vielzahl von Reformvorhaben, bei der Kompliziertheit der Veränderungen, daß wir an einer Grenze der Begreifbarkeit für die deutsche Öffentlichkeit für die Vielzahl von Vorhaben angekommen sind.
Vieles ist zu spät eingeleitet worden, vieles hätte vorher erledigt werden können. Vieles ist aber vorher gescheitert, weil es keine politischen Kräfte im Bundesrat gab, die uns die Wege geöffnet hätten.
Aber diese Koalition wird gegen diese Widerstände, auch gegen Kritik ihrer Überzeugung Ausdruck geben, daß dieser Kurs die einzige Chance ist,
um von 4,3 Millionen Arbeitslosen herunterzukommen, um dem Land wieder ein Stück Perspektive zu geben. Wirklichkeitsflucht ist kein Rettungsweg für die Bundesrepublik Deutschland,
sondern die Aufnahme der Themen und ökonomischer Sachverstand.
Kein Beschäftigungsprogramm, keine Frühverrentung, keine Wochenarbeitszeitverkürzung und keine staatlichen Transferleistungen verändern die Situation, sondern nur die Signale für Leistungs- und Verantwortungsbereitschaft über Steuersenkungen.
Deshalb ist für die- F.D.P. die Steuersenkungspolitik kein isolierter Punkt; sie ist für uns keine Nebensache. Sie spielt für uns keine untergeordnete Rolle. Sie ist der Ausgangspunkt für die Bereitschaft der Menschen in Deutschland, wieder etwas mehr selbst in die Hand zu nehmen, wenn wir sie dazu befähigen und ihnen dazu mehr im eigenen Portemonnaie belassen.
Das ist für uns kein Nebenthema. Das ist der zentrale Punkt.
Er hat im übrigen auch etwas mit dem Verständnis von Verantwortung zu tun. Die ganzen Transfersysteme, die ganzen sozialen Sicherungssysteme, die ganzen Regulierungen haben in Deutschland ein Stück Antriebsarmut herbeigeführt. Sie haben die Menschen eher weniger zur Verantwortung befähigt.
Wir müssen jetzt nicht nur Steuern senken; vielmehr müssen wir mit unserer Politik eine Änderung des Denkens in Deutschland erreichen. Wir haben alle Chancen, wenn wir das machen. Wir sollten es tun. Es geht auch.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister, Sie haben hier über Pfingsten gesprochen, über den Charakter von Erleuchtung. Mir ist bekannt: Pfingsten gibt es am wenigsten Geschenke; damit hat man sich schon als Kind abgefunden. Aber als Anlaß, den sozial Schwächsten noch tiefer in die Tasche zu greifen, darf man Pfingsten, wie ich meine, nicht mißbrauchen.
Wenn ich die Rede von Herrn Gerhardt und übrigens auch die des Bundesfinanzministers höre, fällt mir folgendes auf: Sie bestätigen die geschätzten Mindereinnahmen von 18 Milliarden DM; hinzu
Dr. Gregor Gysi
kommen 20 Milliarden DM, die der Bundesanstalt für Arbeit fehlen. Aber Sie haben hier nicht einen einzigen Satz darüber verloren, wie Sie diese Lücken schließen wollen, was Sie vorhaben. Was soll eigentlich diese Debatte, wenn Sie diesbezüglich nicht mit der Wahrheit herausrücken?
Herr Gerhardt, wenn Sie so begeistert von Neuseeland sind, hindern mich nur meine freundschaftlichen Gefühle gegenüber dem Volk von Neuseeland daran, Ihnen zu sagen: Dann gehen Sie doch nach Neuseeland! Für die Bevölkerung Deutschlands wäre das ein beachtlicher Vorteil.
Wenn Sie hier auf das Beispiel der Niederlande verweisen, dann finde ich das besonders grotesk. Dort gibt es nämlich einen Konsens zwischen der Regierung und den Gewerkschaften. Die Chance zu diesem Konsens haben Sie selbst im letzten Jahr verspielt, als Sie die Gewerkschaften mit Ihrer gesetzlichen Regelung zur Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bewußt gedemütigt haben.
Aber was man anderswo hört, wie Sie diese Lükken schließen wollen, ist auch ganz interessant. Da wird zum Beispiel über die Neubewertung von Gold und Devisen nachgedacht. Gestern ging es noch um Verkauf; heute geht es um Neubewertung. Aber was heißt das im Klartext? Im Klartext heißt Neubewertung doch, daß Sie mehr Geld drucken wollen. Das zieht Inflationsgefahr nach sich; vor allem führt es zu erheblichem Vertrauensverlust. Ich kann Ihnen nur sagen: Als die DDR damit anfing, ihre Notenpresse in Gang zu setzen, weil sie die Finanzen nicht mehr klären konnte, da war sie schon am Ende. Das können Sie mir glauben.
Wenn das ein logischer und einleuchtender Schritt ist, warum sind Sie ihn nicht im letzten Jahr gegangen? Warum sind Sie ihn nicht im vorletzten Jahr gegangen? Warum gehen Sie diesen Schritt unmittelbar nach der Steuerschätzung? Sie gehen ihn aus Not und nicht aus Überzeugung. Das ist doch ganz offenkundig.
Es kommt noch etwas hinzu. Da fährt der Bundesfinanzminister einmal kurz bei der Bank in Frankfurt am Main vorbei
- Entschuldigung, er fliegt - und bittet darum, daß die Reserven neu bewertet werden.
Die Bank stimmt zu, und dann läuft das. - Sie, Herr Bundesfinanzminister, sind durch alle europäischen Staaten gereist und haben gesagt: Wir müssen eine Europäische Zentralbank schaffen, die von der Politik unabhängig ist. Aber bei der ersten Schwierigkeit machen Sie aus der Bundesbank eine Regierungsbank, eine Hilfsbank für den Bundesfinanzminister, und konterkarieren sämtliche Bemühungen, die Sie diesbezüglich in der Europäischen Union angestellt haben, und machen damit den gesamten Vertrag von Maastricht unglaubwürdig.
- Ja, natürlich. Daß es um meine Schulden geht, weiß ich. Ich übernehme ja für alles die Verantwortung. Sie müssen sich aber auch einmal einig werden: Entweder bin ich an allem schuld oder die SPD durch ihre Blockade. Sie sollten sich einmal darüber verständigen, wer hier eigentlich die Verantwortung trägt.
Sie können das Ding ja drehen und wenden, wie Sie wollen. Ich habe ja noch nicht regiert, und ich war - das kann man als Glück oder als Unglück bezeichnen - noch nie Bundesfinanzminister. So schlimm aber sähe es bei mir nicht aus. Das kann ich Ihnen garantieren.
Dann wollen Sie Bundesvermögen verkaufen. Sie wissen doch aber, was das bedeutet. Jedes Bundesvermögen, das Sie verkaufen, müssen Sie später wieder leasen, weil Sie es ja doch zu bestimmten Zwekken benötigen. Dann geben Sie ein Jahr später in aller Regel mehr Geld dafür aus, als Sie durch den Verkauf eingenommen haben.
Das Bundesvermögen gehört Ihnen doch nicht allein. Es gehört der gesamten Bevölkerung. Damit müßte man, so finde ich, etwas vorsichtiger umgehen.
Das gilt auch für die Telekom-Aktien. Alle Kleinanleger, die sich darauf verlassen haben, daß Sie diese Aktien halten, schockieren Sie entsprechend. Denn es ist doch klar: Wenn Sie sie verkaufen, sind sie sofort weniger wert. Gerade der Kleinaktionär wird betrogen. Er hat sich eben durch Reklame verführen lassen, aber vor allem durch Ihr Versprechen,
Dr. Gregor Gysi
das Sie schon nach wenigen Wochen wieder brechen.
Herr Gerhardt, Sie haben gesagt, wir sollten die Politik erst bewerten, wenn Sie den Haushalt 1998 vorlegten. Es wäre ja schön, wenn man Ihre Politik endlich einmal nach dem Haushalt bewerten könnte. Das Problem ist ja, daß dieser Haushalt nie stimmt. Er wird auch 1998 wieder nicht stimmen und 1999 permanent korrigiert werden müssen.
- Ja, 1998 wird das dann wieder korrigiert werden müssen. Ich bitte das Versehen zu entschuldigen.
Herr Gerhardt, Sie haben einen sehr schönen Satz gesagt: Die Regierung bleibt bei ihrem Konzept, um dem Land wieder ein Stück Perspektive zu geben. - Das haben Sie wörtlich gesagt. Damit haben Sie hier das erste Mal eingeräumt, daß dieses Land im Augenblick keine Perspektive hat. Deshalb ist es so nötig, daß wir über Neuwahlen oder wie auch immer zu einer anderen Regierung kommen, und zwar so schnell wie möglich.
Sie haben zusätzlich darauf hingewiesen, daß Steuersenkungen erforderlich sind, um die Eigenverantwortung zu erhöhen. Man kann dieser ideologischen These zustimmen oder auch nicht. Ich stimme ihr eher nicht zu. Eines bitte ich Sie bei Ihrem Steuerreformprogramm zu bedenken: Seit Jahren sagen Sie den Leuten in Ost und West, daß die gesetzliche Rentenversicherung nicht ausreicht. Jeder muß sich selber darum kümmern, wie er sich im Alter zusätzlich versorgen kann, um seinen Lebensstandard einigermaßen zu sichern. Viele Bürgerinnen und Bürger haben das getan. Sie haben zusätzlich Lebensversicherungen abgeschlossen. Sie haben diese Eigenverantwortung, die Sie, Herr Gerhardt, fordern, wahrgenommen.
Jetzt kommen Sie, Herr Bundeskanzler, mit Ihrem Steuerpaket und schlagen als erstes vor, genau diese Erträge aus den Lebensversicherungen zu besteuern, nachdem viele diese Verträge abgeschlossen haben. Das nenne ich Diebstahl. Das nenne ich auch Betrug, weil die Leute ja zunächst verführt worden sind, diese Versicherungen abzuschließen.
Dann möchte ich zu den Erfolgen Ihrer Konzepte kommen. Wenn ich Herrn Gerhardt, den Bundeskanzler und den Bundesfinanzminister richtig verstehe, dann geht es doch darum, daß man die Steuern senken muß, damit mehr Mittel bei denjenigen zur Verfügung stehen, die Investitionen tätigen. Diese Investitionen sollen dann angeblich zu Arbeitsplätzen führen. Das ist doch das ideologische Kredo
der F.D.P., auf das sich CDU und CSU eingelassen haben.
Ich nenne Ihnen nun die Zahlen vom vorigen Jahr. Sie machen diese Politik ja seit langem. Das ist doch nichts Neues. Heute ist in der „Frankfurter Rundschau" aus dem Bericht der Bundesbank - die ist nun wirklich nicht der PDS nah, wie Sie einräumen werden - zu lesen:
Die Einwohner Deutschlands sind im vergangenen Jahr um fast 300 Milliarden Mark reicher geworden. Mit knapp fünf Billionen erreichte das private Geldvermögen in der Bundesrepublik eine Rekordmarke. Das geht aus dem jüngsten Monatsbericht der Bundesbank hervor. Allein 4,4 Billionen Mark sind ertragbringend angelegt und haben im vorigen Jahr 190 Milliarden Mark Zinsen und Dividenden abgeworfen.
Ich zitiere weiter:
Der Geldsegen ist nach den Beobachtungen der Bundesbank allerdings ungleich verteilt. Während das Gewicht der Masseneinkommen - das sind die Löhne und Gehälter der Arbeitnehmer und die staatlichen Leistungen wie Arbeitslosengeld und Sozialhilfe - erneut abgenommen habe, stiegen die Einkünfte aus Unternehmertätigkeit und Vermögen, die zu höheren Sparleistungen führen.
Das heißt, wir haben im Jahr 1996 bei den Besserverdienenden und Vermögenden in dieser Gesellschaft schon wieder 300 Milliarden DM mehr angesiedelt. Wenn Sie berücksichtigen, daß das Vermögen bei den anderen sogar noch abgenommen hat, steigt dieser Betrag weiter. Es ist das Ergebnis Ihrer Politik, daß die Vermögenden immer mehr Geld erhalten. Das Geld ist bei den Unternehmerinnen und Unternehmern und bei den Besserverdienenden. 300 Milliarden DM mehr als 1995 waren es im Jahre 1996.
Nun frage ich Sie: Wo ist der Arbeitsplatz, der mit diesem Geld geschaffen wird? In Wirklichkeit nimmt die Arbeitslosigkeit unter anderem deshalb zu,
weil Sie die Massenkaufkraft ständig reduzieren. Ihre Politik ist gescheitert, wenn sie denn eine Arbeitsmarktpolitik sein soll. Sie hat nicht funktioniert und kann auch gar nicht funktionieren. Wenn sie natürlich eine Vermögensumverteilungspolitik sein soll - geben Sie das dann doch wenigstens ehrlich zu -, hätte sie funktioniert. Aber das räumen Sie ja nicht ein. Die Regierungskoalition muß der Bevölkerung in Deutschland einmal erklären, weshalb die 300 Milliarden DM, die die Reichen in dieser Gesellschaft im letzten Jahr mehr erhalten haben, nicht zu einem einzigen zusätzlichen Arbeitsplatz geführt haben. Was macht es, daß Sie ihnen in diesem Jahr noch einmal 9 Milliarden DM schenken? Was macht es, wenn Sie den Spitzensteuersatz weiter senken? Dann sind es eben nicht 300 Milliarden DM, sondern 500 Milliarden DM im Jahr, die dieselbe Bevölkerungsgruppe mehr hat. Aber wiederum werden davon keine Arbeitsplätze finanziert werden können.
Dr. Gregor Gysi
Deshalb fordere ich Sie auf: Machen Sie endlich Beschäftigungspolitik! Machen Sie eine andere Abgabenpolitik! Bestrafen Sie nicht länger Arbeit! Stärken Sie die Kaufkraft! Führen Sie einen Sektor für öffentliche Beschäftigung ein! Zeigen Sie, daß Sie Arbeitslosigkeit wirklich beseitigen wollen! Wenn Sie das nicht wollen, wenn Sie die Reichen nur immer weiter begünstigen wollen, treten Sie ab! Es wird höchste Zeit.
Es spricht jetzt der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Dr. Wolfgang Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zahlen, die unserer Debatte zugrunde liegen, und die sich daraus ergebende Lage für die öffentlichen Haushalte und den Arbeitsmarkt sind nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Wir sollten in dieser Debatte auch nicht den Eindruck erwecken, als sei es anders und als ob wir der Versuchung zur Schadenfreude darüber nicht widerstehen könnten, daß die Lage so schwierig ist. Ich finde, die Menschen in unserem Lande, soweit sie unsere Debatte verfolgen, haben einen Anspruch darauf, daß wir nicht darum herumreden.
- Nein, es ist eine Aufforderung an uns selbst. Wenn wir schon heute nachmittag debattieren, sollten wir es mit dem gebührenden Ernst und mit der gebührenden Konzentration auf das Thema tun.
- Halten Sie es noch drei Minuten aus. Ich fange ja gerade an.
Lassen Sie uns einmal die Zahlen einen Moment anschauen. Die Veränderung des Betrages der zu erwartenden Steuereinnahmen in 1997 und in den Folgejahren zwischen der Schätzung im November vergangenen Jahres - der Bundesfinanzminister hat ja ausführlich dargelegt, wie objektiv sie abläuft und daß das Ergebnis glücklicherweise nicht in unserer Hand liegt - und der im Mai liegt in einer Größenordnung, daß man über den Ernst der Lage auch heute nachmittag ernsthaft reden muß. Nun fällt ja an diesen Zahlen etwas auf.
Ich finde es schon höchst bemerkenswert, daß sich die zugrunde liegende Annahme, wie sich das nominale Bruttoinlandsprodukt im Jahre 1997 entwickelt, von November vergangenen Jahres bis zum Mai dieses Jahres um rund 18 Milliarden DM - 17,8 Milliarden DM - verringert hat.
Das Bruttoinlandsprodukt wird übrigens ein halbes Jahr später nicht deshalb geringer geschätzt,
weil wir weniger Wachstum hätten. Die reale Wachstumsrate, die den Schätzungen zugrunde gelegt wird, ist konstant geblieben; sie beträgt 2,5 Prozent. Was sich vielmehr gegenüber November verändert hat, ist, daß die Stabilitätsrate gestiegen ist, so daß das nominale Wachstum geringer ausfällt. Deswegen ist mit einem um 17,8 Milliarden DM geringeren Bruttoinlandsprodukt zu rechnen.
Jetzt kommt der Punkt, über den wir ernsthaft reden müssen. Die Steuereinnahmen sind um 18 Milliarden DM niedriger, als noch vor einem halben Jahr erwartet. Das heißt - der Bundesfinanzminister hat das eben vorgetragen, aber durch die Art und Weise, wie Sie darauf reagiert haben, ist es ein wenig untergegangen; deswegen wiederhole ich es -: Die zu erwartenden Steuereinnahmen sind in absoluten Beträgen stärker zurückgegangen als das Bruttoinlandsprodukt.
- Herr Kollege Fischer, wenn Sie eine seriöse Debatte führen wollen, können Sie der Erkenntnis nicht ausweichen, daß die Reform der Struktur unseres Steuersystems angesichts dieser Zahl noch notwendiger geworden ist, als sie es bisher war.
Warum gehen die Steuereinnahmen stärker zurück als das nominale Bruttoinlandsprodukt? Dafür gibt es nur eine Erklärung. Es gibt nur die Erklärung, daß der internationale Standortwettbewerb hinsichtlich der Steuersysteme in Europa und die zu große Zahl von Sonderregelungen steuerrechtlicher Art bei Einkommen- und Körperschaftsteuer dazu führt, daß die Veranlagung insbesondere zur Einkommen- und Körperschaftsteuer durch immer mehr Vermeidungs- und Verlagerungseffekte hinter dem zurückbleibt, was eigentlich finanzpolitisch notwendig und gewollt ist. Deswegen sinken die Steuereinnahmen stärker. Über diese objektive Erkenntnis wird man seriös nicht streiten können. Wenn dies so ist, ist die Grundkonzeption unserer Steuerreform noch notwendiger, als sie es bis zum gestrigen Tag gewesen ist.
Wir brauchen weniger Ausnahmen von der Besteuerung bei niedrigeren Sätzen für alle Steuerpflichtigen, weil wir nur so die Umgehungs-, Vermeidungs- und Verlagerungseffekte ins Ausland verhindern können. Nur auf diesem Weg werden wir erreichen, daß die nach dem Steuergesetz geschuldeten Steuern auch tatsächlich gezahlt werden. Ansonsten werden wir in Zukunft auch bei noch so viel Wachstum weiter rückläufige Steuereinnahmen haben. Das kann doch niemand vernünftigerweise wollen.
Deswegen glaube ich, daß es richtig ist, wenn wir aus den Zahlen dieser Woche Konsequenzen ableiten. Es ist nun noch notwendiger, daß die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft wird und daß wir eine Reform der Struktur unseres Einkommen- und Körperschaftsteuergesetzes zustande bringen.
Dr. Wolfgang Schäuble
Ich würde gern eine zweite Bemerkung machen; damit ist es mir genauso Ernst. Schauen wir uns ein-. mal an, wie sich die Annahmen bezüglich der Zahl der Erwerbstätigen und der Arbeitslosen seit November verändert haben. Im November ist erwartet worden, daß wir im Jahre 1997 eine Erwerbstätigenzahl von 34,64 Millionen haben werden; im Mai wird nur noch mit 34,12 Millionen, 420 000 weniger, gerechnet. Entsprechend ist die Zahl der Arbeitslosen von 3,95 Millionen, im Jahresdurchschnitt gerechnet, jetzt auf 4,3 Millionen gestiegen. Daß das natürlich Auswirkungen auf die Bundesanstalt für Arbeit in einer Größenordnung von bis zu 20 Milliarden DM haben wird, ist schlimm genug, aber nur die eine Seite.
- Reden Sie doch nicht soviel dazwischen! Es gibt Leute, die nur dazwischenreden und nicht zuhören.
Lassen Sie uns doch einen Moment darüber nachdenken, was notwendig ist - wir haben diese Debatten oft geführt -, was wir tun können, damit wir am Arbeitsmarkt eine Trendwende erreichen. Ohne eine Trendwende am Arbeitsmarkt werden nämlich alle unsere Bemühungen um Haushaltskonsolidierung und soziale Sicherung vergeblich sein.
Ich sagen Ihnen: Wir brauchen mehr Investitionen. Wir müssen durch eine Steuerreform die Verlagerung von Investitionen, Arbeitsplätzen und Erwerbstätigkeit ins Ausland stoppen. Deswegen sind die Steuerreform und die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer notwendig.
Wir sind ja auf dem richtigen Weg.
- Hüten Sie sich! Sie könnten in den Verdacht geraten - ich sage es einmal ganz vorsichtig -, daß Sie erst einmal alles bekämpfen. Sie haben uns doch in den letzten Jahren nicht vorgeworfen, wir würden zuwenig sparen. Sie haben uns doch immer vorgeworfen, wir würden zuviel sparen. Jetzt werfen Sie uns vor, wir würden zuwenig sparen.
Sie haben doch unsere Sparvorschläge immer abgelehnt. Das können Sie doch nicht bestreiten. Ich bin ja bereit, unter die Vergangenheit einen Schlußstrich zu ziehen und zu sagen: Was kümmert es mich noch?
Ich komme zu einem weiteren Punkt.
Sie wissen, daß die Verantwortlichen in der Gewerkschaftsbewegung in der Erkenntnis, was notwendig ist und daß wir mit unseren grundsätzlichen Maßnahmen auf dem richtigen Weg sind, viel weiter sind als die Sozialdemokraten.
Ich nenne Ihnen ein paar konkrete Beispiele - ich fange einmal von vorne an -: Wie lange haben Sie uns wegen unserer Vorschläge, das Monopol der Bundesanstalt für Arbeit aufzulockern, diffamiert? Inzwischen hat die Stadt Hamburg - bis zum September ist immer noch ein Sozialdemokrat Bürgermeister
- eine private Arbeitsvermittlung, ,,Maatwerk" heißt sie, eingeschaltet, um Sozialhilfeempfänger in reguläre Arbeitsplätze zu vermitteln. Viele andere Gemeinden machen das gleiche.
Ich komme zum zweiten Beispiel. Wir wären viel weiter, wenn Sie uns durchgreifendere Reformen bei der Sozialhilfe nicht kaputtgemacht hätten.
Wir müssen eine bessere Verzahnung von Sozialleistungen und Angeboten auf dem Arbeitsmarkt erreichen. Es kann nicht sein, daß die Menschen lieber arbeitslos sind, als daß sie eine geringer bezahlte Beschäftigung annehmen. Da muß man ansetzen.
- Aber natürlich. In allen Ländern - von Holland bis Schweden, von den USA bis Großbritannien - ist das der Fall.
- Sie können es nachlesen. An dieser Tatsache führt doch kein Weg vorbei.
Mit dem Diffamieren und dem Zeichnen von Katastrophengemälden ändert sich überhaupt nichts an unserer Lage. Wir werden nur etwas erreichen, wenn wir beweglicher und flexibler sind und differenzierter handeln. Wir sollten nicht immer alles gleich diffamieren. Ich halte für richtig, daß man private Arbeitsvermittler stärker einsetzt, um Sozialhilfeempfänger in Arbeit zu bringen.
Ich nenne Ihnen noch ein anderes Beispiel. Wir hören ja ständig, auch in solchen Debatten, daß Sie unsere Vorschläge bezüglich der Steuerreform ablehnen. Wir werden aber auf die Dauer Einkommen nicht unterschiedlich - je nachdem, an welchem Wochentag sie erzielt wurden - besteuern können. Alle Sonderregelungen - das gilt entsprechend auch für den Kapitalmarkt und die Besteuerung von Zinserträgen bei Lebensversicherungen - sind immer problematisch. Natürlich kann man über die Frage von Übergangsregelungen reden. Aber daß wir generell
Dr. Wolfgang Schäuble
zu viele Verzerrungen auf dem Kapitalmarkt wie auf dem Arbeitsmarkt haben, ist doch gar keine Frage.
Sie diffamieren unsere Vorschläge immer sehr schnell. Wenn ich es richtig weiß, hat die Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbundes in einer Studie dargelegt, daß eine Besteuerung der Überstundenzuschläge dazu beitragen könnte, daß die Tarifpartner stärker den Freizeitausgleich in Anspruch nehmen. Auf diese Weise würden wir durch eine gleichmäßigere Besteuerung mehr Arbeitsplätze bekommen.
Lassen Sie uns doch einmal ernsthaft über Alternativen und darüber reden, was man tun kann, damit wir mehr Beschäftigungsverhältnisse bekommen!
Frau Matthäus-Maier hat - außer daß sie den Eurofighter nicht erwähnt hat - nichts Neues geboten.
Ich will Sie noch auf etwas anderes aufmerksam machen, weil ich gerne hätte, daß wir nicht ständig solche Debatten führen.
- Frau Präsidentin, könnten Sie vielleicht das Mikrophon so laut stellen, daß man mich hört und ich nicht in meiner Rede gehindert werde. Wenn man ernsthaft darüber reden will, wie man die Lage am Arbeitsmarkt in Deutschland verbessern will, dann kommt immer nur Geschrei von den Sozialdemokraten.
Ich werde das Mikrophon nicht lauter einstellen, sondern wir werden einander zuhören, und dann werden wir sehen.
- Das gilt für alle Beteiligten.
Ich möchte gerne, nachdem Frau Matthäus-Maier wieder eine Senkung der Beitragssätze durch eine Erhöhung von Verbrauchsteuern gefordert hat, das Stichwort Rentenreform nennen. Wir haben gesagt: Jawohl, wir sind bereit, das gemeinsam zu machen. Das haben wir Ihnen angeboten. Sie waren dabei. Dies muß allerdings unter einer Voraussetzung geschehen, nämlich daß sie Einsparungen nicht ersetzt.
Wir werden unsere Probleme, die zu hohen Lohnzusatzkosten, nicht lösen, wenn wir nur andere Finanzierungsquellen erschließen. Wir müssen die Ausgabendynamik bremsen. Daran führt kein Weg vorbei.
Nun möchte ich Sie auf Informationen - ich gebe es Ihnen gerne, Herr Scharping - hinweisen, die der Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes am 6. Mai 1997 herausgegeben hat, Abteilung
Wirtschafts- und Strukturpolitik, verantwortlich Michael Geuenich: „Steuerfinanzierung oder Beitragsfinanzierung von versicherungsfremden Leistungen für die soziale Sicherung?'' Was sagt die Ausarbeitung des Deutschen Gewerkschaftsbundes in dürren Worten - ich könnte sie lang zitieren, der Deutsche Gewerkschaftsbund sagt dasselbe wie wir -: Eine bloße Umfinanzierung hat keine beschäftigungswirksamen Effekte. Das erfolgt nur dann, wenn Einsparungen auf der Ausgabenseite hinzukommen. Das steht auf Seite 25.
Deswegen sage ich noch einmal: Es muß Ihnen doch zu denken geben, daß selbst der Deutsche Gewerkschaftsbund bei der Rentenreform viel weiter ist als Sie. Das hat er Ihnen auch gesagt. Deswegen lassen Sie uns doch zu einer ernsthaften Debatte darüber kommen, wie wir die Steuerstruktur so verändern können, daß die Steuereinnahmen nicht stärker zurückgehen als das Bruttoinlandsprodukt und wie wir durch deregulierende Maßnahmen dazu kommen, daß wir bei einem Wirtschaftswachstum mehr Arbeitsplätze bekommen.
Ich sage Ihnen übrigens: Ein Großteil unserer Maßnahmen greift. Das braucht länger, als wir gedacht haben. Da gibt es eine Verzögerung. Sie haben vom Einzelhandel gehört, daß der Ladenschluß nicht ohne Wirkung geblieben ist. Sie sehen, daß die Maßnahmen, wie die Aufhebung des Vermittlungsmonopols, wirken. Viele der Maßnahmen, die wir beschlossen haben - daß zum Beispiel kleine Unternehmen, wenn sie Langzeitarbeitslose einstellen, Lohnkostenzuschüsse von der Arbeitsverwaltung bekommen -, sind noch unbekannt. Viele wissen auch nicht, daß man befristete Arbeitsverhältnisse abschließen kann. Das ist in der Art des Getöses, das in der Debatte aufkommt, untergegangen und bei vielen nicht angekommen.
Daß wir mit der Neuregelung der Lohnfortzahlung in den Tarifverhandlungen sehr viel mehr Bewegung geschaffen haben, bestreitet inzwischen auch kein Mensch mehr, der noch seriös genommen werden will.
Deswegen sage ich Ihnen: Wir sind auf dem Wege. Es gibt doch keinen Stillstand. Aber wir haben eine schwierige Übergangszeit. Deswegen sage ich zu den aktuellen Zahlen für das Jahr 1997: Ich weiß nicht - heute ist der 16. Mai -, wie wir angesichts der Situation, die der Bundesfinanzminister beschrieben hat - daß alle unsere Vorschläge für gesetzliche Maßnahmen zur Begrenzung des Ausgabenanstiegs im Bundesrat ganz oder teilweise abgelehnt worden sind -, und angesichts einer bisher unveränderten Einlassung von Ihrer Seite in diesem Jahr durch gesetzliche Maßnahmen noch zusätzliche Einsparungen erschließen sollen. Ich sehe keine realistische Möglichkeit. Das ist eine bittere Erkenntnis.
Ich sehe und höre auch von Ihnen keine Sparvorschläge, wie wir im Bereich des Haushaltsvollzugs diese erhebliche Lücke, die durch Steuerminderein-
Dr. Wolfgang Schäuble
nahmen und höheren Zuschußbedarf der Bundesanstalt entstanden ist, decken sollen. Ich sehe keine Einsparmöglichkeiten für dieses Jahr.
- Im Gegensatz zu mir waren Sie bei den Demonstrationen zum Erhalt der Steinkohlesubventionen dabei. Ich hätte mir auch in diesem Bereich noch ein paar mehr Einsparungen vorstellen können. Sie können nicht montags Einsparungen verhindern und freitags die zu hohen Schulden beklagen. Das hat keinen Sinn.
Ich finde, es mag auch manchmal ganz glücklich kommen. Aber wenn das Europäische Währungsinstitut eine Neubewertung der Devisenreserven aller Zentralbanken empfohlen hat -
- Ja, das kommt günstig.
Meine Damen und Herren, ich habe der gestrigen Debatte zur Europäischen Währungsunion aufmerksam zugehört. Da waren sich die Sprecher der Koalition und zumindest der Vorsitzende der SPD-Fraktion einig, daß wir die Europäische Währungsunion, die richtig und notwendig ist und die wir alle wollen
- das ist ja gut; wollen wir nicht auch noch die Gemeinsamkeiten, die wir in Restbeständen haben, zerreden -, um unsere Arbeitsmarktprobleme besser lösen zu können, nicht mit dem Verdacht in unserer Bevölkerung belasten sollten, wir würden das, was notwendig ist, um unser Land voranzubringen, nur wegen der Europäischen Währungsunion machen. Das ist sehr gefährlich. Das haben Sie gesagt.
- Das ist meine Position schon immer gewesen. - Lassen Sie uns doch froh sein, daß wir durch die Notwendigkeit der Neubewertung der Währungsreserven
in der Lage sind, diese Debatte nicht unter dem Gesichtspunkt Euro führen zu müssen. Wir müssen sie unter dem Gesichtspunkt Neuverschuldung führen.
Meine Damen und Herren, der Kollege Adolf Roth, unser Sprecher im Haushaltsausschuß, hat mir einige Protokolle des Ausschusses mitgegeben. Schon in der 66. Sitzung des Haushaltsausschusses am 19. Februar hat der Bundesfinanzminister davon gesprochen, daß man natürlich nicht - wie es die Position von manchen Sozialdemokraten war - daran denke, Gold zu verkaufen. Er hat aber wohl gesagt:
Dabei stehe die Frage der Bewertung dessen,
was bei der Bundesbank im Devisen- und Goldbereich erfolge, auf einem anderen Blatt. Er
glaube, daß es innerhalb der Bundesbank auch diesbezügliche Überlegungen gebe, wie eine vernünftige Regelung zu erzielen sei.
- Entschuldigung, bleiben Sie doch mal bei der Wahrheit.
Ich habe aus dem Protokoll des Haushaltsausschusses vorgelesen.
- Entschuldigung, ich bin kein Mitglied des Haushaltsausschusses.
Am 19. März 1997 war Bundesbankpräsident Tietmeyer im Ausschuß. Er ist ausweislich des Protokolls mehrfach danach gefragt worden und hat keineswegs davon geredet, daß eine Neubewertung auf Grund der Empfehlung des Europäischen Währungsinstituts vom vergangenen Jahr nicht notwendig ist. Tun Sie doch nicht so! Reden Sie den Menschen doch nicht diesen Unfug ein, es werde jetzt Tafelsilber oder anderes verkauft. Es wird überhaupt nichts verkauft.
Es geht ausschließlich darum, daß eine Neubewertung der Währungsreserven notwendig ist. Wir nehmen die Neubewertung nicht in den laufenden Haushalt auf. Keine Mark kommt in den laufenden Haushalt. Sie soll ausschließlich mit dem Erblastentilgungsfonds verrechnet werden. Da sich das auf die Maastricht-Kriterien auswirkt, sage ich: Das trifft sich glücklich. Aber freuen Sie sich nicht zu früh; denn die Bundesrepublik Deutschland hat nur Glück gehabt. Wir haben im Augenblick genügend andere schwierige Probleme zu lösen.
Ich jedenfalls sage: Das ist eine Position der Solidität. Ich finde die Art der Verunsicherung unserer Bevölkerung, die Sie betreiben, unverantwortlich und auch unehrlich.
Herr Kollege Dr. Schäuble, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wieczorek?
Bitte sehr.
Herr Kollege Schäuble, es ist richtig, daß eine Neubewertung der Bestände erfolgen muß, wenn die Europäische Zentralbank ihre Tätigkeit aufnimmt. Was Sie jetzt vorschlagen, bezieht sich aber auf einen Zeitpunkt - wenn auch noch nicht klar ist, ob Sie das im Jahr 1997 oder 1998 machen wollen -, zu dem es die Europäische Zentralbank noch nicht gibt.
Würden Sie mir zustimmen, daß es faktisch so ist, daß Sie erst einmal einen Buchgewinn durch eine Aufwertung eines wie auch immer definierten Wertes
Dr. Norbert Wieczorek
entstehen lassen, sich diesen ausschütten lassen und damit eine Monetarisierung der stillen Reserven der Bundesbank vornehmen?
Würden Sie mir zustimmen, daß Sie damit die Stabilitätskultur, die bei uns in der Bundesrepublik immer geherrscht hat, verlassen und die Bundesbank in den Ruf bringen, sozusagen als Ihr Erfüllungsgehilfe dazustehen, womit Sie gleichzeitig jeder Argumentation den Boden entziehen, in irgendeinem anderen Land - ich erinnere mich an unsere Diskussionen, Herr Waigel, etwa zur France Télécom - überhaupt noch einen Anspruch zu erheben, über „creative accounting" zu reden?
Herr Kollege Wieczorek, Sie bestreiten nicht, daß das Europäische Währungsinstitut, Vorläufer der künftigen Europäischen Zentralbank, diese Empfehlung zur Neubewertung im Herbst vergangenen Jahres gegeben hat. Über die Frage, ob man damit 1999, 1998 oder 1997 beginnt, kann man diskutieren. Sicher darf man das nicht zur Gänze in einem Jahr machen. Man muß es stufenweise machen. In welchen Beträgen man das macht, muß man noch mit der Deutschen Bundesbank abstimmen. Deswegen war der Bundesfinanzminister auch im Zentralbankrat.
- Nun lachen Sie doch nicht! Ich versuche, eine ernsthafte Frage Ihres Kollegen ernsthaft zu beantworten.
Ich finde, daß wir angesichts einer Preisstabilität, die dazu geführt hat, daß das nominale Bruttosozialprodukt noch einmal um ein halbes Prozent niedriger ist - das reale überhaupt nicht -, als wir noch vor einem halben Jahr geschätzt haben, doch darüber reden können müssen, ob man bei einer ohnehin fälligen Neubewertung einen Betrag in einer Größenordnung von 10 Milliarden DM plus oder minus x neu bewertet und den dann neu bewerteten Betrag Jahr für Jahr in den Erblastentilgungsfonds einstellt. Ich kann überhaupt nicht erkennen, was daran unverantwortlich sein soll. Deswegen meine ich: Darüber muß man vernünftig und verantwortlich reden können.
Ich bin ebenfalls davon überzeugt, daß wir angesichts der guten Entwicklung bei der Telekom sehr wohl darüber reden können, ob wir die Anteile des Bundes verkaufen sollen. Aber natürlich behutsam. Deswegen sind all diese Interviews immer gefährlich. Ich muß allerdings sagen: Der Kurs der Telekom-Aktie von heute war nicht von der Art, wie das einige, die offenbar davon wenig Ahnung haben, an die Wand gemalt haben.
Sie haben behauptet, die gestrige Ankündigung habe eine große Verunsicherung ausgelöst.
Bei den gegebenen Schwierigkeiten in dieser Übergangszeit, in der wir die notwendigen Strukturreformen durchsetzen müssen und in der ja auch die sozialdemokratische Mehrheit im Bundesrat dazu beigetragen hat, daß es nicht so schnell gegangen ist, wie wir uns das gewünscht hätten, müssen wir die Möglichkeit haben, uns dann auch solche Instrumente zu erschließen, wenn niemand eine andere Möglichkeit sieht - ich habe ja kein Patentrezept -, wie wir die Auswirkungen dieser Steuermindereinnahmen und Mehrausgaben bei der Bundesanstalt für Arbeit im Bundeshaushalt 1997 begrenzen können.
Ich bin der Meinung, wir sollten 1997 das Defizit nicht unbegrenzt hoch ansteigen lassen. Ich bin der Meinung, daß eine große Heuchelei darin liegt, wenn Sie sagen, daß sich mit der Vorlage eines Nachtragshaushalts irgend etwas ändern würde. Wir können doch im Rahmen eines Nachtragshaushalts keine gesetzlichen Leistungen verändern, wenn nicht auch der Bundesrat einer entsprechenden Streichung zustimmt. So kann es doch überhaupt nicht gehen. Seien Sie doch ehrlich
und sagen Sie: Im Jahre 1997 gibt es in dieser Größenordnung keine andere Möglichkeit, als durch zusätzliche Privatisierungserlöse den Anstieg der Neuverschuldung auf ein gesamtwirtschaftlich erträgliches Maß zu begrenzen. Und in bezug auf 1998 müssen wir noch einmal intensiv miteinander reden.
- Das heißt für 1998, Herr Kollege Fischer, daß wir jetzt endlich den Reformstau auflösen müssen. Die Menschen überall hoffen dringend darauf, daß neben der Reform der gesetzlichen Krankenversicherung - sie kommt zustande; wir müssen noch den Einspruch des Bundesrates zurückweisen -, neben der Rentenreform - sie machen wir notfalls, wenn Sie sich weiterhin verweigern, mit unserer Mehrheit im Bundestag -, neben all dem anderen, von der Lohnfortzahlung bis zu den Lohnkostenzuschüssen für Arbeitslose, wenn sie von kleinen Betrieben eingestellt werden, und bis zu den befristeten Arbeitsverhältnissen, auch das Problem der Gewerbekapitalsteuer angepackt werden muß. Sie muß abgeschafft werden, und zwar lieber jetzt als nächstes Jahr, aber spätestens zum 1. Januar nächsten Jahres.
Es muß Klarheit über eine grundlegende Reform unseres Einkommensteuer- und Körperschaftsteuersystems herbeigeführt werden. Sonst haben wir viel zu viele strukturelle Verwerfungen, und sonst wird der Attentismus derjenigen, die sagen, daß sie bei den heutigen zu hohen deutschen Steuersätzen jede Möglichkeit der Steuervermeidung nutzen, dazu führen, daß wir selbst bei einem steigenden Bruttoinlandsprodukt möglicherweise rückläufige Steuereinnahmen haben werden.
Dr. Wolfgang Schäuble
Deswegen fordere ich Sie auf: Wenn Sie die Beurteilung der Lage ernst meinen, dann verweigern Sie Ihren Beitrag zu den notwendigen Strukturreformen nicht!
Letzte Bemerkung:
Ich finde es gut und richtig, daß sich inzwischen der Gedanke durchgesetzt hat, daß wir viel mehr Bereitschaft zur Selbständigkeit brauchen. Ich habe mit Freude gelesen, daß auch die Sozialdemokratische Partei in der nächsten Woche eine entsprechende Initiative ergreifen will. Das ist alles gut. Ich begrüße sehr - Herr Bundeskanzler, hören Sie einmal einen Moment weg; er hört es nämlich nicht gern -, daß der „Stern", der Deutsche Sparkassenverband und die Firma McKinsey gemeinsam eine hervorragende Initiative gestartet haben, um die Bereitschaft zur Selbständigkeit in der jungen Generation zu fördern.
Darin, daß in unserem Land bloß 7 Prozent der Hochschulabgänger selbständig werden wollen, in Amerika aber 17 Prozent, liegt eine der strukturellen Ursachen unserer Probleme. Jede Initiative mit dem Ziel, das zu ändern, ist wichtig.
Wenn Sie im Bundesrat alles blockieren, dann sind die Bänke dort besser besetzt als bei solchen Debatten hier. Ich kann an die Länder nur appellieren: Es ist dringend erforderlich, daß unser Bildungssystem, die Schulen und die Hochschulen, nun endlich innovationsfreudiger werden und den Gedanken der Selbständigkeit in junge Menschen hineinpflanzen und ihn nicht kaputtmachen.
Das ist der Ruck, von dem unser Bundespräsident zu Recht gesprochen hat. Ihn müssen wir uns alle geben - wir, Sie, aber nicht nur die Politiker, auch die Menschen in unserem Land, die Tarifpartner. Die Gewerkschaften sind da weiter als manche Arbeitgeber.
Was wir im übrigen nicht brauchen, ist eine Neigung zu Pessimismus und Kleingläubigkeit. Dazu besteht überhaupt kein Grund.
Im „Economist" können Sie heute lesen, daß die Chancen des Standorts Deutschland bis zur Jahrtausendwende hervorragend beurteilt werden, weil man nämlich glaubt, daß die Koalition diese Reformen durchbringen wird.
Herr Schröder war kürzlich in Amerika, zwar nicht in Washington, aber Rotwein gibt es auch außerhalb von Washington. Da muß er doch gehört haben, daß alle Amerikaner sagen: Der Standort Deutschland hat gute Perspektiven.
- Nein, nein. Die Leute beurteilen die Krankenkassen- und Rentenreform positiv. Sie sind für die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer. Sie konnten in der Anhörung des Finanzausschusses diese Woche hören, daß unsere Konzeption der Steuerreform von allen Beteiligten und Verantwortlichen grundsätzliche Zustimmung erfährt. Geben Sie Ihre Blockade auf!
Hören Sie auf zu blockieren! Hören Sie auf, den Menschen Angst zu machen und Neid zu säen! Es gibt keinen Grund zur Angst, aber es gibt Grund, daß wir endlich anfangen, ein Stück beweglicher zu werden. Wenn wir das tun, haben wir gute Chancen.
Herzlichen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Graf Lambsdorff.
Vielen Dank. Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Matthäus-Maier hat vorhin freundlicherweise im Zusammenhang mit der Telekom-Aktion die Interessen der Kleinaktionäre angesprochen. Ich war das bisher von ihrer Seite nicht gewohnt, aber ich bin beeindruckt und natürlich auch dankbar dafür.
In diesem Zusammenhang möchte ich ganz kurz auf drei Gesichtspunkte hinweisen. Erstens. Es war sicherlich nicht sehr geschickt, diese Diskussion loszutreten, bevor die Sechsmonatsfrist nach der Erstplazierung abgelaufen ist.
Zweitens. Es ist absolut klar, daß weitere Verkäufe über die Börse zu Lasten des Börsenkurses nicht vorgenommen werden sollten. Das ist auch nicht die Absicht des Bundesfinanzministers.
Drittens. Es ist möglich und im Gesetz vorgesehen, mit Zustimmung des Telekom-Vorstandes bei institutionellen Anlegern Pakete zu plazieren. Das ist vernünftig und in der gegebenen Lage der Bundesfinanzen auch richtig.
Schließlich und endlich, Frau Matthäus-Maier: Die Kleinaktionäre - soviel glaube ich von ihnen zu verstehen - werden froh sein, wenn sich der Staat eines Tages aus der Veranstaltung Telekom zu 100 Prozent
Dr. Otto Graf Lambsdorff
verabschiedet hat. Er hat darin nämlich nichts verloren.
Ein zweiter Punkt ist die Bewertung der Frage, die Goldwerte höherzuschreiben. Hier handelt es sich - ich stimme dem Finanzminister zu - in der Tat um in vielen Jahren in Deutschland erarbeitete Reserven, die Deutschland gehören und der Bundesrepublik zur Verfügung stehen. Ich halte es für völlig gerechtfertigt und könnte mir keinen besseren Zweck denken, als sie für die Finanzierung der deutschen Einheit einzusetzen, das heißt hier: für den Erblastentilgungsfonds.
Daß es uns zu 90 Prozent Wahrscheinlichkeit auch bei der Bewertung der Maastricht-Kriterien hilft, kommt hinzu. Es ist eine erfreuliche und wünschenswerte Nebenerscheinung.
Ich warne dringend davor, uns selber die Plakette anzuheften, das sei „creative accounting". Wenn Sie sehen, was mit der France Télécom und den Pensionsverpflichtungen in Paris gemacht worden ist, was mit einer einmaligen Europasondersteuer, die vielleicht zurückgezahlt werden soll, in Rom gemacht worden ist, dann ist das überhaupt nicht mit einem Vorgang vergleichbar,
bei dem man allenfalls die berechtigte Frage des Kollegen Wieczorek stellen kann: Sollte das denn 1997 schon gemacht werden? Eigentlich könnte und sollte es doch später kommen. Aber wenn man einmal in dieser Lage ist: Sollte es dann nicht erlaubt sein, die Überlegung anzustellen, eine solche Aktion vorzuziehen und sie ein Jahr früher zu machen, als es sonst der Fall gewesen wäre?
Dann kommt hinzu: Was machen wir mit der monetären Seite, nämlich mit der Geidmengenpolitik der Bundesbank? Diese Frage, Herr Wieczorek, ist berechtigt; sie muß beantwortet werden. Es handelt sich aber um eine Größenordnung, bei der ich glaube, daß die Bundesbank diesen Vorgang mit den ihr zur Verfügung stehenden offenmarktpolitischen Mitteln kompensieren kann und auch kompensieren wird. Zur Riesenaufregung und zur Anschuldigung fauler Tricks ist überhaupt kein Anlaß. Das sage ich nicht nur an die Adresse der Kritiker aus den Reihen der Opposition, sondern ich sage das genauso an die Adresse der 30- oder 35jährigen schnellzüngigen Analysten der Banken in Frankfurt, die sich gestern etwas mehr Zeit zum Nachdenken hätten nehmen sollen, bevor sie losgeredet haben.
Herr Kollege Lambsdorff, mir ist nicht völlig klar, wen Sie eigentlich angesprochen haben. In der Sache war das nach
meinem Eindruck überwiegend die Kollegin Matthäus-Maier. Sehe ich das richtig?
- Ich muß das fragen, weil ich wissen muß, wer das Recht auf Erwiderung hat.
In der Sache überwiegend die Frau Kollegin Matthäus-Maier, aber auch den Kollegen Wieczorek.
Das geht nicht, denn er hat nur eine Zwischenfrage gestellt. Da müssen wir uns schon an die Geschäftsordnung halten, Graf Lambsdorff.
Also hat die Kollegin Matthäus-Maier das Recht auf Erwiderung, wenn sie es wünscht.
Nein, das macht der Rudolf Scharping.
Dann hat jetzt der Kollege Rudolf Scharping, SPD, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jetzt habe ich 75 Minuten Reden von Koalitionsvertretern gehört und bin noch weniger schlau als gestern abend. Denn es ist hier nicht eine einzige konkrete Information zu dem gegeben worden, was an Fragen wirklich auf dem Tisch ist.
Gestern abend sagte der Bundesfinanzminister in den „Tagesthemen", man habe bereits einen Haushaltsvorbehalt, natürlich könne man eine Haushaltssperre veranlassen usw. Zu der Frage Steuererhöhungen sagte er, in einer solchen Situation könne niemand alles ausschließen.
Dann sagte die „AFP" gestern abend in der Zusammenfassung dessen, was die Koalitionsfraktionen gemacht haben, daß sich der F.D.P.-Fraktionschef scharf gegen Steuer- und Abgabenerhöhungen gewandt habe, während die Unionsfraktion gesagt habe, daß Steuererhöhungen nicht ausgeschlossen werden könnten. Das sei aber keine Sollbruchstelle der Koalition.
Ich will Ihnen etwas sagen: Wenn Sie hier 75 Minuten nur Nebelkerzen zünden, anstatt dem deutschen Volk und dem Parlament Auskunft über die Entscheidungen, die Sie treffen wollen, zu geben, ist das eine Verhöhnung des Parlaments, eine Mißachtung der Bevölkerung und ein Mißbrauch der parlamentarischen Möglichkeiten.
Daß Regierungserklärungen zur Vernebelung dienen, ist bekannt. Aber es wird unverantwortlich, wenn 18 Milliarden DM in 1997, 32 Milliarden DM
Rudolf Scharping
im nächsten Jahr, wieder 32 Milliarden DM im darauffolgenden Jahr usw. fehlen. Was wollen Sie konkret tun? Gibt es einen Nachtragshaushalt, oder gibt es ihn nicht? Verzichten Sie auf die Absenkung des Solidaritätszuschlages, oder verzichten Sie nicht? Senken Sie die Lohnnebenkosten, oder senken Sie sie nicht? Machen Sie eine solide finanzierte Steuerreform, oder machen Sie sie nicht? Sperren Sie die Ausgaben für Bürokratie und Verwaltung, oder tun Sie das nicht?
Herr Bundeskanzler, wenn man so vor dem Desaster einer seit Jahren betriebenen fehlerhaften Politik steht, dann ist es nicht mehr zu verantworten und in keiner Hinsicht zu vertreten, daß die Herren Gerhardt, Schäuble und Waigel hier so tun, als sei das Volk, als sei die Opposition, als sei die Inflation oder anderes schuld. Sie sind für den Zustand, in dem sich die Staatskasse befindet, verantwortlich!
Was da alles an faulen Ausreden kommt: Die Steuerschätzung sei eine Gemeinschaftsleistung aller Beteiligten der Länder und des Bundes, und wer da alles beteiligt sei. Wer liefert denn die Grundlagen für die Steuerschätzung? Das ist der Bundeswirtschaftsminister. Der ist bekanntlich genauso unfähig wie der Bundesfinanzminister. Beide stecken tief im Wettbewerb um den Spitzenplatz.
Wenn Sie dann sagen, schuld sei die Blockade des Bundesrates und dergleichen mehr: Wer hat denn hier die Aufstellung eines neuen Haushaltes blokkiert? Wer hat denn schon bei der Verabschiedung des Haushaltes gesagt, es werden 20 Milliarden DM fehlen? Das war die SPD, das war Karl Diller, das waren viele andere. Wer hat gesagt, das sei doch alles gepfuscht, geschwindelt, gelogen und schwarzgemalt?
- Das waren Sie.
Wenn das stimmt, dann muß ich sagen: Moment mal! Entweder, Herr Kollege Waigel, waren Sie damals völlig uninformiert - dann sind Sie fehl am Platze. Oder Sie waren damals gut informiert - dann sind Sie erst recht fehl am Platze. Denn einen uninformierten, unfähigen oder die Öffentlichkeit täuschenden Finanzminister können wir nicht gebrauchen.
Nun ist das leider die Fortsetzung einer Linie. Ich spreche Sie, Herr Bundeskanzler, ganz bewußt an. Ich habe ja noch in Grenzen nachvollziehen können, daß Sie 1990 im Überschwang des Wahlkampfes und der gerade vollzogenen deutschen Einheit vieles vielleicht gar nicht gesehen haben, was ein realistisch und kühl kalkulierender und denkender Politiker
hätte sehen müssen. Jedenfalls hat Herr Lafontaine es besser gesehen als Sie.
Dennoch habe ich nicht verstanden, daß Sie im Jahr 1990 nach der Bundestagswahl Ihre Regierungserklärung nicht genutzt haben, um dem deutschen Volk reinen Wein einzuschenken, klar zu sagen: Wir stehen jetzt vor einem schweren, harten Weg; er wird Opfer verlangen, und wir werden diese Opfer in den Grenzen der Zumutbarkeit und nach dem Maßstab der Gerechtigkeit von allen verlangen. Statt dessen haben Sie die Sozialkassen mißbraucht, die Beiträge hochgetrieben, mitgeholfen, die Arbeitsplätze zu vernichten, und gleichzeitig die Vermögensteuer abgeschafft. Das war ein unerträglich falscher Weg.
1994 haben Sie sich gerade mal so, mehr mit Überhangmandaten als mit Wählervertrauen, über die Hürde gerettet.
Anstatt dann die Chance zu nutzen, dem deutschen Volk reinen Wein einzuschenken, haben Sie wieder so getan, als könne man immer so weitermachen. Jetzt ist das Loch mittlerweile so groß, daß Theo Waigel, Helmut Kohl und die gesamte Koalition völlig problemlos darin Platz haben. Das will nun etwas heißen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben 1996 erneut die Chance versäumt. Anstatt dem Volk reinen Wein einzuschenken, die Wahrheit zu sagen und Realismus an den Tag zu legen, haben Sie in der „Operation Landtagswahlen" der F.D.P. die Absenkung des Solidaritätszuschlages versprochen, damit die F.D.P. über die 5 Prozent kommt und Ihre Koalition gerettet werden konnte. Da kann ich nur sagen: Sie haben die Erfordernisse des Staates den Bedingungen Ihrer Koalition und dem parteipolitischen Interesse untergeordnet. Das ist ein schlimmer Vorwurf, der leider auch noch begründet ist.
Statt sich heute auf eine absehbar schwierige Situation vorzubereiten, realistisch zu sein, klar zu sein, kommen von Ihnen Nebelkerzen und Beschimpfungen. Sie haben überhaupt keine Konzeption.
Das erste, was erforderlich wäre - Herr Bundeskanzler, ich fordere Sie dazu auf -, ist, hier klar etwas zu sagen. Denn eben hat jemand gesagt: Nein, einen neuen Haushalt brauchen wir nicht; gestern aber hat Herr Glos gesagt - nun kommt es auf den nicht sonderlich an, aber immerhin hat er es gesagt -,
Rudolf Scharping
es gebe einen Nachtragshaushalt. Was gilt jetzt? Kommt ein neuer Haushalt, oder kommt er nicht?
Ich fordere Sie auf, auch klar zu sagen, wie Sie den denn ausgestalten wollen. Was wollen Sie denn tun? Wollen Sie nur buchhalterisch festlegen, was an Mindereinnahmen und Mehrausgaben erforderlich ist, was das für die Neuverschuldung bedeutet usw. Das Parlament und das Volk haben Anspruch auf eine klare Antwort. Wir wollen von Ihnen wissen: Gibt es diese, oder gibt es sie nicht?
Wenn in diesem Jahr 18 Milliarden, im nächsten Jahr 32 Milliarden und im darauffolgenden noch einmal 32 Milliarden DM fehlen, muß man fragen: Wollen Sie nun den Solidaritätszuschlag wirklich absenken? Ich sage einmal in Richtung auf die F.D.P.: Nun seien Sie mal nicht allzu ängstlich! Auf einen Umfaller mehr oder weniger kommt es nun wirklich nicht mehr an.
Hier hätten Sie doch die gute Gelegenheit, den Umfaller als eine staatspolitische Notwendigkeit zu begründen. Ich würde sogar auf den Vorwurf verzichten.
Wenn der Solidaritätszuschlag nicht gesenkt wird, ist das ein Signal für die Solidarität im Osten Deutschlands, ein Signal für den Willen zu Unannehmlichkeit, für Realismus und finanzielle Stabilität. Also fordere ich Sie auf: Verzichten Sie auf den Unfug! Wir können den Solidaritätszuschlag senken, wenn die Staatskasse wieder in Ordnung ist, aber nicht um eine Klientel zu bedienen, nur damit die F.D.P. wieder in die Parlamente kommt.
In dem Zusammenhang muß ich fragen: Wie wollen Sie das mit der Bundesbank jetzt machen? Wie wollen Sie das machen mit den Telekom-Aktien?
Schauen Sie, jeder, der sich darum kümmert, weiß, internationale Kapitalmärkte werden im Herbst durch einige Großemissionen ohnehin stark beansprucht. Man muß fürchten, wenn Sie an der Börse verkaufen, dann wird das nur zu Kursabschlägen führen. Im übrigen provozieren Sie das Risiko, daß Sie wegen Prospekthaftung bei den Kleinanlegern, die sich getäuscht fühlen müssen, dann auch noch in Regreß genommen werden.
Wenn Sie allerdings bei institutionellen Anlegern etwas tun wollen, muß ich Ihnen sagen, auch dann ist das Vertrauen in die Verläßlichkeit Ihrer Position deutlich eingeschränkt. Also frage ich mich - unabhängig von der Kursentwicklung und den Risiken, die auftauchen mögen und vermutlich von Ihnen mit provoziert werden -: Was wollen Sie denn jetzt eigentlich? Nennen Sie doch einmal hier im Deutschen Bundestag klipp und klar nicht eine lange Linie von
Beteiligungen des Bundes, die wir kennen - das war eine eindrucksvolle Liste -, sondern sagen Sie, was Sie konkret tun wollen.
Herr Bundeskanzler, ich frage Sie - den Finanzminister überfordert es ja offenkundig -: Wie wollen Sie jetzt mit dem Aktienbesitz des Bundes bei der Deutschen Telekom umgehen?
Wird dieses Jahr verkauft oder nicht? Wieviel und an wen wird dieses Jahr verkauft? Welche Vorstellungen haben Sie? Klarheit an den Märkten ist jetzt das Notwendige, damit die eingetretene Verunsicherung, die Einschränkung von Glaubwürdigkeit und Verläßlichkeit an den Märkten wieder beseitigt werden kann, die Sie mit Ihren hektischen Aktionen hervorgerufen haben.
Wie sieht es mit der Bundesbank aus? Ein Bundesfinanzminister - der seit Wochen wissen kann, welche Ergebnisse die Steuerschätzungen haben werden, aber wochenlang alles bestreitet - fliegt wie ein Teppichhändler schnell einmal mit dem Hubschrauber nach Frankfurt und überrascht einen Zentralbankrat. Die zweitgrößte Industrienation der Erde ist auf Export, auf das Vertrauen internationaler Investoren und anderes angewiesen, damit ihre Arbeitsplätze, ihre Ausbildungsplätze und ihr sozialer Zusammenhalt erhalten und gestärkt werden können. Wie können Sie sich ein so schauerliches Bild selbst zumuten, in einer Notaktion wie ein Getriebener nach Frankfurt zu fliegen, anstatt verläßliche und klare Politik zu betreiben und mit den Menschen Offenheit zu praktizieren?
Ich will Ihnen ersparen, was Sie 1981/82 hier im Deutschen Bundestag alles gesagt haben: über die Verwendung des Bundesbankgewinns, über die Monetarisierung und über vieles andere, was am Ende nur Geldschöpfung bedeutet. Nur, nachdem der Kollege Schäuble beklagt hat, daß wegen mangelnder Inflation die Steuereinnahmen zurückbleiben, beschleicht mich ein gewisser Verdacht, was mit der Monetarisierung, dem Bundesbankgewinn und den vielen Operationen, die Sie vorhaben, gemeint sein könnte.
Der Verdacht beschleicht mich: Sie haben mit Ihrer Finanzpolitik das Ziel der Stabilität und der glaubwürdigen Verfolgung dieses Ziels in erheblichem Umfang beschädigt. Jetzt sind Sie dabei, es auf den internationalen Finanzmärkten und gegenüber den internationalen Investoren auch noch zu beschädigen - ein völlig unverantwortlicher Weg.
Also, Herr Bundeskanzler, meine erste Frage war: Gibt es jetzt einen neuen Haushalt, ja oder nein? Meine zweite Frage: Wird der Solidaritätszuschlag gesenkt, oder kommen Sie vielleicht zu einer verantwortungsbewußteren Position angesichts der finan-
Rudolf Scharping
ziellen Lage unseres Landes und seiner öffentlichen Haushalte? Verlangen Sie von der F.D.P., daß sie endlich die Bedienung ihrer Klientel einstellt. Sie hat die Chance, den Umfaller entsprechend zu maskieren.
Drittens: Steuerreform. Ziehen Sie diese Vorschläge zurück! Es ist nicht mehr zu vertreten, was Sie vorgelegt haben.
In einer solchen Zeit 57 Milliarden DM an zusätzlichen Ausfällen einzuplanen ist genauso unverantwortlich wie die Täuschung, die Sie vornehmen. Soll es jetzt so kommen, daß Sie erst 1998 die Steuern erhöhen, damit Sie sie 1999 vielleicht wieder ein bißchen senken können? Haben Sie tatsächlich die Absicht, zum 1. Januar 1998 die Mehrwertsteuer zu erhöhen? Haben Sie die Absicht, zum 1. Januar 1998 oder zu einem anderen Termin in 1998 die Mineralölsteuer oder eine andere Verbrauchsteuer zu erhöhen? Sagen Sie hier einmal klipp und klar, ob Sie diese Absicht haben. Denn dann wird ganz offenkundig, daß Sie erkennbar nichts anderes im Kopf haben, als neuerlich einen steuerlichen Betrug vorzunehmen.
Wir haben Ihnen mehrfach eine solide finanzierte Steuerreform vorgeschlagen, eine Steuerreform, die Familien, Leistungsträger und Normalverdiener entlastet und den investierenden Unternehmen hilft. Leider sind Sie darauf bisher nicht eingegangen.
Schließlich viertens: Haben Sie die Absicht oder haben Sie nicht die Absicht, noch in diesem Jahr mit uns eine gemeinsame Entscheidung zur Senkung der Lohnnebenkosten zu treffen? Wir schlagen Ihnen das erneut ausdrücklich vor.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was die Regierung heute hier geboten hat, schafft keine Klarheit, sondern verunsichert weiter. Was die Regierung heute hier geboten hat, zeigt: Diese Koalition ist sich in der Sache tief uneinig, zu konsequentem, zukunftsfähigem Handeln unfähig. Was die Regierung und die Koalition heute hier geboten haben, macht überdeutlich: Diese Koalition ist der größte, der schlimmste Schaden für die Entwicklung der Zukunft unseres Landes. Sie haben die öffentlichen Kassen ruiniert, Sie haben die Arbeitslosigkeit auf einen Nachkriegshöchststand gebracht, Sie haben die Zukunftsvorsorge so niedrig wie nie zuvor in Deutschland gehalten. Sie schonen diejenigen, die zur Solidarität beitragen müßten, und belasten diejenigen, die Ihrer Politik nicht ausweichen können.
Das muß sich in Deutschland ändern. Ich glaube nicht, Herr Bundeskanzler, daß Sie, wenn Sie jetzt reden, irgend etwas an Änderungen ankündigen. Also müssen wir uns leider darauf einrichten: Es bleibt bei den Unklarheiten. Es wird von Ihnen irgendwann nicht nur gepfiffen, sondern auch geschworen werden müssen. Dann haben wir die Ergebnisse auf dem Tisch. Es ist schon jetzt abzusehen: Sie werden für das deutsche Volk schlecht sein. Aber Sie bekommen die Quittung dafür. Das können Sie von hier aus mit nach Hause nehmen.
Das Wort hat der Kollege Joschka Fischer, Bündnis 90/Die Grünen.
Überwiegend hat jetzt der Kollege Fischer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der beeindruckenden Rede des Bundespräsidenten erscheinen dieser Tage ganzseitige Zeitungsanzeigen mit der Überschrift „Vielen Dank, Herr Bundespräsident! ". Diese Rede ist, wenn man sie ernst nimmt, eine Warnung, eine Warnung an das politische Establishment in diesem Land, eine Warnung davor, daß Stillstand und Handlungsunfähigkeit zum Signum Bonner Politik werden.
Wer heute die Auslassungen der Bundesregierung, des Bundesfinanzministers, wer heute die Reden des Kollegen Schäuble und des Kollegen Gerhardt gehört hat, der
kann allerdings verstehen, daß dieses Vorurteil mehr und mehr zu einem Urteil wird und daß dieses Mißtrauen nachhaltig zunimmt. Das halte ich für gefährlich.
Der Bundeskanzler sitzt die ganze Zeit hier und amüsiert sich köstlich. Offensichtlich hat er keine andere Perspektive mehr; denn in den 15 Jahren der Regierung Kohl hat es ein solches finanzpolitisches Debakel, ein solches Tohuwabohu noch nicht gegeben.
Ich erinnere mich an die Reaktion auf die Arbeitslosenzahlen im Januar. Es war ein Schock. Plötzlich war auch der Bundeskanzler der Meinung, man müsse etwas gegen die große Zahl von Überstunden tun. Das hat er bislang, wenn die Opposition es vorgeschlagen hat, immer zurückgewiesen.
Joseph Fischer
Jetzt schauen wir uns die Reaktion auf die Steuerschätzung an, wo offensichtlich nur noch Heiterkeit bleibt, weil Helmut Kohl sich selbst und seiner Regierung Lösungen angesichts des wegbrechenden Haushaltes '97 offensichtlich nicht mehr zutraut.
Sie taumeln mit dieser Koalition ihrem Ende entgegen, Herr Bundeskanzler,
nur um einen verflucht hohen Preis für Deutschland: Die Arbeitslosigkeit steigt und steigt, und Sie glauben ja selbst nicht, daß die SPD und die vereinigte Opposition schuld daran ist.
Nehmen Sie doch nur die letzte Pressekonferenz von Herrn Jagoda. Er sagt klipp und klar: Das Desaster in der Bauwirtschaft - Stichwort Entsendegesetz - ist eines der Hauptprobleme. Die Gesundheitsreform, die zu dramatischen Einbrüchen in diesem Sektor des Arbeitsmarktes führt, ist ein zweiter Grund - so Herr Jagoda. Der dritte Grund sind Kürzungen bei der Bundesanstalt für Arbeit im Bereich von Aus- und Fortbildung, im Bereich der ganzen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Das alles führt zu einer Nettosteigerung, bezogen auf das Vorjahr, bei der Arbeitslosigkeit. Das ist die Realität.
Hinzu kommt eine lahmende Konjunktur, hinzu kommen der Reformstau und eine fatale Wirtschaftsentwicklung in Ostdeutschland. Ostdeutschland fällt real, bezogen auf Westdeutschland, zurück und holt nicht auf, wie es dringend notwendig wäre.
Das ist die Situation im Bundeshaushalt '97, wo wir jetzt eine eingestandene Waigel-Lücke von zusätzlich 30 Milliarden DM haben. Wie diese Lücke gedeckt werden soll, Herr Bundeskanzler, das würde uns hier einmal interessieren, und zwar nicht vor der Bundespressekonferenz und nicht durch einen Bundesfinanzminister, der offensichtlich überfordert ist, sondern durch Sie. Sie sollten hier einmal klipp und klar sagen, wie Sie den Bundeshaushalt '97 tatsächlich retten wollen und wie Sie diese unsägliche Situation hier in Deutschland in eine bessere Richtung bringen wollen.
Da werden jetzt Dinge gesagt, meine Damen und Herren, die sind abenteuerlich. Dieselben Jungs, die sich in einer unglaublichen Arroganz über Monate hinweg als Stabilitätsweltmeister in Europa dargestellt haben, die über die kreative Buchführung der Italiener die Nase gerümpft haben, sind jetzt Weltmeister der kreativsten Buchführung.
Herr Waigel, ich muß Ihnen eines sagen: Mit Ihren Vorstellungen würden Sie im zuständigen Stadtparlament in Palermo noch auf Hochachtung treffen; davon können Sie wirklich ausgehen bei dem, was Sie hier abgeliefert haben.
Graf Lambsdorff, Sie tun mir fast leid. Da stellen Sie sich hier hin und betätigen sich als Weißwäscher. In Wirklichkeit geht Ihnen angesichts dieser Situation das Messer in der Tasche auf; das sieht man Ihnen sogar noch an.
Der entscheidende Punkt ist doch: Gegenwärtig sind Sie dabei, unter dem Druck des wegbrechenden Haushalts alle Grundsätze, für die Sie bisher gestanden haben, fortzuwerfen. Diese Grundsätze treten Sie mit Füßen.
Nehmen Sie nur einmal die Situation der ,, kreativen Buchführung", um den Euro-Haushalt zu erreichen. Damit ist doch völlig klar, daß Sie das Vertrauensdefizit in den Euro nicht verringern, sondern vergrößern werden. Das finden wir eine fatale Entwicklung.
Nehmen Sie doch die Situation bei der Veräußerung der Telekom-Aktien. Es findet hier bei der ansonsten so sparsamen F.D.P. überhaupt keine Erwähnung mehr, daß es sich hierbei um einen Notverkauf handelt, daß man demnächst also auch mit entsprechenden Abschlägen zu tun haben wird, von der Verunsicherung der Märkte, von der Verunsicherung der Aktionäre einmal ganz zu schweigen.
Sie wissen doch so gut wie ich, daß diese ganzen Notverkäufe - es wird nicht bei der Telekom bleiben, Herr Waigel hat den Verkauf von anderen in seiner Rede angekündigt, übrigens der einzig konkrete Punkt, den er angesprochen hat - zu Lasten der Bundeskasse gehen werden und daß dies das Gegenteil von solider Haushaltsführung ist. Das befindet sich vermutlich auch ziemlich im Widerspruch zu den bestehenden Haushaltsgesetzen.
Dann kommen wir zu den Goldreserven der Bundesbank, zu der Bilanzpolitik. Die Finanzpolitik ist gescheitert, und jetzt hat diese bürgerliche Koalition die Bilanzpolitik, die Bilanzkosmetik, entdeckt.
Ich versuche mir immer vorzustellen, hier säße nicht Helmut Kohl, sondern Helmut Schmidt, und ein Helmut Schmidt, eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung hätte versucht, ähnliches zu tun, nämlich über eine Bilanzkosmetik, über die Bilanzpolitik Haushaltspolitik zu konsolidieren. Herr Bundeskanzler, Sie wären doch als Oppositionsführer
vor Empörung auf die Bänke gesprungen und hätten hier mit Ihrer Fraktion herumgetanzt, und zwar zu Recht! Denn wie sehr Sie jetzt Vertrauen erschüttern, das geht auf keine Kuhhaut mehr.
Joseph Fischer
Es ist völlig klar: Sie setzen in Europa Maßstäbe der Erschütterung des Vertrauens und nicht der Stabilisierung und der Stabilität.
Mit dem, was Sie gegenwärtig machen, ruinieren Sie nicht nur die materielle Seite unserer Stabilitätskultur.
Das Bundesbankgesetz ist mit einfacher Mehrheit zu ändern. Unsere Stabilitätskultur ist Ausdruck eines gewissen „common sense". Da predigen wir die Unabhängigkeit der Nationalbanken. Da predigt Deutschland, vorneweg der Bundesfinanzminister, die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank am Beispiel der Bundesbank. Und nun fragen sich unsere verdutzten Nachbarn und Partner: Was ist jetzt in Deutschland los? Da hat Waigel einmal ein Haushaltsproblem, das ihn zum Rücktritt bringen müßte, und plötzlich ist es mit der Unabhängigkeit der Bundesbank nicht mehr weit her. Meine Damen und Herren, Sie müssen sich einmal überlegen, welche Konsequenzen dies hat!
Sie, Graf Lambsdorff und andere, sagen alle, die jungen, 35jährigen Analysten wüßten nicht, worum es geht. Es gibt da noch einen „jungen, 35 jährigen" Sachverständigen: Professor Peffekoven, auch so ein „junger Heißsporn" - im Vergleich zu Ihnen -
und überhaupt nicht getragen von Sachkenntnis - so nehme ich an; er ist nur Ihr Sachverständiger. Da lese ich heute: Peffekoven warnt vor Höherbewertung der Goldreserven. Dies sei eine Form der Geldschöpfung, sagt Peffekoven. Meine Damen und Herren, wir schaffen neues Geld und schüren damit ganz klar die Inflationsgefahr.
Das muß man hier einmal klipp und klar sagen. Herr Bundeskanzler, Sie haben doch Redezeit. Wenn Sie meinen, das sei Quatsch, dann kommen Sie als die versammelte Kompetenz hierher und widerlegen Sie Herrn Peffekoven! Das würde uns schon interessieren.
- Ich muß zum Ende kommen, Graf Lambsdorff.
Meine Damen und Herren, dieses ganze Trauerspiel, das wir jetzt erleben, hat nur einen Grund: Sie sind nicht bereit, die Blockade, die sich allein aus machtpolitischen Gründen in Ihrer Koalition
ergibt, aufzubrechen. Sie werfen immer der SPD vor, sie blockiere.
- Ja, das stimmt ja auch. Richtig!
Auf euren Wahlversammlungen könnt ihr das verkünden. Aber die eigentliche Blockade ist doch ganz woanders.
Das konnte die Union, diese große Volkspartei, gestern auf der Fraktionssitzung von den eigenen Leuten hören.
Die Blockade sieht so aus: Die deutsche Einheit ist nicht billig; die Opposition würde nie behaupten, daß sie das sei. Wir müssen die Lasten gemeinsam tragen; darüber gibt es überhaupt keinen Streit. Wir werfen Ihnen aber vor, daß Sie die Konsequenzen daraus nicht gezogen haben. Angesichts der Tatsache, daß die deutsche Einheit Probleme mit sich bringt und daß Sie 1990 nicht bereit waren, dies dem deutschen Volk zu sagen und die notwendigen Steuererhöhungen vorzunehmen, angesichts der dramatischen Situation am Arbeitsmarkt, angesichts der Notwendigkeit von Zukunftsinvestitionen, die Geld kosten, angesichts des Reformstaus, der in diesem Lande besteht, angesichts dessen brechen die Einnahmen weg.
Sie müssen konsolidieren und eine entsprechende Reforminitiative ergreifen, was Ihnen offensichtlich sehr schwer fällt und, wenn überhaupt, viel zu spät geschieht. Die SPD ist nicht daran schuld, daß Sie das so lange ausgesessen haben. Das ist Ihr Stil, nicht der sozialdemokratische Stil. Sie müssen dem Volk die Wahrheit sagen: Angesichts dieser Lasten und des Wegbrechens der Staatseinnahmen kommen Sie bei allen Konsolidierungs- und Reformanstrengungen nicht an der Frage der Steuererhöhung vorbei.
Es ist allein die Machtfrage, die Sie daran hindert, diese Blockade aufzubrechen. Es sind allein die Interessen einer Klientelpartei, die ihre Existenz mit dem Signum „Steuersenkungspartei verbunden hat, die Sie daran hindern, diese Blockade aufzubrechen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Warum sagen Sie nicht, daß es angesichts dieser Lage absurd ist, den Solidaritätszuschlag jetzt abzusenken? Was wird aus der Steuerreform? Wir wären sofort dafür, eine zu machen, wenn Sie endlich sagen würden, wie Sie das Defizit von 30 Milliarden DM, das diese Steuerreform verursacht, angesichts der zusätzlichen Defizite, die in den kommenden Haushalten auf uns zukommen, ausgleichen wollen.
Joseph Fischer
Im Klartext: Es geht Ihnen hier allein um den Machterhalt und um sonst gar nichts. Das ist die wirkliche Blockade.
Sie sind dabei, die Zukunft dieses Landes zu verspielen, nur weil Sie wissen: Sie benötigen 1998 die F.D.P. als Koalitionspartner. Wenn Sie diese nicht mehr haben, drohen Sie dauerhaft in eine strategische Minderheitenposition zu geraten. Es darf doch nicht wahr sein, daß solche sinistren Machtüberlegungen am Ende zu Lasten der Zukunftsfähigkeit unseres Landes gehen.
Das Wort hat der Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren von der Opposition! Auch ich habe Sie ertragen müssen; jetzt müssen auch Sie mich ertragen. Ich finde, das ist auch ganz gut so.
Ich muß vorweg sagen: Es ist schon eigenartig, daß der Sprecher der Grünen und der Sprecher der SPD die ganze Zeit von Machtüberlegungen sprechen. Was machen Sie denn die ganze Zeit hier im Deutschen Bundestag und im Bundesrat? Nichts anderes als Machtüberlegungen!
Wir wären doch in den entscheidenden Fragen der Verbesserung der Wirtschaftssituation und in den Fragen im Zusammenhang mit der überfälligen Steuerreform sehr viel weiter, wenn Sie gesprächsfähig wären.
Wir haben doch dafür gerade in diesen Tagen wieder ein Beispiel erlebt.
- Ich habe die Absicht, meine Rede so zu halten, wie ich es für richtig halte. Ich habe jetzt Ihre Anpöbelungen der Redner der Koalition lange genug angehört.
Ich weiß aus langjähriger Erfahrung - bei der SPD hat sich hier in den letzten zwei Jahren etwas verändert -, wo das mit den Zwischenrufen systematisch gemacht wird, bei welchen Rednern das besonders konzentriert versucht wird. Sie werden mit dieser Art Psychoterror - etwas anderes ist das nicht - überhaupt nichts erreichen.
Wer hier in einem fort den Parlamentarismus und die Demokratie beschwört und einen so nachdenklichen Beitrag wie den des Kollegen Schäuble eben einfach immer wieder niederbrüllt, der hat jedes Recht verloren, von Parlamentarismus und parlamentarischer Kultur zu reden.
Wenn es um Ihre Machtüberlegungen geht, dann kann ich dazu nur sagen: Wir benötigen dazu von Ihnen keine Belehrungen. Denn daß wir schwierige Probleme haben, hat vielerlei Gründe - ich will einige davon erwähnen -, aber es hat ganz gewiß - etwa im Bereich der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit - auch den Grund, daß Sie seit Jahr und Tag die notwendigen Entscheidungen verweigern
und daß Sie in einer unglaublich demagogischen Weise beispielsweise von Subventionen - das habe ich heute erst wieder gehört - und vom Sparen sprechen.
Es ist hier mit Recht gesagt worden: Es ist erst wenige Wochen her, daß wir in einer schwierigen Verhandlung mit Vertretern des Steinkohlebergbaus und der Gewerkschaften ein vernünftiges Ergebnis erreicht haben. In diesen Stunden, als die Kumpels hier in Bonn waren, haben die SPD und die Grünen nichts dazu beigetragen, um mehr Vernunft unter die Leute zu bringen.
Sie haben vielmehr versucht, diesen Kompromiß systematisch zu zerstören. Das habe ich miterlebt. Ich werde nicht müde, das immer wieder zu sagen.
Herr Abgeordneter Scharping, damit sind wir an dem Punkt: Sie können reden, was Sie wollen, es geht Ihnen im Moment überhaupt nicht darum, daß das Land vorangebracht wird. Sie machen auch keine Vorschläge. Am Beispiel der Verweigerung bei der Rentenreform kann doch jedermann Ihre taktische Absicht erkennen. Wenn selbst der Deutsche Gewerkschaftsbund - ganz gewiß keine Parteigänger der Koalition - Ihnen inzwischen ins Stammbuch schreibt, daß es notwendig sei, Gespräche zu führen, wenn einer der angesehensten Repräsentanten der älteren Generation aus dem Verbandsbereich, Herr Hirrlinger, Sie auffordert, zu Gesprächen zu kommen, dann sieht man doch an diesem Beispiel, daß Sie gar nicht wollen. Sie wollen das Land möglichst auf Null bringen, um dann, wie Sie glauben, die Wahl gewinnen zu können.
Diese Versuchung überkommt jede Opposition. Auch ich war einmal Oppositionsführer in diesem Haus, und auch meine Partei geriet in die Versuchung, zu glauben, daß eine Botschaft, die seinerzeit aus einem wunderbaren Städtchen im Allgäu kam, erfolgreich sein könnte. Das Ergebnis jener damaligen Botschaft war ein großartiger Mißerfolg. Wenn Sie, Herr Abgeordneter Scharping, von Quittung reden, lassen Sie uns doch mit Ruhe den Abend des
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
27. September 1998 ins Auge fassen. Wir werden dann ja erleben, daß Ihre Wünsche gerade deswegen nicht in Erfüllung gehen, weil Sie sich bei allen wesentlichen Entscheidungen verweigern -
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
- nein - und weil Sie kein wirkliches Interesse daran haben, daß vernünftige Gespräche geführt werden. Die ganzen Vorstellungen im Zusammenhang mit den Steuergesprächen haben uns das doch gezeigt. Es war doch wirklich ein schauerliches Schauspiel, daß Leute in verantwortlichen Positionen in der deutschen Politik sich über Dinge unterhalten mußten, die mit der Steuerreform in Wirklichkeit gar nichts zu tun hatten.
Angesichts der verbalen Ausfälle, die Sie heute wieder gemacht haben, will ich Ihnen sagen: Sie mögen ja den Bundesfinanzminister - das ist Ihr gutes Recht - kritisieren. Es ist auch völlig in Ordnung, daß das von seiten der Opposition, wenn es sein muß, in einer scharfen Weise, geschieht. Nur die Art und Weise, wie Sie es tun, in Form persönlicher Verletzungen, ist völlig inakzeptabel - völlig inakzeptabel! -,
vor allem gegenüber einem Mann, der in all den Jahren als Bundesfinanzminister nicht nur national, sondern auch international zu Recht hohes Ansehen gewonnen hat, und der in der Lage ist, die Bundesrepublik auch international in einer glänzenden Weise zu repräsentieren. Die Vorstellung, daß einer von Ihnen, die jetzt hier gesprochen haben, bei der innerdeutschen Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion 1990 in Deutschland Finanzminister gewesen wäre, ist ein Alptraum. Dies hätte mit Sicherheit dazu geführt, daß wir diese großen Entscheidungen nicht hätten treffen können.
Eine Frage will ich gerne beantworten, Herr Abgeordneter Scharping. Die jetzt eingetretenen Notwendigkeiten müssen natürlich innerhalb der Koalition wie auch der Regierung sehr sorgfältig erwogen werden.
- Sie brauchen doch keinen so intelligenten Zwischenruf zu machen; Sie brauchten ja nur einmal einen Moment nachzudenken, statt gleich wieder loszubrüllen.
Wir haben die Pflicht, der wir selbstverständlich nachkommen werden, im Juli den Haushaltsentwurf 1998, auf den die vorgelegten Zahlen notwendigerweise Auswirkungen haben, vorzulegen. Wir werden zu diesem Zeitpunkt auch entschieden haben, ob es
notwendig ist, einen Nachtragshaushalt vorzulegen, oder nicht.
- Entschuldigung, beides gehört doch zusammen. Sie können doch nicht erwarten, daß wir heute vor Sie hintreten - das gilt übrigens auch für andere Fragen, die Sie gestellt haben - und Antworten geben, die im Augenblick gar keiner geben kann. Das ist doch nun wirklich selbstverständlich.
- Sie können dieses Geschrei fortsetzen. Mich berührt das überhaupt nicht. Damit ist nur nochmals die absolute Unmöglichkeit erwiesen, mit Ihnen in einer solchen Debatte ein Sachgespräch zu führen.
Meine Damen und Herren, wir haben angesichts der besser werdenden Wirtschaftssituation - das wird auch Auswirkungen auf die Finanzsituation haben - unter den Voraussetzungen, die Wolfgang Schäuble hier genannt hat, eine gute Chance, aus dem Tal herauszukommen.
Es ist schon gesagt worden, ich will es wiederholen: Im Ausland - wo immer Sie hinschauen - hat sich ein sehr viel günstigeres Bild über die Verhältnisse in unserem Land entwickelt. Gerade ist der „Economist" zitiert worden. Es gibt viele Stimmen, die wie diese Zeitung darauf hinweisen, daß die Bundesrepublik aus der Talsohle des wirtschaftlichen Rückschlags herauskommt und daß die prognostizierten Zahlen erreicht werden.
Sie haben hier häufig die Bundesbank zitiert. Es ist doch ganz wesentlich und interessant, daß die neuesten Zahlen der Bundesbank über Direktinvestitionen belegen, daß wir langsam auch auf diesem Feld auf einem besseren Weg sind. Die deutsche Wirtschaft hat die globalen Herausforderungen angenommen; sie tätigt die notwendigen Auslandsinvestitionen, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Es ist aber auch unübersehbar, daß die ausländischen Investitionen in Deutschland spürbar ansteigen.
- Das ist allerdings unwahrscheinlich intelligent.
Herr Scharping, Sie sollten diesen Kollegen ruhig-stellen. Wenn jemand auf den Gedanken kommen würde, diese Zwischenrufe zusammenzufassen, dann ergäbe das ein schauerliches Bild für die deutschen Sozialdemokraten.
Wir werden in diesem Jahr ein reales Wachstum von 2,5 Prozent erreichen. Wir werden mit dem Anziehen der Konjunktur - auch davon bin ich über-
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
zeugt - zum Ende des Jahres eine Trendwende am Arbeitsmarkt erfahren.
- Sie können mich ja am Ende des Jahres daran erinnern; Sie können das Datum festhalten. Ich stehe zu dem, was ich eben gesagt habe.
Angesichts des hohen Sockels, von dem wir ausgehen, bedeutet das natürlich nicht, daß wir die ursprünglichen Erwartungen erfüllen werden. Das habe ich schon vor ein paar Tagen gesagt; das ergibt sich auch ganz nüchtern aus den Zahlen. Die Kosten der zu hohen Arbeitslosigkeit schlagen sich in all den Zahlen nieder, die Theo Waigel vorhin in seiner Rede genannt hat.
Wenn man die Arbeitslosigkeit einmal analysiert und seriös über dieses Thema redet, dann wird klar, daß wir alle zum Handeln aufgerufen sind, um die Entwicklung auf diesem Feld umzukehren.
Es paßt zu diesem Thema, auch das anzusprechen, was in den Ländern geschieht bzw. nicht geschieht. Im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit ist ein Betrag von 500 Millionen DM angesetzt, um - Sie haben es vorhin angesprochen, Herr Scharping -, Abgängern von Hauptschulen, die bildungsmäßigen Grundvoraussetzungen für die Aufnahme einer Lehre zu vermitteln.
Wenn 10 Prozent der Abgänger von deutschen Hauptschulen nicht in der Lage sind, eine Lehre zu beginnen, weil die Ausbildung an der Hauptschule dafür nicht ausreicht, dann ist das eine Frage, deren sich der föderale Staat - daran sind Sie mit Ihrer Mehrheit im Bundesrat sehr stark beteiligt - annehmen muß. Es ist überfällig, daß Reformen auch hier ansetzen.
Ich könnte dazu noch mehr Beispiele bringen.
Daß das Thema Bildung und Ausbildung von elementarer Bedeutung ist, steht außer Frage. Wir haben doch die bestürzende Situation, daß von den über 4 Millionen Arbeitslosen rund 1 Million langzeitarbeitslos sind und daß rund 40 Prozent der Langzeitarbeitslosen nicht zuletzt deswegen in dieser für sie bitteren Lage sind, weil sie keine abgeschlossene Ausbildung haben. Das heißt: Die Frage, die ich eben angesprochen habe, hat sehr viel damit zu tun, ob wir in einer ganzheitlichen Betrachtung und mit einer ganzheitlichen Aktivität an das Thema der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit herangehen. Wir haben eine Menge Dinge auf den Weg gebracht; auch das ist hier schon gesagt worden. Diese werden ihre Wirkungen haben.
Wenn ich die Tarifdiskussion betrachte, wenn ich sehe, was an neuer Flexibilität in bezug auf die Arbeitszeitregelung und das Entgelt unter dem Dach eines Gesamttarifs in vielen Regionen und vielen Betrieben - übrigens auch mit Zustimmung beispielsweise der IG Metall - geschaffen wurde, dann muß ich feststellen, daß hier eine wesentliche Veränderung in Gang gekommen ist. Die Veränderung ist
letztlich in Gang gekommen, weil wir sie mit den notwendigen gesetzlichen Änderungen - auf freiwilliger Basis ging es nicht - erzwungen haben. Ich hätte es sehr viel lieber gesehen, wenn wir in Sachen Lohnfortzahlung zu einem wirklichen Einverständnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gekommen wären. Ich habe mir in dieser Sache viel Mühe gegeben. Es war aber nicht möglich.
Wolfgang Schäuble hat es schon gesagt: Die Folgen der Entwicklung , daß sich etwas Wesentliches geändert hat, sind doch spürbar. Das war doch nicht Ihr Beitrag. Sie reden immer von der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, aber in Wahrheit tun Sie gar nichts, vor allem dann nicht, wenn es unpopulär ist.
Es ist doch einfach wahr: Die Steuerstruktur ist keine Frage der parteipolitischen Auseinandersetzung. Die Zahlen, die jetzt über den Steuereingang vorliegen, machen deutlich, daß wir insgesamt betrachtet jetzt an eine Grenze gelangt sind, hinter der es gefährlich wird. Das heißt: Die große Steuerreform ist überfällig, absolut überfällig. Sie muß durchgesetzt werden!
Die Zahlen sind nur dann verständlich, wenn man bedenkt, daß das Steueraufkommen nicht zuletzt dadurch erheblich gemindert wurde, daß steuerliche Abschreibungen zu entsprechenden Erstattungen und zur Vermeidung von Steuerzahlungen geführt haben. Wenn wir sagen, wir wollen Arbeitsplätze schaffen und Arbeitslosigkeit bannen, dann wissen wir, daß wir mehr Investitionen brauchen. Investitionen werden wir nur dadurch bekommen, daß Investoren bereit sind, auch das entsprechende Kapital anzulegen. Nur Investitionen führen zu Wirtschaftswachstum und damit automatisch wieder zu höheren Steuereinnahmen.
Eigentlich ist dieses Thema so oft diskutiert worden, daß man glauben müßte, wir hätten es begriffen: Die niederländische Wirtschaft und die Menschen, die dort leben und arbeiten, sind doch in keiner anderen psychologischen Situation als die Leute etwa am Niederrhein. Dennoch sind dort Reformen gelungen, und zwar mit einer Politik, die schon seit Jahren auch von einem Mann vertreten wird, der bevor er Regierungschef wurde, Gewerkschaftsvorsitzender war. Ich spreche von Wim Kok, der diese Reformen erreicht hat.
- Auf den können Sie sich nun wirklich nicht beziehen.
Ich könnte jetzt hier vom Pult aus mit Ihnen vereinbaren, daß wir wichtige Elemente seiner Politik übernehmen.
Wenn Sie das wollen,
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
dann sagen Sie das. Herr Scharping, Sie sind Vorsitzender des Zusammenschlusses der europäischen Sozialdemokraten. Ich habe zu denen auch eine gewisse Beziehung. Wenn wir beide übereinstimmen, daß Wim Kok hier einem Schiedsgericht vorsitzt, bin ich sofort bereit, ihn einzuladen - aber unter der Bedingung, daß Sie anschließend ausführen, was er vorgeschlagen hat.
Angesichts dieser Zahlen sieht von uns natürlich jeder, welche Entscheidungen notwendig sind. Eines soll klar sein - das will ich für die Koalition, für die Bundesregierung und für meine Partei noch einmal ganz deutlich erklären -: Gerade die Zahlen der letzten Tage und die sich daraus ergebenden Notwendigkeiten sind für mich ein klarer Hinweis darauf, daß das Reformwerk, das wir auf den Weg gebracht haben, jetzt durchgesetzt werden muß.
Wir dürfen bei der Steuer- und der Rentenreform, auch bei der Gesundheitsreform und mit Blick auf mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt auf gar keinen Fall innehalten. Ich lade Sie noch einmal ein, während der Beratungen - etwa jetzt im Ausschuß, im Plenum, bei den Hearings und auch später bei den Beratungen im Bundesrat und, wenn es gar nicht anders geht, schließlich dann im Vermittlungsausschuß - vernünftige Gespräche zu führen.
Herr Fraktionsvorsitzender Scharping, ich biete Ihnen eine Wette an, was ich selten tue: Sie werden mit dieser Blockade bei den Bundesländern nicht durchkommen. Ihre Partei hat beispielsweise in einem Land, das wir beide ganz besonders kennen, eine Koalition mit einer Partei, die Sie hier unentwegt beschimpfen. Das ist übrigens ganz eigenartig: 1969 war die F.D.P. als „Klientelpartei" gut genug, um mit Ihnen regieren zu können.
- Ja, Frau Matthäus-Maier, das ist wahr: Es war eine andere F.D.P.; Sie waren damals noch dabei. Sie sind aber weggegangen. War das ein Nachteil für die F.D.P.?
War das ein wirklicher Nachteil? - Nein, ich will mich dazu nicht äußern. Das ist nicht meine Sache. Ich sehe bloß die Gesichter bei den Kollegen und Kolleginnen der SPD. Dazu mache ich mir meine Gedanken.
Wenn wir - auch das will ich sagen - im Rahmen der Erwägungen, die wir jetzt neu anstellen müssen, zu bestimmten Entscheidungen kommen, habe ich Verständnis dafür, daß Sie diese Entscheidungen kritisieren. Übrigens haben wir diese Entscheidungen
noch gar nicht getroffen; wir haben bis jetzt nur Absichten erklärt. Daß Sie aber von vornherein in einer solchen Form die Überlegungen im Blick auf die Bundesbank und die Telekom diffamieren, zeigt doch: Sie sind auch auf diesen Feldern gar nicht an einem ernsthaften Gespräch interessiert.
Wenn ich dann noch von einem Ihrer Redner höre, was wir hier alles falsch machen, weil wir privatisieren, dann entgegne ich Ihnen: Das müssen gerade Sie sagen! Ihre Fraktion kommt doch aus der ganzen Bundesrepublik, aus allen Bundesländern. Was tun Sie denn dort, wo Sie an der Regierung sind? Niedersachsen ist ein Beispiel, das naheliegt, weil der Hoffnungsträger der SPD dort gerade auch den Haushalt saniert.
- Das muß ich Ihnen sagen: Da empfinde ich keinen Neid.
Wissen Sie, wenn wir jetzt eine wirklich offene Debatte hätten, hätten eben zwei Drittel Ihrer Fraktion hier mitgeklatscht.
- Die erste Bank weiß immer alles besser. Da habe ich lang genug gesessen; die muß gut sein.
Ich will bloß ganz wenige Beispiele bringen. Wenn man Sie so hört, meint man, wir sitzen hier auf einem anderen Stern. Aber die föderale Ordnung bringt noch viel Leben ins Land. In Niedersachsen haben Sie bereits 1997 für 220 Millionen DM Landesbesitz verkauft. Sie sind gerade dabei, bei einer kulturell so wichtigen Einrichtung wie der Landeslotto- und Totogesellschaft ebenfalls den Verkauf vorzunehmen. Das bringt rund 550 Millionen DM; für ein Land wie Niedersachsen eine beachtliche Summe. Die nehmen Sie zur Haushaltssanierung.
Derjenige, der das macht, kommt relativ selten nach Bonn ins Plenum des Deutschen Bundestages. Vielleicht wird er von Ihnen auch nicht eingeladen; ich weiß es nicht.
Wenn er schon kommt, dann könnte er doch einmal sagen, warum das, was er bei der Privatisierung tut, ethisch und moralisch hochwertig und richtig ist, während es sich bei uns von vornherein um ein Werk des Teufels handeln soll.
Man kann die Aufzählung fortsetzen. Hamburg, wo ein weiterer Hoffnungsträger agiert, hat gerade die Energie- und Wasserversorgung - das ist nicht irgendein Thema - entsprechend privatisiert. Von den erzielten 1,3 Milliarden DM gehen 900 Millionen in den Haushalt.
Ich kritisiere das überhaupt nicht.
Meine politischen Freunde und Ihre politischen Freunde im Berliner Senat sind gerade dabei, durch
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
den Verkauf von Anteilen an der Bewag 2,9 Milliarden DM in das Stadtsäckel zu bringen.
- Wollen Sie nicht erst einmal nachdenken, bevor Sie schreien?
Auch in Schleswig-Holstein haben Sie solche Entscheidungen in einer Größenordnung von 250 Millionen DM getroffen.
Also: Was soll's? Warum prangern Sie uns an, wenn wir das in vergleichbaren Dimensionen, aber sehr viel zurückhaltender, als das anderswo geschieht, auf den Weg bringen?
Wir haben nie einen Zweifel daran gelassen - ich nie -, daß wir für eine Privatisierung der Telekom eintreten. Das war immer unser erklärtes Ziel. Es gibt wirklich keinen vernünftigen Grund, warum der Bund auf Dauer einen Anteil von 74 Prozent halten müßte.
Deswegen wollen wir die Privatisierung fortsetzen.
Ich weiß auch noch, als diese Privatisierungsdiskussion begann, welche Probleme Sie hatten, sich überhaupt auf diesen Weg zu begeben. Jetzt ist der erste Börsengang hervorragend gelungen. Das Unternehmen läuft gut. Es ist doch keine Frage, daß weitere Reduzierungen des Bundesanteils möglich sind, allerdings unter der Voraussetzung - das brauchen Sie uns nun doch wirklich nicht zu sagen -, daß die Interessen der Aktionäre, vor allem der Kleinaktionäre, auf jeden Fall gewahrt werden.
Es ist doch keine Frage, daß wir eine weitere Privatisierung, Stück für Stück, in Gesprächen mit dem Vorstand und der Führung der Telekom abstimmen. Es ist doch nicht unser Interesse, daß das ein Mißerfolg wird. Unser Interesse ist, daß das ein Riesenerfolg wird. Deswegen werden wir das Notwendige dafür machen.
Jetzt kommen Sie mit dem Thema Bundesbank. Daß das Thema nicht erst seit vorgestern erörtert wird, hat Wolfgang Schäuble an Hand der- Protokollnotizen des Haushaltsausschusses nachgewiesen. Diejenigen - ein besonders Kundiger hat hier vorhin eine Zwischenfrage gestellt - in Ihrem Lager, die die Lage kennen, wissen, daß das in Europa überlegt wird und daß man natürlich darüber diskutieren kann - ob nun ein Jahr früher oder ein Jahr später. Wir sind mitten in dieser Diskussion.
Ich bekenne mich dazu, da wir jetzt die Chance haben, in einer konkreten Situation damit etwas Gutes tun zu können: zum einen im Blick auf die Gesamtlage und zum anderen auch für unser europäisches Engagement.
Ich sage Ihnen voraus: Unsere europäischen Kollegen werden dies überhaupt nicht bedauern. Für meine europäischen Kollegen ist es das Wichtigste, daß die Bundesrepublik mit einer soliden Statur beim Euro mitmacht; denn ohne die Bundesrepublik kann der Euro nicht funktionieren. Das ist doch die Wahrheit!
Ich füge hinzu: Irgendwo sollten wir doch auch in diesem Hause - vielleicht mit der kleinen Ausnahme jener, die diese Misere, vor allem auch geistig, als die Nachfolger der SED zu vertreten haben - die Überlegung anstellen, ob es nicht berechtigt ist, daß das, was wir seit Einführung der D-Mark über Generationen erarbeitet haben - und zwar als nationalen Erfolg der Deutschen -, im Rahmen der Möglichkeiten, ohne irgend etwas zu gefährden - es wird gar nichts gefährdet; es wird gar nichts in irgendeiner Form verschleudert -, dem Erblastentilgungsfonds zugeführt wird.
Der Name „Erblastentilgungsfonds" zeigt doch, worum es eigentlich geht. Es geht darum, daß diese enormen Summen notwendig sind, um die unterschiedlichen Lebensbedingungen und -verhältnisse in - wie wir früher sagten - beiden Teilen Deutschlands; jetzt: in den neuen Ländern und in der alten Bundesrepublik einander anzugleichen.
Ich denke - wir werden ja darüber zu reden haben, wenn die Details erörtert werden -, daß man das sehr wohl tun kann, und zwar in der Verantwortung für die Stabilität der D-Mark und in unserer Verantwortung gegenüber der Deutschen Bundesbank, an deren Ansehen uns sehr viel gelegen ist. In der Geschichte der Bundesrepublik ist keine Bundesregierung und übrigens auch kein Bundesfinanzminister - das werden Sie, wenn Sie in der Bundesbank sind, unschwer erfahren können - so sorgsam mit der Deutschen Bundesbank umgegangen wie diese Bundesregierung und dieser Bundesfinanzminister. Niemand sonst hat einen solchen Respekt vor der Bundesbank gezeigt und die Reputation der Bank so geachtet.
Das sind also die Punkte, die wir jetzt angehen. Ich habe ja gesagt, daß wir dann in sehr kurzer Zeit - -
- Ich habe es Ihnen jetzt dreimal gesagt. Daß Sie nicht einmal sechs Wochen ausharren können, ist ziemlich beschämend für die Delegierten, die Sie in Ihrem Wahlkreis aufgestellt haben.
Es wird wie immer Anfang Juli die Etatberatungen im Kabinett geben. In diesem Rahmen werden wir auch die Vorlage machen. Wir werden in diesem Zusammenhang auch die Frage entscheiden, ob ein Nachtragshaushalt notwendig sein wird und - wenn er notwendig sein sollte - in welcher Form. Wir sind ja mitten in der Debatte. Es gibt dabei sehr viele Gelegenheiten, miteinander zu sprechen.
Meine Damen und Herren, natürlich befinden wir uns jetzt in einer schwierigen Lage. Natürlich emp-
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
finden die Kolleginnen und Kollegen in der F.D.P.-Fraktion und in der CDU/CSU-Fraktion und auch jeder von uns in der Bundesregierung die besondere Verantwortung; das gilt natürlich auch für mich. Wir wissen, daß wir jetzt eine schwierige Gratwanderung vor uns haben.
- Natürlich ist das eine Gratwanderung; wenn Sie das nicht begreifen, dann tun Sie mir wirklich leid.
Im Blick darauf muß man wissen: Wir haben das Ansehen und die Stabilität unseres Landes zu gewährleisten. Dabei fällt mir, Herr Abgeordneter Scharping, folgendes ein: Wenn Sie über Stabilität reden, wäre es auch einmal ganz gut, wenn Sie sagen würden, daß wir eine Inflationsrate haben, die einfach einmalig niedrig ist, und zwar Jahr um Jahr.
Wenn man einen Hinweis darauf sucht, wie stabil - auch in bezug auf die Währung und die Finanzpolitik - ein Land ist, ist es weltweit eine Lebenserfahrung, daß man auf die Inflationsrate schaut. Also: Dieser Finanzminister, diese Bundesregierung und diese Koalition
haben gerade mit ihrer Stabilitätspolitik in bezug auf die Inflationsrate gewaltige Erfolge zu verzeichnen. Das ist übrigens die beste Sozialpolitik, die es gibt. Sie bietet gerade Leuten mit kleinen Einkommen Sicherheit.
Die Bundesregierung, die Koalition und auch ich persönlich nehmen diese Herausforderung an. Wir taumeln nicht an das Rednerpult, wie vorhin gesagt wurde, und wir taumeln auch nicht auf den Wahltag zu. Wenn ich alles das berücksichtige, was ich heute von Ihnen erfahren habe, dann sage ich Ihnen voraus: Es macht sogar Freude, sich mit Ihnen auseinanderzusetzen.
Das Wort hat der Kollege Karl Diller, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler - ich füge ausdrücklich hinzu: Herr Kollege Kohl -, wie tief ist eigentlich Ihr Selbstverständnis als Parlamentarier gesunken, etwas ganz Normales, nämlich Zwischenrufe, als Psychoterror im Parlament zu bezeichnen?
Außer dieser Entgleisung gab es von Ihnen in der Sache nichts zu hören, sondern nur Mätzchen.
Mit Mätzchen werden Sie sich nicht weiterhelfen können. Deshalb beschränke ich mich auf fünf Feststellungen:
Ich stelle erstens fest: Diese Bundesregierung hat keine der gestellten Fragen beantwortet, was sie angesichts eines Haushaltslochs in Höhe von mindestens 15 Milliarden DM zu tun gedenkt.
Zweitens. Die Bundesregierung hat dem deutschen Volk jede Klarheit über ihre Absichten verweigert.
Drittens. Ich stelle fest: Diese Bundesregierung hat jedes Angebot von der SPD - auch die in dieser Debatte vorgetragenen Angebote - zurückgewiesen.
Viertens. Deutschland ist besser als diese derzeit noch amtierende Bundesregierung.
Deshalb stelle ich fünftens fest: Herr Bundeskanzler, Ihre Politik schadet Deutschland, beschädigt Vertrauen und belastet die Zukunft unseres Volkes.
Ich schließe die Aussprache. Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 4. Juni 1997, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.