Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich dem Kollegen Peter Zumkley nachträglich zu seinem 60. Geburtstag gratulieren, den er am 17. September feierte. Im Namen des Hauses die herzlichsten Glückwünsche.
Der Kollege Dr. Peter Glotz hat am 24. September 1996 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Seine Nachfolgerin, die Abgeordnete Marlene Rupprecht, hat am 25. September 1996 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße die neue Kollegin und wünsche gute Zusammenarbeit. Herzlich willkommen, Frau Rupprecht!
Der ehemalige Kollege Johannes Gerster hat auf seine Mitgliedschaft im Verwaltungsrat der Deutschen Welle verzichtet. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt als neues Mitglied nunmehr den Kollegen Erwin Marschewski vor. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit ist der Abgeordnete Erwin Marschewski für den Rest der Amtszeit des Verwaltungsrates in den Verwaltungsrat der Deutschen Welle gewählt.
Die Fraktion der SPD möchte bei zwei ihrer Mitglieder in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates einen Tausch vornehmen. Der Kollege Rudolf Bindig, der bisher stellvertretendes Mitglied ist, soll ordentliches Mitglied werden, und der Kollege Gernot Erler, bisher ordentliches Mitglied, soll nunmehr stellvertretendes Mitglied werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit sind der Kollege Rudolf Bindig als ordentliches Mitglied und der Kollege Gernot Erler als stellvertretendes Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Andrea Fischer , Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das Wohngeld bedarfsgerecht reformieren - die Abhängigkeit vom Wohngeld senken - Drucksache 13/5578 -
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Post und Telekommunikation zu der Verordnung der Bundesregierung: Zustimmungsbedürftige Verordnung zur Telekommunikations-Universaldienstleistungsverordnung - Drucksachen 13/5495, 13/5550 Nr. 2.4, 13/5604 -4. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Gruppe der PDS: Haltung der Bundesregierung zur tarifvertraglich geregelten Lohnfortzahlung angesichts jüngster Reaktionen von der Arbeitgeberseite5. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Gruppe der PDS: Einsetzung einer Enquete-Kommission Armut und Obdachlosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland" - Drucksachen 13/583, 13/5617 -Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.Weiterhin ist interfraktionell vereinbart, die für Freitag vorgesehene Beratung zu - den Tagesordnungspunkten 14 a und b - es handelt sich hierbei um Vorlagen zur Kraftfahrzeugsteuer - sowie den ohne Aussprache vorgesehenen Tagesordnungspunkt 19f abzusetzen.Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Ausschußüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:Der in der 121. Sitzung des Deutschen Bundestages am 11. September 1996 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich dem Finanzausschuß zur Mitberatung überwiesen werden:Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Vertrag vom 13. Juli 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über den Zusammenschluß der deutschen Autobahn A 6 und der tschechischen Autobahn D 5 an der gemeinsamen Staatsgrenze durch Errichtung einer Grenzbrücke - Drucksache 13/5049 -Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr FinanzausschußSind Sie auch mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Metadaten/Kopzeile:
11186 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1996
Präsidentin Dr. Rita SüssmuthIch rufe die Tagesordnungspunkte 4 a-c und Zusatzpunkt 2 auf:4. Wohnungsbaudebattea) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der wohngeldrechtlichen Überleitungsregelungen für das in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannte Gebiet
- Drucksache 13/5587 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOb) Erste Beratung des von dem Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der wohngeldrechtlichen Überleitungsregelungen - Wohngeldüberleitungsgesetz
- Drucksache 13/5512 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
RechtsausschußAusschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für GesundheitHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOc) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Altschuldenhilfen für Kommunale Wohnungsunternehmen, Wohnungsgenossenschaften und private Vermieter in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet
- Drucksache 13/5417 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Werner Dörflinger, Herbert Frankenhauser, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Hildebrecht Braun , Dr. Klaus Röhl, Lisa Peters, Horst Friedrich und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes- Drucksache 13/4949 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
- Drucksache 13/5605 - Berichterstattung:Abgeordnete Rolf RauHildebrecht Braun Iris Gleicke- Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung- zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu der Unterrichtung durch die BundesregierungBericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Altschuldenhilfe-Gesetzes und den Fortgang der Wohnungsprivatisierung in den neuen Bundesländern- zu dem Antrag der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Steffi Lemke, Werner Schulz , Helmut Wilhelm (Amberg) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENFörderung der Wohnungsprivatisierung an Mieter, Genossenschaften und Mietergemeinschaften- zu dem Antrag des Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick und der Gruppe der PDSBeendigung der Zwangsprivatisierung von kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungen in den ostdeutschen Bundesländern durch Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes- Drucksachen 13/2501, 13/4081, 13/4077, 13/4837, 13/5605 -Berichterstattung:Abgeordnete Rolf RauHildebrecht Braun Iris GleickeZP2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Andrea Fischer , Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter undder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENDas Wohngeld bedarfsgerecht reformieren -die Abhängigkeit vom Wohngeld senken- Drucksache 13/5578 -Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
RechtsausschußAusschuß für Arbeit und SozialordnungHaushaltsausschußZum Altschuldenhilfe-Gesetz liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt Kollege Dr. Dietmar Kansy.Dr.-Ing. Dietmar Kansy (von Abgeordneten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Guten Morgen, Frau Präsidentin! Guten Morgen, meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Stimmung scheint in diesem Hause ja gut zu sein.Unter der Überschrift „Unzufriedenheit wird von außen in die Plattenbausiedlung hereingetragen" veröffentlichte die Berliner Zeitung „Der Tagesspiegel" am Wochenende das Ergebnis einer Mieterbefragung der Wohnungsbaugesellschaft Hohenschönhausen. Die große Mehrheit der Mieter in einem nicht unproblematischen Gebiet ist gemäß dieser Umfrage nicht nur zufrieden, sondern sagt auch, daß sich ihre Lebensqualität in den letzten fünf Jahren verbessert hat, in denen ein schwieriger Wandel von der Wohnungszwangswirtschaft der DDR in eine soziale Wohnungsmarktwirtschaft zu bewältigen war.Ich möchte deswegen zu Beginn dieser Wohnungsbaudebatte, die sich auf Grund verschiedener Gesetzentwürfe, Anträge usw. der Koalition, der SPD, von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS mit Themen aus den neuen Bundesländern befaßt und in der mein Kollege Otto im Detail auf unsere Vorstellungen zum Wohngeld und zur Altschuldenhilfe eingehen wird, zunächst einmal Bilanz über die Jahre seit der deutschen Einheit ziehen: Was wurde nach der deutschen Einheit im Bereich des Wohnungs- und Städtebaus in den neuen Ländern erreicht?
Wie können wir angesichts einer dramatisch veränderten Finanzsituation bei Bund, Ländern und Gemeinden künftig noch Wohnungspolitik machen?Meine Damen und Herren, ich möchte zunächst einmal, weil es einfach an den Anfang gehört, fragen: Was war die SED-Abschlußbilanz im Wohnungsbau am Tag der deutschen Einheit? Von den 7,1 Millionen Wohnungen waren 1,2 Millionen in der sogenannten Bauzustandsklasse III und IV, das heißt: weiterer Erhalt nicht möglich oder stark gefährdet. 23 von 100 Wohnungen verfügten nicht über ein Bad oder eine Duschgelegenheit, 30 von 100 sogar nicht über eine Innentoilette. Das Durchschnittsalter des Bestandes betrug 58 Jahre; der europäische Durchschnitt liegt bei unter 40 Jahren. 42 Prozent aller Wohnungen stammten aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Es lagen 750 000 Anträge auf Wohnraumzuweisung vor, obwohl Alleinstehende ohne Kind nicht als selbständiger Haushalt anerkannt wurden und keinen Anspruch auf eine eigene Wohnung hatten. Die Innenstädte verfielen. „Trümmer schaffen ohne Waffen" nannte man das mit DDR-Galgenhumor. Das war der Ausgangspunkt, wenn wir heute Rückschau halten.
Meine Damen und Herren, ich wundere mich immer wieder, wenn sich die PDS, die nur mäßig gewendete SED, mit allen möglichen Anträgen zum Wohltäter in den neuen Bundesländern aufspielen will. Wir müssen sie wohl, ob Sie es hören wollen oder nicht, immer wieder an die Ergebnisse ihrer Politik erinnern:
verfallene Städte, Wohnungen mit unterdurchschnittlichem Komfort, unnötige Umweltverschmutzung durch veraltete Systeme -
nicht jeder hat ja in Wandlitz gelebt -
und jahrelanges Warten vor den Schreibtischen der Wohnungsbaubürokratie. Das war Ihre Bilanz am Tag der deutschen Einheit.
- Die kommt jetzt gerade. Hören Sie mal zu!Seit 1990 ist jährlich rund eine Milliarde DM für den sozialen Wohnungsbau in die neuen Länder geflossen, pro Kopf dreimal so viel wie in die alten. Mit einem Wohnraummodernisierungsprogramm, dessen Kreditrahmen zwischenzeitlich mehr als 60 Milliarden DM beträgt, wurden zwei Millionen Wohnungen modernisiert oder instandgesetzt. Die Städtebauförderungsmittel wurden zu über 80 Prozent in den neuen Bundesländern eingesetzt. Im letzten Jahr wurden allein in den neuen Ländern 105 000 Wohnungen neu gebaut; dieses Jahr werden es 140 000 bis 150 000 sein, davon über 50 000 Sozialwohnungen. Nur Blinde oder Politikblinde sehen nicht, was zwischen Ostsee und Erzgebirge in diesen Jahren alles an Positivem passiert ist.
Mit steigendem Einkommen wurden schrittweise auch die Mieten angepaßt. Bei den Mietern der erwähnten Hohenschönhauser Wohnungsbaugesellschaft liegen das durchschnittliche Haushaltseinkommen heute bei 3 139 DM und die Warmmiete bei 650 DM, was 20 Prozent des Einkommens entspricht. Um die Menschen nicht zu überfordern, haben wir damals das Wohngeldsondergesetz geschaffen, das über die Wohngeldvorschriften der alten Bundesländer hinaus eine besondere Schutzfunktion vor Überforderung übernahm. Dadurch liegt die Mietbelastung in den neuen Ländern mit im Durchschnitt 20 Prozent 5 Prozent unter der Mietbelastung in den alten Bundesländern. Dieses Wohngeldsondergesetz läuft am 31. Dezember dieses Jahres aus. Danach wird das normale Wohngeld eingeführt. Damit es nicht zu unzumutbaren Härten für bestimmte Problemgruppen kommt, haben wir das Wohngeldüberleitungsgesetz vorgelegt.Aber es ist kein Geheimnis - ich spreche es hier an Eigentlich wollten wir neben dem, was wir erneut für die ostdeutschen Mieter tun, eine Gesamtwohngeldnovelle vorlegen, die neben Strukturverbesserungen auch ein erhöhtes Tabellenwohngeld vorsieht, und zwar für ganz Deutschland. Dies ist uns angesichts der Finanzsituation bisher nicht gelungen. Es gibt nur einen Auftrag an den Bundesbauminister, gemeinsam mit dem BundesfinanzministerDr.-Ing. Dietmar Kansymit den Ländern zu verhandeln, um einen akzeptablen Rahmen zu finden.Meine Damen und Herren, damit komme ich zu unseren Oppositionsfraktionen. In Bonn, wo SPD und natürlich auch Grüne in der Opposition sind, stellen sie lautstarke Forderungen, die jeden Finanzrahmen sprengen, den wir zur Verfügung haben.
In den Ländern, Herr Kollege Großmann - die Länder zahlen 50 Prozent des Wohngeldes und bestimmen mit -, in denen die SPD regiert, teilweise sogar mit den Grünen, wird aus der großen Wohngeldrakete, die Sie hier in Bonn jede Woche zünden, ein Heißluftballon.
Mit 16 : 0 Stimmen beschloß der Ausschuß für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung des Bundesrates am 11. September 1996:Die Novelle zur Vereinfachung des Wohngeldrechts und zielsicheren Ausgestaltung der Wohngeldleistungen im Rahmen der haushaltsrechtlichen Möglichkeiten von Bund und Ländern bleibt unverzichtbar.
Welch kühner Wohngeldbeschluß: „im Rahmen der haushaltsrechtlichen Möglichkeiten" !Meine Damen und Herren, was machen wir denn anders, unter diesen schwierigen Verhältnissen hier in Bonn? Wo sind denn die Alternativen?
Der Beschluß, Frau Eichstädt-Bohlig, ist nicht nur mit den Stimmen der SPD- und Unions-Wohnungsbauminister gefaßt worden, sondern auch mit denen von zwei grünen Wohnungsbauministern, mit Herrn Vesper, dem Superminister aus NRW, an der Spitze.
Meine Kolleginnen und Kollegen, ich mache Ihnen das nicht zum Vorwurf.
Als ich am Wochenende bei einer Podiumsdiskussion in Berlin mit dem sachsen-anhaltinischen Bauminister Heyer und der schleswig-holsteinischen Bauministerin Böhrk sprach, sagten sie in großer Offenheit, mehr habe sich im Bundesrat nicht durchsetzen lassen. Ebenfalls eine beachtliche Erkenntnis!Wenn das so ist, Herr Großmann, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und den Grünen, dann lassen Sie uns doch den Vorschlag des Bundesbauministers ernsthaft diskutieren, im wesentlichen, aber nicht nur - ich sage bewußt: aber nicht nur - durch Strukturverbesserungen mehr Gerechtigkeit beim Wohngeld herbeizuführen.
Denn wenn zumindest in den alten Ländern zwischenzeitlich zwei Drittel des Wohngeldes in das sogenannte pauschale Wohngeld gehen, das Sozialhilfeempfängern zusteht, die mittlerweile vielfach bessergestellt sind als Erwerbstätige in niedrigen Lohngruppen, ist das nicht in Ordnung und führt zu haarsträubenden Einzelsituationen, die die Menschen in diesem Lande nicht mehr verstehen.In meinem Wahlkreis wurde vor wenigen Tagen, am 13. September, in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" über eine Sozialhilfeempfängerfamilie berichtet, die monatlich neben der Sozialhilfe 1 000 DM Miete bezahlt bekommt, vom Vermieter vor Gericht wegen überhöhter Miete 4 300 DM zurückerstritten hat und das Geld jetzt behalten will. Sie sagt, nicht die Stadt habe sich darum gekümmert, sondern sie selber. Das ist ein Stückchen der Wahrheit, wenn Verantwortung und Bezahlung in dieser Gesellschaft nicht in einer Hand liegen. Das müssen wir einfach ändern.
Ich sage noch einmal: Lassen Sie uns realistisch an das Thema Wohngeld herangehen! Eine milliardenschwere Wohngeldnovelle ist angesichts der Haushaltssituation von Bund und Ländern nicht möglich. Versuchen wir, Wohngeldausgaben, die ohne gesetzliche Änderungen in Bund und Ländern anfallen würden, in Verbindung mit einer Strukturreform so zielgerichtet und sozial treffsicher einzusetzen, daß wir auch in schwierigen Zeiten mit begrenzten Mitteln eine möglichst vernünftige Wohnungspolitik machen.Vielen Dank.
Das Wort nimmt jetzt unser Kollege Wolfgang Thierse.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Hat es eigentlich noch Zweck, in diesem Hohen Hause nach Gemeinsamkeiten zwischen Regierung und Opposition zu suchen?
Diese Debatte muß von den gescheiterten Versuchen handeln, tragfähige Verabredungen für die Wohnungspolitik zu treffen.
Herr Kollege Töpfer, es ist noch nicht lange her, daß wir über das Mietenüberleitungsgesetz gesprochen haben. Die SPD hatte einen gewissen Anteil daran, daß in Ostdeutschland akzeptiert worden ist: Ohne ausreichende Mieten kann es keine Pflege
Wolfgang Thierse
oder Verbesserung des Bestandes an Wohnungen geben.
Ihr persönlicher guter Wille, bei der Überleitung des westdeutschen Mietrechts auf das ganz und gar nicht westliche Niveau der Haushaltseinkommen in den östlichen Bundesländern Rücksicht zu nehmen, hat sich mir in den Gesprächen über das Gesetz durchaus vermittelt. Ich will dies zu Beginn dieser Debatte ausdrücklich festhalten und würdigen. Aber wie der Kollege Geißler in anderen Zusammenhängen gerne verlauten läßt: Gut gemeint ist das Gegenteil von gut.
Die Ihnen unterstellten guten Absichten kommen bei den heute zu beratenden Gesetzentwürfen nicht zum Zuge. Beide Gesetzentwürfe werden das Gegenteil von den Zielen bewirken, in denen wir doch übereinstimmen. Ich kann das auch schärfer ausdrücken: Es geht wieder einmal um regierungsamtlichen Wortbruch gegenüber Ostdeutschland.
Bestandteil des sogenannten Solidarpakts, einer früheren Gemeinsamkeit in diesem Hause, war das Altschuldenhilfe-Gesetz. Es verfolgte einen guten Zweck, nämlich die ostdeutschen Wohnungsunternehmen zumindest teilweise von Schulden zu befreien, die zwar nicht fair, aber durch die Art und Weise der Währungsunion unglaublich teuer geworden waren. Wenn Sie auf der Begleichung dieser Schulden bestehen, treiben Sie die betroffenen Wohnungsunternehmen entweder in die Pleite oder zu Mietsteigerungen, die sozialer Sprengstoff sein werden. Wir Ostdeutschen haben Geduld zur Genüge gelernt übrigens nicht erst in den letzten sechs Jahren. Aber überfordern dürfen Sie die ostdeutschen Haushalte nicht.
Wir wollen die Altschulden streichen. Die Wohnungsunternehmen sollen investieren, nicht aber Schulden gegenüber Banken begleichen, die sie selber nicht zu verantworten haben. Für die Hälfte dieser Schulden ist dies vorerst gelungen. In ihrer herrschenden Privatisierungsideologie versah die Bundesregierung die Einigung allerdings mit einem Haken: Die Schuldenübernahme ist nämlich erst gesichert, wenn 15 Prozent des jeweiligen Wohnungsbestandes privatisiert worden sind; anderenfalls werden sie fällig.
Die damals wie auch heute richtige Einrede dagegen lautet: Die Ostdeutschen haben aus historischen Gründen kaum Vermögen. Sollten Sie das nicht wissen, fragen Sie Ihre ostdeutschen Kollegen. Es ist ja nicht so, als sei das in der Union unbekannt.
Vorsichtshalber nenne ich Ihnen die Zahlen, die das Statistische Bundesamt dazu ausweist: Im Durchschnitt hat jeder westdeutsche Haushalt etwa 290 000 DM Vermögenswerte und zirka 130 000 DM Schulden, Hypotheken inbegriffen. Im Osten sind die Verhältnisse völlig anders: Das durchschnittliche Vermögen pro Haushalt beträgt nur zirka 83 000 DM, die Schulden aber schon 64 000 DM. Das macht natürlich nur die Größenordnungen deutlich; die Verteilung ist in höchstem Maße ungleich, wie jeder weiß. Dies macht es noch unwahrscheinlicher, daß Ostdeutsche in großer Zahl Wohnungen kaufen können.
Wir können auch die sonstigen Unterschiede zwischen den Haushaltseinkommen überprüfen. Damit es nicht zu kompliziert wird, frage ich nur: Wie viele Haushalte haben ein Einkommen unter 2 500 DM? Im Westen sind es 35 Prozent aller Haushalte; im Osten ist es mit 47 Prozent fast die Hälfte. Über 5 000 DM haben im Westen etwa 18 Prozent aller Haushalte, im Osten nur 8 Prozent.
Damit wir uns nicht mißverstehen: Mir geht es nicht um Schuldzuweisungen. Nach so kurzer Zeit wäre eine schnellere Entwicklung, insbesondere bei den Vermögen im Osten, verwunderlich. Ich verlange aber, daß die Mieten- und Wohngeldpolitik darauf Rücksicht nimmt. Das ist doch wohl nicht zuviel verlangt.
Herr Kansy, gewiß ist in Ostdeutschland viel erreicht worden; ich werde das nicht bestreiten. Aber wir müssen genauer hinsehen. Noch immer ist ein Großteil der Wohnungen und Häuser in ziemlich bejammernswertem Zustand. Ich nenne nur eine einzige Zahl - sie stammt von 1994 -: Etwa ein Drittel der ostdeutschen Wohnungen hat keine Innentoilette; im Westen sind es nur 2 Prozent. Bilder vom Zustand der Häuser, von zerschundenen Häusern in den Städten Ostdeutschlands, gingen ja um die Welt. Einiges ist besser geworden, aber vieles noch nicht. Auch das muß man wissen, wenn man über Altschulden und ihre Tilgung redet.
Ich frage Sie: Wer also soll die zu privatisierenden Wohnungen kaufen? Außer Veimögenden und Spekulanten aus dem Westen finden sich doch nur sehr wenige dazu bereit.
Sollten die Wohnungen, über die ein termingebundener Privatisierungszwang verhängt wurde, nicht vorrangig an die darin wohnenden Mieter veräußert werden? Das muß doch unser Ziel bleiben.
Die im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehenen Verbesserungen gehen zwar in die Richtung unserer Forderungen, nämlich lineare Gestaltung der derzeit progressiven Erlösabfuhr und bevorzugte Veräußerung an Mieter. Aber die Verbesserungen reichen eben nicht aus, um diesen Effekt auszulösen.
In Ostberlin gibt es einige gelungene Genossenschaftslösungen
Wolfgang Thierse
- ich wohne da; ich kann mir erlauben, das zu sagen -, aber die Übernahme von Wohnungen durch Genossenschaften, die in Berlin von den Bewohnern gebildet worden waren, gefällt Ihnen auch nicht. Unser Antrag, diese Herauskäufe als Privatisierung im vollen Sinne des Altschuldenhilfe-Gesetzes zu akzeptieren, fand nicht Ihre Zustimmung. Das Problem hätte dann zwar leichter gelöst werden können; aber schon hierbei erwies sich: Worte und Taten der Regierung sind nicht in Übereinstimmung zu bringen.
Nun zum zweiten Gesetzentwurf: Bei der Mietenüberleitung hat das Wohngeld eine wesentliche Rolle gespielt. Es handelt sich um ein bewährtes Instrument, um die Rentabilität von Mieten für die Wohnungsbesitzer zu verbessern und zugleich die Mieter nicht zu überfordern. Die Ost-West-Unterschiede fangen schon damit an, daß die Haushalte und ihre Einnahmen- und Ausgabensituation statistisch kaum vergleichbar sind, es sei denn, die Haushalte leben wesentlich von Transfereinkommen wie Rente, Wohngeld und dergleichen. Genau diese aber werden von Ihrer Wohngeldanpassung betroffen.
Was aber war der tiefere Sinn der Verabredung, eine, strukturelle Wohngeldnovelle vorzulegen? Der Sinn war, in ganz Deutschland zu vermeiden, was jetzt in Ostdeutschland geschehen wird. Diese Zusage, Herr Minister, haben Sie nicht nur mir und dem Kollegen Großmann im Zusammenhang mit dem Mietenüberleitungsgesetz gegeben. Diese Zusage haben Sie wiederholt auch vor dem Deutschen Bundestag gemacht und bekräftigt, und zwar unter Nennung von Terminen. Zum Beispiel haben Sie im November 1995 ausweislich des Protokolls gesagt, die Novelle sollte 1996 in Kraft treten. Dafür müßten wir aber heute genau über eine solche strukturelle Wohngeldnovelle beraten.
Nun aber besteht überhaupt keine Chance mehr, das Wohngeld noch in diesem Jahr den aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Die Vokabel „Wortbruch" ist also keinesfalls übertrieben. Dieser Wortbruch ist im übrigen mit Bedacht erfolgt; das Kabinett hat nämlich entdeckt, daß das Wohngeld eine wunderbare Sparbüchse ist. Dank veralteter Einkommensgrenzen und veralteter Miethöchstbeträge wachsen immer mehr Haushalte aus der Berechtigung hinaus. Diesen Effekt will man sich offensichtlich nicht entgehen lassen. Insoweit reden wir hier keineswegs nur über Ostdeutschland.
Auch im Westen werden durch diese ständige Verzögerung die geringverdienenden Mieter geschädigt. Im Klartext: Die Bundesregierung hat Sie, Herr Töpfer, desavouiert, hat Sie mit Ihren Plänen und Zusagen einfach im Regen stehenlassen. Daß Sie sich das bieten lassen, ist Ihre eigene Sache, Herr Minister. Daß es überhaupt geschieht, zeigt, wie sehr diese Regierung mit dem Rücken zur Wand steht.
Lassen Sie mich noch einmal auf Ostdeutschland zu sprechen kommen. Das Mietenniveau ist dort ohne Zweifel noch niedriger als im Westen. Im Juni bezifferte das DIW die durchschnittliche Miete auf 10,20 DM im Westen und auf 7,75 DM im Osten. Dort ist das Ausstattungsniveau allerdings ebenfalls deutlich niedriger als im Westen; die Einkommen sind es, wie gesagt, ebenfalls. Das Mietenüberleitungsgesetz nimmt darauf auch Rücksicht.
Vielleicht ist noch der Umstand interessant, daß den Ostdeutschen pro Kopf 27 Quadratmeter Wohnraum zur Verfügung stehen; im Westen sind es 37 Quadratmeter. Es war uns allen klar - das will ich sagen -, daß das Sonderwohngeld Ost nicht dauerhaft bleiben kann. Aber unbestreitbar hat der Staat die Verantwortung dafür, daß es genügend Wohnraum gibt, und dafür, daß er bezahlbar bleibt.
Sie sind gerade mit den heute zur Beratung anstehenden Gesetzentwürfen dabei, beide Ziele zu verfehlen.
Berechnungen des Deutschen Mieterbundes entnehme ich, daß Ihre Wohngeldanpassung vierköpfige Familien mit einem durchschnittlichen niedrigen Einkommen vor erheblichen Verlusten bewahrt; ich stelle das ausdrücklich fest. Wenigstens insoweit sind Härten Ihres Gesetzentwurfes gemildert. Die übrigen aber, vor allem also die besonders Betroffenen, Rentner, Alleinstehende, werden auf eine Weise zur Kasse gebeten, die einfach nicht akzeptabel ist.
Das wird zu einer erheblichen Zahl von Fällen führen, bei denen die Kürzung des Wohngeldes 100 Prozent beträgt. Das ist, sozial gesehen, unerträglich.
Die in Ostdeutschland ausbezahlte Lohnsumme beträgt, ungeachtet anderslautender Tarifverträge, etwa 72 Prozent des Westniveaus. Das Preisgefüge ist inzwischen angeglichen, liegt also bei 100 Prozent. Die Mieten sind der einzige Ausgabeposten, der mit immerhin zirka 77 Prozent wenigstens noch annähernd diesem Einkommensniveau entspricht. Die erhebliche Verringerung des Wohngeldes wird dazu führen, daß trotz deutlich geringerer Vermögen in Ostdeutschland die Lebenshaltungskosten auf 100 Prozent des Westniveaus steigen. Das ist eine falsche Form der Angleichung. Das ist nicht fair gegenüber 15 Millionen Menschen, denen doch ganz andere Aussichten vorgegaukelt worden waren. Oder hat der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, als er vor einer Woche von weiteren 15 Jahren ungleicher Verhältnisse in Deutschland sprach, nur die Einkommen gemeint?
Meine Damen und Herren, der damalige Umweltminister hatte am Ende seiner Amtszeit das Etikett eines Ankündigungsministers hinzunehmen.
Wolfgang Thierse
Seine Nachfolgerin ist dem dadurch entgangen, daß sie nicht einmal etwas angekündigt hat. Der Wohnungsbauminister Töpfer muß nun dieses Etikett wieder tragen; er hat es sich redlich verdient.
Dennoch: Wir haben keine andere Wahl, als uns trotz gebrochener Versprechen, trotz dieses eklatanten Mangels an Verläßlichkeit weiterhin mit Ihnen an einen Tisch zu setzen. Die Wohnungsbauunternehmen zu Investitionen zu befähigen und zugleich auch mit Hilfe des Wohngeldes den Mieterinnen und Mietern noch Gestaltungsspielräume zu lassen, müssen die beiden wohnungspolitischen Ziele sein, die wir weiter verfolgen wollen. Ich setze einmal voraus, daß wir wenigstens insoweit weiterhin übereinstimmen. Es gilt, die Wege dahin gemeinsam zu definieren; denn nur in Übereinstimmung von Bund und von westdeutschen und ostdeutschen Ländern ist das möglich. Es geht dabei im übrigen auch um Wirtschaftspolitik, darum, wieviel Kaufkraft in Ostdeutschland übrigbleiben wird, darum, ob die Bauwirtschaft wieder eine Funktion für die Konjunktur in Ostdeutschland wahrnehmen kann. Es geht um die wirkliche Angleichung der Lebensverhältnisse. Man kann Menschen nicht gleiche Kosten zumuten, denen man gleiche Einkommen und gleiche Leistungen verweigert.
Beide Gesetzentwürfe aus dem Hause Töpfer verfehlen diese Ziele. Wir können ihnen deshalb in der jetzigen Fassung nicht zustimmen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Töpfer! Herr Thierse hat es ausgesprochen, und wir haben es ja auch in der letzten Haushaltsdebatte schon sehr deutlich gesagt: Wir haben es hier wirklich mit einem sehr eklatanten Wortbruch zu tun.
Das Wort „Ankündigungsminister" an dieser Stelle zu verwenden heißt, die Dinge zu schönen.
Mir geht es aber um mehr, und ich möchte versuchen, das darzustellen. Ich glaube schon, daß in diesem Sommer mit dem Zuschnappen der Wohngeldfalle die letzten 25 Jahre Wohnungspolitik eine Art Bankrotterklärung erfahren haben. Ich möchte versuchen, das zu erläutern.
Sie, sowohl der Herr Minister als auch die Kolleginnen und Kollegen, führen immer wieder an, daß Sie die Probleme über eine Angebotsausweitung lösen.
Sie weisen darauf hin, daß die Baufertigstellungszahlen gestiegen sind: 1991 331 000 Wohnungen, 1993 455 000 Wohnungen, 1995 603 000 Wohnungen.
- Ja, hervorragende Ergebnisse.
Frau Rönsch weist darauf hin, wie toll die Mieten gesunken sind. Ich habe mir die letzten Zahlen der Neuvertragsmieten herausgesucht: In westdeutschen Altbauten kostet der Quadratmeter netto kalt durchschnittlich 11 DM, heißt brutto 13,50 DM. In Nachkriegsbauten kostet der Quadratmeter netto kalt 12 DM, heißt brutto mindestens 14,50 DM. In Neubauten in Mittelstädten kostet der Quadratmeter netto 14,50 DM
- nein, nicht warm, netto kalt, ich rede nur von Kaltmieten, heizen müssen die Leute zusätzlich -, brutto 17 DM. In Neubauten in Großstädten - das sind die Zahlen, die Sie neulich nicht deutlich ausgesprochen haben - ist der Quadratmeterpreis netto kalt 17 bis 20 DM, das sind 19,50 DM bis 23 DM Bruttokaltmieten. - In Ostdeutschland sieht es etwas günstiger aus.
Ich habe diese Zahlen nicht genannt, damit wir uns gegenseitig belehren. Aber: Ich habe sie mit den Wohngeldtabellen verglichen und festgestellt, daß nicht ein Wohnungssuchender, der wohngeldberechtigt, sozialwohnungsberechtigt ist, solche Mieten überhaupt bezuschußt bekäme und bezahlen könnte.
Wir müssen uns mit dem Problem befassen, daß wir zwei Wohnungsmärkte haben. Sie sind immer um den Wohnungsmarkt der Schichten besorgt, die Mieten in der genannten Größenordnung bezahlen können. Mein Anliegen ist die Wohnungsversorgung für die Schichten, die diese Mieten nicht bezahlen können.
Ich bitte Sie darum, sich klarzumachen, daß das rund 50 Prozent der Bevölkerung sind. Ich sage Ihnen eine Zahl, die neulich Frau Thoben auf eine Anfrage der Kollegin Wöhrl genannt hat: 40 Prozent aller Haushalte in der Bundesrepublik sind sozialwohnungsberechtigt, sprich: wohngeldberechtigt. Wir haben es also wirklich mit rund der Hälfte der Bevölkerung zu tun; denn so hoch sind die Sozialeinkommensgrenzen nun auch nicht.
Hier umzusteuern ist wichtig, weil die Politik der Angebotsausweitung gescheitert ist, also Ihre Politik, die Sie bisher betrieben haben. Die sozialen Folgeprobleme der Angebotsausweitung lassen sich nicht mehr finanzieren, jedenfalls nicht in der jetzigen Form. Wir können das nur finanzieren, Herr Kansy - ich bitte Sie zuzuhören, denn dazu haben sowohl Herr Großmann als auch ich einen Vorschlag gemacht -, wenn wir an die indirekten Subventionen herangehen, sprich: ins Steuerrecht eingreifen; denn
Franziska Eichstädt-Bohlig
dort sind die Gelder, die wir jetzt dringend für die Wohngeldsubvention brauchen.
Es geht also insofern nicht darum, daß wir kein Geld und nur leere Hosentaschen haben, sondern es geht darum, daß insbesondere im wohnungspolitischen Bereich die Prioritäten nach wie vor falsch gesetzt werden. Ich denke, darüber sollte man offen reden.
Da Sie immer um die Angebotsausweitung für die Schichten, die es sich leisten können, besorgt sind, möchte ich darauf hinweisen, welch eklatante Folgen das hat. Wir bekommen zunehmende Wohnungsarmut in zunehmendem Wohnungsreichtum. Ich sage nicht, daß Ihre Politik nicht das Wohnungsangebot vermehrt, sie tut es jedoch nur für die Schichten, die sich mehr Flächenverbrauch leisten können. Entsprechend sinkt die Wohnraumversorgung für die Schichten, die das nicht können, so daß wir wachsende Wohnungsarmut im Bereich der unteren Hälfte haben.
- Das möchte ich Ihnen darstellen.
Von den 2,7 Millionen Menschen, die zur Zeit Wohngeld bekommen - es sind viele aus der Wohngeldförderung herausgefallen; Herr Thierse hat gerade darauf hingewiesen -, sind 1 Million vom pauschalierten Wohngeld abhängig, sie sind also Sozialhilfeempfänger. In Westdeutschland sind das 50 Prozent der Wohngeldempfänger. Sie wissen ganz genau, daß die Sozialhilfeprobleme mit beängstigender Geschwindigkeit zunehmen. In Berlin - West und Ost - ist die Zahl der Sozialhilfeemfänger von 1991 bis 1996 von 38 800 auf 110 300 gestiegen, also auf fast das Dreifache in fünf Jahren gewachsen.
- Nein, Herr Kansy, Sie sollten sich die Zahlen ansehen. Wir reden in den nächsten Wochen über Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosenhilfe wird abgebaut, entsprechend wird die Sozialhilfe steigen, die Kommunen werden weiter belastet. Es sollen Beschäftigungsmaßnahmen gestrichen werden. Die Folge: Die Anzahl der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger wird weitersteigen. Das ist weniger ein Zuzugsproblem. Es ist überwiegend ein Problem der sozialen Destabilisierung im ökonomischen Bereich, sprich: auf dem Arbeitsmarkt. Das sollten wir ehrlich ansprechen.
Um so wichtiger ist es, daß wir den Menschen im Wohnbereich helfen, damit sie nicht beides verlieren: Arbeit und Wohnung.
Ich muß Ihnen noch ein paar Zahlen nennen - es ist tatsächlich so, wie Herr Thierse gesagt hat -: Das normale Wohngeld ist für viele Haushalte inzwischen sehr bescheiden. Nach Zahlung ihrer Miete verfügen sie nicht einmal mehr über den Betrag, der dem Existenzminimum eines Sozialhilfeempfängers entspricht. Das heißt, daß das normale Wohngeld so niedrig ist, daß es die Menschen - unabhängig von anderen Faktoren - in die Sozialhilfe treibt.
Dazu zwei Beispiele: Eine Rentnerin mit 1 000 DM Rente und 550 DM Kaltmiete bekommt bei der Mietenstufe 4 ein Wohngeld von 114 DM. Sie hat nach Zahlung ihrer Miete 564 DM zum Leben. Ihr sozialhilferechtliches Existenzminimum läge - ohne die Miete - bei 665 DM. Wollen wir die Frau in die Sozialhilfe treiben?
Zweites Beispiel: Eine Alleinerziehende mit zwei Kindern und einem Bruttoeinkommen von 2 500 DM mit einer Miete von 1 000 DM bekommt Wohngeld in Höhe von 135 DM. Nach Abzug der Miete verbleiben dieser Familie, also drei Personen, netto 1 417 DM. Würde sie von Sozialhilfe leben, würde sie 1 519 DM bekommen. Das zeigt doch ganz deutlich, daß Sie mit Ihrer Politik der Wohngeldverknappung die Menschen unter das Existenzminimum, in die Sozialhilfe treiben.
Das ist mit der Würde der betroffenen Menschen, die ein Recht darauf haben, ihr Leben selbständig zu organisieren, nicht in Einklang zu bringen.
Ich habe das letzte Mal deutlich darauf hingewiesen, daß wir zweierlei brauchen: Wir brauchen auf der einen Seite ein effizientes Wohngeld, das ein angemessenes Existenzminimum sichert. Wir brauchen auf der anderen Seite - das ist mir genauso wichtig, auch wenn ich es heute nicht ausführe - eine Politik, die die Abhängigkeit vom Wohngeld nicht erhöht, sondern deutlich senkt.
Ich sage noch einmal die Stichworte: Bestandspolitik und Mietrechtspolitik. Wir werden noch genug Gelegenheit haben, darüber zu reden.
Unsere Forderung ist ganz einfach: Lassen Sie das Wohngeldsondergesetz in der jetzt geltenden Form bis zum nächsten Sommer weiterbestehen, lassen Sie es also nicht schon im Dezember dieses Jahres auslaufen! Legen Sie dann nach Ablauf dieses halben Jahres ein reformiertes Wohngeldrecht vor, wie Sie es versprochen haben!
Ich finde, das ist fair, und das haben die Menschen auch verdient. Sowohl Herr Großmann als auch ich haben vorgeschlagen, wie es finanzierbar ist. Wir sollten den Mut haben, das umzusetzen; denn wir müssen wirklich in die „unteren Etagen" gehen und dürfen nicht ständig die Angebotsausweitung bei den Besserverdienenden finanzieren.
Franziska Eichstädt-Bohlig
Ich sage ganz deutlich: Nehmen Sie die Finger weg vom pauschalierten Wohngeld! Eine weitere Belastung der Kommunen mit Sozialhilfe ist nicht zumutbar. Monat für Monat werden hier Entscheidungen gefällt, die die Kommunen weiter belasten. Die Kommunen sind an der Grenze ihrer Belastbarkeit. Eine Wohngeldreform zu Lasten der Kommunen ist wirklich unverantwortlich.
Ich fordere Sie also auf, nicht ins pauschalierte Wohngeld einzugreifen und die Kommunen nicht weiter zu belasten. Das ist nicht nur eine Finanzfrage. Inzwischen sind wir an der Schwelle, an der die Kommunen nicht einmal mehr die elementarsten Formen der kommunalen Demokratie aufrechterhalten können, weil sie praktisch nicht mehr handlungsfähig sind.
- Nein, hier haben wir alle gemeinsam eine Verantwortung, gerade auch der Bund. An diese Finanzierung müssen wir wirklich heran, Herr Willner.
Lassen Sie mich noch ein paar Sätze zur Altschuldenhilfe und zu der Privatisierungsfalle sagen - das meiste hat Herr Thierse schon genannt -: Wir werden uns bei Ihrem kleinen Gesetzchen enthalten und nicht dagegenstimmen, weil wir dankbar sind, daß Sie sich nach den langen Jahren der Diskussion überhaupt ein kleines bißchen bewegt haben. Aber Sie sollten ehrlich gestehen, daß die Altschuldenhilfe und die Privatisierung gescheitert sind.
Herr Braun, gerade Sie haben vorhin so geklatscht. Daher muß ich Ihnen doch noch einmal die Zahlen sagen: Bis 1994 sind insgesamt 69 000 Wohnungen privatisiert worden, davon 24 000 an Mieter und 45 000 an Dritte, sprich: an Kapitalanleger, überwiegend westdeutsche Kapitalanleger. In 1995 sieht das Bild genauso aus: 52 000 Wohnungen privatisiert, zirka 15 000 an Mieter, davon 3 000 Wohnungen an Genossenschaften, 34 000 Wohnungen an Zwischenerwerber, sprich: westdeutsche Kapitalanleger; Stichworte: Steuersubventionen, Fördergebietsgesetz.
Also seien wir doch einmal ganz ehrlich: Das Altschuldenhilfe-Gesetz in seiner jetzigen Form dient nichts anderem als dem Kapitaltransfer aus ostdeutschen Städten.
Hier fließt also ostdeutsches öffentliches und genossenschaftliches Vermögen an westdeutsche Kapitalanleger. Ich finde es peinlich, daß das hier weiter hochgehalten werden soll und daß die Kommunen dafür Geld abführen müssen.
Wir werden uns bei der Abstimmung enthalten, damit die Wohnungsgesellschaften überhaupt handlungsfähig sind, aber toll finden wir das wirklich nicht, was Sie hier zustande gebracht haben.
Das Wort nimmt jetzt der Kollege Hildebrecht Braun.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debatte findet heute in der Kernzeit statt; sie könnte also eigentlich auch im Fernsehen übertragen werden. Dann allerdings müßte ich als Mitglied der Kinderkommission Einspruch einlegen; denn Horrorsendungen wollen wir der Bevölkerung nicht bereits früh um 9 Uhr zumuten. Es kann doch wohl nicht angehen: Wir haben hier eine Geisterstunde.
Da stellen sich Herr Thierse und Frau Eichstädt-Bohlig hin und erzählen von den Schrecken der Wohnungspolitik und ihren Ergebnissen, obwohl sie ganz genau wissen, daß sich die Dinge gerade in Deutschlands Osten in den letzten Jahren außerordentlich verbessert haben.
Jetzt noch von Wohnungsnot zu sprechen ist unverantwortlich.
Es gibt auf Grund einer angebotsorientierten Politik der Bundesregierung und der sie seit 1990 tragenden Koalition genügend Wohnungen im Land. Die Folge dieser angebotsorientierten Politik ist, daß die Neuvermietungsmieten und die Wiedervermietungsmieten flächendeckend bundesweit - in Ost und West, in Nord und Süd - sinken, und zwar im Schnitt um 20 Prozent.
Das nehmen diese Herrschaften von der Opposition nicht zur Kenntnis, sondern stellen sich hier hin wie an die Klagemauer und versuchen, sich nach dem Motto durchzuschlängeln: Lerne zu klagen, ohne zu leiden. - Das kann nicht richtig sein.
Meine Damen und Herren, nur scheinbar handelt es sich bei den beiden Themen, die wir heute in der wohnungspolitischen Debatte erörtern, um Fragen, die nur Deutschlands Osten betreffen. Gerade das Wohngeld ist ein Thema, das für unser ganzes Land von Bedeutung ist.
Hildebrecht Braun
Für die F.D.P. will ich mit aller Deutlichkeit und Klarheit betonen: Wir stehen hinter dem System des Wohngelds; denn das Wohngeld ist die effektivste Hilfe für Menschen, die die Miete nicht oder nur unter kaum erträglicher persönlicher Belastung bezahlen können. Wohngeld - zumindest das Tabellenwohngeld - fördert nur den, der es wirklich braucht. Das Problem der Fehlsubventionierung, das den sozialen Wohnungsbau alter Prägung unverantwortbar gemacht hat, gibt es beim Wohngeld nicht.
Öffentliche Mittel gehen genau dort hin, wo sie auch hingehen sollen. Menschen und nicht Gebäude werden gefördert. Das ist das Fördersystem auch der Zukunft.
Sechs Jahre nach dem Zusammenschluß der deutschen Staaten läuft zum Jahresende das Sonderwohngeld Ost aus, das den Bürgern im Osten - Herr Thierse, hören Sie einmal genau zu -, wohlgemerkt: bei gleicher individueller Belastung wie bei vergleichbaren Bürgern im Westen, einen deutlich höheren Wohngeldanspruch gegeben hat. Diese Wohltat des Gesetzgebers war nur deshalb vertretbar, weil die Bürger in Deutschlands Osten gewaltige Mietsprünge hinnehmen mußten, als die staatlich verordneten Mieten in mehreren Schritten - zuletzt durch das Mietenüberleitungsgesetz des Jahres 1995 - in etwa an die Marktmiete herangeführt wurden.
Das Ergebnis dieser Mietenpolitik ist unter anderem, daß die Bürger in den neuen Bundesländern im Schnitt noch immer eine deutlich geringere Miete als im Westen bezahlen und daß sie auch - relativ zu ihrem Einkommen, das in der Tat im Schnitt deutlich niedriger liegt - etwa 20 Prozent weniger für die Miete aufwenden, als dies die Menschen im Westen tun müssen. Allerdings - da gebe ich Herrn Thierse recht - liegt die Qualität der Wohnungen im Osten im Durchschnitt immer noch deutlich unter der im Westen. Bloß, Herr Thierse, sich hier hinzustellen und zu beklagen, es sei nicht genügend modernisiert worden, aber zugleich gegen die Modernisierung im Osten zu polemisieren und beim Mietenüberleitungsgesetz eine Modernisierungssperre einzuziehen, nämlich mit der Kappungsgrenze von 3 DM, das paßt alles nicht zusammen. Ich wünschte mir, daß Sie hier eine klare Linie hätten. Es ist Ihre Aufgabe als Opposition, zu kritisieren, aber tun Sie es bitte dort, wo Sie wirklich Anlaß dazu haben. In diesem Bereich haben Sie den allergeringsten Grund, der Regierung oder der Koalition Kritik entgegenzubringen.
Es ist an der Zeit, daß Sonderregelungen für Deutschlands Osten wegfallen. Die Frage war nur, auf welcher Basis die Rechtsangleichung auch beim Wohngeld erfolgen sollte. Natürlich wäre es uns am liebsten gewesen, wir hätten das Wohngeld West auf das Niveau des Wohngelds Ost anheben können. Das wäre auch naheliegend, denn das Wohngeld ist in Deutschlands Westen in den letzten 6 Jahren nicht angepaßt worden. Angesichts der gestiegenen Bruttogehälter, denen oft nur ein sehr geringes Wachstum des verfügbaren Einkommens gegenüberstand, sind Zehntausende von Westhaushalten aus der Wohngeldberechtigung herausgefallen.
Nur, diese Reform, die wir alle gern gehabt hätten,
hätte Milliarden gekostet, und keiner - jedenfalls keiner unter den Koalitionsabgeordneten - konnte sagen, woher wir diese Milliarden nehmen sollten.
Vielleicht liegt die Misere aber auch nur darin, daß wir den Haushaltspolitiker mit der besonderen Phantasie nicht in unseren Reihen haben, der vor wenigen Wochen allein zur Finanzierung zusätzlicher Lehrstellen im Haushalt 2 Milliarden DM finden wollte.
Dieser bundesweit bekannte Zahlenakrobat, Rudolf Scharping, steht uns als Haushaltsberater nicht zur Verfügung. Er würde uns allenfalls mitteilen, daß die mexikanischen Familien auch ohne jedes Wohngeld doch viel glücklicher seien als die deutschen, womit er übrigens vielleicht sogar recht hat.
Nachdem somit die Lösung der Anhebung des Wohngelds West auf das Niveau des Wohngelds Ost ausschied, blieb eigentlich nur die Absenkung des Wohngelds Ost auf das Niveau des Wohngelds Deutschland West, wenn wir wirklich die Angleichung erreichen wollten. Da aber staatliche Wohltaten nun einmal die Eigenschaft haben, als gottgegeben und selbstverständlich angesehen zu werden, haben es viele, die sich hierfür eingesetzt haben, vermocht - mit massiver Unterstützung auch der Ministerpräsidenten aus dem Osten -, zu intervenieren, und sie haben Erfolg gehabt.
Die Koalition legt Ihnen heute einen Gesetzentwurf vor, nach dem pro Jahr 160 Millionen DM - zusätzlich zum gesamtdeutschen Wohngeld - ausschließlich Bürgern in den neuen Bundesländern zufließen werden, 160 Millionen DM, die den Übergang vom staatlich reglementierten Mietniveau des Mietenüberleitungsgesetzes zur Marktmiete erleichtern sollen. Zu diesem Gesetzentwurf stehen wir, obwohl er vor den Mietern in Deutschlands Westen nicht leicht vertreten werden kann.
Herr Thierse, ich möchte Sie bei Ihrem Telefonat nicht unterbrechen: Aber für jemanden, der in Deutschland West 2 000 DM netto hat, zwei Kinder hat und 700 DM Miete bezahlen muß, ist die Situation nicht besser als für den, der in Deutschland Ost 2 000 DM netto hat, zwei Kinder hat und 700 DM für die Miete bezahlt; aber er kriegt in Deutschland West weniger Wohngeld. Das ist der Punkt.
Herr Braun, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig?
Ich möchte gern erst noch den Gedanken zu Ende bringen. In einer Minute gern.
Ich möchte auch deutlich machen, daß dieser Übergang zur Marktmiete nach Ablauf des Mietenüberleitungsgesetzes keineswegs zu Mietsteigerungen in großer Zahl führen wird. Ganz im Gegenteil: Angesichts Zehntausender, ja Hunderttausender leerstehender Wohnungen im Osten werden sehr viele Mieten sinken, besonders die Mieten von Wohnungen in schlechter oder jedenfalls nicht besonders guter Lage und von Wohnungen, die nicht besonders gut ausgestattet sind. Aber auch bei den modernisierten Wohnungen, die mittlerweile in großer Zahl auf dem Markt sind und zum Teil auch leerstehen, und auch bei neugebauten Wohnungen werden die Mieten in weiten Bereichen sinken. Angstmacherei ist nicht angesagt. Ganz im Gegenteil: Die Bürger in Deutschlands Osten können mit Zuversicht dem Übergang vom Mietenüberleitungsgesetz zur Marktmiete entgegensehen.
Bitte sehr.
Herr Kollege Braun, können Sie mir zugeben, daß hinter Ihrem Ziel, die Freigabe der Mieten im Rahmen der Mietrechtsreform zu erreichen, im wesentlichen die Absicht steht, Mieterhöhungen durchzusetzen, womit aber der Bedarf an Wohngeld wieder weiter erhöht würde, was völlig im Widerspruch zu dem steht, was Sie gerade bedauern, nämlich daß es nicht ausreichende Mittel für das Wohngeld gibt? Wie wollen Sie eigentlich diese Widersprüche in Ihren politischen Zielen auflösen?
Frau Eichstädt-Bohlig, ich kann Ihnen das nicht zugestehen, weil es überhaupt nicht das Ziel derer ist, die die Mieten freigeben wollen, daß die Mieten steigen. Wir wollen, daß die richtige Miete, nämlich die Marktmiete, bezahlt wird. Wie ich Ihnen gerade schon sagte, werden die Mieten in weiten Bereichen sinken. Ich habe schon vor einem Jahr von diesem Podium aus bei der Debatte über das Mietenüberleitungsgesetz gesagt, daß in weiten Bereichen in Deutschlands Osten nach dem Mietenüberleitungsgesetz zu hohe Mieten gezahlt werden.
- Nein, lassen Sie das Mikrofon ruhig oben. Ich möchte die Antwort nicht auf meine Redezeit angerechnet bekommen.
Ich wiederhole - vielleicht erinnern Sie sich daran -: Dadurch, daß wir jetzt ein System haben, das praktisch exakt die gleiche Miete für Altbauten in bester Lage in Dresden wie für Wohnungen an der polnischen Grenze vorsieht, zahlen viele Mieter schon jetzt eine viel zu hohe Miete. Die Marktmiete würde darunter liegen, und Sie werden sehen, daß meine Prognose zutrifft.
Ich fahre fort: Trotz dieser guten Aussichten werden Millionen wegen Arbeitslosigkeit, vieler Kinder oder geringer Renten einen Mietzuschuß brauchen. Sie werden Wohngeld erhalten, und zwar auch in Zukunft mehr Wohngeld, als die Bürger im Westen bei gleich hoher Miete und gleich hohem Einkommen erhalten. Dieser Umstand scheint vielen im Osten - auch bei Mietervereinen, die nicht von der PDS geführt werden - unbekannt zu sein; denn anders wäre es kaum verständlich, daß im Osten von Protestaktionen berichtet wird, nicht aber im Westen.
Alle Protestierenden sollten wissen, daß das Wohngeld aus Steuermitteln bezahlt wird, die von Mietern in Deutschland Ost und in Deutschland West aufgebracht werden. Richtiger wäre es, die Opposition würde sich heute gemeinsam mit uns darüber freuen, daß es noch einmal gelungen ist, für die Mieter in Deutschlands Osten für die kommenden Jahre eine Sonderförderung zu erhalten. Dies war angesichts der finanziellen Zwänge dieses Haushalts alles andere als selbstverständlich.
Wer mehr Wohngeld in Deutschland Ost und in Deutschland West will, der möge bitte auch den Mietern sagen, daß dies nur über eine höhere Nettoneuverschuldung finanziert werden könnte,
also durch Kredite, die unsere Kinder zurückzahlen müssen. Damit würden wir deren Zukunftschancen wieder verschlechtern. Das kann wohl nicht richtig sein! Deswegen schlagen wir Ihnen dies auch nicht vor.
Wir werden nachhaltig für eine Strukturnovelle des Wohngeldes für Mitte 1997 kämpfen; denn es ist Reformbedarf angesagt. Ein Teil dessen wurde auch von Ihnen bereits angesprochen. Ich möchte mich dazu hier im Moment nicht verbreiten, darf aber ankündigen, daß die F.D.P. bald sehr konkrete Vorschläge vorlegen wird.
Lassen Sie mich noch einige Worte zum Altschuldenhilfe-Gesetz sagen, auch wenn mir die Zeit davonläuft. Aber einiges scheint mir doch wichtig zu sein. Man muß wissen, daß wir die Privatisierung - wohlgemerkt an die Mieter - nachhaltig fördern wollen. Wir halten an diesem Konzept fest; denn der gesellschaftspolitische Ansatz, daß wir auch im Osten mehr Eigentümer haben wollen, bleibt und hat sich in den letzten 6 Jahren nicht geändert. Wir haben hier immer noch einen gewaltigen Bedarf.
Auch deswegen erleichtern wir den Wohnungsgesellschaften durch das Gesetz, das wir heute verab-
Hildebrecht Braun
schieden wollen, die Privatisierung ganz erheblich, indem wir nämlich die Abführungsquote an den Erblastentilgungsfonds drastisch zurückfahren. Wir erleichtern es aber nicht nur den Wohnungsgesellschaften. Wir haben auch - daran möchte ich bei dieser Gelegenheit doch erinnern - alles getan, um den Mietern die Möglichkeit, ihre Wohnung zu erwerben, über die Wohneigentumsförderung des letzten Jahres in einem Maße zu erleichtern, die eigentlich kaum mehr überboten werden kann. Wenn jemand, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, seine eigene Wohnung beispielsweise für 150 000 DM erwerben kann - das ist in vielen Fällen ein ganz realistischer Preis -, dann bekommt er 8 Jahre lang einen Zuschuß von je 5 500 DM - das sind zusammen 44 000 DM - bar auf die Hand, und zwar unabhängig von seinem Einkommen.
Darüber hinaus erhält jeder Antragsteller in den neuen Bundesländern - auch eine Initiative der F.D.P. - für die letzten 20 Prozent des zu finanzierenden Kaufpreises eine Staatsbürgschaft, quasi als Eigenkapitalersatz. Dies macht es den Erwerbern ihrer eigenen Wohnungen deutlich leichter, den benötigten Kredit von der Bank zu bekommen. Hinzu kommen noch Steuervorteile, die natürlich nicht quantifiziert werden können, weil sie davon abhängen, in welcher Höhe jemand Steuern bezahlt. Es sind sogar erhebliche Steuervorteile in dem Fall, daß Renovierungsbedarf vorliegt.
Angesichts der außerordentlich günstigen Zinsen, die der Markt gegenwärtig ermöglicht, kann und will ich nur jedem raten, ganz schnell darüber nachzudenken, ob er nicht langfristig viel Geld spart, indem er seine Wohnung kauft, statt auf Jahrzehnte hinaus Miete zu bezahlen.
Herr Braun, Ihre Redezeit ist vorbei.
Ich darf zum Schluß kommen. - Es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn die von den staatstragenden Parteien übereinstimmend gewollte Privatisierung, das heißt die Veräußerung von Wohnungen speziell an die Mieter, nicht endlich zügig vorankommen sollte, nachdem wir als Gesetzgeber nun wirklich alles getan haben, um den Verkäufern entgegenzukommen und den Käufern den Kauf zu erleichtern.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Klaus-Jürgen Warnick.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach dem weiteren Abbau sozialer Leistungen durch das sogenannte Sparpaket unter dem heuchlerischen Begriff „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung" geht es nun mit dem Sozialabbau in der Wohnungspolitik munter weiter. Obwohl die Tabellen des Wohngeldes West seit 6 Jahren nicht angepaßt wurden - selbst Herr Braun hat das ja richtig erkannt - und uns eine gesamtdeutsche Wohngeldnovelle versprochen wurde, gleicht man das Wohngeld West nicht an das höhere Niveau des Ostens an, sondern macht genau das Umgekehrte: Das Wohngeld Ost wird auf das niedrige Westniveau heruntergefahren. Wie weit man bzw. frau dem Wort eines deutschen Ministers noch Glauben schenken kann, dazu will ich mich jetzt hier gar nicht mehr äußern. Das haben meine Vorredner schon zur Genüge getan. Ich hatte da auch keine Illusion; das muß ich Ihnen ehrlich sagen.
Wir treten für gleichen Lohn bei gleicher Arbeit in Ost und West ein. Genauso können wir nicht verstehen, warum eine Mieterin oder ein Mieter, der die gleiche Rente erhält, der den gleichen Wohnraum hat, die gleiche Miete zahlt, ein unterschiedliches Wohngeld erhalten soll. Dies ist mit uns nicht mehr zu machen. Wir bleiben bei der Forderung nach einem gesamtdeutschen neuen Wohngeld.
Wenn dieser Weg nicht jetzt und sofort möglich ist - nach unser Meinung ist er es -, dann müßte man wenigstens, wie vorgeschlagen, eine Überleitung nach unseren Vorstellungen vornehmen. Herr Braun hatte ja schon gute Erkenntnisse, aber er sagte, das Geld sei leider dafür nicht vorhanden. Ich kann vielleicht ein paar Überlegungen dazu beisteuern, wie man zu Geld kommen könnte.
Ein Stichwort ist die Eigenheimzulage. 17,5 Milliarden DM haben wir da zur Verfügung. Für das Wohngeld haben wir 3 Milliarden DM. Mir konnte bis jetzt keiner schlüssig und vernünftig begründen, warum eine Familie mit einem zu versteuernden Einkommen von jährlich 240 000 DM - das sind also brutto zwischen 26 000 und 28 000 DM im Monat - eine Förderung vom Staat für die Errichtung eines Eigenheims benötigt. Es gäbe Einsparmöglichkeiten in der Größenordnung von mehreren Milliarden DM, wenn man dies herunterschraubt.
Das kann man, wenn man will, sofort machen. Ich weiß, Herr Kansy kann das nicht mehr hören, aber wir werden es so lange immer wieder erwähnen - weil es die Wahrheit ist und man es sofort machen kann -, bis Sie sich dazu durchringen werden - vielleicht erleben wir es ja noch -, hier eine Änderung einzuführen.
Ein zweites Stichwort ist das Fördergebietsgesetz Ost. Das möchte ich nur erwähnen, ich habe leider nicht die Zeit, um hier ausführlich darauf einzuge-
Klaus-Jürgen Warnick
hen. Sie hämmern den Bürgern draußen immer ein: Es ist kein Geld da. Das stimmt definitiv nicht. Sie machen nur eine Politik der falschen Verteilung des Geldes.
Zum Altschuldenhilfe-Gesetz: Herr Kansy sprach gestern im Bauausschuß davon, daß nur noch Restanten des Altschuldenhilfe-Gesetzes zu erledigen wären. Das ist entweder zynisch oder unwissend, denn bis jetzt sind wirklich nur die einfach zu privatisierenden Wohnungen an Mieter oder Unternehmen verkauft worden. Die Schwierigkeiten beim Privatisieren von Wohnungen liegen doch noch vor den Unternehmen.
Für viele Wohnungsunternehmen stellt das auch in Zukunft das größte Problem dar. Statt daß sich die Wohnungsunternehmen mit aller Kraft darauf konzentrieren können, Modernisierung und Instandsetzung durchzuführen, müssen sie versuchen, Wohnungen an den Mann zu bringen, die niemand haben will. Wie das in Regionen wie Eisenhüttenstadt, Schwedt, Guben, Forst passieren soll, wo zum Teil schon 1 000 Wohnungen leer stehen, das bleibt wohl für immer das Geheimnis der Bundesregierung.
Die Politik der Zwangsprivatisierung von Wohnungen ist jedenfalls eindeutig gescheitert. Das beweisen die Zahlen. Von rund 360 000 zu privatisierenden Wohnungen sind bis Ende 1995 lediglich 116 000 privatisiert worden, davon nur 35 000 an Mieter. Das sind 29,9 Prozent. Gemessen an der Gesamtzahl, sind gerade 10 Prozent der Wohnungen an Mieter veräußert worden, und das unter finanziell wesentlich günstigeren Bedingungen, als sie in Zukunft auf die Wohnungsgesellschaften zukommen.
Man muß dabei beachten, daß von diesen 35 000 Wohnungen ein ganzer Teil auch ohne Zwangsprivatisierung zu verkaufen gewesen wäre.
Was war das angebliche Ziel dieser Zwangsprivatisierung?
Erstens. Die Wohnungsunternehmen sollten zu mehr Kapital kommen, damit sie damit Modernisierung und Instandhaltung ihrer Wohnungsbestände durchführen können.
Zweitens. Der Erblastentilgungsfonds sollte Geld aus dieser Privatisierung erhalten.
Drittens. Die Mieter sollten durch eine Privatisierung ihrer Wohnungen beglückt werden.
Was ist erreicht worden?
Erstens. Die Mieter sind zutiefst verunsichert und wollen zum großen Teil die Wohnungen nicht kaufen.
Zweitens. In den Erblastentilgungsfonds ist so gut wie überhaupt kein Geld hineingekommen. Der Aufwand des Staates für die großen Werbekampagnen und für Zuschüsse bei der Privatisierung ist größer als die Einnahmen - also Minus.
Die Wohnungsunternehmen haben unter dem Strich Minus gemacht. Die Geschäftsführer der großen Unternehmen sagen uns, daß sie, wenn sie die Rechnung darüber aufmachen, was sie für die Modernisierung aufgewandt haben, zum Schluß ein Minus feststellen. Für niemanden ist also etwas dabei herausgekommen, höchstens für einige Zwischenerwerber und einige Kapitalanleger aus den alten Bundesländern.
Wir wissen natürlich, wessen Lobby Sie sind, jedenfalls nicht die Lobby der kleinen Leute; sonst hätten Sie eine andere Politik betrieben.
Wir wollen noch einmal festhalten, daß wir nicht gegen eine Privatisierung ganz allgemein sind. Wo sich Vermieter und Mieter einig sind, wo diese Privatisierung sozial vertretbar und wirtschaftlich sinnvoll ist, haben wir überhaupt nichts dagegen, daß Wohnungen privatisiert werden. Aber wir bleiben dabei, daß es eine endgültige Streichung der Zwangsprivatisierung geben muß.
Der Vorschlag der Bundesregierung geht in Teilen in die richtige Richtung, aber das Falsche wird nur etwas weniger falsch, das Schlechte wird etwas verbessert.
Ich bin ja schon froh, daß bei der Bundesregierung der Groschen wenigstens pfennigweise fällt. Aber das ist natürlich auch keine eigene Erkenntnis der Bundesregierung, sondern einfach der Zwang des Faktischen, des Realen, der sie dazu geführt hat, hier Änderungen herbeizuführen. Nur unter Druck ist die Bundesregierung anscheinend bereit zu lernen.
Da auf der einen Seite der Unsinn der Zwangsprivatisierung damit nicht beendet wird, auf der anderen Seite die von der Koalition vorgeschlagenen Gesetzesänderungen im Prinzip nur Verbesserungen, wenn auch nur ganz geringfügige, mit sich bringen und unser Grundsatz darin besteht, daß an uns Verbesserungen nicht scheitern sollen, werden wir uns hier der Stimme enthalten. Dem Antrag der SPD hingegen werden wir zustimmen.
Ich danke Ihnen.
Es spricht jetzt der Kollege Norbert Otto.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit Genugtuung haben wir festgestellt, daß die Wohnungspolitik in der Kernzeit unserer parlamentarischen Beratung behandelt wird. Damit bringt das Parlament auch die besondere Bedeutung der Wohnungspolitik in unserem Land zum Ausdruck.
Es steht doch außer Frage, daß Wohnungen einen hohen sozialen Stellenwert haben. Sie gehören einfach zur sozialen Grundausstattung der Menschen.
Nach der Wende wurde in den neuen Bundesländern sehr viel für die Verbesserung des Wohnungsbestandes getan. Die Modernisierungen in den Plattenbausiedlungen und die Restaurierungen in den
Norbert Otto
Wohnbereichen der oft entvölkerten Altstädte sind unübersehbar.
Wir haben in den vergangenen vier Jahren die hierfür notwendigen Gesetzesgrundlagen geschaffen und alte Zöpfe abgeschnitten.
Ich erinnere nur an die Eigenheimförderung nach § 10e EStG. Auf der einen Seite haben wir mit dem Altschuldenhilfe-Gesetz die Wohnungsunternehmen wieder finanziell handlungsfähig gemacht, auf der anderen Seite wurde mit dem Mietenüberleitungsgesetz und dem Sonderwohngeld Ost eine wichtige Grundlage für bezahlbare Wohnungen geschaffen. Die dringend notwendigen Voraussetzungen für die Finanzierung von Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen wurden dadurch ebenfalls geschaffen. Die Wohnungspolitik der Regierung und der Koalition war und ist auf einem erfolgreichen Kurs.
Trotz aller Unkenrufe von linksaußen hat es nicht massenweise Kündigungen gegeben. Es gab auch keine profitsüchtigen Wohnungsgesellschaften, die ihre Mieter im Rahmen der Privatisierung einfach auf die Straße gesetzt haben. Mieter und Vermieter haben sich - zugegebenermaßen bis auf einige schwarze Schafe in der Branche - schnell als Partner verstanden - besser, als es sich so mancher Parteistratege vorstellen konnte.
Damit dieser so wichtige soziale Konsens erhalten bleibt, reagieren wir heute mit zwei Gesetzesvorlagen auf die aktuelle Situation in den neuen Ländern. Mit der Novelle zum Altschuldenhilfe-Gesetz wollen wir den Wohnungsgesellschaften und -genossenschaften helfen, Privatisierung und Modernisierung noch mieterfreundlicher zu regeln. Sowohl der Gesamtverband der Wohnungswirtschaft als auch die Wohnungsunternehmen haben vor zwei Jahren das Altschuldenhilfe-Gesetz mit großer Erleichterung aufgenommen. Einige meinten sogar, es sei ein Segen für die Wohnungswirtschaft gewesen.
In der praktischen Umsetzung des Gesetzes mußten wir aber feststellen, daß die Privatisierung von Wohnraum nicht so schnell wie ursprünglich angenommen verlief. Insbesondere auf Initiative der Abgeordneten aus den neuen Ländern wurde deshalb die Herabsetzung der steilen Progression der Abführung von Verkaufserlösen mit dem heute zu beschließenden Gesetzentwurf in Angriff genommen. Anstatt der angepeilten Abführung von 90 Prozent des Verkaufserlöses im Jahre 2001 sind jetzt jeweils Abführungen in Höhe von 45 Prozent, 50 Prozent bzw. 55 Prozent - steigend in Zweijahresschritten - an den Erblastentilgungsfonds vorgesehen.
Die Wohnungsunternehmen werden dadurch wesentlich entlastet. Der Bundeshaushalt wird zwar erheblich belastet, doch unter dem Strich bleiben für die Wohnungsunternehmen mehr Mittelfür die Modernisierungsmaßnahmen übrig. Ich glaube, das ist im Interesse aller.
Eine weitere Verbesserung im Interesse der Wohnungsunternehmen und ihrer Mieter haben wir mit einer veränderten Definition des maßgeblichen Zeitpunktes für die Erlösabführung beim Verkauf von Wohnungen vorgesehen. Bisher galt eine Wohnung im Sinne des Gesetzes als verkauft, wenn im Grundbuch eine entsprechende Eintragung vorgenommen wurde. Zwischen Antragstellung und tatsächlicher Eintragung im Grundbuch verstrich oft ein Jahr und mehr, so daß sich bei der Erlösabführung trotz klarer Verkaufsabsichten und Verträge Nachteile für die Wohnungsgesellschaften ergeben konnten.
Das wollen wir ändern. Für die Erlösabführung ist jetzt der Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages und der Antragstellung zur Grundbucheintragung maßgebend. Mit der Gleichstellung von Veräußerung und Erbbaurecht wird darüber hinaus eine weitere Möglichkeit zur Wohnungsprivatisierung geschaffen.
Die schönste Wohnung und das beste Angebot nützen natürlich nichts, wenn sie nicht bezahlbar sind. Dafür, daß das Sozialgut Wohnung bezahlbar bleibt, haben wir mit beiden Gesetzen, dem Mietenüberleitungsgesetz und dem Wohngeldsondergesetz, gesorgt. Im Mittelpunkt stand und steht dabei immer ein vernünftiges Verhältnis von Einkommen und Mietbelastungen.
Mit dem Wohngeldsondergesetz haben wir in den neuen Bundesländern soziale Härten abgefedert. Bei der Beschlußfassung dieses Gesetzes im Jahre 1991 sind wir davon ausgegangen, daß sich die Einkommen und die Mietbelastung in den alten und neuen Bundesländern weitestgehend angleichen würden. Das Wohngeldsondergesetz hätte somit in ein bundeseinheitliches Wohngeldgesetz münden können. Aus diesem Grund war die Laufzeit mit Verlängerung bis zum 31. Dezember festgelegt. Heute müssen wir feststellen, daß es diese gleichen Verhältnisse nach sechs Jahren deutscher Einheit noch nicht gibt. Daher muß die besondere Unterstützung der Mieter in den neuen Ländern fortgeführt werden.
Natürlich gab es auch im Vorfeld dieses Gesetzgebungsverfahrens vielfältige Reaktionen und Ergänzungswünsche. So sehen wir beispielsweise bei den Besonderheiten von modernisierten Altbauwohnungen noch Änderungsbedarf.
Weiterhin wird darüber zu beraten sein, ob die Tabelle der wohngeldfähigen Höchstmieten ergänzt werden muß. Auch bei der Höhe der Freibeträge von Transferleistungsempfängern und Empfängern von niedrigen Renten besteht aus unserer Sicht noch Änderungsbedarf.
Alle diese Punkte werden Gegenstand in den Ausschußberatungen sein. Ich sehe - obwohl Herr Thierse gesagt hat, wir hätten kaum noch Gemeinsamkeiten - in den Beratungen des Bauausschusses gerade in diesen Punkten eine ganze Reihe Gemeinsamkeiten.
Trotzdem muß die Zielstellung sein, daß die seit längerer Zeit angekündigte Neufassung des Wohngeldgesetzes mit in die Diskussion aufgenommen wird. Ich weiß, daß die Mieter in den alten Bundesländern auf eine Reform des Wohngeldgesetzes warten. Das uns jetzt entgegengebrachte Verständnis für die Fortschreibung einer gewissen Sonderregelung
Norbert Otto
in den neuen Ländern wissen wir daher um so mehr zu schätzen. Ich bin ausdrücklich dankbar, daß es dazu kommen wird.
Trotz der angespannten Lage des Bundeshaushaltes werden wir die Mieter in den neuen Bundesländern mit ihren besonderen Problemen und Belastungen wie bisher nicht im Regen stehenlassen.
Wir werden auch in Zukunft dafür Sorge tragen, daß das Sozialgut Wohnung verfügbar und bezahlbar bleibt.
Schönen Dank.
Die Kollegin Iris Gleicke setzt die Debatte fort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihnen hier zunächst etwas vorlesen:
Die Diskussion der vergangenen Monate über die Privatisierungsverpflichtung aus dem Altschuldenhilfe-Gesetz mit dem Ergebnis einer Erweiterung der Privatisierungspalette hat gezeigt, daß es keiner Änderung des AltschuldenhilfeGesetzes bedarf. Eine Novellierung würde lediglich neuen Attentismus schaffen, die Erwerbschancen der kaufinteressierten Mieter weiter verzögern und neue Unsicherheiten in die Privatisierungskonzepte der Wohnungsunternehmen hineintragen, die ihre Privatisierungsaufgaben mit zunehmendem Engagement angehen. Das Altschuldenhilfe-Gesetz bietet in seiner bestehenden Form genügend Spielräume, die es entschlossen zu nutzen gilt, um in der Praxis gegebenenfalls auftretende Probleme zu lösen.
Das behauptete die Bundesregierung in ihrem Bericht vor knapp einem Jahr und verteidigte diese Erkenntnis noch in diesem März. Das muß man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen.
Wenn Sie das ernst nehmen - aber man weiß bei Ihnen manchmal nicht mehr, welche Ihrer eigenen Aussagen Sie noch ernst nehmen und welche nicht -,
dann tragen Sie mit Ihrem vorliegenden Gesetzentwurf neue Unsicherheiten in die Privatisierungskonzepte der Wohnungsunternehmen hinein und schaffen neuen „Attentismus". Das Wort „Attentismus" bedeutet übrigens eine abwartende Haltung. Ich habe das im Wörterbuch nachgeschlagen.
Als ich das nachgeschlagen hatte, wurde mir auch klar, warum Sie hinter einem Fremdwort verstecken, was Sie eigentlich meinen: Ihnen paßt es nicht, daß die Leute abwarten. Ihnen paßt nicht, daß es sich die Menschen in Ostdeutschland genau und gut überlegen, ob sie eine Wohnung kaufen oder nicht. Deswegen haben Sie den Wohnungsunternehmen damals mit der progressiven Erlösabführung ja auch die Daumenschrauben angesetzt.
Auf die Gefahr hin, daß ich das eine oder andere Mitglied des Hohen Hauses damit langweile, will ich noch einmal kurz erklären, was das eigentlich bedeutet. Die Unternehmen sind nach dem Altschuldenhilfe-Gesetz verpflichtet, 15 Prozent ihres Bestandes zu privatisieren, um in den Genuß der Altschuldenhilfe zu kommen. Einen Teil des Verkaufserlöses haben sie an den Bund abzuführen. Dieser Anteil sollte nach derzeit noch geltendem Recht auf schließlich 90 Prozent steigen. Damit wollten Sie die Wohnungsunternehmen unter Druck setzen, die Wohnungen so schnell wie möglich zu verkaufen.
Staatssekretär Günther hat das im vergangenen März ganz offen ausgesprochen. Er hat nämlich gesagt, ökonomischer Zwang sei manchmal notwendig, wenn etwas bewegt werden solle. Nun ja, Sie haben es ganz zweifellos geschafft, die Wohnungswirtschaft unter Druck zu setzen. Sie haben die Unternehmen derart unter zeitlichen Druck gesetzt, daß sie häufig ihren eigentlichen Aufgaben nicht mehr nachkommen konnten. Ein Wohnungsunternehmen ist eben kein Maklerbüro.
Das hat dazu geführt, daß vielerorts von den Unternehmen nicht genug getan werden konnte, um ihre Wohnungen und das Wohnumfeld schöner zu gestalten. Jeder Obsthändler weiß, daß kein Mensch Bananen kauft, die vergammelt aussehen. Aber Sie auf der Regierungsbank haben offenbar geglaubt, daß wir im Osten nach jeder Banane greifen, die man uns hinhält.
Sie haben geglaubt, daß sich die Leute um vergammelte Wohnungen in einem vergammelten Wohnumfeld reißen und sich dafür noch bis über beide Ohren verschulden. Wenn die Menschen in Ostdeutschland das dann nicht tun, weil sie eben nicht so dumm sind, wie das hier mancher von Ihnen vielleicht glaubt, dann faseln Sie von Attentismus und biegen sich ihre Wirklichkeitsbanane so zurecht, wie Sie es gerade brauchen.
Als Sie dann endlich begriffen hatten, daß das mit der Privatisierung nicht so klappt, wie Sie sich das vorgestellt haben, haben Sie sich dann eben gesagt: Was soll der ganze Quatsch mit der Mieterprivatisie-
Iris Gleicke
rung? Es gibt ja noch Immobilienfirmen aus dem Westen, die sich im Osten noch lange nicht sattgefressen haben. - Deshalb haben Sie so lange am Zwischenerwerbermodell herumgefummelt, bis Sie den Spekulanten den roten Teppich ausrollen konnten.
Von den 69 000 verkauften Wohnungen, von denen in Ihrem Bericht die Rede ist, sind nur 24 000 - etwa ein Drittel - an Mieter verkauft worden. Der Rest ging überwiegend an Steuersparer und Immobiliengesellschaften.
Unsere Vorschläge und Warnungen haben Sie in den Wind geschlagen. Wir Sozialdemokraten wollten die Wohnungsgenossenschaften von der Privatisierungspflicht befreien. Aber genossenschaftliches Eigentum paßt nicht in Ihr ideologisches Weltbild. Natürlich sind wir froh darüber, daß Genossenschaftsgründungen überhaupt als Privatisierungsvorgang anerkannt und gefördert werden. Wir bleiben aber bei unserer Kritik, daß dies auf sogenannte eigentumsorientierte Genossenschaften beschränkt bleibt.
Damit aber nicht genug! Sie haben auch unsere Forderung abgelehnt, beim Bestand nach Mieterstruktur und regionalen Besonderheiten zu unterscheiden. Noch immer leugnen Sie die Tatsache, daß es einen Unterschied macht, ob Wohnungen in Bitterfeld oder auf Rügen liegen. Ihre sogenannte Mieterprivatisierung berücksichtigt in keiner Weise, ob die Mieterstruktur mehr durch Rentner und Arbeitslose geprägt ist oder nicht. Es ist doch aber ganz einfach lächerlich, davon auszugehen, daß 15 Prozent eines Bestandes privatisiert werden können, in dem 30 Prozent der Mieter arbeitslos sind.
Eigentlich gibt es nur zwei mögliche Erklärungen für die Sturheit und Arroganz, mit der Sie unsere Vorschläge vom Tisch gewischt haben. Es gibt die Möglichkeit, daß Sie keine Ahnung davon haben, wie es im Osten aussieht. Wenn das nur Ahnungslosigkeit wäre, dann könnte man sagen: Na gut, das ist dann eben die Welt als Wille und Vorstellung. Es drängt sich aber ein ganz anderer Verdacht auf: Sie haben eine echte Mieterprivatisierung nie gewollt. Das würde dann auch erklären, warum Ihr Gesetzentwurf so spät kommt. Oder soll ich das ernst nehmen, was die Kollegen Rau und Kansy im Juni angesichts der Verabschiedung des Entwurfs im Kabinett gesagt haben? Sie haben nämlich gesagt, mit dieser Gesetzesänderung erhalte die Wohnungsprivatisierung Ost eine faire Chance.
Meine lieben Kollegen, das heißt ja wohl im Umkehrschluß nichts anderes, als daß sie bisher keine faire Chance hatte. Nichts anderes haben wir hier immer wieder gesagt.
Zum Gesetzentwurf selbst ist anzumerken, daß die dort vorgesehenen Regelungen den Wohnungsunternehmen das Leben natürlich leichter machen. Dann sorgen Sie aber doch dafür, daß es sich für die Wohnungsunternehmen auszahlt, ihre Wohnungen vorrangig an Mieter zu verkaufen!
Unser Änderungsantrag sieht vor, daß beim Verkauf an Dritte, also an die Zwischenerwerber, 10 Prozent mehr an den Bund gezahlt werden müssen als beim Verkauf an Mieter oder Genossenschaften.
Unter der Voraussetzung, daß Sie unserem Antrag zustimmen, würden wir Ihren Gesetzentwurf unterstützen. Überraschen Sie uns und tun Sie endlich einmal etwas Vernünftiges! Wenn Sie in Wahrheit etwas anderes wollen, dann lassen Sie bitte schön Ihre Heuchelei und Doppelzüngigkeit sein, mit der Sie scheinheilig die Mieterprivatisierung wie eine Monstranz vor sich hertragen. Sagen Sie den Leuten, daß Sie das Geld brauchen, um Ihre Schuldenlöcher zu stopfen und daß Sie deshalb eine Privatisierungspolitik auf Teufel komm raus betreiben.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Dr. Klaus Töpfer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am kommenden Donnerstag ist wieder der 3. Oktober, Tag der Deutschen Einheit, zum sechsten Mal. Herr Kollege Thierse, es ist sicherlich die Aufgabe, die Pflicht der Opposition, das, was geleistet worden ist, kritisch unter die Lupe zu nehmen. Es ist dann ganz schnell der Fall, daß man hier mit harten und härtesten Vokabeln aufwartet. Frau Kollegin Gleicke hat gerade wieder von „scheinheilig" und „Heuchelei" gesprochen. Alles dies ist von einer Opposition erwartbar.
Nur, meine Damen und Herren, lieber Herr Kollege Thierse, wenn sich die Kritik so weit von der Realität entfernt, wie das bei Ihnen der Fall ist, gehen Sie das Risiko ein, daß Sie entweder nicht mehr ernst genommen werden oder daß Sie die Menschen entmutigen, die in den letzten Jahren hart dafür gearbeitet haben, daß deutsche Einheit ein Stück besser möglich geworden ist. Das ist das Risiko, das Sie eingehen.
Da wird von Ankündigung und Wortbruch gesprochen. Meine Damen und Herren, ich habe ab und zu Gelegenheit, auch meine Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern des ehemaligen Ostblocks zu begrüßen. Denen erzähle ich dann folgendes:
Da sind in diesen sechs Jahren in den neuen Bundesländern bis zum heutigen Tag 2,7 Millionen Wohneinheiten mit einem Kreditvolumen von 48 Milliarden Mark modernisiert worden. Ist das An-
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
kündigung und Wortbruch, oder ist das eine Realität im wiedervereinten Deutschland?
Da weisen wir darauf hin, Herr Kollege Thierse, daß wir - das können Sie in den Haushalten nachlesen - in dieser Zeit 5,39 Milliarden DM für die Städtebauförderung und für den Denkmalschutz in diesen Städten ausgegeben haben. Ist das Ankündigung oder Wortbruch, oder ist es ein Beitrag zur Erhaltung einer so lange vernachlässigten großartigen Bausubstanz in den neuen Bundesländern?
Da werden in diesen Jahren, meine Damen und Herren, rund 30 Milliarden DM Altschulden in einen Erblastentilgungsfonds übernommen, der vom Bund bedient wird. Ist das Ankündigung und Wortbruch, oder ist das eine Entlastung der Wohnungswirtschaft, damit auf dieser Basis wirklich eine soziale Wohnungsmarktwirtschaft aufgebaut werden kann?
Meine Damen und Herren, da stellen wir gemeinsam - gemeinsam, Herr Kollege Thierse - die Wohneigentumsförderung um, gerade mit Blick auf die Tatsache, daß die alte 10-e-Förderung, die eine progressionsorientierte Förderung gewesen ist, in den neuen Bundesländern nicht wirken konnte. Wir stellen sie auf eine Zulage um. Wir setzen - jawohl, Herr Kollege Warnick - 17,2 Milliarden Mark pro Baujahrgang dafür ein, daß Menschen Wohneigentum erwerben können. Ist das Ankündigung und Wortbruch, oder ist das eine vernünftige gesellschaftspolitische Perspektive im wiedervereinten Deutschland?
- Sehen Sie, das habe ich jetzt erwartet, Herr Kollege Großmann. Ich bin Ihnen herzlich dankbar für den Zwischenruf. Entweder, Herr Großmann - das hat Herr Thierse ja auch gesagt -, ist es so, daß wir immer wieder versuchen, gemeinsam etwas zu machen, dann müssen wir uns hinterher nicht permanent vorwerfen lassen, daß wir auch von Ihnen eine Position mit übernommen haben. Entweder machen wir etwas gemeinsam und sagen, das ist in Ordnung, jeder hat etwas dazu eingebracht, dann ist das doch eine vernünftige Politik, das ist doch in Ordnung! Natürlich könnte man sehr leicht auch etwas anderes machen, Herr Kollege Großmann. Sie sagen, wir sollten im steuerlichen Bereich sparen oder umstrukturieren. Nebenbei, alle Parteien, die hier im Hause vertreten sind, sagen: Wir machen eine große Steuerreform; wir senken die Steuersätze und verbreitern die Bemessungsgrundlage. - Es ist doch nichts anderes als das, was Sie dauernd einfordern! Sollen wir jetzt im Vorgriff darauf, obwohl das noch in dieser Legislaturperiode bearbeitet wird, einen Teilbereich davon herausnehmen?
Aber vielleicht sprechen Sie einmal mit Ihrem Parteifreund, dem von mir sehr hoch geschätzten Präsidenten des GdW, Herrn Steinert, über die Konsequenzen, die das von Ihrer Seite vorgelegte Vermögensteuergesetz für den Wohnungsbau hätte! Herr Steinert sagt uns jedesmal: Wenn die Umstellung der Vermögensteuer durchkäme, würde das der deutschen Wohnungswirtschaft Milliardenbeträge entziehen und in dem Maße könne nicht investiert werden.
- Das ist keine Meinung, die ich vertrete, sondern Herr Steinert.
Herrn Steinert - das wiederhole ich an dieser Stelle
- schätze ich sehr. Wenn man aber, Herr Thierse, solche Vokabeln wirklich gebraucht, muß man sich hinterher fragen lassen, ob die Fakten sie tragen. In diesem Zusammenhang komme ich dann unweigerlich auch auf das Wohngeld zu sprechen. Sie behaupten, die Bundesregierung hätte das Wohngeld als Sparkasse entdeckt. Auf Anfrage des Kollegen Großmann haben wir die Zahlen mitgeteilt: In diesem Jahr steigt das Wohngeld in Deutschland um über 5 Prozent. Wie ein Anstieg des Volumens um über 5 Prozent als Sparkasse definiert werden kann, müssen Sie mir wirklich einmal erläutern.
- Sie sind mir immer nur eine Sekunde voraus. Ich komme gerne auf Sie zurück.
Kollege Kansy hat zu Recht aus dem Entschließungsantrag zitiert, den die Bundesländer mit 16 : 0 im Bundesrat eingebracht haben. Natürlich verweisen sie dabei auf die haushaltsrechtlichen Möglichkeiten. Das ist doch nicht zu beklagen. Werfen Sie mir dann aber bitte nicht vor, daß ich angesichts veränderter Rahmendaten des Haushalts sagen muß: Das, was wir noch vor ein, zwei Jahren alle wollten, können wir gegenwärtig in diesem Rahmen leider nicht realisieren. An dieser Stelle bin ich ehrlich genug. Das hat doch nichts mit Wortbruch zu tun, sondern damit, daß wir unter geänderten Rahmenbedingungen sagen müssen, was augenblicklich machbar ist und was nicht. Darum geht es doch.
Ihre Bundesländer sagen dasselbe. Herr Kollege Thierse, ich habe doch abgewartet. Als wir das Mietenüberleitungsgesetz in einer wirklich vernünftigen Atmosphäre beraten haben, die ich fortführen möchte, weil wir dieses Gesetz benötigen, hat Nordrhein-Westfalen - damals noch vertreten durch die Kollegin Brusis - eine Vorschaltnovelle zum Wohngeld eingebracht. Ich hatte geglaubt, der Bundesrat würde diese Vorschaltnovelle erneut aufleben lassen. Das hat er aber nicht getan. Denn die Novelle, die noch Frau Kollegin Brusis vorgelegt hatte, hätte noch gut über eine Milliarde DM gekostet. Diesen Betrag können im Augenblick jedoch weder die Länder noch der Bund aufbringen. Lassen wir uns doch nicht wechselseitig etwas vorwerfen, wenn es um ein gemeinsames Ziel gehen muß, das wir aber in der gegenwärtigen finanziellen Situation nicht erreichen können.
Deshalb kann ich das, was der Kollege Braun gesagt hat, nur noch einmal aufgreifen und deutlich un-
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
terstreichen: Es geht wirklich nicht darum, daß wir in den neuen Bundesländern auf das Niveau des Wohngelds in den alten Bundesländern zurückfallen. Nein, wir schaffen vielmehr im Vergleich zum westlichen Deutschland eine verbesserte Regelung. Das ist doch unstrittig.
- Man kann sich darüber unterhalten, ob sie nicht größer ausfallen sollte, Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig. Der Bundesrat hat uns signalisiert - auch der Kollege Otto hat auf diese Dinge hingewiesen -, was möglicherweise dringlich sein sollte.
Eines steht aber fest: Die Zahl der Wohngeldempfänger in den neuen Bundesländern ist bei Geltung des Wohngeldsondergesetzes deutlich zurückgegangen, Frau Kollegin. Die Zahl ist nicht wegen einer zusätzlichen Mietsteigerung zurückgegangen, sondern wegen der Veränderung der Einkommen. Nur das haben wir gesagt.
Herr Kollege Thierse, schlußendlich müssen wir dieses Sonderwohngeld Ost im Bundesrat wieder gemeinsam verabschieden. Das, was Frau EichstädtBohlig hier fordert, fordern nicht einmal die neuen Bundesländer; sie sagen, sie wollen eine partielle Ergänzung, aber im Rahmen des Wohngeldrechtes, wie wir es vorgelegt haben. Also ist es doch ein vernünftiger Weg.
Wenn man das Wortgeklingel, Herr Kollege Thierse und Frau Gleicke, das offenbar notwendigerweise zur Opposition gehört, etwas zurücknimmt, können wir uns wieder mit den neuen Bundesländern und mit der Opposition bemühen, eine vernünftige Lösung für das Wohngeld in Deutschland zu schaffen, im Osten durch eine zusätzliche Zahlungsmöglichkeit und im Westen, indem wir die Strukturen verändern. Lesen Sie sich den Antrag der Bundesländer durch! Sie fordern genau das gleiche.
Wenn Sie dann sagen: Leg du es doch vor!, dann sage ich: Könnten wir uns einmal darauf einigen, daß man das mit denen, die es auch bezahlen müssen, machen? Das entspricht dem Beschluß der Bundesregierung.
Dann kommen wir zum Altschuldenhilfe-Gesetz. Da gilt dasselbe, was ich eben im Zusammenhang mit der Eigentumsförderung gesagt habe. Natürlich können Sie zitieren, daß wir die Position vertreten haben: So, wie das Gesetz vorliegt, muß es umgesetzt werden. Wenn wir das nicht machen, Frau Gleicke, gibt es wirklich kaum jemand, der sagt: Ich privatisiere jetzt. Die Leute werden sagen: Ich warte ab; ich halte mich zurück, es kann ja vielleicht besser werden. Also haben wir uns deutlich geäußert.
Nebenbei: Wenn Sie schon die Privatisierungszahlen zitieren, dann sagen Sie bitte dazu: Die 69 000 Wohnungen sind diejenigen, die bis 1994 privatisiert worden sind. Nach den Zahlen des GdW, also des wichtigsten betroffenen Verbandes, sollen es im Jahre 1995 noch einmal etwa 52 000 gewesen sein. Die Planzahlen für 1996 will ich gar nicht nennen. Ich sage nur, daß es eine solche Entwicklung - glücklicherweise - gegeben hat.
Jetzt gehen wir hin und sagen: Wir wollen den Druck herausnehmen. Da könnten Sie sagen: Das ist prima, das wollen wir auch, da machen wir mit. Ich halte fest: Die Progression ist massiv vermindert worden. Ich nenne eine konkrete Zahl: Für eine Wohnung mit 60 Quadratmetern, die in den Jahren 1997 und 1998 zu einem Verkaufspreis von 700 DM pro Quadratmeter privatisiert wird, hat das Wohnungsunternehmen nach der Novelle nur durch die Veränderung von bisher 60 auf 45 Prozent knapp 5 000 DM weniger an den Erblastentilgungsfonds abzuführen. Man muß sich das immer wieder klarmachen.
Wie der Kollege Braun gesagt hat, sollte man auch konkret benennen, wie wir die Privatisierung unterstützen: Eine Familie mit zwei Kindern, die eine Wohnung aus den Beständen kauft, bekommt nach unserer gemeinsam entwickelten Wohneigentumsförderung pro Monat 458 DM, acht Jahre lang. Sollten wir nicht gemeinsam immer wieder in die neuen Bundesländer gehen und die Menschen darüber informieren, daß sie das bekommen? Bisweilen habe ich die Besorgnis, daß deswegen nicht mehr Privatisierung erfolgt, weil - bewußt oder unbewußt - diese Förderung überhaupt nicht mehr an die Menschen herangebracht wird: pro Monat 458 DM!
Wir sollten das gemeinsam tun. Denn wir haben es gemeinsam hier verabschiedet. Dann sollten wir die Sache auch gemeinsam zu einem Erfolg machen.
Wir haben die Kappung vorgenommen und die Progression zurückgeführt. Wir haben die Erbbaurechtsmöglichkeit geschaffen. Wir haben zuletzt - das muß erwähnt werden - den sogenannten Notariatstermin durchgesetzt, um auch auf diese Weise Ärger und Ungleichheit zu beseitigen. Ich meine, dieses Gesetz, wie es jetzt vorliegt, ist eine gute Grundlage dafür, die Ziele der Privatisierung, die eine Chance für die Menschen und keine Zwangsprivatisierung ist, wirklich zu erreichen.
Zusammengefaßt, meine Damen und Herren: Bei aller Härte der Auseinandersetzung müssen wir darauf achten, daß unsere Kritik berücksichtigt, was tatsächlich geschieht. Sechs Jahre nach der deutschen Einheit ist im Wohnungsbereich sehr vieles auf den Weg gebracht worden, sind die Gräben beseitigt worden. Es bleibt noch genug zu tun. Aber das werden wir in gleicher Weise in der Zukunft anpacken.
Ich danke sehr herzlich.
Das Wort hat jetzt der Kollege Achim Großmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Töpfer, es ist unfair, wenn Sie in einer Debatte zu zwei Tagesordnungspunkten - zum einen über das Altschuldenhilfe-Gesetz, zum anderen über das Wohngeldüber-
Achim Großmann
leitungsgesetz - auf unseren Vorwurf hin, Ankündigungen gemacht zu haben, die Sie nicht eingelöst haben, oder das Wort gebrochen zu haben, Wunderkerzen in anderen Bereichen zünden.
Es ist klar und deutlich - ich wiederhole das -: Der Vorwurf des Wortbruchs bezieht sich eindeutig und ganz allein auf das Versprechen, das Sie dem Parlament, uns allen, auch den Ländern gegeben haben, noch in diesem Jahr eine gesamtdeutsche Wohngeldnovelle in den Deutschen Bundestag einzubringen. Das Versprechen haben Sie nicht gehalten.
Damit es nicht zu einer Legendenbildung und zu einer Geschichtsklitterung kommt, ist es wichtig, etwas zur Entstehungsgeschichte dieser beiden Gesetze zu sagen. Es ist klar, das tut Ihnen weh. Das Altschuldenhilfe-Gesetz ist eine Abfolge von Fehlentscheidungen.
Sie haben vom Zinsmoratorium gesprochen, Herr Minister, und haben gesagt: Das war doch eine großartige Sache. Das Zinsmoratorium war in Wirklichkeit ein Moratorium der Entscheidungsunfähigkeit.
Denn in diesen drei Jahren, in denen die Regierung nicht in der Lage war, Entscheidungen über die Altschulden auf dem Wohnungsbestand in den neuen Bundesländern zu fällen, sind die Schulden von 38 Milliarden auf 60 Milliarden DM gestiegen, mit dem Ergebnis, daß der Bund anschließend gesagt hat: 31 Milliarden DM davon übernehmen wir. Hätte er das mal drei Jahre früher gemacht!
Mit einer vernünftigen Aufteilung der Schuldenlast in Höhe von 38 Milliarden DM hätten Sie dem deutschen Steuerzahler 12 bis 15 Milliarden DM allein aus dem Steuersäckel des Bundes weniger aufgebürdet. So aasen Sie mit Steuergeldern.
Das Altschuldenhilfe-Gesetz war in Wirklichkeit zunächst einmal ein Gesetz zur Verhinderung der Privatisierung, nicht ein Privatisierungsgesetz. Unmittelbar nach seiner Verabschiedung ist klargeworden, wo die Probleme liegen. Nicht umsonst hat die SPD mehrere Gesetzentwürfe und einige Anträge in den Deutschen Bundestag eingebracht, um die Makken aus diesem Gesetz herauszuholen. Sie haben drei Jahre lang alle unsere Anträge abgeschmettert und gesagt: Das Altschuldenhilfe-Gesetz muß nicht novelliert werden. Heute, nach drei Jahren, treten Sie hierhin und novellieren es mit genau den Ansprüchen, die wir damals gestellt haben.
Wiederum sind drei Jahre verschlafen worden. Das ist Ihr Problem.
Sie können dieses Gesetz nicht als Ihren Erfolg feiern, sondern müßten im Grunde genommen im Büßergewand an dieses Pult treten und sagen: Beim Altschuldenhilfe-Gesetz haben wir erst mal drei Jahre verpennt, haben es nicht geschafft; danach haben wir wieder drei Jahre verpennt, weil die Privatisierungsansätze in den neuen Bundesländern nicht wirkungsvoll genutzt werden konnten. Sie haben sechs Jahre verpennt; das ist die Realität.
Der Lenkungsausschuß hat klammheimlich fast in Serie Vorschläge der SPD übernommen und hat Gott sei Dank einiges, was außerhalb des Gesetzes zu regeln war, geregelt - aber meistens nur unter Druck; das ist schon gesagt worden. Die Länder haben gesagt: So geht das nicht. Die Wohnungswirtschaft hat gesagt: So geht das nicht. Dann hat der Lenkungsausschuß Stück für Stück einige Steine aus dem Wege geräumt. Aber die Novellierung des Gesetzes steht trotzdem auf der heutigen Tagesordnung.
Ich darf Sie noch einmal auffordern, die Vorschläge, die die SPD zusätzlich eingebracht hat, heute mitzutragen. Lassen Sie uns das Altschuldenhilfe-Gesetz so novellieren, daß eine Mieterprivatisierung bevorzugt möglich ist!
Noch vor wenigen Monaten haben Sie - im Grunde genommen war es eine vollkommene Blamage - gesagt, daß die Novellierung nicht möglich ist. Frau Gleicke hat das erwähnt; ich brauche das nicht zu wiederholen. Das war eine durchgängige Linie: vom Abteilungsleiter im Bundesbauministerium über den Staatssekretär bis zum Minister. Ich glaube, es ist durch die Zitate, die Frau Gleicke gebracht hat, sehr deutlich geworden.
Es wird darauf ankommen, mit einer guten Novellierung die Zeichen für eine mieterfreundliche Privatisierung zu setzen. Wenn Sie heute gegen unsere Änderungsanträge stimmen, werden wir in eine erneute Runde gehen; das heißt, wir werden nach ein paar Jahren wieder feststellen, daß das Gesetz so nicht umgesetzt wird.
Man muß diesen Zeitplan und diese Abfolge erwähnen, man muß diese Zusammenhänge klarstellen, damit der Legendenbildung vorgebeugt wird.
Das gleiche Desaster - so muß man es wohl nennen -
richten Sie beim Wohngeld an. Das Wohngeld sei keine Sparkasse, hat Minister Töpfer gerade gesagt und darauf hingewiesen, daß ja im laufenden Jahr die Wohngeldzahlungen steigen. Sie steigen, weil die Armut und die Arbeitslosigkeit in Deutschland zunehmen.
Achim Großmann
Sie werden im nächsten Jahr steigen, weil in den neuen Bundesländern weitere ABM-Stellen gestrichen werden sollen, weil die Arbeitslosigkeit um bis zu 300 000 Personen zunehmen wird. Dazu ist ferner zu sagen, daß der Anstieg auch durch einen erheblichen Zuwachs in den westlichen Bundesländern bedingt ist, auch dadurch, daß die Zahl der Sozialhilfeempfänger zunimmt.
Die Sparkasse, Herr Minister, besteht darin, daß Sie den Beziehern des Wohngeldes im Westen die siebente Nullrunde zumuten. Das ist die Realität.
Das sollten Sie reparieren. Die Zahlen haben Sie ja dankenswerterweise selber genannt, allerdings zuletzt vor 12 Monaten; Sie sind ja danach immer ruhiger geworden. Wenn Sie das reparieren wollten und das Wohngeld, das jetzt auf dem Stand von 1990 eingefroren ist, 1997 auf ein entsprechendes Niveau anheben wollten, dann bräuchten Sie dazu 3,6 Milliarden DM. Da Sie das ja nicht tun, ist das Wort Sparkasse schon richtig.
Das heißt, eine Novelle mit dem Ziel der Anpassung des Wohngeldes auf den Stand des Jahres 1997 würde fast 4 Milliarden DM kosten. Wenn dieser Betrag für einen solchen Zweck nicht eingesetzt wird, dann verwendet ihn der Finanzminister für andere Zwecke. Also Sparkasse Wohngeld. Von daher kann man, glaube ich, diesen Begriff durchaus dick unterstreichen.
Ich habe schon gesagt, daß es eine gesamtdeutsche Wohngeldnovelle nicht gibt. Was uns heute auf den Tisch gelegt wird, ist eine Ost-West-Flickschusterei. Das Wohngeldsondergesetz läuft aus. Weil nicht als Anschluß eine gesamtdeutsche Wohngeldnovelle vorgesehen ist, gibt es jetzt ein Sondergesetz des Sondergesetzes, ein Überleitungsgesetz. Dieses Überleitungsgesetz - das haben Herr Thierse und Frau Gleicke schon angekündigt - werden wir so nicht mittragen. Wir werden Korrekturen vorschlagen, und wir sind guter Dinge, daß auch der Bundesrat diesen Weg mit uns gehen wird.
Wir glauben, daß die Vorschläge, die aus den neuen Ländern kommen, das heißt eine bessere Freibetragsregelung für die Rentnerinnen und Rentner und für die Arbeitslosenhaushalte, angemessen und notwendig sind. Wir glauben auch, daß wir über die Modernisierungstatbestände, die in der Tabelle genannt werden, reden müssen. Das heißt, wir müssen aufpassen, daß nicht einige, die in teuer modernisierten Wohnungen leben - denn die Kappungsgrenze wird es ja auch nicht mehr lange geben -, auf Grund der dann eintretenden Veränderung der Mieten aus dem Wohngeldbezug herausfallen, was geschieht, wenn die Miete gekappt wird, für die es Wohngeld gibt. Dasselbe Phänomen kennen wir ja aus Westdeutschland zur Genüge. Das muß vorher bereinigt werden.
Uns wird ständig vorgehalten: Wie wollt Ihr das denn finanzieren? Das war ja auch heute so; das ist ein geschicktes Ablenkungsmanöver. Wenn man selber kein Konzept hat, haut man ein bißchen auf die Bundesländer ein und sagt: Wenn sie jetzt mit ihrem Antrag kommen würden, dann könnte ich, Minister Töpfer, vielleicht meinen Kollegen, Finanzminister Waigel, davon überzeugen, daß wir die Novelle brauchen.
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Herr Minister Töpfer hat natürlich nicht nur verschwiegen, daß die Bundesländer, und zwar die A-geführten Bundesländer, die Härtefallregelung in das Gesetzgebungsverfahren des Bundesrates eingeführt haben. Vielmehr hat er auch verschwiegen, daß sie im letzten Jahr, zum Haushalt 1995, für die Erhöhung des Wohngeldes im zweiten Halbjahr bereits 600 Millionen DM beantragt hatten. Das heißt, sie waren bereit, dieses Geld zur Verfügung zu stellen. Nur, die Bundesregierung war nicht bereit, eine Novelle vorzulegen.
Das Ergebnis ist: Die Chance ist vertan, und jetzt müssen wir gemeinsam dafür kämpfen, daß wir diese Chance erneut bekommen. Man sollte das aber nicht als Erfolg feiern, wenn man im Kabinett gesagt bekommt: Lieber Bauminister, du hast kein Konzept; setz dich einmal mit den Finanzministern zusammen und schaue, ob du Geld bekommst.
Wenn der Bauminister doch nur wenigstens ein Konzept vorlegen würde.
Er und auch die Koalitionsfraktionen reden ja davon, daß es angeblich eine Strukturnovelle geben soll. Ich gehe Wetten ein, daß wir in den nächsten Monaten keine Strukturnovelle auf den Tisch bekommen werden. Wir werden erleben, daß zum 1. Juli auch keine Änderung bei der Wohngeldregelung West eintritt. Wenn man schon Flickschusterei betreibt, dann brauchen wir auf der einen Seite eine erträgliche Wohngeldregelung für die Menschen in den neuen Bundesländern und auf der anderen Seite einen ersten Schritt in Richtung auf eine Neuregelung für die Menschen in den westdeutschen Bundesländern.
Es hilft uns überhaupt nicht weiter, Herr Braun, wenn Sie hier den Osten gegen den Westen auszuspielen versuchen, nach dem Motto: Da gibt es Mieter, die das gleiche Einkommen und die gleiche Miete haben und die unterschiedliches Wohngeld bekommen. Das hilft uns nicht weiter. Was wir brauchen, ist, daß sich das Niveau des Wohngeldes Ost und das Niveau des Wohngeldes West aufeinander zubewegen. Das werden wir aus finanziellen Gründen nicht in einem Schritt schaffen. Deshalb benötigen wir zwei oder drei Schritte. Aber das bedeutet, daß dann, wenn im Osten das Wohngeld etwas heruntergefahren wird, es im Westen etwas heraufgefahren werden muß. Sonst kann man den Menschen natürlich nicht klarmachen, wohin die Reise gehen soll.
Achim Großmann
Ein letztes Wort zum pauschalierten Wohngeld: Herr Minister, Sie tun immer so, als sei der Stein des Weisen die Kürzung des pauschalierten Wohngelds. Auf meine Fragen - Sie haben gerade darauf hingewiesen - erhielt ich folgende Antwort der Bundesregierung: „Es ist zutreffend, daß im Durchschnitt der Kreis der Empfänger pauschalierten Wohngelds eine niedrigere Miete hat als die Empfänger des Tabellenwohngelds. Diese Beobachtung entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung. Haushalte mit niedrigerem Einkommen wählen in der Regel Wohnungen, die kleiner und schlechter ausgestattet sind als Durchschnittswohnungen."
Herr Großmann, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ich komme sofort zum Ende.
Es ist also falsch, den Kommunen vorzuwerfen, sie würden Mieten zulassen, die weit überzogen sind, und damit die Wohngeldregelung ausnutzen. Deshalb hilft eine lineare Kürzung des pauschalierten Wohngelds überhaupt nicht weiter. Das heißt, der große Wurf, mit dem Sie Ihre Strukturnovelle ankündigen, kann gar nicht gelingen; er geht zu Lasten der Städte und Gemeinden in die falsche Richtung.
Vielen Dank.
Abschließend in dieser Aussprache erteile ich der Kollegin Hannelore Rönsch das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD, Sie konnten auch heute nicht widerstehen, sich als Opposition zu gebärden.
Wenn die Lage so ernst wäre, wie Sie sie darstellen, dann hätte ich gern die von Herrn Thierse eingeforderten Gemeinsamkeiten erlebt. Von Gemeinsamkeiten war heute wieder nichts zu spüren. Sie haben erneut versucht, Mieter zu ängstigen. Ich würde mir wünschen, daß Sie diese Rolle allein der PDS überließen.
Ich denke, Sie haben es als Opposition nicht nötig, immer wieder in solche Strukturen zu verfallen. Auch Sie müßten positive Entwicklungen am Wohnungsmarkt in den neuen Bundesländern zur Kenntnis nehmen. Ihnen liegen dieselben Zahlen vor wie uns. Ich frage mich, warum allein unsere Kollegen aus den Koalitionsfraktionen diese Zahlen in der Öffentlichkeit nennen mußten.
Sie können doch nicht darüber hinwegsehen, daß das Ifo-Institut in seinem letzten Gutachten deutlich darauf hingewiesen hat, daß mit einer weiteren Zunahme des Wohnungsbaus zu rechnen ist. Dr. Kansy hat die Zahl von 180 000 Wohnungen, die im Jahre 1996 fertiggestellt werden, genannt. Wir werden im Jahre 1996 mit 200 000 Genehmigungen rechnen können. Warum nennen Sie solche Zahlen nicht?
- Nein, ich denke, die Situation heute gebietet es, über die Lage am Wohnungsmarkt in den neuen Bundesländern zu reden.
Kollege Thierse hat sein eigenes Schicksal deutlich gemacht. Im August dieses Jahres wurde Ihnen eine Mietsteigerung um 600 Prozent für Ihre Wohnung am Prenzlauer Berg mitgeteilt. Ich konnte das in einer großen Tageszeitung nachlesen. Haben Sie, Herr Thierse, auch einmal darüber geredet, von welchem Wohnniveau man am Prenzlauer Berg ursprünglich ausgegangen ist? Haben Sie einmal darüber geredet, was diese Niedrigmietenpolitik der DDR angerichtet hat, was sie mit dem Wohnungsbestand gemacht hat?
Ich würde mir wünschen, Herr Kollege Thierse, daß Sie auch das einmal deutlich sagen. Ich glaube, daß niedrige Mieten noch nie ein gutes Steuerinstrument in der Mietenpolitik gewesen sind.
Frau Kollegin Rönsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thierse?
Gern.
Frau Kollegin Rönsch, können Sie sich daran erinnern, daß ich auch in meiner heutigen Rede ausdrücklich gesagt habe, daß Mieterhöhungen natürlich notwendig waren, um eine Verbesserung der Zustände der Wohnungen zu erreichen, und daß es auch unsere Aufgabe ist, dies der ostdeutschen Bevölkerung verständlich zu machen? Das ist nicht der strittige Punkt. Wir reden heute über zwei andere, sehr konkrete Gesetzentwürfe, die wir kritisieren.
Es ist schon erstaunlich, daß Sie, wenn es um die Wohnungspolitik geht, nie das Positive, das in den vergangenen fünf Jahren geleistet worden ist, zur Kenntnis nehmen und der Öffentlichkeit darstellen wollen. Warum sind Sie nicht bereit, gerade bei der Eigentumsbildung in den neuen Bundesländern ein-
Hannelore Rönsch
mal darüber zu reden, was sich insbesondere junge Familien an Eigentum geschaffen haben?
Wir müssen heute, Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, auch diese Zahlen nennen; denn Sie waren es, die in Ihrer letzten Rede zum Haushalt gefordert hat, man möge die Eigenheimzulage abschaffen.
- Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, ich habe mir fotokopiert, was Sie in Ihrer letzten Haushaltsrede gesagt haben. Sie wollten das Geld der Eigenheimzulage nehmen und in andere Bereiche des sozialen Wohnungsbaus geben. Ich will Ihnen nur einmal sagen, wie gerade junge Familien in den neuen Bundesländern
- lassen Sie mich den Gedanken noch zu Ende führen, Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig - auf die Eigenheimzulage reagieren. Wir haben eine ganz besondere Zunahme bei dem Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern zu verzeichnen. Es werden 1996 in den neuen Ländern insgesamt 60 000 Ein- und Zweifamilienhäuser gebaut. Das zeigt noch einmal, daß diese Eigenheimzulage gerade den Eigentumserwerb durch junge Haushalte fördert.
Frau Rönsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Eichstädt-Bohlig?
Ja.
Frau Kollegin Rönsch, ist es Ihnen möglich, sowohl meine Reden als auch unseren Antrag zum Wohngeld so korrekt wahrzunehmen, daß Sie dann merken, was ich wirklich gefordert habe, nämlich die Eigenheimzulage für Haushalte mit einem Einkommmen von 240 000 DM auf 160 000 DM abzusenken, den Vorkostenabzug zu streichen und dadurch bei der Eigenheimzulage Geld einzusparen? Wir haben an keiner Stelle gefordert, daß die Eigenheimzulage ganz gestrichen wird. Ich möchte Sie bitten, daß Sie das auch zur Kenntnis nehmen.
Dies trifft zu, Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig. Sie haben gesagt, daß Sie Schwierigkeiten - wie es hier wörtlich im Protokoll steht - mit der Eigenheimzulage haben. Diese Schwierigkeiten haben wir nicht; denn in den neuen Ländern ist die Zahl der neu abgeschlossenen Verträge bei den Bausparkassen im ersten Halbjahr 1996 um 32 Prozent auf fast 250 000 Verträge gestiegen.
Ich denke, daß dies eine Zahl ist, die sich sehen lassen kann, und daß wir genau bei den Familien ansetzen, die bereit sind, Eigentum zu bilden.
Die Eigentumsbildung führt dazu, daß dann wieder Wohnungen frei werden, so daß wir einen breiteren Markt auch für die Mieter haben.
Wir wollen, daß junge Familien Eigentum bilden. Es ist vorhin gerade davon gesprochen worden, daß eine zu niedrige Kapitalvorbildung vorhanden ist. Das trifft zu. In den neuen Bundesländern haben wir nur eine Eigentumsquote von 26 Prozent. Das ist natürlich im Vergleich zu den alten Bundesländern mit über 40 Prozent erheblich zu niedrig. Ich würde mir wünschen, daß sich viel mehr Familien gerade mit Kindern - mit den 1 500 DM Zulage für Kinder haben wir speziell gerade für diesen Personenkreis etwas Besonderes geschaffen - dazu bereit finden, Eigentum zu bilden. Hier sind wir auf einem ausgesprochen guten Weg.
- Ich habe nicht die Absicht, heute über das Altschuldenhilfe-Gesetz zu sprechen; denn mein Kollege Otto aus den neuen Bundesländern hat das sehr umfänglich getan.
Ich verstehe, Herr Kollege Großmann, daß Sie hier nicht die Gelegenheit nutzen wollen, etwas Positives zu sagen. Aber es kann doch nicht immer Aufgabe der Regierungsparteien sein, darauf hinzuweisen, was in den neuen Bundesländern schon geschehen ist. Wenn Sie nicht immer nur verunsichern wollen, müßte es auch Ihre Aufgabe sein, einmal deutlich zu machen, was gerade auf dem Wohnungsmarkt in den neuen Bundesländern in den vergangenen fünf Jahren passiert ist.
Wenn ich ernst nehme, was Herr Kollege Thierse vorhin gesagt hat, nämlich daß wir mehr Gemeinsamkeiten brauchen, dann frage ich mich, warum alleine wir Daten und Fakten nennen müssen und warum Sie immer nur den Part übernehmen, Mieter zu ängstigen und zu verunsichern.
Ich sagte vorhin schon: Das können Sie der PDS überlassen, vielleicht auch noch ein bißchen dem Mieterbund; denn der braucht Mitglieder. Der Mieterbund - das war heute morgen im Fernsehen zu sehen - hat natürlich auch keine positiven Zahlen genannt. Man braucht Mitglieder, Frau Fuchs.
- Selbstverständlich. Ich werbe für Eigentum. Ich werbe dafür, daß diejenigen, die in der Lage sind, Ei-
Hannelore Rönsch
gentum zu bilden, dies auch tun, damit sie den sozialen Wohnungsmarkt endlich entlasten.
Wenn jemand Eigentum gebildet hat, hat er natürlich eine ganz andere innere Freiheit. Vielleicht liegt Ihnen daran, diese innere Freiheit der Menschen nicht so zu stärken, wie wir das wollen.
Frau Rönsch, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Anke Fuchs?
Aber selbstverständlich.
Frau Kollegin Rönsch, stimmen Sie mit mir darin überein, daß es keinen Sinn macht, Menschen, die in Eigentumswohnungen leben, gegen Menschen auszuspielen, die in Mietwohnungen leben? Wir brauchen beides. Wir brauchen für die Mehrheit der Menschen insbesondere bezahlbare Wohnungen, und das sind Mietwohnungen.
Sind Sie weiter bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es viele Untersuchungen gibt, die das Gegenteil von dem sagen, was Sie behaupten, nämlich, daß Eigentumsbildung nicht automatisch dazu führt, daß Wohnungen frei werden?
Sind Sie schließlich bereit zuzugeben, daß es heute Inflexibilität und mangelnde Mobilität der Mieterinnen und Mieter gibt, weil sie woanders kein ausreichendes Angebot für eine entsprechend bezahlbare Wohnung finden?
Sehr geehrte Frau Kollegin Fuchs, ich stimme mit Ihnen voll und ganz darin überein, daß wir für Mieter, die auf dem sozialen Wohnungsmarkt nachfragen, ein entsprechendes Angebot an Wohnungen haben müssen. Aber ich stimme Ihnen nicht darin zu, daß wir bei der Eigentumsförderung zurückgehen sollten. Ich denke, wir brauchen beides. Wir wollen insbesondere diejenigen, die im sozialen Wohnungsbau Fehlbeleger sind, ermutigen, aus dem sozialen Wohnungsbau auszuziehen, Wohnungen frei zu machen und damit den Mietermarkt zu erweitern.
Ich möchte noch einige Zahlen vom Mietermarkt in den neuen Bundesländern nennen; denn ich meine, daß man über die Durchschnittsmieten durchaus einmal reden sollte. Die Haushalte in den neuen Bundesländern zahlen heute durchschnittlich 7,50 DM pro Quadratmeter. Bei 60 Quadratmetern Wohnfläche zahlt der Haushalt eine durchschnittliche Bruttokaltmiete von 437 DM. Damit unterscheiden sich die Mieten in den neuen und in den alten Ländern um ein Drittel. Das müssen wir auch ganz deutlich sehen.
Berücksichtigt man nun die unterschiedlichen Einkommen, so bringt der Mieter in den neuen Bundesländern 18 Prozent seines Bruttoeinkommens für die Miete auf, der Mieter in den alten Bundesländern allerdings 24 Prozent.
Ich möchte an der Stelle nicht mißverstanden werden; denn es trägt gerade hier immer sehr leicht dazu bei, daß Mißdeutungen auftreten. Aber ich denke, daß der Mieter in den neuen Bundesländern bereit sein muß, einen entsprechenden Anteil seines Einkommens für die Miete aufzubringen. Es kann nicht sein, daß eine so große Diskrepanz zwischen den neuen und alten Bundesländern herrscht, wenn es um die Mietenbelastung geht. Ich habe das Ganze extra am durchschnittlichen Bruttoeinkommen festgemacht, so daß es keine Mißinterpretationen geben kann.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, man muß noch einmal darauf hinweisen dürfen, daß das durchschnittliche Bruttoeinkommen in den vergangenen Jahren in den neuen Bundesländern ganz erheblich gestiegen ist. Es stieg in den Jahren 1991 bis 1995 im Durchschnitt um etwa 80 Prozent. Auch dies gilt es zu berücksichtigen, wenn es um Mietzahlungen geht.
Wir sind auf einem Weg zu einer einheitlichen Wohnungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, nicht zuletzt durch das Mietenüberleitungsgesetz, das wir im vergangenen Jahr beschlossen haben. Mit dem Wohngeldüberleitungsgesetz sind wir ebenfalls auf einem guten Weg.
Der Bundesfinanzminister wird, wenn es um Wohngeld geht, Herr Kollege Großmann, demnächst mit den Länderfinanzministern zusammensitzen. Warten wir doch einmal ab, welche Ergebnisse diese Gespräche ergeben und welche Forderungen die Länderfinanzminister, wenn es um eine Wohngeldnovelle geht, an den Bundesfinanzminister stellen.
Sie wissen, die Länder müssen die Hälfte dessen zahlen, was die Wohngeldnovelle vorsieht. Sie können Ihre Vorschläge, die Sie vorgetragen haben, ja auch einmal den Länderfinanzministern der SPD mitteilen. Sie sollten es nur nicht so machen, wie Sie es beim Wohngeldüberleitungsgesetz gemacht haben, nämlich hier vollkommen anders votieren als Ihre sozialdemokratischen Minister im Bundesrat.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/5587, 13/5512 und 13/5578 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. sowie der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe zur Änderung
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
des Altschuldenhilfe-Gesetzes auf den Drucksachen 13/4949 und 13/5417.
Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau empfiehlt auf Drucksache 13/5605 unter Nr. 1, die Gesetzentwürfe zusammengefaßt in der Ausschußfassung anzunehmen. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/5610 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der SPD? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/ Die Grünen und der PDS abgelehnt.
Wer stimmt für den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. bei Enthaltung der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. bei Enthaltung von SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und PDS angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zum Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Altschuldenhilfe-Gesetzes, Drucksache 13/5605 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/4081 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. bei Ablehnung durch die SPD und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen zur Förderung der Wohnungsprivatisierung, Drucksache 13/ 5605 Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4077 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der PDS angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Beendigung der Zwangsprivatisierung von kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungen in den ostdeutschen Bundesländern, Drucksache 13/5605 Nr. 4. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4837 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. und großen Teilen der SPD bei Gegenstimmen der PDS und bei Enthaltung von Bündnis 90/Die
Grünen und einigen Enthaltungen der SPD angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf:
a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, der Strafprozeßordnung und anderer Gesetze
- Korruptionsbekämpfungsgesetz -
- Drucksache 13/3353 —
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß
Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Norbert Geis, Erwin Marschewski, Dr. Rupert Scholz, Wolfgang Zeitlmann und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Detlef Kleinert , Jörg van Essen, Dr. Max Stadler und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption
- Drucksache 13/5584 —
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank Hofmann , Alfred Hartenbach, Otto Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Maßnahmen zur Bekämpfung der nationalen und internationalen Korruption
- Drucksache 13/4118 —
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß
Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner spricht unser Kollege Norbert Geis.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Korruption beschränkt sich nicht nur auf spektakuläre Einzelfälle; sie ist längst in die öffentliche Verwaltung, in
Norbert Geis
die freie Wirtschaft und in unsere Gesellschaft eingedrungen.
Es gibt keine gesicherten Daten darüber, wie weit sie sich ausgebreitet hat. Es gibt eigentlich nur Täter, es gibt keine Opfer, die solche Machenschaften ans Licht bringen könnten. Aber eben diese spektakulären Einzelfälle deuten doch darauf hin, daß wir mehr und mehr mit diesem Phänomen zu tun haben.
Herr Kollege Geis, einen Augenblick! Ich möchte erst einmal für Ruhe sorgen, damit man Sie besser verstehen kann. - Jetzt geht es.
Es ist auch schwer, den Schaden zu schätzen, den die Korruption verursacht. Das hängt damit zusammen, daß viele Bereiche im Dunkeln bleiben; das Dunkelfeld ist groß. Dennoch wird in einem Gutachten, das dem Karlsruher Juristentag vorgelegt worden ist, der Schaden, der allein im Bauwesen bei der Vergabe öffentlicher Bauaufträge entsteht, jährlich auf über 10 Milliarden DM geschätzt. Daraus kann man ungefähr errechnen, wie groß der Gesamtschaden ist, den die Korruption in Staat und Gesellschaft anrichtet.
Aber es geht nicht nur um den materiellen, sondern auch um den immateriellen Schaden. Wenn sich das staatliche Handeln, das Handeln von Behörden, nicht mehr nach Gesetz und Recht oder nach den Grundsätzen des Gemeinwohls richtet, sondern danach, welchen Vorteil der einzelne Amtsträger hat, wenn in der freien Wirtschaft nicht mehr das günstigere Angebot, die bessere Leistung, sondern die Höhe des Schmiergeldes entscheidend ist, dann ist auf der einen Seite das Vertrauen des Bürgers in die Lauterkeit der Verwaltung geschädigt und die Akzeptanz von staatlichen Entscheidungen in Gefahr.
Würde dies fortgesetzt, könnte es zu einer erheblichen Gefährdung unseres gesamten politischen Systems führen. Wenn auf der anderen Seite nicht mehr der freie Wettbewerb - die freie Konkurrenz ist ja das Zeichen der freien Marktwirtschaft -, sondern die Höhe des Schmiergeldes entscheidend ist, dann ist auch die Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft in Gefahr. Deswegen ist die Korruption sehr ernst zu nehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, um es gleich vorwegzunehmen: Wir leben nicht in einem korrupten Staat und auch nicht in einer korrupten Gesellschaft. Der allergrößte Teil unserer Beamten und Amtsträger verhält sich korrekt.
Auch der allergrößte Teil der Angestellten in der
freien Wirtschaft verhält sich korrekt. Wir leben nicht
in einer Bananenrepublik, und ich möchte diesem Wort, das ein böses Wort ist, ganz entschieden entgegentreten. Dennoch besteht kein Zweifel: Wir müssen uns um diese Bedrohung kümmern und Maßnahmen entwickeln, wie wir dieser Bedrohung begegnen können.
Da geht es einmal um Prävention. Es geht darum, das Bewußtsein zu schärfen. Korruptes Verhalten muß in allen Bereichen geächtet werden. Es geht aber auch darum, das Beamtenrecht zu reformieren. Es geht darum, daß Nebentätigkeiten stärker kontrolliert werden können, daß die Annahme von Geschenken stärker transparent gemacht werden kann. Es geht auch um die Änderung des Disziplinarrechtes. Vor allem aber - damit will ich mich hier beschäftigen - geht es um den Beitrag des Strafrechtes zur Bekämpfung der Korruption.
Das Strafrecht hat einen bedeutenden Beitrag zu leisten. Robert Spaemann hat einmal in einem anderen Zusammenhang gesagt, daß das Strafrecht in einer säkularisierten Gesellschaft eine entscheidende bewußtseinsbildende Kraft habe. Das stimmt vor allen Dingen auch im vorliegenden Fall. Wenn es darum geht, Korruption zu ächten, dann muß der Staat mit dem stärksten Mittel, das er hat, mit dem Mittel des Strafrechtes, das Unwerturteil verstärken.
Wir beschäftigen uns in dem Gesetzgebungsvorschlag der Regierung, den die Koalition übernommen hat und der in den Koalitionsparteien erarbeitet worden ist, zunächst einmal mit dem Begriff der Amtsträgerschaft. Für den Tatbestand der Bestechung und der Vorteilsannahme in der öffentlichen Verwaltung ist ja Amtsträgerschaft notwendig; es muß ein Amtsträger im Spiel sein. Dazu hat der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 29. Januar 1992 erklärt, daß dann, wenn die Verwaltung öffentliche Aufgaben in einer privaten Organisationsform, beispielsweise mit einer GmbH, erledigt, der Geschäftsführer der GmbH wie ein Privater anzusehen sei und nicht als Amtsträger fungiere, obgleich er eine öffentliche Aufgabe wahrnimmt. Deswegen kann nach der jetzigen Rechtslage ein solcher „Amtsträger", also ein Geschäftsführer einer GmbH, nicht strafrechtlich verfolgt werden. Das ist unbefriedigend. Deswegen sehen wir in unserem Gesetzesvorschlag vor, daß beispielsweise auch dann, wenn die öffentliche Verwaltung mit Hilfe einer privaten Organisation öffentliche Aufgaben erledigt, der Geschäftsführer einer GmbH Amtsträger im Sinne der §§ 331 ff. des Strafgesetzbuches ist und strafrechtlich verfolgt werden kann, wenn er korruptes Verhalten an den Tag legt.
Ein nächster Punkt, dem wir uns gewidmet haben, ist die Hereinnahme eines eigenen Abschnittes über Straftaten gegen den Wettbewerb in das Kernstrafrecht. Hierin unterscheiden wir uns von dem Vorschlag des Bundesrates. Wir sehen dabei als erste Strafnorm den sogenannten Ausschreibungsbetrug vor. Darin stimmen wir wiederum mit dem Vorschlag des Bundesrates überein, der diese Norm ebenfalls hat. Der Ausschreibungsbetrug befaßt sich mit Anbietern, die gewissermaßen ein Kartell bilden, sich also untereinander absprechen, wenn sie der öffentli-
Norbert Geis
chen Hand ein Angebot machen. Diese Absprache ist strafrechtlich nicht zu verfolgen, wenn nicht ein Schaden entstanden ist. Wenn ein Schaden entsteht, fällt so etwas unter die normale Betrugsnorm des § 263 des Strafgesetzbuches. Wenn aber kein Schaden entsteht - das ist oft der Fall, weil beispielsweise miteinander abgesprochen wird: ich biete nach marktüblichen Preisen an, und du hältst dich mit deinem Angebot zurück -, dann kann ein solches Verhalten strafrechtlich nicht verfolgt werden, obgleich der Wettbewerb in einem starken Maße beeinträchtigt wird. Es gibt in der Wissenschaft und in der Rechtsprechung schon lange die Forderung, daß ein solches Verhalten ebenfalls als kriminell zu beurteilen ist. Deswegen haben wir nun diese neue Vorschrift eingeführt.
Wir nehmen auch die sogenannte Angestelltenbestechung - das ist die Bestechung von Angestellten in der freien Wirtschaft -, die im Augenblick nach § 12 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb auf Antrag strafbar ist, nun aus diesem Gesetz heraus und bringen sie ins Kernstrafrecht des Strafgesetzbuches ein, um auf diese Weise dieses Verhalten stärker als kriminell zu markieren. Ich glaube im Gegensatz zum Bundesrat, der einer solchen Maßnahme skeptisch gegenübersteht, daß dieses richtig ist. Er sagt, man könne Zusammengehörendes nicht auseinanderreißen. Für die Bewußtseinsbildung ist es aber besser. Deswegen haben wir uns dazu entschlossen, diese Straftat in das Kernstrafrecht hineinzunehmen.
Wir bleiben aber dabei, daß eine solche Strafmaßnahme grundsätzlich nur dann verfolgt werden kann, wenn ein Antrag gestellt wird. Dieses Antragsrecht schränken wir allerdings wiederum dadurch ein, daß wir sagen: Wenn öffentliches Interesse vorliegt, dann kann auch ohne Antrag verfolgt werden. Wir meinen, daß dies eine wichtige Neuerung im Interesse einer besseren Bekämpfung der Korruption ist.
Beide Gesetzentwürfe sehen mehr oder weniger eine Erhöhung des Strafrahmens vor.
Wir haben uns sehr mit der Frage geplagt: Was ist, wenn einem Amtsträger beispielsweise nicht selbst der Vorteil zugute kommt, sondern er einen Dritten begünstigt? Im Moment kann dies strafrechtlich nicht verfolgt werden, obwohl eigentlich auch in diesem Fall ein kriminelles Verhalten vorliegt. Deswegen meinen wir, daß auch eine kriminelle Handlung vorliegt, wenn nicht der Amtsträger selbst, sondern ein Dritter, mit dem er gar nichts zu tun hat, diesen Vorteil erhält, weil Sinn und Zweck der Strafnorm nicht der Vorteil ist, der verhindert werden soll, sondern die Einhaltung der Lauterkeit der öffentlichen Verwaltung und der Korrektheit im wirtschaftlichen Leben.
Der Wettbewerb soll also sichergestellt werden; Straftaten gegen unsere Wirtschaftsordnung insgesamt sollen in den Blick kommen und auf diese Weise verfolgt werden können.
Wir unterscheiden uns von dem Entwurf des Bundesrates, den wir gleichzeitig hier beraten, in vier wichtigen Punkten.
Einmal ist es die sogenannte Unrechtsvereinbarung. Im Augenblick ist die Gesetzeslage so, daß dann keine strafbare Handlung vorliegt, wenn kein enger Zusammenhang zwischen Vorteilshingabe und Vorteilsannahme besteht. Es gibt also einen, der dem Beamten einen Scheck in die Hand drückt, und der Beamte trifft eine bestimmte Maßnahme. Ein solches Geben und Nehmen - klar umgrenzbar und beweisbar - ist im Augenblick Voraussetzung für die Strafbarkeit.
Das ist aber eben nicht immer so leicht nachweisbar. Trotzdem gibt es Verhaltensweisen, bei denen wir sagen müssen: Hier wird in einer ganz erheblichen Weise korrupt gehandelt, beispielsweise dann, wenn ein Bauunternehmer einen dicken Scheck auf den Tisch legt und sich zwar im Augenblick keinen Vorteil davon verspricht, aber doch zu einem späteren Zeitpunkt.
Vor allen Dingen für die organisierte Kriminalität ist dies der geeignete Nährboden. Wenn sie gewissermaßen - wie man das im Fachjargon nennt - anfüttert oder wenn sie mit Hingabe von Geschenken, von Geldern versucht, Abhängigkeiten zu schaffen, eine gewisse Nähe zu den Entscheidungsträgern zu finden, dann hat sie leichtes Spiel.
Deswegen ist die Überlegung des Bundesrates schon angezeigt, daß ein solches Verhalten eigentlich strafbar sein müßte. Wir haben uns im Augenblick deshalb noch nicht dazu entschließen können, weil dann der Unterschied zwischen Gefälligkeit und tatsächlich kriminellem Verhalten schwer abgrenzbar ist und weil auch die genaue Definition, was nun strafbar ist - die ja verfassungsrechtlich notwendig ist -, schwierig ist. Wir warten aber insoweit die Anhörung ab und sind durchaus offen für die Vorstellungen, die uns der Bundesrat vorgelegt hat.
Ein weiterer Punkt, in dem wir uns unterscheiden, ist die sogenannte Kronzeugenregelung, die der Bundesrat für die Erforschung von korruptem Verhalten vorsieht. Es ist ja nicht ganz einfach, solches Verhalten ans Tageslicht zu bringen, wie wir wissen. Wir haben uns nicht dazu entschlossen, diese Kronzeugenregelung aufzunehmen, weil wir meinen, daß sie für ganz schwere Straftaten vorbehalten sein soll. Dennoch sind wir für Argumente offen, und wir sollten den Blick auch ein wenig darauf richten, was andere Länder machen. Italien sieht im übrigen die Kronzeugenregelung für einen solchen Fall nicht vor; aber andere Länder, beispielsweise die USA oder Frankreich, tun das. Deswegen sollten wir auf andere Länder schauen. Wir sollten die Anhörung abwarten und uns dann entscheiden.
Ein weiterer Punkt, in dem wir uns unterscheiden, ist die Aufnahme der Vermögensstrafe und des erweiterten Verfalls durch den Bundesrat - so aber nicht bei uns. Wir meinen, daß wir durch Maßnahmen der Prävention auch erreichen können, daß Gewinn erst gar nicht entsteht oder, wenn er entsteht, mit den üblichen Mitteln abgeschöpft werden kann.
Norbert Geis
Aber auch hier sind wir für Überlegungen offen, die vom Bundesrat kommen, die in der Anhörung vorgebracht werden und auch auf dem Juristentag geäußert worden sind.
Der letzte Punkt, in dem wir uns von dem Vorschlag des Bundesrates unterscheiden, ist die Aufnahme der Korruption in den Katalog des § 100a der Strafprozeßordnung, dort also, wo es um Telefonüberwachung geht. Dies ist ja mit einem erheblichen Eingriff in die Privatsphäre verbunden. Wir haben dies diskutiert, haben uns aber nicht dazu entschlossen, es in unseren Gesetzentwurf aufzunehmen. Aber auch hier, meine ich, sollten wir in aller Ruhe die Anhörung abwarten. Wir sollten die Argumente des Bundesrates bedenken. Wir sollten auch schauen, wie es in anderen Ländern gemacht wird. Dann sollten wir uns zusammen mit den anderen Fraktionen entscheiden.
Aber der wichtigste Punkt ist doch - das möchte ich am Schluß nicht unerwähnt lassen -, daß es zu internationalen Regelungen kommen muß. Wir haben eine sehr starke Verflechtung unserer Wirtschaft mit der internationalen Wirtschaft. Auch unsere Verwaltungen begrenzen sich in ihrer Tätigkeit längst nicht nur auf unseren Bereich, sondern reichen weit: auch über die Grenzen hinweg. Deshalb meine ich, daß internationale Regelungen gefunden werden müssen, um die Korruption auch international bekämpfen zu können.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Frank Hofmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute diskutieren wir zum erstenmal in dieser Legislaturperiode nicht nur über Forderungen der Opposition zur Korruptionsbekämpfung. Zum erstenmal haben wir jetzt auch die Vorstellungen von Bundesregierung und Koalitionsfraktionen auf dem Papier.
Die Begründung von Herrn Geis war für mich hochinteressant. Ich habe sie auch hier stehen, nur mit dem Ergebnis: Sie kommen zu spät. Wenn Korruption in Deutschland teilweise bereits systematisch betrieben wird, dann kommen Sie mit Ihren Vorschlägen zu spät.
Und: Sie sind offen; Sie haben kein Profil.
Sie sind offen; Sie haben kein Profil zur Korruptionsbekämpfung.
Überall sagen Sie: Wir schwimmen hier ein bißchen mit, wir schwimmen dort ein bißchen mit.
Wenn ich mir anschaue, wie Sie es, dadurch, daß Sie zu spät kommen, mit dem öffentlichen Dienst halten, muß ich feststellen, daß das Ansehen des öffentlichen Dienstes enorm gelitten hat. Wir müssen konstatieren: Der Bevölkerung reichen einige wenige Negativbeispiele zu einem Gesamturteil aus. Auch Sie wissen das. Mittlerweile ist das Vertrauen der Bürger in die Unbestechlichkeit der Staatsverwaltung leider enorm gesunken. Dafür tragen Sie, dafür trägt die Bundesregierung eine Mitverantwortung.
Die Bundesregierung hat nicht gegengesteuert.
Der öffentliche Dienst hat es nicht verdient, daß er so nachlässig behandelt wird. Ganz überwiegend ist er unbestechlich.
Für uns ist er ein wichtiger Partner bei der Korruptionsbekämpfung. Nur mit dem öffentlichen Dienst zusammen können wir ein Bollwerk gegen die Korruption schaffen.
Zudem kommen die Gesetzentwürfe zu spät, um die Moralvorstellungen in unserer Gesellschaft zu stabilisieren. Wenn Sie sich das Korruptionslagebild des Bundeskriminalamtes anschauen, dann stellen Sie fest, daß 70 Prozent der Geldgeber kein Unrechtsbewußtsein hatten. Mehr als zwei Drittel dieser Geldgeber waren Führungskräfte in Firmen. Damit steht fest: Korruption gilt in Teilen der Wirtschaft nicht mehr als Unrecht. Zu dieser geistig-moralischen Wende haben Sie beigetragen, zum Beispiel durch die steuerliche Abzugsfähigkeit von Schmiergeldern, auf die ich später noch zu sprechen kommen werde.
Der öffentliche Dienst ist nur die eine Seite der Korruptionsmedaille. Die andere Seite, die Unternehmen, sind bisher noch viel zuwenig in die Verantwortung genommen worden. Wenn die Privatunternehmen nicht konsequent ihrer öffentlichen Verantwortung gerecht werden, ist die Korruption nicht zu überwinden. Insbesondere der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie - nicht der der bayerischen Bauindustrie - und der Bundesverband der Deutschen Industrie haben positiv reagiert. Genau diese Empfehlung des BDI unterstützen wir als SPD-Bundestagsfraktion nachdrücklich.
Wir schlagen vor, bei der Auftragsvergabe nur noch solche Unternehmen zu berücksichtigen, die diese BDI-Empfehlung umgesetzt haben und die mit ihren Partnern selber Antikorruptionsklauseln und entsprechende Vertragsstrafen vereinbaren. Unser Grundsatz lautet: Der Staat handelt nur mit dem ehr-
Frank Hofmann
baren Kaufmann. Sie sollten sich diesem Grundsatz anschließen.
Es dürfte wohl jedem klar sein: Wir wären in der Korruptionsbekämpfung schon heute - national wie international - wesentlich weiter, wenn unsere Initiativen rechtzeitig aufgegriffen worden wären. Erst jetzt kommen Sie und sagen: Wir brauchen noch Anhörungen. Schauen Sie sich doch einmal die Bundesländer an. Vergleichen Sie doch einmal die Aktivitäten der Bundesländer mit denen des Bundes. Während die Länder in ICE-Tempo handeln, bewegt sich der Bund im Schneckentempo.
Auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung vor drei Wochen wurde das besonders deutlich.
In den Bundesländern gibt es bereits Vorschriften über die Annahme von Belohnungen und Geschenken. Es werden bereits Fortbildungsseminare durchgeführt; es sind bereits Richtlinien zur Korruptionsprävention erarbeitet; es sind bereits zentrale Antikorrtiptionsstellen aufgebaut; ich könnte noch mehr Beispiele nennen. Aber wo bleiben die Aktivitäten der Bundesregierung in ihren eigenen Bereichen, in den eigenen Ministerien und nachgeordneten Behörden? Es zeigt sich ganz deutlich: Die Chronik der Korruptionsbekämpfung durch die Bundesregierung ist eine Chronik von Versäumnissen.
Die Gesetzentwürfe kommen aber nicht nur zu spät, sondern sind auch unvollständig. Schauen Sie sich doch einmal den Bereich Korruption im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität an. Herr Geis, auch Sie haben durchaus einen Zusammenhang zwischen OK und Korruption gesehen. Kampf gegen die systematische Korruption ist auch Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Aber ob das im Bereich des Bundesinnenministeriums und von Ihnen schon so wahrgenommen worden ist, daran habe ich meine Zweifel.
Während sonst der große Lauschangriff immer obenan steht und damit die F.D.P. in große Verlegenheit gebracht wird,
halten Sie in diesem Bereich nicht einmal die Telefonüberwachung für notwendig. Jeder weiß, daß die organisierte Kriminalität ein internationales, teilweise weltweit gesponnenes Netz ist. Aber die Bundesregierung begrenzt die Korruptionsbekämpfung auf die Grenzen Deutschlands.
Wenn Sie sich den Skandal am Frankfurter Flughafen anschauen, dann stellen Sie fest, daß dort die Professionalisierung der Korruptionsmethoden auf der „nach oben offenen Korruptionsskala" besonders sichtbar geworden ist. Hier gingen Korruption und Geldwäsche Hand in Hand. Sie sollten dabei vielleicht noch einmal Ihr Geldwäschegesetz überprüfen.
- Sie sollten das vielleicht noch einmal überprüfen. Wenn, wie in Frankfurt geschehen, eigene Firmen zur Geldwäsche gegründet und unterhalten werden, dann gehen Ihre Vorschläge ins Leere. Schauen Sie bitte noch einmal in Ihren Entwurf.
Natürlich fehlt bei Ihnen die Möglichkeit der Abschöpfung der Gewinne. Der Gutachter des Deutschen Juristentages führt dazu aus: „Sie" - die Möglichkeit der Abschöpfung der Gewinne - „ist auch ein Gebot der Gerechtigkeit." Recht hat Professor Dölling; deshalb steht das auch im Gesetzentwurf des Bundesrates und im Antrag der SPD-Bundestagsfraktion. Sie dagegen schonen die Täter und die illegalen Gewinne.
- Sie sollten sich vielleicht besser konzentrieren und genauer zuhören.
Was brauchen wir noch? Notwendig wären Lagebilder, die die sichtbaren Erscheinungsformen und den tatsächlichen Stand der Korruptionsbekämpfung wiedergeben würden. Für einen Innenminister, der das Problem der Korruption möglichst auf kleiner Flamme kochen will, mag es genügen, wenn die Bestechungsdelikte in der „Polizeilichen Kriminalstatistik" nun getrennt ausgewiesen werden. Der Fachmann jedoch weiß, daß die Zahlen aus der „Polizeilichen Kriminalstatistik" in erster Linie ein polizeilicher Tätigkeitsnachweis sind und deshalb gerade die registrierten Zahlen in keiner Weise die bekanntgewordene Korruption in Deutschland widerspiegeln.
Wenn zum Beispiel in Frankfurt die Korruptionsstaatsanwaltschaften alle Korruptionsfälle abschließend bearbeiten, dann gibt es in der „Polizeilichen Kriminalstatistik" Frankfurts keine Korruptionsfälle. Das ist doch beruhigend, oder? Was ich damit sagen will: Der Innenminister liefert im Rahmen der „Polizeilichen Kriminalstatistik" nur ein unsystematisches und zufälliges Zahlenmaterial, aber kein zuverlässiges Lagebild der entdeckten Korruption in Deutschland.
Nun möchte ich zu einem anderen Bereich kommen, zu dem Bereich des Finanzministers, den Sie völlig ausgespart haben. Bei den Beratungen zum Jahressteuergesetz 1996 hat die SPD es über den Vermittlungsausschuß erreicht, daß die steuerliche Absetzbarkeit von Bestechungs- und Schmiergeldern im Inland abgeschafft wird, wenn sich der Empfänger strafbar gemacht hat. Mit diesem Ergebnis ist der SPD ein ganz wichtiger Einstieg gelungen.
Noch entscheidender für diesen Kompromiß im Vermittlungsausschuß war, daß die SPD eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses in Fällen der Korruption erreicht hat. Es ist noch viel zuwenig be-
Frank Hofmann
kannt, daß nunmehr die Finanzbehörden die Pflicht haben, bei Verdacht der Korruption die Strafverfolgungsbehörden zu informieren. Das ist ein wesentliches Instrument, um das Dunkelfeld der Korruption aufzuhellen.
Wir brauchen eine verstärkte Zusammenarbeit aller Behörden. Wenn Sie in unserem Antrag nachschauen, dann sehen Sie: Wir fordern im Bereich der Korruption eine Anzeigepflicht für alle Behörden. Im Gegensatz zum Deutschen Juristentag haben es die Regierung und die Koalitionsfraktionen noch nicht begriffen: Für den, der die Korruption wirklich aufdecken will, ist die Anzeigepflicht der Behörden ein unverzichtbares Instrument.
Wir wollen deshalb in der Finanzpolitik nicht nur diesen ersten Schritt tun; weitere müssen folgen. Folgt man dem Regierungsentwurf, dann ist es weiterhin nicht strafbar, ausländische Amtsträger zu schmieren. Lediglich im Bereich der Europäischen Union sind hier Änderungen absehbar. Natürlich können die Gelder dafür weiterhin von der Steuer abgesetzt werden. Mit diesem Unsinn muß ein Ende sein.
Wie will denn die Bundesregierung eine Änderung der Moral in den Vorstandsetagen erreichen - wie auch Herr Geis gefordert hat -, wenn sie die steuerliche Korruptionsbekämpfung lediglich auf inländische Schmier- und Bestechungsgelder beschränkt?
- Herr Marschewski, Sie haben nachher noch die Gelegenheit zu reden; tun Sie das bitte nachher. - Deshalb muß dieser Teil aus dem Jahressteuergesetz verbessert werden. Es darf nicht das elfte Gebot gelten: Laß dich nicht erwischen.
Was ist das für ein Gesamtkonzept, wenn deutsche Unternehmen Ehrenregeln gegen Korruption einführen sollen, der Staat aber weiterhin anbietet, die internationalen Schmiergeldzahlungen zu Lasten des deutschen Steuerhaushaltes abzusetzen?
Herr Justizminister Schmidt-Jortzig, Sie haben im März zusammen mit Ihrem Kollegen Herrn Kanther der Öffentlichkeit einen Maßnahmenkatalog vorgestellt und dabei unter anderem die Wirtschaftsverbände aufgefordert, für ihre Branchen verbindliche Ehrenregeln gegen Korruption einzuführen.
Ich frage Sie: Welche Ehrenregeln sollen sich die Unternehmen geben, wenn Sie selbst keine haben?
Die Bundesregierung muß sich zudem vorhalten lassen, daß viele westliche Industrienationen die internationale Korruptionsbekämpfung wesentlich ernster nehmen. Deutschland ist nicht Vorreiter oder Mitläufer, sondern Bremser und Schlußlicht.
- Herr Geis, Sie können abwinken. Ich kann es Ihnen aber beweisen.
Diese Wahrheit will man gerne unter den Tisch fallen lassen, indem man alles für vertraulich erklärt und die OECD-Gesamtumfrage nicht öffentlich zugänglich macht. Verantwortlich dafür sind Frankreich und Deutschland. Über 20 OECD-Staaten wären mit einer Veröffentlichung einverstanden gewesen.
Wenn hier bei uns die Umfrageergebnisse als geheim eingestuft werden und darüber nicht öffentlich diskutiert werden kann, dann macht man die OECD ganz bewußt zum Papiertiger. Teilergebnisse dieser „vertraulichen" Umfrage sind trotzdem nachzulesen, und durch das Verhalten der Bundesregierung, diese Ergebnisse zu unterdrücken, wird es noch wichtiger, sie in der Öffentlichkeit darzustellen.
Nach diesen Umfrageergebnissen ist die steuerliche Abzugsfähigkeit generell in folgenden Ländern nicht zulässig: in den USA, Kanada, Japan, Finnland, Norwegen, Schweden, Dänemark, Italien, Portugal und Großbritannien. In der zweiten Gruppe - hier ist eine steuerliche Abzugsmöglichkeit nur möglich, wenn der Empfänger bekannt ist - befinden sich Österreich, Australien, Frankreich, Irland, Schweiz und die Niederlande. Wo bleibt Deutschland? In der letzten Gruppe zusammen mit Belgien, Griechenland und Luxemburg, in der der Empfänger nicht angegeben werden muß.
Mit Ihrer Geheimniskrämerei versucht die Bundesregierung ihr gebetsmühlenartig vorgetragenes Argument, daß in den westlichen Industrienationen betrieblich veranlaßte Schmiergeldzahlen grundsätzlich als Betriebsausgaben anerkannt werden, zu retten. Die Umfrage, die Sie verschweigen wollen, zeigt jedoch: Nicht die SPD-Bundestagsfraktion fordert etwas Exotisches, sondern Sie sind die Exoten unter den G-7-Staaten.
Auf internationalem Parkett versucht sich Bundeskanzler Kohl geschmeidig zu verhalten. Auf dem Wirtschaftsgipfel von Lyon zum Beispiel - einem großen Medienspektakel - erklärten die Staats- und Regierungschefs Ende Juni 1996 zur Korruption:
Ferner sind wir entschlossen, die Korruption in internationalen Wirtschaftstransaktionen zu bekämpfen, die der Transparenz und Fairneß schadet und hohe wirtschaftliche und politische Kosten verursacht.
Das hat der deutsche Regierungschef mit unterzeichnet. Der Bundeskanzler muß wohl sein Papier auf dem Rückflug liegengelassen haben. Von dieser in Lyon geäußerten Entschlossenheit, die internationale
Frank Hofmann
Korruption zu bekämpfen, schlägt sich im Gesetzentwurf der Regierungskoalition nichts nieder.
Im Rahmen einer internationalen Antikorruptionspolitik läßt sich die Bundesregierung lediglich auf kleine Schritte gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten der EU ein. Hier geht es vor allem um die Verpflichtung zur Schaffung von Strafvorschriften für die aktive und passive Bestechung von Amtsträgern der EU. Über diesen Bereich hinaus sucht man jedoch vergeblich nach Signalen, die von Deutschland ausgehen. Und das, obwohl die Bundesregierung durch die OECD-Umfrage weiß, daß nicht nur in den USA die Bestechung ausländischer Beamter bereits jetzt unter Strafe steht, sondern auch in Kanada, Neuseeland, Norwegen, Schweden, Schweiz, Türkei und in dem Vereinigten Königreich. Dort reichen bereits jetzt die allgemeinen Bestechungsvorschriften aus.
Die Forderung der SPD-Bundestagsfraktion, auch die Korruption durch Deutsche gegenüber ausländischen Amtsträgern unter Strafe zu stellen, erhält durch die Umfrageergebnisse noch mehr Gewicht.
Meine Damen und Herren, wir sind auf dem richtigen Weg, während die Regierung noch versucht, zu retten, was bereits verloren ist. Es ist an der Zeit, sich nachdrücklich an allen internationalen Bestrebungen zur weltweiten Eindämmung der Korruption zu beteiligen, wie dies auch der Gutachter des Deutschen Juristentages fordert.
Nicht immer gilt: Was lange währt, wird endlich gut. Der verspätete Start in das Gesetzgebungsverfahren ist der Koalition jedenfalls nicht geglückt.
Danke.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Manfred Such.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Geis, es waren sehr milde Töne, die ich von Ihnen gehört habe. Eigentlich hatte man von Ihnen etwas ganz anderes erwartet, nämlich Forderungen in Richtung großer Lauschangriff und Telefonüberwachung. Es ist schon erstaunlich, daß Sie das in diesem Bereich nicht fordern. In der Tat, der Kollege Hofmann hat recht, daß Sie mit Ihren Vorschlägen sehr spät kommen.
Denn wir haben bereits im letzten Jahr dazu einen entsprechenden Antrag gestellt, den Sie weitgehend übernommen, aber damals in den Ausschüssen kurzerhand abgelehnt haben.
Kollege Hofmann - als ehemaliger Polizeibeamter in doppelter Hinsicht Kollege -, ich warne davor, zu glauben, daß man mit den Mitteln des Strafrechts und des Strafprozeßrechtes, wie es teilweise in Ihren Vorlagen zum Ausdruck kommt, Korruption besser bekämpfen kann. Da müssen sich die Sozialdemokraten immer wieder die Frage gefallen lassen, ob sie denn glauben, wo sie doch angeblich nicht mit Geld bzw. mit öffentlicher Sicherheit umgehen können, sie könnten die CDU rechts überholen. Das sollten Sie bei Ihrer Vorlage doch einmal überdenken.
In der Rede von Herrn Geis ist auch deutlich geworden: Es herrscht eine verbreitete Unsicherheit über den Begriff der Korruption und über die Legalität bzw. moralische Legitimität gewisser Austauschbeziehungen.
Viele Amtsträger, Wirtschaftsbeteiligte sowie Bürgerinnen und Bürger müssen prüfen und aktuell bestimmen, wo die Grenzen des zulässigen Verhaltens untereinander verlaufen.
Außerdem besteht offenbar immer noch die Neigung, das Ausmaß von Korruption zu unterschätzen. Selbst in diesem Hause - Herr Geis hat das angesprochen - scheint es schwer vorstellbar zu sein, daß es korruptive Beziehungen zum Beispiel auch innerhalb des BMI geben könnte, also in der Behörde, der sozusagen ein Wächteramt für den öffentlichen Dienst und eine Federführung bei der Bekämpfung der Korruption zukommt.
In der vergangenen Woche zum Beispiel habe ich namens meiner Fraktion eine kleine Anfrage zum Verdacht von Unregelmäßigkeiten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesgrenzschutzes und dessen Personalreferats im Bundesinnenministerium eingereicht. In der Sache geht es - jetzt mal flapsig formuliert - etwa um den Verdacht folgender Austauschbeziehungen: Läßt du dich auf ein intimes Verhältnis ein, bearbeite ich die Disziplinarverfahren gegen dich wohlwollend. Übernimmst du den heimlichen Transfer hoher Geldspenden, sorge ich für deine gute dienstliche Beurteilung. Leihst du mir dienstliche Ausstattungen für einen Betriebsausflug oder für private Zwecke, setze ich mich für deine Beförderung ein.
Ich habe diese, wohlgemerkt, mutmaßlichen Vorgänge in der Überschrift meiner kleinen Anfrage als „Korruptionsverdacht im BMI" bezeichnet. Die Bundestagsverwaltung wendete dagegen mit Verweis auf gängige Medienberichte zunächst ein, unter Korruption sei doch nur Vorteilsannahme bzw. -vergabe bei Beteiligung von Privatpersonen zu verstehen, nicht jedoch bei Amtsträgern untereinander.
Manfred Such
Dieses Mißverständnis ließ sich dann leicht aufklären. Ein Blick ins Gesetz bzw. in den Kommentar des Strafgesetzbuches ergab, daß es sich auch hierbei um Korruptionsfälle handeln könnte.
Dieser Vorgang, meine Damen und Herren, belegt die eingangs festgestellte Verunsicherung, was denn nun eigentlich Korruption in unserer Gesellschaft ist.
Bedrohen nun diese Unsicherheit und die bekanntgewordenen korruptiven Praktiken die moralischen Grundlagen unserer Gesellschaft? Sind letztere Voraussetzungen oder nur Ausdruck des vielzitierten Wertewandels? Ich meine, diese Betrachtungen haben jeweils ihre Berechtigung und ergänzen einander.
Zur anhaltenden Auflösung traditioneller Pflicht- und Akzeptanzwerte tragen korruptive Handlungen sicherlich bei, wenn auch nicht entscheidend. Es beruht auf mancherlei weiteren Gründen, daß heute viele Menschen - obgleich nicht alle - statt diesen Werten zunehmend der persönlichen und wirtschaftlichen Selbstverwirklichung Bedeutung beimessen.
Andererseits ist einzuräumen, daß gewisse korruptive Praktiken gerade im Wirtschaftsleben nicht der Grund, sondern nur eine Folge dieses sogenannten moralischen Verfalls zu sein scheinen. Den hierzulande grundsätzlich anerkannten Verhaltensprinzipien ökonomische Vernunft und Effektivität entsprechen solche Verhaltensweisen vordergründig durchaus.
Ich kann diese grundsätzlichen Fragen als Hintergrund der heutigen Debatte, welche Maßnahmen gegen Korruption ergriffen werden sollten, an dieser Stelle leider nur skizzieren. Ich bin mit Blick auf diese Fragen aber von folgendem fest überzeugt, und die Debatte hat es heute morgen auch schon gezeigt: Das Thema Korruption eignet sich nicht für die Art kontroverser Debatten, wie sie in diesem Hause gerade auch im Bereich der Kriminalpolitik vielfach mit etwas schrillem Ton letztverbindlicher Überzeugung, Herr Marschewski, zwischen Koalition und Opposition geführt werden. Ich will mich da gar nicht ausnehmen.
Vielmehr sollten wir uns im Bewußtsein der gesamtgesellschaftlichen Ursachen und Rahmenbedingungen für Korruption möglichst gemeinsam um Lösungsansätze bemühen, die diesen Umständen Rechnung tragen und vor allem auch in der Bevölkerung nachvollziehbar sind.
Deshalb bitte ich, die schon im März vergangenen Jahres - ich habe das eingangs erwähnt - unterbreiteten Vorschläge meiner Fraktion zu diesem Thema sowie meine folgenden Bemerkungen zu den heute beratenen Vorlagen als Beiträge zu einer gemeinsamen Diskussion in dem genannten Sinne zu verstehen. In den Ausschüssen können wir das dann vertiefen.
Daß die Koalitionsmehrheit den umfangreichen Antrag meiner Fraktion gegen Korruption bereits Ende letzten Jahres in den Ausschüssen kurzerhand abgelehnt hat, bedaure ich. Ich stelle aber mit einer gewissen Befriedigung fest, daß auch Union und
F.D.P. den Ansatz unserer Vorschläge offenbar übernommen und dies in ihrem Gesetzentwurf herausgestellt haben.
Was davon übrigbleibt, werden wir nach der Ausschußberatung sehen.
Der Schwerpunkt erfolgversprechender Schritte gegen Korruption muß im präventiven, organisatorischen sowie personalwirtschaftlichen Bereich liegen. Dienst- und strafrechtlichen Regelungen kommt daneben nur eine ergänzende Funktion zu. Sie, Herr Geis, legen den Schwerpunkt auf das Strafrecht.
Auf dem Gebiet präventiver Maßnahmen halten wir es für erforderlich, zunächst in Betrieben und Verwaltungen organisationsbedingte Barrieren gegen Korruptionsbekämpfung zu beseitigen. Ferner ist die Vorbildfunktion von Führungskräften und die berufsethische Sensibilität des Personals zu stärken. Diese Ziele legen zum Beispiel folgende Schritte nahe:
Befehlshierarchien müssen verflacht werden, da sie erschweren, daß Mitarbeiter korruptive Handlungsweisen von Vorgesetzten zur Sprache bringen können.
Die gängige Informationspolitik, etwaige Korruptionsfälle nicht einmal intern bekanntzumachen, ist kontraproduktiv - siehe BMI - und muß zugunsten von mehr Transparenz und aktiver Öffentlichkeitsarbeit aufgegeben werden.
Behörden, Wirtschafts- und Berufsverbände sollten institutionell abgesicherte Ethikrichtlinien zur Sensibilisierung und Handlungsregulierung erlassen. Auch die Mitarbeiter korruptionsanfälliger Arbeitsbereiche bzw. Organisationseinheiten sind aufgefordert, ihr Berufsbild sowie entsprechende Selbstverpflichtungen verbindlich festzulegen und Vertrauensleute bzw. Korruptionsbeauftragte zu bestellen.
Zu den nötigen Präventivmaßnahmen gegen Korruption gehören ferner eine Ausweitung von Dienstaufsicht, Jobrotation und Teamarbeit, um mit dem sogenannten Vier- oder Sechs-Augen-Prinzip Mechanismen der gegenseitigen Kontrolle bei der Abwicklung öffentlicher Aufträge und Verwaltungsverfahren zu nutzen, also das Ganze in mehrere Hände zu legen.
Eine Schlüsselrolle bei der Korruptionsbekämpfung spielt unseres Erachtens die Erhöhung der Kontrolldichte. Dazu gehört unter anderem eine Stärkung der Rechnungshöfe und Rechnungsprüfungsämter sowie die Einrichtung spezifischer Innenrevisionsgruppen in den Behörden.
Über solche Schritte, die ich hier nur beispielhaft nennen kann, dürfte in den Beratungen relativ rasch Konsens erzielt werden. Heikler scheint demgegenüber zu sein, die von uns grundsätzlich begrüßte Forderung der Finanzministerkonferenz umzusetzen, in ein bundesweit geführtes Antikorruptionsregister auffällig gewordene Unternehmen aufzunehmen
Manfred Such
und diese bei der Vergabe öffentlicher Aufträge auszuschließen. Ich denke, daß das wirksam wäre. Auch der Juristentag in der letzten Woche hat befürwortet, das zumindest für einen gewissen Zeitraum einzuführen und zu praktizieren.
Unter den unseres Erachtens notwendigen flankierenden Maßnahmen fällt besonders auf, wie hinhaltend sich Regierung und Koalition der Forderung widersetzen, die steuerliche Absetzbarkeit von Schmiergeldern komplett zu streichen. Nicht ausreichend ist nämlich der mit dem Jahressteuergesetz 1996 eingeführte Ausschluß der steuerlichen Absetzbarkeit nur für den Fall, in dem die Behörden zufällig von Schmiergeldzahlungen erfahren haben und ein Straf- und Ermittlungsverfahren eingeleitet haben.
Kein Verständnis kann ich dafür aufbringen, daß im Ausland gezahlte Schmiergelder entgegen den Empfehlungen der OECD in Deutschland immer noch steuerlich abgesetzt werden können.
Diese Schmiergelder schädigen eindeutig die Volkswirtschaften in der Dritten Welt.
An den Kollegen Hofmann: Was die strafrechtlichen Vorschläge betrifft, möchte ich daran erinnern, daß nach allen uns vorliegenden Erfahrungen von einer Ausweitung von Straftatbeständen ebensowenig wie von einer Anhebung von Strafrahmen eine generalpräventive Wirkung zu erwarten ist, wie das in den heute beratenen Vorlagen vielfach erhofft wird. Auch Herr Geis hat das angesprochen.
Wir müssen die Konturen von Straftatbeständen nach dem grundgesetzlichen Bestimmtheitsgebot klar erkennbar lassen, primär, damit die Bürgerinnen und Bürger die Grenzen zulässigen Handelns nachvollziehen können, und sekundär, damit der Justiz Möglichkeiten zur Ermittlung an die Hand gegeben werden, wir ihnen also nicht Steine statt Brot geben.
In diesem Zusammenhang ergeben sich Bedenken zum Beispiel angesichts des Vorschlags, die Gewährung von Vorteilen ohne konkrete Unrechtsvereinbarung der Beteiligten straffrei zu stellen, sei es in Gestalt zweckfreier Zuwendungen - gemeint ist das sogenannte Anfüttern - oder nach bereits vorgenommenen, rechtmäßigen Diensthandlungen. Ich glaube nicht, daß wir das Problem damit juristisch sauber in den Griff bekommen.
Auch der vorgeschlagene Sondertatbestand des Ausschreibungsbetruges erscheint uns weder notwendig noch angemessen und praktikabel zu sein. Preisabsprachen dürften vielfach bereits über den Betrugsparagraphen erfaßt werden können.
Die Rechtsprechung geht weiter, als etwa der Bundesratsentwurf nahelegen will.
Wenn der Bundesrat die Strafbarkeit außerdem bereits auf eine Beteiligung an Absprachen erstrecken will, ohne daß überhaupt ein Angebot abgegeben zu werden braucht, sind neben Fragen der Schadensdefinition absehbare, erhebliche Beweisschwierigkeiten zu bedenken.
Bedenken sind schließlich gegen die vor allem vom Bundesrat, aber auch von der Koalition und der SPD geforderte Erweiterung der Telefon- und sonstigen technischen Überwachungsbefugnisse anzumelden, der Kronzeugenregelung sowie der Vermögensstrafe und des erweiterten Verfalls. Das sind alles Dinge aus der Rumpelkammer des Strafprozeßrechtes.
Ich habe keinen Anlaß zu der Hoffnung, daß alle diese Vorschriften - anders als in den bisherigen Anwendungsbereichen - nun auf einmal im Einsatz gegen Korruption durchgreifende Erfolge bringen.
Abschließend möchte ich für meine Fraktion folgendes betonen: Ungeachtet der skizzierten Bedenken gegenüber Einzelmaßnahmen sind wir gewillt, im konstruktiven Dialog die notwendigen Schritte gegen Korruption in allen ihren Schattierungen rasch voranzutreiben. Ebenso wie unsere Kolleginnen und Kollegen in den Landtagen haben Bündnis 90/Die Grünen mit ihren Initiativen im Bundestag die Debatte über Korruption überhaupt erst angestoßen. Das muß man einmal deutlich sagen.
Sie kommen auch in diesem Zusammenhang wieder zu spät. Dafür mag es Gründe geben, Kollegen Geis, Zeitlmann und Marschewski. Daher werden wir dieses Thema in Zukunft mit aller Entschiedenheit weiterverfolgen.
Ich hatte gestern ein Gespräch mit einem leitenden Beamten des Bundesrechnungshofs, der sich darüber beklagte, daß man aus diesem Bereich immer mehr Personal abzieht. Das wäre meiner Meinung nach ein Bereich, in dem wir das Personal aufstocken sollten, weil man dort - wenn es um Fehlentwicklungen, Wirtschaftsfragen und Korruption geht - Gegenmaßnahmen ergreifen könnte. Es widerspräche auch nicht dem Ziel des schlanken Staates, wenn man dort mehr Personal einsetzte, statt dort zu sparen.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
Jetzt hat der Kollege Detlef Kleinert das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich frage mich, ob wir hier gemeinsame Überlegungen und Anstrengungen zur Bekämpfung eines seit sehr langer Zeit zu beobachtenden und in letzter Zeit bedauerlicherweise besonders grassierenden Problems besprechen oder ob hier Patentstreitigkeiten über Erstanmeldungen geführt werden. Das müßte man einmal auseinanderhalten.
Ich habe hier einen Beitrag von seiten der SPD gehört, der sich im wesentlichen mit der interessanten
Detlef Kleinert
Frage befaßt, wer wann was zuerst gesagt hat - als ob hier abgeschottete Abteilungen existierten, der Deutsche Juristentag ist nun wahrlich genügend bemüht worden, es sprechen viele miteinander, vorher werden Drucksachen verschickt, die jeder lesen kann, manche tun das auch; dann ergeben sich allgemeine Wissensstände, bei einiger Intelligenz kommen einige Leute auch auf ähnliche Vorschläge. Sich angesichts dessen zu irgendeinem gegriffenen Zeitpunkt X vorzuhalten, man wäre der erste gewesen, kann in der Sache doch nicht weiterführen.
Deshalb versuche ich, nochmal auf einiges Grundsätzliche zu kommen. Bei allem sehr Beklagens- und auch Bekämpfenswertem im Bereich der Wirtschaft stört es uns doch alle ganz besonders - so nehme ich an -, daß im öffentlichen Dienst immer mehr Fälle bekannt geworden sind, in denen früher selbstverständliche Tugenden von Beamten und auch Angestellten des öffentlichen Dienstes einfach nicht mehr zu existieren scheinen.
Wir haben nicht nur die Tradition des preußischen Beamtentums gehabt. Eine Reihe von Bundesländern - manchmal nennen sie sich sogar Staaten - haben eine größere Kontinuität, als man das von Preußen heute noch sagen kann. Allen war aber gemeinsam, daß die besonderen Regelungen für die Beamten dazu geführt haben, daß sich auch ein besonderes Bewußtsein herausgebildet hat - ich sage das ganz bewußt so einfach - für das, was man tut oder was man nicht tut. Daß dieses Bewußtsein weitgehend abhanden gekommen ist - jedenfalls in gewissen Teilen abhanden gekommen ist -, ist der Grund, sich mit den Dingen zu beschäftigen.
Wenn aber, wie auf einem anderen Strafrechtsgebiet, in diesen Tagen hohe Wetten darauf gewonnen werden können, daß bei jedem in der Öffentlichkeit bekanntgewordenen Fall eine Reihe von Landesministern, die man sogar namhaft machen kann, und von Bundestagsabgeordneten, die man ebenfalls namhaft machen kann, am nächsten Morgen im Deutschlandfunk erzählen, das Strafmaß müsse erhöht werden, dann ist das ein Hinweis darauf, daß hier zu einfache Lösungen gesucht werden.
Insofern muß ich sagen, Herr Such: Es war ausgesprochen erfreulich, von Ihnen Lob für Herrn Geis zu vernehmen - das hat man in dieser Form selten. Es war auch erfreulich, Ihr Angebot zu vernehmen, daß wir uns gemeinsam über die unglaublich komplizierte Materie unterhalten müssen.
Die europäische Justizministerkonferenz - das ist ja kein geheimes Kränzchen, da sind alle politischen Strömungen auf irgendeine Weise vertreten - hat ein schönes französisches Wort gefunden, das ich mir und auch Ihnen nicht zumuten will. Danach handele es sich bei der Korruption um ein multidisziplinäres Delikt; deshalb müsse auch die Bekämpfung multidisziplinär sein. Ich habe das übersetzt. Das ist ein wichtiger Hinweis auf das, womit wir es zu tun haben.
Hier liegen Fehler vor im System der Auftragsvergabe, schon im System der Ausschreibung. Hier liegen Fehler vor in der Beschreibung dessen, was jemand, der Aufträge vergibt, eigentlich will. Hier liegen Fehler vor in der Definition der Straftaten, die schon jetzt - und das gar nicht zu knapp - mit durchaus erheblichen Strafen bedroht sind. Hier liegen Fehler vor zunächst in der Personalauswahl und dann in der Personalführung.
Alle diese Fragen sind weder von gestern noch von vorgestern, sondern sie begleiten uns seit Jahrzehnten. Es ist herzlich wenig unternommen worden, obwohl ich niemanden sehe, dessen politische Freunde
- wenn nicht gar er selbst - nicht Gelegenheit gehabt hätten, auch schon in früherer Zeit in erheblichem Umfange nützlich tätig zu werden. Deshalb ist es nicht gut, zuerst nach dem groben Geschütz strafrechtlicher Verschärfungen zu rufen.
Viel wichtiger sind uns einige Klarstellungen in den Straftatbeständen. Ich unterstreiche nachdrücklich die Umgruppierung dieser einschlägigen Delikte
- einschließlich eines neuen, über das noch gründlich nachgedacht werden muß - vom UWG in das StGB. Das UWG handelt nun einmal im wesentlichen von anderen Dingen als von Straftaten, die sich letzten Endes gegen Eigentum, gegen wirtschaftliche und auch persönliche Interessen von Treugebern richten. Das gehört ins Strafgesetzbuch und nicht in Wettbewerbsregeln unter Wettbewerbern. Deshalb halte ich das in systematischer Hinsicht schon für sehr wesentlich.
Wenn dann dabei auch das, was man dem Strafrecht so oft zutraut, was aber leider selten erreicht wird, nämlich eine gewisse Bewußtseinsbildung, herauskommen sollte, dann wollen wir es loben.
Kronzeugen sind eine sehr bedenkliche Sache. Ich will mich nicht auf den Juristentag berufen. Denn ob ein Gremium von mehr als hundert Menschen mit einer Stimme Mehrheit in der einen oder der anderen Richtung abstimmt, weist uns noch nicht den richtigen Weg. Wir müssen uns wohl weiterhin eigene Gedanken machen. Ich glaube aber, daß das Instrument ganz schweren Delikten vorbehalten sein sollte.
Ich möchte zum Schluß sagen: Das Wichtigste ist, daß wir bei allem, was wir jetzt tun - und zwar „multidisziplinär", um das schöne Wort noch einmal zu gebrauchen -, versuchen, ein wenig in die Richtung zu kommen, daß die Beteiligten wissen, was man tut und was man nicht tut. Wir sollten nicht dem Aberglauben anhängen, das wäre allein durch Strafen, durch Strafverschärfungen oder durch drakonische Mittel der Strafverfolgung hinzubekommen. Ich kann ja verstehen, wenn Polizisten dieser Meinung sind; dafür habe ich menschlich großes Verständnis. Aber letztendlich bringt es das nicht. Vielmehr darf man neben all diesen Maßnahmen nicht aus dem Auge verlieren, daß eine Bewußtseinsbildung mit einigen Seminaren, mit Ethikrichtlinien oder gar mit einem Korruptionsbeauftragten - das ist das Schrecklichste, was ich heute morgen an Hilflosigkeit gehört habe - nicht zu leisten ist.
Detlef Kleinert
Darum werden wir gemeinsam daran arbeiten, auf allen Gebieten, einschließlich des Strafrechts - ich hatte es gesagt, Herr Kollege, das Nötige zu tun - wir wollen aber nicht über das Ziel hinausschießen -, um hier zu einer grundlegenden Verbesserung der Situation zu kommen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Uwe-Jens Heuer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Rönsch sagte in der Debatte zum vorherigen Tagesordnungspunkt, Frauen mit Kindern sollten mehr Wohnungseigentum kaufen. Das erinnert mich an die französische Königin Marie Antoinette, die den französischen Bürgern, als sie sagten, sie hätten kein Brot, erklärte, sie sollten doch Kuchen kaufen. Ich wünsche ihr natürlich nicht das Schicksal dieser Dame.
Herr Kleinert hat in seinem Beitrag eben erklärt, man sollte nicht über die Erstanmeldung streiten. Ich möchte aber darauf hinzuweisen, daß Bündnis 90/ Die Grünen am 17. Februar vorigen Jahres den Anstoß gaben, daß ihnen dann am 9. März 1995 die SPD gefolgt ist. Acht Monate später erklärte die ehemalige Justizministerin Frau Leutheusser-Schnarrenberger, der Schwerpunkt der Korruptionsbekämpfung müsse im Bereich der Prävention liegen und das geltende Strafrecht sei generell tauglich. Am 18. Dezember 1995 legte dann der Bundesrat als erster den Entwurf eines Korruptionsbekämpfungsgesetzes vor. Dieser Entwurf war dann nahezu klassenkämpferisch, wenn er vom von „verwerflichem Gewinnstreben bestimmten Zusammenwirken von Amtsträgern und Personen in der Wirtschaft" spricht.
Der Regierungsentwurf bleibt hinter dieser Sicht zurück. Es bleibt letztlich dabei, daß neben allgemeinen dienstrechtlichen Festlegungen vor allem über die Veränderung von Strafrechtsnormen und über flankierende Lösungen die Korruption eingedämmt werden soll.
Nach meiner Auffassung ist dieser Ansatz falsch. Ein Problem vorwiegend gesellschaftlicher und politischer Art wie das der Korruption kann man nicht primär bei Abstrahierung von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen durch härtere Strafrechtsnormen in den Griff bekommen.
Natürlich muß auch das Strafrecht eine wichtige Rolle bei der Kriminalitätsbekämpfung spielen, was die Überprüfung seiner Normen, zum Beispiel hinsichtlich der Strafbarkeit von Bestechung im Ausland, einschließt. Dabei muß auch unterschieden werden zwischen einem Beamten, der einen Blumenstrauß von einem Bürger erhält, und einem Beamten, der von einem Großinvestor für die Erteilung eines Bauauftrages Geld entgegennimmt. Die Rolle des Strafrechts hängt aber praktisch nun einmal in erster
Linie von der Konsequenz der Strafverfolgung ab und nicht von einer mindestens teilweise fragwürdigen Verschärfung der Strafrechtstatbestände. Darüber werden wir noch im einzelnen im Ausschuß reden.
Wenn aber zum Beispiel der ermittelnde Staatsanwalt in Korruptionssachen in Frankfurt am Main bei 1 600 Korruptionsfällen seit 1987 mit lediglich zwei weiteren Ermittlern auskommen muß,
dann sieht es hinsichtlich der Rahmenbedingungen jedoch schlecht aus. Auch der Umstand, daß Mitte 1993 etwa 200 Treuhandmitarbeiter der Bestechung beziehungsweise der Bestechlichkeit verdächtigt wurden und dann nur gegen zehn ermittelt wurde, unterstreicht dies.
Wir sollten auch auf diesem Gebiet von der völlig untauglichen, wenn auch immer wieder medienwirksamen Methode Abschied nehmen, mit dem Ruf nach Verschärfung des Strafrechts der Bevölkerung eine Handlungsbereitschaft und Aktivität vorzutäuschen, während tatsächlich weder die Bedeutung des Problems erfaßt wird noch taugliche Lösungen angeboten werden.
In der US-amerikanischen Korruptionsforschung wird Korruption immer wieder als „Krebsgeschwür" charakterisiert. Das legt den Gedanken nahe, sie auch wie eine Krankheit zu diagnostizieren, um sie dann als solche behandeln zu können.
Wenn wir die Möglichkeiten der Korruptionsbekämpfung wie auch die Grenzen der Tauglichkeit von Antikorruptionsgesetzen bestimmen wollen, dann geht es erstens um die Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse, zweitens um die reale Analyse der Gefahrenlage und drittens um die Überprüfung der politischen und staatlichen Strukturen unserer Demokratie hinsichtlich ihrer Tauglichkeit zur Selbstreinigung von diesem „Krebsgeschwür".
Unsere Gesellschaft ist auf besondere Weise eine Money-Society, eine Geldgesellschaft, und das hat weitreichende Konsequenzen für die gesellschaftliche Moral. Geld ist, so schrieb Karl Marx im 19. Jahrhundert in „Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie ", der eigentliche „Herrscher und Gott in der Welt der Waren". Abraham Lincoln, der Ihnen sicher nähersteht, merkte in einem ähnlichen Sinne an: „Das moralische Prinzip ist ein lockereres Band als der pekuniäre Vorteil."
„Fundamentale menschliche Werte ... sind weniger wichtig als Geld. Geldgier ist mit uns - wie immer - und nicht länger eine Sünde", schreibt der US- amerikanische Korruptionsforscher Phil Norman.
Das private Kapital durchdringt als eigenständige Macht neben dem Staat die Gesellschaft. Geld ist Macht, aber staatliche Macht kann auch zur Geldgewinnung genutzt werden. Die Grenzen zwischen legitimem und kriminellem Profit sind fließend. Seit mehr als 100 Jahren entwickelt sich der Staat zu einer riesigen Zentrifuge zur Umverteilung enormer finanzieller Mittel für die private Wirtschaft.
Dr. Uwe-Jens Heuer
Im profitmotivierten Einfluß des privaten Geldes auf den Staatsdienst liegt wohl die entscheidende Quelle für den Sumpf der Korruption. Welches Ausmaß dies auch auf Bundesebene annehmen kann, hat seinerzeit die Flick-Affäre deutlich gemacht.
Ich möchte einige Fakten für das Erfassen der Dimension nennen: Experten schätzen die volkswirtschaftlichen Verluste durch illegale Provisionen und überhöhte öffentliche Ausgaben auf über 10 Milliarden DM pro Jahr. Allein der Schaden im Zusammenhang mit der Herzklappenaffäre betrug 200 Millionen DM.
Nach einer Hochrechnung eines Staatsanwaltes aus Frankfurt am Main stammen 90 Prozent der Bauaufträge aus Bestechungen. Die Quelle ist die „Frankfurter Rundschau" vom 19. Juli 1995.
Die Liste der Beschuldigten in Korruptionsverfahren enthält die Namen aller großen Unternehmen von Daimler und Hoechst über Mannesmann und Siemens bis zu VW.
Wenn wir den Sumpf der Korruption tatsächlich eingrenzen oder gar austrocknen wollen, dann müssen wir vor allem die Selbstreinigungsmechanismen des demokratischen Systems stärken und ausbauen. Dabei sollten wir konsequent und illusionslos sein; denn wir haben dabei eine recht komplizierte, letztlich nicht vollständig zu bewältigende Aufgabe vor uns: nämlich politisch gegen ein Laster zu steuern, das die kapitalistische Gesellschaft immer wieder selbst erzeugt.
Geschichtliche Erfahrungen aus den USA, Italien usw. zeigen, daß dies sehr schwierig ist, aber durchaus auch erfolgreich sein kann. Das Problem liegt darin, daß wir uns hier - in der Sprache der Kriminologie - an der Grenze zur Makrokriminalität bewegen.
Es liegt im Wesen der Korruption, daß sie die Geheimhaltung, das Verborgene der Transparenz vorzieht. Wir brauchen deshalb zunächst vor allem eine völlig neue Qualität der Öffentlichkeit der Verwaltung. Ohne die Gewährleistung eines generellen Rechts auf Akteneinsicht und effektive Kontrollmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger werden wir nicht weiterkommen.
Wenn wir jedoch die Bürgerinnen und Bürger mobilisieren wollen, dann bedarf es zugleich einer Diskussion über die herrschende Moral wie auch über die bestehenden politischen Strukturen, die die Korruptionsmentalität mehr oder weniger erleichtern.
Es ist bereits darüber gesprochen worden, daß Schmiergelder zum Teil immer noch als Betriebskosten steuerabzugsfähig sind. Regierungsparteien, die Sozialmißbrauch anprangern und in diesem Zusammenhang nach staatlicher Überwachung rufen, müssen sich schon fragen lassen, weshalb sie die Steuerschlupflöcher für das private Kapital immer mehr ausweiten, statt sie zu schließen.
Man muß auch die Frage stellen, ob es noch tragbar ist, wenn zum Beispiel jemand einerseits über die Sozialfragen diskutiert und andererseits völlig legal sowohl sein Ministergehalt als auch 50 Prozent der Abgeordnetendiäten kassiert.
Eine neue Qualität der Korruptionsbekämpfung wird in meinen Augen nur erreicht werden, wenn es zu einer Demokratisierung der Verwaltung und damit zu strukturellen Barrieren kommt, die korrupte Praktiken der Auftragsvergabe erschweren.
Dazu gehören - ich kann mich mit den Vorschlägen, die Bündnis 90/Die Grünen bereits vor anderthalb Jahren gemacht haben, sehr einverstanden erklären -:
Erstens. Jede Ausschreibung eines öffentlichen Auftrages muß öffentlich geschehen.
Zweitens. Jedes Unternehmen, das sich für einen öffentlichen Auftrag bewirbt, muß Verhaltensrichtlinien für seine Angestellten erstellen, die jede Form korrupter Handlungen verbieten. In den jeweiligen Arbeitsverträgen müssen die Anti-Korruptionsrichtlinien enthalten sein. Ein privates Unternehmen, welches diese Anforderungen nicht erfüllt, muß von der Auftragsvergabe ausgeschlossen werden.
Ebenfalls müssen selbständige Auslandstöchter von deutschen Unternehmen in das Korruptionsverbot mit einbezogen werden. Unternehmen, denen Preisabsprachen, Manipulationen, Bestechungen oder Abrechnungsbetrug nachgewiesen wurden, sollten generell zwei Jahre von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden.
Drittens. Bei internationalen Geschäften, die durch öffentliche Bürgschaften und Garantien abgesichert sind, welche im Rahmen von Hermes-Bürgschaften stattfinden, muß die Verpflichtungserklärung der deutschen Unternehmen um eine eindeutige Anti-Korruptionsklausel erweitert werden.
Viertens. Von allen Ausschreibungsunterlagen der Verwaltung müssen Kopien angefertigt werden, damit nachträgliche Manipulationen nachweisbar und überprüfbar bleiben.
Fünftens. Auf Bundesebene sollte eine Arbeitsgruppe aus Bundesanwaltschaft und Bundesrechnungshof eingerichtet werden, die zu jeder Zeit das Recht hat, ohne Vorankündigung alle Ausschreibungsakten in allen Bundesbehörden und Bundesministerien einzusehen.
Sechstens. In allen Verwaltungseinheiten, die als korruptionsgefährdet gelten, ist das Rotationsprinzip hinsichtlich des Arbeitsplatzes einzuführen.
Siebtens. Behördenleitern in der Verwaltung müßte eine Anzeigepflicht hinsichtlich korrupter Handlungen auferlegt werden.
Achtens. In jeder Behörde soll eine zentrale Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger eingerichtet werden.
In erster Linie geht es also nicht um die Einführung neuer Straftatbestände oder den Ausbau polizeilicher Überwachungsmethoden. Einen Durchbruch
Dr. Uwe-Jens Heuer
bei der Korruptionsbekämpfung können wir nur durch Transparenz, Demokratisierung der Verwaltung und Mobilisierung der Öffentlichkeit erzielen.
Das Wort hat jetzt für die Bundesregierung der Herr Bundesminister der Justiz, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bekämpfung der Korruption ist mit Sicherheit eines der wichtigsten Vorhaben, das wir in dieser Legislaturperiode im Parlament beraten und nachher hoffentlich gut beschließen.
Korruption ist - so hat es der hessische Generalstaatsanwalt auf dem Deutschen Juristentag plastisch zusammengefaßt - der Brückenkopf des organisierten Verbrechens. Erst durch Korruption erhält das organisierte Verbrechen die Informationen, die Möglichkeiten zur Geldwäsche und die Rückendekkung, die es zu seiner Entfaltung braucht.
So angängig Korruption für das organisierte Verbrechen ist, so sehr ist sie in Deutschland aber noch Ausnahme. Ich trete jedenfalls an dieser Stelle mit Entschiedenheit dem Eindruck entgegen, unser Staat, unsere Gesellschaft oder unsere Wirtschaft seien durch und durch korrupt. Das stimmt nicht.
Es geht um einzelne, freilich ernste Fälle, deren Zahl leider steigt.
Es gilt, den Anfängen einer womöglich schlimmen Entwicklung zu wehren. Die uns heute vorliegenden Gesetzentwürfe sollen eine unmißverständliche Unterbindung dieser Ansätze bewirken. Es sind der Entwurf der Koalitionsfraktionen, der dem vom Bundeskabinett beschlossenen Regierungsentwurf entspricht, und der Entwurf des Bundesrates sowie ein Maßnahmenkonzept der SPD.
Es besteht - wenn ich das richtig sehe, und das konnte man bisher durchaus durchhören - allseits Einvernehmen, daß einschneidende Maßnahmen zur Eindämmung der Korruption ergriffen werden müssen und jetzt gehandelt werden muß. Wir sollten in diesem Sinne verbesserungsoffen in die Beratungen gehen, um im Endeffekt an dieser wichtigen Front etwas wirklich Gediegenes, etwas wirklich Gutes zustande zu bringen.
Für die Bundesregierung haben wir am 20. März 1996 einen Maßnahmenkatalog vorgestellt, der im Schwerpunkt auf präventive Maßnahmen setzt. Viele dieser präventiven Maßnahmen, auf die nachher sicherlich Herr Kollege Waffenschmidt eingehen wird, bedürfen keiner gesetzlichen Regelung. Deswegen tauchen sie hier nicht auf. Sie sind im übrigen ein Appell an die anderen Verwaltungsträger und die dort Führungsverantwortlichen. Manche der präventiven Maßnahmen, die in diesem Katalog vorgesehen sind, wie der Vorschlag, Unternehmen wegen Korruptionsstraftaten von öffentlichen Aufträgen auszuschließen, bedürfen im übrigen noch umfassender Prüfung nach EU-rechtlichen Gesichtspunkten.
Im Grunde ist es kein Geheimnis, daß die Koalition dafür aufgeschlossen ist, so etwas zu tun. Wir werden es allerdings noch ernsthafter zu prüfen haben.
Deshalb ist der Koalitionsentwurf jetzt nur ein Ausschnitt aus dem Maßnahmenkatalog der Bundesregierung. Die vorgeschlagenen Änderungen im Strafrecht können die notwendigen präventiven Maßnahmen nur ergänzen. Es ist wichtig, das zu unterstreichen.
Unsere Debatte steht - darauf ist heute schon mehrfach hingewiesen worden - in nahem zeitlichen Zusammenhang mit den Beratungen des 61. Deutschen Juristentages, der sich in der vergangenen Woche in einer seiner Abteilungen mit dem Thema Korruption befaßt hat. Die Empfehlungen des Deutschen Juristentages geben wichtige Anregungen für die Behandlung der Vorschläge zum Strafrecht, also zu dem, wo dieses Haus gesetzgeberisch tätig wird. Drei dieser Vorschläge möchte ich herausgreifen.
Erstens. Den vom Bundesrat vorgeschlagenen vollständigen Verzicht auf das Kernstück der Bestechungsdelikte, die Unrechtsvereinbarung, halte ich für problematisch. Wenn das Strafrecht bereits bei Zuwendungen eingreift, die nur im Zusammenhang mit dem Amt stehen, erfaßt man eine Vielzahl von Sachverhalten, die - bei Lichte besehen - gesellschaftlich nicht strafwürdig sind. Der Beschluß des Deutschen Juristentages, in dem diese Formulierung aus dem Gesetzentwurf des Bundesrates mit überwältigender Mehrheit abgelehnt wurde, bestätigt mich in dieser Auffassung. Allerdings hat der Deutsche Juristentag auch empfohlen, die §§ 331 ff. StGB bereits dann eingreifen zu lassen, wenn ein Vorteil für dienstliche Tätigkeit gewährt wird, ohne daß eine bestimmte Diensthandlung vereinbart wird. Dieser Vorschlag scheint mir ausgesprochen beherzigenswert.
Zweitens. Auch die Haltung von Bundesregierung und Koalitionsfraktionen zur Erhöhung der Strafrahmen bei Bestechlichkeit und Bestechung wird durch die Empfehlungen des Deutschen Juristentages bestätigt. Das in Vorbereitung befindliche Gesamtprojekt der Strafrahmenharmonisierung würde zerstört, wenn - wie der Bundesrat vorschlägt - bereits für die Grundtatbestände bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe verhängt werden könnten. Statt dessen sieht unser Entwurf genauso wie bei Diebstahl, Betrug oder Untreue eine Strafschärfung für besonders schwere Fälle vor.
Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Drittens. Ein weiteres wichtiges Anliegen des von der Bundesregierung erarbeiteten Entwurfs ist der Schutz des freien Wettbewerbs. Auch darauf ist hier schon mehrfach hingewiesen worden. Bei wettbewerbswidrigen Absprachen in Vergabeverfahren wird die bisherige Einordnung als Ordnungswidrigkeit dem Unrechtsgehalt nicht gerecht. Deshalb sollen solche Absprachen in Zukunft mit Strafe bedroht, also als Straftatbestände ausgestaltet werden.
Meine Damen und Herren, immer wieder, so auch in dem heute mitberatenen Antrag der Fraktion der SPD, wird die Forderung erhoben, auch die Bestechung ausländischer Amtsträger unter Strafe zu stellen. Über dieses Ziel sind wir uns völlig einig, nur über den Weg nicht. Ich fühle mich durch die Beschlüsse des Deutschen Juristentages nachdrücklich in der Auffassung bestätigt, daß dieses Problem nur auf internationaler Ebene in Angriff genommen werden kann. Nur eine internationale Konvention gewährleistet, daß die Bestechung ausländischer Amtsträger überall effektiv und ohne Wettbewerbsnachteile für einzelne Staaten bekämpft wird.
Auf diesem Weg sind die ersten Erfolge sichtbar, auch wenn man konstatieren muß, daß alles, was auf internationaler Ebene an Normen zustandegebracht wird, ein einigermaßen langwieriger Prozeß ist.
Morgen werde ich in Dublin beim Justizrat das erste Protokoll zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaft zeichnen. In diesem Protokoll werden sich die Mitgliedstaaten der EU verpflichten, ihre strafrechtlichen Regelungen auf die gemeinschaftsschädlichen Bestechungen der Amtsträger der Europäischen Gemeinschaft und der anderen EU-Mitgliedstaaten zu erstrecken.
Weitere Maßnahmen werden zur Zeit bei der EU, beim Europarat, bei der OECD und demnächst wohl sogar bei den Vereinten Nationen erörtert. Ich will gern auch von mir aus sagen: Daß es dort immer so lange dauert, ist natürlich ein bißchen störend.
- Daß es an der Bundesrepublik liegt, daß die Vereinten Nationen nicht schneller arbeiten, möchte ich heftig bestreiten.
Meine Damen und Herren, unser Gesetzentwurf, die begleitenden präventiven Maßnahmen und das erste internationale Abkommen zeigen, daß Bundesregierung und Bundestag handeln. Lassen Sie uns gemeinsam in den Ausschußberatungen nach Optimierung suchen. Lassen Sie uns durch Geschlossenheit das Signal setzen, daß Korruption kein Kavaliersdelikt ist.
Danke.
Es spricht jetzt der Kollege Alfred Hartenbach.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als das Bild des preußischen Beamten im demokratischen Rechtsstaat eine neue Bewertung erfuhr, galt ganz überwiegend der Satz: Ein Beamter darf nichts annehmen außer Vernunft. Angesichts der sich überstürzenden Meldungen von Schmiergeldaffären, von Durchstechereien, von Kungelgeschäften in deutschen Amtsstuben stellt man besorgt die Frage: Gilt dieser Satz so noch, oder gilt schon der Umkehrschluß?
Es ist besorgniserregend, daß immer mehr Amtsträger ihre Entscheidungen von einer Gegenleistung abhängig machen. Es ist erschreckend, daß Unternehmungen in ihre Preise die Bestechungsgelder in immer größerem Maße einkalkulieren und zynisch von „Motivations- " oder „Beschleunigungsgebühren" reden.
Es ist erschreckend, daß auch im freien Wettbewerb der Wirtschaft untereinander Vorteile im Wege der Bestechung erzielt werden und dadurch der Sinn einer sozialen Marktwirtschaft, daß Preis und Leistung stimmen und ein fairer Wettbewerb herrscht, ad absurdum geführt wird.
Die Situation ist wirklich dramatisch: Die Korruption stellt nicht nur eine ernsthafte Bedrohung der moralischen Grundlagen unserer Gesellschaft dar, sondern auch der Wettbewerbsfähigkeit und zunehmend auch der öffentlichen Haushalte. Es muß etwas geschehen, es muß gegengesteuert werden. Das haben nach SPD und Bundesrat nun auch die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen eingesehen und übereinstimmende Anträge erarbeitet.
- Herr Geis, das ist besser als das, was Sie gemacht haben. Sie haben ja nur abgeschrieben, Herr Geis.
Es fragt sich allerdings, wie ernsthaft die Regierungsparteien das Problem wirklich angehen wollen. So haben Sie lange nicht auf unsere Vorschläge reagiert und noch im Frühjahr dieses Jahres zwei von unseren Anträgen und einen Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen zur Bekämpfung der nationalen und internationalen Korruption verworfen. Ich frage mich: Was muß noch geschehen?
Wer Korruption wirklich ernsthaft bekämpfen will, muß zu den Ursprüngen des Übels vordringen, muß die Quelle verschließen, muß den Sumpf trockenlegen, muß Schlupflöcher dicht machen und klare Wege bauen, die überschaubar sind und kontrolliert werden können.
Es genügt nicht, nur mit dem Dienstrecht der Beamten oder mit strafrechtlichen Sanktionen zu drohen. Es bedarf auch anderer Instrumente, die in international greifende Maßnahmen eingebunden sind. Das Strafrecht kann nur einen Teil eines Ge-
Alfred Hartenbach
samtpakets darstellen. Es ist aber als Instrument der Korruptionsbekämpfung auch unverzichtbar, Herr Such.
Wir haben in unserem Antrag einen umfassenden Maßnahmenkatalog vorgelegt, der den Ansprüchen an eine effektive Bekämpfung der Korruption mit ihren Strukturen des organisierten Verbrechens gerecht wird. Der Entwurf des Bundesrates und der Doppelpack aus dem Regierungslager erreichen dieses Ziel nicht in allen Punkten oder schießen zum Teil am Ziel vorbei.
Wir sind uns einig, daß die unerlaubte Preisabsprache, der Ausschreibungsbetrug, bestraft und vor der Wirtschaftsstrafkammer verhandelt werden muß. Wir sind uns einig, daß auch Bestecher und Bestochener dort ihren harten Platz einzunehmen haben.
Wir sind uns einig, daß die Zuwendung an Dritte nicht ungeahndet bleiben darf. Was war das für ein schönes Schlupfloch, als der Perserteppich der Schwiegermutter und die Luxuslimousine dem Schwiegervater übereignet wurden, tatsächlicher Nutznießer aber ungestraft der ungetreue Beamte war!
Da ist zwischen uns allen eine Menge an Übereinstimmung, aber wir wollen und brauchen mehr. Der Begriff des Amtsträgers muß weiter gefaßt werden. Es ist gut, daß sich hier im Lager der Koalition etwas bewegt. Aber es muß auch möglich sein, daß wir denen auf die Finger klopfen dürfen, die Milliarden für die Europäische Union bewegen. Da ist bis jetzt noch ein Loch, und es ist nicht einzusehen, daß Eurokraten bessergestellt sind als inländische Amtsträger.
Es muß unser Ziel sein, in internationalen Verhandlungen hier eine weltweite Gleichstellung zu erreichen. Dazu gehört auch die Strafbarkeit von Deutschen, die ausländische Amtsträger bestechen.
Wir wollen, daß auch Schmiergelder und die auf Grund der Zuwendung von Schmiergeldern erzielten Gewinne dem erweiterten Verfall des § 74 d des Strafgesetzbuches unterliegen, wenn es sich um gravierende Vorgänge handelt. Wir wollen, daß in besonders schweren Fällen der Post- und Telefonverkehr überwacht werden darf und Aufzeichnungen möglich sein dürfen.
Wir erwarten hiervon eine bessere und schnellere Aufklärung, ein Eindringen in und ein Aufbrechen von kriminellen Strukturen. Natürlich wissen auch wir, daß dadurch Telefongespräche unbeteiligter Bürger aufgezeichnet werden. Aber diese Aufzeichnungen werden vernichtet, wie es im Gesetz steht, und dem Bürger wird daraus kein Nachteil erwachsen. Wir ersparen uns damit jedenfalls andere, bedenkliche Methoden der Ermittlungen; ich komme darauf noch zurück.
Wir wollen die umfassende Bestrafung von Bestechung und Bestechlichkeit im privaten Geschäftsverkehr, weil wir damit auch die Wettbewerbsbedingungen des Marktes schützen wollen. Da finden sich wieder Übereinstimmungen in allen Vorlagen. Dabei ist es nicht von Bedeutung, ob dies nun im UWG oder im Strafgesetzbuch normiert ist. Wichtig ist für uns, daß der Strafrahmen angehoben wird, und vor allen Dingen, daß die Strafverfolgung nur dem Staat obliegt. Es geht hier nicht um Peanuts, sondern oft um erhebliche Summen. Wir können diese Sanktionen nicht einfach dem freien Markt überlassen und nur auf Strafantrag reagieren oder gar den oft unbefriedigenden Weg der Privatklage eröffnen, wie Sie aus dem Regierungslager es wollen.
Ich habe zuverlässige Informationen, die besagen, daß geschädigte Firmen bisher nur deshalb von Anzeigen abgesehen haben, weil sie ihrerseits die Schädiger zu enormen Ersatzleistungen erpreßt haben. Wir haben heute von der bedrohten Moral geredet. Wir dürfen deshalb nicht durch unsere Gesetze weiteres Bedrohungspotential schaffen.
Oft sind die Auswirkungen derart gravierend, daß eine große Anzahl von Arbeitsplätzen in Gefahr ist, ja, durch kriminelles Handeln der Täter sogar weggefallen ist. Der Rechtsfrieden ist weit über den Kreis der unmittelbar Betroffenen empfindlich gestört, und das erfordert ein Handeln des Staates.
Herr Kollege Hartenbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Such?
Ja, bitte.
Herr Kollege Hartenbach, Sie haben eben in Ihrer Rede gesagt, daß bei der Telefonüberwachung auch Unbeteiligte abgehört werden könnten. Sind Sie der Auffassung, daß dieser doch schwerwiegende Grundrechtseingriff dadurch geheilt wird, daß die Unterlagen über das, was da abgehört worden ist, anschließend vernichtet werden?
Herr Kollege Such, ich habe gesagt, daß bei einer Telefonüberwachung auch Gespräche von Unbeteiligten mit aufgezeichnet werden. Das liegt in der Natur der Sache: Wenn ich eine Telefonüberwachung vornehme, weiß ich ja vorher nicht, ob der Täter oder irgend jemand anders anruft. Dies ist bis jetzt durch die Strafprozeßordnung gedeckt.
- Natürlich ist durch die Strafprozeßordnung gedeckt, daß Sie Gespräche, die auf dem Apparat des dringend Verdächtigen ankommen, aufzeichnen dürfen. Allerdings müssen die Unterlagen über ein Gespräch, das mit der Tat nichts zu tun hat, nachher vernichtet werden; das gilt sowohl für die Tonbandauf-
Alfred Hartenbach
zeichnung als auch für etwa geschriebene Protokolle. Das halte ich für mit dem Grundgesetz vereinbar und für ausreichend zum Schutze der Persönlichkeitsrechte derjenigen, die mit der Straftat nichts zu tun haben.
Wir können gern darüber reden, wie weit der Strafrahmen für Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen wie im öffentlichen Bereich reichen soll. Der Deutsche Juristentag in Karlsruhe hat zu diesem Problem gute und vernünftige Beschlüsse gefaßt. Wir sind sicher gut beraten, unsere Entscheidungen daran auszurichten. Wir werden auch gerne mit Ihnen prüfen, ob das „Anfüttern", also die Zuwendung von „Motivationsgebühren" vor der erwarteten Diensthandlung, unter Strafe gestellt werden muß. Allerdings meinen auch wir, daß eine solche Handlung beweisbar sein muß. Eine Vorschrift, die nicht zu beweisbaren Ergebnissen führt, sollten wir erst gar nicht erlassen.
Wir wollen umfassende finanzpolitische Maßnahmen durchsetzen. Ich muß dieses Thema noch ein wenig vertiefen, obwohl Frank Hofmann schon darauf eingegangen ist, weil die steuerliche Behandlung von Schmiergeldern und der Umgang mit dem Steuergeheimnis ganz entscheidend dazu beitragen können, ob der Sumpf der Korruption ausgetrocknet werden kann oder ob kriminelle Banden im Schutz des Staates weiter operieren können.
Die Regierung hat sich da bisher kaum bewegt. Dieser Meine Schritt, die steuerliche Absetzbarkeit zu versagen, wenn der Bestochene verurteilt wurde, ist eine Lachnummer. Bis es zu einer rechtskräftigen Verurteilung kommt, ist der Steuerbescheid des Bestechers schon lange unanfechtbar bestandskräftig. Hier muß mehr Spielraum gegeben werden. Wenn der Betrag voll versteuert werden muß, ist die Bestechung schon nicht mehr so interessant. Wenn man Schmiergelder oder „Motivationsgebühren" angeben muß und das Finanzamt diesen Steuertatbestand der Ermittlungsbehörde mitteilen darf, dann ist Bestechung nicht mehr so ganz lohnend.
Lassen Sie mich zum Schluß noch zu einem Thema kommen, das besonderer Beachtung bedarf. Herr Staatsminister, ich spreche Sie besonders an, weil Sie den Entwurf der Länder heute vertreten. Der Entwurf des Bundesrates sieht für die Bestechung im öffentlichen wie im privatwirtschaftlichen Bereich eine Milderung der Strafe oder gar das Absehen von Strafe vor, wenn sich einer der Täter offenbart und dadurch die Tat umfassend aufgeklärt wird.
Wir halten nichts von dieser „kleinen Kronzeugenregelung". Die Vorschrift und der Gedanke sind nicht vergleichbar mit den ohnehin umstrittenen Kronzeugenregelungen, die wir bereits jetzt im Gesetz haben und mit mehr oder weniger geringem Erfolg anwenden. Während sich bei der organisierten Kriminalität und beim Betäubungsmittelmißbrauch oft nur Randfiguren offenbaren, verhält es sich bei der Korruption doch ganz anders. Da gibt es eine Person, die jahrelang die Hand aufhält und wie die Made im Speck lebt, und eine andere Person, die geschäftliche Erfolge nur ihrem jahrelangen skrupellosen Bestechen verdankt. Beide haben der Gesellschaft enormen Schaden zugefügt. Da gibt es keine Randfiguren, da gibt es nur Haupttäter. Nun sollen sie, da ihnen der Boden zu heiß wird, die Chance des möglicherweise mit Straffreiheit verbundenen Ausstiegs haben? Das kann man einem anständigen Bürger nicht vermitteln. Wir wollen das auch gar nicht vermitteln.
Die Strafprozeßordnung bietet Staatsanwaltschaft und Gerichten eine Vielzahl von Möglichkeiten, die Schwere der Schuld und das Interesse an einer Aufklärung mit dem Persönlichkeitsbild des Täters abzuwägen und danach zu entscheiden, wie einem solchen Menschen mit den Mitteln des Strafrechts begegnet werden kann. Das reicht aus.
Für uns gilt jedenfalls: Bestecher und Bestochene handeln nicht aus Not, sie handeln nicht unter Zwang, und sie gehören auch nicht zu den Verzweifelten im Lande. Sie handeln aus purem Eigennutz, aus Habgier, aus Eitelkeit, und sie handeln unverantwortlich.
Deshalb brauchen wir konsequente Gesetze auch und besonders zum Schutze der vielen anständigen und ehrlichen Amtsträger und Unternehmer.
Der Doppelpack von Regierung und Union gibt nur die Richtung an, zeigt nicht das Ziel.
Nun lassen Sie uns einen vernünftigen Weg finden, wie wir ihn vorgeschlagen haben. Ich lade Sie - wie immer - herzlich zu guten Beratungen ein.
Danke schön.
Es spricht jetzt der Kollege Erwin Marschewski.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hartenbach, das letzte hörte sich ja doch ganz versöhnlich an. Ich glaube, es ist ganz allgemein so: Wir teilen doch die Besorgnis, die auch die Bevölkerung hat. Bestechung und Korruption sind doch zu einem Krebsgeschwür in dieser Gesellschaft geworden. Da muß dieses Parlament gemeinsam handeln. Es kann doch nicht sein, daß wir uns Vorwürfe machen.
Wir sind selbstverständlich bereit, alles das, was Sie vorgeschlagen haben, aufzunehmen und gemeinsam darüber zu sprechen.
Das ist doch selbstverständlich, weil es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt, meine Damen und Herren.
Erwin Marschewski
Wir haben leider festgestellt, daß sich Korruption nicht nur in der Wirtschaft, sondern insbesondere in den letzten Jahren auch in der öffentlichen Verwaltung zeigt. Sie findet sich ja fast von A bis Z, vom Ausländeramt bis zur Zulassungsstelle. Wenn man die letzten Presseberichte auch aus meiner Heimat, dem Ruhrgebiet, einmal liest, stellt man fest, daß gegen Bares Marktstände vergeben werden. Da liest man, daß Visa für chinesische Staatsbürger erteilt werden. Da liest man, daß gegen Höchstgebote Konzessionen für Gaststätten und Spielsalons weggehen. Dies ist, meine Damen und Herren, eine traurige Realität in unserem Land.
- Ja, ja, darüber können wir reden.
Ich habe aber leider festzustellen, daß der öffentliche Dienst auch in unserem Land, Herr Kollege, zum Spiegelbild unserer Gesellschaft geworden ist. Der beklagte Sittenverfall ist leider in die bundesdeutschen Amtsstuben eingekehrt. Die letzte Vergangenheit zeigt mir, daß das Unrechtsbewußtsein mancher Amtsträger erschreckend schwach ausgeprägt ist.
Wir müssen darauf reagieren. Wir können uns aber nicht nur darauf beschränken, Symptome zu kurieren. Wir müssen Ursachen angeben, auch das haben die Vorredner zum Teil gesagt.
Ein Problembereich ist natürlich der von uns beklagte Werteverfall, die schwindende Bindungskraft rechtlicher und moralischer Normen oder der Abstieg von Loyalität und Pflichtbewußtsein zu oftmals sogar belächelten Sekundärtugenden. Ich habe manchmal den Eindruck - das gilt auch für das Strafrecht -, als stünde man ziemlich allein da, wenn man diese Dinge immer wieder anmahnt.
Herr Kollege Marschewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gansel?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Marschewski, kann ich Ihre Äußerung über den Werteverfall so verstehen, daß Sie die Ausführungen des hessischen Generalstaatsanwalts Schäfer vor dem Deutschen Juristentag unterstützen, der gefordert hat, daß beim Kampf, auch beim vorbeugenden Kampf gegen Korruption die Politik mit gutem Beispiel vorangehen müsse?
Unterstützt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion deshalb den Beschluß des Juristentages, der hier schon mehrfach positiv erwähnt worden ist - nur in dem Punkt nicht, den ich jetzt erwähne -, den Beschluß nämlich, der Deutsche Bundestag möge seinen Beitrag zur Vorbildfunktion der Politik und zum vorbeugenden Kampf gegen Korruption leisten, indem die Bundestagsabgeordneten mehr Transparenz in ihren Einkommensverhältnissen schaffen und ihre Nebentätigkeiten offenlegen? So ein Beschluß des Deutschen Juristentages. Unterstützt die Union diese Initiative von SPD und Grünen im Bundestag?
Herr Kollege Gansel, ich bin ja mit vielem einverstanden, ich verstehe aber jetzt nicht die Verbindung mit der Korruption.
Ich bin selbstverständlich der Meinung, daß wir dem deutschen Volk ein Vorbild geben müssen. Übrigens können wir beide über diesen Problembereich selbstverständlich reden. Das ist keine Frage.
Meine Damen und Herren, ich will einen weiteren Gedanken anfügen. Ich denke an den Widerspruch, der sich in der Betrachtung des Beamtentums durch die veröffentlichte Meinung oftmals ergibt. Ich meine: In einen Widerspruch begibt sich auch, wer - lassen Sie mich das ruhig sagen - das preußische Vorbild eines Beamten - voll von Pflichterfüllung und Loyalität - verhöhnt, anstatt es zum Vorbild zu machen. Es geht nicht an, den öffentlichen Dienst und die Beamten ständig als Relikt einer vergangenen Zeit zu diskriminieren und zugleich ein Amtsethos einzufordern, das insbesondere aus den historischen Wurzeln des Beamtentums zu erklären und lebendig zu erhalten ist.
Die Folgen der Korruption in Wirtschaft und Verwaltung haben wir alle zu tragen. Wo der Staat käuflich ist, steht das Gemeinwohl insgesamt zur Disposition. Die finanziellen Schäden sind beträchtlich. Die Kollegen haben von 10 Milliarden DM allein im Bereich der Bauindustrie gesprochen.
Auch das Unternehmertum ist tangiert. Lassen Sie mich das einmal so formulieren: Wo geschmiert anstatt kalkuliert wird, da ist der seriöse Unternehmer genauso wenig überlebensfähig wie eine Forelle im schmutzigen Abwasserkanal. Das ist die Realität. Deshalb müssen wir dafür sorgen, daß korruptem Verhalten der Boden entzogen wird.
Meine Damen und Herren von der SPD, wir setzen natürlich auf das Strafrecht, aber auch auf präventive Regelungen. Herr Kollege Hofmann, ich will nicht aufrechnen, aber wir haben bereits einen Gesetzentwurf vorgelegt. Wenn Sie noch aktiver hätten werden wollen, hätten Sie gleiches machen können. Ich erinnere an die Aussagen des Kollegen Kleinert. Alle Punkte, die in den Gesetzentwürfen stehen und die Gegenstand dieser Diskussion sind, sind in der Lehre und in der Wissenschaft doch längst diskutiert. Keiner hat vom anderen abgeschrieben.
Deswegen meinen wir folgendes: Erstens; öffentliche Aufträge sind konsequent öffentlich auszuschreiben. Die konsequente öffentliche Ausschreibung ist ein Appell an die Städte und Gemeinden. Zweitens; das Mehr-Augen-Prinzip ist durchzuführen. Drittens; ich halte es für richtig, daß gerade in korruptionsanfälligen Bereichen das Personal rotiert. Ich weiß, das bringt Schwierigkeiten in der praktischen Verwaltungsarbeit mit sich. Aber ich denke, es ist notwendig, um Abhängigkeiten gar nicht erst entstehen zu lassen.
Nötig - da sind wir wieder einer Meinung, weil auch das längst ausgepaukt ist - sind Antikorrupti-
Erwin Marschewski
onsklauseln und entsprechende Vertragsstrafen. Ein anderer wichtiger Punkt, der auch nicht befolgt wird, ist: Ich halte es für dringend notwendig, daß korrumpierende Unternehmer konsequent von öffentlichen Leistungsvergaben auszuschließen sind.
Ich meine, daß der Weg eines Korruptionsregisters sicherlich geeignet ist, das sicherzustellen.
Wir haben versucht, ergänzende Maßnahmen ins Beamtenrecht einzufügen. Sie wissen, daß wir das Nebentätigkeitsrecht so gestalten wollen, daß die Nebentätigkeit keinesfalls zu einer Kollision mit dienstlichen Interessen führen darf.
- Ja, Herr Kollege Gansel, wir verschärfen das. - Ich halte es für dringend erforderlich, daß wir jede Annahme von Belohnungen und Geschenken im öffentlichen Dienst konsequent untersagen. So steht es auch im Gesetzentwurf.
Ein Wort zur Kronzeugenregelung. Sie wissen, wir haben eine Art „kleine Kronzeugenregelung" vorgelegt. Danach kann kooperatives Verhalten des Beamten, der sein Wissen über eine Korruptionsstraftat offenbart, im Disziplinarverfahren zu seinen Gunsten berücksichtigt werden. Die Kronzeugenregelung, die uns der Bundesrat empfohlen hat, einzuführen, ist hingegen problematisch. Ich kann nicht einsehen, daß ein Beamter, der korrupt ist und anschließend sein Wissen offenbart - auch über seine Kollegen -, weiter Mitarbeiter im öffentlichen Dienst bleibt. Das verträgt sich nicht mit unserem Bild vom Berufsbeamtentum. Deswegen haben wir versucht, daß sein Wissen dann, wenn er es offenbart, im Disziplinarverfahren zu seinen Gunsten berücksichtigt werden kann.
Um unser Gemeinwesen willen darf Horst-Eberhard Richter nicht recht behalten. Er hat m Ablehnung an Machiavelli folgende provokative These aufgestellt: Korruption sei ein unentbehrliches Herrschaftsmittel der Führungsschicht. Ohne Verfilzung von Geld, ohne betrügerische Manipulation der Massen sei keine moderne Gesellschaft mehr regierbar. Wie gesagt, eine provokative These. Folgten wir dieser Auffassung, so wäre das Ende jeder Demokratie vorprogrammiert.
Ich gehe nach der bisherigen Debatte davon aus, daß alle Mitglieder des Deutschen Bundestages - auch der Kollege Gansel - und alle Verantwortlichen in Bund, Ländern und Gemeinden mithelfen, den Korruptionssumpf trockenzulegen. Das ist eine wichtige Aufgabe des Parlamentes, und - da hat der Bundesjustizminister völlig recht - wahrscheinlich die wichtigste Aufgabe des Deutschen Bundestages in dieser Periode.
Herzlichen Dank.
Für den Bundesrat erhält nun Herr Leeb, Staatsminister des Landes Bayern, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Die Bekämpfung der Korruption ist eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe der Gegenwart." Mit diesen Worten beginnt der Entwurf des Bundesrates zu einem Korruptionsbekämpfungsgesetz aus dem November letzten Jahres.
Dieser Aussage werden Sie sicher alle zustimmen. In dieser Aussage ist angelegt, daß die Bekämpfung der Korruption eine Aufgabe ist, die jeden angeht. Zur Korruptionsbekämpfung gehört eine breite Palette von Maßnahmen. Sie reicht - das ist heute schon zum Ausdruck gekommen - von präventiven und anderen außerstrafrechtlichen Vorkehrungen bis hin zur Schaffung eines korruptionsfeindlichen
mas in der Rechtsgemeinschaft.
Vieles ist in den letzten Jahren in diesem Zusammenhang geschehen. In einigen Ländern, darunter Bayern, sind Maßnahmenpakete geschnürt worden, andere unternehmen derzeit entsprechende Anstrengungen. Die Wirtschaft, unter anderem der BDI, aber auch der DIHT sowie die Bauwirtschaft haben gleichfalls Konzepte entwickelt, mit denen schon der Entstehung korruptiver Praktiken entgegengewirkt werden soll. Übrigens, Herr Hofmann, hat jüngst auch die bayerische Bauwirtschaft ein sogenanntes Ethikmanagement erarbeitet, das den gleichen Zielen dienen möchte. Insgesamt gesehen ist das Anliegen, Korruption in all ihren Formen verstärkt entgegenzutreten, aus meiner Sicht auf einem guten Weg.
Es besteht breiter Konsens darin, daß Korruption nicht allein, auch nicht in erster Linie mit strafrechtlichen Mitteln bekämpft werden kann.
Das ist auch bei den Verhandlungen des Deutschen Juristentages in der letzten Woche deutlich geworden. Es sollte jedoch kein Zweifel bestehen, daß das Strafrecht aufgerufen ist, wenn sozialschädliche und gefährliche Handlungen begangen werden. Nicht zuletzt die Ermittlungserfolge der Staatsanwaltschaften waren es, die die Korruptionsproblematik einer breiten Öffentlichkeit ins Bewußtsein gerückt haben.
Der Bundesratsentwurf, der auf Gesetzesanträge Berlins und des Freistaates Bayern zurückgeht, hat sich zum Ziel gesetzt, Schwachstellen des geltenden Rechts zu beseitigen, die bei laufenden oder durchgeführten Ermittlungen deutlich geworden sind. Das gleiche gilt auch für den Entwurf der Koalitionsfraktionen, der nun nahezu zeitgleich im Bundesrat behandelt wird.
Die Entwürfe stimmen in der Tendenz vielfach überein. Jedoch bleibt der Koalitionsentwurf in einigen Punkten hinter dem Bundesratsentwurf und auch hinter den Vorstellungen der bayerischen Staatsregierung zurück. Ob man ihn deshalb als „zahnlosen Tiger" bezeichnen darf, wie das meine
Staatsminister Hermann Leeb
Berliner Kollegin Peschel-Gutzeit getan hat, wird man vielleicht doch bezweifeln dürfen.
Inhaltlich muß ich mich auf wenige Fragen beschränken. Ich bitte um Verständnis, wenn dabei nicht die Gemeinsamkeiten, sondern die Abweichungen im Vordergrund stehen.
Ein wichtiger Punkt des Vorhabens ist der Fragenkreis der sogenannten Unrechtsvereinbarung bei den Bestechungsdelikten. Nach geltendem Recht muß im Strafverfahren bekanntlich festgestellt werden, daß der Vorteil Gegenleistung für eine bestimmbare Diensthandlung ist. Diese Feststellung bereitet erfahrungsgemäß auch in solchen Fällen beträchtliche Schwierigkeiten, in denen gewichtige Vorteile zugewandt werden.
Der Bundesrat schlägt deshalb eine sogenannte Zusammenhangsklausel vor. Wir hatten - da verrate ich kein Geheimnis; das ist auch in den Beratungen des Bundesrates geltend gemacht worden - hiergegen von Anfang an ganz erhebliche Bedenken. Diese Klausel führt unseres Erachtens zu einer völlig unvertretbaren Ausweitung der Strafbarkeit. In dieser Auffassung wurden wir im übrigen durch die Experten des Juristentages bestätigt. Für den Vorschlag des Bundesrates konnten sich lediglich 7 Teilnehmer erwärmen, 108 Teilnehmer haben ihn abgelehnt.
Mittlerweile liegen zwei Vorschläge auf dem Tisch, mit denen das Problem angegangen werden kann. Der eine ist ein Diskussionsvorschlag meines Hauses. Er geht dahin, statt auf eine Unrechtsvereinbarung auf die Eignung der Zuwendung abzustellen, den Amtsträger bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben zu korrumpieren. Der andere Vorschlag - er entspricht übrigens dem Gutachten des Juristentages - will für die Unrechtsvereinbarung statt auf eine konkretisierbare Diensthandlung auf die Amtsführung abstellen.
Ich gehe davon aus, daß in den Ausschüssen eingehend über diese Problematik diskutiert werden wird. Dabei werden sicherlich auch die Erkenntnisse aus dem von Bayern in Auftrag gegebenen rechtsvergleichenden Gutachten des Max-Planck-Institutes in Freiburg verwertet werden.
Bei mir ist heute der Eindruck entstanden, daß sich in der Frage der Unrechtsvereinbarung nunmehr auch der Bundesminister der Justiz bewegt. Man darf gespannt sein, wozu die Beratungen in den Ausschüssen in diesem Punkte führen.
- Ich glaube, Herr Professor Meyer, das Thema steht heute nicht zur Diskussion.
Meine Damen und Herren, weiterhin schlägt der Entwurf des Bundesrates unter anderem die Schaffung von Kronzeugenregelungen, die sich zum Beispiel im Betäubungsmittelrecht bewährt haben, die Sicherstellung einer effektiven Gewinnabschöpfung und die Ermöglichung der Telefonüberwachung bei schweren Bestechungsdelikten vor. All diese Maßnahmen entsprechen dringenden Forderungen der gerichtlichen Praxis.
Die beiden letztgenannten hat auch der Juristentag befürwortet. Lediglich zur Kronzeugenregelung hat es ein Stimmenpatt gegeben. Ich nehme an, daß dieses Zufallergebnis den Gesetzgeber nicht davon abhalten wird, dieses wichtige Anliegen aufzugreifen, zumal die Rechtsvergleichung ergibt, daß die Kronzeugenregelung in etlichen Staaten, die sich zu Recht Rechtsstaat nennen, mit Erfolg angewandt wird. Im übrigen: Kronzeuge kann natürlich nicht nur der bestochene Beamte sein, sondern auch sein Gegenüber. Das sollte man nicht ganz vergessen.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Telefonüberwachung sagen. Ich vermag die zuweilen festgestellten Vorbehalte gegen diese besondere Ermittlungsmethode nicht nachzuvollziehen. Die Staatsanwaltschaften und Gerichte machen von ihr insgesamt verantwortungsbewußt und streng nach rechtsstaatlichen Grundsätzen Gebrauch. Für eine ausufernde oder gar mißbräuchliche Handhabung gibt es keinerlei Anhaltspunkte.
Lassen Sie mich zum Schluß noch auf folgendes hinweisen. Die Vorschläge des Bundesrates sind ungeachtet fachlicher Differenzen in Detailfragen in großem Einvernehmen über alle Parteigrenzen hinweg erarbeitet worden. Bei dem hohen Stellenwert der Thematik bin ich überzeugt, daß dies auch im Bundestag so sein wird.
Ich bin auf folgendes hingewiesen worden: Selbstverständlich ist der Herr Staatsminister Leeb Minister des Freistaates Bayern.
Als nächstes hat der Abgeordnete Ingomar Hauchler das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor ich einige Ausführungen zu dem Thema mache, möchte ich auf Verschiedenes eingehen, was in dieser Debatte von seiten der Regierungsfraktionen gesagt wurde. Erwin Marschewski hat mit großen Worten das Krebsgeschwür der Korruption beschworen. Kollege Kleinert hat gesagt: Die Dimension ist groß, und das Problem ist immer größer geworden. Der Justizminister hat gesagt: Das ist eines der wichtigsten Vorhaben in dieser Legislaturperiode.
Herr Justizminister, ich frage mich dann allerdings, warum die Regierungsbank so gering besetzt ist, warum diejenigen, die in erster Linie mit dem größten Problem der Legislaturperiode zu tun haben - der Finanzminister, der die ganzen Jahre über die steuerliche Absetzbarkeit befürwortet hat, und der Wirtschaftsminister, der international versteckt oder auch
Dr. Ingomar Hauchler
nicht versteckt immer wieder den Aspekt der Wettbewerbsfähigkeit vor diesen Gesichtspunkt gesetzt hat -, nicht anwesend sind. Warum ist ebenfalls der Entwicklungsminister nicht da, aus dessen Amt Mittel in Milliardenhöhe abfließen, die durch Korruption tangiert sein können? Ein deutsches Institut hat geschätzt, daß 30 Prozent der Verschuldung der Dritten Welt mit der Korruption und mit Projekten, die unproduktiv und überdimensioniert sind, zusammenhängt. Das sind Fakten, über die Sie schweigen. Sie beschwören mit allgemeinen Worten das Problem, zeigen aber durch Ihre Äußerungen, daß Sie das Problem nicht wirklich ernst nehmen.
Von Ihrer Seite ist sehr wenig zu den eigentlichen Ursachen der Korruption gesagt worden, ehr viel aber im Detail zu Fragen der Strafprozeßordnung und darüber, was immer man tun kann, um Symptome zu bekämpfen.
Korruption ist eine schlimme Erscheinung unserer Zeit. Sie hängt auch mit dem Zeitgeist zusammen. Sie auf der rechten Seite des Hauses haben aber diesen Zeitgeist in der Bundesrepublik entscheidend mitgeprägt, von oben her: Rücksichtslosigkeit im Wirtschaftsverkehr, Ellbogengesellschaft und so weiter.
Sie haben ein gerüttelt Maß Schuld an dieser Situation, in der wir sind. Wenn Kollege Geis - er ist nicht mehr da - sagt,
- verzeihen Sie bitte - wir seien keine „Bananenrepublik", bei uns sei das alles nicht so schlimm, da gebe es Fehler, wenn Justizminister Jortzig sagt, ja, es gibt einzelne Fehler hinsichtlich Korruption, aber allgemein kann man davon nicht sprechen, und wenn Kollege Geis sagt, gut, in unserer Nichtbananenrepublik Deutschland ändern wir die Dinge, vielleicht auch in der Nichtbananenregion Europa, da sorgen wir für mehr Sauberkeit, aber man schafft nicht die Voraussetzungen, daß Bestechung, massivste Bestechung im Ausland, in der Dritten Welt nicht passiert, dann ist das unglaubwürdig. Dann sind das also die Bananenländer, wo man weiter bestechen kann, bei uns aber werden wir die Dinge in Ordnung bringen. So kann das wirklich nicht gehen.
Meine Damen und Herren, die Korruption ist wirklich zu einer globalen Krankheit geworden, die Markt, Moral und Demokratie zu zersetzen droht. Die deutsche Regierung und die sie tragenden Rechtsparteien verschweigen dies bisher, verharmlosen es zumindest.
Sie haben sich mitschuldig gemacht, daß diese Infektion immer mehr um sich greift, indem Sie es versäumt haben, Rahmenbedingungen zu setzen für die Wirtschaft und für den öffentlichen Dienst, die verhindert hätten, daß die Korruption dieses Ausmaß annimmt. Der Staat ist schließlich dafür verantwortlich,
Rahmenbedingungen zu setzen, damit solche Dinge nicht aufkommen. Das haben Sie versäumt.
Korruption ist kein Schicksal, sondern logische Folge eines neuen, diesmal globalen neuen Manchesterkapitalismus, der überall um sich greift, und Korruption ist letztlich nur ein Symptom eines Klimas der Rücksichtslosigkeit, der Selbstbedienung und der Steuerhinterziehung, das diese Regierung mitgeschaffen, mit zu verantworten hat.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in aller Ruhe doch noch einmal ein paar Punkte sagen, welche verheerenden Wirkungen Korruption tatsächlich hat. Das ist heute in dieser Debatte zwar pauschal angesprochen worden, aber ich denke, dies muß vertieft werden, damit uns die Dimension der Korruption wirklich bewußt wird.
Erstens, es ist dramatisch, wenn man mit deutschen Managern von Großkonzernen spricht, in welcher Weise die über Korruption reden. Das hat für sie nichts mehr mit Kavaliersdelikt zu tun, das hat für sie überhaupt nichts mehr mit Delikt zu tun. Mir wird von vielen Managern in Konzernen, die ich kenne und die im Auslandsgeschäft tätig sind, gesagt: Das ist Realität, der muß man in die Augen sehen, jeder ist naiv, der glaubt, dagegen vorgehen oder nicht mitmachen zu können.
Der Vorstandsvorsitzende von Siemens sagte, es würde ja gar nicht bestochen, sondern es könne doch mal vorkommen, daß hohe Summen an Berater gezahlt werden, als Honorar.
Wenn man die Dinge so verharmlost und an der Spitze eines deutschen Konzerns die Dinge in der Öffentlichkeit so benennt, dann wissen das auch seine Mitarbeiter, und dann wissen die auch, wie sie zu handeln haben.
Es ist wirklich gravierend, wie die Einschätzung solcher Delikte in den Chefetagen der Großkonzerne um sich gegriffen hat.
Der zweite Punkt ist: Praktisch alle Länder dieser Welt beteiligen sich an der Korruption. Wenn wir die Entwicklungsländer ansehen: Die indische Regierung Rao ist darüber gefallen, ein japanischer Ministerpräsident ist darüber gefallen, in China breitet sich die Korruption wie ein Feuer aus, in Malaysia muß bald auch ein Ministerpräsident zurücktreten, Herr Mobuto in Zaire verfügt über Milliarden, die nicht aus Zaire kommen,
die aus dem Westen kommen und natürlich stark in Korruption begründet sind.
Dr. Ingomar Hauchler
Aber auch in und durch Industrieländer grassiert Korruption. Wir wissen, daß gegen Lockheed, gegen ABM, gegen amerikanische Firmen Verfahren gelaufen und in Amerika Strafen in Zigmillionenhöhe verhängt worden sind. Wir kennen die italienische Situation. Wir wissen aber auch, daß Singapur Siemens auf fünf Jahre von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen hat. Wir wissen, daß praktisch alle deutschen Konzerne, die im Auslandsgeschäft tätig sind, sich dieser Praktiken bedienen.
Wir müssen immer wissen: Es ist nicht nur der, der nimmt, zu bestrafen, sondern auch der, der gibt, der massivste Anreize schafft. Korruption ist eine Münze mit zwei Seiten: auf der einen Seite der Bestecher, auf der anderen Seite der Bestochene. Man darf nicht immer nur auf den Bestochenen sehen. Hier wurde von Ihnen meistens der öffentliche Dienst geprügelt. Was in den Großkonzernen der Wirtschaft gedacht und getan wird, wird in diesem Hause kaum thematisiert.
- Sie haben es nicht getan; ich habe es von Ihnen nicht gehört.
Sie reden vom öffentlichen Dienst, von Amtsträgern, von preußischem Verhalten.
Aber wie ist es mit den ehrbaren Kaufleuten in diesem Lande? Es gibt noch ehrbare Kaufleute. Ich denke an den Handwerker, an das mittlere Unternehmen, an Unternehmer, die noch selbst mit ihr Geld verdienen, die die Verantwortung und das Risiko tragen.
Aber was passiert oft in den Chefetagen der Konzerne? Da sitzen Manager-Millionäre, die überhaupt kein Risiko mehr tragen und die über die Aktionäre hinweg und über den Staat hinweg ihre Politik betreiben. Das ist die Realität in diesem Lande.
Herr Kollege Hauchler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Marschewski?
Bitte, Herr Kollege.
Lieber Kollege Ingomar Hauchler, haben Sie nicht gehört, daß ich gesagt habe, daß im Gesetzentwurf steht, daß korrupte Unternehmer von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden sollen, und daß dies die härteste Strafe ist, mit der ich die Unternehmer belangen kann? Haben Sie nicht gehört, daß wir deswegen ein Korruptionsregister schaffen wollen? Ich meine, dies ist wirklich eine adäquate, eine vernünftige Maßnahme. Sie stimmen dem doch sicherlich zu.
Natürlich stimme ich dem zu.
Aber ich wundere mich - Herr Marschewski, wir kennen uns schon sehr lange -,
daß Sie so lange geschlafen haben
und das so lange nicht begriffen haben. Sie gehören doch zu den Regierungsparteien. Sie haben das Problem wachsen sehen und bisher nichts getan.
Eine weitere Frage?
Im übrigen genügt das, was Sie sagen, nicht, um wieder eine Situation der guten Sitten auch bei Großkonzernen zu erreichen. Was Sie tun wollen, genügt nicht; das ist ein kleiner, zu kleiner Schritt. Ich verschließe mich aber auch kleinen einzelnen Maßnahmen überhaupt nicht.
Gestatten Sie eine weitere Frage, Herr Kollege Hauchler?
Bitte schön.
Lieber Kollege Ingomar Hauchler, ich will nicht aufrechnen; ich möchte mehr Gemeinsamkeit gerade bei diesem wichtigen Vorhaben. Ich frage Sie dennoch: Warum hat Ihre Fraktion es bis zum heutigen Tag nicht fertiggebracht, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen, der in diese Richtung geht?
Warum nicht, Frau Kollegin Matthäus-Maier?
Herr Marschewski, wir haben seit 1993 - das war auch zu spät - auf dieses Thema hingewiesen. Ich habe in einem ersten Antrag Ihre Seite des Hauses aufgefordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Die Opposition ist nicht dazu da, die Fleißarbeit für die Regierung zu machen.
Vielmehr haben wir Sie aufzufordern zu handeln.
Das haben Sie versäumt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Matthäus-Maier?
Ja. Bitte schön.
Herr Kollege Hauchler, können Sie bestätigen, daß von der rechten Seite des Hauses über Jahre hinweg unsere Forderung, Schmiergelder nicht mehr steuerlich absetzbar zu machen, heftigst bekämpft wurde, daß wir lange gebraucht haben, um eine Minilösung in bezug auf Schmiergeldzahlungen im Inland, die nicht ausreicht, die aber ein Fortschritt war, im Jahressteuergesetz zu erreichen, und daß diese Bundesregierung sich bis heute weigert, Schmiergeldzahlungen im Ausland nicht mehr von der Steuer absetzbar zu machen? Das wäre ein wichtiges Instrument. Können Sie das bestätigen, angesichts der Heuchelei, die wir heute morgen hier feststellen?
Liebe Frau Kollegin, der Beifall bestätigt es bereits. Ich stimme Ihnen voll zu.
Noch jemand möchte zwischenfragen, und zwar der Kollege Geis.
Herr Kollege Geis.
Herr Kollege Hauchler, haben Sie bei der Rede des Herrn Justizminister, aber auch bei meiner Rede nicht gehört, daß wir sogar einen eigenen Abschnitt „Straftaten gegen den Wettbewerb" in den Kern des Strafrechts einfügen
und daß gerade dieser Abschnitt sich ganz ausschließlich mit Straftaten aus der freien Wirtschaft beschäftigt, die Sie eben aufgezeichnet haben?
Herr Kollege Geis, bis jetzt liegt mir kein konkreter Text vor, der es mir erlauben würde, das zu beurteilen, was Sie hier publikumswirksam vortragen.
Es wird sich erweisen, ob Sie wirklich die Kraft haben, das zu tun. Dann würde ich Ihnen gratulieren, weil wir dann eine wirklich echte Gemeinsamkeit hätten.
Herr Kollege Hauchler, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? - Bitte.
Herr Hauchler, würden Sie die Freundlichkeit besitzen, einfach einmal in unserem Gesetzestext nachzulesen, den wir Ihnen vorgelegt haben? Dort steht nämlich etwas über die Verletzung des freien Wettbewerbs. Dann brauchten wir uns nicht gegenseitig solche Vorwürfe anzuhören.
Ich werde das tun, Herr Geis.
Das alles kann aber nicht vergessen lassen, daß Sie 13 Jahre lang geschlafen haben, daß Sie in den letzten Jahren Vorhaben von uns hier immer wieder niedergestimmt haben. Wenn Sie jetzt nachbessern, freut uns das.
Lassen Sie mich nun fortfahren: Ich habe von verheerenden Auswirkungen gesprochen, zu der erstens die Einschätzung der Korruption in den Chefetagen von Großkonzernen gehört sowie die Einschätzung von Wirtschaftspolitikern Ihrer Fraktion, unter anderem des Wirtschaftsministers, der öffentlich erklärt, er halte Bestechung für notwendig, um Geschäfte für deutsche Firmen zu sichern, nicht berücksichtigend, daß beispielsweise die USA als ein sehr starker Wirtschaftsfaktor, mit dem wir eng verbunden sind, von sich aus eine Vorreiterrolle gespielt haben. Es wäre ein leichtes gewesen, mit den USA, mit Japan und anderen großen Handelspartnern innerhalb der G 7 Vereinbarungen zu treffen, um diesen Sumpf auszutrocknen. Aber Sie haben in dieser Richtung nichts unternommen; Sie haben sich immer wieder der amerikanischen Position verweigert.
Zweitens. Alle Länder sind beteiligt, auch wir, und zwar nicht nur der öffentliche Dienst, sondern auch die Wirtschaft.
Drittens. Die direkten Kosten der Korruption sind enorm. Ein Betrag von 10 Milliarden DM ist genannt worden. Die Dunkelziffer - so haben Sie gesagt - ist hoch; sie liegt bei über 10 Milliarden DM. Weltweit gehen mindestens 100 Milliarden DM über den Tisch. Das ist mehr als das, was alle Entwicklungsländer an Entwicklungshilfe bekommen.
Viertens. Durch unproduktive Projekte und durch überdimensionierte Projekte entstehen riesige Fehlinvestitionen.
In vielen Fällen gewinnt nicht das volkswirtschaftlich beste Projekt mehr am Markt - dabei nehme ich die Meinen und mittleren Betriebe ausdrücklich aus -, sondern das Projekt, das die höchste Bestechungsrendite abwirft.
Fünftens. Dadurch ist die Verschuldung der Entwicklungsländer angeheizt worden. Ich habe das schon erwähnt.
Sechstens. Die Korruption hat zu einer Hemmung des Wettbewerbs geführt. Das ist das Schlimmste,
Dr. Ingomar Hauchler
und das ist mit den höchsten indirekten Kosten verbunden. Die Grundlage des Freihandels und der Marktwirtschaft, nämlich die komparativen Kostenvorteile, wird dadurch praktisch ausgehebelt. Damit entfällt die Berechtigung, immer weiter zu deregulieren und zu liberalisieren, ohne daß auf diesen Feldern neue Rahmenbedingungen gesetzt werden.
- Herr Marschewski, Sie haben es aber nicht erwähnt. Einer muß das hier einmal erwähnen und aufzählen, damit die Öffentlichkeit weiß, wie die Zusammenhänge liegen.
Siebtens. Das ist nicht zu unterschätzen: Korruption strahlt auf die gesamte Gesellschaft aus und auf ihr Verhalten - das ist hier schon angeklungen -, auf das Empfinden von Rechtssicherheit, „good Governance", auf die Frage, ob Marktwirtschaft noch funktioniert, ob in einer Marktwirtschaft noch Moral und Rechtsstaatlichkeit und faires Verhalten möglich ist oder ob die Geschäfte nur - wie geschmiert - zu laufen haben.
Abgesehen von den direkten Kosten sind die beiden letzten Aspekte, also die Einschränkung des Wettbewerbs und die Handelshemmnisse, die entstehen, sowie die Ausstrahlung dieser Situation auf die gesamte Gesellschaft die wichtigsten Gesichtspunkte.
Durch die Korruption kommt es also insgesamt zu einer Verschwendung knapper Ressourcen, und das in einer Zeit stagnierenden Wirtschaftswachstums, einer Zeit der Finanzkrise. Die direkten finanziellen Schäden, die entstehen, werden von den Schuldigen über Steuerermäßigungen auf den Staat abgewälzt, und sie werden in vielen Entwicklungsländern abgewälzt auf die Menschen; denn irgendwer zahlt diese Provisionen und diese Bestechungsgelder.
Man weiß, daß zum Beispiel in Indonesien ein Ministerpräsident 10 Millionen DM, ein Minister 1 Million DM und ein Abteilungsleiter 100 000 DM kostet. Das sind große Summen. Wo werden sie verbucht? Sie werden natürlich auf die Auftragssumme aufgeschlagen; das ist doch ganz klar. Wer bezahlt das letzten Endes? Nicht die Eliten in diesen Ländern, sondern die Menschen: mit Kürzungen ihrer Sozialhaushalte, ihrer Bildungshaushalte und erhöhten Preisen. Das ist ein Skandal sondergleichen.
- Dann tun Sie endlich mehr, als Sie angekündigt haben.
Ist meine Redezeit zu Ende?
Sie haben noch 13 Sekunden.
Ich habe noch 13 Sekunden, sagt der Präsident. Meine Redezeit ist also fast abgelaufen.
Ich wollte einfach noch einmal belegen - das haben aber auch meine Kollegen schon gemacht -, in welcher Weise die Bundesrepublik im internationalen Bereich letzten Endes als Hemmschuh aufgetreten ist. Bei der Bekämpfung der Korruption sind wir Schlußlicht unter den Industrieländern. Wir haben bei der OECD keine Initiative unternommen, einige haben bei der EU mitgearbeitet für eine Verschärfung von Maßnahmen gegen die Korruption, die sollen aber nur für Ihre „Nicht-Bananenrepubliken" gelten nicht aber für unseren Verkehr in Entwicklungs- und Schwellenländer. Ansonsten gibt es keine deutsche Initiative.
Wir haben die US-Initiative im ECOSOC der UNO nicht unterstützt. Ich glaube auch nicht - ich hoffe aber noch darauf -, daß der Bundeswirtschaftsminister dies bei der WTO-Tagung in Singapur zum Thema machen und dort deutsche Vorschläge vorlegen wird. Denn das ist nicht nur ein deutsches Problem; es ist angesichts der Globalisierung ein allgemeines Problem.
Das ist der letzte Satz, Herr Kollege Hauchler.
Die 13 Sekunden sind beendet.
Danke schön.
Sie sind deutlich beendet.
Jetzt hat das Wort der Kollege von Stetten, CDU/ CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie sprachen davon, wir hätten 13 Jahre geschlafen. Irgendwann waren doch auch Sie mal an der Regierung und hätten die Gesetze verschärfen statt liberalisieren können; Herr Hauchler, Sie sollten daran denken. Wir sind jetzt dabei, notwendige Dinge zu ändern.
Wenn wir die Zeitungen aufschlagen und immer wieder lesen und auch hören, daß die Staatsdiener, die früher höchste Tugenden wie Ehrlichkeit und Unbestechlichkeit an den Tag legten, diese mit Füßen treten und Straftaten begehen, sich bestechen lassen oder Aufträge nur gegen Bares annehmen, könnten wir uns natürlich fragen, wohin Deutschland geht. Dabei ist keine Berufsgruppe ausgenommen, was sich beispielsweise daran zeigt, daß ein Vorsitzender Richter in Köln Kopf einer Falschgeldbande ist oder im Rathaus von Crailsheim der Beauftragte für Sicherheit Geld druckt oder im Rathaus in
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Heilbronn ein Abteilungsleiter 5 Millionen DM unterschlägt oder ein Bürgermeister in Neckarwestheim mit 40 Millionen DM auf und davon geht. Es ist nicht nur der Süden - wir haben es gehört -: In Gelsenkirchen, in Frankfurt, in Hamburg, überall gibt es diese Dinge.
Dennoch sollten wir nicht nur die Bestochenen, sondern auch die Bestecher bestrafen; auch das wurde gesagt. Denn wer besticht, wird das nicht aus Freundlichkeit tun, sondern ein Vielfaches an Gewinn daraus ziehen wollen. Dieses Vorgehen sollte bestraft werden.
Ich möchte keine allgemeine Schelte des Beamtentums hören; das wäre das Falscheste, was wir machen könnten; denn ein ganz, ganz hoher Prozentsatz der Beamten tut seine Pflicht, und zwar ohne - außer seinem Gehalt - einen Pfennig dafür zu bekommen.
- Die Angestellten in der Wirtschaft auch. Aber wir achten natürlich mehr darauf, wenn ein Beamter entsprechend handelt, weil in der Wirtschaft die Dinge sehr häufig unter den Tisch gekehrt werden. Das ist leider so. Wir brauchen auch die Ärzte und die Steuerberater nicht auszunehmen. Auch sie sind leider beteiligt.
Unser Gesetzentwurf soll nur ein erster Teil sein, dem Ergänzungen folgen müssen. Es wurde schon angedeutet, daß wir darüber nachdenken, inwieweit Firmen bei Vergaben ausgeschlossen werden können oder ob ein Korruptionsregister, wie wir es beschlossen haben, aufgelegt werden soll. Hierzu sind aber noch verfassungsrechtliche Fragen zu klären. Wir müssen sehen, wie wir das hinbekommen.
Das Entscheidende ist, das Vertrauen der Bürger in die Integrität des Staates zurückzugewinnen. Deswegen wird das eine oder andere noch zu verbessern, zu verschärfen sein, auch damit nicht Beamte diese Strafgesetze durch Nebentätigkeiten umschiffen können. Unsere Beamten sind, wie gesagt, gut dotiert; Ausnahme sind die jungen Beamten und die in den niedrigen Besoldungsgruppen. Ich will sie nicht auffordern, bestechlich zu sein; da sollten wir eher etwas anderes tun. Aber hier sollten wir aufpassen.
Wir müssen auch darauf achten, daß nicht Gefälligkeitsgutachten von vereidigten Sachverständigen entsprechend genutzt werden. Auch der hochdotierte Vortrag oder das hochdotierte Gutachten sind zwar vielleicht als wissenschaftlich anzusehen; sie stellen aber, wenn die Leistung und das dafür gezahlte Entgelt in der Relation auseinanderfallen, keine genehmigungsfreie Nebentätigkeit mehr dar. Von einer solchen bis zu einem Vortrag in New York mit hoher Dotation ist es dann nicht weit.
Richtig ist es auch - das wurde hier bemängelt; ich halte es trotzdem für richtig -, daß wir versuchen, Beamte oder Angestellte des Staates, die „angefüttert" wurden, sozusagen mit dem Anreiz einer teilweisen Versorgung, aus dem immer tiefer werdenden Sumpf der Korruption herauszuholen. Wir brauchen eine kleine Kronzeugenregelung.
Wir sollten uns auch, meine Damen und Herren - Herrn Gansel sehe ich nicht mehr -, kritisch fragen, ob die Bestimmungen des § 108e StGB über die Bestechlichkeit von Abgeordneten ausreichend sind, um gegen diejenigen Abgeordneten vorzugehen, die zwar nicht unmittelbar, aber mittelbar durch Geldzuwendungen an sie selber oder an Dritte zu unlauterem Verhalten veranlaßt werden. Wir sollten nicht bei anderen höhere Maßstäbe anlegen als bei uns selbst. Darüber sollte nachgedacht werden.
Zur Bekämpfung der Korruption, die in vielfältiger Weise auch als Bandenkorruption in Erscheinung tritt, gehört auch die elektronische Raumüberwachung. Darüber, in welchem Umfang das geschehen soll, werden wir beraten, ohne daß ich die F.D.P. dabei in Verlegenheit bringen will. Aber es kann ja nicht sein, daß die Intimsphäre von Leuten, die ihre Würde verwirkt haben, höher geschätzt wird als die Intimsphäre derjenigen, die durch kriminelles Tun beeinträchtigt werden. Beim Abhören werden, wie gesagt, entsprechende Sicherungen eingeführt, und es werden nur dringend Tatverdächtige elektronisch überwacht.
- Wir können Diskussionen über die verschiedenen Sicherungen führen; aber wir sollten eine vernünftige Lösung finden.
Klarmachen müssen wir - das ist, glaube ich, das Entscheidende - den international operierenden Kriminellen und den Korruptionsbanden, daß in Deutschland keine paradiesischen Zustände mehr herrschen und daß sie sich andere Länder aussuchen müssen, wenn sie ihren Geschäften nachgehen wollen. Das gilt übrigens auch für die Geldwäsche.
Am wirksamsten und empfindlichsten neben der Freiheitsstrafe trifft man aber die Verbrecher in ihrem Vermögen, in ihrem Geldbeutel. Deswegen sollten wir kurzfristig eine Lösung finden, daß Vermögen bei Vorliegen eines Tatverdachts - ob das ein dringender oder ein sonstiger ist - eingezogen werden können. Dabei werden wir aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht einfach eine Beweislastumkehr einführen können. Aber bei einem dringenden Verdacht muß es leichter möglich sein, das Vermögen zu beschlagnahmen, damit es nicht in der Zeit, in der noch Beweise gesucht werden, in undurchsichtige Kanäle verschoben werden kann. Deswegen muß auch über neue Verfallsbestimmungen nachgedacht werden.
Wir sollten - das wurde hier ebenfalls schon häufig gesagt - zwar miteinander um den richtigen Weg rin-
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
gen; aber wir sollten nicht streiten. Herr Kollege Hauchler hat eigentlich als erster einen etwas scharfen Ton hineingebracht. Wir sollten gemeinsam das Verbrechen auf allen Ebenen bekämpfen, damit sich die Bürger in Deutschland sicher fühlen.
Alle haben zum Schluß gesagt - auch ich wiederhole es -: Nutzen wir die Beratungen in den Ausschüssen und mit den Ländern, Herr Justizminister, damit wir hier so schnell wie möglich zu einem Ergebnis kommen. Dann wird auch das dumme Gerede - einige sprachen von „Bananenrepublik" - verstummen. Das ist nicht wahr; das wird auch nicht eintreten. Vielmehr sollten wir dafür sorgen, daß wir ein Rechtsstaat bleiben.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Dr. Stadler, F.D.P.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch gegen Ende einer solchen Debatte lernt man doch immer wieder Neues hinzu. Ich darf Herrn von Stetten bestätigen, daß wir von der F.D.P. über seinen Vorschlag, nur noch bei dringendem Tatverdacht eine Raumüberwachung zuzulassen, sehr intensiv nachdenken werden.
Wir waren uns in dieser Debatte einig, daß es eines Bündels von organisatorischen, strafrechtlichen und dienstrechtlichen Maßnahmen bedarf, um Korruption wirksam zu bekämpfen. Mit freundlicher Genehmigung des Kollegen Hauchler möchte ich mich in der kurzen Redezeit, die mir zur Verfügung steht, auf einige Anmerkungen zum dienstrechtlichen Teil des vorliegenden Gesetzentwurfs beschränken,
vor allem auch deswegen, weil ich unterstelle, daß mit Ausnahme des Kollegen Hauchler alle anderen Zuhörer die Vorschriften in den §§ 298 ff. StGB sehr wohl bereits zur Kenntnis genommen haben, mit denen wir Bestechung innerhalb der Wirtschaft stärker als bisher unter Strafe stellen wollen und entsprechende Ordnungswidrigkeitstatbestände in Straftatbestände umwandeln.
Ich brauche daher nicht ein weiteres Mal darauf einzugehen. Alle anderen haben das sicherlich bemerkt.
Bezüglich des Dienstrechts hat sich der Kollege Hofmann eingangs besorgt gezeigt, daß das Ansehen des öffentlichen Dienstes gelitten haben könnte, weil womöglich zu spät mit entsprechenden Maßnahmen begonnen worden sei.
Herr Kollege Dr. Stadler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hauchler?
Ich habe so wenig Redezeit, daß ich im Zusammenhang vortragen möchte. Ich bitte um Verständnis.
Ich wollte gerade den Kollegen Hofmann um seine Zustimmung dafür bitten, daß wir uns gemeinsam, wenn wir uns um das Ansehen des öffentlichen Dienstes sorgen, in unseren Parteien dafür einsetzen, daß sein Ansehen nicht durch beleidigende Äußerungen in den Schmutz gezogen wird, wie das der Ministerpräsident Gerhard Schröder mit seinem bekannten Ausspruch, Lehrer seien faule Säcke, getan hat. Wir sollten gemeinsam dafür sorgen, daß so etwas nicht vorkommt.
Herr Professor Schmidt-Jortzig hat, was die Notwendigkeit der Maßnahmen betrifft, das richtige Maß angelegt, indem er sagte: Es ist bei weitem nicht so, daß in unserer Beamtenschaft Korruption an der Tagesordnung wäre. Deswegen sind unsere Vorschläge auch nicht auf ein generelles Mißtrauen gegen die deutsche Beamtenschaft gegründet; aber die Korruptionsfreiheit der Beamtenschaft ist eine maßgebliche Voraussetzung dafür, daß das Berufsbeamtentum, das bei einigen Kräften hier im Haus durchaus in der Diskussion ist und dessen Berechtigung in Zweifel gezogen wird, so, wie wir es wollen, in seiner heutigen Form erhalten bleibt. Sein Sinn liegt ja gerade darin,
über eine Instanz zu verfügen, die objektiv und unparteiisch den Willen des Gesetzgebers im Verwaltungsvollzug umsetzt. Das Vertrauen der Bevölkerung in diese Unparteilichkeit muß erhalten werden. Deswegen sehen wir dienstrechtliche Maßnahmen nach dem klassischen Lenin-Zitat „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser", das man auch als Liberaler gebrauchen darf, vor. Ich möchte hinzufügen: In diesem Bereich ist Vorbeugung vermutlich am allerbesten.
Wir sehen im Dienstrecht zwei Ansatzpunkte vor: maßvolle Änderungen im Bereich der Nebentätigkeit mit Melde- und Informationspflichten. Wir sehen sie vor, obwohl wir genau wissen, daß im Bereich der Nebentätigkeit im Normalfall alles glatt läuft. Aber in seltenen Fällen könnte hier ein Einfallstor für jemanden bestehen, der einen Beamten korrumpieren möchte. Dem wollen wir vorbeugen.
Wichtiger noch ist der zweite Ansatz, das strikte Verbot der Annahme von Belohnungen und Geschenken. Das ist schon eine recht harte Maßnahme. Herr Minister Leeb, ich wurde ein wenig an eine Äußerung des heutigen Ministerpräsidenten Stoiber erinnert, die er machte, als man begann, die Amigo-Affäre aufzuarbeiten. Stoiber hat damals gesagt, man dürfe nicht denselben Maßstab für die politische Ebene und die Beamtenebene anlegen, was diese Dinge betreffe. Ich konnte schon damals diese Meinung nicht teilen; aber immerhin hat Stoiber in Bayern - das muß man zugeben - dafür gesorgt, daß ge-
Dr. Max Stadler
wisse Sitten, die auf der politischen Ebene eingerissen waren, beseitigt wurden. Um so mehr Berechtigung besteht jetzt dafür, das Verbot der Annahme von Geschenken absolut strikt zu gestalten, damit auch der böse Anschein, daß damit Korruption verbunden sein könnte, vermieden wird.
Meine Damen und Herren, im Disziplinarrecht setzen wir auf einen Anreiz, der schon dargestellt worden ist. Es geht darum, bei der Altersversorgung Gnade vor Recht für diejenigen walten zu lassen, die wegen Korruption aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden mußten. Der Justizminister hat gesagt, die Korruption sei der Brückenkopf des organisierten Verbrechens in die öffentliche Verwaltung hinein. Dies ist gewissermaßen die goldene Brücke, um jemandem, der in die Korruption verstrickt ist, den Weg zurück zu erleichtern.
Sie müssen zum Schluß kommen, Herr Kollege Stadler.
Es ist keine echte Kronzeugenregelung. Daß gegen eine solche Bedenken bestehen würden, hat Herr Kollege Kleinert schon dargelegt. Aber es hat Elemente einer solchen Regelung. Mir erscheint das, was wir vorschlagen, praktikabel.
Insgesamt ist der dienstrechtliche Teil des vorgelegten Gesetzentwurfes sicherlich nicht alleine die tragende Säule dessen, was zur Korruptionsbekämpfung insgesamt notwendig ist, aber doch ein wichtiger Mosaikstein.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Waffenschmidt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Recht ist in der bisherigen Debatte gesagt worden: Die Korruption ist ein Krebsgeschwür, und sie muß mit aller Intensität bekämpft werden. Aber mir liegt daran, noch einmal das aufzunehmen, was schon mehrfach ausgesprochen wurde - gerade für das Bundesinnenministerium möchte ich das noch einmal sehr deutlich sagen -: Wir sollten nicht den Eindruck erwecken, als sei die Korruption heute schon in jeder Amtsstube zu Hause. Das ist nicht der Fall.
Darüber sollten wir uns im Interesse der Beamten und Angestellten, der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auch in der Wirtschaft, die treu und gesetzestreu ihre Pflichten erfüllen, einig sein. Gerade wir im Deutschen Bundestag müssen uns für die gesetzestreuen Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst einsetzen und sie auch vor ungerechtfertigtenAnwürfen schützen. Das ist in diesem Zusammenhang unsere Aufgabe.
Es gibt schwere Verfehlungen. Jede ist eine zuviel. Darüber sind wir uns einig, auch nach der Debatte, die heute hier geführt wurde. Darum ist eine noch intensivere Bekämpfung der Korruption notwendig, und darum sollten die sachgerechten Vorschläge, die sich in den verschiedenen Initiativen niederschlagen, in den Ausschüssen jetzt intensiv beraten werden. Sie sollten möglichst bald Gesetz werden.Lassen Sie mich noch einmal zu einem Punkt kommen, den die Opposition vorgetragen hat. Die einseitigen und unsachlichen Angriffe der Opposition, etwa gegen die Bundesregierung und gegen die Koalition, sind mit Nachdruck zurückzuweisen, und zwar aus folgenden Gründen: Alle Bereiche des staatlichen Handelns sind bei der Bekämpfung der Korruption gefordert. Das betrifft nicht nur den Bund, sondern auch Länder und Gemeinden. Im Grunde ist jeder Landesminister, jeder Bürgermeister und jeder Landrat gefordert, gegen die Korruption zu kämpfen. Darin sollten wir uns alle einig sein.
- Auch Sie geht das etwas an. Sie tragen in vielen dieser Bereiche Verantwortung. Diese Schwarzweißmalerei, nur der Bund habe versagt, und wir sähen gar nicht in die anderen Bereiche, bringt doch gar nichts. Wir sollten unsere gemeinsame Verantwortung erkennen. Sie alle wissen doch, was in den verschiedensten Bereichen ansteht.Ich stimme jedem zu, der gesagt hat, das gelte auch für die Wirtschaft; denn es gehören zu diesen Vorgängen meistens mehrere. Dabei ist also auch die Wirtschaft gefordert. Es geht nicht nur darum, eine Ethikkommission oder ein Ethikmanagement zu bilden; vielmehr ist jeder einzelne in seinem Verantwortungsbereich hier gefordert.Lassen Sie mich am Schluß dieser Debatte nur noch wenige Schwerpunkte nennen, von denen ich meine, wir sollten uns einig sein, nämlich daß bei Bund, Ländern und Gemeinden nicht nur durch Gesetze, sondern auch durch die Tätigkeit der Dienstvorgesetzten folgendes erreicht wird: erstens die Sensibilisierung aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst und ihrer Vorgesetzten für die Gefahren der Korruption für die gesamte Gesellschaft, zweitens die strikte Einhaltung der Vergaberegelungen im öffentlichen Beschaffungswesen - auch das geht alle Ebenen staatlichen Handelns an -, drittens - darauf legt Bundesinnenminister Kanther mit seinen Initiativen besonderen Wert - die Rotation auf besonders gefährdeten Dienstposten, wo immer sich das durchführen läßt, viertens ein ganz transparenter Verwaltungsvollzug sowie eine angemessene Kontrolle aller Genehmigungen und Erlaubnisse und Kontrolltätig-
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11234 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1996
Parl. Staatssekretär Dr. Horst Waffenschmidtkeiten. Der öffentliche Dienst kann hier eine Modellfunktion ausüben.Nun wird es in den kommenden Monaten in erster Linie darauf ankommen, alles das, was als geeignet und notwendig angesehen wird, auch umzusetzen. Ich will hier ein Beispiel für unser Ministerium und seinen Geschäftsbereich nennen: Die Planung und Vorbereitung einer Beschaffungsmaßnahme muß beispielsweise streng von der Vergabe des Auftrags getrennt sein, und zwar überall. Darüber hinaus erfolgt derzeit die Bestimmung von Ansprechpartnern für Fragen der Korruptionsprävention in allen Behörden des Geschäftsbereichs des BMI, aber auch in anderen Bundesressorts.Mit Recht wurde hier noch ein Bereich angesprochen, dem ich besonderen Nachdruck verleihen möchte. Die konsequente Anwendung und Fortentwicklung des Nebentätigkeitsrechts der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, insbesondere der Beamten, ist zu gewährleisten. Jeder Verantwortliche und Dienstvorgesetzte muß darauf achten, daß Nebentätigkeiten nicht zu einer Kollision mit den dienstlichen Interessen und Pflichten führen dürfen.Ich denke, meine Damen und Herren, wir können am Schluß dieser Debatte sagen: Wenn alle Verantwortlichen wirklich intensiv zusammenarbeiten - bei der heutigen Debatte ist bereits ein beachtliches Maß an Gemeinsamkeiten zum Ausdruck gekommen -, dann können wir in diesem wichtigen Aufgabenbereich etwas Bedeutsames erreichen. Wir sind alle gefordert. Wir sollten die Zusammenarbeit suchen. Dann können wir bei den Herausforderungen als Deutscher Bundestag in Zukunft sicherlich bestehen.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/3353, 13/5584 und 13/4118 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 19a bis 19e und 19g bis 19q auf:19. Überweisungen im vereinfachten Verfahrena) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 11. Dezember 1995 zur Änderung des Abkommens vom 31. Oktober 1975 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Volksrepublik China über den Zivilen Luftverkehr- Drucksache 13/5291 —Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehrb) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes
- Drucksache 13/5292 -Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitc) Erste Beratung des von der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesozialhilfegesetzes- Drucksache 13/5426 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugendd) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 13. November 1991 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über die Vollstreckung ausländischer strafrechtlicher Verurteilungen- Drucksache 13/5468 —Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuße) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs- Drucksache 13/5585 —Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß Finanzausschußg) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Eigentumsfristengesetzes
- Drucksache 13/5586 —Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebauh) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann und der Gruppe der PDSAusbau statt Neubau der Schleuse Charlottenburg im Projekt 17 der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit- Drucksache 13/2283 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschußi) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Winfried Wolf und der Gruppe der PDS Revision des Drei-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1996 11235
Vizepräsident Hans-Ulrich Klosejahresplans für den Ausbau des Schienenwegenetzes des Bundes in den Jahren 1995 bis 1997- Drucksache 13/2284 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschußj) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Winfried Wolf, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDSEinführung einer Schwerverkehrsabgabe - Drucksache 13/2360 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr
FinanzausschußAusschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Unionk) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Sielaff, Marianne Klappert, Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDErhaltung und Nutzung der biologischen Vielfalt landwirtschaftlicher Nutzpflanzen- Drucksache 13/4985 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeitund Entwicklungl) Beratung des Antrags der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Werner Schulz , Christine Scheel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNENFördergebietsdarlehen für die Erneuerung des Wohnungsbestandes ostdeutscher Eigentümer und für Bauinvestitionen ostdeutscher Gewerbetreibender- Drucksache 13/5000 —Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuß für WirtschaftAusschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschußm) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Sielaff, Marianne Klappert, Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDAbschaffung der Käfigbatteriehaltung von Legehennen in der Europäischen Union- Drucksache 13/5210 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Unionn) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der FinanzenEntlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1995 - Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes -- Drucksache 13/5141 —Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschußo) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der FinanzenEinwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung einer Teilfläche der ehemaligen Wildermuth-Kaserne in Böblingen an das Land Baden-Württemberg- Drucksache 13/5340 —Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschußp) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der FinanzenEinwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung der ehemaligen Bismarck- und Bose-Bergmann-Kaserne in Wentorf bei Hamburg- Drucksache 13/5452 —Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschußq) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der FinanzenEinwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung bundeseigener Grundstücke in Frankfurt am Main, ehemals US-genutztes IG Farben-Hochhausgelände
- Drucksache 13/5470 —Überweisungsvorschlag: HaushaltsausschußEs handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 20a bis 20g sowie den Zusatztagesordnungspunkt 3 auf:20. Abschließende Beratungen ohne Aussprachea) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 16. November 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf demVizepräsident Hans-Ulrich KloseGebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen- Drucksache 13/4791 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
- Drucksache 13/5603 -Berichterstattung: Abgeordnete Elke Wülfingb) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. November 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie bei den Nachlaß-, Erbschaft- und Schenkungsteuern und zur Beistandsleistung in Steuersachen
- Drucksache 13/4903 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
- Drucksache 13/5598 -Berichterstattung:Abgeordnete Carl-Ludwig Thiele Norbert Schindlerbb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung- Drucksache 13/5609 -Berichterstattung:Abgeordnete Dankward Buwitt Dr. Wolfgang Weng Karl DillerOswald Metzgerc) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Post und Telekommunikation zu dem Antrag des Abgeordneten Dr. Manuel Kiper und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENEin ökologischer, sozialer und demokratischer Weg in die Informationsgesellschaft I
- Drucksachen 13/1931, 13/4463 -Berichterstattung:Abgeordnete Elmar Müller
Hans Martin Buryd) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Otto Reschke, Hans Büttner (Ingolstadt),Norbert Formanski, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDÄnderung der Übergangsregelung beim Eigenheimzulagengesetz- Drucksachen 13/4408, 13/5323 -Berichterstattung:Abgeordnete Wolfgang Ilte Gerhard Schulz
e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die BundesregierungDer Binnenmarkt 1995 - Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament- Drucksachen 13/4514 Nr. 2.11, 13/5171 -Berichterstattung: Abgeordneter Ernst Hinskenf) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 137 zu Petitionen- Drucksache 13/5522 -g) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 138 zu Petitionen- Drucksache 13/5523 -ZP3 Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Post und Telekommunikation zu der Verordnung der BundesregierungZustimmungsbedürftige Verordnung zur Telekommunikations-Universaldienstleistungsverordnung
- Drucksachen 13/5495, 13/5550 Nr. 2.4, 13/ 5604 -Berichterstattung:Abgeordnete Elmar Müller
Hans Martin BuryEs handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.Tagesordnungspunkt 20 a - Doppelbesteuerungsabkommen mit Vietnam -: Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/5603, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist, wenn ich es richtig sehe, einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 20 b - Deutsch-dänisches Steuerabkommen -: Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/5598, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -Vizepräsident Hans-Ulrich KloseWer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch dieser Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 20c - Grundsätze für die Postreform III -: Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1931 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion der SPD und der Gruppe der PDS bei Gegenstimmen vom Bündnis 90/Die Grünen angenommen.Tagesordnungspunkt 20 d - Der Binnenmarkt 1995 -: Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4408 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen und der Gruppe der PDS bei Gegenstimmen der SPD-Fraktion angenommen.Tagesordnungspunkt 20 e: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zum Bericht der Europäischen Union zum Binnenmarkt 1995, Drucksache 13/5171 - neu -. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 20f und 20g: Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 13/5522. Das ist die Sammelübersicht 137. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion angenommen.Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 13/5523. Das ist die Sammelübersicht 138. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Gruppe der PDS angenommen.Zusatzpunkt 3: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Post und Telekommunikation zu der zustimmungsbedürftigen Verordnung zur Telekommunikations-Universaldienstleistungsverordnung. - Das muß ich noch einmal wiederholen, wegen der Schönheit: Telekommunikations-Universaldienstleistungsverordnung!
- Das muß man sich merken, wenn man mal beim Scrabble lange Worte bilden will.Das sind - um nun wieder zur Geschäftsmäßigkeit zurückzukehren - die Drucksachen 13/5495 und 13/ 5604. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen - soweit ich gesehen habe, gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe PDS - bei mir nicht völlig klarem Stimmverhalten - -
- Ich nehme das so auf und darf hinzufügen: Die Beschlußempfehlung ist mit etwas verspäteter Zustimmung der SPD angenommen.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 4 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Gruppe der PDSHaltung der Bundesregierung zur tarifvertraglich geregelten Lohnfortzahlung angesichts jüngster Reaktionen von der ArbeitgeberseiteIch eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dr. Knake-Werner, PDS.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PDS hat diese Aktuelle Stunde beantragt, weil wir schon wissen wollen, wie die Bundesregierung den Flächenbrand löschen will, für den sie mit der Kürzung der Lohnfortzahlung die Zündhölzer geliefert hat. Mit Daimler und Siemens haben inzwischen zwei der größten Konzerne in der Bundesrepublik angekündigt, das Gesetz zum 1. Oktober umzusetzen, und zwar trotz entgegenstehender Tarifverträge. Vom kommenden Dienstag an werden Zehntausende Beschäftigte ohne tarifvertraglichen Schutz sein. Anderen nutzt er nichts, weil sich der Tarifvertrag auf das von Ihnen verstümmelte Gesetz bezieht, und wieder andere werden Opfer der unternehmerischen Auslegungsfreudigkeit bestehender Tarifverträge.
- Das noch nicht, aber Sie schaffen es auch noch, daß die Welt untergeht, wenn Sie Ihre Politik so fortsetzen.
Das alles schafft nicht nur drastische Einkommenseinbußen, sondern eine Fülle von Rechtsunsicherheit, die Sie von der Koalition zu verantworten haben. Wenn es nicht so zynisch wäre, dann könnte man Ihnen bescheinigen: Das von Ihnen beschlossene Programm für mehr Beschäftigung wird schon bald Wirkung zeigen, und zwar vor den Arbeitsgerichten. Alle Oppositionsparteien haben Sie vor dieser Entscheidung zur Lohnfortzahlung gewarnt, und wider besseres Wissen haben Sie uns hier und der Öffentlichkeit weismachen wollen, daß Sie mit der Beschränkung der Lohnfortzahlung nicht in geltende Tarifverträge eingreifen wollen. Wenn Sie es denn nicht wollten, was ja der Bundesarbeitsminister nicht müde wird zu beteuern, dann haben Sie sich eben von der F.D.P. und den Arbeitgebern über den Tisch ziehen lassen.
Dr. Heidi Knake-Werner
Es ist ja kein Zufall - das zeigt im übrigen die ganze Verlogenheit der vorausgegangenen Debatte zur Lohnfortzahlung -, daß gestern der Fraktionsvorsitzende der F.D.P., Herr Kollege Solms, die Kündigung der Tarifverträge im öffentlichen Dienst gefordert hat. Sie wollen sich den Konflikt ins eigene Haus holen. Ich hoffe, die Gewerkschaften sind darauf gut vorbereitet.
Nein, meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben dieses Gesetz durchgepeitscht, wohlwissend, daß daraus ein Flächenbrand entsteht, und das Schlimmste ist: Sie zündeln weiter.
Welch ein Zynismus, wenn der Bundeskanzler am Anfang dieser Woche die Tarifpartner auffordert, Augenmaß zu bewahren und keine Vorgehensweise zu wählen, die zu einer Eskalation der Situation beiträgt!
Zynismus ist es deshalb, weil die Regierung erst den Unternehmern den Mund wäßrig macht, indem sie ihnen einen Freibrief zum Einsparen von etwa 9 Milliarden DM Lohnkosten ausstellt, und sich dann öffentlich beklagt - und dazu gehören Sie ja auch -, daß sie die Geister, die sie rief, nicht mehr los wird. Hoffentlich wundern Sie sich nun nicht, wenn die Gewerkschaften ihrerseits so handeln, wie sie handeln müssen, wenn sie nicht tatenlos zusehen wollen, daß nach dem Abbruchbescheid für den Sozialstaat nun auch noch das System der Tarifverträge unter den Hammer gerät.
Übrigens hat niemand anderes die Heuchelei Ihrer Politik besser entlarvt als der Hauptgeschäftsführer des Hessischen Unternehmerverbandes. In einer ddp-Meldung von gestern heißt es:
Fasbender nannte es widersprüchlich,
- das ist ja noch sehr harmlos ausgedrückt -
wenn Bonner Regierungsmitglieder nun vor einer konfliktträchtigen Umsetzung ihres eigenen Gesetzes warnen.
Lassen wir einmal offen, ob Sie bei der Beschneidung der Lohnfortzahlung ein Unternehmergeschenk im Auge hatten oder selbst dem Aberglauben verfallen sind, daß eine Beschränkung der Kaufkraft Arbeitsplätze schaffen kann. Aber an einem Ihrer Motive läßt sich wirklich nicht zweifeln: Sie wollten den Gewerkschaften eine Niederlage bereiten, und dabei haben Sie bewußt einkalkuliert, daß Sie mit dem Angriff auf die Lohnfortzahlung die Gewerkschaften und die Beschäftigten um eine äußerst symbolträchtige soziale Errungenschaft bringen. Ich hoffe, dafür bekommen Sie noch die Quittung.
Eines, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ist gewiß: Das Unternehmerlager kann mit Ihnen zufrieden sein. Das können Sie schon allein an den aktuellen Börsennachrichten ablesen. Gestern meldete die Frankfurter Börse, daß die BASF-Aktien rasant angezogen haben, und die Begründung dazu heißt wörtlich:
Sie profitieren von der Ankündigung, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu kürzen.
Das ist das Ergebnis Ihrer unsäglichen Klientel- und Gefälligkeitspolitik und demonstriert augenfällig wie in fast keinem anderen Fall, wie Ihre Politik unmittelbar dazu führt, Geld aus den Taschen der Beschäftigten in die Taschen der großen Unternehmen und der Vermögenden zu transferieren.
Sie müssen zum Schluß kommen.
Ich komme zu meinem letzten Satz. - Das ist zutiefst unsozial, und die PDS wird all diejenigen unterstützen, die sich gegen diese Politik zur Wehr setzen.
Das Wort hat der Kollege Julius Louven, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich die markigen Worte von Frau Knake-Werner höre, dann kann ich daraus nur den Schluß ziehen, daß Sie mit der Beantragung dieser Aktuellen Stunde ihre Hetze gegen das Lohnfortzahlungsgesetz fortsetzen wollen.
Dieses Gesetz, meine Damen und Herren, greift nicht in tarifvertragliche Regelungen ein.
Die gesetzlichen Änderungen haben somit keine Auswirkungen auf Tarifvertragsregelungen.
Ob die tariflichen Normen deklaratorischer oder konstitutiver Natur sind, ist in jedem Einzelfall eine Frage der Auslegung und somit eine Rechtsfrage, womit sich unter Umständen die Richter auseinandersetzen müssen.
Nun will ich noch einmal zu einer politischen Bewertung dieses Gesetzes kommen. Ich will hier ganz klar sagen: Sinn des Gesetzes, Frau Knake-Werner,
Julius Louven
ist, Betriebe von Kosten zu entlasten, um Beschäftigung zu sichern.
Dabei folgen wir der Philosophie, daß bei Lohnersatzleistungen weniger gezahlt werden muß als bei Arbeit. Genauso klar sage ich, auch an die Adresse der Gewerkschaften, daß es auf Dauer nicht geht, daß wir in Deutschland in dieser Frage ein ZweiKlassen-Recht haben, daß es also diejenigen gibt, die durch Tarifverträge einen Schutz haben, und diejenigen, die den Abzug von 20 Prozent, so wie im Gesetz beschlossen, hinnehmen müssen.
Wir vertrauen dabei auf die Tarifvertragspartner.
Deutschland ist das einzige Land der Welt, in dem es noch eine Lohnfortzahlung von 100 Prozent gibt. In der letzten Woche war eine Delegation des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung in Schweden; verschiedene Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemokratischen Partei waren dabei. Die Schweden haben die Lohnfortzahlung geändert. Sie haben einen Karenztag eingeführt und ab dem nächsten Tag die Lohnfortzahlung von 100 Prozent auf 75 Prozent gesenkt. Dies geschah bereits vor zweieinhalb Jahren.
Die Auswirkungen - Frau Kollegin Lotz kann dies bestätigen - sind: Der Krankenstand in Schweden ist um über die Hälfte gesunken.
Nun reden Sie davon, wirklich Kranke würden bestraft. Auch dazu will ich etwas sagen. Denken Sie bei diesem Vorwurf einmal daran, wie es in der Bundesrepublik Arbeitslosen ergeht. Sie bekommen im Durchschnitt eine Lohnersatzleistung von 63 Prozent und können finanzielle Einbußen nicht durch die Anrechnung von Urlaubstagen wettmachen.
- Ach, was Sie mitgemacht haben, Herr Kollege. - Die Arbeitslosen haben die finanziellen Nachteile sofort hinzunehmen.
Ich will Ihnen, Frau Knake-Werner, noch etwas sagen: Ich habe den Eindruck, daß Sie die Bevölkerung weiter verunsichern wollen. Aber es gelingt Ihnen offensichtlich nicht. Wenn ich mir heute die Stellungnahme der katholischen Kirche anschaue - sie wird ja auch schon mal von Ihnen in Anspruch genommen -, dann wird ganz deutlich, daß auch hier inzwischen ein Umdenken erfolgt. Bischof Homeyer hat auf der Bischofskonferenz erklärt: „Wir müssen unsere Besitzstände auf den Prüfstand stellen lassen."
Er hat betont, da sei nichts zu machen, die jetzt beschnittene Lohnfortzahlung im Krankheitsfall etwa sei ein solcher Besitzstand.
Ich denke, dem ist nichts hinzuzufügen. Wir halten dieses Gesetz für richtig. Wir greifen nicht in Tarifverträge ein, vertrauen aber darauf, daß den Tarifvertragsparteien vernünftige Regelungen einfallen werden.
Herr Kollege Louven, es ist kein Ordnungsruf, sondern nur ein Hinweis, weil es im grauen Bereich liegt. Aber das Wort „Hetze" sollten wir hier im Parlament vermeiden.
- Es ist ein Hinweis. Ich bitte Sie, ihn einfach anzunehmen. Nehmen Sie ihn an, diskutieren wir nicht darüber.
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans Büttner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nationale und internationale Beobachter des deutschen Wirtschafts- und Sozialrechts haben die Stabilität unseres Systems immer mit einem magischen Dreieck begründet. Es beruht auf der Tarifhoheit, die verfassungsrechtlich geschützt ist, dem Arbeitsrecht, das zuverlässig und stabil ist, und einem Kartellrecht, das den Wettbewerb in der Marktwirtschaft sicherstellen soll. Alle wesentlichen Punkte dieses Dreiecks haben Sie in den letzten Jahren deutlich zurückgefahren. Sie haben das Kartellrecht aufgeweicht, das Arbeitsrecht verstümmelt und massiv in die verfassungsrechtliche Tarifhoheit eingegriffen.
Begonnen hat das alles mit der Änderung des § 116 AFG. Jetzt findet es seine Fortsetzung in der Änderung des Lohnfortzahlungsgesetzes.
Jeder von Ihnen, der dieses Gesetz mitbeschlossen hat, konnte, ja mußte wissen, daß auf Grund der normativen Gesetzesinterpretation in unserem Land in Tarifverträge und damit in die Tarifhoheit eingegriffen wird. Tarifverträge regeln bei uns den materiellen Ausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, und zwar auf der Basis des gesetzlichen Rahmens, der bei Abschluß der Tarifverträge gilt.
All das, was über Urlaub, über Lohnfortzahlung in diesen Tarifverträgen geregelt war, haben die Arbeitnehmer mit Heller und Pfennig durch Lohnverzicht bezahlt.
Deshalb ist eine Änderung des gesetzlichen Rahmens während laufender Tarifverträge ohne klare Richtlinie des Gesetzgebers, daß dies nur für künftige Tarifverträge gelten kann, ein eklatanter Eingriff
Hans Büttner
in die Tarifhoheit und in die bestehenden Tarifverträge.
Herr Bundesarbeitsminister, die Krokodilstränen, die Sie und der Kanzler in den letzten Tagen vergossen haben, sind pure Heuchelei
oder aber das Eingeständnis einer schlampigen Gesetzesarbeit, was angesichts des Schweinsgalopps bei der Beratung kein Wunder wäre.
- Das habe ich nicht gesagt.
Wer es mit dem Rechtsstaat und unserer Verfassung ernst nimmt, der muß die Konsequenzen ziehen. Beschließen Sie also die Rücknahme dieses Gesetzes bzw. des Inkrafttretens dieses Gesetzes zu diesem Zeitpunkt! Oder beschließen Sie wenigstens eine glasklare Ergänzung dieses Gesetzes, die den Rahmen dafür geben muß, daß dieses Gesetz nur für neu abzuschließende Tarifverträge gelten kann, aber nicht für bestehende! Warten Sie nicht damit, bis das Bundesverfassungsgericht dies in vier Jahren tun wird, bis in der Zwischenzeit Unruhe in den Betrieben eintritt und unser Rechtsstaat Schaden erleidet!
Die Kollegen der CDU/CSU, die gestern mit tiefer Betroffenheit ihren Unmut und ihre Verärgerung in die Fernsehmikrofone gehaucht haben, fordere ich auf: Lassen Sie sich doch nicht länger von Ihrer Regierung und Ihrer Fraktionsführung als Abstimmungsmaschine mißbrauchen, die im Akkord ohne sorgfältige Beratung schlampige, verfassungswidrige und das Rechtsbewußtsein der Bevölkerung zerstörende Gesetze beschließt,
die das Zusammenleben in unserer Gesellschaft erschweren und den demokratischen und sozialen Konsens in unserer Gesellschaft zerstören.
Ich danke Ihnen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich will einmal versuchen, es zu erläutern. Wenn hier jemand einen anderen Kollegen als Hetzer oder Heuchler bezeichnet, hat das unmittelbar einen Ordnungsruf zur Folge. Wenn von Hetze und Heuchelei die Rede ist, liegt das nach allgemeiner Interpretation unserer Geschäftsordnung im Graubereich.
Ich will aber nicht verhehlen, daß mir diese Art von Debatte und diese Art von Vokabular nicht gefällt, von wem immer es gebraucht wird. Ich glaube auch nicht, daß das Parlament sich einen großen Gefallen tut, wenn es fortfährt, mit diesen Vokabeln zu debattieren.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Gisela Babel, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter anderen Vorzeichen setzen wir jetzt die Debatte über die Senkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall fort. Es geht diesmal nicht um das Gesetz - das haben wir beschlossen und durchgesetzt -, sondern um die Reaktion der Tarifpartner, um die Durchsetzung der Forderung, die Lohnfortzahlung zu senken.
Die Koalition hat bewußt darauf verzichtet, den Tarifpartnern durch Gesetz unmittelbar Schranken zu errichten. Ich habe soeben mit Interesse von Ihnen gehört, Herr Büttner, daß Sie es für zulässig und richtig gehalten hätten, wir hätten für künftige Tarifverträge eine solche Schranke errichtet.
Wir wollen es in die Verantwortung der Tarifpartner legen, sich auf diese Absenkung zu verständigen. Das Gesetz wirkt auf die bestehenden Arbeitsverträge unterschiedlich ein. Wo kein Tarifvertrag besteht, gilt das Gesetz unmittelbar ab 1. Oktober. Wo ein Tarifvertrag die Lohnfortzahlung regelt, muß die Laufzeit abgewartet und neu verhandelt werden. Wo sich der Tarifvertrag auf das Gesetz bezieht, ist es strittig, ob die jeweilige Gesetzesformulierung oder die damals bei Vertragsabschluß bestehende gilt. Wenn nun die Tarifpartner meinen, diese strittige Frage nicht klären zu können - sie könnten sich ja verständigen -, müssen die Gerichte entscheiden. Das ist nicht Aufgabe des Parlaments. Dies zur juristischen Bewertung.
Jetzt komme ich zur politischen Bewertung: Klar ist, daß die Koalition die Lohnfortzahlung nicht auf 80 Prozent abgesenkt haben wollte, damit sie tarifvertraglich auf 100 Prozent festgezurrt bleibt. Der Wirtschaftsstandort Deutschland braucht eine schnelle Kostenentlastung. Dieses Ziel wollen wir erreichen; wir erreichen es aber nur, wenn die Tarifvertragsparteien ihren Gestaltungsspielraum bei der Lohnfortzahlung nutzen. Genau das erwarten wir von den Tarifvertragsparteien - von Arbeitgebern und Gewerkschaften.
Die Änderung des Entgeltfortzahlungsgesetzes ist ein Veränderungsimpuls für die Bundesrepublik Deutschland. Daß er von Mercedes und anderen übernommen wurde, vermerke ich anerkennend.
Wir wollen verändern und nicht den Status quo festschreiben.
Das gilt auch für den öffentlichen Dienst. Der Manteltarifvertrag muß schnell gekündigt werden, um die gesetzlichen Neuerungen durchzusetzen.
Dr. Gisela Babel
Gerade in diesem Jahr macht die Entwicklung deutlich, daß die Tarifautonomie an einem Scheideweg steht.
Offensichtlich sind in den neuen Bundesländern die Tarifverträge für den Baubereich so abgeschlossen worden, daß es zu einer breiten Verbandsflucht gekommen ist. Im Grunde können wir alle das nicht für richtig halten. Auch das ist eine Art Bruch des Tarifvertrages.
Für mich ist das aber nur ein Indiz dafür, daß sich die Tarifautonomie jenseits der Realität bewegt und nicht einhaltbare Abschlüsse hervorbringt. Insofern untergräbt sie sich selbst.
Bei der Lohnfortzahlung wird es ähnlich sein. Vordergründig mag es ein Erfolg der Arbeitnehmervertretung im Einzelhandel sein, die volle Lohnfortzahlung tarifvertraglich durchgesetzt zu haben. Ich sage aber: Das ist ein Sieg mit kurzem Verfallsdatum. Die Arbeitgeber befürchten - zu Recht - auch im Einzelhandel das Einsetzen der massiven Verbandsflucht. Daran kann doch auch die Gewerkschaft kein Interesse haben.
Es ist allerhöchste Zeit, zu einer Tarifpolitik mit Blick für wirtschaftliche Zusammenhänge zurückzukehren, wenn das System an sich Bestand haben soll. Die Tarifpolitik muß mit Blick auf wirtschaftliche Zusammenhänge handeln und Verantwortung für Kostensenkungen übernehmen. Ich sage es noch einmal: Es geht um Arbeitsplätze - um die Sicherung von Arbeitsplätzen in Deutschland und um die Rückkehr von Arbeitslosen an neue Arbeitsplätze.
Bei einem solchen - in hohem Maße auch sozialen - Ziel dürfen sich die Gewerkschaften nicht hinter der Festung der Tarifautonomie einmauern.
Ich appelliere eindringlich: Kommen Sie an den Verhandlungstisch! Nehmen Sie Ihre Verantwortung ernst und schließen Sie entsprechende Vereinbarungen! Die Koalition müßte anderenfalls neu über die Schranken der Tarifautonomie nachdenken
und zwingende Vorschriften erlassen. Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Annelie Buntenbach, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Kanzler und der Bundesarbeitsminister haben sich vor die Presse gestellt und so getan, als käme der harte Kampf um die Lohnfortzahlung völlig überraschend; keiner habe das ahnen können. - Das meinen Sie doch wohl nicht ernst!
Mit der Gesetzesänderung, die in diesem Hause am 13. September endgültig verabschiedet worden ist, haben Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, doch genau diese Situation - Sie wissen das auch - erst geschaffen, und zwar sehenden Auges. Daß die Arbeitgeber so schnell wie möglich versuchen würden, dieses Gesetz mit allen Mitteln in die betriebliche Praxis umzusetzen, war klar. Daß die Kolleginnen und Kollegen das nicht hinnehmen, war ebenfalls klar. Denn schließlich ist der Kern dieses Gesetzes, daß Krankheit, die oft genug ihren Grund in krankmachenden Arbeitsbedingungen hat, bestraft wird,
daß gerade längerfristige Kranke sich auch noch Sorgen machen müssen, weil das Familieneinkommen drastisch absinkt, und daß alle kranken Kolleginnen und Kollegen unter Mißbrauchsverdacht gestellt werden.
Sie wußten genau, daß die volle Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ein Kernpunkt gewerkschaftlicher Identität ist - eine zentrale Errungenschaft, die in einem der schwersten Arbeitskämpfe der Geschichte der Bundesrepublik erkämpft worden ist. Sie haben doch nicht im Ernst geglaubt, daß die Kollegen und Kolleginnen auf dieses wichtige Stück soziale Gerechtigkeit kampflos verzichten. Sie hätten den Hunderttausenden von Menschen, die dagegen auf der Straße protestiert haben, zuhören sollen und sie ernst nehmen sollen, anstatt sich mit der Arroganz der Macht darüber hinwegzusetzen.
Auch hier an dieser Stelle ist immer wieder klar gesagt worden, wie scharf die sozialen Konflikte sein werden. Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, behaupten immer, Sie täten das alles nur für den Standort: die Entlastung der Besserverdienenden, die Belastung des unteren Drittels, die Einschnitte ins Arbeitsrecht, die Durchlöcherung sozialer Sicherungen. Alles soll billiger, flexibler und reibungsloser werden.
Aber Sie gehen den grundfalschen Weg, und Sie haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die Auseinandersetzung, die jetzt kommt und die Sie provoziert haben, wird in jeder Beziehung ungemein teuer: für die Volkswirtschaft insgesamt, für den sozialen Frieden, für die einzelnen Betriebe und für die Kolleginnen und Kollegen und ihre gewerkschaft-
Annelie Buntenbach
liche Vertretung. Sie produzieren ein völliges Standortchaos.
Denn Sie haben doch den Arbeitgebern mit Ihrem Gesetz überhaupt erst die Möglichkeit gegeben und sie ermutigt, jetzt in die Offensive zu gehen und zu versuchen, die Kürzung der Lohnfortzahlung durchzusetzen. Mit allen legalen und illegalen Mitteln - bis hin zum offenen Tarifbruch - wird das versucht.
Natürlich - das geht an Ihre Adresse, Herr Louven - greifen Sie in die Tarifautonomie ein, wenn Sie die Rahmenbedingungen so verändern, wie Sie sie verändert haben. Sie haben ein echtes Tarifchaos produziert.
- Doch! - Alle Tarifverträge haben sich auf das Gesetz zur Lohnfortzahlung gestützt; in den einen sind die 100 Prozent festgeschrieben, und in den anderen wird auf das Gesetz verwiesen. Denn zu dem Zeitpunkt, als diese Tarifverträge ausgehandelt worden sind, konnte kein Mensch wissen, daß es nötig sein würde, die 100 Prozent jenseits des Gesetzes explizit festzuschreiben. Sie haben damit eine Ungleichbehandlung und ein Durcheinander geschaffen, das erst nach jahrelangen Arbeitsgerichtsprozessen juristisch geklärt werden wird - höchstwahrscheinlich zugunsten der betroffenen Kolleginnen und Kollegen, denen das Jahre später aber nichts mehr nutzen wird.
Sie haben dieses Chaos angerichtet, in dem jetzt der Tarifbruch blüht. Es ist auch Ihre Verantwortung, das wieder zu unterbinden. Mit diesem Gesetz haben Sie dafür gesorgt, daß die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall in den nächsten Jahren immer wieder zu gesellschaftlichen Auseinandersetzungen führen wird. Die Menschen werden auf dieses Stück soziale Gerechtigkeit nicht kampflos verzichten, und sie werden den Tarifbruch nicht hinnehmen. Das ist auch gut so, und wir werden sie dabei unterstützen.
Wenn sich die Bundesregierung bei ihren Aufrufen zum sozialen Frieden und gegen den Bruch der Tariverträge nicht dem Vorwurf der Heuchelei aussetzen will, dann müssen Sie das einzig Sinnvolle tun und dieses Gesetz wieder zurücknehmen.
Das Wort hat Herr Bundesminister Bohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu diesem Thema in der Aktuellen Stunde für die Bundesregierung zehn Feststellungen treffen.
Erstens. Im „Bündnis für Arbeit und Standortsicherung", auf das sich am 23. Januar 1996 die Bundesregierung, Wirtschaft und Gewerkschaften verständigt haben, ist vereinbart worden, daß die Sozialpartner in gemeinsamen Gesprächen Möglichkeiten zur Verringerung von Fehlzeiten in den Betrieben suchen.
Von Wirtschaft und Gewerkschaften ist also im Hinblick auf die Fehlzeiten in den Betrieben Handlungsbedarf anerkannt worden.
Zweitens. Als man am 23. April wieder zusammenkam, war das Ergebnis Null. Warum auch immer - ich habe die Ursachen hier nicht zu bewerten -, die Sozialpartner waren nicht in der Lage, auf diesem wichtigen Feld innerhalb von drei Monaten einen vorzeigbaren Fortschritt zu bewirken.
Drittens. Deshalb mußte die Bundesregierung handeln. Die Lohnfortzahlung stellt immerhin einen Kostenblock von rund 60 Milliarden DM dar.
Dieser darf angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage, in der wir uns befinden, kein Tabu sein. Wir waren und sind der Auffassung, daß sich Arbeit mehr lohnen muß als Nicht-Arbeit und daß derjenige, der nicht handelt, die wirtschaftliche und soziale Zukunft unseres Landes untergräbt und damit letztlich auch Arbeitslosen schadet.
Viertens. Im Aktionsprogramm für mehr Wachstum und Beschäftigung wurde daher am 25. April, also zwei Tage später, die gesetzliche Neuregelung angekündigt, die dann am 13. September vom Deutschen Bundestag mit 341 Stimmen, also allen Stimmen der Koalition, endgültig beschlossen wurde.
Fünftens. Einerseits gab es in der Bundesrepublik Deutschland schon immer gesetzliche Bestimmungen zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Diese sind jetzt geändert worden. Auf der anderen Seite gibt es seit Jahrzehnten tarifvertragliche Vereinbarungen, die auf dem Günstigkeitsprinzip beruhen. In Tarifverträge darf nicht eingegriffen werden. Dies war und bleibt die Grundlage der gesetzlichen Neuregelung. Wir sind damals im April bei unseren Gesprächen informiert worden, daß 20 Prozent der Arbeitnehmer von solchen gesetzlichen Regelungen nicht betroffen seien, daß also für 80 Prozent der Arbeitnehmer eine tarifvertragliche Regelung bezüglich der vollen Lohnfortzahlung gegeben sei. Auf Grund dieser Zahlen ist seinerzeit auch die eine oder andere kritische Anmerkung aus dem Arbeitgeberlager an uns, die Koalition, ergangen, daß die vorgesehene Neuregelung nicht weit genug gehe.
Bundesminister Friedrich Bohl
Sechstens. Bestehende Tarifverträge sind einzuhalten. So wird die Bundesregierung selbstverständlich die Entgeltfortzahlungsregelung des Bundesangestelltentarifvertrages ungeachtet der gesetzlichen Neuregelung anwenden, bis sie durch andere vertragliche Abmachungen ersetzt ist.
Siebtens. Um keine Zweifel aufkommen zu lassen: Die Bundesregierung hält die Absenkung der Lohnfortzahlung für wirtschaftlich geboten und wird sie in ihrem Zuständigkeitsbereich, nämlich im öffentlichen Dienst, auch realisieren.
Sie erwartet allerdings, daß dieses Ziel auf rechtlich gesichertem Boden vollzogen wird. Wo also Tarifverträge die Absenkung auf 80 Prozent nicht hergeben, muß, wie im öffentlichen Dienst, der beschwerliche Weg der Kündigung der Tarifverträge und deren Neuverhandlungen gewählt werden.
Wo es keine klaren tariflichen Bestimmungen gibt, mag die Beschreitung des Rechtswegs unumgänglich sein. Dafür trägt dann aber in unserem Rechtsstaat nicht die Bundesregierung die Verantwortung. Dies müssen sich die Tarifvertragsparteien zurechnen lassen.
Achtens. Ich wiederhole den Appell des Bundeskanzlers vom Montag dieser Woche an die Tarifvertragsparteien, Augenmaß zu bewahren und keine Vorgehensweise zu wählen, die die Situation eskalieren läßt und zu wirtschaftlichen Schäden führen kann.
Neuntens. Die Neuregelung gibt den Tarifpartnern die Verantwortung für die Entgeltfortzahlung ein Stück weit zurück. Unser Respekt vor der Tarif autonomie geht mit der Erwartung an die Tarifparteien einher, den erweiterten Regelungsspielraum auch durch intelligente und tragfähige Lösungen auszufüllen.
Wo Neuverhandlungen anstehen, sollten die Tarifvertragsparteien zum Konsens fähig sein. So läßt sich denken, Sonderzahlungen in Abhängigkeit von der Anwesenheit zu staffeln. In der chemischen Industrie - wiederum erweisen sich die Sozialpartner dieses Wirtschaftszweiges als Ideengeber für andere - gibt es dafür zumindest interessante und diskussionswürdige Ansätze.
Zehntens. Die Welt hat sich nicht nur politisch grundlegend verändert; die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für unser Land ändern sich ebenfalls dramatisch. Die Sozialpartner müssen dies erkennen. Der Verantwortung, die ihnen unsere Gesellschaftsordnung zuweist, müssen sie gerecht werden. Alle Beteiligten müssen ihren Beitrag leisten, damit in unserem Land mehr Wachstum, mehr Beschäftigung und weniger Arbeitslose Wirklichkeit werden.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Peter Dreßen, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen von der PDS, wir sind in der Kritik an den nun durchgedrückten Änderungen bei der Lohnfortzahlung zumeist einer Meinung gewesen, und wir haben auch Verständnis für diese aktuelle Debatte. Nachdem ich jetzt gerade die Reden gehört habe, erscheint es mir dringend notwendig, darüber zu reden;
denn wenn man in der Tarifpolitik nur einseitig darüber nachdenkt, wie man die Arbeitnehmer beschneiden kann, und auf der anderen Seite überhaupt nicht nachfragt, dann frage ich mich, was das eigentlich für eine Art von Verhandlungen ist.
Von der Regierungsseite wird ja alles kritisiert, was die Tarifparteien in der Vergangenheit gemacht haben: zu kurze Arbeitszeit, zu langer Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle. Das alles soll schlecht sein. Wenn diese Regierung die Lohn- und Tarifverhandlungen geführt hätte, dann würde es in Deutschland so aussehen, daß wir wahrscheinlich 60 Stunden Arbeitszeit in der Woche, vielleicht zehn Tage Urlaub im Jahr hätten, im Krankheitsfall 50 Prozent Lohnfortzahlung bekämen. Also, auf de n Staat verzichte ich gern, Frau Babel. Da bin ich heilfroh, daß Sie in Ihren Reihen nicht die Macht haben, da etwas zu verändern.
Gerade haben wir den Herrn Minister gehört. Auch da zog sich das wie ein roter Faden durch: Die Arbeitnehmer sollen überall bluten. Aber fragen Sie doch einmal, was für Möglichkeiten die Betriebsräte haben, unfähige Manager zu entlassen.
Fragen Sie doch mal, welche Möglichkeiten die Betriebsräte haben, wenn inländische Tochterfirmen ausgeraubt werden und sie ihre Arbeitsplätze verlieren. Was haben sie denn da für Möglichkeiten? Denken Sie doch einmal darüber nach, wie Sie den Betriebsräten da helfen können, anstatt hier immer wieder neue Dinge aufzumachen und danach zu fragen, wie man das eine oder andere lösen kann.
Frau Babel, bei der ganzen Geschichte, die Sie vorgebracht haben, frage ich mich, ob Sie überhaupt noch auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Wir sind uns doch, glaube ich, einig, daß die Tarifautonomie im Grundgesetz verankert ist. Wenn ich so höre, wie Sie hier so nonchalant praktisch den Inhalt benennen, wie Sie da Veränderungen wollen, dann
Peter Dreßen
frage ich mich wirklich, ob Sie noch auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, ob Sie nicht überlegen müßten, ob Sie im Parlament noch den richtigen Platz haben.
Wenn man also hört, daß die Tarife jenseits der Realität sind, dann frage ich mich, wie es aussehen würde, wenn Ihre Realität durchkäme. Sie, Herr Louven, und die CDU kommen mir nach der Verabschiedung dieses Gesetzes und nachdem es jetzt draußen Schwierigkeiten gibt, vor wie jemand, der nach dem Motto lebt: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß! Lassen wir die da draußen mal streiten; sagen wir auch, wir sind für die Tarifautonomie. - Aber in Wirklichkeit wollen Sie eine ganz andere Republik. Das ist es, was ich Ihnen vorwerfe, daß Sie hier etwas ganz anderes im Schilde führen.
Natürlich müssen wir feststellen, daß es Tarifverträge gibt, wo die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle durchaus zulässig ist, aber wir wissen auf der anderen Seite auch, daß es hieb- und stichfeste Tarifverträge der Metallindustrie gerade in Baden-Württemberg gibt, die eben die Lohnfortzahlung festschreiben. Deswegen wundere ich mich, was Daimler-Benz jetzt mit seinen Beschäftigten anstellt. Da kann ich den Betriebsratsvorsitzenden Karl Feuerstein nur unterstützen, wenn er mit allen Mitteln dagegen vorgeht, um hier Rechtsbruch zu verhindern. Was würden Sie eigentlich den Gewerkschaften sagen, wenn die sich so verhalten würden, wie das zur Zeit die Arbeitgeber tun?
Was würden Sie denen vorwerfen? Rechtsbruch wäre wahrscheinlich der kleinste Vorwurf, der kommen würde. Das wäre der kleinste.
Das Erschreckendste an all diesen Ereignissen ist, wie gesagt, dieser offene Vertragsbruch. Ich habe mich gewundert, wie so etwas hier gemacht wird und wie man in dieser Geschichte verfährt.
Ich will Ihnen nur sagen: Nach dem unendlichen Geschrei, wie das Motto hier immer wieder heißt, der Standort sei in Gefahr, deswegen müßten wir diese Dinge machen, frage ich mich immer wieder, wie weit eigentlich Ihre Hemmschwelle nach unten geht, um das eine oder andere zu machen. Ich frage mich eigentlich auch, wer das Land regiert,
wenn ich sehe, wie die Arbeitgeber Sie beeinflussen und wie Sie das alles treu und brav tun.
Im übrigen ist der Einwurf des Kanzlers zu dieser Geschichte unredlich. Was hier im Arbeitgeberlager zum Ausdruck kommt, ist das Ergebnis einer einseitigen geistig-moralischen Wende. Hier kämpft einer gegen die Geister, die er selber gerufen hat.
Von Moral keine Spur, weder bei den Standortstrategen noch bei den Erfüllungsgehilfen in der rechten Hälfte des Hauses. Sie wollen diese Republik verändern. Notfalls wird auch die Tarifautonomie gekippt, wie wir von Frau Babel gehört haben. Die Krokodilstränen des Kanzlers und seines Arbeitsministers dienen nach meiner Auffassung einer reinen Verschleierungstaktik.
Das Wort hat der Kollege Dr. Ramsauer, CDU/CSU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn wirklich der Flächenbrand herrschen würde, von dem hier dauernd die Rede ist, wenn wirklich der soziale Kahlschlag im Gange wäre, der dauernd prognostiziert wird, dann hätte das Thema Lohnfortzahlung hier wahrlich eine größere Präsenz der Opposition verdient, zumal die Aktuelle Stunde von dort beantragt worden ist.
Es tut mir leid, daß Herr Scharping jetzt gegangen ist. Nach seinen Einlassungen neulich hätte mich interessiert, wie die Lohnfortzahlung für Arbeitnehmer in Mexiko geregelt ist. Das wäre einmal etwas, womit er die deutsche Öffentlichkeit überraschen könnte.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal unterstreichen, um was es uns als Gesetzgeber bei dieser Neuregelung gegangen ist.
Wir wollten nicht in Tarifverträge eingreifen. Die Neuregelung sollte dort sofort gelten, wo überhaupt keine Tarifverträge bestehen oder es zwar Tarifverträge gibt, in denen aber in bezug auf die Lohnfortzahlung nur deklaratorische Regelungen getroffen sind.
Wenn jetzt das Arbeitgeberlager reagiert, dann tut es nichts anderes als die neu gegebenen Spielräume im Gesetz auszunutzen.
Das erwarten wir als Gesetzgeber auch. Wir haben die Kanzlermehrheit eingesetzt, um das durchzusetzen. Das haben wir doch nicht aus Jux und Tollerei getan. Nein, hier werden jetzt neue Spielräume genutzt.
Dr. Peter Ramsauer
Die Spielräume sind in den Tarifverträgen gegeben. Weil es gegebene Spielräume sind, werden zunächst Tarifverträge auch nicht gekündigt.
Wenn solche Spielräume nicht gegeben sind, dann gibt es die Möglichkeit, daß die entsprechenden Tarifverträge gekündigt werden müssen.
Dann gibt es immer noch § 4 Abs. 5 des Tarifvertragsgesetzes mit der Nachwirkung der bestehenden Regelungen. An dieser Bestimmung im Tarifvertragsgesetz wird nicht gerüttelt.
Hier sitzt ohnehin das Arbeitnehmerlager am viel längeren Hebel.
Jetzt möchte ich etwas anderes aufgreifen. Frau Knake-Werner hat von einem Flächenbrand geredet. Sie hat davon geredet, daß Arbeitnehmer jetzt schutzlos der Willkür der Arbeitgeber ausgeliefert seien, und ähnliche Szenarien dargestellt. Sie tun immer so, als ob mit dieser gesetzlichen Neuregelung der Lohnfortzahlung das abgeschafft würde, was 1957 mit dem 16wöchigen Streik in Schleswig-Holstein geschaffen worden ist.
Ich will Ihnen zur Auffrischung des zeitgeschichtlichen Wissens einmal vorlesen, was damals, 1957, erstreikt worden ist:
Im Fall der Arbeitsunfähigkeit erhält ein Arbeiter vom vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit an, das heißt nach drei Karenztagen, eine Geldleistung in Höhe von 90 Prozent seines Nettolohns.
Diese setzt sich zusamamen aus einem Krankengeld, ausgezahlt von den Krankenkassen, in Höhe von 50 Prozent und einem Arbeitgeberzuschuß von 40 Prozent, der tarifvertraglich zugesichert wurde.
Das Ganze war je nach Betriebszugehörigkeitsdauer des Arbeitnehmers auf drei bis vier Wochen beschränkt.
Meine Damen und Herren, das ist doch immer noch weniger an Schutz als jetzt nach Neuregelung mit der Fortzahlung von 80 Prozent des Lohnes.
Sie tun immer so, als ob das Kapitalismus pur wäre, sozialer Kahlschlag, Abbau und Ruin des Sozialstaats.
- Überhaupt nicht! Sie und Ihre Kollegen in den Gewerkschaften draußen tun immer so, als ob wir damit beseitigen würden, was 1957 erstreikt worden ist.
Nein, wir haben jetzt immer noch bessere Lohnfortzahlungsbedingungen als damals.
Sie wollen doch nicht behaupten, daß es 1957 in Deutschland keinen Sozialstaat gegeben habe.
Meine Damen und Herren, natürlich müssen alle Seiten jetzt die gegebenen Spielräume verantwortlich nutzen und dürfen keinen Amoklauf machen. Ich habe in den letzten Wochen interessiert verfolgt, wo der DGB wieder überall anpackt. Die Lohnfortzahlungskiste reicht nicht. Jetzt wird auch mit Demonstrationen vor Arbeitsämtern gegen das Arbeitsförderungs-Reformgesetz vorgegangen.
Was fällt Ihnen denn noch alles ein, wo Sie bremsen können? Sie sind die Oberbremser der Nation.
Wer glaubt, mit einer 100prozentigen Lohnfortzahlung in eine Richtung weiterfahren zu können, in die in Europa niemand mehr fährt, wo vielmehr alle in die andere Richtung fahren, ist ein sozialpolitischer Geisterfahrer. Das paßt nicht mehr in die Landschaft eines globalen Wettbewerbes.
Meine Damen und Herren, deswegen rufe ich alle in diesem Hause auf, mit den Aufgeregtheiten aufzuhören, zur sachlichen Basis zurückzukehren, die sozialpolitischen und die tarifrechtlichen Gegebenheiten anzuerkennen und die Leute nicht verrückt zu machen, damit wir Ruhe an diese Front bekommen.
Die deutschen Arbeitnehmer haben nämlich die Panikmache satt, die die Opposition hier betreibt.
Besten Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Gysi, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ramsauer, Sie haben eben gesagt, die Gewerkschaften in dieser Gesellschaft seien die Oberbremser der Nation.
- Nein, Sie haben damit die Gewerkschaften gemeint und deren Demonstrationen vor Arbeitsämtern und anderen Gebäuden. Sie haben eindeutig auf die Gewerkschaften gezielt.
Dazu erwidere ich folgendes: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind immer noch diejenigen, die in dieser Gesellschaft den Reichtum produzieren. Sie und ihre Interessenvertretung zu beschimpfen steht Ihnen einfach nicht zu, weil Sie von diesem Reichtum profitieren.
- Das mache ich auch nicht. Gegen Ihren Vorschlag, den Sozialismus wieder einzuführen, habe ich überhaupt nichts, sofern wir uns auf einen demokratischen Sozialismus verständigen. Ein undemokratischer, diktatorischer Sozialismus kommt für mich allerdings nie wieder in Frage.
Sie haben davon gesprochen, daß mit dem Gesetz zu keinem Zeitpunkt geplant gewesen sei, in Tarifverträge einzugreifen.
Aber wer hätte Sie denn daran gehindert, trotz dieses schlechten Gesetzes eine Klausel aufzunehmen, die klar festlegt, daß diese Regelung - wenn überhaupt - ihren Niederschlag nur in neuen Tarifverträgen finden darf und in bisherige nicht eingreift? Das hätten Sie doch gesetzlich regeln können. Indem Sie das nicht geregelt haben, haben Sie den Arbeitgebern ausdrücklich den Freibrief ausgestellt, den sie jetzt nutzen.
Deshalb ist es einfach nicht ehrlich, daß Sie gleichzeitig so tun, als hätte gar nicht die Absicht bestanden, in Tarifverträge einzugreifen.
Noch etwas: Vielleicht haben der Bundeskanzler und auch der Bundesarbeitsminister tatsächlich einen Schreck bekommen über die Art der Eskalation. Wenn sie aber am Montag die Arbeitgeber zur Mäßigung aufrufen und einen Tag später die großen Konzerne mitteilen,
daß sie das überhaupt nicht interessiert, sondern völlig unabhängig von dem, was in den Tarifverträgen steht, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ab dem 1. Oktober reduzieren, dann machen die etwas, das ich schon ganz spannend finde: Die führen nämlich den Bundeskanzler am Nasenring durchs Land und sagen: Ihr habt uns den Freibrief gegeben, jetzt nutzen wir ihn auch; eure Mahnungen könnt ihr euch sonstwohin stecken.
So sieht im Augenblick die gesellschaftliche Realität aus: Die Arbeitgeber sind völlig außer Rand und Band und glauben, sie könnten sich jetzt alles erlauben. Würden die Gewerkschaften an dieser Stelle nicht die Notbremse ziehen, hätten sie künftig in Tarifverhandlungen und anderen Auseinandersetzungen gar keine Chance mehr.
Eines sei auch ganz deutlich gesagt: Wenn Tarifverträge gekündigt oder gebrochen werden, besteht keine Friedenspflicht mehr. Und kommen Sie dann hinterher nicht mit Aufrufen an die Gewerkschaften, sie sollten zur Deeskalation beitragen. Denn wenn die anderen eskalieren, muß auch die Gewerkschaft das Recht haben, sich zu wehren. Anders kann sie ihre Aufgaben nach dem Grundgesetz und ihrer Stellung in der Gesellschaft überhaupt nicht erfüllen.
Sie haben darauf hingewiesen, daß es eine hundertprozentige Lohnfortzahlung nur in Deutschland gebe. Das ist natürlich falsch; es gibt sie auch in Österreich. Sie haben darauf hingewiesen, daß die Kürzung der Lohnfortzahlung in Schweden den Krankenstand halbiert habe. Es ist interessant, wie Sie sich die Zahlen aus der Welt zusammensuchen, die Sie gerade gebrauchen können. Nur müssen Sie dann folgendes hinzufügen: Der Krankenstand in Schweden betrug 9 Prozent und ist auf 5 Prozent reduziert worden. Bei uns beträgt er schon jetzt nur 4 Prozent. Auf welches Niveau wollen Sie ihn denn noch reduzieren?
Wissen Sie, was dahintersteckt? Das ist die Hoffnung, daß Kranke immer noch zur Arbeit gehen, weil sie sich die Reduzierung der Lohnfortzahlung nicht leisten können. Das ist wirklich zutiefst inhuman.
- Das ist „Blödsinn"? Dann erklären Sie mir doch einmal bitte, warum Sie nicht wenigstens für Schwangere eine Ausnahmeregelung vorgesehen und gesagt haben, daß sie im Krankheitsfalle 100 Prozent Lohnfortzahlung bekommen.
Dr. Gregor Gysi
Was erwarten Sie von Schwangeren? Daß sie sich krank zum Arbeitsplatz schleppen? Was Sie hier verabschiedet haben, das ist doch einfach indiskutabel.
Wenn Sie keinen Eingriff in die Tarifautonomie wollen, aber Ihre 80 Prozent beibehalten möchten, frage ich Sie: Warum bauen Sie die Klausel, von der ich eben gesprochen habe, nicht nachträglich ein? Wenn es wirklich nicht in Ihrer Absicht liegt, sich in laufende Tarifverträge einzumischen, dann hätten Sie fast heute noch die Möglichkeit, das sofort wieder einzufügen. Wir können ganz schnell in den Ausschüssen beraten und hier eine entsprechende Ergänzung verabschieden.
Sie greifen die mangelnde Präsenz auf der Oppositionsseite an. Wir sind auf jeden Fall mehr als Sie. Wir können gleich noch mal über das Lohnfortzahlungsgesetz abstimmen - dann ist es weg.
Das geht in der Aktuellen Stunde aber leider nicht. Soweit kenne ich mich in der Geschäftsordnung noch aus.
Ich sage aber auch etwas an die Adresse der Grünen und der SPD. Ich habe an die Vorstände beider Fraktionen geschrieben. Ich halte dieses Gesetzespaket in beachtlichen Teilen für grundgesetzwidrig. Ich meine, daß ein Drittel der Abgeordneten des Bundestages durchaus in der Lage wäre, ein Normenkontrollverfahren einzuleiten. Wir könnten sofort eine einstweilige Anordnung beantragen, das Gesetzgebungsverfahren auszusetzen, bis in der Hauptsache entschieden ist. Ich weiß nicht, wie entschieden wird. Ich glaube aber, es wäre für die Gewerkschaften und für die Belegschaften eine Hilfe, dagegen nicht einfach nur Stellung zu beziehen. Man sollte zwar nicht bei jeder gesetzlichen Regelung weitergehende Maßnahmen ergreifen; aber hierbei geht es um eine ganz wichtige Regelung, bei der die Rahmenbedingungen der Bundesrepublik Deutschland verändert werden. Das sollte man nicht einfach hinnehmen.
Sie müssen zum Schluß kommen.
Da sollten Sie nicht auf den langwierigen Gerichtsweg verweisen. Wir könnten gleich etwas unternehmen.
Sie sind am Schluß Ihrer Redezeit, dürfen aber noch einen Satz sagen.
Gut, Herr Präsident. - Ich hoffe, daß Sie Ihre vielfältigen Beziehungen zu den Arbeitgeberverbänden nutzen, um sie endlich zur
Räson zu bringen; sonst bekommen Sie eine andere Bundesrepublik Deutschland, die nicht mal Sie selbst wollen können.
Herr Kollege Dr. Ramsauer, „Fälschung" hätte ich durchlaufen lassen müssen; „Fälscher" kann ich nicht akzeptieren.
- Sie fragen so dezidiert nach - ich wollte das offenlassen -: Das heißt, daß Sie damit einen Ordnungsruf bekommen haben.
- Es tut mir außerordentlich leid, diskutieren Sie mit mir darüber nicht, Herr Dr. Ramsauer. Das Prinzip ist klar: Wenn eine abwertende Bemerkung auf die Person zielt, ist sie nicht akzeptabel; wenn eine sachliche Darstellung zum Beispiel mit dem Substantiv „Fälschung" erfolgt, läuft sie nach den Regeln durch.
Jetzt hat das Wort Herr Bundesminister Blüm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Gysi, Sie haben heute ein Plädoyer für Gewerkschaftsrechte gehalten. Lieber Herr Gysi, angesichts des Verhältnisses der SED zu freien Gewerkschaften möchte ich sagen:
Das ist so, als würde die Fleischerinnung eine Aktionswoche für Vegetarier veranstalten wollen.
Doch! Da muß ich einmal an die Unterdrückung der freien Gewerkschaften in der DDR erinnern. Nicht „hör auf" ! Sozialdemokratische Gewerkschafter sind ins Gefängnis gewandert.
Darin unterscheiden wir uns von diesem Staat, Gott sei Dank. Ich wollte das nur klarstellen.
Ich möchte zu zwei Punkten Stellung nehmen: zur Sache selber und zu den Spielregeln.
Zur Sache selber. Die Einschränkung der Lohnfortzahlung halte ich für einen maßvollen Beitrag zum Umbau des Sozialstaates. Angesichts der Veränderungsnotwendigkeiten, die ins Haus stehen, ist es ein bescheidener Beitrag. Rund 1,5 Billionen DM beträgt die Lohnsumme. Die Lohnfortzahlung macht 60 Milliarden DM aus, und die Kürzungen können die Arbeitnehmer darüber hinaus durch Einsetzen von Urlaub verhindern.
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Herr Dreßen, von wegen „ausbluten" - bleiben Sie doch mal ein bißchen in der Nähe der Realität! Das Lohnfortzahlungsgesetz ist ein Unikum. Es ist doch im Sinne unseres Sozialstaates, daß es einen Abstand zwischen Lohn und Lohnersatz geben muß. Das halte ich für ein Gebot unseres Sozialstaates - auch, um ihn vor Mißbrauch zu schützen. Wenn kein Anreiz zur Arbeit besteht, wenn sich die Arbeit nicht mehr rentiert, dann brauchen Sie den Kontroll- und Polizeistaat. Den wollen wir nicht. Deshalb halte ich es für den Ausdruck einer freiheitlichen, solidarischen Gesellschaft, einen Abstand zu halten.
In diesem Pulverdampf der Auseinandersetzung geht das ganz unter: Die Einkommenseinbußen durch Einschränkung der Lohnfortzahlung können durch den Einsatz von Urlaubstagen ausgeglichen werden.
Selbst wenn man für sechs Wochen Lohnfortzahlung sechs Urlaubstage einsetzt, hat man noch immer mehr Urlaub als in den meisten anderen Ländern der Erde, auch mehr als in Mexiko, das stimmt; die haben dort nur 12 Tage Urlaub. Dann sind wir hinsichtlich der Menge des Urlaubs auf dem Status von 1976 angekommen. Selbst wenn wir sechs Tage einsetzen, ist die durchschnittliche Länge des dann noch verbleibenden Urlaubs auf dem Niveau von 1976. Das können Sie ja nicht zu einer schlechten Zeit erklären; das war die sozialliberale Zeit. Damals gab es sechs Tage weniger Urlaub. Selbst wenn sechs Tage für den Ausgleich eingesetzt werden, ist der dann verbleibende Resturlaub auf dem Niveau des Jahres 1976. Also lassen Sie die Kirche im Dorf; lassen Sie uns über einen - ich sage: maßvollen - Umbau reden. Ich vertrete hier ja nicht die Hausputzabteilung.
Zum zweiten Punkt. Die Tarifautonomie ist ein hohes Gut. Sie ist verfassungsrechtlich geschützt. Sie verdanken wir der klugen Erkenntnis, daß der Staat nicht alles regeln kann. Das haben wir klar in unserem Gesetz zum Ausdruck gebracht. Was sollen wir denn sonst noch regeln? Sollen wir hinten in das Gesetz hineinschreiben, daß das Gesetz gilt? Oder sollen wir in das Gesetz hineinschreiben, welcher Tarifvertrag deklaratorisch und welcher konstitutiv ist? Das ist das einzige, was Sie noch tun könnten. Sollen wir jetzt Hunderte, Tausende von Tarifverträgen im Gesetz aufführen und sagen, welche von ihnen deklaratorisch und welche konstitutiv sind?
Es ist über jeden Zweifel erhaben - dazu stehen wir -, daß mit der Einschränkung der Lohnfortzahlung kein Eingriff in die Tarifautonomie verbunden ist.
Es gibt drei Fallgruppen.
Erstens. Wo es keinen Tarifvertrag gibt, gilt das Gesetz unmittelbar. Dann kann zur Kompensation natürlich auch ein Urlaubstag eingesetzt werden.
Zweitens. Dort, wo der Tarifvertrag deklaratorischen Charakter hat, gilt das Gesetz ebenfalls.
Drittens. Dort, wo der Tarifvertrag konstitutiven Charakter hat, muß gekündigt werden.
Lieber Herr Kollege Dreßen, die Kündigung ist ein ordentliches Instrument der Tarifautonomie. Sie können doch in bezug auf den Tarifvertrag nicht der Meinung sein, daß ein einmal beschlossener Tarifvertrag für alle Zeiten gilt.
Das Instrument der Kündigung gibt es seit eh und je. Eine Kündigung, Herr Dreßen, kann ja nicht nur dann erlaubt sein, wenn draufgesattelt werden soll. Wenn ich Ihre Philosophie richtig verstanden habe, dann besagt sie, daß man nur dann kündigen darf, wenn man Mehrleistungen anbietet. Das wäre allerdings ein sehr einseitiges Kündigungsrecht. Das würde auch den Tarifvertrag unbeweglich machen. Das wäre ein Abschied von jeder Veränderung in unserer Gesellschaft. Damit würde man sozusagen unsere Gesellschaft in Zement gießen.
Denen, die das Wort „ausbluten" und all die anderen großen Worte benutzen, sage ich: Es geht um das Recht.
Dort, wo es keinen Tarifvertrag gibt - ich wiederhole mich -, gilt das Gesetz unmittelbar. Dort, wo der Tarifvertrag nur deklaratorisch ist, sich also auf das Gesetz bezieht, gilt das Gesetz. Dort, wo der Tarifvertrag eigenständige Regelungen vorsieht, gilt er. Dort können nur durch Kündigung - das will ich ausdrücklich betonen - die neuen Spielräume der Veränderung gewonnen werden.
- Ja, auch ich bin dagegen, daß die Arbeitgeber dort etwas machen, wo sie es nicht können, und daß sie dort, wo sie etwas machen können, nichts machen. Das finde ich inkonsequent.
In der Tat, die Instrumente sind vorhanden. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, getreu unserem den Sozialpartnern gegebenen Wort. Am 23. April haben wir in einem Gespräch mit den Sozialpartnern die Einschränkung der Lohnfortzahlung angekündigt und haben ausdrücklich erklärt, daß es keinen Eingriff in die Tarifautonomie geben soll.
Ich bitte beide Seiten, die Spielregeln einzuhalten. Die Spielregeln sind ein hohes Gut, wenn es um Konfliktlösung geht. Sie haben eine friedensstiftende Funktion; an sie sind alle gebunden. Ich sage das, damit das ganz klar ist. Die Spielregeln gelten auch für die Arbeitgeber; sie gelten ebenfalls für die Betriebsräte. Um das ebenfalls klarzustellen: Betriebsräte können keine Arbeitskampfmaßnahmen ergreifen. Das ist gegen das Betriebsverfassungsgesetz. Wer die Flächentarifverträge verteidigt - zu denen
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
gehöre ich -, der darf nicht den Betrieb zum Kampfplatz der Tarifpolitik machen.
Deshalb bleibe ich dabei: Die Einschränkung bei der Lohnfortzahlung ist eine Veränderung mit Augenmaß. Der Einsatz eines Urlaubstages für die Kompensation ist zumutbar; auch dann ist der Anspruch auf Urlaub immer noch hoch und ist tarifvertraglich gesichert. In der Tat kann Umbau doch nicht nur so funktionieren, daß immer nur draufgesattelt wird. Die Gesellschaft muß doch veränderungsfähig sein. Die Tarifpartner hätten sich selber um ihre Legitimation gebracht, wenn sie nur fähig wären, bei gutem Wetter Mehrleistungen zu vereinbaren.
Dann hätten sie einen Teil ihrer Gestaltungsfunktion verloren. Da ich ein überzeugter Anhänger der Tarifautonomie bin
- sie ist ein Stück Subsidiarität -, verteidige ich sie. Nur, dann muß auch die Bereitschaft zur Weiterentwicklung vorhanden sein. Aber Weiterentwicklung kann nicht immer nur heißen: Draufsatteln. Das gilt gerade in dieser Zeit.
Ich sage: Alle Seiten müssen ihren Beitrag leisten, der Gesetzgeber, die Gewerkschaften, auch die Arbeitgeber. Der Sinn der ganzen Übung war - ich wiederhole mich -, mehr Arbeitsplätze zu schaffen und durch Kostenentlastung einen Beitrag dazu zu leisten. Ich plädiere dafür, daß diese Chance genutzt wird. Im Interesse der Arbeitslosen ist ein Umbau unumgänglich, aber unter Beachtung der Spielregeln.
Das Wort hat die Kollegin Erika Lotz, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Bundesarbeitsminister, das Ziel des erkämpften Lohnfortzahlungsgesetzes war, die Familien davor zu schützen, daß sie durch Krankheit Not leiden. Das Ziel war, die Arbeiter mit den Angestellten gleichzustellen. Es wurde letztendlich durch Verzicht auf Lohnerhöhungen bezahlt. Das wird hier rückgängig gemacht.
Ich weiß, wovon ich rede; ich habe 30 Jahre lang in der Metallindustrie gearbeitet. Ich kenne die Probleme dort alle.
Herr Bundesminister Bohl, es wäre schön gewesen, wenn Sie bei der „schwierigen Lage" auch etwas zur schwierigen Lage der Familien gesagt hätten.
Lassen Sie mich ein Stück aus Goethes „Zauberlehrling" zitieren:
Herr, die Not ist groß, Die ich rief, die Geister, Werd' ich nun nicht los;
Sie von der Regierungskoalition werden die Geister aus dem Unternehmerlager, die Sie sich als Wahlhelfer 1994 gerufen und die damals der Bevölkerung einen konjunkturellen Aufschwung und mehr Arbeitsplätze versprochen hatten, nicht mehr los.
Die Rechnung hat Ihnen Herr Murmann direkt nach der Wahl präsentiert. Und Sie sind ja mit Ihren unsozialen Leistungskürzungen eifrig dabei, gegen den großen Widerstand der Opposition, der Gewerkschaften, Kirchen und Sozialverbände den Forderungskatalog der Unternehmer abzuarbeiten.
Was Mercedes, Siemens und andere Firmen jetzt an Verstößen gegen geltendes Tarifvertragsrecht praktizieren wollen, ist auch nicht der erste Sündenfall. Ich erinnere an das Entsendegesetz.
Wenn die Arbeitgeberverbände der Metallindustrie, obwohl sie sich der verfassungsrechtlichen Fragwürdigkeit ihrer Position bewußt sein müßten, ihren Mitgliedsorganisationen empfehlen, das geänderte Entgeltfortzahlungsgesetz ab 1. Oktober anzuwenden, setzen diese bewußt den sozialen Frieden in unserem Land aufs Spiel. Zur Begründung behaupten die Arbeitgeberverbände pauschal, sämtliche Regelungen zur Lohnfortzahlung in Tarifverträgen hätten rein deklaratorischen Charakter. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bedeutet das, ein eigener Gestaltungswille der Tarifparteien habe bei Abschluß der Tarifverträge nicht vorgelegen; insofern sei die gesetzliche, jetzt neugefaßte Regelung anzuwenden.
Eine Mehrheit der betroffenen Tarifverträge nimmt noch nicht einmal Bezug auf das Gesetz. Hier gibt es nun gar keinen Spielraum mehr für juristische Deuteleien. Die volle Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gilt unverändert weiter, wenn sie im Tarifvertrag ausdrücklich erwähnt ist. Dies sieht auch der Präsident des Bundesarbeitsgerichtes Dieterich so.
Was machen nun die Arbeitgeber? Sie degradieren ihre eigenen Tarifverträge zu unverbindlichem Papierkram und behaupten, die Hand des Gesetzgebers dürfe jederzeit darin herumpfuschen - natürlich nur, wenn es ihren eigenen Interessen dient. Das wäre der Einstieg in den Ausstieg aus dem bewährten Tarifsystem. Das wäre die Aufgabe der Tarif autonomie, und - man kann es nicht oft genug wiederholen - diese ist grundgesetzlich geschützt.
Die Arbeitgeber haben in den letzten Jahren maßlose Lobbyerfolge bei der Bundesregierung erzielt.
Erika Lotz
Das scheint sie in ihrer Auffassung, nach eigenem Gusto Politik machen zu können, so bestärkt zu haben, daß sie nun glauben, selbst Verträge ungestraft brechen zu dürfen. Sie, Herr Blüm und viele andere, betonen immer wieder, Sie würden nicht in die Tarifautonomie eingreifen. Aber die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die von diesen Tarifverträgen erfaßt sind, haben auf diese Aussage vertraut. Warum, so frage ich, sollten nicht auch die Arbeitnehmer von Daimler und Siemens bei vollen Auftragsbüchern und guten Gewinnspannen darauf vertrauen können?
Die Arbeitgeber wollen aber offensichtlich um jeden Preis - und das heißt: auch außerhalb rechtlicher Regelungen - in durch Tarifverträge gesicherte Rechtspositionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eingreifen. Sie brechen offen Tarifverträge und verbrämen diesen Vertragsbruch nur dürftig mit fadenscheinigen rechtlichen Argumenten. Damit richten sie das bewährte Tarifsystem zugrunde.
Ich will zum Schluß - mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident - noch einmal etwas aus dem „Zauberlehrling" zitieren:
Oh, du Ausgeburt der Hölle, Soll das ganze Haus ersaufen? Seh' ich über jede Schwelle
Doch schon Wasserströme laufen.
Der soziale Frieden in unserem Land sollte dem Bundeskanzler, sollte Ihnen allen mehr wert sein als ein erhobener Zeigefinger gegenüber den tarifvertragsbrechenden Arbeitgebern.
Herr Louven, lassen Sie mich noch auf Schweden zurückkommen. Sie können nicht nur die Rosinen herauspicken, sondern Sie müssen auch sagen, welche sehr viel positiveren Regelungen dort in mancher Beziehung vorhanden sind. Wenn Sie von dem Zweiklassenrecht sprechen, dann sorgen Sie dafür, daß die hundertprozentige Lohnfortzahlung wieder eingeführt wird; denn das ist ganz einfach ein Negativum, was Sie hier am 13. September 1996 beschlossen haben.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Laumann, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit zwei Richtigstellungen anfangen: Der Kollege Büttner hat gesagt, der erste Angriff auf die Tarifautonomie sei die Änderung des § 116 AFG gewesen. Herr Kollege Büttner, Sie wissen genausogut wie ich, daß wir in dieser Frage mittlerweile eine verfassungsrechtliche Prüfung gehabt haben. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts war eindeutig, nämlich daß die Koalition seinerzeit - ich war noch nicht im Bundestag - verfassungsgemäß gehandelt hat.
Zweitens. Wir müssen doch sehen, daß sich auf Grund der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes immer wieder Rahmenbedingungen ändern. In einer Zeit, in der fahrende Lkws die Produktionsreserve vieler Hersteller sind, sehe selbst ich als jemand, der seit über 20 Jahren der IG Metall angehört, ein, daß es doch nicht angehen kann, mit der Bestreikung einiger Schlüsselpositionen in Deutschland eine ganze Branche lahmzulegen. Wer Tarifautonomie will - ich will sie -, muß sich auf beiden Seiten für eine faire Waffengleichheit einsetzen. Auch das ist Bestandteil einer funktionierenden Tarifautonomie.
Sie brauchen jetzt gar nicht mit Arbeitnehmern und anderen Schlagworten herumzupolemisieren.
Der Unterschied zwischen manch einem Abgeordneten von Ihnen und mir ist: Ich bin nicht der Abgeordnete einer Gewerkschaft, sondern ich bin Abgeordneter der Christlich Demokratischen Union. Ich habe breiteste Bevölkerungsschichten weit über den Gewerkschaftsbereich hinaus in diesem Parlamant zu vertreten; das ist meine Pflicht.
Ich glaube, daß wir als vernünftige Menschen den Klassenkampf der 30er Jahre in diesem Land überwunden haben sollten.
Jetzt noch ein Wort an die PDS zur Lohnfortzahlung. Es ist doch schon etwas merkwürdig, wenn Sie sich hier zum Schützer der Lohnfortzahlung aufspielen. Wenn mir meine ostdeutschen Kollegen erzählen, daß in der DDR Leuten, die ins Krankenhaus kamen, 50 Prozent des Einkommens gestrichen wurden mit der Begründung, sie brauchten zu Hause nicht mehr zu essen, kann ich nur sagen: Jemand, der so ein System zumindest teilweise mitgetragen hat, hat das Recht verloren, hier überhaupt den Mund auf zumachen, um zur Lohnfortzahlung Stellung zu nehmen.
Ich verstehe nicht die Polemik gegen die Tarifvertragsparteien. Wir wissen doch alle, daß die grundsätzlichen Entscheidungen der Politik nach dem Zweiten Weltkrieg in der Regel von der CDU/CSU in diesem Parlament durchgesetzt wurden.
Auch mit dem Geschick der Tarifvertragsparteien haben wir uns in den letzten 50 Jahren in Deutschland
Karl-Josef Laumann
einen Wohlstand und ein Erfolgsmodell aufgebaut, was auf der Welt seinesgleichen sucht. Das ist ohne Frage auch ein Verdienst der Tarifvertragsparteien.
In den letzten Jahren, in denen wir vielleicht nicht mehr die großen Verteilungsspielräume haben, bin ich allerdings sehr nachdenklich geworden; denn bei den Tarifverhandlungen treffen sich einige Herren und Damen, verteilen alles, was es zu verteilen gibt, und die sozialen Probleme muß die Politik lösen.
Die Tarifvertragspartner haben mich schon enttäuscht, zum Beispiel in der Frage, wie wir die Pflegeversicherung finanzieren sollen. Sie haben überhaupt keinen Beitrag dazu geleistet. Wir mußten sehen, wie das finanziert wird, weil man vorher alles verteilt hatte.
Ich denke, daß es in einer solchen Umverteilungssituation, wo sich globale Märkte verändern, verantwortbar ist, zu sagen: Wir machen Veränderungen bei der Lohnfortzahlung. Derjenige, der die finanziellen Einbußen nicht tragen kann oder will, kann dafür Urlaub hergeben. Angesichts dieser Alternative kann man doch nicht von der sozialen Abrißbirne sprechen, wie das einige von Ihnen tun. Deswegen war diese Aktuelle Stunde für uns heute einfach noch einmal eine Gelegenheit, deutlich zu machen, warum wir das Ganze so sehen.
Wir wollen in dieser Situation dem Grundsatz wieder zum Erfolg verhelfen, daß derjenige, der arbeitet, immer etwas mehr haben muß als derjenige, der nicht arbeitet.
Ich glaube, das ist durchaus eine ganz solide Einstellung. Ich habe überhaupt keine Angst, mich mit einer solchen Einstellung den Wählern in unserem Land zu stellen.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Hans-Eberhard Urbaniak, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mich hat schon sehr erschreckt, was die Kollegin der F.D.P. hier gesagt hat:
Wenn sich das nicht ändert, muß man wohl an die Tarifautonomie herangehen. Ich weiß nicht, ob Sie sich darüber im klaren sind, welch eine Dimension Sie hier aufreißen, wenn gleichzeitig der Bundesarbeitsminister, der Kollege Blüm, sagt: Dies ist ein ganz hohes Gut, stimmen wir überein, und daran darf auch nicht gerüttelt werden. Denn wer sollte, wenn in dieser Frage demontiert wird, die Ersatzfunktion erfüllen: wir hier im Parlament oder eine Regierung oder eine Fraktion? Darum soll uns die Tarifautonomie - ich sage dieses Wort einmal in diesem Hause - heilig sein.
Im Januar ist bei den Gesprächen nicht allzuviel herausgekommen. Die Gewerkschaften mußten das selber bestätigen. Minister Bohl ist leider nicht anwesend; er wird Termine haben. Aber ich sage Ihnen folgendes: Das Ergebnis hat drei Konsequenzen. Erstens. Der Konsens mit den Gewerkschaften ist zerstört.
Zweitens. Der Konsens mit der Opposition in den großen sozialen Fragen ist zerstört. Drittens. Die Tarifautonomie wird von der F.D.P. als ein weiterer negativer Punkt angegriffen.
Solch eine Lage hat es in dieser Gesellschaft nach 1949 mit dem ersten Bundestag, Kollege Blüm, noch nicht gegeben.
Daher sage ich: Sie treiben die Gewerkschaften in eine Situation, in der sie den Kampf gegen die Regierung permanent führen müssen.
Es werden Ihrerseits laufend weitere Einschränkungen angekündigt. Was sollen denn Gewerkschaften, Betriebsräte und Belegschaften eigentlich machen, wenn sie jeden Tag aufs neue hören: Jetzt wird hier gekürzt, jetzt wird da gekürzt? Aber bei den Vermögenden gehen die Einkünfte ständig weiter nach oben. Das ist doch nicht in Ordnung, meine Damen und Herren!
Sie wissen, daß Herr Henkel gesagt hat: Zur Anheizung der Auseinandersetzung Tarifverträge sofort kündigen, nicht mehr beachten, ab 1. Oktober 1996 weniger zahlen. Damit wird der Sozialstaat demontiert. Die Arbeitnehmer als die treuesten Steuerzahler und die treuesten Demokraten werden hierbei getroffen.
Ich lasse es nicht zu, Kollege Laumann, daß Sie die Gewerkschaften angreifen, indem Sie sagen, da sitzen nur drei, fünf oder sechs Leute zusammen. Das ist auch so in Gesprächen der Regierung mit der Koalition. Da haben Sie doch keine Urdemokratie. Sie veranstalten die Meinungsbildung doch nicht in der Dortmunder Westfalenhalle, sondern das wird vorbereitet. Das geht doch gar nicht anders.
Sie wissen genau, daß die Gewerkschaften ein breites Netz der Legitimation ihrer Entscheidungen haben: durch Urabstimmungen und Schlichterspruch. Was wollen wir in dieser Republik eigentlich noch mehr? Die Franzosen würden sich die Hände reiben und sagen: Hätten wir doch Einheitsgewerk-
Hans-Eberhard Urbaniak
schaften und damit die Grundlage für den Produktionsfaktor „sozialer Friede"! Der darf nicht in Gefahr gebracht werden. Das aber betreiben sie permanent.
Das Wort hat der Kollege Heinz Schemken, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist sicherlich so - das muß ich hier bekennen -, daß manche Maßnahmen nur im Gesamtzusammenhang zu sehen sind. Sie sind auch nicht gerade angenehm. Sie tun weh; ich sage das ausdrücklich. Aber ich stelle den Zusammenhang her und darf darauf hinweisen, daß die CDU/CSU eine Volkspartei ist, in der sich alle Gruppen der Gesellschaft versammeln - darauf bin ich stolz; das gleiche gilt im übrigen für die Sozialdemokratie -, in der sich Kräfte bündeln, die in dieser Frage unterschiedliche Meinungen vertreten.
Minister Bohl hat es soeben ausgeführt: Es ist richtig, daß die Frage der Lohnersatzleistungen - besser gesagt: der Fehltage - an den Verhandlungstischen der Tarifpartner eine Rolle gespielt hat. Es war nicht so, daß die Gewerkschaften, als es um die Regelung dieser Frage ging, vorab eine negative Meinung hatten.
Nun zur Geschichte der Lohnfortzahlung. Schleswig-Holstein 1957: Flächenstreik. Ich habe damals selber noch auf dem Bau gearbeitet, und ich weiß, wie das war. Ich sage dazu: Das war richtig vor einem anderen Hintergrund. Es ging nicht um die Höhe der Lohnfortzahlung, sondern es ging um die Diskriminierung. Da war der Angestellte, da war der Beamte, da war der in ähnlicher Weise Abgesicherte wie der Angestellte. Und auf der anderen Seite war der Arbeitnehmer, der seinen Stundenlohn bekam wie ich. Wenn ich überhaupt mal krank war, mußte ich zur AOK gehen. Da gab es erst einmal einige Tage Abschlag, und dann gab es 70 Prozent. Das war die Ausgangslage.
- Nein, da war ich nicht glücklich. Ich weiß nicht, ob Sie die Situation damals schon miterlebt haben. Ich sehe die großen Hände nicht, ich habe sie noch. Aber lassen wir das!
Dann ist der Gesetzgeber in der Großen Koalition tätig geworden. Eben wurde der Zwischenruf gemacht: Was hat denn die CDU dazu beigetragen? Wegweisende Gesetze sind immer durch die Mehrheit von CDU/CSU zustande gekommen. Es war damals Arbeitsminister Katzer, der in der Großen Koalition diese Diskriminierung beseitigte.
Jetzt müssen Sie mir doch ehrlicherweise folgendes abnehmen: Hätte man im Jahr 1969 in einer Lage wie heute beraten, dann hätte man die Lohnersatzleistung sehr wahrscheinlich für alle festgelegt, aber möglicherweise mit 90 und nicht mit 100 Prozent. Denn die Diskriminierung lag nicht in der Höhe des Lohnes, sondern sie lag darin, daß der eine den Lohn mit Abschlägen holen mußte und der andere sechs Monate Gehalt ausgezahlt bekam. Das war die Diskriminierung.
Jetzt haben wir die Situation, daß alle betroffen sind, jeder, der in einem Arbeitnehmerverhältnis steht, ob Beamter, Angestellter oder Arbeiter.
- Das ist die Frage. Peter, erkundige dich mal bei deinen Freunden im DGB. Da gibt es auch andere Meinungen. Man könnte ja auch einmal von Ausfalltagen anstatt von Krankheitstagen sprechen. Ich tue das nicht.
- Es gibt auch Ausfalltage. Ja, die gibt es.
- Sie können davon ausgehen, daß ich die Arbeitnehmer schützen möchte, die morgens um 7 Uhr an ihrem Arbeitsplatz stehen und oft alleine da stehen, weil die Kollegen fehlen. Auch das passiert; das sage ich Ihnen ganz deutlich.
Die Frage der Beitragsbelastung der Arbeitnehmer ist doch bei Ihnen nicht unstrittig, ist doch nirgendwo unstrittig. Es ist auch nicht unstrittig, daß insgesamt 55 Milliarden DM an Kosten durch die Ausfalltage entstehen.
Jetzt komme ich zu dem entscheidenden Punkt. Alles das ist mit den Lohnnebenkosten zu begründen und letztlich im Paket auch mit sachlichen Argumenten untermauert.
Was bleibt, ist das Gut der Tarifautonomie, die doch niemand anzweifelt.
- Ich habe eben schon gesagt, natürlich gibt es in einer Koalition unterschiedliche Meinungen. Aber die Tarifautonomie ist doch die Basis des sozialen Friedens. Wer will denn daran rütteln? Ich warne Neugierige davor, sich in einen Tarifstreit hineinzuhängen. Davor warne ich.
Herr Kollege Schemken, Sie achten auf die Zeit?
Deshalb möchte ich nachdrücklich sagen - -
Herr Kollege, haben Sie mich verstanden? Sie müssen auf die Zeit achten.
Ja.
Deshalb sage ich ausdrücklich, daß einseitige Maßnahmen ohne Verhandlungen der Tarifpartner nicht tragbar sind. Im übrigen hat der Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen trotz des Gesetzes die Lohnfortzahlung tariflich durchgesetzt - ein Beweis dafür, daß die Tarifautonomie funktioniert.
Schönen Dank.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6a und 6 b auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/ CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.
Verbesserung des Jugendaustausches zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik
- Drucksache 13/5542 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Auswärtiger Ausschuß
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrea Gysi, Heinrich Graf von Einsiedel, Manfred Müller , weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Förderung des deutsch-tschechischen Jugendaustausches
- Drucksache 13/5579 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Auswärtiger Ausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Maria Eichhorn, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Jugend war schon immer Wegbereiter für die Völkerverständigung. Das Deutsch-Französische Jugendwerk, dessen Gründung im Jahre 1963 zwischen Bundeskanzler Konrad Adenauer und Staatspräsident Charles de Gaulle vereinbart wurde, ist dafür das beste Beispiel. Seither sind sich Millionen junger Menschen in beiden Ländern begegnet, haben miteinander diskutiert, haben sich angefreundet. Dauerhafte, intensive Beziehungen, ja Partnerschaften und Ehen sind daraus entstanden.
Nach der Grenzöffnung im Osten hat die Bundesregierung auch mit unseren polnischen Nachbarn die Schaffung eines gemeinsamen Jugendwerks vereinbart, um auch hier intensive nachbarschaftliche Beziehungen aufzubauen. Mit Tschechien streben wir ebenfalls gutnachbarliche Beziehungen an. Daher wurde 1991 ein Jugendaustauschabkommen mit der damaligen CSFR abgeschlossen und ein sogenannter Jugendrat eingerichtet.
Im Februar dieses Jahres beschlossen der tschechische Jugendminister Pilip und Frau Ministerin Nolte, den Jugendaustausch zwischen Deutschland und Tschechien auszubauen und zu intensivieren. Um diese Idee nachhaltig zu unterstützen, bringen wir dazu heute interfraktionell einen Antrag ein. Es ist ein gutes Zeichen, meine ich, daß sich junge Kollegen ganz besonders für diese Initiative eingesetzt haben.
Ein wichtiges Signal auf dem Weg zur Verbesserung und Konkretisierung des deutsch-tschechischen Jugendaustausches ist die gemeinsame Absichtserklärung über die Errichtung von Koordinierungsstellen für den deutsch-tschechischen Jugendaustausch, die Frau Ministerin Nolte und ihr tschechischer Amtskollege am Rande des ersten deutsch-tschechischen Jugendtreffens in Polička vor drei Wochen unterzeichnet haben. Die jugendpolitischen Sprecherinnen und Sprecher waren dort anwesend. Wir konnten uns davon überzeugen, daß es die Jugend mit dem Ausbau gutnachbarschaftlicher Beziehungen ernst meint. Meiner Meinung nach war eine Art Aufbruchstimmung spürbar.
Bundespräsident Herzog und der tschechische Präsident Havel haben mit ihrer Initiative, ein deutschtschechisches Jugendtreffen zu veranstalten, deutlich gemacht, daß dem Ausbau der Beziehungen zwischen Deutschland und Tschechien eine besondere Rolle zukommt. Ihnen war bewußt, daß der Weg dorthin über die Jugend führt. Durch die Errichtung zweier Koordinierungsstellen in meiner Heimatstadt Regensburg und in deren Partnerstadt Pilsen soll ab Beginn des nächsten Jahres der Jugend- und auch Fachkräfteaustausch unterstützt und organisiert werden.
In diesem Jahr hat das Bundesjugendministerium für die Begegnung von zirka 6 000 deutschen und tschechischen Jugendlichen über 400 000 DM im Haushalt angesetzt. Im nächsten Jahr werden von deutscher Seite 2 Millionen DM im Haushalt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eingestellt.
Ich verspreche mir wichtige Impulse von der Koordinierungsstelle. In den letzten Wochen ist mir besonders bewußt geworden, daß schon zahlreiche Verbindungen zwischen Schulen, Verbänden und Jugendinitiativen vor allem in den Grenzregionen bestehen. Ich erwarte, daß diese Kontakte intensiviert und ausgebaut werden. Der Phantasie sollten keine Grenzen gesetzt werden, wenn es darum geht, die Zusammenarbeit zu vertiefen.
Maria Eichhorn
Sehr viel verspreche ich mir von Praktika und Hospitationen in Betrieben. Während auf der Ebene der Schulen bereits rege Verbindungen aufgebaut worden sind, bietet diese Art der Begegnung für junge Menschen eine gute Möglichkeit, sich nicht nur gegenseitig kennenzulernen, sondern ihre Horizonte auch im beruflichen Umfeld zu erweitern.
Auf welch großes Interesse die Koordinierungsstelle stößt, kann ich aus zahlreichen Briefen ersehen, die mir in der Zwischenzeit bereits zugegangen sind. Lehrer, Vorsitzende von Jugendverbänden, aber auch interessierte Einzelpersonen, die schon Erfahrungen im deutsch-tschechischen Jugendaustausch haben, bieten ihre ehrenamtliche Mitarbeit zum Aufbau der Koordinierungsstelle an. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen und sehr zu begrüßen.
Meine Damen und Herren, bald nach der Gründung des deutsch-französischen Jugendwerks hatte ich als damals 18jährige die Möglichkeit, an einer deutsch-französischen Jugendbegegnung teilzunehmen.
- Ja, das ist schon länger her. Ich glaube aber, daß diese Begegnung auch für die heutigen Beziehungen beispielhaft ist. Es ist mir nämlich unvergeßlich, wie unvoreingenommen wir Jugendliche aufeinander zugegangen sind, während sich die Erwachsenen oft demonstrativ abwandten, wenn wir junge Franzosen und junge Deutsche gemeinsam durch die Straßen gingen.
Ich bin davon überzeugt, daß gerade der Kontakt zwischen Jugendlichen, das Erlernen der Sprachen und das Arbeiten an gemeinsamen Projekten das gegenseitige Verständnis fördern. Der deutsch-tschechische Jugendaustausch ist ein Wegweiser und eine große Chance, Tschechen und Deutsche zueinanderzuführen.
In diesem Sinne ist es eine gute Initiative, die uns heute vorliegt. Ich bin überzeugt, daß sich das Haus übereinstimmend für diese Initiative ausspricht.
Herr Kollege Christoph Matschie, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich geht es bei der im gemeinsamen Antrag vorgesehenen Unterstützung des deutsch-tschechischen Jugendaustausches um etwas ganz Selbstverständliches: Die Begegnung von jungen Leuten aus benachbarten Ländern soll staatliche Förderung erfahren. Das hilft, bereits bestehenden Kontakten von Jugendlichen neue hinzuzufügen.
Das ist gut so. Es ist aber weder die Stunde Null, denn Kontakte zwischen Jugendlichen aus Deutschland und Tschechien gibt es schon tausendfach, noch ist dieser staatlich geförderte Austausch etwas Außergewöhnliches. Dennoch hat dieser an sich normale Vorgang in den letzten Monaten für einige Aufregung gesorgt, ebenso wie das deutsch-tschechische Jugendtreffen in Polička Anfang September. Der Grund dafür liegt im Gezerre um die deutschtschechische Erklärung, das die Beziehungen zwischen Prag und Bonn belastet.
Seit über einem Jahr wird an dieser Erklärung gearbeitet, über sie verhandelt, und eigentlich gibt es seit dem Frühsommer dieses Jahres eine kompromißfähige Lösung in den bis dahin strittigen Fragen. Doch wer erwartet hatte, die Erklärung werde nun verabschiedet, sah sich getäuscht. Der Bundeskanzler, der eigentlich die Richtlinien der Politik bestimmen sollte, ist nicht willens oder nicht in der Lage, den gefundenen Kompromiß in den eigenen Reihen durchzusetzen. Mit Rücksicht auf Forderungen aus den Reihen der CSU und der Sudetendeutschen Landsmannschaft liegt die gemeinsame Erklärung bis heute auf Eis - ein Trauerspiel, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Doch damit nicht genug. Mitglieder der Bundesregierung haben in den letzten Monaten wiederholt durch Äußerungen in der Öffentlichkeit dazu beigetragen, eine weitere Verschlechterung des Klimas zwischen Deutschland und Tschechien zu erzeugen. Ich erinnere nur an die Äußerungen von Theo Waigel zu Pfingsten in Nürnberg oder an Äußerungen des Bundesaußenministers.
Herr Kollege, darf ich Sie einen Moment unterbrechen? Wir sprechen über den Jugendaustausch. Sie können dies alles natürlich am Rande erwähnen, aber es nicht zum Hauptthema Ihrer Rede machen.
Dieser Jugendaustausch, über den wir heute reden, vollzieht sich in einem ganz bestimmten politischen Rahmen, den ich im Moment zu erläutern versuche.
Erst gestern kam eine Tickermeldung, die verkündet: „Erneut Unstimmigkeiten in Koalition zu Tschechien." Hintergrund sind erneute Forderungen der Sudetendeutschen Landsmannschaft, die von der CSU unterstützt werden. So richtig es ist, die Sudetendeutsche Landsmannschaft in diese Gespräche einzubeziehen, so deutlich muß auf der anderen Seite gesagt werden: Die deutsch-tschechischen Beziehungen sind nicht das Privileg einer Landsmannschaft.
Der von den jungen Abgeordneten parteiübergreifend initiierte Antrag zum deutsch-tschechischen Jugendaustausch ist ein Kontrapunkt zur Unfähigkeit
Christoph Matschie
der Bundesregierung, die Aussöhnung mit Tschechien voranzubringen.
Wo die Alten Entwicklung blockieren, wollen die Jungen mit ganz praktischer Arbeit Grenzen überwinden. Eine neue Zeit braucht neue Antworten und nicht den alten Streit.
Dabei soll die Last der Vergangenheit nicht ausgeblendet oder schöngeredet werden. Aber wir wollen, daß sich die Menschen aus Deutschland und aus Tschechien die Hand reichen und Gegenwart und Zukunft unter neuen Vorzeichen gestalten.
Dafür gibt es auch Unterstützung von vielen Älteren. Roman Herzog hat auf dem Treffen der Jugendlichen in Polička gesagt - ich zitiere -:
Vergeßt zwar die Geschichte nicht und kehrt sie um Gottes willen nicht unter den Teppich! Aber vergeßt auch nicht, daß es hier letztlich um die Verantwortlichkeiten und um die Leiden eurer Großelterngeneration geht, an denen diese schwer genug getragen hat und immer noch trägt, die euch aber nicht den Weg in eine bessere, in eine menschlichere Zukunft verstellen dürfen.
Ich denke, Roman Herzog hat mit dieser Aussage völlig recht, und ich wünschte, die Bundesregierung wäre bei der Verbesserung der deutsch-tschechischen Beziehungen wenigstens halb so engagiert wie Roman Herzog.
Was die Präsidenten Havel und Herzog in dieser Frage geleistet haben, verdient unser aller Respekt und Anerkennung.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Eichhorn?
Ja, bitte. Vizepräsident Hans Klein: Bitte.
Herr Kollege, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, was ich vorhin in meiner Rede gesagt habe, daß nämlich bereits im Jahre 1991 das Jugendaustauschabkommen zwischen Deutschland und der damaligen ČSFR gestaltet und daraufhin der Jugendrat gegründet wurde? Würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß das unmittelbar nach dem Fall der Mauer und nach der Öffnung der Grenze zum Osten war?
Frau Kollegin, ich nehme das natürlich zur Kenntnis. Aber das, was Sie gerade gesagt haben, unterstützt doch eigentlich meine Argumentation. Bis heute ist die staatliche Unterstützung, also die Unterstützung des Bundes, für diesen Jugendaustausch auf Sparflamme gelaufen. Wir reden doch heute über diesen Antrag, um endlich die Koordinierungsstellen einzurichten und um endlich mehr Mittel für diesen Jugendaustausch bereitzustellen.
Erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ja, gerne.
Herr Kollege, wenn Sie das befördern wollen, würden Sie dann auch zugestehen, daß das, was Sie wollen, bereits vor drei Wochen von Frau Nolte und ihrem tschechischen Amtskollegen im Rahmen einer Erklärung sozusagen beschlossen wurde?
Ich nehme zur Kenntnis, daß eine Absichtserklärung für die Einrichtung der Koordinierungsstellen unterzeichnet wurde. In diesem Zusammenhang möchte ich aber auch sagen, daß die Initiative junger Abgeordneter bereits im Juni stattfand, daß wir damals die Hoffnung hatten, möglichst schon beim Jugendtreffen in Polička eine gemeinsame Stellungnahme aller Fraktionen vorweisen zu können, und daß wir deshalb versucht haben, diesen Antrag voranzubringen. Das ist durch Abgeordnete aus den Reihen Ihrer Fraktion verzögert worden, so daß erst heute die erste Lesung des Antrages stattfindet.
Herr Kollege, die Kollegin Eichhorn möchte den Dialog mit Ihnen fortsetzen.
Bitte.
Mir geht es darum, festzustellen, daß man das Argument, das Sie gebracht haben,
nämlich daß die Bundesregierung in diesem Zusammenhang nichts getan habe, sehr wohl widerlegen kann. Denn gerade das, was Sie gesagt haben, widerspricht dem tatsächlichen Vorgang. Würden Sie mir deswegen bitte zugestehen, daß ich recht habe, wenn ich sage, daß die Initiative zu dem, was Sie jetzt fordern und was wir gemeinsam - man muß die Tatsachen aber richtig sehen - befördern wollen, be-
Maria Eichhorn
reits im Februar dieses Jahres im Rahmen einer Vereinbarung zwischen den beiden Jugendministern vorgegeben wurde?
Ich gebe Ihnen insoweit recht, als daß schon seit geraumer Zeit geredet wird. Gehandelt wurde bisher nicht in ausreichendem Maße. Das wollen wir mit diesem Antrag ein Stück weiterbringen.
Ich möchte an dieser Stelle ganz ausdrücklich meinem Kollegen Jawurek, der heute als einer der Initiatoren dieses Antrags ganz offensichtlich nicht reden darf, und auch meinem Kollegen Berninger danken. Diese beiden haben die Initiative übernommen, daß dieser fraktionsübergreifende Antrag zustande kommen konnte.
Herr Kollege Matschie, die Kollegin Wolf möchte jetzt gerne eine Zwischenfrage stellen.
Gerne.
Herr Kollege Matschie, ich möchte Sie fragen, wie Sie die Tatsache bewerten, daß von den angesprochenen jungen Abgeordneten der CDU/ CSU kein einziger anwesend ist und die Fraktion mit nur vier Abgeordneten vertreten ist? Vor diesem Hintergrund sollten Sie, denke ich, eine Bewertung des Stellenwertes des Themas bei der CDU/CSU-Fraktion vornehmen.
Ich stimme Ihnen zu, Frau Kollegin. Ich möchte das nur mit einem Wort kommentieren: Das, was ich hier in den Reihen der Union sehe, ist ein Trauerspiel.
Der fraktionsübergreifende Antrag liegt heute auf dem Tisch des Hauses. Aber es bleiben Fragen offen. Im Antrag fordern wir zusätzliche Mittel in ausreichender Höhe für den deutsch-tschechischen Jugendaustausch. Im Entwurf des Bundeshaushaltes für 1997 wurden die Mittel im Titel „Internationale Jugendarbeit" um über 1 Million DM gekürzt. Innerhalb dieses gekürzten Titels sind dann 2 Millionen DM für den deutsch-tschechischen Jugendaustausch vorgesehen. Wie sich das mit den Forderungen nach zusätzlichen Mitteln deckt, bleibt das Geheimnis von Frau Nolte. Ich denke, in diesem Bereich muß in den Haushaltsberatungen nachgelegt werden.
Die Jugend in unseren Ländern ist in ihrer übergroßen Mehrheit bereit, der deutsch-tschechischen Nachbarschaft eine neue Zukunft zu geben. Die Einrichtung der Koordinierungsstellen für den Jugendaustausch und die dafür bereitgestellten Mittel sind ein ermutigendes Signal. Gleichwohl aber steht eine Lösung des Streites um die deutsch-tschechische Erklärung weiterhin aus.
Ich fordere die Bundesregierung auf: Beenden Sie das unwürdige Gezerre. Unterzeichnen Sie die gemeinsame Erklärung, damit die Aussöhnung zwischen unseren Völkern vorankommt.
Der Kollege Matthias Berninger hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das schon angesprochene Jugendtreffen in Polička, initiiert von den beiden Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik, hat ein Signal gesetzt, und zwar indem man gesagt hat: Wenn schon die deutsch-tschechischen Beziehungen auf Grund der - vom Kollegen Matschie angesprochenen - Verzögerungen seitens der Bundesregierung nicht in Gang kommen, dann sollen wenigstens die jüngeren Menschen ein Signal setzen, indem sie sich um die Vergangenheit kümmern. Das hat man auch in Polička gemacht. Man muß die Vergangenheit gewichten, aber man darf dabei nicht die Zukunft vergessen. Das ist der Erfolg von Polička.
Zum anderen haben die jüngeren Abgeordneten in diesem Parlament mit dieser gemeinsamen Initiative das Signal setzen können, daß sie Aktivitäten der Bundesregierung dann unterstützen werden, wenn sie genau in diese zukunftsweisende Richtung gehen.
Seit Jahren haben wir vergleichsweise viele Mittel für den Austausch mit Polen. Der deutsch-polnische Jugendaustausch war sehr gut ausgestattet, während der deutsch-tschechische Jugendaustausch eher ein Schattendasein fristete. Das wird sich, so hoffe ich, im nächsten Jahr ändern. Das hängt zum einen damit zusammen, daß es schon sehr früh Initiativen aus den Reihen der Opposition gab. Ich erinnere an die Initiative meiner Kollegin Antje Vollmer, die hier schon zu den letzten Haushaltsberatungen aktiv geworden ist, was Frau Eichhorn verschwiegen hat. Zum anderen liegt das daran, daß auch das Bundesjugendministerium sehr schnell und sehr mutig gehandelt hat, indem es gesagt hat: Es gibt zwar Schwierigkeiten bei den deutsch-tschechischen Beziehungen, aber wir wollen den Jugendaustausch nicht weiter blockieren.
Ich danke der Bundesregierung an dieser Stelle ausdrücklich dafür.
Frau Eichhorn, ich glaube trotzdem, daß wir heute nicht hier wären und daß wir nicht diskutieren würden, wenn nicht die Jüngeren im Parlament mutig vorangegangen wären. Die Blockaden und die Schwierigkeiten, die es in diesem Sommer gegeben hat, haben auch mich persönlich sehr gestört. Aber wichtig ist, an dieser Stelle deutlich zu machen, daß von diesem Parlament ein Signal ausgeht, das besagt: Das, was in Polička angefangen wurde, soll sich nun auf die Beziehungen mit Tschechien erstrecken. Das, was in Polička in Sachen Jugendaustausch gelaufen ist, soll nun endgültig die letzten Blockaden
Matthias Berninger
beseitigen, die es im Bereich des Vertrages zwischen Deutschland und Tschechien gibt, der, wie ich finde, in unverantwortlicher Weise im Parlament herumgeistert, statt endlich verabschiedet zu werden.
Ich freue mich auf der einen Seite, daß auch der Bundeskanzler nun endlich sagt: Wir machen das. - Ich ärgere mich aber auf der anderen Seite über die Diskussionen, die ständig stattfinden. Warum, frage ich mich, werden die deutsch-tschechischen Beziehungen - Beziehungen zwischen zwei Ländern, die in Mitteleuropa liegen und die eigentlich eine große gemeinsame Zukunft hätten - verzögert, wie das zur Zeit geschieht? Ich bitte vor allem die Abgeordneten der CSU und alle die, die Bedenken haben, diese Verzögerung aufzugeben, endlich über ihren Schatten zu springen und die deutsch-tschechischen Beziehungen auf die Grundlage zu stellen, die sich eine ganz breite Mehrheit in diesem Land wünscht.
Ich habe von Leuten, die sich bereits um den Jugendaustausch kümmern, sehr viele Zuschriften bekommen. Das zeigt, daß das Interesse der Menschen da ist und daß letzten Endes die Regierung und das Parlament mit ihren Mitteln das Interesse fördern sollten. Das freut mich deshalb, weil ich glaube, daß die Bundesrepublik Deutschland eine Brückenfunktion zwischen Ost und West hat und daß sie den Dialog mit Frankreich in Richtung Westeuropa, der sehr gut geklappt hat, nun in Richtung Mittel- und Osteuropa fortsetzen sollte. Hierzu ist der deutsch-tschechische Jugendaustausch ein ganz wichtiger Beitrag.
Ich wünschte mir nur eines, nämlich daß man die besondere Bedeutung der Bürgerinnen und Bürger aus den neuen Ländern hier symbolisch hervorgehoben hätte. Man hätte ohne weiteres den Standort der Koordinierungsstelle statt nach Bayern nach Sachsen legen können. Das ist das, was die Bürgerinnen und Bürger aus den neuen Ländern in den Dialog einbringen können: ihre Erfahrung mit Mittel- und Osteuropa.
Letzten Endes ist es unsere Aufgabe - das ist das, was wir einbringen können -, den Dialog zwischen dem ehemaligen Ostblock auf der einen Seite und den ehemaligen Westmächten auf der anderen Seite voranzutreiben.
Mir geschieht hier zuwenig. Ich hoffe, daß das die erste Maßnahme war und weitere folgen können.
Vielen Dank.
Frau Kollegin Birgit Homburger, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Begegnung der Jugend hat in der Geschichte Europas und der europäischen Einigung eine besondere Rolle gespielt. Die historische Wirkung zum Beispiel des deutsch-französischen, aber auch des deutsch-polnischen Jugendaustausches wird vielleicht erst in späterer Zeit angemessen gewürdigt werden können.
Die Jugend ist die Zukunft. Sie wird es in mancher Hinsicht besser machen müssen als unsere Eltern. Den Jugendlichen werden in Zukunft die Beziehungen der Völker anvertraut werden. Hierin liegt die Bedeutung des ersten offiziellen deutsch-tschechischen Jugendtreffens in Polička am 4. September 1996 und der Vereinbarung von Koordinationsstellen für den Jugendaustausch. Diese Stellen werden staatliche und nichtstaatliche Träger in Deutschland und in der Tschechischen Republik bei der Durchführung des Austausches beraten, Projekte anregen, Kontakte vermitteln und neue Formen der Zusammenarbeit finden.
Im vorliegenden Antrag ist der gemeinsame Wille des Bundestages zur Verbesserung des deutschtschechischen Jugendaustausches formuliert. Er hat meines Erachtens eine historische Bedeutung: Was in Westeuropa begonnen wurde, wird in Mittel- und Osteuropa vollendet.
Angesichts der manchmal sehr unglücklichen Diskussion dieser Tage über die deutsch-tschechischen Beziehungen wird oft verdeckt, daß diese Beziehungen eigentlich gut sind. Der frühere Außenminister Dienstbier, der zusammen mit seinem Partner HansDietrich Genscher den Grenzzaun zwischen unseren Völkern zerschnitt, sagte einmal, daß 98 Prozent der Beziehungen zwischen Deutschen und Tschechen gut und völlig problemlos seien. In der Tat, diese Beziehungen haben sich auf der Grundlage des deutsch-tschechischen Vertrages von 1974, der gemeinsamen Bewältigung des Wandels nach 1989 und auch des Nachbarschaftsvertrages von 1992 gut entwickelt. Deutschland ist heute der wichtigste Wirtschaftspartner der Tschechischen Republik. Ich denke, es muß der Hinweis erlaubt sein, daß mit der Geschichte dieser Beziehungen die Namen der Außenminister Scheel, Genscher und Kinkel verbunden sind.
Die Präsidenten Havel und Herzog haben beim deutsch-tschechischen Jugendtreffen ihre Zuversicht darüber ausgedrückt, daß die von den Regierungen verhandelte Erklärung zur deutsch-tschechischen Verständigung in absehbarer Zeit unterzeichnet werde. Ich hoffe, daß das sehr bald sein wird. Ein gutes Verhältnis zu unserem wichtigen Nachbarn Tschechien ist von übergeordneter Bedeutung. Dessen sind sich beide Regierungen bewußt. Sie tragen die Verantwortung für diese Verhandlungen. Das in diesen Verhandlungen auch von Bundesaußenminister Klaus Kinkel zwischen Bonn und Prag Erreichte - lieber Kollege Matschie, ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, inwiefern Herr Kinkel hier kontraproduktive Äußerungen getan haben sollte - darf nicht aufs Spiel gesetzt werden.
Die F.D.P. bekennt sich zur europäischen Verantwortung Deutschlands. Sie hat sich deshalb auch auf ihrem Parteitag im Juni dieses Jahres für die Versöh-
Birgit Homburger
nung zwischen Deutschen und Tschechen eingesetzt. Wir setzen dabei insbesondere auf die Jugend. Wir wollen mit dem deutsch-tschechischen Jugendaustausch die Möglichkeiten zum gegenseitigen Kennenlernen verbessern. Dahinter steht die Überlegung, daß hieraus natürlich auch Verständnis füreinander wachsen wird. Dieses Verständnis wird der Nährboden für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zur Sicherung von Frieden und Freiheit in der Zukunft sein.
Ich bedaure - die Kollegen haben es schon angesprochen -, daß dieser Antrag nicht früher im Deutschen Bundestag behandelt und vor diesem Jugendtreffen verabschiedet werden konnte. Es mindert aber das Gewicht des Antrags nicht, daß er in der vorliegenden Form nicht mehr ganz aktuell ist, was die jüngsten Vereinbarungen mit der tschechischen Seite angeht.
Wichtig ist, daß der Deutsche Bundestag bei diesem bedeutenden Thema, dem deutsch-tschechischen Jugendaustausch, die Regierung geschlossen unterstützt. Ich denke, wir werden im zuständigen Ausschuß die Möglichkeit haben, die notwendigen Verbesserungen und Aktualisierungen vorzunehmen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Gerhard Zwerenz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vom interfraktionellen Antrag zur Verbesserung des deutsch-tschechischen Jugendaustausches wurde leider die PDS-Gruppe im Deutschen Bundestag ausgeschlossen, und zwar auf Betreiben der CDU/CSU-Fraktion. Offenbar ist die Beibehaltung der Teilung von Abgeordneten in solche der ersten und zweiten Klasse wichtiger als das durchaus wünschenswerte geschlossene Auftreten des Bundestages in einer existentiell so wichtigen Frage, bei der es um Frieden und Völkerverständigung geht. Aber so große Worte wie Frieden, Völkerverständigung und Jugendaustausch hören wir oft, und wenn es um Taten geht, dann wird alles minimal.
Obwohl wir uns also dem interfraktionellen Antrag nicht anschließen durften, werden wir ihm zustimmen. Denn wir stellen die Vernunft der Politik über die Unvernunft mancher Politiker.
Obwohl wir wußten, ein eigener Antrag habe in diesem klassenmäßig abgeteilten Bundestag keine Chancen,
legen wir zugleich einen eigenen Antrag vor, der wenigstens nachzuweisen vermag, daß der interfraktionelle Antrag nur der kleinste gemeinsame Nenner sein kann.
Der PDS-Antrag aber, obwohl weiter gehend als der von einem beschämenden Kleinmut getragene interfraktionelle Antrag, muß sich zwangsläufig auch noch bescheiden ausnehmen angesichts der fatalen Tatsache, daß der verbesserte Jugendaustausch, so richtig er ist und so sehr wir ihn unterstützen, den Umstand politischen Versagens in der deutsch-tschechischen Frage nur noch unterstreicht. Es besteht die Gefahr, daß dieser Jugendaustausch zu einer Art Ersatzhandlung herabgewürdigt wird, weil sich die Älteren als friedensunfähig erweisen und weil die Regierungskoalition in diesem Hause unfähig ist, die gewiß bedauernswerten Folgen des Zweiten Weltkrieges mit ihren Vertreibungen, Lasten und Grenzziehungen anzuerkennen.
Die PDS legt Wert darauf, gerade wenn und weil sie sich nicht abhalten lassen will, dem interfraktionellen Antrag zuzustimmen, diese grundlegende Differenz zu den Antragstellern zu betonen, nämlich wer an den Ergebnissen des Zweiten Weltkrieges zu seinen Gunsten herumzukorrigieren sucht, der destabilisiert den Frieden. Dies ist das allerletzte, das Deutsche sich leisten dürfen.
Ich erteile das Wort der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, unserer Kollegin Claudia Nolte.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für mich selber war es sehr beeindruckend, als ich am 3. September in Polička beim deutschtschechischen Jugendtreffen, angeregt durch die Präsidenten der beiden Länder, war. Es war schon toll zu erleben, wie Jugendliche aufeinander zugehen, wie offen sie sind, wie sie miteinander diskutieren und arbeiten. Ich denke, das ging den Abgeordneten, die damals mit dabei waren, ebenso; sie haben den gleichen Eindruck bekommen. Das macht einmal mehr deutlich: Der persönliche Kontakt zwischen Menschen läßt sich durch nichts ersetzen. Dieser schafft es eigentlich, daß Barrieren überwunden werden, daß man etwas gemeinsam tun kann.Dieses Treffen war für mich auch ein Beleg dafür, wie fest das Band zwischen jungen Menschen über die Grenzen hinweg schon ist. Deshalb bin ich natürlich froh, daß es möglich war, eine Idee, die zur Vertiefung und Verbesserung des deutsch-tschechischen Jugendaustausches geboren wurde, so schnell umzusetzen.Ich habe im Februar dieses Jahres zusammen mit meinem tschechischen Amtskollegen, Herrn Minister Ivan Pilip, dieses Projekt der Koordinierungsstellen des Jugendaustausches zum erstenmal diskutiert und angedacht. Wir haben dann am 3. September die Absichtserklärung über die Errichtung von Koordinierungsstellen in Regensburg und Pilsen unter-Bundesministerin Claudia Noltezeichnet. Sie sollen ab Januar 1997 ihre Arbeit aufnehmen. Es ist also wirklich ein sehr zügiger Ablauf.Herr Matschie, ich bitte Sie, nehmen Sie mir wirklich ab, daß ich in diesem Bereich äußerst engagiert bin und ganz bewußt den deutsch-tschechischen Jugendaustausch weiter voranbringen will. Lassen Sie mich auch das sagen: Die Bundesregierung will diese gemeinsame deutsch-tschechische Erklärung. Es wird sie geben, und sie wird verabschiedet werden.
Die Koordinierungsstellen sollen mit wenig bürokratischem Aufwand - deswegen haben wir uns für diese Form der institutionellen Unterstützung entschlossen -, dafür aber mit sehr großem persönlichem Engagement den deutsch-tschechischen Jugendaustausch unterstützen und intensivieren. Die Büros sind als ein offenes Haus konzipiert, offen für alle Interessierten und auch für neue Ideen, um den Austausch organisatorisch wie inhaltlich zu einer Partnerschaft weiterzuentwickeln.Die Aufgaben sind in der Absichtserklärung näher spezifiziert. Ich will hier nur ganz wenige Dinge nennen: Organisation und Unterstützung von Jugend- und Schüleraustausch, Beratung der Träger, die solche Austauschmaßnahmen vorhaben, Qualifizierung von Mitarbeitern, Erörterung der Möglichkeit von Hospitationen in Betrieben und selbstverständlich auch Entwicklung und Veröffentlichung von Informations- und Arbeitsmaterialien.Dabei ist es notwendig - das ist mir sehr wichtig -, daß die beiden Stellen, Pilsen und Regensburg, eng zusammenarbeiten. Ich war bei der Wahl des Ortes von Anfang sehr offen. Mir war wichtig, daß es eine gemeinsame Entscheidung ist, daß Städte gewählt werden, die gut zueinander passen. Regensburg und Pilsen haben eine langjährige Freundschaft. Ich denke, das ist eine gute Grundlage für das funktionsfähige Arbeiten dieser Koordinierungsstellen.Wir werden im nächsten Jahr 2 Millionen DM für den deutsch-tschechischen Jugendaustausch im Haushalt zur Verfügung stellen. Auch das habe ich im Februar in die Wege geleitet. Herr Kollege von der SPD, diese Mittel gehen nicht zu Lasten unserer anderen Programme für den internationalen Jugendaustausch. Ich bin sehr gerne bereit, Ihnen im Anschluß näher zu erläutern, wie sich das zusammensetzt.Die tschechische Regierung hat ihrerseits ebenfalls zugesagt, die Mittel zu erhöhen, die für diesen Austausch zur Verfügung stehen. Ich sage ausdrücklich Dank.Mein Dank gilt aber genauso den jungen Abgeordneten dieses Hauses, die sich sehr für dieses Projekt eingesetzt haben und es politisch sehr unterstützt haben.
Ich halte das für einen sehr engagierten Beitrag dieser jungen Abgeordneten. Ich wünsche mir, daß wir in solchen Bereichen des öfteren gemeinsame Projekte auf den Weg bringen können.Ich bin natürlich nicht nur über die rasche Umsetzung der rechtlichen und organisatorisch notwendigen Voraussetzungen froh; für mich ist entscheidend, daß wir mit diesem Jugendaustausch eine neue und feste Brücke zu unserem Nachbarland schlagen. Der Jugendaustausch ist nicht nur eine Vertiefung der Beziehung zu unseren Nachbarn. Die jungen Menschen beschreiten ihrerseits aktiv den Weg in ein gemeinsames und friedliches Europa.Letztendlich entspricht das dem, was Richard von Weizsäcker hier im Deutschen Bundestag am 8. Mai 1985 sagte:Die Jungen sind nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber sie sind verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus wird.Bundespräsident Roman Herzog hat diesen Gedanken in seiner Rede während seines Besuches in Polička am 4. September aufgegriffen, als er sich direkt an die Jugendlichen wandte und erklärte, daß der deutsch-tschechische Jugendaustausch „zum Modell einer Normalität werden kann, die Sie - also die Jugendlichen - erreichen können, die Ihre Generation erreichen kann, wenn sie es nur will" - eine Normalität, die wir so dringend brauchen, die auf gegenseitigem Verständnis für die andere Nation, für die andere Kultur beruht, eine Normalität, die ein wichtiger Beitrag zur Erweiterung des eigenen geistigen Horizontes ist und somit zu einem künftigen Miteinander befähigt.Jahrzehntelang war Europa geteilt. Der Graben schien unüberwindbar. Die jungen Menschen haben nun die Chance, diesen Graben gänzlich zuzuschütten und damit die Gestalt Europas neu zu prägen. Was paßt besser zusammen als die Begriffe „Europa" und „Jugend"? Für beide gilt: Dynamik statt Stillstand, Visionen statt eingerosteter Denkschablonen, Zusammenarbeit statt nationaler Alleingänge.Mit dem deutsch-tschechischen Jugendaustausch haben junge Menschen einmal mehr die Möglichkeit, die politische Forderung nach einem geeinten Europa konkret umzusetzen und mit ihrer eigenen Person hierfür einzustehen. Ich will dies in meinem Amt mit aller Kraft unterstützen und lade deshalb die tschechischen Jugendlichen nach Deutschland zu einem Folgetreffen ein. Ich würde mich freuen, wenn wir es 1997 verwirklichen könnten.
Ich denke, das ist eine realistische Vision, eine erstrebenswerte Vision: Europa selbst zu gestalten. Die Chancen dazu sind groß. Unsere Jugendlichen haben diesen Auftrag.Vielen Dank.
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11260 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1996
Zu einer Kurzintervention gebe ich der Kollegin Hanewinckel das Wort.
Frau Ministerin Nolte, ich begrüße es sehr, daß Sie zu einem nächsten Treffen von deutschen und tschechischen Jugendlichen für 1997 nach Deutschland einladen. Es ist in der Tat mehr als lobenswert, wie die Jugendlichen aus Tschechien und Deutschland in Polička über drei Tage miteinander diskutiert, gestritten, sich aber auch zusammengefunden haben und wirklich nichts unter den Teppich gekehrt haben. An dieser Stelle können die Erwachsenen in Tschechien und Deutschland, auch in den unterschiedlichen Parteien und Verbänden von den Jugendlichen lernen.
Lobenswert ist die Initiative der jungen Abgeordneten in diesem Hause. Lobenswert ist, daß Sie mit Ihrem Kollegen aus Tschechien die Absichtserklärung für die Einrichtung der Koordinierungsstellen unterzeichnet haben und daß dafür wohl auch die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen.
Nicht nur nicht lobenswert, sondern nach wie vor sehr peinlich ist, daß die gemeinsame Absichtserklärung zwischen Deutschland und Tschechien noch immer nicht verabschiedet werden konnte. Das haben sowohl die beiden Präsidenten als auch die Jugendlichen sehr deutlich zum Ausdruck gebracht.
Es ist peinlich - in diesem Punkt widerspreche ich Ihnen -, daß der Titelansatz „Internationaler Jugendaustausch" im Haushaltsplan insgesamt um knapp 1,4 Millionen DM gekürzt worden ist. Natürlich haben Sie recht, wenn Sie sagen: Für den deutsch-tschechischen Jugendaustausch sind 2 Millionen DM zur Verfügung gestellt worden. Aber sie sind nicht zusätzlich zur Verfügung gestellt worden. Ich bin deshalb äußerst gespannt darauf, wie dieses Haus über den gemeinsamen Antrag der jungen Abgeordneten abstimmen wird. Dort befaßt sich nämlich einer der Punkte damit, über die Fraktionsgrenzen hinweg zu fordern, zusätzliche Mittel in den Haushalt an dieser Stelle vorzusehen. Das ist im Entwurf allerdings nicht passiert. Ich wiederhole: Der Titelansatz ist gekürzt; von zusätzlichen Mitteln kann keine Rede sein.
Da Sie für 1997 einladen, die entsprechenden Mittel dafür aber so nicht zur Verfügung stehen, frage ich Sie: Wie soll das eigentlich finanziert bzw. unterstützt werden?
Frau Bundesministerin Nolte, zur Replik.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Zur Erläuterung: Im Vorfeld der Zurverfügungstellung der Mittel für die deutsch-tschechische Koordinierungsstelle haben wir natürlich geprüft, wie wir zu diesen Mitteln gelangen. Ich möchte daran erinnern, daß wir gemeinsam mit den anderen EU-Ländern ein europäisches Programm „Jugend für Europa III" aufgelegt haben, das wir mit jährlich 13 Millionen DM unterstützen und fördern. Dieses Programm ist explizit für den Jugendaustausch in Europa geschaffen und gibt mir die Freiräume in unserem Haushalt für andere Maßnahmen, so daß wir keine Kürzungen in dem Sinne vornehmen müssen. Vielmehr bekommen wir Freiräume, um dort eindeutig einen Schwerpunkt zu setzen.
Nach einer einvernehmlich gefaßten Vereinbarung haben wir zudem 800 000 DM weniger Zuweisungen an die Länder, so daß man schon davon sprechen kann, daß diese Mittel für den deutsch-tschechischen Jugendaustausch in dem Sinne auch als zusätzliche Mittel zu verstehen sind.
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/5542 und 13/5579 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes
- Drucksache 13/5494 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Horst Günther.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Dieses Thema paßt eigentlich nahtlos an das vorangegangene. Es geht nämlich um eine EU- Richtlinie zum Jugendarbeitsschutzgesetz. Auch im Zusammenhang mit dem Jugendaustausch kann man über dieses Thema sehr gut miteinander diskutieren.
Meine Damen und Herren, das Jugendarbeitsschutzgesetz von 1976, das im Jahre 1984 zum erstenmal geändert wurde, hat sich grundsätzlich bewährt. Es ist sogar in weiten Teilen Grundlage der Jugendarbeitsschutz-Richtlinie gewesen, die im
Parl. Staatssekretär Horst Günther
Sommer 1994 vom Rat der Arbeits- und Sozialminister der Europäischen Union verabschiedet worden ist.
Es ist daher nicht erstaunlich, daß der deutsche Jugendarbeitsschutz die Mindestnormen der Jugendarbeitsschutz-Richtlinie bereits weitgehend erfüllt. Der Ihnen heute vorliegende Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes enthält einige notwendige Anpassungen an die Richtlinie. Er regelt den Komplex der Kinderarbeit im Rahmen der Jugendarbeitsschutz-Richtlinie neu und berücksichtigt die bisherigen Erfahrungen mit Kinderarbeit in der Bundesrepublik Deutschland.
Dieses Konzept wird im wesentlichen durch folgende Regelungen verwirklicht: Das grundsätzliche Verbot der Kinderarbeit wird auf Personen bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres ausgedehnt. Die Arbeitszeit bei ausnahmsweise zulässiger Kinderarbeit wird auf 2 Stunden täglich und 10 Stunden wöchentlich begrenzt. Eine Beschäftigung von Kindern ab 13 Jahren wird nur mit leichten und für Kinder geeigneten Arbeiten zugelassen. Dazu wird die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die für Kinder geeigneten leichten Beschäftigungen zu bestimmen.
Das Verbot der Beschäftigung Jugendlicher mit gefährlichen Arbeiten und mit gefährlichen Stoffen im Sinne des Chemikaliengesetzes wird einheitlich im Jugendarbeitsschutzgesetz geregelt. Das durch die Jugendarbeitsschutz-Richtlinie gegebene Verbot, Jugendliche mit bestimmten biologischen Arbeitsstoffen zu beschäftigen, wird umgesetzt. Der Bußgeldrahmen für Verstöße gegen das Verbot der Kinderarbeit wird von 20 000 auf 30 000 DM angehoben. Es darf sich für Arbeitgeber wirklich nicht auszahlen, Kinder als billige Arbeitskräfte zu mißbrauchen.
Auf zwei Punkte möchte ich noch näher eingehen. Zum ersten. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung wird auch die Streichung des § 9 Abs. 4 des Jugendarbeitsschutzgesetzes vorgeschlagen. Diese Vorschrift erstreckt die für Jugendliche geltenden Vorschriften auf volljährige Auszubildende, also auf junge Leute, die oft über 20 Jahre alt sind. Dies erscheint aus Gründen des Gesundheitsschutzes nicht gerechtfertigt und ist geeignet, die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe zu verringern.
In den Gesprächen, die der Bundeskanzler mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft mit dem Ziel geführt hat, eine Bereitstellung von mehr Ausbildungsplätzen zu erreichen, ist immer wieder betont worden, wie wichtig für die Ausbildung eine möglichst hohe Präsenz im Betrieb außerhalb der Berufsschulzeit ist. Insofern erlaubt die Streichung des § 9 Abs. 4 eine intensivere Integration volljähriger Auszubildender in den Betrieb und ist damit geeignet, die Ausbildungsbereitschaft, insbesondere auch der Handwerksbetriebe, zu erhöhen.
Zum zweiten beseitigt der Gesetzentwurf die realitätsfremde Regelung, nach der eine Beschäftigung mit leichten, für Kinder geeigneten Arbeiten nur in der Landwirtschaft, beim Zeitungsaustragen und mit Handreichungen beim Sport zugelassen ist. Dagegen sind derzeit zum Beispiel das Austragen von Werbezetteln, die Erteilung von Nachhilfeunterricht, Babysitten, Botengänge, Reinigungsarbeiten und andere Dienstleistungen verboten.
Die unveränderte Beibehaltung dieser Ausnahmeregelungen würde dazu führen, daß der überwiegende Teil üblicher und gesellschaftlich anerkannter Beschäftigung von jungen Menschen zwischen 13 und 16 Jahren als verbotene Kinderarbeit angesehen werden müßte. Wir müssen die Praxis also gesetzgebungsmäßig einholen.
Das Jugendarbeitsschutzgesetz bleibt seiner Zielsetzung treu, keine Tätigkeit zuzulassen, die für die Gesundheit oder Entwicklung des Kindes schädlich sein kann. Entscheidend bleibt aber auch, daß sich Eltern und Arbeitgeber der Verantwortung bewußt sind, die sie für die junge Generation tragen.
Vielen Dank.
Herr Kollege Konrad Gilges, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kinderarbeit ist der Geburtsmakel des Kapitalismus.
Man kann es auch anders sagen: Sie ist die Erbsünde der Industriegesellschaft. Weil das so ist, muß man mit dieser Frage außerordentlich sensibel umgehen. Diese Frage kann man nicht so einfach über den Tisch regeln, Herr Meckelburg.
Vielmehr muß man schon genau nachfragen, nachprüfen, was das Gesetz hergibt und was verändert werden soll.
Deswegen sind wir Sozialdemokraten, wenn es um Kinderarbeit geht, immer - ich sage es noch einmal - ausgesprochen sensibel. Heute ist Kinderarbeit nach wie vor ein großes Übel in unserer Gesellschaft, und sie nimmt ja zu, wie die Fachleute, die Jugendämter, die Gewerbeaufsichtsämter, immer wieder beklagen. Es gibt ein hohes Maß an Ausbeutung von Kindern, mit all den Schäden, die damit verbunden sind. Die Kinderarbeit ist gesundheitsschädlich. Viele Kinder, die mit 10, 11, 12, 13, 14 Jahren arbeiten müssen, erleiden einen nicht mehr zu reparierenden Gesundheitsschaden. Ferner bedeutet es ein Stück verlorene Kindheit, wenn Kinder arbeiten müssen. Deswegen
Konrad Gilges
meine ich, daß man mit dem Phänomen der Kinderarbeit sehr aufmerksam umgehen muß.
Herr Günther, Ihr Bundesminister ist ja nicht sehr glaubwürdig,
wenn er die Kinderarbeit in der Dritten Welt beklagt, aber mit der Kinderarbeit in unserem so reichen Land doch sehr lax umgeht und sie in vielen Fällen als Kavaliersdelikt - diesen Eindruck haben auch Sie hier erweckt - einstuft.
Kinderarbeit, ob in der Dritten Welt oder bei uns, ist verwerflich und darf deshalb auch als verwerfliche und als unmoralische Inanspruchnahme des Kindes bezeichnet werden.
Deswegen müssen wir darauf achten, Herr Günther, daß dieses Gesetz kein falsches Signal gibt, nämlich ein Signal, daß die Möglichkeiten für Kinderarbeit, die ja jetzt in der Bundesrepublik streng geregelt ist, womöglich erweitert werden könnten. Das wäre ein großes Mißverständnis.
Ein noch größeres Mißverständnis würde entstehen, wenn Sie es hier so darstellen, als ob das Schutzalter erhöht werden soll. Das ist falsch. Das Schutzalter wird reduziert, Herr Günther. Denn Tatsache ist doch, daß das generelle Verbot nur für Kinder bis 13 Jahren gilt und daß es für Kinder im Alter von 13 und 14 beziehungsweise 15 Jahren sehr viele Ausnahmemöglichkeiten gibt.
Zum geltenden Recht will ich noch folgendes sagen. In der Drucksache findet sich der Satz: Das geltende Recht wird insofern der Wirklichkeit nicht mehr gerecht. Das bezieht sich auf Kinderarbeit. - Hier geht es nicht um den Straßenverkehr; es geht um Kinderarbeit. - Das stellt die Bundesregierung in der Drucksache fest. Das heißt: Sie ist nicht in der Lage, das geltende Recht auszuführen, einem Gesetz Geltung zu verschaffen, das die Ausbeutung von Kindern und ihre Diskriminierung verbietet. Das kann das ja doch nur bedeuten.
Oder es bedeutet, daß die Bundesregierung über die Verletzung von Kindesrechten hinwegsieht. Das heißt: Sie sagt, daß das nicht so wichtig ist. Ich will das hier jetzt gar nicht abwägen, wie Sie das in bezug auf andere Rechtsbereiche tun, und wo Sie dann, wenn es Gesetzesverletzungen gibt, sich auf alle vier Beine stellen - oder wieviel Sie auch haben mögen - und dann hier herumlamentieren. Im Bereich Kinderarbeit wird das so nonchalant hingenommen, und es wird gesagt: Das ist nun einmal so.
Ich fordere Sie auf: Wenn das Gesetz zum Nachteil der Kinder verletzt wird, dann ändern wir es!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dr. Babel?
Ja. Vizepräsident Hans Klein: Bitte, Frau Kollegin.
Herr Kollege Gilges, Sie wissen doch, wie das jetzt geltende Jugendarbeitsschutzgesetz aufgebaut ist. Es gibt ein generelles Verbot; daran anschließend wird enumerativ aufgelistet, wo Ausnahmen zulässig sind. So ist das Gesetz gemacht.
Nun sind ja manche Ausnahmen nicht aufgeführt, deren Fehlen den Bürger nicht wenig erstaunen wird. Daß zum Beispiel ein 13- oder 14jähriger babysittet, ist nach strenger Auslegung des Jugendarbeitsschutzgesetzes verboten, weil das eben als Ausnahme nicht aufgeführt ist. Also kann doch nicht behauptet werden, daß man den Schutz vor Kinderarbeit unzumutbar einschränkt, wenn man eine Korrektur, die der Realität entspricht, vornimmt. Sind Sie mit mir der Meinung, daß das so ist?
Nein, ich bin mit Ihnen nicht dieser Meinung; ich will das vorweg sagen.
- Ich werde Ihnen die Frage gleich beantworten.
Ich bin für ein generelles Verbot von Kinderarbeit - damit wir uns überhaupt nicht mißverstehen. Gegen die Regelungen, wie sie jetzt im Gesetz stehen, habe ich mich damals, vor etwa 15 Jahren - ich weiß das nicht mehr genau -, als wir darüber beraten haben, mit allen Mitteln gewehrt. Leider konnte ich mich in meiner eigenen Fraktion nicht immer durchsetzen; das sage ich hier ganz offen. Ich bin generell für das Verbot von Kinderarbeit. - Das war mein erster Punkt.
Punkt zwei ist: Ich bin dagegen, daß Kinder gegen Lohn oder Geld Leistungen erbringen. Wenn Babysitten für ein Kind eine Lohnarbeit ist - vielleicht darf das Kind das Geld nicht einmal für sich selbst verwenden -, dann ist das nach meiner Überzeugung Ausbeutung von Kindern und hat überhaupt nichts mit Hilfe im Nachbarschaftsbereich zu tun. Darum geht es bei der Kinderarbeit.
Selbst das Babysitten, Frau Babel, ist in der Kinderarbeit differenziert zu betrachten. Man kann nicht einfach sagen, Babysitten ist keine Kinderarbeit. So nicht, nicht mit mir. Ich halte das bereits vom Ansatz her generell für falsch.
Bis jetzt hatten wir - Frau Babel hat bereits darauf hingewiesen - zwei Kategorien. Ich habe bis jetzt von der ersten Kategorie gesprochen, von den Kindern unter 14 Jahren, für die es generell ein Arbeitsverbot gibt. In die zweite Kategorie gehören die Jugendlichen ab 14 Jahre, für die es andere Bestimmungen gibt. Die lasse ich jetzt außer acht.
Sie wollen jetzt zwei Altersstufen einführen: Kinder bis 13 Jahre und Kinder zwischen 13 und 15 Jahren. Es besteht in Zukunft eine größere Beschäftigungsmöglichkeit für Kinder unter 14 Jahren. Die Kriterien dafür im Gesetzentwurf sind leichte Be-
Konrad Gilges
schäftigung bzw. geeignete Arbeiten. Mir gehen immer die Fragen durch den Kopf: Was ist eine leichte Beschäftigung? Was ist eine geeignete Arbeit? Wie wird das definiert? Was bedeutet das?
Ist zum Beispiel das Zeitungsaustragen eine leichte Arbeit? Unter Umständen können es 5 Kilogramm Zeitungen sein, die der Jugendliche morgens ohne Hilfsmittel durch die Gegend trägt. 5 Kilo sind immerhin viel, als Fliesenleger weiß ich, was es bedeutet, so etwas zu tragen. Ich sage, das ist keine leichte Arbeit; und es führt zu dauerhaften gesundheitlichen Schäden, wenn ein Kind morgens zwischen 5 und 7 Uhr, vor Schulbeginn, diese Arbeit verrichten muß. Man kann nicht sagen, das sei vernachlässigenswert.
Ist es eine leichte Arbeit, Frau Babel, wenn ein Kind nachmittags die „Hör zu" oder andere Zeitschriften herumträgt? Wenn das Kind nur 1 Kilo Zeitungen herumträgt, könnte ich das als leichte Arbeit einstufen.
Ich will auf folgendes aufmerksam machen: Der unbestimmte Begriff in diesem Gesetz muß nach meiner Meinung geklärt werden. Es kann nicht sein, daß solch unbestimmte Begriffe im Gesetz stehen.
Der nächste Punkt ist die Kontrolle der Vorschriften. Sie wird im Gesetz überhaupt nicht geregelt. Wer kontrolliert, was leichte und was nicht leichte Arbeit ist?
Was uns überhaupt nicht gefällt, Herr Günther, ist
- Sie haben das noch einmal bestätigt -, daß es eine Rechtsverordnung geben soll, bei der der Bundesrat nicht mitbestimmen darf.
- Okay, dann habe ich das mißverstanden.
Ich bin der Meinung, es kann nur eine Rechtsverordnung geben, der der Bundesrat zustimmen muß, weil der Bundesrat über die Gewerbeaufsicht direkt involviert ist und die Kontrolle nur so möglich wird.
Ich möchte auch noch folgendes geklärt wissen: Sie reden davon, daß es einen Arbeitsvertrag - Sie sagen das nicht so -, also eine Vereinbarung zwischen dem Kind über 13 Jahre mit einem Arbeitgeber geben kann, der der Sorgeberechtigte zustimmen muß. Nach unserem Arbeitsrecht, Herr Günther, kommt damit ein Arbeitsvertrag zustande; ob schriftlich oder mündlich, spielt nach unserem Arbeitsrecht keine Rolle. Es kommt eine arbeitsrechtliche Vereinbarung über eine Tätigkeit zustande - so würden das die Juristen wahrscheinlich formulieren.
Wer kontrolliert das? Wo wird das transparent? Das scheint mir ungeklärt zu sein. Ich meine, daß dann, wenn man eine Öffnung im Gesetz vornimmt, zumindest die Fragen der Arbeitsvereinbarungen vom Gewerbeaufsichtsamt, von den Kammern oder sonstigen Institutionen, auch den Gewerkschaften - das letzte wird Ihnen am wenigsten behagen, ich betrachte es als das Beste - geklärt werden müssen. - Das nur am Rande.
Ich halte die Regelung, die Sie einführen wollen, für unsinnig, daß ein Jugendlicher vor bzw. nach dem Berufsschulbesuch zur Arbeit gehen muß, wenn die Schule nicht länger als fünf Stunden dauert.
Ich sage Ihnen, das bedeutet für einen Bäckerlehrling, daß er von morgens drei bis acht Uhr arbeiten und anschließend in die Berufsschule gehen muß. Denn das steht im Gesetz. Das können Sie nun wirklich so nicht wollen. Ich halte das für total unsinnig. Auch wird das keinen einzigen zusätzlichen Ausbildungsplatz bringen.
Aber wir müssen einmal darüber nachdenken, Herr Meckelburg - da sind wir gemeinsam in der Verantwortung -: Wie kann man garantieren, daß die Berufsschultage auch als Berufsschultage genutzt werden? Dort muß der Ansatz der Gesellschaft und der Politik, das heißt aller Politiker, stattfinden. Ich glaube, wenn uns das gelingt, ist das ein viel größerer Beitrag zur Qualifizierung von Jugendlichen - das liegt auch im Interesse der Handwerksmeister - als die Regelung, daß vor und nach der Schule noch jemand arbeiten muß.
So, wie Sie den Gesetzentwurf jetzt vorgelegt haben, werden wir ihm mit Sicherheit nicht zustimmen.
Herzlichen Dank.
Frau Kollegin Annelie Buntenbach, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf will die Bundesregierung die EU-Richtlinie zum Verbot der Kinderarbeit in nationales Recht umsetzen. Im Grundsatz begrüßen wir das.
Gravierende Einwände haben wir allerdings an zwei Punkten, mit denen Sie die Situation der Betroffenen gegenüber der heutigen Rechtslage verschlechtern. Neben dem Verbot der Kinderarbeit wird das Zugangsalter zur Beschäftigung auf 15 Jahren festgelegt. Von diesem Zugangsalter sind laut EU-Richtlinie Ausnahmen nur unter klar definierten Bedingungen zulässig.
Ich persönlich sehe keinen Grund, warum Kinder unter 15 Jahre überhaupt schon reguläre Beschäftigungsverhältnisse aufnehmen sollten. Wenn Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorsehen, daß Kinder schon ab 13 Jahren - bislang waren es 14 Jahre - täglich zwei Stunden, in der Landwirtschaft drei Stunden, beschäftigt werden können, dann geht es nicht nur um diejenigen, die sich mit dem Ausführen von Nachbars Hund das Geld für ihre Markenjeans dazuverdienen.
Das Problem liegt bei der leider immer größer werdenden Gruppe von Kindern, die in der Bundesrepublik in Armut leben. Gerade sie müssen wir vor dem Druck schützen, zu früh über Erwerbsarbeit zu ihrem eigenen Unterhalt beitragen zu müssen; denn die gesundheitlichen Folgen davon sind - wenn auch nicht aus deutschen Studien, so doch aus Dänemark - bekannt, nämlich zum Beispiel, daß die Hälfte der legal
Annelie Buntenbach
arbeitenden Kinder ständig Rückenschmerzen haben.
Sie binden in dem Gesetz die Beschäftigung von Kindern ab 13 Jahren an die Bedingung, daß die Arbeit leicht und für Kinder geeignet sein muß. Hier muß ich dieselbe Frage stellen wie eben der Kollege Gilges: Was ist das genau? Wer definiert das? Das kann nicht der Arbeitgeber mit seinen eigenen Interessen sein. Wer kann das kontrollieren? Die Gewerbeaufsichtsämter sind schon jetzt hoffnungslos überlastet. Auf diese Fragen haben sie keine Antwort.
Der zweite Kritikpunkt: Sie wollen eine wesentliche Schutzbestimmung für berufsschulpflichtige Jugendliche, die 18 Jahre alt sind, aufheben. Diese Jugendlichen müssen dann noch vor Berufsschulbeginn in den Betrieb und während des Blockunterrichts weiterarbeiten. Über 18 Jahre sind inzwischen mehr als Zweidrittel aller Jugendlichen, die in Ausbildung sind. Diejenigen knapp vor und knapp nach dem 18. Geburtstag werden unterschiedlich behandelt, obwohl sie sich im selben Ausbildungsjahr befinden.
Gerade im letzten Jahr vor den Prüfungen ist es absolut nicht zu vertreten, die 18jährigen so zusätzlich zu belasten; denn schließlich besteht Berufsschule bekanntlich nicht nur aus den Stunden im Unterrichtsraum, sondern der Unterricht muß vor- und nachbereitet werden. Dabei ist klar, daß die schulischen Leistungen zwangsläufig darunter leiden werden.
Sie behaupten, daß Sie mit dem Streichen dieser Schutzvorschrift ein Ausbildungshemmnis beseitigen. Ich behaupte, daß eine gerechtere Verteilung der Ausbildungslasten zwischen denjenigen Betrieben, die ausbilden, und denen, die sich verweigern, eine weit stärkere Motivation zur Ausbildung wäre.
Ich behaupte weiterhin, daß Sie langfristig den Interessen der Betriebe an qualifizierten Arbeitskräften zuwiderhandeln. Das duale Ausbildungssystem lebt von einer sinnvollen Kombination von schulischer und betrieblicher Ausbildung. Auf lange Sicht ist die Qualität der Ausbildung entscheidend, sowohl für den ausbildenden Betrieb als auch für die Chancen der betroffenen Jugendlichen. Die zusätzlichen Arbeitsstunden werden einen erfolgreichen Verlauf der Ausbildung eher gefährden.
Ich möchte Sie auffordern, diesen Unsinn zurückzunehmen; ansonsten benutzen Sie entgegen den Vereinbarungen in der Europäischen Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer die Umsetzung einer EU-Richtlinie zur Verschlechterung bestehender Standards für Jugendliche.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Gisela Babel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß zugeben, daß ich den Kollegen der SPD und der Grünen mit einigem Erstaunen zugehört habe.
Ich nahm an, als ich die Begründung des Gesetzentwurfes gelesen habe, daß dieses ein friedlicher Nachmittag wird. Denn das, was wir tun, müssen wir tun; es ist Umsetzung von EG-Recht. Daß wir uns an die Grenzen, die Schranken und die Vorgaben des EG-Rechts halten, darauf können wir in der Tat beim BMA immer vertrauen. Meistens tut es sogar ein bißchen mehr, aber jedenfalls nicht weniger. - So habe ich mich also geirrt, wo doch so gravierende Bedenken, die auch so tiefgreifend begründet werden, von seiten der Opposition hier vorgetragen werden.
Ich will noch einmal klarstellen: Das Vorhaben der EG ist natürlich, soziale Standards anzugleichen und gewisse Grundanforderungen an den Schutz der Jugendlichen im Arbeitsrecht zu stellen. Das ist auch richtig so. Aber das könnte manchmal den Eindruck hervorrufen, als hätten wir das in Deutschland nötig. Wir haben ein sehr gut ausgebautes und ein sehr striktes Jugendarbeitsschutzgesetz. Insofern ist das für uns nicht ein Erringen von neuen Standards, sondern eine Angleichung an die Standards. Insofern sind die Ansprüche auch nicht so hoch zu stellen.
Die wichtigsten Inhalte sind schon genannt worden: Es ist die Heraufsetzung des Alters für das grundsätzliche Verbot der Kinderarbeit von 14 auf 15 Jahren. Die Arbeit, die die Kinder ab 13 Jahren ausnahmsweise verrichten dürfen, wird enumerativ festgelegt und ist zeitlich beschränkt, und zwar auf zwei Stunden täglich und zehn Stunden wöchentlich.
Weiterhin ist eine einheitliche Regelung der Beschäftigung Jugendlicher mit gefährlichen Arbeiten im Jugendschutzgesetz enthalten. Die einschlägigen Vorschriften über die Gefahrstoffverordnung werden ebenfalls übernommen.
Frau Buntenbach, wenn Sie darstellen, wie Berufsschüler herangezogen werden, dann können einem immer die Augen übergehen. Überlegen Sie sich einmal, wieviel Schulstunden man hatte, bevor man jemals über die Frage der Überanspruchung oder von Streß geredet hat! Als ich zur Schule ging, hatte ich in der Woche 36 Stunden. Es war nun ein Gymnasium - das gebe ich zu -, aber deswegen ist in den anderen Schulen nicht weniger Schulunterricht erteilt worden. Es waren 36 Schulstunden.
Wie Sie es hier darstellen, sind die Vorschriften unzumutbar, und sie würden die Kinder in unvorstellbarer Weise stressen. Das ist nicht der Fall.
Es ist meiner Ansicht nach eine Illusion, daß wir eine Kindheit völlig unbelastet von irgendwelchen Arbeiten haben müssen. Kinder wollen arbeiten. Jugendliche wollen das. Wir müssen sie daran hindern, unvernünftig viel zu tun, aber wir dürfen ihnen nicht die Türen verschließen.
Wenn Sie also eine jugendliche Partei sein wollen -die SPD sowieso - und sich an Jugendliche und Kin-
Dr. Gisela Babel
der wenden wollen, dann kann ich Ihre Einwendungen nicht so ganz verstehen. Daß die Kinder auf Taschengeld aus sind, das wissen wir doch. Es ist ja auch nicht falsch. Nehmen Sie als Beispiel den Nachhilfeunterricht. Warum sollen sie diesen nicht erteilen?
Aber wir müssen uns in der Politik, auch im Sinne der Eltern, natürlich wehren, dagegen daß ein Übermaß an Arbeit ermöglicht wird, das eine gesundheitliche Gefährdung mit sich bringen kann. Aber in den vorgeschlagenen Grenzen scheint mir das durchaus akzeptabel zu sein.
Ich gehe trotzdem davon aus, daß wir in den Ausschüssen harmonisch über diese Punkte reden werden - vielleicht auch in den Anhörungen; ich weiß nicht, ob sie geplant sind - und uns auch einigen. Ich verstehe viele Kontroversen, aber in dem Punkte kann ich sie nicht verstehen; denn daß man zum Beispiel in Zukunft nicht mehr Babysitten kann, das werden Sie in keiner Versammlung vertreten können. Es wird keiner verstehen, daß man das nicht können soll, und ich kann nicht verstehen, daß man das von Ihrer Seite nicht akzeptiert.
Frau Kollegin Babel, Kollege Gilges würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Frau Babel, alle Schutzgesetzgebungen, die wir haben - ob es das Arbeitsrecht ist, ob es das Jugendschutzgesetz ist -, werden in vielen Fällen gegen die Betroffenen gemacht; denn der Betroffene überlegt und handelt natürlich aus einer ganz anderen Perspektive. Der Arbeiter, der auf einem gefährlichen Gerüst herumgeht, wie ich das des öfteren gemacht habe, möchte natürlich schnell seine Fliesen an die Wand bekommen, weil er im Akkord arbeitet. Dann kommt die Bauberufsgenossenschaft und sagt: Nein, du mußt jetzt da herunter, Akkord hin, Akkord her; dieses Gerüst muß unfallsicher gemacht werden.
Das ist die Logik von Schutzgesetzen. Das heißt, wir haben eine Verantwortung gegenüber den Kindern. Wir haben die Verantwortung, dafür zu sorgen, daß eben nicht alles das stattfindet, was die gern möchten. Wir müssen dafür sorgen, daß vieles anders gemacht wird.
Und jetzt frage ich Sie: Wollen Sie wirklich diesen Grundgedanken, der dem Gesetzgeber auch von der Verfassung her aufgegeben wird, aufheben und damit die Verantwortung des Gesetzgebers für das Wohl, für den Schutz der Gesamtbevölkerung und dann auch des einzelnen?
Herr Kollege Gilges, ich habe heute vormittag schon einmal das Schicksal erlitten, von der SPD gründlich mißverstanden zu werden. Jetzt bin ich in der Gefahr, ein zweites Mal mißverstanden zu werden.
Keineswegs habe ich die Verantwortung des Gesetzgebers in Abrede gestellt. Natürlich haben wir diese Gesetze. Es ist nur die Frage, in welchem Rahmen wir uns hier bewegen. Dazu habe ich nur leichte Anmerkungen gemacht, daß ich das, was Sie als eine unzumutbare Gefährdung der Gesundheit der Kinder bezeichnen - und insoweit haben Sie sich für eine Ausweitung des Gesundheitsschutzes der Kinder ausgesprochen -, nicht ganz nachempfinden kann. Ich glaube vielmehr, der Gesetzgeber hat auch die Verpflichtung, sich innerhalb der Grenzen von verhältnismäßigen Regelungen zu bewegen und nicht im Übermaß. Das war der einzige Dissens, den ich gesehen habe. Das ist also eher quantitativ und nicht vom Grunde her zu werten. Natürlich bejahe ich den Jugendarbeitsschutz; wir müssen ihn praktizieren.
Ich glaube, daß wir diese Details - ich halte das für Details; vielleicht halten Sie das für mehr - im Ausschuß beraten können.
Der Kollege Gilges möchte Ihre Redezeit verlängern und eine weitere Frage stellen.
Das ist hier ja eine ernstzunehmende Debatte. Es geht um die Frage, ob das Kind nicht einen Anspruch auf die absolute oder totalitäre Fürsorge der Gesellschaft hat. Das ist doch der entscheidende Punkt. Dazu sage ich Ihnen von meiner Grundauffassung her: ja.
Wir haben dieses Problem auch in anderen Bereichen, zum Beispiel im sexuellen Bereich noch viel dramatischer, wo auch Eltern und Betroffene diesen totalitären Schutz, diese Vorsorge tangieren und auch negieren. Ich bin der Meinung, Kinder haben diesen totalitären Anspruch.
Ich fürchte, daß der Kollege Gilges mit dem Wort „totalitär" Anlaß zu Mißverständnissen gibt. Er meint natürlich: umfassend.
Herr Präsident, ich hätte sonst mit dem Satz begonnen, daß Liberale bei dem Wort „totalitär" natürlich zusammenzucken. - Ein totalitärer Schutz legt auch nahe, daß man ein Übermaß an Schutz hat, das heißt, daß man eine absolute Trennwand schafft zwischen der Arbeitswelt und der Kinder- und Jugendwelt. Das halte ich auch in der Sache nicht für richtig. Richtig ist der Schutzgedanke: keine Ausbeutung, keine Gefährdung, kein Übermaß. Aber jede Möglichkeit eines Jugendlichen, in sinnvoller Betätigung mit der Arbeitswelt zusammenzukommen, sollten wir als positiv für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ansehen und nicht sozusagen als einen unzulässigen Einbruch in die Kindheit verdammen. Das war der Unterschied zwischen beidem. Herr Präsident, ich bin damit am Schluß. Ich bedanke mich.
Frau Kollegin Rosel Neuhäuser, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zum Jugendarbeitsschutz ist es der Bundesregierung wieder einmal gelungen, eine Chance ungenutzt zu lassen, wenn es darum geht, Gesetze der Bundesrepublik Deutschland an geltenden Richtlinien der Europäischen Union zu orientieren bzw. sie dementsprechend anzupassen.
Wir unterstützen natürlich alle Maßnahmen, die der Verbesserung der Situation von Kindern dienen. Aber ich denke, die Ansätze in diesem Gesetz reichen dazu noch nicht aus. Die Ausführungen der Kollegin Buntenbach und auch die von Herrn Gilges haben das ganz deutlich gemacht.
Sie haben aus unserer Sicht nicht genug unternommen, meine Damen und Herren, um Gesetzeslücken zu schließen. Ich möchte dazu nur noch einmal auf die Dinge hinweisen, die von den beiden Vorrednern eben schon genannt wurden.
Auf der Grundlage neuer Erkenntnisse auf dem Gebiet der Arbeitsmedizin und der Ergebnisse von Untersuchungen zum Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen bestand und besteht die Möglichkeit, das Jugendarbeitsschutzgesetz zu erweitern und in seinen Aussagen noch zu verbessern. Ich könnte mir vorstellen, das Gesetz in folgenden Punkten nochmals zu prüfen und zu überarbeiten:
Erstens. Die Verbesserung der präventiven Maßnahmen mit besonderer Sicht auf die medizinische Vorsorge.
Zweitens. Eine strengere Untersuchung von Belastungsfaktoren in einzelnen Arbeitsbereichen.
Drittens. Die Einforderung von Untersuchungen zu Langzeitwirkungen bezüglich der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes von Jugendlichen.
Viertens. Völlig außen vor bleibt eine geschlechtsspezifische Analyse des Einflusses von Belastungsfaktoren auf den Gesundheitszustand von jungen Mädchen und Frauen.
Frau Kollegin, darf ich Sie einen Moment unterbrechen? - Ich will nur einen besonders sympathischen Kollegen bitten, in seiner Weihnachtsmanntätigkeit ein bißchen unauffälliger vorzugehen.
Bitte, fahren Sie fort.
Nett ist es, ja.
Ich hoffe, daß die weiteren Auseinandersetzungen um den vorliegenden Antrag mit dem entsprechenden Problembewußtsein geführt werden und daß zum Beispiel die Forderungen aus der Stellungnahme des Bundesrates, die wir voll und ganz unterstützen, in die Diskussion und in den neuen Gesetzentwurf einfließen.
Danke.
Herr Kollege Wolfgang Meckelburg.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Gilges, ich glaube, die Vokabel „Kapitalismus" hilft uns wirklich nicht weiter. Lassen Sie uns diese Debatte ernst nehmen.
Wir sind ja bei der Einbringung dieses Gesetzentwurfes und haben die Chance, in der Diskussion einen gemeinsam zu beschließenden Entwurf zu erarbeiten und zu verabschieden, und wir sollten die Zäune deshalb nicht so hoch ziehen.
Ich will am Ende dieser Einbringungsdebatte festhalten: Erstens geht es darum, die notwendigen Anpassungen an die entsprechende EG-Richtlinie vorzunehmen. Es bleibt auch festzuhalten, daß die wesentlichen Mindestnormen der EG-Richtlinie bei uns im Jugendarbeitsschutzrecht erfüllt sind. Das muß gesagt werden, damit wir auch wissen, worüber wir sprechen.
Zweitens will ich festhalten, daß in dem neuen Entwurf Verbesserungen enthalten sind, die ich wirklich als solche benennen würde, denn wenn das Verbot der Kinderarbeit vom 14. auf das 15. Lebensjahr ausgedehnt wird, dann ist das einfach eine Verlängerung der derzeitigen Schutzfrist um ein Jahr.
Mathematik hilft da; es ist ein um ein Lebensjahr verlängertes generelles Verbot von Kinderarbeit.
Auch die tägliche und die wöchentliche Arbeitszeit wird stärker begrenzt als bisher, so die Wochenarbeitszeit, die zum Teil 18 bis 21 Stunden betrug, auf zehn Stunden. Das ist auch eine Verbesserung. Ich glaube, wir brauchen nicht lange darüber zu reden, daß die Zahlen eine Eingrenzung dessen sind, was erlaubt ist.
Die Ausnahme bleibt wie bisher bestehen, zum Beispiel eine mögliche Arbeitszeit von drei Stunden täglich in landwirtschaftlichen Familienbetrieben. Man kann darüber streiten, ob diese Begrenzung auf zwei Stunden festgelegt werden muß, aber möglicherweise ist das auch ein Anpassen an Realitäten, bei denen man sich vielleicht mit gesundem Menschenverstand darauf einigen könnte, daß die Verkürzung der täglichen Arbeitszeit auf dem Felde nicht unbedingt den Jugendschutz ausmacht.
Ich weiß es nicht, ich habe das nie gemacht, aber Kollegen, die das getan haben, wissen es vielleicht. Ich habe als Kind Zettel ausgetragen; das wäre illegal gewesen.
Wolfgang Meckelburg
Ich habe nicht darunter gelitten und fühle mich eigentlich ganz normal.
Die Frage, die Sie, Herr Gilges, hier sehr deutlich gestellt haben, inwiefern wirklich etwas korrigiert wird, betrifft die Anpassung an die Realität. Ich glaube, das sollten wir nicht so einfach mit dem Hinweis vom Tisch wischen, da werde ein Tor geöffnet. Ich glaube schon, daß es notwendig ist, bestimmte Dinge zu korrigieren, um dem Jugendarbeitsschutz den Stellenwert zu geben, den er verdient. Das sage ich ganz deutlich; darüber müssen wir reden.
Wenn wir zugestehen, daß das Austragen von Zeitungen nach jetzigem Recht erlaubt ist, aber das Austragen von Werbezetteln nicht, dann machen wir uns an dieser Stelle unglaubwürdig, weil jeder fragt, was diese Unterscheidung bezwecken soll. Wenn wir die Arbeit bei der Ernte erlauben, nicht aber Reinigungsarbeiten, das Babysitten, Bewachungstätigkeiten oder Botengänge, die Jugendliche vornehmen, dann sind wir so fern von der Jugend, daß wir auch keine Chance haben, über das Thema Jugendarbeitsschutz ernsthaft zu reden.
Kinder sollen vor Überforderung und Gefährdung ihrer Gesundheit geschützt werden. Ich sehe keine Stelle, an der dieses bei den Beispielen außer Kraft gesetzt wird. Es geht bei der Novellierung des Jugendarbeitsschutzgesetzes nicht darum, illegale Kinderarbeit, die es sicherlich auch bei uns gibt, zu legalisieren oder Schutzzäune abzubauen. Es geht in der Tat in diesem Bereich auch um Anpassung an die Realität.
Mit der Anpassung der Schutzvorschriften an die übliche und gesellschaftlich anerkannte Beschäftigung von jungen Menschen zwischen 13 und 16 Jahren werden manche Beschäftigungen aus dem jetzigen Zustand der Illegalität herausgeholt. Ich halte das für vernünftig, weil es uns in der Tat eine klarere Trennung jener Formen der Kinderarbeit, die verboten bleiben müssen, die Kinder überfordern und in ihrer Gesundheit beeinträchtigen, von solchen Tätigkeiten ermöglicht, die von der Gesellschaft akzeptiert werden und die man nicht unter Schutz stellen muß. Dies macht aus meiner Sicht das grundsätzliche Verbot von Kinderarbeit glaubwürdiger, weil wir Kategorien einführen, die nachvollziehbar sind.
Es gibt sicherlich auch hier in Deutschland - manche denken ja, wenn wir darüber reden, nur an Indien oder Mexiko - zahllose Beispiele für Kinderarbeit, die ich aber nicht erwähnen will. Das kann man in der Presse nachlesen. Hier muß gesetzgeberisch gehandelt werden, indem wir, wie es im Entwurf vorgesehen ist, nachlegen. Der Bußgeldrahmen wird erweitert; die Höchstsumme wird von 20 000 auf 30 000 DM erhöht.
Wenn wir diese Diskussion ernsthaft führen, können wir auch erwarten, daß die zuständigen Stellen schärfer gegen illegale Kinderarbeit vorgehen und daß die entsprechende Bestrafung dann entsprechend streng ist, weil wir eine klare Trennungslinie gezogen haben.
Wir müssen auch deutlicher an die Verantwortung der Arbeitgeber appellieren. Wir können auch nicht so tun, als ob wir alles regeln könnten. Wenn ein 14jähriger - aus einem Pressebericht willkürlich entnommen - jeden Abend von 20 Uhr bis morgens früh um 5 Uhr in einer Bar als Barkeeper arbeitet, dann frage ich als erstes ernsthaft: Wo sind eigentlich die Eltern? Bekommen die das nicht mit? Hier müssen wir an die Verantwortung der Eltern appellieren. Wir können das alles um so glaubwürdiger, je besser uns eine Trennung gelingt.
Im Hinblick auf die Verordnungen ist der Bundesrat beteiligt. Die Fachleute bringen dort ihre Erfahrungen ein. Insgesamt sollten wir so eine glaubwürdige Regelung finden können. Ich hoffe schon, daß wir nicht am Ende mit der Kanzlermehrheit das Jugendarbeitsschutzgesetz verabschieden müssen. Ich lade Sie von der Opposition herzlich ein, dieses Gesetz parlamentarisch auf den Weg zu bringen und mit uns gemeinsam klar zu formulieren. Ich glaube, dann können wir den Anspruch nach außen vertreten, wirklich zwischen verbotener und erlaubter Kinderarbeit getrennt zu haben und eine stärkere Durchsetzung als heute zu fordern.
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/5494 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge dazu? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Lage der Medien in der Bundesrepublik Deutschland 1994
- Medienbericht 1994 -
- Drucksachen 12/8587, 13/265 Nr. 1.6, 13/ 4288 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Otto Wilhelm Thomas Krüger
Rezzo Schlauch Dr. Max Stadler Ulla Jelpke
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Vizepräsident Hans Klein
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Horst Waffenschmidt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Medienbericht 1994 stellt entsprechend dem zugrundeliegenden Antrag des Deutschen Bundestages die Fakten dar, die sich für uns heute ergeben. Wie die von uns heute mitzuberatende Entschließung des Innenausschusses zeigt, ist dieser Bericht eine gute Grundlage für die Formulierung weiterer medienpolitischer Zielsetzungen.
Lassen Sie mich bei aller Kürze meines Beitrages auf einige an die Bundesregierung gerichtete Forderungen eingehen. Ich möchte zunächst etwas zum Jugendschutz sagen, weil mir das sehr wichtig zu sein scheint.
Mit großer Aufmerksamkeit begleitet die Bundesregierung die vielfältigen Maßnahmen zur Verbesserung des Jugendschutzes in den Medien. Trotz der vom Innenausschuß angesprochenen positiven Regelungen der Länder und der freiwilligen Selbstkontrolleinrichtungen des Fernsehens ist festzustellen, daß vor allem international wirksame Regelungen notwendig sind. Dies zeigt die anhaltende Kritik an manchen Inhalten etwa im Internet.
Die Gremien der EU und auch des Europarates sind mit entsprechenden Initiativen bereits befaßt. Die Bundesregierung begleitet diese Vorhaben intensiv. Ich meine, meine Damen und Herren, quer durch alle Fraktionen sollten wir eine wichtige Aufgabe darin sehen, im Interesse des Jugendschutzes auch die Medien entsprechend kritisch zu begleiten.
Ein zweiter Bereich. Erfreulich ist die Entwicklung im Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Hier neigt ja, wie wir alle inzwischen festgestellt haben, die neuere Rechtsprechung dazu, auch bemerkenswert hohe Beträge bei Verletzung der Privatsphäre zuzuerkennen. Dabei haben die Gerichte klargestellt, daß dem Präventionsgedanken bei der Bemessung einer Geldentschädigung besondere Bedeutung zukommt.
Die Bundesregierung sieht daher gegenwärtig keinen unmittelbaren Bedarf an gesetzlichen Änderungen in diesem Bereich. Sie vertraut darauf, daß die Rechtsprechung den Persönlichkeitsschutz auch weiterhin gewährleistet.
- Das können wir gern aufnehmen. Ich bin der Auffassung, wir sollten zunächst schon einmal gemeinsam feststellen, daß die Rechtsprechung, die sich entwickelt hat, Herr Kollege Krüger, uns für alles weitere gute Orientierungspunkte gibt. Ich glaube, so weit darf man gehen.
Lassen Sie mich kurz zum rechtlichen Rahmen für die neuen Dienste Stellung nehmen - Stichwort Multimedia. Bund und Länder bereiten hier bekanntlich jeweils für ihren Zuständigkeitsbereich Regelungen vor. Sie sollen voraussichtlich bis Mitte nächsten Jahres verabschiedet werden.
Der Bund wird ein Informations- und Kommunikationsdienstegesetz vorlegen. Die Länder beabsichtigen den Abschluß eines Mediendienstestaatsvertrags. Es gibt zwar noch einige offene Fragen, vor allem zum Geltungsbereich der jeweiligen Regelungen. Aber erfreulicherweise besteht Übereinstimmung darüber, daß der Zugang zu den neuen Diensten frei sein muß.
Alle Fachleute sind sich einig, daß jetzt vor allem Schnelligkeit gefragt ist. Alle Verantwortlichen, insbesondere auch alle, die sich auf diesem Gebiet in Wirtschaft und Gesellschaft betätigen, haben Anspruch darauf, daß in diesem innovationsträchtigen Bereich verläßliche Rahmenbedingungen vorzufinden sind. Die Bundesregierung drängt daher nachdrücklich darauf, daß die zwischen Bund und Ländern noch offenen Fragen jetzt sehr schnell geklärt werden.
Ich meine, wir sollten uns hier im deutschen Parlament darüber einig sein, daß über eine Kompetenzdiskussion zentrale Fragen ungelöst bleiben, das darf nicht sein! Das können wir nicht hinnehmen. Dafür ist dieser Fragenkomplex viel zu wichtig.
Wir können es uns einfach nicht leisten - auch das gehört ein Stück weit zur Standortdiskussion, die wir heute schon geführt haben -, auf diesem wirklich zukunftsgerichteten Feld ein rechtliches Vakuum aufrechtzuerhalten. Nur andere wären dabei die Nutznießer. Wir sollten für klare rechtliche Rahmenbedingungen Sorge tragen. Da sind Länder und Bund gemeinsam angesprochen.
In einer nächsten Bemerkung möchte ich kurz etwas zur Filmförderung sagen. Der Film ist ja auch ein wichtiges Medium.
- Es ist immer gut, Herr Kollege Krüger, wenn Sie gespannt sind auf das, was die Bundesregierung sagt, weil sie ja immer gute Orientierungspunkte für die Entwicklung in unserer Gesellschaft beizutragen hat.
Ich darf Sie also richtig fröhlich auffordern, jetzt einmal gut zuzuhören, was sich da Positives tut; Sie haben ja heute so oft Kritisches gesagt, nicht Sie persönlich, aber Kollegen aus Ihrer Fraktion.
Da ich mich in meinem Leben aus guten Gründen oft der Filmförderung zugewandt habe, bin ich über das, was ich Ihnen jetzt sagen darf, sehr erfreut.
Parl. Staatssekretär Dr. Horst Waffenschmidt
Der Trend, der sich in den ersten Monaten dieses Jahres abzeichnete, hat sich bestätigt. Der Marktanteil des deutschen Films ist im Verhältnis zum ersten Halbjahr 1995 erfreulicherweise deutlich gestiegen. Das zeigt sich schon an einer einzigen Zahl, die ich einmal nennen möchte. Die Gesamtbesucherzahl deutscher Filme betrug im ersten Halbjahr 1996 11,2 Millionen gegenüber nur 11 Millionen im ganzen letzten Jahr. Deutsche Filmproduktionen haben also zusätzliche Aufmerksamkeit gewonnen. Ich meine, das ist eine gute Sache; und wir alle sollten denen danken, die interessante und gute Filme in Deutschland gestalten und herstellen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krüger, Herr Parlamentarischer Staatssekretär?
Ja.
Bitte, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, die Freude über die Entwicklung auf dem deutschen Filmmarkt teilen wir ja. Aber es gibt ein konkretes Problem. Die privaten TV-Anbieter haben ihren Beitrag für die Filmförderungsanstalt zurückgestellt. Auch der Videoverband zahlt nicht und hat geklagt; in der ersten Instanz war er unterlegen. Was unternimmt die Bundesregierung denn, damit sich diese beiden wieder an das Filmförderungsgesetz halten und ihren Beitrag einzahlen? Vor allen Dingen: Zu welchen Konditionen erfolgt das?
Herr Kollege Krüger, das war praktisch Gedankenübertragung. Ich wollte in meinem Beitrag gerade dazu übergehen.
Das Filmförderungsgesetz gilt in seiner derzeitigen Fassung noch bis Ende 1998. Wir wollen intensiv prüfen, ob nicht entsprechend dem Votum des Innenausschusses eine Anpassung stattfinden muß, sofern die Verhandlungen mit den privaten und mit den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten nicht zu befriedigenden Ergebnissen für die Filmförderung führen. Wir müssen alle Beteiligten in die Pflicht nehmen. Wenn man eine Verpflichtung ausspricht und eine Erwartung hat und diese nicht erfüllt werden, dann muß man sich damit befassen, das Gesetz im Sinne dessen zu ändern, was der Innenausschuß angesprochen hat.
Meine Damen und Herren, wir haben im gesamten Medienbereich eine so wichtige Aufgabe vor uns, daß wir uns darin einig sein sollten, diesen Bereich auch künftig verstärkt durch alle Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft zu begleiten. Wir sollten die gesamten Entwicklungen offen, kritisch, aber auch mit Blick auf die vielfältigen Möglichkeiten, die dieser Bereich für die Menschen und für die Gesellschaft bietet, anschauen und so begleiten, daß sie - auch das will ich am Schluß meines kurzen Beitrages sagen - für die Menschen zuträglich bleiben. Denn die Medien müssen im Dienste der Menschen stehen. Darauf sollten wir angesichts unserer gemeinsamen Verantwortung Wert legen.
Herzlichen Dank.
Frau Kollegin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der stürmischen Entwicklungen bei den neuen Medien, angesichts des starken Konkurrenzkampfes und angesichts der Diskussionen um Wettbewerbsvorteile und Wachstumsimpulse finde ich es sehr schön, daß wir heute die seltene Gelegenheit haben, Medienpolitik einmal etwas anders zu betrachten. Jedenfalls schlage ich das vor. Meine Empfehlungen wären, die Auswirkungen von Medien auf Gesellschaft und Demokratie zu besprechen und damit eine Art Kontrapunkt zur gängigen Diskussion zu setzen.
Ich fände es schön, wenn wir gemeinsam in dieser kleinen Runde ein paar Pflöcke einschlagen könnten. Herr Waffenschmidt, Sie haben so sehr auf gemeinsame Bekundungen abgehoben. Ich hoffe, wir erzielen Einigkeit darüber, daß es eine Bestands- und Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geben muß.
Ich hoffe ebenso eindringlich, Herr Stadler, daß wir Konsens darüber erzielen, daß die großen Tagesereignisse des Sports und der Unterhaltung auch in Zukunft für alle Bügerinnen und Bürger ohne zusätzliche Geldzahlungen auf dem Bildschirm zu empfangen sein müssen.
Wir reden so gern von diskriminierungsfreiem Zugang zu allen möglichen neuen Diensten. Im Zuge der Förderung der Chancengleichheit fände ich es gut, die Chancengleichheit für ganz normale, gängige, aber auch für spektakuläre Fernsehübertragungen abzusichern. Denn es darf ja wohl nicht geschehen, daß der Vormarsch von Pay-TV mit der Entwicklung einer Zwei- oder Dreiklassengesellschaft am Bildschirm einhergeht.
Schließlich gibt es einen weiteren wichtigen Punkt: Ich halte es für unerläßlich, das Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten auszubauen. Ich komme noch darauf zurück.
Der Medienbericht, den wir heute diskutieren, umfaßt die Jahre 1985 bis 1994, also die Phase aufrüttelnder Veränderungen in Europa.
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
In der ehemaligen DDR hat es nach der Wende keine derartige medienpolitische Aufbruchstimmung gegeben wie etwa in der Epoche nach der Nazi-Diktatur. Es gab nicht das brennende Streben nach einem Rundfunk, der nicht mehr dem Profit eines einzelnen oder der Einflußnahme der Propagandamaschinerie des Staates ausgeliefert sein sollte.
Aber es hat sich etwas entwickelt. Immerhin bleibt positiv anzumerken, daß nach der ersten Euphorie inzwischen auch die Medienskepsis ehemaliger DDR-Bürger zugenommen hat. Ich finde das durchaus positiv, weil ich die kritische Distanz zu allen Medienangeboten für eine heilsame Fähigkeit halte, die ich jedem Nutzer - wir Politiker natürlich einbegriffen - wünsche.
Allen Unkenrufen zum Trotz behauptet sich das gedruckte Wort recht stabil. Der Zeitungsmarkt verläuft ziemlich gleichmäßig, überregionale Tageszeitungen vermelden sogar eher steigende Auflagen.
Der Kulturkanal Arte unter Beteiligung von ARD und ZDF hat sich - entgegen den ersten pessimistischen Prognosen - seit 1992 fest etabliert und liefert ungemein anregende und informative Beiträge.
Im Reigen der zahlreicher gewordenen lokalen Radiostationen haben auch offene Kanäle ihren Platz gefunden. Egal, ob sich die Kanäle an Durchschnittshörer und -hörerinnen richten oder von einer Minderheit wahrgenommen werden: Im Ansatz ist etwas entstanden, was wir unter „Bürgerfunk" zusammenfassen.
Gleichwohl, solche positiven Zeichen können natürlich nicht die bedenklichen Signale überlagern. Herr Kollege Waffenschmidt, ich hörte von Ihnen Schönes über die Entwicklung des deutschen Films, die sich aber offenbar erst 1995 gebessert hat; denn im Medienbericht von 1994 ist noch die Rede von einer Krise, die auch durch die staatliche Filmförderung nicht habe aufgehalten werden können. Daraus hat die Bundesregierung gefolgert, man müsse künftig stärker als bisher das Publikumsinteresse als Maßstab heranziehen.
Nun räume ich durchaus ein: Der ambitionierte Film kann nicht völlig an der Kundschaft und deren Bedürfnissen vorbei produziert werden. Aber mit einem Kniefall vor dem, was man als „breiten Publikumsgeschmack" auffaßt, macht es sich die Bundesregierung einfach zu leicht.
Weiter vermerkt der Bericht:
Reichweite und Nutzungsdauer der Medien allgemein und speziell des Fernsehens haben bei Kindern und Jugendlichen im Berichtszeitraum deutlich zugenommen. Das Fernsehen ist für Kinder und Jugendliche zum Leitmedium geworden.
Nun sind wir darüber nicht sonderlich erstaunt; das wissen wir aus persönlicher Erfahrung. Aber wie gehen wir denn damit um? Die gesamte Gesellschaft diskutiert mit Sorgenfalten auf der Stirn über Gewalt und Grausamkeit auf der Mattscheibe, wobei ich gerade den Konservativen hier im Raum etwas sagen möchte: Man sollte sich vor allzu lautstarkem Lamento über diese Entwicklungen hüten; denn wer vor zehn oder 15 Jahren massiv den raschen Siegeszug der Privaten durchgepeitscht hat, der sollte nicht über die Früchte seiner Taten Krokodilstränen vergießen.
Das erinnert mich ein bißchen an einen Bundeskanzler, der erst die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gesetzlich wegkürzt und sich anschließend darüber beschwert, daß allzu eilfertige Arbeitgeber die tariflichen Vereinbarungen nun nicht mehr einhalten - frei nach dem Kinderlied „Fuchs, ich hab' die Gans gestohlen, gib sie mal wieder her". So geht es nicht.
Die Vielzahl der elektronischen Medienangebote hat zweifellos zugenommen; die Vielfalt ist deswegen keineswegs gewährleistet. Ich finde sogar, die wachsende Tendenz zu Sparten- und Zielgruppenprogrammen zerklüftet unsere Gesellschaft eher, als daß sie zusammenführt. Qualität, Informationsfülle, vertiefte Hintergrundberichterstattung und Analyse weichen unter dem Druck des Konkurrenzkampfes in späte Abendstunden und in die kleinen, feinen Minderheitenprogramme aus.
Man mag das unterschiedlich beurteilen; man kann auch sagen: Jeder soll das Recht haben, doof zu bleiben. Aber ich finde es nicht nur bedauerlich, sondern bedenklich, wenn die Medien eine breite Mehrheit der Bevölkerung im Seichten und im 1:30-Journalismus zurücklassen und sich allein die bildungs- und informationsinteressierte Elite der anspruchsvollen Programme und Druckerzeugnisse bedient.
Ich plädiere für eine Offensive zum Ausbau der Rechte von Journalisten. Die innere Pressefreiheit ist in den ganzen zurückliegenden Jahren kaum vorangekommen. Die Zahl der Redaktionsstatute stagniert. Ich finde, hier sind freilich die Journalisten selbst gefordert. Helfen kann und muß ihnen der Gesetzgeber aber bei der Stärkung des Zeugnisverweigerungsrechts. Die Ausweitung auf selbstrecherchiertes Material verlangt meine Fraktion seit Jahren. Aus gegebenem Anlaß erneuern wir unsere Forderung. Sie wissen, wovon ich spreche, nämlich von der Durchsuchungsaktion der Staatsanwaltschaft in Bremer Redaktionsräumen. Ich finde, der Deutsche Bundestag sollte dies eindeutig verurteilen.
Am Schluß noch zu einem Aspekt. Wenn unsere medienbestimmte Demokratie sattelfest bleiben soll, dann brauchen wir alle gemeinsam eine gehörige Portion Selbstkritik - sowohl die Journalisten, die Repräsentanten der sogenannten vierten Gewalt in diesem Staat, als auch wir, die Parlamentarier. Es ist zu fragen: Was richten Medien mit der repräsentativen Demokratie an, wenn Politik und deren Resonanz in den Medien schleichend, aber stetig unter das Gebot der Unterhaltung gestellt werden oder wenn ohnehin im Publikum bestehende Vorurteile und Halbwahrheiten über das Wesen von Parlament und Parteien derart genüßlich ausgebreitet werden,
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
daß daraus Parlamentsfeindlichkeit entstehen kann? Wie bewahren wir umgekehrt uns Politiker selbst davor, daß wir unseren Debattenstil und unsere Argumentation vorwiegend daran orientieren, zu welchem Zeitpunkt wer am Bildschirm sitzt oder mit welchen Thesen wir vor die Kameras treten, in die Mikrophone beißen oder Schlagzeilen machen können?
Ich meine, wir sollten die Diskussion sehr bald und intensiv führen - nicht nur innerhalb der MedienEnquete, so gern ich dort auch mitarbeite, sondern am besten wir alle zusammen mit den Medienvertretern.
Ich danke Ihnen.
Herr Kollege Rezzo Schlauch, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der fünfte Medienbericht, über den wir heute abschließend beraten, beschäftigt sich mit der Entwicklung der Medienlandschaft im Zeitraum von - man höre -1986 bis 1994. In diesem Berichtszeitraum hat sich die Medienlandschaft so heftig fortentwickelt wie kaum jemals zuvor. Seit dieser Zeit kommt die Sportschau manchmal ohne Fußball. Seit dieser Zeit muß der bayerische Ministerpräsident im Fernsehen gelegentlich Unterschriftenlisten von Landfrauenverbänden gegen Gewalt mit der linken Hand entgegennehmen, während Herr Kirch noch die rechte schüttelt.
Bei den Sozialdemokraten, zumal bei denen in Nordrhein-Westfalen, verhält es sich ähnlich, wenn das ihnen verbundene mittelständische Medienunternehmen aus Gütersloh Herrn Clement und den Vorsitzenden der Landtagsfraktionen unterbreitet, wie die Konzentrationsregelung im neuen Rundfunkstaatsvertrag auszusehen hat.
Aus Sicht von Bündnis 90/Die Grünen ist dieser Medienbericht bei aller Anerkennung der Fleißarbeit in manchen Punkten nicht zureichend.
Wir haben diese Punkte in einem Entschließungsantrag vorgelegt, wobei dieser weitgehend mit der Beschlußempfehlung übereinstimmt. Einige Punkte allerdings haben wir weiter und konkreter gefaßt.
Unzureichend behandelt der Medienbericht beispielsweise die Konzentrationsentwicklung im Tageszeitungsbereich. Der Grad der Konzentration - Herr Kollege Oswald, das wissen Sie - hat weder im Osten noch im Westen abgenommen. - Leider können Sie nicht zuhören; denn Sie müssen jetzt telefonieren. - Im Gegenteil: Das Bild wird von lokalen und regionalen Monopolen geprägt. Deshalb muß die Pressestatistik als Instrument zur Konzentrationsermittlung und damit zur Konzentrationsbekämpfung auch unbedingt aufrechterhalten werden.
Eine längst überfällige Aufgabe, die der Medienbericht völlig unzureichend abhandelt - darauf ist hingewiesen worden; ich kann das nur unterstreichen -, ist, daß die Gesetzeslücke beim Zeugnisverweigerungsrecht geschlossen wird. Die Bündnisgrünen haben vor der Sommerpause einen Gesetzentwurf eingereicht, der das Zeugnisverweigerungsrecht endlich auf selbstrecherchiertes Material ohne Einschränkung ausweitet. Daß dies dringend notwendig ist, belegen wildgewordene Staatsanwälte in Bremen und überall in der Republik fast täglich. Soweit die Aufarbeitung der Vergangenheit.
In einem, meine Damen und Herren, sollten wir jedoch heute an einem Strang ziehen. Wenn ich es recht gelesen habe, haben sich Politiker aus allen Parteien aus Bund und Ländern in den letzten Wochen in dieser Richtung geäußert. Ich hoffe, Herr Kollege, auch wenn Sie jetzt schon grinsen, wir können Sie heute beim Wort nehmen und erhalten Ihre Zustimmung zu unserem Antrag unter der Überschrift „Übertragungsfreiheit bei Großereignissen sicherstellen".
Der Kern unserer Forderung lautet: Fußball muß im Free-TV bleiben. Natürlich steht der Fußball hier als Pars pro toto, es geht ebenso um andere gesellschaftlich und kulturell wichtige Großveranstaltungen, über die die Freiheit der Berichterstattung gesichert werden muß.
Noch ist es ja nicht so, daß der Kollege Waigel beispielsweise zur Haushaltssanierung Bundestagssitzungen oder CSU-Parteitage exklusiv im Pay-TV vermarktet. Soweit darf es auch nicht kommen. Im Fußball allerdings haben wir genau schon diese Situation. Seit das Konsortium Kirch die Sonderrechte für die Fußballweltmeisterschaft gekauft hat, ist die Gefahr offenkundig, daß zukünftig nur die Gutbetuchten die Weltmeisterschaftsspiele live verfolgen können und die anderen eben als Konserven. Der für den DFB zuständige Vertreter, der Multifunktionär Mayer-Vorfelder, glänzte bei der entscheidenden FIFA-Sitzung durch Abwesenheit, weil ihm in Stuttgart zum selben Zeitpunkt politisch der Kittel brannte, und Sie wissen da genau, was ich meine.
- Ich werde es Ihnen nachher im Privatissimum sagen.
Soll es etwa der Sinn der vielfach beschworenen technischen Evolution sein, daß bei Vervielfältigung der Sendemöglichkeiten nur noch Besserverdienende die zusätzlichen 40 Mark fürs Pay-TV aufbringen können? Ich glaube nicht. Auch wenn es für Kirch und Konsorten noch so verlockend sein sollte, mit dem Exklusivangebot Fußball die schwache Nachfrage nach Pay-TV zu beleben und die Konkurrenz von RTL, ARD und ZDF auszuhebeln, können wir nicht akzeptieren, daß damit dem Free-TV der
Rezzo Schlauch
Boden entzogen und gesellschaftliche Öffentlichkeit in gut versorgte Besserverdiener und schlecht bediente Resteverwerter gespalten wird.
Wer den Fernsehmarkt dereguliert und alles nur dem Markt überlassen will, darf sich hinterher nicht beklagen, wenn Marktgesetze herrschen. Und wenn der Hehler ruft „Haltet den Dieb!", dann stimmt etwas nicht.
Ich glaube, es geht darum, in diesem Bereich zu intervenieren und soziale Marktwirtschaft zu gewährleisten, ich betone: soziale Marktwirtschaft zu gewährleisten. Das nächste Spiel ist immer das schwerste. Ich hoffe, daß dieser Satz nicht auf die jetzige Abstimmung zutrifft, sondern Ihnen die Zustimmung zu diesem Resolutionsentwurf leicht fällt.
Danke schön.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Max Stadler.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Medienpolitik wird normalerweise unter den Aspekten diskutiert: Neue Medien, Multimedia, Wachstumsbranche Nummer eins, Standort Deutschland, Rundfunkstaatsvertrag, Kompetenzabgrenzungen Bund/Länder, Definition neuer Dienste als Rundfunk oder als Dienstleistung, die nur wirtschaftsrechtlich einzuordnen ist, und all diese Themen, die mehr in den Bereich Arbeitsplatzsicherung, Arbeitsplatzausbau, Standort Deutschland gehen. All dies wird Thema des Zwischenberichts der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages sein, über den demnächst zu sprechen sein wird.
Daher möchte ich genau, wie Frau Sonntag-Wolgast das vorhin angeregt hat, die heutige Debatte benutzen, um einmal einige andere Aspekte anzusprechen. Zunächst einmal gibt der Medienbericht einen ausgezeichneten Überblick über die Fülle von Rechtsgebieten, die betroffen sind und wo der Bund durchaus eine Zuständigkeit hat. Ich nenne nur Urheberrecht, Datenschutz, Persönlichkeitsschutz, Strafrecht, Jugendschutz und Verbraucherschutz. Das beweist, in wie viele Bereiche der Innenpolitik medienrechtliche Problemstellungen hineinreichen, und führt mich zu der ersten Folgerung: Medienpolitik ist und bleibt ein Kernstück der Innenpolitik des Bundes und muß daher weiterhin Sache der Innenpolitiker sein, oder anders ausgedrückt: Innenpolitik ist mehr als nur innere Sicherheit.
Aus der Fülle des Materials dieses Medienberichts möchte ich einige wenige Fragen im Detail ansprechen.
Von allen Vorrednern ist das Problem der Beschlagnahmefreiheit von selbstrecherchiertem Material von Journalisten angesprochen worden.
Meine Damen und Herren, ich widerspreche der eben vertretenen Auffassung, hier bestehe eine Gesetzeslücke. Sie wissen genau, daß das Bundesverfassungsgericht den jetzigen Rechtszustand für verfassungsgemäß erklärt hat und die Auffassung vertreten hat, daß im Einzelfall die Frage, ob selbstrecherchiertes Material beschlagnahmefrei ist oder ob ein Journalist wie jeder andere Staatsbürger auch Zeuge in einem Strafverfahren sein muß, wenn er selber Erkenntnisse recherchiert hat, immer mit unmittelbarem Rückgriff auf die Verfassung zu lösen ist. Es existiert hier also keineswegs eine Lücke oder ein rechtsfreier Raum.
Ich gestehe Ihnen aber eines zu: Die sich häufenden Durchsuchungsaktionen von Staatsanwaltschaften in der letzten Zeit geben Anlaß zu der Sorge, daß der Rückgriff auf die Verfassung, die nicht so präzise wie ein einfaches Gesetz formuliert sein kann, nicht praktikabel genug ist.
Wir beobachten diese Entwicklung durchaus kritisch. Unser Generalsekretär, Guido Westerwelle, hat am 17. September dazu Fragen an die Bundesregierung gestellt.
Ich sage Ihnen hier zu, daß wir die weitere praktische Entwicklung unter dem Aspekt prüfen, ob entgegen der Auffassung, die wir bisher dazu gehabt haben, eine spezialgesetzliche Regelung notwendig ist.
- Herr Krüger, seien Sie doch froh, wenn ich Ihnen einmal etwas zusage, was Sie fordern. Es müßte Sie doch erfreuen, wenn wir aufeinander zugehen.
- Das hat mit Persönlichkeitsrecht zu tun. Das schließt auch das Recht zu schweigen ein.
Dazu mein zweiter Punkt. In der Entschließung des Innenausschusses ist ausgeführt, daß die Rechtsprechung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu überprüfen ist. Die SPD wollte hier offenbar eine Ausweitung der Schmerzensgeldzahlungen bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch die Medien,
deren Tendenz mir nicht völlig klar gewesen ist. Wir müßten uns darüber einig sein, daß jedenfalls US- amerikanische Zustände, wo riesige Schmerzensgelder eingeklagt werden und wo das Persönlichkeits-
Dr. Max Stadler
recht sehr kommerzialisiert wird, nicht in unserem Sinne sein können.
Die Prüfung, die wir vom Justizministerium erbeten haben, wird wahrscheinlich ergeben, daß wir mit der bisherigen Rechtsprechung sehr gut zurechtkommen. Bekanntlich handelt es sich hier um ein schwieriges Spannungsfeld zwischen Persönlichkeitsrecht einerseits und Rundfunk-, Fernseh- und Pressefreiheit andererseits, an der der Gesetzgeber schon in den 50er Jahren gescheitert ist. Die Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs hat hier nach meiner Meinung von der Soraya-Entscheidung bis zu Caroline von Monaco durchaus brauchbare Maßstäbe entwickelt.
Ich komme zu einem dritten Punkt. Wir haben erlebt, daß die Grünen nun auch den grünen Rasen zum Thema im Stuttgarter OB-Wahlkampf gemacht haben.
Lassen wir hier die Kirche doch im wahrsten Sinne im Dorf! Noch ist nichts anderes passiert, als daß Übertragungsrechte verkauft wurden, wie in der Vergangenheit auch. Der Gesetzgeber mag gefordert sein, wenn eine Situation eintritt, die hier schon vom Kollegen Schlauch beschworen worden ist. Noch ist es nicht so weit. Deswegen lehnen wir seinen Antrag als verfrüht ab.
Weil meine Redezeit beinahe schon abgelaufen ist, nur noch ein kurzes Wort zum dualen System: Für uns steht die Bestandsgarantie für den öffentlich- rechtlichen Rundfunk außer Frage. Mit Befriedigung haben wir registriert, daß die Anhänger einer alten Idee der F.D.P. immer zahlreicher werden. Beispielsweise hat sich kürzlich Professor Ricker, ein führender Medienrechtler, dafür ausgesprochen.
Wir meinen, daß man mittelfristig ernsthaft darüber nachdenken muß, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht werbefrei werden soll, nur noch gebührenfinanziert sein soll, weil wir feststellen, daß eine Tendenz zur Nivellierung mit den Privatsendern in der Art und Weise, wie man Programminhalte präsentiert, offenbar mit dem Erfordernis des öffentlich- rechtlichen Rundfunks zusammenhängt, an den Werbeeinnahmen teilzuhaben.
Man sollte es als eine Chance für den öffentlich- rechtlichen Rundfunk begreifen, über Werbefreiheit wieder mehr Programmautonomie zu erreichen. Ich bitte Sie, diesen unseren Vorschlag vorurteilsfrei zu prüfen.
Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Wir vom Innenausschuß haben einen weiteren Medienbericht noch in dieser Legislaturperiode angefordert. Das Innenministerium möge dies als Beleg dafür nehmen, daß uns dieser Medienbericht als eine sehr, sehr gute und nützliche Grundlage für alle diejenigen, die Medienpolitik betreiben, erscheint.
Weil die Entwicklung so rasant fortschreitet, möchten wir möglichst bald diesen neuen Medienbericht haben, nicht etwa, weil der vorgelegte Bericht unzureichend wäre. Ganz im Gegenteil!
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Bierstedt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst eine kurze Bemerkung in Richtung der Kollegen von der CDU. Es wirft ein beredtes Licht auf Ihre Auffassung von Meinungsvielfalt, wenn Sie den Beitrag von Rezzo Schlauch nur deshalb für falsch erklären, weil die PDS Beifall geklatscht hat. Damit mögen Sie aber alleine fertigwerden.
Auch wenn der heute zu behandelnde Medienbericht der Bundesregierung schon etwas Patina angesetzt hat, so enthält er doch eine Vielzahl außerordentlich interessanter Feststellungen und Formulierungen. So zum Beispiel auf Seite 139 zum Unterpunkt Informationsvielfalt:
Er -
- der Händler -
ist gezwungen, alle Presseprodukte in seinem Sortiment zu führen, er darf aus subjektiven, praktischen oder ethischen Motiven kein Objekt ausschließen.
Das ist zweifelsfrei richtig. Neulich ist mir in einem sehr südlichen Freistaat unserer Republik folgendes passiert: Als ich dort an einem Kiosk die sozialistische Tageszeitung „Neues Deutschland" verlangte, war die nette Verkäuferin doch sehr erschrocken. Es kann sein, daß sie sofort an ihren Innenminister und seinen Überwachungswahn hinsichtlich der PDS gedacht hat, als sie mir in dem schon fast vergessenen DDR-Jargon zurief: „Ham wa nich!" und nach einer kurzen Denkpause erläuternd hinzufügte, sie bringe sich mit sowas doch nicht in Schwierigkeiten.
Damit will ich sagen: Zwischen der politischen Absichtserklärung zur weltanschaulichen Pluralität - immerhin geschützt durch einen entsprechenden Grundgesetzartikel - und der im wesentlichen durch
Wolfgang Bierstedt
politisches Kalkül geprägten Wirklichkeit klafft doch eine ziemliche Lücke.
Ein kleiner Hinweis für die Kollegen vom Stenographischen Dienst: Falls Sie nicht ganz genau wissen, wie man „Ham wa nich!" schreibt, fragen Sie Ihre ostdeutschen Kollegen, falls Sie solche haben, die kennen das noch bestens aus ihrer Erinnerung.
Wem dieses Kiosk-Beispiel nicht reicht, weil es sich dabei natürlich um einen Einzelfall handeln kann, der möge einmal darüber nachdenken, weshalb die Fraktionsvorsitzende der PDS im sachsen-anhaltinischen Landtag, Frau Dr. Petra Sitte, im Beirat des ZDF unerwünscht ist, im Gegenzug jedoch ein Herr von der F.D.P. über das Vehikel Aushilfeplatz von der CDU hineinmanövriert wurde.
Meinungsvielfalt hin, aber politisches Kalkül her. Nicht umsonst hat eine Vielzahl von Zeitungen aus ihrem Kopf den Zusatz „unabhängig und überparteilich " verbannt. Zweifelsfrei waren Presse, Rundfunk und Fernsehen in der DDR genauso gleichgeschaltet wie, von wenigen Ausnahmen abgesehen, langweilig. Es gab aber zwei Vorteile: Zum einen gab es nur sehr wenig Werbung - man könnte fragen: Wofür auch? -, und zum anderen wußte man ganz genau, daß die jeweilige Abteilung des ZK oder der Bezirksleitung der SED hinter fast jeder Meldung steckte und man davon ausgehen konnte, daß das Wesentliche zwischen den Zeilen stand.
Heute weiß die Allgemeinheit nicht mehr ganz genau, wer hinter welchem Medienprodukt mit welchen Interessen steht. Das halte ich für bedenklich. Denn der Medienbericht führt zwei weitere interessante Sachverhalte aus:
So auf Seite 85:
Für jeden Bezirk der DDR gab es fortan - seit 1952 - eine SED-Zeitung mit dem Privileg einer flächendeckenden, jedoch wenig ausdifferenzierten Lokalberichterstattung.
Und auf Seite 88:
Heute, nach mehrjährigem Wettbewerb unter marktwirtschaftlichen Bedingungen, ist der Marktanteil der großen Bezirkszeitungen in den neuen Ländern, welche ohne Ausnahme von den großen westdeutschen Verlagshäusern übernommen wurden, zusammen mit über 91 Prozent noch etwas höher als vor dem politischen Umbruch.
Diese Medienmachtkonzentration macht mich als gelernten DDR-Medienbürger natürlich mißtrauisch. Ich will Ihnen mein diesbezügliches Mißtrauen mit zwei Zitaten aus einem Artikel des „Kölner Stadt-Anzeigers" vom 10. Juli dieses Jahres belegen.
Erstens.
Fest steht, daß Kirch seinen Haussender SAT 1 praktisch stramm auf CDU-Kurs trimmt.
Der Redakteur führt als Beweis eine ganze Reihe von tendenziellen Sendungen an.
Zweitens.
Als Thomas Löffelholz, frischgekürter Chefredakteur der „Welt", das Karlsruher Kruzifix-Urteil in einem Leitartikel nicht in Bausch und Bogen verdammte, verlangte Kirch
- Leo genannt -
prompt dessen Entlassung. Politische Ausgewogenheit zählt sicher nicht zu den herausstechenden Eigenschaften dieses medienscheuen Medienmoguls.
Bei allen bisher genutzten Medien hat Kapitalkonzentration zu einer Einschränkung der Meinungsvielfalt geführt. Kennzeichnend dafür ist das rasche und fast restlose Verschwinden der reichen und lebendigen Alternativpresse, die in und kurz nach der Wende in der DDR entstanden war, aus keinem anderen Grund als dem der erdrückenden Übermacht der Großen im ökonomischen Konkurrenzkampf.
Es ist eine vielfach bestätigte Tatsache, daß Vereinigungen, Gruppen oder Initiativen von Bürgern ihre Chance, mit zumeist nicht kommerziellen Presseorganen oder Rundfunkprogrammen in der Öffentlichkeit wirksam zu werden, wegen der im Medienbereich herrschenden Marktgesetze sehr häufig nicht oder nur kurzfristig oder in sehr engen Bereichen realisieren können. So sind gerade Meinungen und Anregungen an der Artikulation und Verbreitung gehindert, die für eine lebendige Demokratie unersetzlich sind und am ehesten geeignet wären, die eingefahrene Routine etablierter Institutionen und Organisationen zu durchbrechen.
Gewiß sind neben den ökonomischen auch andere - gesellschaftliche oder individuelle - Ursachen dafür maßgeblich, daß sich diese Angebote nicht behaupten können. Nur die Marktgesetze verhindern in der Regel, daß sie überhaupt die Chance haben, sich einen größeren Nutzerkreis zu erobern.
Einschränkung der Meinungsvielfalt hängt auch mit der durch Konkurrenz um Werbeanteile bedingten Verflachung des Kommunikationsangebotes der Medien zusammen.
Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist durch den Umfang des Wortprogramms und Mechanismen des Binnenpluralismus wenigstens eine gewisse, wenn auch durchaus nicht hinreichende Meinungsvielfalt zu verzeichnen. Im größten Teil der privat-kommerziellen Medien ist auf Grund der Banalisierung des Angebotes und des geringfügigen Anteiles aktueller gesellschaftlicher Informationen schlicht kein Raum für Meinungsvielfalt, von den politischen Ambitionen einzelner Veranstalter einmal ganz abgesehen.
Wolfgang Bierstedt
- Das habe ich übrigens selbst geschrieben.
Wir schlagen vor, den Medienbericht zur Kenntnis zu nehmen. Aus diesem Grunde könnten wir uns dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ganz einfach anschließen.
Danke schön.
Herr Kollege, unsere Geschäftsordnung geht an sich davon aus, daß die Beiträge in freier Rede vorgetragen werden. Ich erinnere mich an eine Parlamentsreform, bei der eine besonders engagierte Reformerin diese Forderung unterstrichen hat, dies aber vom Blatt las.
Allerdings heißt es in diesem Parlament auch: erste, zweite und dritte Lesung. Das ist eine ambivalente Geschichte.
Ich erteile jetzt das Wort dem Kollegen Hans-Otto Wilhelm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich habe hoffnungsfroh der Eingangsbemerkung der Kollegin Sonntag-Wolgast zugehört, sie wolle erneut Grundpfosten einschlagen. Das Bemerkenswerte bei dem früheren Einschlagen von Grundpfosten war, daß die SPD sie immer wieder herausziehen mußte, weil sie sich nämlich geirrt hatte.
Ich bin sehr im Zweifel, ob die Prognose über Technik und technologische Entwicklung, die in ganz erheblicher Weise nicht nur unser Leben, sondern konkret die Medienwelt beeinflußt, ideologiebefrachtet oder interessengesteuert, was den Aspekt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks anbelangt, aufrechterhalten werden kann.
Ich will aus der Fülle der Möglichkeiten, an einen solchen Bericht heranzugehen, eine Meldung, wie sie jeden Tag kommt, einmal herausgreifen, um deutlich zu machen, was das für uns bedeutet. Das ist eine Meldung, die gestern von einer Agentur kam und die wir schon oft in einem anderen Zusammenhang vernommen haben: daß die Regierung des südostasiatischen Stadtstaates Singapur für eine umfassende Computerausbildung
- in der Tat, Sie sollten das aber nicht zu hoffnungsvoll sagen - seiner Bürger sorgen will, damit
das Land im internationalen wirtschaftlichen
Wettbewerb gegen die entwickelten Staaten bestehen kann. Eine Ausbildung im Umgang mit
Computern soll in allen Grundschulen obligatorisch werden. Alle 1,7 Millionen Arbeitnehmer sollen bis zum Jahre 2006 über Computerwissen verfügen. In jedem Haushalt soll mindestens eine Person Computer bedienen können.
36 Prozent aller Haushalte sind heute schon ausgestattet, und 24 Prozent haben Internet-Anschluß.
Ich komme noch einmal zurück auf die Aussage: „um uns nicht abzukoppeln von den entwickelten Staaten." Die Staaten, die hier als entwickelt bezeichnet werden, nämlich die westeuropäischen Staaten, haben bei weitem noch nicht einen Standard in diesem Bereich wie Singapur. Ich will damit nur andeuten, welche Aufgaben auf uns zukommen. Unabhängig von der Frage, was mit dem Computer angestellt werden kann - ich will ja die Gefahren überhaupt nicht vernachlässigen -, müssen wir als ein Land, das nur über einen einzigen Rohstoff verfügt, nämlich die Qualität seiner Köpfe, dafür sorgen, daß die Defizite, die zum Teil vorhanden sind, ausgeglichen werden. Im Grunde genommen müßte doch dieses Land elektrisiert sein von den Möglichkeiten einer solchen Entwicklung und sollte bereit sein, sie geistig offen mitzumachen.
- Das hat nicht nur etwas mit Enquete-Kommissionen und abstrakter Beschreibung zu tun; vielmehr hat das auch etwas mit konkretem Tun zu tun.
Ich sage das deswegen, weil beispielsweise die Ausstattung von Schulen mit Computern eine der elementarsten Voraussetzungen dafür ist, daß man in diesem Wettbewerbsprozeß, der gnadenlos geführt wird, nicht abgehängt wird. Ich frage, warum neben den Aktivitäten des Rüttgers-Ministeriums, in Zusammenhang mit der Telekommunikation mehrere tausend Schulen mit Computern auszustatten, beispielsweise die Sachkostenträger von Schulen erkennbar überhaupt nicht finanziell in der Lage sind, für eine der wichtigsten Zukunftsinvestitionen noch einen Pfennig auszugeben.
- Oder bereit sind.
- In der Tat. Aber es ist doch überhaupt gar keine Frage: Es geht doch in Ordnung, wenn Bayern „online" geht. Wir sollten hier keine föderalen Unterschiede diskutieren; das Thema ist viel zu ernst.
Ich plädiere dafür, daß auch die Länder ihre Verantwortung in diesen Fragen entdecken. Ich plädiere dafür, daß sie ihren nicht zahlungswilligen oder zahlungsfähigen Kommunen in diesem Zusammenhang helfen. Wie wollen wir denn diese Zukunft gewinnen, wenn in wenigen Jahren eine Eingangsvoraussetzung für das Studium die Beherrschung des Com-
Hans-Otto Wilhelm
puters ist? Wie wollen wir in der Welt bestehen, wenn in wenigen Jahren die Beherrschung des Computers Voraussetzung für den Eintritt ins Berufsleben ist? Wenn wir uns von dieser Entwicklung abkoppeln, sind wir nicht konkurrenzfähig. Denn der Handel mit Informationsgütern und mit Dienstleistungen wird die Herstellung traditioneller Produkte überflügeln.
- Ich appelliere an Sie, daß Sie den politischen, auch den geistigen Rahmen liefern - wenn wir alle schon für mehr Arbeitsplätze in einem Land sind, das über ihren Verlust klagt -, daß Sie mit dafür sorgen, daß es in dieser Beziehung keine Beschränktheiten gibt.
Das kann ich bei Ihnen nicht immer feststellen. Bei allen Zukunftstechnologien haben Sie in der Vergangenheit Schwierigkeiten gemacht. Ob das die Gentechnologie ist oder andere Technologiebereiche: Sie haben meines Erachtens eher behindert als gefördert, um es ganz deutlich zu sagen.
Es ist also unstreitig, daß die Bereitschaft für den Wandel zur totalen Informationsgesellschaft,
die beherrschbar gemacht werden muß, vorhanden ist. Ob Sie das wollen oder nicht, ist völlig unbedeutend. Es ist so, verehrter Kollege; offenbar haben Sie nicht genügend Sachkunde in diesem Bereich.
Die Technik der Digitalisierung und der Kompression von Daten hat sich in einer solchen Form entwikkelt, daß das Abspeichern und das Verteilen von Wissen unbegrenzt möglich ist. Das alles ist in relativ kurzer Zeit geschehen. Es wird eines der größten Entwicklungspotentiale der Wirtschaft sein; das Land Bundesrepublik Deutschland muß nur bewußt derartige Wirtschaftszweige nutzen. In diesem Sinne sollten wir ein geistiges Bündnis eingehen, um dieses Ziel zu erreichen, wenn wir etwas mit der Zukunftsfähigkeit unseres Landes im Sinn haben.
Es nutzt nichts, darüber zu lamentieren, daß wir Arbeitsplatzbedarf haben. Wir müssen die neuen Entwicklungen in diesem Sinne nutzen. Es ist. auch völlig müßig, die Frage, ob die neue Informationsgesellschaft 1 Million, 5 Millionen oder nur 200 000 neue Arbeitsplätze zu schaffen imstande ist, theoretisch zu erörtern. Ich weiß es nicht. Eines ist jedoch auf jeden Fall sicher: Wenn wir diesen Schritt nicht mitgehen, werden die vorhandenen Arbeitsplätze noch schneller verlorengehen als dann, wenn man diesen Schritt mitgeht und vorhandene Arbeitsplätze stabilisiert und weiterentwickelt.
Wir alle müssen fähig sein, das zu erkennen. Hier hinkt die SPD - wie in vielen anderen Fragen des gesellschaftlichen Fortschritts - deutlich hinterher.
Das Ziel der notwendigen Regelungen - das macht uns bei der föderalen Struktur in Deutschland viel Mühe - muß es sein, den alten, geprägten Rundfunkbegriff mit dem kompatibel zu machen, was an neuer Kommunikation und Dienstleistung auf uns zukommt.
Herr Kollege Wilhelm, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bierstedt?
Bitte schön.
Herr Kollege, von der SPD-Bundestagsfraktion ist leider keiner der Kollegen anwesend, die dem Ausschuß für Forschung und Technologie angehören. Daher wird vielleicht Herr Dr. Mayer meine Frage bestätigen können. - Sie haben den Oppositionskräften - vorrangig der SPD - pauschal vorgeworfen, daß sie den Vorlauf, den Deutschland erringen muß, um Informationsgesellschaft zu werden, verhindern. Wie sehen Sie die Tatsache, daß gerade die Vertreter der Koalitionsparteien gestern alle diesbezüglichen Anträge der Oppositionsparteien auf Erhöhung der ohnehin gekürzten Mittel dieses Haushaltstitels in Bausch und Bogen abgelehnt haben?
- Es geht nicht nur um Ihren Antrag, Herr Krüger, auch andere haben Anträge eingebracht. Ich verteidige Sie nicht allein. - Das ist doch ein offensichtlicher Widerspruch.
Die Frage ist angekommen.
Ich war bei der Behandlung des Gegenstands nicht dabei. Ich habe aber erhebliche Zweifel, ob das in dieser vereinfachten Form zutreffend ist; denn ich kann mich an alles, was von unseren Kollegen in diesem Bereich gemacht wurde, erinnern. Wir haben allem, was diese Entwicklung fördert, auch hohe finanzielle Priorität eingeräumt. Ich glaube, daß das, was Sie sagen, töricht und ideologiegeprägt ist und nur zur Diffamierung der Union beitragen soll. Anders kann ich mir das nicht vorstellen.
Herr Kollege Wilhelm, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Catenhusen?
Ja, bitte.
Kollege Wilhelm, es gibt niemanden hier im Saal, der Ihnen widerspricht, daß der schnellstmögliche Anschluß von möglichst vielen Schulen an das Internet eine gute Sache ist. Ich frage Sie: Wissen Sie nicht, daß die wirklichen Probleme für die Schulen die Anschlußgebühren und die monatlichen Kosten sind? Ist Ihnen bekannt, daß die SPD-Fraktion gerade bei den Beratungen zum Telekommunikationsgesetz Vorschläge gemacht hat, daß für solche Einrichtungen Sonderkonditionen und -tarife eingerichtet werden? Warum hat Minister Bötsch unsere Vorschläge in dieser Sache nicht unterstützt?
Sie, die Damen und Herren der SPD, schneiden gern die Riemen aus anderer Leute Leder. Ich kann nicht den Telekommunikationsbereich privatisieren - das ist eine der größten politischen Leistungen überhaupt -, einen ganz harten Wettbewerb einführen - wir wollen ihn alle, weil er im Dienste des Kunden ist - und von Anfang an die privatisierte Telekommunikation - in der Verfassung festgelegt - mit politischen Auflagen befrachten, die zur Konkurrenzunfähigkeit führen. Das ist eine typisch sozialdemokratische Begriffsverdrehung von Marktwirtschaft.
Deswegen kommen Sie mit Ihrer Politik auch nicht voran. Sie begreifen das einfach nicht.
Frau Sonntag-Wolgast hat gemeint - ich will es mit meinen Worten sagen -, wir hätten als Ergebnis dieser Entwicklung den privaten Rundfunk durchgepeitscht. Ich glaube, das war ihre Formulierung. Der Begriff hat so etwas Unkeusches an sich. Die SPD - auch eine so sachkundige Journalistin wie meine Kollegin Sonntag-Wolgast - hat bis heute nicht verstanden, daß es überhaupt nicht vom Willen der politisch Handelnden abhängig ist, ob man privaten Rundfunk zuläßt oder nicht. Das ist allein über Art. 5 des Grundgesetzes geregelt. Auf Grund der Begrenztheit der terrestrischen Frequenzen war Rundfunk zunächst auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk begrenzt. Nachdem diese Begrenztheit durch Digitalisierung und Kompressionstechnik aufgelöst worden war, mußten nach Art. 5 des Grundgesetzes privater Rundfunk und privates Fernsehen zugelassen werden. Das ist eine völlig ideologiefreie Entscheidung, die Sie offenbar bis heute nicht verstanden haben.
Oder kennen Sie vielleicht öffentlich-rechtliche Zeitungen? - Nein, in diesem Bereich, der auch über Art. 5 des Grundgesetzes geregelt wird, gibt es übrigens fast nur private Zeitungen. Niemand nimmt an diesem System Anstoß, um das ganz deutlich zu sagen.
Herr Kollege Wilhelm, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Dr. Sonntag-Wolgast?
Bitte.
Herr Kollege Wilhelm, wollen Sie mit diesen Ausführungen sagen, daß sich die CDU/CSU sozusagen gezwungen gefühlt hat, auf Grund der jetzt nicht mehr vorhandenen begrenzten technischen Möglichkeiten den privaten Rundfunk einzuführen? So weit wollen Sie doch wohl nicht gehen? Dahinter steckte doch auch politischer Wille. Das wissen Sie doch. Übrigens ist unbestritten, daß dies auch bei Teilen der SPD der Fall war.
Also, wir müssen in dieser Frage doch ein Privatissimum machen.
Man darf nicht nur in Journalistenveranstaltungen vorne stehen und Allgemeines sagen, sondern man muß auch Urteile des Bundesverfassungsgerichtes lesen.
Danach ist die Festlegung, daß öffentlich-rechtlicher Rundfunk, also Rundfunk des Volkes, gemacht werden muß, ausschließlich auf zwei Aspekte zurückzuführen: erstens auf den finanziellen Aufwand und zweitens auf die Begrenztheit von Frequenzen. Es stand nämlich bekanntermaßen nur eine terrestrische Frequenz zur Verfügung,
und niemand wollte, daß sich das in die Richtung der Meinungsbeeinflussung durch einen privaten Rundfunk bewegt. Nur aus diesem Grunde wurde der öffentlich-rechtliche Rundfunk gegründet. Die technische Entwicklung durch Digitalisierung und Kompression hat die Übertragungswege unendlich zahlreich gemacht. In dem Moment müssen Sie privaten Rundfunk zulassen. Es ist nicht mehr Ihrem politischen Veto überlassen, ob Sie das wollen oder nicht. Sie haben darauf einen verfassungsrechtlichen Anspruch. Aus diesem Grund haben wir heute aus Ihrer Sicht das Dilemma, daß wir den dualen Rundfunk haben und daß sich aus dieser Entwicklung eine Vielzahl von Problemen, auch für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, ergibt. Das ist überhaupt keine Frage.
Das Bundesverfassungsgericht hat den öffentlich- rechtlichen Rundfunkanstalten - in Weiterführung seiner Urteile zu Rundfunkfragen - in der Tat eine Bestands- und Entwicklungsgarantie gegeben, was sehr unterschiedlich interpretiert wird. Es hat ihnen, weil private Rundfunkanstalten ihn noch nicht erfüllen, den Grundversorgungsauftrag zugewiesen. Bedenken Sie doch einmal - jenseits aller parteipolitischer Verengungen, zu denen Sie offenbar fähig sind -,
Hans-Otto Wilhelm
daß der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Zeichen von Popularisierung von Programmen steht. Oder glauben Sie, daß die Einführung von Spartenprogrammen, die Einführung der dritten Programme, die Überlegung, auch im öffentlich-rechtlichen Bereich Pay-TV einzurichten, nur das Ziel hat, die Qualität des Programms - in Ihrem Sinne - im Hauptprogramm zu verbessern? Nein, man will natürlich eine gewisse Anpassung an populäre Programme und Quotenentwicklung bei den Privaten haben - das ist doch gar keine Frage - und entfernt sich damit stückweise - obwohl das nichts mit Qualitätsanspruch zu tun hat - auch von dem Aspekt der Grundversorgung.
Herr Kollege Wilhelm, Sie sehen, daß auch der Kollege Dr. Stadler eine Zwischenfrage stellen möchte. Gestatten Sie die?
Ich finde es immer hochinteressant, wenn so viel Interesse geweckt wird.
Herr Kollege Wilhelm, stimmen Sie mir zu,
daß die verfassungsrechtliche Diskussion heute bereits einen entscheidenden Schritt weitergegangen ist, daß heute diskutiert wird, ob der einzelne private Sender überhaupt noch einer Konzessionierung bedarf oder frei eröffnet werden kann, wie das im Pressewesen der Fall ist?
In der Tat. Ich finde nur, wenn man über so schwierige Fragen spricht, sollte dieses Basiswissen auch bei den Kollegen der SPD vorhanden sein. Dann hat man eine bessere intellektuelle Grundlage, um über so schwierige Fragen zu reden.
In dem Maße, in dem sich privater Rundfunk dem Grundversorgungsauftrag nähert - was nicht ausgeschlossen ist -
und sich möglicherweise der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf Grund des Quotendrucks ein Stück vom Grundversorgungsauftrag entfernt, ohne daß es dadurch keiner mehr sei, muß über die Frage der Gleichrangigkeit zwischen öffentlich-rechtlichem Rundfunk und privatem Rundfunk nachgedacht werden.
Diese Gleichrangigkeit bezieht sich beispielsweise auf die Frage des Zugangsrechts zu Kabelnetzen. Sie wissen, daß heute der öffentlich-rechtliche Rundfunk einen Vorrang hat. Was machen wir denn, wenn neben den beiden Spartenprogrammen möglicherweise auch Pay-TV im öffentlich-rechtlichen Bereich käme. Wenn alle diese öffentlich-rechtlichen Programme ein Vorgriffsrecht auf die Kabelnetze hätten, dann müßten alle privaten Anbieter nach der jetzigen Rechtslage aus den Kabelnetzen verschwinden. Das sind doch die sehr subtilen - auch rechtlichen - Fragen, die unserer Beurteilung bedürfen. Das hat mit CDU- und SPD-Politik überhaupt nichts zu tun.
Es hat was mit Verfassungsrecht zu tun, meine Damen und Herren. Das müssen wir hier deutlich sehen. Ich glaube - der Kollege Stadler hat das unterstrichen -, daß die meisten neuen Dienste Individualangebote sind, die nicht unter den Rundfunkbegriff fallen. Der Rundfunkbegriff ist etwas völlig anderes. Er wendet sich an die Allgemeinheit. Er verlangt Spartenvielfalt usw. - alles Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes.
Wenn wir diese Sache streitig austragen, werden wir nie vorankommen, weil die SPD dazu neigt, im Zweifelsfall alles, was neu ist, unter den Begriff „Rundfunk" zu subsumieren und damit auf Grund unserer föderalen Struktur einen Prozeß in Gang zu setzen, der uns in der Entwicklung in Deutschland deutlich behindert.
Deswegen halte ich es für vernünftig, daß von Bund und Ländern eine pragmatische Lösung gefunden wird. Es wird derzeit versucht, sich in einem entsprechenden Staatsvertrag aufeinander zuzubewegen. Ob dieses Sich-aufeinander-Zubewegen vor den Verfassungen Bestand hat, ist eine völlig andere Frage. Ich erinnere zum Beispiel an die Verfassungsbeschwerde von n-tv im Zusammenhang mit der Bereitschaft der öffentlichen Rundfunkanstalten, Spartenprogramme zu machen. All diese Fragen sind rechtlich nach wie vor umstritten und auch längst nicht alle gelöst.
Natürlich fragt man sich: Wie schaffen wir es angesichts der Entwicklung im Internet, junge Menschen vor Gewalt zu schützen? Ist das Ganze überhaupt beherrschbar? Reicht es aus, digitale Sittenwächter einzubauen? Reicht es aus, ein „net nanny" zu produzieren? Ist die nationale Gesetzgebung ausreichend? - Natürlich ist sie nicht ausreichend! Wir können viele dieser Fragen verständlicherweise nicht abschließend beantworten. Aber möglicherweise wird das Internet in drei Jahren so überlaufen sein, daß niemand mehr hineinkommt und daß die Vermittlung von Informationen erst nach mehreren Stunden möglich ist.
- Ich weiß nicht, ob Sie wirklich ein angemessener Gesprächspartner bei so schwierigen Fragen sind. Wenn Sie nicht mehr dazu beitragen können als eine solche Frage, dann ist das ein bißchen wenig.
Also, meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund ist die Frage begründet, die zu Recht aufgeworfen worden ist, ob sich wegen des Aufeinanderzubewegens von privatem und öffentlich-rechtlichem Rundfunk die Privilegien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks reduzieren. Die Übernahme der Grundversorgung durch die Privaten hat rechtliche Folgen, die natürlich auch die Gebührenfrage berüh-
Hans-Otto Wilhelm
ren. Unabhängig von diesen Fragen werden wir doch alle für das öffentlich-rechtliche System streiten. Das ist überhaupt keine Frage. Jeder, der etwas anderes behauptet, sagt es nicht zutreffend.
Angesichts der Bestands- und Entwicklungsgarantie ist die Frage doch nur, Frau Sonntag-Wolgast: Wollen wir denn wirklich hinnehmen - Ansätze anderer Art gibt es ja Gott sei Dank -, daß das öffentlich-rechtliche System, über Gebühren finanziert, immer teurer wird? Haben die Parlamente nur die Funktion des Absegnens von tatsächlichen oder vermeintlichen Ausgabensteigerungen? Ist es nicht richtig, als Politiker sagen zu dürfen: Wir schaden dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk überhaupt nicht, wenn wir sagen: Prüft einmal eure Struktur, speckt ab? Dadurch braucht der öffentlich-rechtliche Rundfunk in keiner Weise schwächer zu werden. Muß es so viele Anstalten geben? Muß es 55 Hörfunkprogramme geben?
Ich stelle nur fest, daß es neben den dritten Programmen, neben Arte, neben 3-Sat, neben zwei Spartenprogrammen - ich will an dieser Stelle noch einmal wiederholen: Dem zweiten Spartenprogramm dürfen die Länderparlamente meines Erachtens nicht zustimmen, solange die Auflage der Ministerpräsidenten, daß es kein Informationskanal sein darf, nicht erfüllt ist - dann möglicherweise noch Pay-TV-
Überlegungen gibt. Sie können doch nicht sagen, daß der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der Gefahr ist, zerrieben zu werden. Das Gegenteil ist der Fall. Ich halte es nicht für hinnehmbar, daß wir in einem stetigen „Ritual der Interessen" alle vier Jahre die Rundfunkgebühren erhöhen müssen - in den Ländern, wohlgemerkt.
Aus diesem Grunde bedarf es des Abspeckungsprozesses, ohne daß damit die Substanz, die Aussagekraft und die Qualität - wenn sie denn noch vorhanden ist - des öffentlich rechtlichen Systems wesentlich eingeschränkt werden müssen. Mir hat noch niemand erklären können, warum nicht fünf öffentlich-rechtliche Anstalten genauso gut arbeiten können wie die, die es jetzt gibt. Warum sollen wir das im Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht fordern dürfen?
Meine Damen und Herren, ich sage zum Thema Filmförderung, zu dem der Kollege nach mir noch sprechen wird, nur so viel: Da gibt es weitestgehend Einvernehmen. Ich bin dafür, daß mit den Privaten, den Öffentlich-Rechtlichen und den Videotheken erfolgreich diskutiert wird, in die Filmförderung zu zahlen. Aber ich akzeptiere auch die Erwartung der Privaten, daß sie von dieser Förderung etwas haben,
daß sie mehr davon haben, als sie bisher hatten.
Ich will zum Thema Filmförderung darüber hinaus noch sagen: Die Schwalbe, wie sie hier zu Recht von Staatssekretär Waffenschmidt beschrieben wurde, daß sich der Anteil erhöht hat, macht trotzdem nicht die Tatsache ungeschehen, daß der Anteil ausländischer Filme, vor allem Filme amerikanischer Provenienz, in den letzten Jahren bei 88 Prozent liegt. Den Franzosen geht es da keinen Deut besser.
Frau Wolgast, wir haben eine Präferenzförderung beim Film, das heißt, wir orientieren uns am Erfolg in der Hoffnung, daß der nächste geförderte Film ebenfalls ein Erfolg wird, was nicht immer so ist.
Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Zeit.
Das ist zwar ein wichtiger Aspekt, aber es ist kein ausreichender Aspekt.
Ich sage noch einmal: Lassen Sie uns unserer Filmwirtschaft ein bißchen mehr helfen! Wir haben tausend mittelständische Betriebe. Konkurrenzdruck ist da; die Kapitalausstattung ist nicht ausreichend. Wie ist es beispielsweise mit dem Risikokapital?
Herr Kollege, haben Sie mich gehört? Sie müssen auf die Zeit achten.
Ich habe es nicht gehört.
In Ordnung. Ich habe auch keine Reaktion von Ihnen gespürt.
Lassen Sie uns aus diesem Grunde über Arbeitsplätze reden, die zukunftsfähig sind, zum Beispiel in den Produktionsgesellschaften.
- Ja, auch im Handel.
Ich freue mich, daß wir den Dialog fortführen. Ich hoffe, daß das bei den Sozialdemokraten in Zukunft auf einem inhaltlich höheren Niveau geschieht, als es bisher feststellbar war.
Das Wort hat der Kollege Thomas Krüger, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wilhelm, nachdem Sie uns hier mit wahren Elektroschocks überflutet haben, um Ihr Beispiel von vorhin aufzugreifen, will ich ein paar Anmerkungen zu Ihren Ausführungen hinsichtlich der Technologiepolitik machen.Herr Catenhusen hat es vorhin schon angesprochen: Wenn es um die Ausstattung der Schulen mit Computern geht, kommt es überhaupt nicht darauf an, ob die Hardware in die Schulen kommt. Die wenigen tausend Schulen sind bei über 40 000 Schulen in Deutschland nur ein Klacks, wenn ich mir die Programme in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten von Amerika angucke. Der entscheidendeThomas KrügerPunkt ist die Gebührenfreiheit. Das hätten wir im Telekommunikationsgesetz in der Tat regeln können.
Wir brauchen nämlich nicht nur Datenautobahnen, wir brauchen auch Datenbürgersteige, und zwar für die Jugendlichen, damit auch dort das Know-how wächst, so daß der Standort Deutschland hinsichtlich der Technologiepolitik einen entsprechenden Schwung bekommt.
Sie berufen sich sonst immer so gern auf die Vereinigten Staaten von Amerika. Sie wissen, daß dort das Telefonieren im lokalen Bereich gebührenfrei ist. Das hat eine ungeheuere Dynamik in den Gesamtkomplex der neuen Technologien gebracht und bei jungen Menschen ein Know-how erzeugt, das eine ungeheuere Eigendynamik, einen ungeheuren Selbstorganisationsprozeß ausgelöst hat. Davon würde ich mir hier mehr wünschen.Erster Punkt: Gestern, so hörte ich, sind im Ausschuß gedeckte Anträge der SPD zum Technologiebereich über 180 Millionen DM von Ihnen abgelehnt worden. Der Etat des Kollegen Rüttgers ist um 4,2 Prozent zurückgefahren worden. Mir scheint hier noch nicht ersichtlich zu sein, ob Sie das wirklich zu einem Schwerpunktthema machen. Sie vernachlässigen diesen Bereich in recht klarer Weise.Zu dem, was Sie zur Verstopfung des Internet gesagt haben: Ich weiß nicht, ob Sie sich auf diesem Gebiet wirklich auskennen und schon einmal gesurft sind. Sie reden doch immer der Liberalisierung der Netze das Wort, und Sie wissen, daß mittlerweile durch die neuen Rechnerkapazitäten auch Rechnerkapazitäten anderer Computer mitgenutzt werden können. Da gibt es eine ungeheure Bewegung, so daß von einer Verstopfung des Internet nun wahrlich nicht die Rede sein kann.Angesichts der Tatsache, daß dieser Medienbericht zwei Jahre alt ist und der vorhergehende acht Jahre dahinter zurückliegt, glaube ich: Es sind ganze Epochen, Jahrhunderte über die Bundesregierung hinweggegangen, und es ist kein Wunder, daß die Bundesregierung heute in Sachen Medienpolitik so alt aussieht, wie es der Medienbericht ist.
Zunächst eine Vorbemerkung: Die rasanten Entwicklungen in der Mediengesellschaft haben einerseits zu bedenkenswerten Zuspitzungen geführt. Ich erinnere daran, daß noch Churchill das Fernsehen geradezu verachtet hat. Politik ist jedoch immer mehr als medial vermittelte Politik. Andererseits steht die Medienpolitik als Regulierung des Medienmarktes natürlich in der Gefahr, nur noch in Wirtschaftskalkülen und in Wirtschaftsparametern gemessen zu werden.Hier öffnet sich eine verhängnisvolle Schere. Auf der einen Seite werden Meinungen immer schneller produziert, wie wir auch im Fall Born sehen - das geht bis hin zu Fälschungen -, und auf der anderen Seite werden Erfahrungsanteile reflexiver Art immer mehr zurückgedrängt, wie der Chefredakteur des Berliner „Tagesspiegels", Walter Stützle, vor kurzem bemerkte. Die Information wird im Medienzeitalter zur Ware, und das kommt nicht ihren kulturellen Verankerungen zugute. Das haben wir in den letzten Jahren erfahren.Ich wünsche mir einen bald neu erstellten Medienbericht, der diese Fragen - auch die kulturellen Fragen, die Frau Sonntag-Wolgast vorhin angesprochen hat - mit reflektiert und nicht nur narzißtische Selbstdarstellung betreibt. Ich will dafür gleich ein Beispiel anführen.Der Medienbericht geht auf die Printmedien und ihre Neugestaltung in den neuen Bundesländern ein. Da ist ein fataler Fehler gemacht worden. Im Grunde genommen sind die alten SED- und Blockparteizeitungen privatisiert worden und auf bestimmte Verlage übergegangen. Der richtige Weg wäre gewesen, zu einer Vielfalt auf dem Markt zu kommen und mehrere kleinere Blätter zu erreichen; denn das, was sich heute faktisch im Leserverhalten bei den Printmedien in den neuen Bundesländern darstellt, ist, daß nur eine Tageszeitung, nämlich die ehemalige SED- oder Blockparteizeitung, gelesen wird, aber kaum überregionale Zeitungen gelesen werden, und auch die Wochenblätter werden in den neuen Bundesländern kaum gekauft.Ich glaube, das ist auch das Ergebnis dieser Politik der Privatisierung, und auf ein undemokratisches Meinungsmonopol ist nur ein demokratisches Meinungsmonopol gefolgt. Das ist nach meinem Verständnis zuwenig für einen medienpolitischen Anspruch, der auf Informationsvielfalt und Informationsfreiheit setzt.
- Herr Bierstedt, ich möchte mich mit Ihnen nicht auseinandersetzen. Das habe ich bei dem Beispiel der Printmedien soeben doch wohl zur Genüge getan.Zweiter Punkt: das Verhältnis zwischen öffentlich- rechtlichen und privaten TV-Anbietern. Die Diskussion darüber ist meiner Meinung nach sehr wichtig. Wir dürfen uns nicht in die Tasche lügen. Mit dem dualen System sind auch wichtige Impulse von seiten des privaten in Richtung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gekommen, das zum Teil sehr verkrustet war. Wir wissen allerdings auch, daß die privaten TV- Anbieter mit sehr flachen Programmstrukturen begonnen haben. Das hat sich etwas verbessert; ich komme nachher bei der Filmförderung noch einmal darauf zu sprechen.Von Ihnen, Herr Wilhelm hätte ich ein klareres und unmißverständlicheres Bekenntnis zum öffentlich- rechtlichen Rundfunk erwartet. Sie müssen hier erklären, daß Sie den Deutschen nicht nur die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wegnehmen, sondern daß Sie den Deutschen auch noch die „Tagesschau" wegnehmen wollen, wenn Sie hier dem freien Markt das Wort reden und die Werbung bei den öffentlich-Thomas Krügerrechtlichen Anbietern in Zukunft einschränken oder ganz und gar verbieten wollen. Sie wissen ganz genau, daß das dann wieder mit erhöhten Gebühren bezahlt werden muß und ein immer stärkerer Druck auf den Bereich der öffentlich-rechtlichen Anbieter entsteht.
Ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang ist die Begrenzung der Machtkonzentration. Ich glaube, das ist überhaupt eine der zentralen Fragen. Sie ist es deshalb, weil die Vernetzung zwischen den verschiedenen Medien in einem gravierenden Maße zugenommen hat. Die großen Medienkonzerne haben die Meinungsmacht in Deutschland. Deshalb begrüße ich ausdrücklich die Position der Länder in dieser Frage. Sie haben nämlich Obergrenzen festgelegt. Als Sozialdemokraten werden wir sehr genau prüfen, ob die Strategie, Fensterprogramme einzurichten und Rundfunkbeiräte vorzusehen, auch wirklich greift.Ich komme zu einem dritten Punkt, der mir sehr wichtig ist - dabei wende ich mich an den Kollegen Waffenschmidt -: Für meine Begriffe gibt es in der Medienpolitik des Bundes ein großes Defizit: die Außenvertretung der Bundesrepublik hinsichtlich der europäischen Medienpolitik. Ich möchte ein paar fatale Beispiele aus dem Filmbereich nennen: unser fehlender Einfluß bei der Gestaltung des Media-II-Programms, die Einstellung des EFDO-Filmprogrammes, das in Hamburg angesiedelt war, und zum dritten auch die französischen Bemühungen um einen Garantiefonds im Filmbereich. Hier finden Entwicklungen statt, die im Grunde genommen völlig an Deutschland vorbeigehen.Ich würde mir wünschen, daß die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern für eine repräsentative und mit entsprechender Kompetenz ausgestattete Außenvertretung der Bundesrepublik Position bezieht; denn auf europäischer Ebene werden wir zur Zeit von anderen Mitgliedsländern wie ein Suppenhuhn ausgenommen. So kann das nicht weitergehen. Der Produktionsbereich im Film- und Fernsehbereich leidet darunter. Das ist mittelständische Wirtschaft, die es mit entsprechenden ordnungspolitischen Rahmenbedingungen zu schützen gilt.Es wurde vorhin schon ein sehr wichtiger Punkt angesprochen: Bei der Ausweitung der Möglichkeiten im Bereich des öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehens - durch die digitalen Techniken ist das ja sehr gut möglich - ist natürlich darauf zu achten, daß bestimmte öffentliche Angebote - ich nenne das Stichwort Grundversorgung - nicht dadurch vorenthalten werden, daß man auf Pay-TV oder ,,Pay per view"-Angebote mit ihren ungeheuren Kosten angewiesen ist. Meines Erachtens besteht hier die große Gefahr, daß wir es bei einer breiten Gruppe in der Bevölkerung mit einem Informationsproletariat zu tun bekommen, das es sich nicht mehr leisten kann, diese teuren Angebote in Anspruch zu nehmen. Es ist deshalb auf die öffentlich-rechtlichen und privaten Anbieter angewiesen und könnte dann bestimmte Informationen und Sendungen nicht mehr konsumieren. Ich halte es deshalb für wichtig, daß etwa Sportsendungen, aber auch andere Sendungen zeitgleich oder zeitnah im Free-TV zur Verfügung gestellt werden. Hier sollte man zwischen den verschiedenen Fraktionen einen Konsens herstellen.
Der vierte Punkt schließlich betrifft die Filmpolitik. Hier setzt meine Kritik auch an den öffentlich-rechtlichen Anstalten an. Wenn Sie einmal mit Produzenten der Filmbranche reden, werden Sie feststellen, daß bei den Verträgen für die entsprechenden Film- oder Fernsehproduktionen alle Rechte und Lizenzen an die Sender abgetreten werden müssen. Das führt dazu, daß die Produzenten kein Eigenkapital bilden können und ihre Produktion nicht zwischenfinanzieren können. Das ist in diesem Bereich wiederum eine Beschädigung der mittelständischen Wirtschaft. Meines Erachtens müssen wir überprüfen, ob die bisherige Filmförderung überhaupt greift.
Sollte nicht der Trend eher dahin gehen, daß wir unabhängige Produzenten zugunsten der Angebotsvielfalt in die Lage versetzen, Rechteanteile zu erwerben oder an den Lizenzen beteiligt zu werden? Nur so kann man im Grunde Angebotsvielfalt und letztendlich auch Programmqualität sichern. Dieser Regierung muß man ins Stammbuch schreiben, daß sie mehr für die Medienwirtschaft tun muß. Das scheint mir derzeit noch nicht gegeben zu sein. Deshalb meine ich, daß es auf Bundes- und Landesebene weitere Bemühungen geben muß.Abschließend eine Bemerkung zur Euphorie, die im Bereich der neuen Medien ja immer urn sich greift. Wir haben es hier mit einem ungeheuren Entwicklungsschub zu tun, der globale Ausmaße hat. Daß diese Regierung der Technologiepolitik zu wenig Bedeutung beimißt, weiß mittlerweile jeder. Die Etatkürzungen, die ich vorhin angesprochen habe, zeigen das zur Genüge. Man hat den Eindruck, daß Technologiepolitik im Hause Waigel gemacht wird. Der macht seine Arbeit so gründlich, daß sie überhaupt nicht stattfindet.
Diese Regierung manövriert Deutschland nicht ins nächste Jahrtausend, sondern ins kümmerliche Abseits. Wären Sie wenigstens Stürmer und Dränger, könnte man Ihnen jetzt noch einen schönen Satz von Hans Magnus Enzensberger ins Stammbuch schreiben. Ich zitiere:Fünfzig oder hundert Fernsehkanäle, Datenautobahnen, interaktives TV, alles schön und gut, aber es ist auch viel Schaumschlägerei dabei. Im allgemeinen kann man sagen, je neuer ein Medium, desto leerer ist es auch. Alle reden von Kommunikation, aber die wenigsten haben sich etwas mitzuteilen. ... Es gibt sehr erfolgreiche Zeitungen, die keinerlei Information enthalten. Auch die meisten Fernsehprogramme haben den Zustand der vollkommenen Leere erreicht. Die Zuschauer benutzen sie als Tranquilizer. Insofern
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11282 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1996
Thomas Krügersind die neuen Medien eher ein Teil der Pharmaindustrie, und es ist natürlich ein großer Vorteil für die Produzenten, daß ihre Waren rezeptfrei zu haben sind.Wahrscheinlich werfe ich hier aber Perlen vor die Säue. Ich hoffe, daß diese Regierung endlich aufwacht und wieder zu Innovationen im Bereich der Medienpolitik bereit ist.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zum Medienbericht 1994, Drucksache 13/4288.
Der Ausschuß empfiehlt unter dem Buchstaben a, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Der Innenausschuß empfiehlt unter dem Buchstaben b seiner Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Stimmenthaltung vom Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/5589. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Margot von Renesse, Christel Hanewinckel, Lilo Blunck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Bedarfsdeckende Unterhaltssätze für Kinder - Drucksache 13/5211 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Margot von Renesse, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Worüber wir jetzt zu sprechen haben, ist ein Massenphänomen. Das Unterhaltsrecht ist eigentlich das einfachste und schlichteste von der Welt. Eltern sind ihren Kindern unterhaltspflichtig, Vater und Mutter gleichermaßen, und unter den Bedingungen der Trennung ändert sich an diesem Grundsatz nichts.
In der Regel ist die Mutter diejenige, die Betreuung leistet, der Vater derjenige, der den Finanzbedarf eines Kindes zur Verfügung stellt. Das BGB, unser ehrwürdiges Gesetz in seiner ehrwürdigen Weisheit, hält beide Leistungen für gleich wert. Ich sage dazu: Auf dem Markt wären jedenfalls die Dienstleistungen eines betreuenden Elternteils nur zu sehr viel höheren Preisen zu bekommen.
Aber wie dem auch sei, ich will es erst einmal hinnehmen, obgleich ich manchmal ein bißchen das Gefühl habe, die Sprache des BGB ist an dieser Stelle unangemessen kavalierhaft - als ob es auch noch etwas Besonderes wäre, daß dies so gewertet wird.
Dann kommt der Grundsatz der Halbteilung im Kindergeldrecht. Wenn dies so ist, daß der Vater zahlt und die Mutter betreut - in der Regel ist es ja so oder sollte es so sein, jedenfalls was die Zahlung des Vaters angeht -, dann wird das Kindergeld zwischen beiden aufgeteilt.
Meine Damen und Herren, diese Grundsätze können nur richtig sein oder nur umgesetzt werden, wenn das Existenzminimum, das heißt der Finanzbedarf eines Kindes - wie das im übrigen das Gesetz befiehlt - denn auch von dem zahlungspflichtigen Elternteil geleistet wird.
Die gesetzliche Materie, für die Ihr Haus auf Grund der Ermächtigung des BGB zuständig ist, nämlich die Festlegung des Finanzbedarfs von Kindern, wird dem nicht gerecht. Denn der Finanzbedarf, dessen Regelung Sie seit vielen Jahren als Bundesjustizministerium in der Hand haben, Herr Staatssekretär, ist weit unterhalb der Schwelle dessen, was wir als Existenzminimum von Kindern im Steuerrecht anerkennen,
und das nicht auf Grund von Großzügigkeit, oh nein. Wir alle haben miterlebt, wie es errechnet wurde. Ich muß gestehen, daß mich das Verhalten der Fiskalisten auf diesem Gebiet an das Verhalten mancher unterhaltspflichtigen Eltern erinnert hat.
- Ja, meistens sind es die Väter, aber ich muß dazu sagen: Mütter als Unterhaltszahlungspflichtige sind keinen Deut besser.
- Es gibt sie seltener, das ist alles.
Jedenfalls ist sehr deutlich geworden, daß Vater Staat in Gestalt des Finanzministers Waigel den Kindern auch jedes Paar Schuhe nachzurechnen pflegt, genauso wie es zahlungspflichtige Eltern tun. Daß
Margot von Renesse
der Wohnbedarf auf der Ebene von „Hühnerstall mit Außenklo" geblieben ist, spricht auch nicht für Großzügigkeit.
Zumindest das müßte doch auch das Existenzminimum im Unterhaltsrecht sein. - Weit gefehlt! Seit vielen Jahren bleiben wir mit den Unterhaltssätzen unter dem tatsächlichen Existenzminimum. Im Prinzip hat selbst die fundamentale Erhöhung der Unterhaltssätze zu Beginn dieses Jahres nichts daran geändert.
Der durchschnittliche monatliche Finanzbedarf beträgt nach den Rechnungen des Hauses Waigel - wie gesagt: geizig bis zum Geht-nicht-mehr -522 DM. Der durchschnittliche Mindestfinanzbedarf nach der Nichtehelichenverordnung beträgt in der mittleren Altersgruppe 424 DM, also rund 100 DM weniger. Da schon in dieser Stufe die Halbteilung einsetzt, muß im Ergebnis der betreuende Elternteil - meist die Mutter - zusätzlich zur Betreuung Geld zuschießen, damit das Kind überhaupt überlebt. Erst wenn sie geldmäßig erheblich mehr als der Zahlungspflichtige leistet, darf sie dankbar für die hälftige Begünstigung durch Kindergeld sein.
Das ist eine strukturelle Ungleichbehandlung, eine Rücksichtslosigkeit gegenüber den Leistungen vieler Mütter. Als Frau und als Juristin kann ich darüber nur empört sein.
Es treibt mir vor Zorn förmlich das Blut in die Augen, weil sich das seit Jahren so abspielt. Es muß endlich möglich sein, das Existenzminimum, das wir im Steuerrecht anerkennen, nämlich - auf der Basis der Sozialhilfedaten von 1994! - 522 DM in diesem Jahr und nach noch geltendem Recht 578 DM im nächsten Jahr, zu erreichen. Wenn wir einigermaßen gerecht sein wollen, kann es erst dann zur Halbteilung kommen.
Wenn wir unter diesen Sätzen bleiben und sagen: „Die Mutter bekommt doch das Existenzminimum, wenn der Vater 423 DM leistet und sie zusätzlich 200 DM Kindergeld erhält", kommt das Kindergeld im Ergebnis nur einem zugute, nämlich dem Zahlungspflichtigen. Die anderen Leistungen, die zum Unterhaltsbedarf gehören, wie Fahrdienst, Schularbeiten usw. - von Kochen, Waschen und Putzen rede ich erst gar nicht -, bedeuten gar nichts. Es geht nach dem Prinzip: Mama, mach die Küchentür zu, wir können nicht sehen, wie du arbeitest!
Sie werden nicht in Rechnung gestellt. Das ist eine Nichtgröße. Ich glaube nicht, daß wir das länger hinnehmen können - jedenfalls nicht die Frauen im Bundestag, die diese Belastung kennen.
Natürlich können Sie einwenden, daß die Väter meistens nicht leistungsfähig seien. Wem sagen Sie das? Fragen Sie einmal Ihre Ressortkollegin, die Familienministerin Nolte, wie es kommt, daß - nach den Zahlen aus dem Finanzministerium, die dem Unterhaltsvorschußgesetz zugrunde liegen - in dieser unserer Gesellschaft über ein Drittel aller Väter nicht in der Lage ist - von den Zahlungsunwilligen rede ich gar nicht -, ihre eigenen Kinder zu unterhalten. Das ist ein Armutszeugnis für die Familienpolitik, nicht für die Familien.
Wahrscheinlich sagen Sie, die Belastung der Justiz durch die Abänderungsverfahren, wenn sie denn pauschal durchgeführt werden, sei ungeheuer. Herr Staatssekretär, ich bin sehr für die Entlastung der Justiz, aber nicht zu Lasten der Gerechtigkeit für Kinder. Das geht nicht.
Aber was kommt bei der jetzigen Regelung heraus? Auch die leistungsfähigen Väter profitieren von Ihren Tabellensätzen. Mit der pauschalen Tabelle wird auch bei ihnen unterstellt, daß sie im Prinzip nicht leisten können. Sie erreichen damit etwas ganz Schlimmes. Sie verstärken nämlich die im Fall einer Trennung sowieso erhebliche Neigung beider Eltern zur Realitätsverzerrung: Der Vater guckt auf die Tabelle und sagt: Was bin ich doch großzügig! Ich zahle doch alles. Was will die - ich sage es einmal, wie es meistens gesagt wird - Alte? Die will ja immer nur Geld. Die muß doch im Gelde schwimmen. Ich tue doch das, was meine Schuldigkeit ist. - Und die Mutter guckt nicht auf die Tabelle, sondern in den Kühlschrank und sagt: Ich komme vorne und hinten nicht hoch, mir fehlt das Schwarze unter dem Fingernagel.
So hetzen Sie die Eltern aufeinander, die doch kooperieren sollten. Die Eltern machen nämlich nicht das Gesetz für ihre Situation verantwortlich, sondern den jeweils anderen. Damit bewirken Sie auch bei den Kindern viel Leid und Elend. Ich spreche aus Erfahrung; ich kann Ihnen dazu Fälle nennen.
Ich weiß, daß wir keine paradiesischen Zeiten haben. Deswegen ist mir durchaus klar, daß in der Welt der Knappheiten, in der wir leben, möglicherweise beim Unterhaltsvorschußgesetz nicht hochgerechnet werden kann.
Aber eins geht nicht: daß Sie den Anspruch von Kindern im Unterhaltsvorschußgesetz beenden, nur weil der betreuende Elternteil heiratet oder wieder heiratet. Dies widerspricht Art. 6.
Es bedeutet Benachteiligung von anspruchsberechtigten Kindern wegen der Eheschließung eines Elternteils. Unabhängig davon, ob dieser leistungsfähig ist oder nicht: Leistungspflichtig ist er nicht. Die unterhaltsrechtliche Lage von Kindern braucht sich nicht zu ändern.
Ein Beispiel dazu: Eine geschiedene Mutter von drei Kindern heiratet einen Arbeitslosen. Aus ist es mit dem Unterhaltsvorschuß, aus und vorbei. Wo hat sich die Lage der Kinder geändert? In nichts! Aber
Margot von Renesse
das Gesetz benutzt die Eheschließung. Damals, als es gemacht wurde, dachte man tatsächlich, alle Kinder von Alleinerziehenden seien arme Würstchen, denen man sozusagen einen Trost zugestehen müsse. Davon kann nach den heutigen Untersuchungen, die wir über Alleinerziehende haben, keine Rede sein. Sie sind allenfalls dadurch benachteiligt, daß sie wenig Geld haben, und das unterscheidet sie nicht von Familien, denen es mitunter entsetzlich schlecht geht, gerade in dieser Zeit.
Herr Staatssekretär, ich denke, daß wir da gemeinsam etwas ändern müssen. Ich weiß, daß in Ihrem Haus längst begriffen worden ist, daß im System des Kindesunterhalts kein Stein mehr auf dem anderen ist. Daher arbeiten Sie ja auch an einem neuen Entwurf.
Ich bitte, uns die Begrifflichkeit, die wir noch auf das geltende Recht und nicht auf eine zukünftige Reform zugeschnitten haben - deswegen gibt es den Begriff „nichteheliche Kinder" noch -, nicht allzusehr übelzunehmen. Was sollen wir denn als Opposition sonst tun? Wie sollen wir wissen, ob und wann Sie mit der Reform aus den Klötzen kommen?
Aber die sachliche Grundfrage heißt: bedarfsgerechte Unterhaltssätze für Kinder und Beseitigung verfassungswidriger Zustände im UVG.
Sollten Sie sich auf die uralte Entscheidung, einen Prozeßkostenhilfebeschluß eines Verwaltungsgerichts in Bayern, berufen - ich kenne Sie -, die einzige Entscheidung zu der Frage der Wiederheirat, dann kann ich Ihnen nur sagen: Schauen Sie sich sie genau an! Sie haben dort eine Entscheidung, die ebenso uralt wie hingehauen, wie vorurteilsgeladen ist. Ich hoffe, daß Sie sich nicht darauf stützen.
Herr Staatssekretär, Sie sind mit zuständig für das Justizressort. Ich sage Ihnen dazu - ich bin heute wirklich außerordentlich fröhlich und nicht polemisch gestimmt, weil ich heute zum fünftenmal Großmutter geworden bin -
zum Schluß folgendes: Die Gerechtigkeit, die Waage und Schwert der Justiz krönt, wird seit alters an der Gerechtigkeit für Witwen und Waisen gemessen. Walten Sie Ihres Amtes!
Das Wort hat die Kollegin Renate Diemers, CDU/CSU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Unterhaltssätze für Kinder auf das Existenzminimum zu stellen ist eine immer wiederkehrende Diskussion. Aber es kann nicht unsere Absicht sein, Vätern finanzielle Daumenschrauben anzulegen, die sie möglicherweise zur Aufgabe ihrer wirtschaftlichen Eigenständigkeit veranlassen.
Das würde in vielen Fällen bedeuten: Die Erhöhung der Unterhaltspflicht macht die Unterhaltspflichtigen zu Sozialhilfeempfängern; also: indirekte Subventionierung der Unterhaltspflicht. Das kann nicht unser Ziel sein.
Vor der Aufrechnung „hier Naturalleistung, da finanzielle Leistung" warne ich. Die Diskussion um das elterliche Sorgerecht hat gezeigt, daß sich der nichtsorgeberechtigte Elternteil nicht automatisch seinen Verpflichtungen gegenüber seinem Kind entzieht oder entziehen will. Nach meiner Meinung muß es bei dem Grundsatz bleiben, daß bei der Unterhaltsbemessung die Lebensstellung beider Elternteile zu berücksichtigen ist. Unsere Aufgabe ist es, materielle Überforderungen eines Elternteils auszuschließen, damit die Verbindung mit dem Kind nicht erschwert wird.
Um für den sorgeberechtigten Elternteil wirtschaftliche Erschwernisse auszugleichen, haben wir vielfache Hilfen für Alleinerziehende geschaffen. Dazu gehören unter anderem der Haushaltsfreibetrag, die Berücksichtigung von Betreuungskosten und der Sonderausgabenabzug für ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zur Betreuung eines Kindes. Ich nenne in diesem Zusammenhang auch Kinder-, Erziehungs- und Wohngeld.
Schließlich haben wir mit dem Unterhaltsvorschußgesetz ein Instrument geschaffen, mit dem die Unterhaltssicherung des Kindes auch dann gewährleistet ist, wenn sich der Unterhaltspflichtige seinen finanziellen Verpflichtungen entzieht oder ihnen vorübergehend nicht nachkommen kann.
1993 wurden die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschußgesetz durch die Verdoppelung der Altersgrenze der Kinder von 6 auf 12 Jahre und durch die Verdoppelung der Leistungsdauer von 36 auf 72 Monate verbessert. Es kann doch nicht vergessen sein - ich erinnere noch einmal daran -, daß die Regelsätze ab Januar 1996 um 20 Prozent erhöht wurden.
31 Prozent aller Kinder unter 12 Jahren, die im Haushalt von Alleinerziehenden leben, erhalten Leistungen nach dem Unterhaltsvorschußgesetz. In konkreten Zahlen: 1994 bezogen 417 000 Kinder und 1995 471 224 Kinder entsprechende Leistungen. Die Ausgaben allein für den Bund lagen 1995 bei 790 Millionen DM.
Ich erinnere an das Ziel des Gesetzes:
Besondere Hilfe für Alleinerziehende durch Unterhaltssicherung des Kindes in schwieriger Lebens- und Erziehungssituation.
Renate Diemers
Im Gesetz heißt es:
Der Elternteil ist nicht alleinerziehend, wenn er verheiratet ist und nicht getrennt lebt oder wenn er unverheiratet mit dem anderen Elternteil zusammenlebt.
Wenn eines dieser Kriterien geändert oder aufgehoben werden soll, stehen alle zur Disposition. Dafür besteht kein Anlaß.
Das Unterhaltssicherungsgesetz hat sich bewährt.
Es ist nicht Sinn des Unterhaltssicherungsgesetzes, Unterhaltsverpflichtungen auf die Steuerzahlenden abzuwälzen. Richtig und sogar zwingend erforderlich ist es, daß das Rückgriffsrecht des Staates auf die Vorschußleistungen entschlossen durchgesetzt wird.
1995 konnte bei rund 35 Prozent der Vorschußleistungen davon ausgegangen werden, daß es sich um zahlungsfähige Schuldner handelt. Davon wurden 13 Prozent der Leistungen zurückgeholt. Damit ist der Anteil der mißbräuchlichen Verweigerung auf rund 20 Prozent zu schätzen. Bevor hier jedoch nach neuen gesetzlichen Maßnahmen gerufen wird, ist zu prüfen, ob die bestehenden Möglichkeiten voll ausgeschöpft werden. Nur so sind zielgenau Veränderungen, die zu einer effizienten Durchführung von Rückgriffsansprüchen führen, möglich.
Ich sage noch einmal: Das Unterhaltssicherungsgesetz hat sich bewährt! Daher ist der Antrag der SPD abzulehnen.
Das Wort hat die Kollegin Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Frau Diemers, ich habe den Eindruck: Wir sprechen hier zu unterschiedlichen Themen. Ich bin über Ihren Redebeitrag ganz irritiert.
Das Existenzminimum ist der Betrag, der einem Menschen die aktive Teilhabe am Leben sichern soll. Aber, dieses Existenzminimum wird Kindern in dem Fall, über den wir heute sprechen, nämlich nichtehelichen Kindern, verweigert. Der Grund dafür sind die zu niedrigen Unterhaltssätze, die noch nicht einmal das Sozialhilfeniveau erreichen; das wissen Sie.
Da es in der Regel die Mütter sind, bei denen die Kinder leben, sind sie es, die die eigenen Ansprüche zurückstecken, um ihren Kindern die Befriedigung der notwendigsten Bedürfnisse zu ermöglichen. Die zu niedrigen Regelsätze und der Halbteilungsgrundsatz, der den Elternteilen je zur Hälfte die Barunterhalts- und die Betreuungspflicht auferlegt, verstärken, daß es zu einer ungleichen Lastenverteilung zwischen Vätern und Müttern kommt. Mütter leisten zum Teil bis zu drei Viertel des gesamten Unterhaltsbedarfs.
Diese faktische Benachteiligung von Frauen ist nicht länger hinnehmbar. Daher müssen wir die Unterhaltssätze an das tatsächliche Existenzminimum anpassen. Ich wundere mich, daß es dazu noch keine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gibt.
Dies ist aber nicht das einzige Problem, das mit der Unterhaltszahlung verbunden ist. Nach geltendem Recht verlieren Kinder ihren Anspruch auf Unterhaltsvorschuß, wenn der alleinerziehende Elternteil heiratet. Das darf nicht so bleiben. Wo bleibt denn da die Gerechtigkeit, wenn ein Kind um seinen eigenen Anspruch auf Unterhalt gebracht wird, ohne daß zumindest die finanzielle Situation der Familie berücksichtigt wird?
Ein weiteres Ärgernis bietet das Unterhaltsvorschußgesetz. Obwohl etwa 40 Prozent der Väter finanziell in der Lage wären, den Unterhaltsvorschuß zurückzuzahlen, waren es im letzten Jahr gerade mal 13 Prozent. Mindestens 224 Millionen DM gehen dem Staat dafür im nächsten Jahr verloren. Die Väter entziehen sich ihrer Pflicht. Die Mütter hingegen, bei denen die Kinder ja fast ausschließlich leben, erbringen ihre Unterhaltsverpflichtungen durch die Betreuungsleistungen. Diesem Väter-Subventionierungsprogramm muß endlich ein Ende bereitet werden.
Daher unterstützen wir auch den SPD-Vorschlag, die Auskunftsrechte der Unterhaltsvorschußkassen zu verbessern.
Aber, liebe Kolleginnen und auch Kollegen von der SPD, Ihre Forderungen in Ehren, sie gehen uns nicht weit genug. Eine wahrhafte Reform des Unterhaltsrechts haben Sie damit noch nicht eingeleitet. Die strukturelle Ungleichbehandlung von Betreuungs-
und Barunterhalt im Steuer-, aber auch im Sozialrecht lassen Sie unberührt. Haben Sie denn immer noch die Frauen vor Augen, die sich zu Hause ausschließlich um die Erziehung und Betreuung ihrer Kinder kümmern, während die Männer lediglich einen finanziellen Beitrag leisten? Wollen Sie weiterhin diese geschlechtsspezifische Rollenverteilung festschreiben?
Ich meine, wir müssen endlich darüber nachdenken, ob nicht der Halbteilungsgrundsatz ganz abgeschafft werden muß.
Noch ein zweites. Während Kindern bis zum 18. Lebensjahr Unterhalt gezahlt werden muß, wird der Unterhaltsvorschuß wie Sie wissen, lediglich bis zum 12. Lebensjahr gewährt. Das ist eine ganz offensichtliche Benachteiligung, die Sie in Ihrem Antrag nicht erwähnt haben. Kinder müssen in unserer Gesellschaft aber die gleichen Ausgangschancen bekommen. Der Unterhaltsvorschuß muß daher bis zum 18. Lebensjahr bzw. bis zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit gezahlt werden können.
In diesem Zusammenhang - das sage ich hier auch - werden wir sicherlich über eine Bedarfsprü-
Irmingard Schewe-Gerigk
fung nachdenken müssen. Meine Fraktion wird dazu in Kürze eigene Vorschläge vorlegen.
Den Forderungen, die Sie hier gestellt haben, können wir zustimmen; sie stellen eine Verbesserung der jetzigen Situation dar. Aber lassen Sie uns gemeinsam über neue Vorschläge nachdenken.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Hildebrecht Braun, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau von Renesse! Herzliche Gratulation zu Ihrer heutigen Beförderung. Ich erinnere mich eigentlich gut, früher waren die Omas immer alt. Aber das war wohl nur früher so.
Der Antrag der SPD soll nichtehelichen Kindern und ihren Müttern das Leben erleichtern. Dieses Ziel wird wohl von allen anderen Fraktionen geteilt. Folgende Anmerkungen sind allerdings schon jetzt veranlaßt:
Der Begriff des Existenzminimums ist nicht eindeutig. Das trifft allerdings auch auf den vom Gesetz gebrauchten Begriff, nämlich den „bei einfacher Lebenshaltung im Regelfall erforderlichen Betrag" zu.
Dem Gesetzgeber ist daher gewiß ein Spielraum gegeben, mit dem versucht werden muß, den widerstreitenden Interessen der Beteiligten gerecht zu werden. Natürlich muß hier das Wohl des Kindes im Vordergrund stehen. Liebe Frau von Renesse, dem können Sie doch zustimmen. Warum also diese Aufgeregtheit?
Ich darf in diesem Zusammenhang auch an den neuen, sehr richtigen Denkansatz der gemeinsamen elterlichen Sorge für nichteheliche Kinder erinnern. Die Festlegung von Unterhaltssätzen, die bei einer großen Zahl der Unterhaltsverpflichteten nicht erbracht oder realisiert werden können, macht im pauschalierten Regelunterhaltsverfahren wohl wenig Sinn.
Herr Kollege Braun, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin von Renesse?
Bitte, gern.
Herr Kollege Braun, würden Sie mir freundlicherweise - da ich es wirklich nicht verstehe - erklären, wo Sie den Ermessensspielraum unterhalb des Existenzminimums sehen bei einer Vorschrift, die Sie gerade zitiert haben -§ 1605 -, wo der Gesetzgeber den bei einfachen Lebensverhältnissen erforderlichen Finanzbedarf festzulegen hat?
Würden Sie mir, Frau von Renesse, zugestehen, daß das BGB gerade nicht an den steuerrechtlichen Begriff des Existenzminimums anknüpft, so daß es schon aus dem Gedanken heraus nicht zwingend ist, daß die Begriffe deckungsgleich wären? Wie auch immer, beide Begriffe sind unterschiedlich voneinander zu sehen.
Wissen Sie, ich teile ja im Grunde Ihr Hoffen und Bangen. Es wäre schön, wenn wir zu mehr kämen, wenn es denn sinnvollerweise machbar wäre.
Es muß natürlich auch berücksichtigt werden, wie sich die Regelunterhaltssätze entwickelt haben. Ich weise daher darauf hin, daß sie zum 1. Januar 1996 um immerhin 20 Prozent gegenüber dem Zeitraum davor angehoben wurden; die Kostenentwicklung hätte wohl nur 1,5 Prozent gerechtfertigt. Dies bedeutet, daß zum 1. Januar 1996 qualitativ ein erheblicher Sprung eingetreten ist, und zwar im Sinne Ihres Antrags. In den neuen Bundesländern haben wir innerhalb von zwei Jahren gar eine Anhebung um 40 Prozent gehabt. Das sind gewaltige Sprünge, die von den Unterhaltspflichtigen erst einmal verdaut werden müssen.
Wir sollten uns auch darüber im klaren sein, daß viele der Unterhaltspflichtigen selber in einer sozial schwierigen Lage sind, so daß sie durch die Unterhaltsverpflichtungen oft gar in eine aussichtslose Situation geraten. Es ist niemand damit gedient, wenn in der Regel junge Unterhaltspflichtige in eine aus ihrer Sicht ausweglose Situation geraten, die ihre ohnehin vorhandene Tendenz zur Verdrängung von Pflichten noch unterstützt. Wer denkt, er schaffe es ohnehin nicht mehr, und wer deshalb die Arbeit nicht mehr sucht oder nicht mehr aufnimmt, gerät selbst in eine höchst gefährliche persönliche Entwicklungsschiene. Sie wissen sehr wohl: Der Straftatbestand „Verletzung der Unterhaltspflicht" ist oft der Einstieg in eine wirkliche kriminelle Karriere. All das sollte mitberücksichtigt werden.
Damit will ich aber meinen ganz deutlichen Hinweis verbinden: Ich will in gar keiner Weise die Richtigkeit des Unterhaltsanspruchs als solchen, im Grunde auch in der von Ihnen gewünschten Höhe, in Zweifel ziehen. Aber die tatsächlichen Gegebenheiten müssen hier vom Gesetzgeber berücksichtigt werden.
Der Antrag der SPD berücksichtigt nicht ausreichend den Umstand, daß der Regelunterhalt im erleichterten Verfahren zu einem schnellen Titel führt. Das Kind kann aber statt dessen auch den individuell bemessenen Unterhalt geltend machen, der in der Regel der Düsseldorfer Tabelle entnommen werden kann. Da hier jedoch verschiedenste Einwendungen entgegengesetzt werden können, wird ein Titel oft erst relativ spät erreichbar sein, so daß die Nachteile eines Versuchs, zu einem höheren, individuell errechneten Unterhalt zu kommen, oft die Vorteile überwiegen.
Ich möchte noch etwas zu Ihren Vorschlägen zum Unterhaltsvorschußgesetz sagen. Ich teile Ihre Be-
Hildebrecht Braun
denken im Hinblick auf die Schlüssigkeit der Regelung, daß Leistungen nach diesem Gesetz entfallen, wenn die Mutter wieder heiratet. Ich teile auch die Bedenken gegen die Beschränkung der Auskunftsrechte der Unterhaltsvorschußkassen im Hinblick auf Aufenthaltsort und wirtschaftliche Lage von barunterhaltspflichtigen Eltern. Diese Punkte werden in der Ausschußberatung sicherlich intensiv erörtert werden. Dem Ergebnis will ich hier nicht vorgreifen.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Heidemarie Lüth, PDS.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es ist schon erstaunlich, daß bei dieser kinderfreundlichen Regierung solch ein Antrag gestellt werden muß, ermöglichte doch gerade die Formulierung des § 1615f des BGB der Bundesregierung, ganz ohne Sorgen gemeinsam mit dem Bundesrat die Unterhaltssätze nach dem tatsächlichen Existenzminimum festzulegen.
An die zahlenden Herren, die hoffentlich bei diesem Thema zuhören: Es geht wohl nicht darum, daß den Müttern irgendwelche Blütenträume erfüllt werden sollen, sondern tatsächlich nur darum, daß das gegeben wird, was allen Erwerbstätigen über das Steuerrecht zugestanden wird: das Existenzminimum.
Interessant ist, daß in der Berliner Tabelle, die die Leitaussage für die Unterhaltssätze in den neuen Ländern festlegt, diese noch weit geringer sind als in der Düsseldorfer Tabelle, obgleich das Existenzminimum wohl in ganz Deutschland gleich ist und nicht in den neuen Ländern anders.
Wenn dieser Gesetzentwurf, der endlich mehr rechtliche Möglichkeiten hergibt, Männern keine Chance zu lassen, sich dem Unterhalt zu entziehen, Erfolg hat, würde dies die Bundeskassen erheblich entlasten. Denn der Finanzminister griff beim Unterhaltsvorschuß tief in die Taschen, um die Summe im Einzelplan 17 um 50 Millionen DM zu erhöhen. Er begründete das mit dem anhaltenden Ausgabenanstieg, zunehmender Leistungsunfähigkeit und dem wachsenden Bekanntheitsgrad dieses Gesetzes. Damit wird natürlich vollkommen kaschiert, daß der Hauptgrund dafür Schlichtweg der ist, daß sich viele Männer der Zahlung entziehen können.
Sollen Kinderrechte in dieser stark von Männern geprägten Welt endlich Chancen haben, dann greifen Sie doch wenigstens diesen Vorschlag der SPD auf und setzten Sie ihn vor allen Dingen um, auch wenn man ihn eigentlich weiter ausgestalten könnte.
Wenn dann noch in die Erarbeitung notwendiger gesetzlicher Regelungen auch die betroffenen Vereine
und Verbände einbezogen werden, dann könnte
man in diesem Punkt vielleicht sagen, daß Kinderfreundlichkeit und Gleichstellung einen höheren Stellenwert in diesem Lande erreicht hätten.
Danke.
Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Wolfgang von Stetten, CDU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst eine herzliche Gratulation, Frau von Renesse; ich beneide Sie darum, da ich noch nicht Großvater bin. Aber bei den anderen Dingen kann ich Sie nicht beneiden. Ich frage mich, wo Sie denn in Deutschland leben, wenn Sie unsere Regelbedarfssätze mit einem Hühnerstallniveau vergleichen.
Der Antrag, den Sie gestellt haben, mag gut gemeint sein. Er würde aber bei der Verwirklichung nach meiner Ansicht mehr Unrecht und mehr Ungleichheit als die heutige Regelung bringen. Ich möchte darauf hinweisen, daß wir ja überlegen, bei der Frage des Regelunterhalts den umgekehrten Weg zu gehen, um zu ermöglichen, daß sich die Zahl der vielen Unterhaltsprozesse mit Lügen, Beschuldigungen und Bedrohungen deutlich verringert. Dies soll zwar eine Kann-Lösung sein, könnte aber die Konfliktstoffe vermindern, die zu Lasten der Kinder gehen.
Sie wissen ganz genau, daß Unterhaltsforderungen auf der einen Seite ebenso wie die Unterhaltsverweigerung auf der anderen Seite mit den Kindern besprochen werden, was nicht nur bei Besuchen und im Hinblick auf Besuchsrechte das Klima vergiftet, sondern das Getrenntleben überhaupt schwieriger macht. Wir alle wissen, daß Kinder meistens die Hauptopfer bei Getrenntlebenden oder auch bei Alleinerziehenden, die nicht verheiratet waren, sind. Dafür haben wir dieses Unterhaltssicherungsgesetz gemacht. Hätten wir das nicht getan, sagten Sie mit Recht, wir hätten nichts getan. Aber daß Sie jetzt sagen, das alles sei ganz schlecht, dafür habe ich gar kein Verständnis.
Hinzu kommt: Wenn wir nicht irgend etwas tun, dann fehlt auch der Ansporn für manche Männer, mehr zu verdienen. Sie haben selbst darauf hingewiesen, daß sich mancher Berber, der durch die Straßen läuft, der Unterhaltspflicht entzieht. Das ist sehr bedauerlich.
Mit der Erhöhung der Regelbedarfssätze um 20 Prozent ist eine Menge getan worden. Ich weise darauf hin - Herr Braun hatte es vorhin auch schon getan -, daß diese Regelbedarfssätze ein Ersatzanspruch sind und nicht den Individualanspruch mindern. Auch wenn viele davon leben müssen, sollte man das klar erkennen.
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Sie haben auch eine falsche Rechnung aufgemacht: Das Existenzminimum für Kinder beträgt 6 288 DM. Das ist zugegebenermaßen sicherlich nicht sehr hoch; aber wenn ich das hälftige Kindergeld dazurechne, dann kommen wir bei allen - mit Ausnahme der 12- bis 18jährigen - sogar etwas über den Regelsatz.
Herr Kollege von Stetten, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber gerne.
Bitte, Frau von Renesse.
Herr Kollege von Stetten, wäre es denn eine Lösung, wenn man die Tabellen so läßt, wie sie sind, und denen, die weniger zahlen oder zahlen können, als das Existenzminimum wirklich ausweist, das Kindergeld nicht anrechnet, also in den Fällen, in denen die Unterhaltszahlungspflichtigen weniger zahlen, als das Kind braucht, das Kindergeld insoweit bei dem betreuenden Elternteil beläßt?
Mindestens ist der Vorschlag überlegenswert. Wir wollen ja durch die Anrechnung des Kindergeldes niemanden dafür belohnen, daß er weniger zahlen kann, sondern wir wollen, daß die Kinder möglichst viel haben; darum geht es uns ja schon.
Aber wir müssen natürlich vorsichtig sein, Frau von Renesse, daß wir hier nicht einen Systembruch machen. Ich werde es mir aber gerne durch den Kopf gehen lassen. - Sie lächeln so, als wollten Sie mich aufs Glatteis führen. Ich bin da sehr vorsichtig.
Aber, wie gesagt, ich werde den Vorschlag sehr gerne aufgreifen und in unserer Gruppe und mit dem Koalitionspartner beraten.
Sie haben in Ihrem Entwurf auf § 1603 Abs. 1 BGB, die Grenzen der Leistungsfähigkeit, hingewiesen. Das zählt beim Regelunterhalt nur dann, wenn der Unterhalt wesentlich geringer als der Regelunterhalt ist. Es ist also nicht wie bei dem Normalzahlenden, bei denen es nach der Düsseldorfer Tabelle genau ausgerechnet wird.
- Doch, das ist ganz eindeutig.
Die Änderung des Unterhaltsvorschußgesetzes lehnen wir deswegen ab, weil die unvollständigen Familien bisher ausreichend mit Vorauszahlungen versorgt worden sind. Wir haben natürlich festgestellt, daß wesentlich mehr Unterhaltsberechtigte zahlen könnten. Wir sollten alle miteinander auf die Ämter eindringen, damit diejenigen Väter, die nicht bezahlen, ausfindig gemacht und zur Kasse gebeten werden. Ansonsten geht der nicht gezahlte Unterhalt zu Lasten der Steuerzahler. Ich will daran erinnern: Diese Zahlungen trugen immerhin dazu bei, daß die Gemeinden, die Kreise von Sozialleistungen entlastet wurden; denn diese werden vom Bund und von den Ländern je zur Hälfte getragen.
Von Herrn Braun habe ich gehört, er würde gern über die Frage der Wiederverheiratung oder der Heirat eines Elternteils reden. Ich bin nicht der Meinung von Herrn Braun, da es sich in diesem Zusammenhang nur um einen Ersatzunterhaltsanspruch handelt; denn mit der Heirat übernimmt der neue Vater oder die neue Mutter schon mindestens eine moralische Aufgabe.
- Es wäre ja auch nur eine Vorausleistung. Der Anspruchsberechtigte bleibt das Kind, der Anspruchsverpflichtete der Vater. Darüber kann man vielleicht diskutieren. Ich halte diesen Vorschlag nicht für richtig, weil wir eigentlich die nicht vollständige Familie unterstützen wollen. Nach einer Heirat ist die Familie vollständig. Diese muß notfalls - was auch nicht angenehm ist - auf die Sozialhilfe verwiesen werden, wenn der Vater oder die Mutter nicht genügend Geld hat und der Zahlungspflichtige die Zahlung nicht übernimmt.
Ich schlage vor, daß wir über all das diskutieren. Ich glaube aber, daß das bestehende Gesetz ausreicht und im Moment kein Handlungsbedarf besteht. Wir sollten vielleicht auch die steuerlichen Änderungen im Kindschaftsrecht abwarten, bevor wir das Unterhaltsrecht ändern. Vom Grundsatz her war das Gesetz damals sehr gut. Es hat viel zum Frieden beigetragen. Es sollte daher im Moment nicht geändert werden.
Danke schön.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Rainer Funke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werte Frau Kollegin von Renesse, ich gratuliere Ihnen sehr herzlich - nicht nur zum fünften Enkelkind, sondern auch zu Ihrer hervorragenden, engagierten Rede, die deutlich gemacht hat, daß Sie eine anerkannte Familienrechtlerin sind.Die Debatten, die wir schon gemeinsam führen konnten, beispielsweise über das Kindschaftsrecht oder das Unterhaltsrecht, haben Sie immer als große Sachkennerin der Materie ausgewiesen. Insoweit
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1996 11289
Parl. Staatssekretär Rainer Funkedanke ich Ihnen ausdrücklich für das, was Sie heute vorgetragen haben,
auch wenn ich nicht mit allem einverstanden sein kann. Wir müssen über viele Anregungen, die Sie in diese Debatte eingebracht haben, sicherlich gemeinsam nachdenken.Sie haben das ehrwürdige BGB erwähnt. Sie haben nicht erwähnt, daß dieses BGB von der Leistungsfähigkeit und von der Leistungsbedürftigkeit ausgeht. Natürlich, für Sie ist es selbstverständlich, aber nicht für jeden von unseren Kollegen. Man muß das abwägen. Es ist mal gesagt geworden, daß es im Unterhaltsrecht auch darum geht, den Mangel zu verteilen. Davon ist unser Unterhaltsrecht leider, muß ich sagen, mitgeprägt.Ich glaube nicht, daß wir mit einer starken Erhöhung der Regelbedarfssätze immer im Interesse der betroffenen Kinder handeln würden. Darauf hat die Bundesregierung bereits mehrfach aufmerksam gemacht. Regelunterhaltssätze können nur in einem besonderen Verfahren, dem Regelunterhaltsverfahren, geltend gemacht werden. Dieses Verfahren ermöglicht durch besondere prozessuale Erleichterung, Unterhaltsansprüche beschleunigt durchzusetzen. Abweichend von den sonstigen Grundsätzen des Zivilprozesses ist das Kind der Notwendigkeit enthoben, die Leistungsfähigkeit des barunterhaltspflichtigen Elternteils im einzelnen darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, was manchmal ganz besonders schwierig ist.Die Unterhaltspflichtigen selbst können ebenfalls in Abweichung von dem sonst Üblichen eine Herabsetzung des Regelunterhalts nur dann verlangen - es geht nämlich nicht immer nur um mehr, sondern manchmal auch um weniger -, wenn sie angesichts ihrer Einkommensverhältnisse und ihrer sonstigen Unterhaltsverpflichtungen nur zur Leistung eines wesentlich geringeren Unterhalts in der Lage sind.Diese mit dem Regelunterhaltsverfahren verbundenen Verfahrenserleichterungen setzen aber Regelbedarfssätze voraus, die von der Mehrzahl der Unterhaltsverpflichteten auch geleistet werden können. Es muß also ausgeschlossen sein, daß sich die Unterhaltsverpflichteten in einer Vielzahl von Fällen auf eingeschränkte Leistungsfähigkeit berufen, mit der Folge, daß dann ein normaler, unter Umständen langwieriger Unterhaltsprozeß zu führen ist. Nur unter diesen Prämissen kann ein beschleunigtes Regelunterhaltsverfahren überhaupt praktische Bedeutung erlangen.Wir haben - das ist erwähnt worden - die Regelbedarfssätze zum 1. Januar 1996 um 20 Prozent erhöht. Diese Anpassung hat verhindert, daß die barunterhaltspflichtigen Elternteile, die das halbe Kindergeld vom Unterhaltsbedarf abziehen können, in Folge des ab dem 1. Januar 1996 deutlich erhöhten Kindergeldes letztlich weniger Unterhalt hätten zahlen müssen. Sie kennen die steuerlichen Implikationen.Abschließend lassen Sie mich noch auf einen Punkt hinweisen, nämlich daß die Bundesregierung in einigen Wochen - nicht Monaten - den Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder vorlegen wird. Der Entwurf sieht im wesentlichen vor, daß das Regelunterhaltsverfahren von allen Kindern, also auch den ehelichen Kindern, in Anspruch genommen werden kann, und ferner, daß die Unterhaltsrenten kontinuierlich ohne Inanspruchnahme der Gerichte an die Einkommensentwicklung angepaßt werden. Auf das Problem, daß es beim Unterhalt in den meisten Fällen um die Verteilung des Mangels geht, habe ich ja schon hingewiesen.Die Bundesregierung beabsichtigt weiterhin, in dem Unterhaltsvorschußgesetz eine Verbesserung der Auskunftsrechte der Unterhaltsvorschußkassen in bezug auf Aufenthaltsort und Einkommensverhältnisse von Unterhaltsschuldnern zu bewirken, damit die Zahlungsverpflichteten auch tatsächlich an die Kandare genommen werden. Das hat dann auch edukativen Charakter.Den Leistungsausschluß bei Heirat oder Wiederheirat aufzuheben ist jedoch nicht geplant. Wenn der alleinerziehende Elternteil heiratet und das Kind einen Stiefelternteil erhält, ändert sich ja auch die familiäre Situation: Das Kind ist nunmehr in eine vollständige Familie eingebettet und nimmt im allgemeinen an deren sozialen Stand teil. Die unterhaltsrechtliche Situation, Frau von Renesse, bleibt hingegen unverändert und soll unverändert bleiben. Aber lassen Sie uns an Hand dieses Gesetzes über diese besondere Situation diskutieren, wenn es soweit ist.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/5211 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen; die Federführung soll beim Rechtsausschuß liegen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerald Häfner, Halo Saibold, Elisabeth Altmann , weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Maßnahmen zur wirksameren Verfolgung der sexuellen Ausbeutung von Kindern durch Deutsche im Ausland
- Drucksache 13/5139 —
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 10 Minuten
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
erhalten soll. - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Bericht des Rechtsausschusses über seine Thailandreise heißt es: 335 000 deutsche Touristen reisten 1994 nach Thailand, ein großer Teil von ihnen auch zur sexuellen Kontaktaufnahme mit Kindern. Die UNICEF sagt: 100 000 Kinder unter 14 Jahren werden in Thailand als Prostituierte ausgebeutet.
Seit 1993 ist zwar auch der sexuelle Mißbrauch von Kindern im Ausland für Deutsche strafbar. Trotz des ungeheuerlichen Ausmaßes des Kindersextourismus blieb diese Gesetzesänderung in der Praxis bis heute leider ohne Bedeutung. 15 Strafanzeigen und nur eine Verurteilung machen deutlich: Die Strafverfolgung scheitert an der fehlenden Zusammenarbeit zwischen den Justizverwaltungen. Damit muß Schluß sein. Das wollen wir mit unserem Antrag erreichen.
Wir in der Ersten Welt haben eine besondere Verpflichtung, dieser Ausbeutung entgegenzutreten. Wir müssen die Rechtshilfe verbessern und so dafür sorgen, daß der sexuelle Kindesmißbrauch durch Deutsche im Ausland verfolgt wird.
Über die Entwicklungspolitik müssen wir dafür sorgen, daß dieser Form moderner Sklaverei der Boden entzogen wird.
In den letzten Tagen beschäftigte sich die Öffentlichkeit mit dem grausamen Mord an Natalie Astner. Die Menschen fragen uns: Wie konnte es passieren, daß der Täter vorzeitig aus der Haft entlassen wurde? Wie ist es möglich, daß solche Taten nicht verhindert werden?
Wir müssen unsere Anstrengungen verstärken, den sexuellen Mißbrauch zu bekämpfen. Wir müssen prüfen, wie bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung weitere Sicherungen eingebaut werden können. Der Prozeßgutachter sollte beispielsweise nach Möglichkeit in die Entscheidung über die Strafaussetzung einbezogen werden.
Der Schutz von kindlichen Mißbrauchsopfern im Strafverfahren ist dringend verbesserungswürdig. Durch Zulassung von Videovernehmungen im Ermittlungsverfahren sollten künftig traumatisierende Mehrfachvernehmungen soweit wie möglich vermieden werden.
Aber auch wenn wir unsere Anstrengungen verstärken, wird es eine absolute Sicherheit vor Verbrechen leider nicht geben, auch nicht vor sexuellem Mißbrauch und Mord. Das ist bitter, weil diese Verbrechen so grausam sind. Die Hilflosigkeit der Kinder macht uns so maßlos zornig. Da wird ein gesamtes Leben mit all seinen Möglichkeiten auf einmal brutal ausgelöscht.
Dennoch müssen wir uns selbst und den Menschen draußen klarmachen, wo die Grenzen von Politik und Justiz liegen. Nach solch schrecklichen Verbrechen werden immer wieder archaische Wünsche nach Vergeltung laut: Forderungen nach genereller Sicherungsverwahrung, Kastration oder Strafverschärfung dokumentieren die Hilflosigkeit in der Debatte.
Wir wissen: Diese Forderungen führen nicht zur Verbesserung des Schutzes. Sie unterhöhlen aber die Fundamente unseres Rechtsstaates und unserer freiheitlichen Gesellschaft. Man kann nicht alle Sexualstraftäter lebenslang wegsperren. Trotz aller Wut, aller Trauer und Verzweiflung müssen wir rechtspolitisch einen klaren Kopf bewahren. Die Erhöhung des Strafmaßes verhindert keinen einzigen sexuellen Mißbrauch.
Die zwangsweise Kastration ist mit dem Menschenbild unserer Verfassung nicht zu vereinbaren.
Der bayerische Justizminister Leeb hat völlig zu Recht festgestellt: „Körperstrafen sind nicht zulässig".
- Erfahrungen mit der freiwilligen Kastration, Herr Kollege, zeigen zudem: Auch hier gibt es Rückfälle, auch dieser Weg bietet nicht die Sicherheit, die er scheinbar verspricht.
Anstatt uns jetzt mit rechtspolitischen Schnellschüssen gegenseitig zu überbieten, sollten wir unsere ganze Kraft darauf konzentrieren, den Schutz der Opfer und die Resozialisierung der Täter durch Therapie zu verbessern, um die Sicherheit zu erhöhen. Dazu gehört auch eine präzisere Regelung bei der Strafaussetzung zur Bewährung.
Allerdings: Die Konzentration der Diskussion allein auf diesen Punkt führt in die Irre. Die entscheidende Frage ist nicht: Kommt er nach fünf oder sieben Jahren aus der Haft? Die Frage ist: Hat man die Haft auch genutzt? Der beste Schutz ist ein gebesserter Straftäter.
Viele Sexualstraftäter werden einfach weggeschlossen. Das ist richtig so. Aber die Chance für eine Veränderung der Person wird oftmals nicht ausreichend genutzt. Hier sind verstärkte Anstrengungen nötig.
Wir brauchen aber auch eine ehrliche Bilanz über Grenzen und Möglichkeiten von psychologischen und medizinischen Therapien, über Rückfallquoten und Besserungserfolge. Ich bin Ihnen sehr dankbar,
Volker Beck
Herr Minister, daß Sie unseren Vorschlag eines Berichts aufgegriffen haben. Wir brauchen solide wissenschaftliche Grundlagen für die weitere Diskussion.
Effektive Resozialisierung im Strafvollzug sowie Sicherung und Therapie in psychiatrischen Kliniken sind aber nicht zum Nulltarif zu haben. Sie sind teuer und personalintensiv. Die Resozialisierung von Sexualstraftätern und der Opferschutz im Strafverfahren dürfen aber nicht an fehlenden Finanzen scheitern. Das muß auch in Zeiten knapper Kassen gelten.
Dies sind wir den Opfern schuldig.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Peter Altmaier, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema der heutigen Debatte, nämlich die sexuelle Ausbeutung von Kindern in der Dritten Welt und zunehmend auch in Osteuropa, ist kein Kavaliersdelikt einzelner, sondern ein beschämendes Massenphänomen, dem wir uns in den letzten Jahren zunehmend gegenübersehen und dessen Dimensionen uns fassungslos gemacht haben.
Wir dürfen es nicht hinnehmen, daß Sextourismus ins Ausland zunehmend zu einem Exportschlager der bundesdeutschen Gesellschaft zu werden droht, und dies weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit. Es geht dabei auch um das deutsche Ansehen im Ausland. Aber es geht vor allem und zuvörderst um die körperliche und psychische Integrität der betroffenen Kinder, um ihr Recht auf Zukunft und um ihre Würde, die es verbietet, sie zum Objekt sexueller Begierden und pervertierter Phantasie zu degradieren, wie dies jährlich zehntausendfach geschieht.
Als eines der hauptsächlichen Herkunftsländer der Kindersextouristen haben wir gegenüber den gefährdeten Kindern eine moralische Verpflichtung, eine politische Garantenpflicht.
Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz von 1993 hat der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts wesentlich erweitert und bis dahin vorhandene Strafbarkeitslücken geschlossen. Das verdient heute Anerkennung. Aber das Problem scheint mir weniger in fehlenden strafrechtlichen Regelungen als vielmehr in der praktischen Anwendung und Durchsetzung zu liegen.
Der Grund, warum es bisher nur zu wenigen Ermittlungsverfahren und kaum zu Verurteilungen gekommen ist, liegt darin, daß die Behörden noch immer viel zu selten erfahren, wenn Straftaten im Ausland begangen werden, daß die Beweisführung fast immer unmöglich ist, weil die Opfer aus Angst vor Repression und Strafe als Zeugen nicht zur Verfügung stehen, daß die Polizei in vielen Zielländern des Kindersextourismus korrupt ist, die Strafverfolgungsbehörden nur unzureichend funktionieren und es die betroffenen Länder zum Teil aus wirtschaftlichen Erwägungen an entschlossenem Vorgehen fehlen lassen. Das heißt, wir brauchen zwischen den Behörden, hier wie dort, einfache, unmittelbare, schnelle und wirksame Geschäftsverbindungen, persönliche Kontakte und Zusammenarbeit, wenn wir an diesem Zustand etwas ändern wollen.
Dabei sollte kein Vorschlag - Herr Kollege Beck, ich rede ausdrücklich auch von Ihrem Vorschlag eines Rechtshilfeübereinkommens - von vornherein ausgeschlossen werden. Aber wir sollten auch wissen, daß es schnelle und einfache Patentlösungen angesichts der Probleme in diesem Bereich nicht geben kann.
Vor allem: Der ach so einfache Ruf nach dem Staat darf uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich die entscheidende Frage an unsere Gesellschaft richtet. Wie gehen wir denn mit der zehntausendfachen Abkehr von sozialen Verhaltensmustern wie Schutz, Verantwortungsbewußtsein und Zuneigung um, die unsere Kinder jahrelang vor dieser Form von Ausbeutung geschützt haben? Wie kommt es, daß die natürliche Hemmschwelle gegenüber Sexualität von Kindern anscheinend immer leichter überwunden wird und unsere gesellschaftlichen Frühwarnsysteme immer öfter versagen?
Deshalb sage ich hier: Unsere Haltung gegenüber dem Problem der sexuellen Ausbeutung von Kindern entscheidet auch über den Stellenwert, den unsere Gesellschaft dem Wertvollsten, das sie hat, ihren Kindern, einräumt. Es handelt sich um die Frage der Selbstachtung unserer Gesellschaft. Nötig ist ein Bewußtseinswandel in unserer Einstellung zu und unserem Umgang mit Kindern, wenn die Maßnahmen, die wir diskutieren, greifen sollen.
Meine Damen und Herren, an dieser Stelle schließt sich auch der Kreis zu dem abscheulichen und bestialischen Verbrechen an Natalie Astner und den Machenschaften des belgischen Kinderschänders Dutroux. Abscheuliche Einzeltat oder verabscheuungswürdiges Massenphänomen: Es handelt sich um zwei Seiten ein und derselben Medaille. Notwendig sind hier wie da schnelle und wirksame Maßnahmen.
Im Hinblick auf die Sexualverbrechen hier bei uns gibt es Vorschläge der Bayerischen Staatsregierung, über die wir diskutieren müssen, etwa Verschärfungen für Prognoseentscheidungen, externe Gutachten und erweiterte Voraussetzungen für Sicherheitsverwahrung.
Peter Altmaier
Auch ich, Herr Kollege Beck, habe Zweifel, ob eine Verschärfung der Strafrahmen ein geeignetes Mittel sein kann, um die Wiederholungsgefahr zu senken. Aber wir sollten auch in diesem Fall keine Maßnahme von vornherein ausschließen, sondern uns darüber im klaren sein, daß sich unsere Glaubwürdigkeit darin entscheidet, wie ernsthaft wir mit diesem Problem umgehen.
Meine Damen und Herren, wir werden im Hinblick auf die Ausbeutung von Kindern im Ausland über das hinaus, was wir getan haben, eine Reihe von praktischen Schlußfolgerungen zu ziehen haben, um die bestehenden Probleme zu lösen. Der Antrag, der uns heute vorliegt, ist Gelegenheit, Zwischenbilanz zu ziehen und gemeinsam über die notwendigen Maßnahmen zu diskutieren.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Dorle Marx, SPD.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Nachfrage nach Kindern als Ware im Sex steigt an. Die Täter finden sich nicht nur im Bereich der sogenannten Pädophilen, Triebtätern oder wie das in diesen Tagen debattiert wird. Auf der Suche nach dem neuen Kick und einer Verbindung zwischen Gewalt und Sex werden Kinder zu Opfern eines neuen Geschäftszweigs, der sich zunehmend der Methoden organisierter Kriminalität bedient.
Der Handlungsbedarf mit dem Ziel einer effektiveren Aufklärung und Strafverfolgung gegenüber deutschen Tätern im Bereich des Sextourismus, der alleiniger Gegenstand des Antrages vom Bündnis 90/ Die Grünen ist, ist unstreitig. Wichtig und richtig ist in Ihrem Antrag die Forderung in Ziffer 2 nach dem Einsatz speziell ausgebildeter Fahnder in den Zielländern der Sextouristen.
Hier müssen wir, die wir uns schon länger mit dem Thema befassen, einen unverständlichen Dissens innerhalb der Bundesregierung beobachten. Während der Bundesminister der Justiz und die Familienministerin - so habe ich es bisher verstanden - einen solchen Einsatz befürworten und auch Bundesminister Kinkel am Rande der Stockholmer Weltkonferenz zugesagt hat, diese Frage zu prüfen, hält der Bundesminister des Innern den Einsatz besonderer Beamter in diesem Bereich schlicht für nicht notwendig.
Er vertritt - noch - die Ansicht, die im Bereich Drogen und organisierte Kriminalität eingesetzten Verbindungsbeamten des Bundeskriminalamtes könnten „im Einzelfall" mit tätig werden. Ich erwarte dringend, daß der Innenminister diese Ansicht revidiert
und freue mich, daß dieses Haus hier heute einmal vertreten ist. Das war in allen vorherigen Debatten nicht der Fall. Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß Mord an Kinderseelen weniger wiegen soll als Drogenkriminalität und organisiertes Verbrechen.
Besorgte Bürgerinnen und Bürger haben vor der Stockholmer Weltkonferenz innerhalb weniger Wochen 18 000 Unterschriften für den Einsatz von besonders geschulten Beamten des Bundeskriminalamts gesammelt. Diese Unterschriften wollten sie dem für das Bundeskriminalamt zuständigen Minister Kanther übergeben. Anstatt erfreut zu sein, daß eine so große Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern unserem bewährten Bundeskriminalamt auch diesen Bereich anvertrauen wollte, lehnte das Bundesinnenministerium sogar schon die Entgegennahme dieser Unterschriften ab. Ich halte das für einen Skandal.
Es müßte sich doch auch - Herr Staatssekretär, Sie geben es hoffentlich weiter - bis zu Ihrem Herrn Minister herumgesprochen haben, daß die Verurteilung deutscher Straftäter für den im Ausland begangenen sexuellen Mißbrauch von Kindern drei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes mehr als im argen liegt. Vor der Stockholmer Weltkonferenz war es erst zu einer einzigen Verurteilung gekommen. In der Woche danach hatten wir dann übrigens, Herr Kollege Beck, die zweite Verurteilung.
Ich darf Ihnen hier noch einmal die Strafmaße bekanntgeben. Im ersten Fall wurde in Bayern ein Urteil verkündet, das acht Monate auf Bewährung lautete. Das zweite Urteil aus Hessen kam immerhin zu einer anzutretenden Freiheitsstrafe von zwei Jahren.
Während der Stockholmer Weltkonferenz und der dadurch ausgelösten öffentlichen Aufmerksamkeit wurden meines Wissens erstmals zwei des sexuellen Kindesmißbrauchs im Ausland Beschuldigte in Untersuchungshaft genommen. Sind eigentlich ausländische Kinder Opfer zweiter Klasse? Es ist schlimm genug, daß bei den Tätern die Hemmschwelle mit der Entfernung zum Heimatland abzunehmen scheint. Wenn sich dies in unserer Verurteilungspraxis niederschlagen sollte, wäre es unerträglich.
Die Diskussion um chemische Kastration - freiwillig oder nicht - und Erhöhung der Strafmaße mutet abenteuerlich an, wenn gegen Verdächtige nicht einmal effektiv ermittelt wird oder effektiv ermittelt werden kann. Im Protokoll der gestrigen Fragestunde können Sie solch einen Fall nachlesen. Der unlängst in Tschechien auf frischer Tat ertappte Kinderschänder Dr. Lewicki war bereits im November letzten Jahres auf den Philippinen verhaftet worden; sein Paß war damals eingezogen worden. Nach seiner Freilassung gegen Kaution hatte die deutsche Botschaft Dr. Lewicki seinen Paß wieder ausgehändigt, mit dem er dann ungehindert ausreisen konnte.
Dorle Marx
Die traurige Geschichte geht weiter. Mehr als acht Monate benötigte die Justizverwaltung in der Bundesrepublik Deutschland, eine zuständige Staatsanwaltschaft in Deutschland ausfindig zu machen, die die Ermittlungen gegen Herrn Dr. Lewicki aufnehmen sollte. Als ihr das gelungen war, war Herr Dr. Lewicki aber schon wieder verhaftet worden. Ende August nämlich ist der Verdächtige in Tschechien wegen sexueller Gewalt an Kindern, die er vorher mit Heroin betäubt hatte, festgenommen worden.
Da können wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, viel über Prävention und Verhaltensanleitungen für Eltern und Kinder diskutieren, wenn unser Rechtsstaat es nicht einmal fertigbringt, einen solchen Verdächtigen, der auf den Philippinen bereits mit gutem Grund in Haft genommen worden war, bei uns wenigstens in Untersuchungshaft zu nehmen.
Die gesetzlichen Voraussetzungen, so wurde gestern in der Fragestunde gesagt, müssen dann natürlich auch vorliegen. Aber wie war es denn hier? Der dringende Tatverdacht war gegeben. Der Verdächtige ist auf den Philippinen quasi ertappt worden. Und Fluchtgefahr besteht doch wohl auch, wenn man acht Monate benötigt, um die verschiedenen Wohnsitze gegeneinander abzuwägen und der Verdächtige auch einen Wohnsitz in der Schweiz hat. Statt ihn festzunehmen, konnte Herr Dr. Lewicki weiter die bei ihm sichergestellten Videobänder produzieren und sich wiederholt an Kindern vergreifen. Was er die ganzen acht Monate über machen konnte, wissen wir nicht. Wir waren nicht dabei. Er ist in Tschechien erwischt worden, aber vielleicht war er auch in Deutschland aktiv.
Der weltweiten Verantwortung für die Wahrung von Kinderrechten wird die Bundesrepublik Deutschland nur gerecht, wenn die in fernen Ländern begangene Gewalt an Kindern und die grausamen Ereignisse vor oder hinter unseren eigenen Haustüren mit gleicher Dringlichkeit geächtet und verfolgt werden.
Hieran sehen Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, daß eine Begrenzung der aufgeworfenen Fragen auf die sogenannten Sextouristen sehr gefährlich ist. Vor diesem Hintergrund - ich muß es leider sagen - wirkt Ihr Antrag ziemlich einfältig, und Kollege Beck hat sich erst gar nicht auf den Text bezogen. Peinlich finde ich die Begrenzung des in Ziffer 3 Ihres Antrages aufgeführten Präventionsauftrages auf Reiseveranstalter und Justizbehörden der Zielländer des Sextourismus und in diesem Bereich tätige Nichtregierungsorganisationen.
Regelrecht abenteuerlich - es tut mir leid, das zu sagen - ist die Ziffer 4 Ihres Antrages. Dort meinen Sie, die Bundesregierung müsse auf die Ratifizierung und Einhaltung der Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention in den Zielländern des sogenannten Sextourismus drängen. Ich kann Ihnen verraten: Die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen haben über 180 Staaten dieser Erde ratifiziert. Die von Ihnen genannten Länder gehören dazu. Die Bundesrepublik Deutschland hat die UN-Kinderrechtskonvention allerdings nur mit Einschränkungen ratifiziert. Von einer Bekanntheit und Verwirklichung aller Rechte dieser Konvention kann in unserem Land selbst noch lange nicht die Rede sein.
Deshalb wird die Bundesrepublik Deutschland in diesem Bereich schlecht als Lehrmeisterin anderer Länder auftreten können.
Der von allen Fraktionen gemeinsam im Juni verabschiedete Antrag zur Vorbereitung der Stockholmer Weltkonferenz hat der Vielfalt und der Verknüpfung aller Erscheinungsformen der sexuellen Ausbeutung von Kindern Rechnung getragen. Ich bezweifle nochmals, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, daß es besonders weise von Ihnen war, nach der Stockholmer Weltkonferenz dem Deutschen Bundestag einen Antrag zur Debatte vorzulegen, der sich wieder ausschließlich mit dem Bereich Sextourismus beschäftigt. Vor dem Hintergrund der tragischen Enthüllungen in Belgien und der aktuellen Geschehnisse in unserem Land sind wir endlich einmal über diese kurzsichtige Verengung hinausgekommen: Wir haben begonnen, zur Kenntnis zu nehmen, daß die besonders perfide Form der Mißachtung der Rechte von Kindern durch Gewalt und sexuelle Ausbeutung ein weltweit wachsendes Problem ist.
Wenn wir also die Rechte von Kindern anerkennen, wahren und schützen wollen, sollten wir uns vor Schnellschüssen in jede Richtung hüten. Alle Maßnahmen der gesellschaftlichen und politischen Prävention müssen national und international Kinder von ihrer Objektstellung befreien. Menschenwürde und kindliche Persönlichkeit müssen anerkannt und respektiert werden. Erst dann ist eine Gesellschaft in der Lage, Verantwortung für ihre Kinder insgesamt zu übernehmen, also unabhängig davon, ob es sich um ein eigenes oder ein verwandtes, ein deutsches oder ein nichtdeutsches Kind handelt.
Wir sind aufgerufen, die Würde und Rechte aller Kinder anzuerkennen und zu verteidigen. Daraus ergeben sich folgende neun Grundsätze für alle Bereiche unserer Politik.
Erstens. Kinder sind von Geburt an vollwertige Menschen und nicht bloß defizitäre Erwachsene oder „Anhang" ihrer Eltern. Die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen konkretisiert die Menschenrechte der Kinder. Sie muß in Deutschland umfassend bekanntgemacht und schließlich auch gelebt werden.
Zweitens. Die Achtung der Würde und der Rechte des Kindes obliegt nicht nur den Eltern oder dem Fachpersonal in der Erziehung. Eine Behandlung, die die Würde von Kindern in irgendeiner Weise verletzt, ist nicht mehr Privatsache.
Dorle Marx
Drittens. Familien, nicht nur Eltern, dürfen in ihrer Sorge für Kinder nicht alleingelassen werden. Sie haben Anspruch und Recht auf jederzeitige Hilfe bei ihrer Aufgabe. Beratung und Unterstützung müssen ortsnah und ohne allzugroßen Kostenaufwand zur Verfügung stehen. Hilfen und Unterstützung müssen nicht nur in diesem Bereich als gesellschaftliche Normalität und nicht nur als Notfallhilfe angesehen werden.
Viertens. Die Kinder selbst müssen auch außerhalb des Elternhauses jederzeit Ansprechpartner finden können.
Fünftens. Ein besonderer Schwerpunkt ist die Aufhebung der geschlechtsspezifischen Geringerschätzung von Mädchen, die einen ganz überwiegenden Anteil der Opfer aller Formen des sexuellen Mißbrauchs ausmachen.
Sechstens. Die Opfer sexueller Gewalt müssen vor Verachtung und Kriminalisierung geschützt werden. Sie müssen nicht nur in der Justiz, sondern auch im Sozial- und Gesundheitsbereich besondere Unterstützung erfahren.
Siebtens. Die Aufdeckung sexuellen Mißbrauchs und der Mißachtung anderer fundamentaler Kinderrechte darf nicht nur zur Bestrafung und Fokussierung auf die Täter führen; die Hilfen für die betroffenen Kinder sind zumindest gleichrangig.
Achtens. Mit der Achtung der Würde und der Rechte der Kinder ist auch ihr Recht zur Mitwirkung an allen sie betreffenden Angelegenheiten, wie es Art. 12 der UN-Kinderrechtskonvention vorsieht, verbunden. Kinder müssen und können in die Entwicklung und Durchführung von Präventionsprogrammen aktiv einbezogen werden.
Neuntens. Die Achtung von Kindern bindet die nationale und internationale Politik, besonders in der Frage der Wahrung der Menschenrechte und der Entwicklungszusammenarbeit.
Wir müssen national und international mit Sorgfalt prüfen, wie die drei Bereiche Prävention, Opferschutz und Umgang mit den Tätern im Interesse der Würde unserer Kinder verbessert werden können.
Das Wort hat der Kollege Jörg van Essen, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema „Sex mit Kindern" beschäftigt uns in diesen Tagen aus traurigen Anlässen in besonderer Weise. Wir reden heute über einen Teilaspekt, ohne dabei die Gesamtproblematik, die in der Debatte bereits eine Rolle gespielt hat, aus, dem Auge zu verlieren. Ich begrüße es daher sehr, daß der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages sich in einer Sondersitzung am 9. Oktober mit der Fülle der sich aufwerfenden Fragen in einem Expertengespräch beschäftigen wird.
Es ist richtig, daß wir 1993 die letzten strafrechtlichen Lücken bei der Verfolgung von sexuellem Mißbrauch durch Deutsche im Ausland geschlossen haben; aber die tatsächlichen Ergebnisse können nicht zufriedenstellen. Frau Kollegin Marx hat sie hier im einzelnen vorgestellt. Die wenigen Fälle legen ein beredtes Zeugnis dafür ab, daß etwas getan werden muß. Es kann im übrigen bei dieser Situation nicht darum gehen, auf parteipolitische Vorteile aus zu sein und Vorschläge insbesondere deshalb abzulehnen, weil sie vom politischen Gegner gemacht worden sind.
Ich habe deshalb überhaupt keine Probleme damit, für meine Fraktion zu erklären, daß wir die Vorschläge im heute zu behandelnden Antrag im Gegensatz zu Ihnen, Frau Kollegin Marx, durchaus für hilfreich halten.
Die mündliche Absprache zwischen Deutschland und Thailand aus dem Herbst 1995, die den unmittelbaren Verkehr zwischen Strafverfolgungsbehörden ermöglicht, ist ein guter Schritt. Ich erwarte, daß wir schnellstmöglich mit den anderen, insbesondere den in dem Antrag genannten Ländern zu ähnlichen Absprachen kommen.
Lassen Sie mich noch ein deutliches Wort sagen. Ich spüre das Zögern insbesondere in der Beamtenschaft des Bundesjustizministeriums, die formelle Rechtshilfeabkommen sofort mit dem Stempel „langwierig" und „umständlich" versieht. Ich erwarte mit Nachdruck, daß in einer sich immer mehr globalisierenden Welt - das trifft dann leider auch auf den sexuellen Mißbrauch von Kindern zu - der Rechtshilfeverkehr und die dazu erforderlichen Regelungen aus dem Staub des 19. Jahrhunderts an die Bedingungen der Gegenwart angepaßt werden.
Mir reichen mündliche Absprachen auf Dauer nicht. Ich möchte verbindliche Vereinbarungen, um einerseits den schnellen Informationsaustausch, wie mit Thailand mündlich abgesprochen, und andererseits eine rechtsstaatliche Durchführung der Strafverfahren zu ermöglichen. Ein solches Vorgehen kann nicht auf ein Land beschränkt bleiben, wie es bisher leider der Fall ist.
Ich habe auch sehr viel Sympathie für alle Überlegungen und Versuche, die Zahl deutscher kriminalpolizeilicher Verbindungsbeamter zu erhöhen. Der Mißbrauch von Kindern in der Dritten Welt ist für unsere finanzkräftigen Landsleute deshalb so einfach, weil sie die Not in diesen Ländern schamlos ausnutzen. Aber das von den Kindern verdiente Geld sichert nicht nur den Unterhalt ihrer Familien; es verdienen viele mit, bis hin zu den staatlichen Strafverfolgungsbehörden, die sich korrumpieren lassen. Wir müssen daher durch mehr Verbindungsbeamte den
Jörg van Essen
Druck auf die örtlichen Behörden deutlich erhöhen - und damit auch den Strafverfolgungsdruck auf die Täter. Als strafrechtlichem Praktiker ist mir bekannt, daß einen Täter nichts so sehr zur Tat ermutigt wie die Tatsache, daß er mit einer Entdeckung praktisch nicht zu rechnen braucht.
Aber auch andere sind gefordert. An den an Kindern interessierten Sex-Touristen verdienen nicht nur die einheimischen Hoteliers in den Zielländern und diejenigen, die die Kinder zur Prostitution anhalten und diese organisieren, sondern auch die Fluggesellschaften, die sie in die Zielländer transportieren. Ich gebe zum Beispiel zu überlegen, ob nicht während des langen Fluges entsprechendes Aufklärungsmaterial, zum Beispiel Videobeiträge über die Situation und deren schlimme Folgen, angeboten werden könnten. Ich weiß von Bekannten, die in diesem Bereich tätig sind, wie offen unter den Passagieren bereits während des Fluges über ihre beabsichtigten Taten in den Zielländern gesprochen wird. Das alles ist für mich nicht hinnehmbar.
Wir sollten in einen konstruktiven Wettbewerb aller Richtungen dieses Hauses treten, um zu einer möglichst guten, rechtsstaatlichen und vor allen Dingen wirksamen Lösung zu kommen. Dieser Antrag ist ein Beitrag dazu.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Rosel Neuhäuser, PDS.
Herr Präsident! Meine lieben Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal alle Punkte unterstützen, die Kollege Beck hier vorgetragen hat, insbesondere in bezug auf den Umgang mit Sexualstraftätern im Gefängnis.
Der Weltkongreß in Stockholm war sehr wichtig und auch notwendig. Meine Sorge ist: Was wird nun aus diesen Erklärungen und Beschlüssen? Gibt es in diesem Haus und vor allem bei der Bundesregierung, den politischen Willen, die Ursachen und Hintergründe sexueller Ausbeutung zu analysieren und vor allem entsprechende Schlußfolgerungen zu ziehen? Wie weit wohlgesetzte Worte und graue politische Realität auseinanderklaffen können, das hat uns Kollegin Marx eben sehr eindrucksvoll dargestellt, und das ist mit Sicherheit nicht nur Familienpolitikerinnen und -politikern bekannt.
Die Forderung nach härteren Strafen für die Täter erscheint angesichts der jüngsten Fälle in Belgien und des Todes der kleinen Natalie in Bayern einleuchtend. Ich glaube aber nicht, daß eine restriktivere Bestrafung mehr leisten kann als ein zorniges und hilfloses Reagieren auf unfaßbare menschliche Grausamkeit. Ursachen werden davon nicht berührt. Geholfen ist damit niemandem. Die Experten sind sich auch einig, daß es nicht an Gesetzen mangelt, sondern vielmehr an einer konsequenten Anwendung der bestehenden rechtlichen Möglichkeiten.
Wo soll man also ansetzen? Die Ursachen der sexuellen Ausbeutung von Kindern sind komplex und gehen über die immer wieder angeführte Armut in den Ländern der sogenannten Dritten Welt hinaus. Zur Umsetzung der Beschlüsse von Stockholm bedarf es mehr als internationaler Absprachen über Amtshilfe bei der Strafverfolgung und nur begrenzt hilfreicher Entwicklungsprojekte.
Warum ist es möglich, mit dieser Art von Geschäft wahnsinnige Profite zu machen? Sexualität gilt als Ware und funktioniert daher auf dem Markt, sofern sie nachgefragt wird. Wo entsteht die Nachfrage nach dieser Art von Ware? Die Mehrzahl der Sextouristen kommt aus Westeuropa und den USA.
Ich denke, eine wesentliche Ursache für die sexuelle Ausbeutung von Kindern liegt darin, wie Kinder dargestellt und wahrgenommen werden, sprich: in ihrer Stellung in der Gesellschaft als letztlich unselbständige Wesen, über die Erwachsene nach eigenem Ermessen verfügen können.
Dieses Bild macht es Männern noch immer möglich, Kinder - wie übrigens auch Frauen - als Eigentum zu betrachten, auf deren Benutzung sie ein Recht haben, als Sextouristen, als Konsumenten von Kinderpornographie und als Mißbraucher in der Familie. Diesem Problem ist nur beizukommen, wenn Kinder in allen gesellschaftlichen Bereichen und vor allem in der Rechtsprechung als Subjekte, als selbstbestimmte Personen mit unverbrüchlichen Rechten behandelt werden.
Die konsequente Umsetzung der UN-Kinderkonvention ohne Wenn und Aber wäre ein Schritt in die richtige Richtung.
Auch im Rahmen der Haushaltsdebatten war immer wieder die Rede von Werteverlusten und der Notwendigkeit von Bewußtseinsänderungen. Regierung und Koalition sind wild entschlossen, weitestgehend unregulierte Marktmechanismen in allen Bereichen sozialstaatlicher Verantwortung zu etablieren.
Woher, bitte, nehmen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, die Hoffnung, daß ausgerechnet das Bewußtsein der Gesellschaft sich diesen von Ihnen favorisierten Mechanismen entziehen kann oder unabhängig von ihnen agiert? Das Sein bestimmt das Bewußtsein. Ihre ganz konkrete Politik macht diese Bewußtseinsänderung unmöglich. Ich gebe mich nicht der Illusion hin, daß Ihnen das nicht klar ist.
Aber können Sie verantworten, was Sie tun? In der Gesellschaft, auf die Sie zusteuern, ist das Problem sexueller Ausbeutung von Kindern nicht zu bewältigen.
Das Wort hat Herr Bundesminister Professor Dr. Schmidt-Jortzig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen
Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
und Herren Kollegen! Gegenstand der offiziellen Debatte ist heute die sexuelle Ausbeutung von Kindern im Ausland durch Deutsche. Der Weltkongreß in Stockholm manifestierte eindrucksvoll den gemeinsamen Willen, gegen so schändliche Verbrechen wie Kinderprostitution, Kinderhandel und Kinderpornographie vorzugehen. Auf dem informellen Rat der Justiz- und Innenminister der EU in Dublin, der zur Stunde tagt, steht ein Bündel von Maßnahmen gegen den Menschenhandel und gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern auf der Tagesordnung.
Die Bundesregierung ihrerseits hat bereits 1993 den sexuellen Mißbrauch ausländischer Kinder durch Deutsche im Ausland unter Strafe gestellt. Nach dem Stockholmer Kinderschutzkongreß haben Frau Kollegin Nolte und ich uns zu zügiger Prüfung der notwendigen Folgeschritte verabredet. Sie, sehr verehrte Frau Kollegin Nolte, werden nachher sicherlich noch darauf zu sprechen kommen.
Ich möchte jetzt zu einem anderen Thema sprechen, das mit diesem ganz unmittelbar zusammenhängt. Wir können diesen offiziellen Tagesordnungspunkt nicht isoliert von den grausamen Ereignissen im Inland diskutieren.
Mit Trauer und Bestürzung haben wir von dem furchtbaren Tod der kleinen Natalie erfahren. Fassungslos stehen wir vor einer Tat, die sich nur wenige Wochen nach den grausamen Entdeckungen in Belgien hier bei uns, jetzt unmittelbar bei uns ereignet hat.
Trauer und Bestürzung dürfen aber, so schwer es fällt, nicht zur Maxime unseres politischen Handelns werden. Die bayerische Strafjustiz hat ihre Ermittlungen aufgenommen und wird den mutmaßlichen Mörder einem korrekten und präzisen Verfahren zuführen.
Unsere Aufgabe ist es nun, sorgfältig und unaufgeregt zu prüfen, wie wir dem sichtbar gewordenen Problem wirksam begegnen können. Unsere Antwort muß dabei angemessen, rechtsstaatlich einwandfrei und vor allem besonnen und umsichtig ausfallen.
Was also ist zu tun? Die Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten liegen ganz zweifellos in der praktischen Gestaltung des Strafvollzugs, und zwar generell, nicht etwa nun konkret wegen dieses Falles in Bayern.
Im Brennpunkt der Kritik steht die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung. Die Entscheidung hierüber kommt den Gerichten zu. Die Strafvollstrekkungskammern der Landgerichte müssen in jedem Einzelfall die schwierige Prognoseentscheidung treffen, ob ein künftig straffreies Verhalten des Probanden zu erwarten ist. Gerade bei Sexualstraftätern sehen die entsprechenden Verwaltungsvorschriften der Länder eine besonders gründliche Prüfung vor. Aber - darauf ist schon verschiedentlich hingewiesen worden; wer kann das auch übersehen? - auch die gründlichste Prüfung bietet, wie psychiatrische und psychologische Fachleute immer wieder betonen, keine Gewißheit und mithin keine risikofreie Entlassung aus dem Strafvollzug.
Um so mehr gilt es, Prognosefehler soweit irgend möglich zu minimieren. Ein erster Schritt wäre die verstärkte Einschaltung von Gutachtern vor der Haftentlassung. Für den Strafvollzug zuständig sind die Länder, denen für verstärkte gutachterliche Prüfung häufig das Geld und auch die zusätzlichen Gutachter fehlen. Herr Beck, Sie haben darauf schon hingewiesen. Auch ich sage ganz deutlich: Wer in diesem Bereich spart, spart mit Sicherheit an einer falschen und ganz schlimmen Stelle.
Herr Kollege Schmidt-Jortzig, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Jelpke?
Gerne.
Herr Minister Schmidt-Jortzig, ich bin seit 15 Jahren Strafvollzugshelferin. Ich möchte Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß die meisten Richter Sexualstraftätern seit Jahren Therapieauflagen ins Urteil hineinschreiben? Ich habe die Erfahrung gemacht, daß die Therapie im Gefängnis in der Regel nicht stattfindet. Im wesentlichen werden Sexualstraftäter verschlossen, aufbewahrt. Sie sprechen davon, Gutachten vor der Entlassung erstellen zu wollen. Ich frage Sie: Sind Sie nicht der Meinung, daß die therapeutischen Maßnahmen auch wirklich umgesetzt werden müssen und daß Gutachten am Anfang und am Ende der Haftzeit alleine nichts nutzen, wenn nicht zwischendurch und permanent mit den Menschen gearbeitet wird?
Frau Kollegin Jelpke, auch nach meinen Kenntnissen ist es in der Tat so, daß die Praxis der Therapieangebote im Strafvollzug aus den unterschiedlichsten Gründen zu wünschen übrig läßt - aus Personal- und Geldengpässen, aus Überlastung des Personals, aber auch, weil es in dem unmittelbaren Zusammenhang des Strafvollzugs häufig nicht zu sinnvollen Arbeiten kommen kann. Da gebe ich Ihnen völlig recht.
Ob wir deswegen schon den Schluß ziehen dürfen, daß die Gutachten, die entsprechend erstellt werden, keinen Sinn haben, möchte ich bezweifeln. Nach meiner Sicht der Dinge geht es dabei nicht so sehr darum, Gutachten an sich in Frage zu stellen, sondern darum, das Gutachtenwesen zu überprüfen. Es ist möglicherweise nicht das beste, wenn man dann dieselben, kräftemäßig überforderten Gefängnispsychiater, Gefängnispsychologen und Sozialarbeiter in den Strafvollzugsanstalten mit der Begutachtung beauftragt. Es stellt sich also die Frage: Soll man sogenannte Externe dazuholen, die von dem unmittelbaren Zusammenhang nicht so betroffen sind und die nicht so eingebunden sind. Dazu höre ich: Es gibt von solchen Externen, die hinreichend befähigt sind und Zeit haben, zuwenig. Insofern haben Sie recht.
Herr Kollege Schmidt-Jortzig, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wolf?
Gern.
Herr Minister, Sie haben gerade gesagt, daß in den Vollzugsanstalten zuwenig Personal vorhanden ist. Sind Sie der Meinung, daß der Kenntnisstand der Richter in diesen speziellen Fällen nicht ausreicht und daß vielleicht eine ganz andere Aus- und Weiterbildung stattfinden müßte? Wie schätzen Sie die Kompetenz von Richtern für die Behandlung dieser speziellen Verbrechen ein?
Es geht um die Strafvollstreckungskammern, die entscheiden müssen. Das ist ja unser Thema hier, das uns durch den schrecklichen Fall in Bayern auf den Tisch gelegt worden ist. Es geht darum, ob sich die Strafvollstreckungskammern für die Entscheidung über eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung hinreichend sachkundig machen können, um ihre Entscheidung wirklich verantwortungsbewußt treffen zu können. Wie bei jedem Richter, der die Kenntnisse nicht hat, ist es notwendig, daß man entsprechende Gutachten einholt und Inaugenscheinnahmen vornimmt. Die Strafvollstreckungskammern sind, wie man weiß, auch schon jetzt intensiv bemüht, sich diese Zusatzkenntnisse anzueignen. Nur ist das, was an möglichen gutachterlichen Quellen zur Verfügung steht, häufig nicht hinreichend.
Ich würde den Vorwurf nicht den Richtern machen, es sei denn, wir müßten konstatieren, daß alles mangels hinreichender Zeit und wegen Überlastung viel zu schnell durchgepreßt wird. Ich würde sagen, die vorhandenen gutachterlichen Hilfen sind für die zur Entscheidung berufenen Richter nicht optimal.
Herr Kollege Schmidt-Jortzig, gestatten Sie auch eine Zwischenfrage des Kollegen Dehnel?
Wenn das die letzte zu diesem Punkt ist, herzlich gerne. Zu den anderen Punkten können gerne weitere Fragen gestellt werden.
Die Diskussion geht für meine Begriffe ein bißchen in die falsche Richtung. Ich habe manchmal den Eindruck, daß unser Strafvollzug viel zu liberal ist, wenn ich daran denke, daß Sexualstraftäter Freigang bekommen und dann ohne Fesseln irgendwo umherlaufen können, daß zum Beispiel auch vorzeitig sowie ohne Kontrollmaßnahmen entlassen wird und dann wieder Verbrechen ausgeübt werden. Glauben Sie nicht, daß das Strafvollzugswesen doch zu liberal ist?
Herr Kollege, ich komme auf solche und ähnliche Punkte noch zu sprechen. Im übrigen will ich schon jetzt sagen: Wir sind Gottlob in einen sehr fruchtbaren Diskussionsprozeß eingetreten, namentlich durch die Entscheidung des Rechtsausschusses, hierzu eine öffentliche Anhörung durchzuführen. Es wird sicherlich einiges an Schlüssen zu ziehen sein, wenn wir diese Diskussion umfassend geführt haben. Ich will da gar nichts ausschließen. Daß es so vorschnell geht, wie Sie es in Ihrer Frage ein bißchen unterstellen, kann ich eigentlich nicht bestätigen.
Ein weiterer Punkt - vieles ist in diesem Diskurs schon zur Sprache gekommen - wäre sicherlich - Frau Kollegin Jelpke, ich habe Ihnen da schon zugestimmt - ein breiteres, gezielteres und sachgerechteres Angebot von Therapien. Vorrangig ist da allenthalben wieder die Justiz in den Ländern gefordert.
Aber es soll nicht immer nur der Verweis auf die praktische Justizverantwortung der Länder in diesem föderalen System erfolgen. Wenn sich nach kritischer Durchsicht Gesetzeslücken herausstellen, muß auch der Bundesgesetzgeber Verbesserungsüberlegungen anstellen. Insoweit könnte man daran denken - ich sage das ausdrücklich im Konjunktiv, weil wir uns erst die Kenntnisse aneigenen müssen, um da definitive Entscheidungen zu treffen -, daß bei der vorzeitigen Haftentlassung auf Bewährung auch die obligatorische Zuziehung externer Fachleute vorgeschrieben werden muß. Auch darauf sind wir schon zu sprechen gekommen. Manche Länder, beispielsweise Baden-Württemberg, haben das in ihren Verwaltungsvorschriften für die Gestaltung des Strafvollzugs zur Behandlung solcher Fälle ausdrücklich vorgeschrieben. Wenn das nicht langt, müßte der Bund den anderen Ländern die Dinge so aufgeben.
Außerdem könnte man - auch darauf ist schon hingewiesen worden - die Gewißheitsschwelle für die Prognose bei bestimmten Deliktsgruppen wie Sexualstraftaten höher legen.
Schließlich ist sicherlich auch eine Überlegung wert, wie man die weitere Beobachtung der Täter nach der Verbüßung der Strafe gestaltet. Das Gesetz räumt den Gerichten schon heute die Möglichkeit ein, gemeingefährliche Wiederholungstäter in Sicherungsverwahrung zu nehmen. Es sieht für den Fall der Entlassung in Freiheit auch die Anordnung von Führungsaufsicht vor. Muß man hier für Sexualstraftäter möglicherweise die Anordnungsbedingungen herabsetzen? Auch das müssen wir erörtern.
Meine Damen und Herren, wir alle sollten das in Ruhe, mit Sorgfalt und Entschlossenheit diskutieren. Schnellschüsse jedenfalls sind bei einem so heiklen und empfindlichen Thema sicherlich nicht gefragt.
Deshalb - ich sage das noch einmal - begrüße ich es sehr, daß der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages am 9. Oktober eine öffentliche Anhörung durchführt und wir in derselben Woche, so habe ich gehört, hier im Plenum wohl auch einen Sondertermin für eine Diskussion erhalten werden.
Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Außerdem werde ich die Dinge mit meinen Kollegen aus den Ländern erörtern und dem Rechtsausschuß einen ausführlichen Bericht vorlegen.
Mir scheint, in dieser Weise können wir angemessen reagieren und werden damit vor allem auch dem Ernst der Problematik gerecht.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Jürgen Meyer, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Schmidt-Jortzig hat soeben mit einer gewissen Genugtuung festgestellt, die Bundesregierung habe schon 1993 den sexuellen Mißbrauch von Kindern durch Deutsche im Ausland unter Strafe gestellt. Einmal abgesehen davon, daß dies Sache des Parlaments gewesen ist, die wir sehr gerne gemeinsam beschlossen haben, ist es jetzt doch an der Zeit, auch zu fragen, ob das eigentlich reicht.
Der Fall Dr. Lewicki, über den wir gestern in der mündlichen Fragestunde eingehend diskutiert haben, müßte doch nachdenklich machen. Kann es denn sein, daß sich ein deutscher Staatsangehöriger, der schlimme Straftaten im Ausland begeht, wegen der jetzigen Fassung des § 5 Nr. 8 des Strafgesetzbuches dadurch der deutschen Strafgewalt entzieht, daß er seinen Wohnsitz im Ausland - in diesem Fall in der Schweiz - hat? Das kann doch nicht sein.
Wir jedenfalls treten dafür ein, daß die Voraussetzung, der Beschuldigte müsse seine „Lebensgrundlage im Inland" haben, gestrichen wird. Das ist unsere Forderung. Wir bitten Sie, das zu unterstützen.
Ausdrücklich zustimmen können wir Ihnen, wenn Sie sagen, daß man bei der Ermittlung und Feststellung, ob eine positive Prognoseentscheidung der Strafvollstreckungskammer verantwortet werden kann, an Gutachtern nicht sparen darf. Dies ist eine gemeinsame Forderung. Wir sind auch der Auffassung, daß man dazu übergehen sollte, externe Fachleute hinzuziehen, bei schwieriger Fallgestaltung nicht nur etwa einen psychiatrischen, sondern eventuell auch einen Sachverständigen einer psychologischen oder anderen Fachdisziplin. Man sollte da nicht an Kosten sparen. Das ist auch unsere Auffassung.
Mindestens ebenso wichtig wie das Diskutieren über Täter ist es, über die Opfer zu reden, nicht zuletzt über die kindlichen Opfer von Sexualdelikten.
Wie Sie wissen, haben wir schon im vergangenen
Jahr einen Gesetzentwurf eingebracht, der vorsieht,
daß die Videographie im Strafverfahren genutzt werden sollte. Kollege Beck hat eine Forderung in dieser Richtung erhoben, hat allerdings vergessen, daß die SPD einen solchen Entwurf längst eingebracht hat. Wir bitten um Unterstützung.
Ziel dieses Entwurfes ist es - wie wir ausdrücklich gesagt haben -, Kindern die Vielfachbelastung durch wiederholte Vernehmungen, noch mehr Leid, als ihnen schon widerfahren ist, zu ersparen.
Wir fordern weiterhin und bitten um Unterstützung, daß Opfer dann, wenn sie ihre Rechte nicht selbst wahrnehmen können - für wen sollte das mehr gelten als für Kinder? -, einen Opferanwalt erhalten. Es kann doch nicht richtig sein, daß Beschuldigte bei Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage auf Staatskosten einen Anwalt erhalten, die Opfer aber nicht. Auch hier bitten wir um Unterstützung für unsere Forderung.
Lassen Sie mich in der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit noch auf zwei Lehren, die wir aus der Diskussion über den Fall Lewicki ziehen sollten, zu sprechen kommen. Eine ist - ich denke, da sind wir uns einig -, daß jede Diskussion in diesem Hause und selbstverständlich auch im zuständigen Fachausschuß seriös geführt werden muß.
Deshalb freue ich mich, daß aus keiner Fraktion, auch nicht durch den Fragesteller, der sich vorhin gemeldet hat, die Forderung nach einer chemischen Zwangsbehandlung von Tätern erhoben worden ist. Wir sollten in aller Sachlichkeit darauf hinweisen, daß es eine freiwillige chemische Behandlung längst gibt, die allerdings voraussetzt, daß sie von einer therapeutischen Behandlung begleitet und nur in geeigneten Fällen angeboten wird. Man sollte nicht in der Öffentlichkeit die Illusion erzeugen, als ob eine schwere psychische Erkrankung mit chemischen Mitteln, die physisch wirken, geheilt werden könnte. Das stimmt nicht, da sollten wir der Öffentlichkeit auch die Wahrheit sagen.
Ein letzter Punkt; darin stimme ich mit Ihnen, Herr Kollege van Essen, überein. Wir sollten es nicht bei mündlichen Absprachen beim strafrechtlichen Rechtshilfeverkehr belassen, wie etwa dieser sagenhaften Absprache in Thailand. Das sind Absprachen, deren Funktionieren auf dem Zufall guter persönlicher Kontakte beruht, und das ist kein ausreichender Opferschutz.
Wir treten dafür ein, daß der strafrechtliche Rechtshilfeverkehr der Bundesrepublik Deutschland mit außereuropäischen Staaten, der sich bisher überwiegend vertragslos vollzieht, auf die Grundlage nationaler Rechtshilfeabkommen gestellt wird. Es geht
Dr. Jürgen Meyer
um die Verbesserung der strafrechtlichen Zusammenarbeit durch den Einsatz speziell ausgebildeter deutscher Verbindungsbeamter vor Ort - das ist keine private Sache des Herrn Botschafters -, von sachkundigen Beamten vor Ort, die auch gegen deutsche Straftäter im Ausland ermitteln, die die örtlichen Behörden schulen und damit sicherstellen, daß die Anforderungen an Beweismitteln und Zeugenaussagen für die Gerichtsbarkeit auch in einem deutschen Strafverfahren gesichert sind. Darum sollte es uns gemeinsam gehen.
Es ist also Handeln geboten, sowohl für den Bundestag als auch für die Bundesregierung, Handeln mit Augenmaß, Handeln ohne Hysterie, damit der Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung durch Deutsche im Ausland verbessert wird.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Erika Reinhardt.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, kein Thema bewegt uns - mich besonders und auch die Menschen draußen - zur Zeit so sehr wie die sexuelle Gewalt gegen Kinder.
Gewalt gegen wehrlose Geschöpfe, die so dringend auf Schutz und Hilfe angewiesen sind, ist wohl das Schlimmste, Widerwärtigste und Schändlichste, was es gibt. Es ist ein gesellschaftliches Problem, das sich inzwischen weltweit stellt, und die jüngsten Fälle von Kindesmißbrauch und Kindestötung geben Anlaß, die geltenden Schutzmaßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Es ist aber auch zu überprüfen, ob wir in der Liberalisierung unseres Strafrechts nicht zu weit gegangen sind
und ob es nicht auch an der Zeit ist, sich in unserer Gesellschaft wieder stärker auf Werte zu besinnen, die im Zusammenleben mit Menschen eine wichtige moralische Funktion haben.
Der Weltkongreß gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern im August 1996 in Stockholm, aber auch die Ereignisse in Belgien und in Deutschland haben die Öffentlichkeit auf die Probleme des Mißbrauchs von Kindern, die Probleme der Kinderpornographie, der Kinderprostitution und des Sextourismus gelenkt. Mit der Verabschiedung der Stockholmer Erklärung und des Aktionsplanes gegen kommerzielle Ausbeutung von Kindern ist eine neue Grundlage geschaffen worden, um diese Form der Gewalt international, aber auch national verstärkt zu bekämpfen.
Die dort aufgestellten Forderungen sind in der Bundesrepublik Deutschland bereits teilweise umgesetzt. So hat die Bundesregierung in den letzten Jahren gezielte Maßnahmen im Bereich der Prävention, der Strafverfolgung und des Opferschutzes eingeleitet. Das waren wichtige Maßnahmen, aber sie reichen nicht aus.
Im Fall der Kinderprostitution im Ausland stehen die Ermittler vor der schwierigen Aufgabe, überhaupt Kenntnis von entsprechenden Sexualverbrechen zu erlangen. Nur wenige Sexualstraftaten sind dort bislang zur Anzeige gekommen. Nur wenige Täter sind von den Strafverfolgungsbehörden der Zielländer festgenommen worden. Dies zeigt, wie dringend hier der Handlungsbedarf ist.
Auf welche Weise dem Problem beizukommen ist, kann dahingestellt bleiben. Ob die Lösung in Rechtshilfeabkommen, im Rahmen von völkerrechtlichen Vertragswerken, in Verbindungsbeamten oder aber im formlosen Rechtshilfeverkehr zu sehen ist, mögen die Rechtspolitiker entscheiden.
Die Bundesregierung fordere ich auf, die noch nicht verwirklichten Forderungen des Aktionsplans des Weltkongresses von Stockholm umzusetzen. Dazu gehören folgende Punkte:
Es muß, wie bereits angesprochen, verstärkt mit den Zielländern zusammengearbeitet werden.
Auch ist es notwendig, bei schwerwiegenden Fällen des sexuellen Mißbrauchs eine Strafverschärfung im Strafgesetzbuch festzuschreiben.
Kindliche Opfer müssen als Zeugen wirksamer geschützt werden. Das große Leid, das den Kindern zugefügt wurde, darf nicht noch durch Aussagen im Gerichtssaal in Anwesenheit von Tätern verstärkt werden.
Ich nenne Multimedia. Im Rahmen der Gesetzgebung muß alles getan werden, um Kinder- und Jugendschutz zu gewährleisten. Die zunehmend genutzten neuen Kommunikationssysteme und Datennetze wie zum Beispiel das Internet dürfen nicht Spielwiese von Sexualverbrechern sein.
Die gegenwärtige Praxis von vorzeitigen Haftentlassungen sowie die Bewährungszeiten im Strafvollzug bei Straftätern, die wegen sexueller Gewalt gegen Kinder verurteilt wurden, sind zu überprüfen. Wir können und dürfen nicht allein davon ausgehen, wie sich ein Täter in der Strafanstalt verhält. Tatsache ist doch, daß die verfehlte Triebanlage im Strafvollzug meist ausgeschaltet ist. Der Täter fühlt sich keinen Reizen wie im Alltag außerhalb der Strafanstalt ausgesetzt. Er ist fügsam und reuig. Unter diesen Umständen erlangt der Täter eine günstige Sozialprognose. Im täglichen Leben außerhalb der Haftanstalt kann sich das Verhalten ganz anders darstellen. Wir brauchen deshalb ein besseres Verfahren der Kontrolle.
Triebtäter sind meist Wiederholungstäter. Ich begrüße daher die Aussage unseres Justizministers, vor einer Haftentlassung externe Gutachten einholen zu wollen. Dabei möchte ich deutlich machen: Nicht je-
Erika Reinhardt
der Täter ist Triebtäter; das wäre eine fatale Schlußfolgerung.
Meine Damen und Herren, daß sexuelle Gewalt gegen Kinder sich nicht nur irgendwo in der Welt, sondern auch vor unserer Haustür abspielt, wurde uns durch die schrecklichen Ereignisse der letzten Woche wieder bewußt. Jedes Verbrechen ist furchtbar und muß bestraft werden. Aber die sexuelle Gewalt gegen kleine, hilflose Kinder ist wohl das abscheulichste Verhalten, das es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt.
Die Verschärfung des Strafrechtes allein reicht nicht aus. Vielmehr muß das Problem stärker in das öffentliche Bewußtsein gerückt werden. Dazu ist nicht nur die Politik, sondern in erster Linie unsere Gesellschaft aufgerufen. Im Selbstverständnis zu Werten und zu Moral sind sie in die Verantwortung zu nehmen.
Wir brauchen Beratung, und wir brauchen stärkere Unterstützung in der Gesellschaft überhaupt. Die Öffentlichkeit muß darauf hinwirken, daß Erwachsene ihre Verantwortung, Kinder zu schützen, verstärkt wahrnehmen. Die Mißbrauchsproblematik darf nicht verharmlost werden. Nur so kann ein wertvoller Beitrag dazu geleistet werden, Kinder, das Wertvollste in unserem Leben, vor Mißbrauch zu bewahren.
Es spricht als nächste die Kollegin Rita Grießhaber.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kein Thema war in der öffentlichen Debatte so vielen Wechselbädern ausgesetzt wie das der sexuellen Gewalt gegen Kinder. Das Thema war lange ein Tabu, das die Frauenbewegung gebrochen hat. Sie erinnern sich vielleicht: Noch vor wenigen Monaten stand der angebliche Mißbrauch mit dem Mißbrauch im Vordergrund. Sexuell mißbrauchten Kindern wurde oft kein Glauben geschenkt; wenn keine offensichtlichen Beweise oder Geständnisse vorlagen, wurde das Problem zur Erfindung stilisiert.
Das lag auch daran, daß der Justizapparat mit der kindgerechten Vernehmung ziemlich überfordert war und noch ist. Dem muß so schnell wie möglich abgeholfen werden.
Sexueller Mißbrauch - begangen in anderen Ländern - wird beschönigend „Sextourismus" genannt. Das klingt nach Abwechslung und Abenteuer, verdrängt aber das Elend.
So viele Kinder in dieser Welt müssen sich prostituieren, um zu überleben, so viele Freier kaufen sich Kinderkörper und nutzen die Not nach Kolonialherrenart aus. Wenn es nur weit genug weg geschieht, zucken viele mit den Schultern: So ist halt das Elend der Welt!
Der Kongreß in Stockholm hat uns Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt: Justizbehörden, Reiseveranstalter, Nichtregierungsorganisationen, alle gesellschaftlichen Gruppen müssen verstärkt zusammenwirken.
Ganz anders fallen dagegen die Reaktionen auf die erschreckenden Taten der letzten Zeit hier und in Belgien aus. Sie haben die Angst in uns mobilisiert. Wer Kinder hat, fragt sich: Wie kann ich sie schützen? Was kann die Gesellschaft angesichts dieser unfaßbaren Grausamkeiten tun? - Es fällt ungeheuer schwer zu akzeptieren, daß Vergeltung im Rechtsstaat keinen Platz haben darf.
Der fremde Täter, der in das Lebensglück einer Familie einbricht, wird in seiner Bedrohung wahrgenommen. Jeder macht sich ein Bild von der Verzweiflung und der Todesangst. Unsere Kinder haben ein Recht darauf, daß wir die Mittel, die uns durch die Gesellschaft und das Strafrecht zur Verfügung stehen, so sorgfältig wie möglich nutzen, um sie vor diesen Tätern zu schützen. Der Kollege Beck und viele andere sind darauf bereits eingegangen.
Hilfreich scheint mir in diesem Zusammenhang auch ein Blick in die Niederlande zu sein. Dort werden Gewalt- und Sexualtäter eingehend analysiert und je nach Problemlage behandelt. Das kostet zwar Geld und Geduld, aber der Erfolg kann sich sehen lassen. Die Rückfallquote ist nur halb so hoch wie in der Bundesrepublik.
Wir müssen den Blick aber auch auf die Täter im sozialen Nahbereich richten. Das ist eine Bedrohung ganz anderer Art; denn in diesem Zusammenhang geht es darum, daß viele Kinder in ihrer eigenen Familie, in ihrem sozialen Umfeld nicht vor sexuellen Übergriffen sicher sind. Familie bietet einerseits Schutz und Geborgenheit, kann aber andererseits ein Ort von Gewalt und Verrat sein. Das wiegt beim sexuellen Mißbrauch besonders schwer, weil Kinder auf das Vertrauen angewiesen sind und das Ausgeliefertsein so groß ist.
Wir müssen uns als Gesellschaft die Frage stellen: Wie gehen wir mit unseren Kindern um, und was sind sie uns wirklich wert?
Nicht nur in den armen Ländern zerbrechen soziale Strukturen. Auch unsere Gesellschaft setzt ihre Mitglieder vielerlei Brüchen aus. Sie lebt von Konkurrenz und kommerzialisierten Beziehungen. Kinderpornographie, Kinderprostitution, Kinderhandel - das ist ein weltweites, widerwärtiges Geschäft mit Milliardenumsätzen, mit Produzenten, Konsumenten und Kindern als Ware. Man kann richtig zusehen, wie die Hemmschwellen der Werbewirtschaft sinken. Ein Ende ist nicht absehbar.
Rita Grießhaber
Während die kommerzielle Bedeutung der Kinder wächst, marginalisieren wir sie gesellschaftlich. Wir haben immer weniger Raum, Zeit und Zuwendung für Kinder übrig. Und während ein Teil der Kinder materiell verwöhnt wird, rutschen immer mehr in Armut ab.
Die Erklärung von Stockholm bietet einen Rahmen, den wir so schnell wie möglich ausfüllen müssen.
Mehr noch: Auch die Bedingungen bei uns müssen verbessert werden. Aber die öffentlichen Haushalte werden vom Rotstift regiert. Statt Prävention voranzutreiben, fallen Hilfen für Kinder den Streichkonzerten zum Opfer. Die Kinder aber brauchen Schutz und Hilfe. Das müssen sie uns wert sein.
Vielen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention zu dem Beitrag von Bundesminister Schmidt-Jortzig erhält der Kollege Eylmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Strafvollzug, zu den Schwierigkeiten und auch zu den Fehlentwicklungen bei den bedingten Entlassungen ist von Herrn Beck bis hin zum Justizminister vieles Richtige gesagt worden. Ich habe mir aber überlegt - deshalb mache ich die Kurzintervention -, was wohl jemand, der vor Ort im Strafvollzug tätig ist, zu dieser Debatte sagen würde. Er würde sagen: Ihr habt gut reden.
Meine Damen und Herren, die Verhältnisse in unseren Strafvollzugsanstalten sind zum Teil fürchterlich. Unsere Strafvollzugsanstalten sind überbelegt. Das Personal steht dort - aus den verschiedensten Gründen, die ich hier nicht ausführen darf - unter einem schrecklichen Streß. Die Therapie, die notwendig ist, wird häufig nicht angeboten. Wir rufen nach Experten. Diese Experten sind in zu geringer Zahl innerhalb wie außerhalb der Anstalten vorhanden. Hier liegen die entscheidenden Fehlentwicklungen und Versäumnisse.
Es geht nicht in erster Linie um Gesetzesänderungen. Es geht auch nicht um Verschärfungen, obwohl wir die Strafrahmen harmonisieren müssen; das haben wir uns ja vorgenommen. Jeder Fachmann sagt uns aber, daß es für die Wiederholungsgefahr keinen wesentlichen Unterschied macht, ob ich jemanden vier oder sechs Jahre einsperre. Entscheidend ist die Einwirkung auf den einsitzenden Täter in dieser Zeit.
Wenn wir aus dieser Debatte vielleicht die Entschlossenheit mitnehmen, den Ländern - nicht den armen Justizministern, die von den Finanzministern und den Kabinetten getrieben werden, sondern den Landeskabinetten und den Landtagen - zu sagen, daß sie um der Sicherheit der Bevölkerung willen die
Strafvollzugsanstalten besser ausstatten müssen, dann wäre das schon ein Gewinn.
Als letzte Rednerin in dieser Debatte die Ministerin Claudia Nolte.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mir fällt diese Rede sehr schwer; denn die Geschehnisse der letzten Woche machen tief betroffen.
Es gehört zu den traurigen Wahrheiten, daß Kinder weltweit - auch hier in Deutschland - der Gefahr des sexuellen Mißbrauchs ausgesetzt sind. Der Tod der kleinen Natalie Astner macht uns auf grausame Weise klar, daß wir beim Thema „Sexueller Mißbrauch von Kindern" nicht erst ins Ausland schauen müssen.
Natalies Tod ist ein bestürzender und trauriger Anlaß, angesichts dessen es natürlich sehr schwerfällt, ohne jede Emotion notwendige Konsequenzen zu diskutieren. Ich kann den Zorn der Eltern ebenso wie den Zorn, den es in der Bevölkerung gibt, sehr gut verstehen. Wir alle stehen in der Verpflichtung, jede Möglichkeit zu prüfen, um solche Verbrechen zu verhindern. Dazu haben die heutigen Debattenbeiträge einen wichtigen Beitrag geliefert.
Der Stockholmer Weltkongreß gegen kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern hat uns hier in Deutschland, aber auch die ganze Welt wachgerüttelt. Er hat deutlich gezeigt, wie sehr Kinder durch sexuellen Mißbrauch gefährdet sind und welcher körperlichen und seelischen Zerstörung sie ausgesetzt sind. Die Konferenz hat auch gezeigt, daß wir im Bereich der Prävention, im Bereich der Kooperation von Polizei und Justiz, in der internationalen Zusammenarbeit und im Bereich des Opferschutzes noch Handlungsbedarf haben.
Für mich bedeutet dies im Bereich der Prävention konkret, daß wir hier in Deutschland mit unseren Aufklärungsbemühungen fortfahren. Prävention bedeutet auch, daß verurteilte Sexualstraftäter nach ihrer Haftentlassung in Kinder- und Jugendeinrichtungen nichts zu suchen haben. Bei Personaleinstellungen ist deshalb ein Blick in das polizeiliche Führungszeugnis erforderlich. Jugendamtsmitarbeiter müssen für die Erkennung sexuellen Mißbrauchs sensibilisiert und qualifiziert werden; sie brauchen ein gutes Supervisionskonzept.
Ich werde deshalb diese Themen auf der nächsten Sitzung der Jugendministerkonferenz diskutieren. Zudem plane ich eine Fachtagung zur Frage der Qualifizierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Jugendämter und Erziehungsberatungsstellen.
Im rechtlichen Bereich heißt Handlungsbedarf für mich unter anderem die Schaffung einer zeitgemäßen Multimedia-Gesetzgebung, die auch den Ju-
Bundesministerin Claudia Nolte
gendschutz -im Bereich des Internet und der sonstigen On-line-Dienste sicherstellt; denn jugendgefährdende Angebote haben im Internet nichts zu suchen.
Mein Ministerium wird die Indizierung von sogenannten FKK-Heften anstreben, damit diese Schundhefte von den Kiosken verschwinden.
Weiter 'ist dringend eine effektivere Strafverfolgung von Kindersextouristen geboten. Dazu bedarf es einer intensiveren Zusammenarbeit mit den Behörden in den Zielländern. Ich finde das, was hier angesprochen worden ist, vollkommen richtig. Wir müssen verbindliche Absprachen mit allen in Betracht kommenden Ländern treffen. Auch die Intensivierung des Einsatzes von BKA-Verbindungsbeamten in den Zielländern des Kindersextourismus muß erörtert werden.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Niehuis?
Ja, bitte.
Frau Ministerin, Sie haben den notwendigen Kinder- und Jugendschutz im Internet angesprochen. Der Justizminister hat den Rechtsausschuß gelobt, daß dieser am 9. Oktober eine Anhörung zu dem heute behandelten Thema machen will. Deshalb möchte ich Sie fragen: Loben Sie als Ministerin auch den Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der am 9. Oktober eine Anhörung zum Kinder- und Jugendschutz sowie Multimedia machen will?
Ich begrüße das ausdrücklich und hoffe, daß es eine sehr fruchtbare Anhörung sein wird.
Für einen besseren Opferschutz brauchen wir eine gesetzliche Neuregelung zum Schutz kindlicher Opferzeugen mit dem Ziel, alle Möglichkeiten einer zeugenschonenden Sachverhaltsermittlung zum Beispiel durch den Einsatz der Videotechnik - auch das ist angesprochen worden - auszuschöpfen.
Das sind nur einige wenige konkrete Schritte, die jetzt mit allen beteiligten Ressorts erörtert und abgestimmt werden. Darüber hinaus werde ich noch in diesem Jahr die Gespräche mit den NGOs fortsetzen, die wir in Stockholm aufgenommen haben.
Frau Ministerin, da ist noch eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss.
Bitte schön.
Frau Kollegin, wir sind uns in der Beurteilung der Situation sicher einig. Ich möchte
Sie aber fragen, wie Sie in einem internationalen Computernetz wie dem Internet durch nationale und auch durch internationale Regelungen sicherstellen wollen, daß das, was wir gemeinsam verurteilen, nicht erfolgt.
Ich möchte Sie auch fragen, ob Sie demnächst bereit sind, mir Belege über die flächendeckende Verseuchung des Internet vorzulegen, die ich von Ihnen schriftlich erbeten habe, und ob Sie nicht der Auffassung sind, daß solche Formulierungen möglicherweise geeignet sind, von anderen Sachverhalten, die dramatischer sind als diese Form, abzulenken.
Wie wollen Sie dieses im internationalen Bereich durchsetzen? Denken Sie, daß nationale Gesetze ausreichend sind?
Ich glaube, die Frage erübrigt sich. Es geht mir in der Tat nicht darum, von irgend etwas abzulenken. Aber es ist genauso notwendig, auf neue Entwicklungen hinzuweisen. Internet ist eine neue Entwicklung. Es wird für jugendgefährdende Inhalte genutzt - sowohl im Bereich der Kinderpornographie, überhaupt der Pornographie, der Gewalt als auch für rechtsextremistisches Gedankengut. Deswegen ist es notwendig, Jugendschutz vor dem Hintergrund des Internet zu diskutieren.
Ich bin mit nationalen und internationalen gesetzlichen Maßnahmen vollkommen d'accord. Ich denke, daß wir mit den Gesetzen hinsichtlich der jugendgefährdenden Schriften einen ersten wichtigen Schritt für die rechtliche Verfolgung in Deutschland machen. Es muß klar sein: Inhalte des Internet fallen unter die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. Das ist das eine.Das zweite ist: Wir müssen durch Diskussionen sicherstellen, daß Anbieter verstärkt mit in die Verantwortung gezogen werden, daß über freiwillige Selbstkontrolle gegangen wird.Ein dritter Punkt. Wir sind dabei, sowohl mein Kollege Herr Rüttgers als auch ich, mit anderen Ländern darüber zu sprechen, wie wir auch international zu Mindeststandards im Jugendschutz kommen können. Ich habe die Stockholmer Konferenz unter anderem auch dafür genutzt, zum Beispiel mit amerikanischen Delegationen genau zu diesem Thema Gespräche zu führen. Ich war überrascht, weil ich es so nicht erwartet hatte, daß auch die Regierung in Amerika sehr intensiv daran arbeitet, zu prüfen: Wie kann man solche internationalen Netze vor Mißbrauch, vor Verwendung für Kinderpornographie und andere Dingen schützen? Das heißt, daß dort die Bereitschaft vorhanden ist, Maßnahmen zu ergreifen.Ich denke, die Anbieter mit in die Selbstverpflichtung hereinzunehmen, klarzustellen, daß es sich um einen Straftatbestand handelt, der auch international geahndet wird, das sind wichtige Beiträge und wichtige Schritte, um auch im Internet einen rechtsfreien Raum zu vermeiden. Das muß klargestellt werden. Es
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 125. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1996 11303
Bundesministerin Claudia Noltegilt für diesen Bereich wie für alle Bereiche, daß sie einen hundertprozentigen Schutz nicht bekommen werden; das ist klar. Das ist klar.
Zusatzfrage.
Würden Sie mir zustimmen, daß es auch im Internet einen rechtsfreien Raum nicht gibt? Ich möchte Sie weiter fragen: Welche Maßnahmen wurden ergriffen, um beispielsweise den jüngst aufgedeckten Fall von Kinderpornographie in Dortmund, die von einem südamerikanischen Server verbreitet worden ist, einer Strafverfolgung zuzuführen? Denken Sie nicht, daß das die Probleme sind und daß wir uns diesen Problemen zuwenden sollten?
Ich denke, das habe ich mit beantwortet. Wichtig ist eben, daß man vereinbart, daß Nutzer des Internets verfolgt werden können, daß man auf sie zurückgreifen kann. Ebenfalls wichtig ist - das gilt auch für das Thema Sextourismus -, daß durch internationale Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden auch dafür Sorge getragen wird, daß in dem jeweiligen Land eine Verfolgung stattfindet.
Wie auch in der Diskussion eben schon angesprochen wurde: Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht bei den Maßnahmen, die wir treffen, so hart das klingen mag. Deshalb bleiben wir selber aufgefordert, daß wir uns mit unserem Handeln schützend vor die Kinder stellen, wir als Politiker genauso wie diejenigen, die mit Kindern zu tun haben, bis hin zu Verwandten, Freunden, Nachbarn. Es ist unsere Aufgabe, Kinder stark zu machen, sie selbstbewußt zu machen. Es muß klargestellt werden: Kinder haben eigene Rechte, und sie haben einen Anspruch auf Hilfe. Wir sind in der Pflicht, diesen Anspruch einzulösen.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/5139 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags des Abgeordneten Manfred Such und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mehr Effektivität und demokratische Transparenz bei der Gewinnung und Analyse
außenpolitischer Erkenntnisse durch Auflösung des Bundesnachrichtendienstes
- Drucksache 13/4374 —Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß Auswärtiger Ausschuß
Rechtsausschuß
Verteidigungsausschuß
Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Ich eröffne die Aussprache. Als erstes spricht der Kollege Manfred Such.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debatte zur Korruption, die wir heute morgen geführt haben, zeichnete sich durch große Sachlichkeit aus. Sie war geprägt von weitgehender Übereinstimmung zu vielen Problemen. Ich denke, daß uns das auch bei dieser Debatte gelingen sollte.
Bündnis 90/Die Grünen haben beantragt, den Bundesnachrichtendienst schrittweise aufzulösen. Diese Initiative hat sehr viele engagierte Reaktionen ausgelöst. Neben vielen zustimmenden Kommentaren ist uns und vor allem auch mir persönlich vielfach vorgehalten worden, ein solcher Vorstoß sei realitätsfern und könne nur aus ideologischer Verblendung geboren sein und seine Verwirklichung habe Sicherheitsrisiken zur Folge.
Genau das Gegenteil ist der Fall. Unser Antrag zielt gerade darauf, die durch den Bundesnachrichtendienst bewirkten Sicherheitsdefizite und politischen Risiken auszuschließen sowie die Gewinnung und Analyse außenpolitischer Erkenntnisse effektiver und dabei demokratisch transparenter zu gestalten. Auch die Einwände, die besagen, es handle sich um Ideologie, sind unzutreffend.
Erstens. Weder ich noch meine Fraktionskolleginnen und -kollegen gehören zu denjenigen, die den Bundesnachrichtendienst oder gar dessen Mitarbeiter von vornherein für reines Teufelszeug halten. Um das hier einmal ganz deutlich zu sagen: Ich empfinde im Gegenteil große Hochachtung und Sympathie für den Mann an der Spitze dieses Dienstes, den neuen Präsidenten, Herrn Dr. Geiger.
Ich muß in diesem Zusammenhang auch den ehemaligen Präsidenten, Herrn Porzner, nennen, den ich in der kurzen Zeit, in der ich ihn noch erleben konnte, schätzen gelernt habe. Ich weiß auch um die Probleme, die Herr Porzner hatte. Ich habe ihn oft an diesem Dienst leiden sehen.
Zurück zu Herrn Geiger. Ich möchte gerade Herrn Geiger wünschen, daß er nicht länger ein „Himmelfahrtskommando" weiterführen muß, wie die „FAZ"
Manfred Such
berichtet hat. Ich kann mir gut vorstellen, daß er auch andere Positionen hervorragend ausfüllen könnte, wie er das mit seiner Arbeit in der sogenannten Gauck-Behörde und in seiner kurzen Zeit als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz bewiesen hat. Dies gilt nicht nur für Herrn Geiger, das gilt auch für eine große Zahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beim Bundesnachrichtendienst, deren Umsetzung in eine andere Funktion wir vorschlagen.
Zweitens ist unser Antrag auch - manche sagen sogar, als einzige Position unter den hiesigen Fraktionen - realitätstüchtig. Er zieht aus den real bestehenden Mängeln bei der Nachrichtengewinnung sowie aus den strukturellen Problemen beim BND Konsequenzen, statt bei der verbreiteten Haltung nach alten Verwaltungsregeln zu verharren: Haben wir immer so gemacht, machen wir weiter so, machen alle anderen auch.
Abgesehen davon, daß das nicht stimmt und manche Staaten durchaus ohne Auslandsdienst auskommen: Eine solche passive oder gar resignative, rückwärtsgerichtete Haltung widerspräche grundsätzlich dem Politikverständnis von Bündnis 90/Die Grünen. Als erste Fraktion in diesem Hause haben wir konkrete Alternativen zur Institution Bundesnachrichtendienst präsentiert und praktische Reformschritte vorgeschlagen.
Das ist zugleich eine Vorarbeit für den ersten 1. Untersuchungsausschuß, den sogenannten Plutonium-Untersuchungsausschuß, den dieses Haus bekanntlich nicht nur mit der Klärung der Plutoniumaffäre beauftragt hat, sondern auch damit, Vorschläge für die Konsequenzen beim Bundesnachrichtendienst zu machen. Diese liegen hiermit schon auf dem Tisch.
Solche Konsequenzen auch grundsätzlicher Art erscheinen uns heute erforderlich, statt in unangebrachter Nibelungentreue sowie ideologisch motivierter Zögerlichkeit an der überkommenen Pullacher Institution festzuhalten. Gründe für tiefgreifende Veränderungen hat der Dienst in der Vergangenheit und auch aktuell genug geliefert: eine lange Reihe von Pleiten, Pech und Pannen.
In unserem Antrag haben wir viele Beispiele dafür genannt: mangelnde außenpolitisiche Erkenntnis- und Analysefähigkeit, eigene Durchsetzung durch gegnerische Dienste, Verwicklung in fragwürdige Waffengeschäfte, verbotene Inlandsoperationen usw. und nicht zuletzt viel bürokratischer Leerlauf bei hohen jährlichen Kosten. Die „FAZ" bezifferte diesen letzten Monat auf über 700 Millionen DM bei knapp 6 200 Personalstellen.
Aus all diesen Gründen plädieren wir dafür, mit der Auflösung des Bundesnachrichtendienstes die von ihm wahrgenommenen Aufgaben, soweit sie weiterhin erforderlich erscheinen, den direkten Bedarfsträgern zu übertragen - politische und militärische Auslandsaufklärung an das Auswärtige Amt bzw. das Verteidigungsministerium - und die Straftatenermittlung bei der Polizei zu konzentrieren. Das wäre eine echte Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten, Kollege Hirsch, wie Sie sie immer fordern.
Wirklichkeitsnahe Vorschläge, die wir in unserem Antrag weiter spezifiziert haben, sind kein Ausdruck von Ideologie, sondern von politischer und ökonomischer Vernunft. Bündnis 90/Die Grünen werben dafür, auf dieser Grundlage gemeinsam und vorurteilsfrei über eine fällige Modernisierung unserer Außen- und Sicherheitspolitik zu beraten.
Zu den Beratungen in den Ausschüssen lade ich Sie recht herzlich ein und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Rolf Olderog.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Such, Sie sind seit anderthalb Jahren Mitglied der PKK. Sie konnten dort die Arbeit der Nachrichtendienste im einzelnen kennenlernen, konnten jede gewünschte Information erhalten, ja sogar, wenn gewünscht, geheime Akten einsehen und BND-Mitarbeiter als Zeugen befragen.
Daß ausgerechnet Sie im Namen Ihrer Fraktion ein solches Elaborat unterzeichnen und der Öffentlichkeit präsentieren, hat mich persönlich - ich sage das offen - bitter enttäuscht. Es hat mich empört. Dieser Antrag und seine Begründung strotzen von Unwahrheiten, groben Verzerrungen und maßlosen Übertreibungen.
Da nutzen die sanften Töne, die Sie heute angeschlagen haben, überhaupt nichts.
Aber der Gipfel ist, daß Sie als Mitglied der PKK mit Ihrem Antrag bezüglich der Auflösung des BND eine moralische Gleichsetzung mit dem verbrecherischen und menschenverachtenden System der DDR- Staatssicherheit vorgenommen haben. Ich empfinde es als geradezu ungeheuerlich,
daß Sie dort ganz deutlich diese Parallele gezogen haben.
- Lesen Sie Seite 3, Ziffer IV Ihres Antrages. Dort ist das nachzulesen. Sie haben dort ausdrücklich als Modell die Auflösung des MfS genannt.
Zum BND verweise ich ausdrücklich auf die Berichte der Parlamentarischen Kontrollkommission für die geheimen Nachrichtendienste, in denen die
Dr. Rolf Olderog
PKK über ihre Arbeit von 1990 bis 1996 berichtet hat. In all diesen Berichten wird den Nachrichtendiensten bestätigt, daß sie sich an Recht und Gesetz orientieren, daß die Nachrichtendienste „ihrem gesetzlichen Auftrag entsprechend" ihre verantwortungsvolle Aufgabe erledigt haben.
Wie verbohrt, Herr Such, müssen Sie sein, daß allein Sie zu einem genau gegenteiligen Eindruck und Votum kommen? Das ist offensichtlich Ihr Vorurteil, das wie Beton ist. Da kann man offensichtlich nichts machen.
Wir haben zu Beginn der Legislaturperiode gehofft, daß wir mit der Wahl eines Grünen in die PKK zu mehr Sachlichkeit und mehr Fairneß gegenüber den Nachrichtendiensten kommen würden. Es ist nichts geschehen. Ihr Kollege Rezzo Schlauch arbeitet in der G-10-Kommission sehr vernünftig und sachbezogen mit. Aber Sie haben unsere Erwartungen enttäuscht. Ich verzichte heute darauf, was eigentlich angesprochen werden müßte, auch über bestimmte Indiskretionen, über die wir leider klagen müssen und mit denen Sie zu tun haben könnten, zu reden.
Ich fordere Sie auf, Herr Such: Prüfen Sie ernsthaft, ob Sie dem Konflikt gewachsen sind, einerseits mit einem, wie ich empfinde, brennenden Fanatismus draußen und im Bundestag für die Abschaffung, die Auflösung des BND zu kämpfen und zugleich als Mitglied der PKK der Verpflichtung zu entsprechen, ein fairer, redlicher und unvoreingenommener Kontrolleur der Dienste zu sein. Das hülfe nicht nur uns bei der Arbeit in der PKK, sondern es würde auch Ihre persönliche Glaubwürdigkeit erhöhen.
- Es geht auch um den, der den Antrag gestellt hat, verehrter Kollege.
Ich bin seit etwa zehn Jahren Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission. Natürlich hat es bei den Diensten Pannen, Fehler und menschliche Schwächen gegeben. Das ist völlig klar. Aber ich sage aus Überzeugung: Das bei der Presse und in Teilen der Öffentlichkeit vorhandene maßlos negative und kritisch überzeichnete Bild von den Diensten ist absolut ungerechtfertigt. Das Zerrbild, das manche bewußt von den Diensten vermitteln wollen, hat mit der Wirklichkeit kaum etwas zu tun.
Ich habe in der PKK feststellen können, daß unsere Dienste insgesamt strikt bemüht sind, sich an Recht und Gesetz und an ihren Auftrag zu halten.
Ich kann mich nicht erinnern, daß BND, BfV und MAD auch nur in einem einzigen Fall das Recht gebrochen, also bewußt ein Gesetz verletzt hätten.
Wie verzerrend, halbwahr und wie unwahr die als Tatsachen präsentierten Vorwürfe gegen den BND und die Dienste sind, zeigt beispielhaft die Landmaschinen-Affäre. Das ist die „große Affäre", die „Mutter der nachrichtendienstlichen Affären" gewesen. Ungeheuerliches sollte in Deutschland geschehen sein. Es brodelte im Medienwald. Wildgewordene BND-Leute sollten sozusagen auf eigene Faust Waffen und Panzer verschoben haben und dabei erwischt worden sein. Viele Tage lang war die Presse voll von abenteuerlichen Behauptungen und Rücktrittsforderungen an führende Politiker. Der redliche Stavenhagen ist tot; er ist damals daran kaputtgegangen.
Gott sei Dank hat ein unabhängiges Gericht, das Landgericht in Hamburg, die Sache überprüft. Das Ergebnis: Beide BND-Angeklagten wurden ohne Einschränkung freigesprochen. Der BND hatte einen ordnungsgemäßen Auftrag des Bundesverteidigungsministeriums durchgeführt. Irrtümlich nahmen alle Beteiligten an, daß eine besondere Transportgenehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz nicht erforderlich sei. Das war der Irrtum, das war der einzige Fehler.
Die Medien haben leider über diesen gerichtlichen Freispruch nur knapp berichtet. Er schien ihnen nicht sonderlich wichtig zu sein. Sie, sehr geehrter Herr Such, haben natürlich diese „Affäre" als eine schlimme Geschichte des BND in Ihrem Antrag noch einmal aufgeführt.
Meine Damen und Herren, der BND-Präsident Geiger hat kürzlich für mehr Kreativität, Flexibilität und weniger Bürokratie im BND plädiert. Ich kann das nur nachdrücklich unterstreichen. Aber warum fehlt es daran? Die entscheidende Ursache für die Demotivation der nachrichtendienstlichen Mitarbeiter liegt in dem massiven einseitig negativen Vorurteil, liegt darin, daß sich weite Teile der deutschen Presse und der Öffentlichkeit so gegen den BND und die anderen Dienste richten.
Diese permanente Kritik, diese laufenden massiven ungerechten Vorwürfe, Vorverurteilungen und Diffamierungen müssen unvermeidbar zu einer bedenklichen Zurückhaltung und zu einem Handlungsverzicht der Dienste auch dort führen, wo Recht und Gesetz einwandfrei eine Handlungsermächtigung bieten und die Sachlage eigentlich Initiativen fordert.
Meine Damen und Herren, die Geheimdienstaffären in allen Variationen sind offensichtlich eine lohnende Thematik für die Medien und steigern wohl auch die Auflage. Minimalwissen über irgendeine Geheimdienstaktivität beflügelt offensichtlich in einem ungeahnten Maße die Phantasie bestimmter Journalisten. In maßloser Übertreibung und mit einem Maximum an Phantasie entsteht praktisch aus dem Nichts ein vermeintlicher Skandal.
Dr. Rolf Olderog
Dicke Schlagzeilen verkünden der deutschen Öffentlichkeit wieder einmal das Empörende, das schon wieder bei den Geheimdiensten geschehen sei.
Das läuft dann mit großem Getöse durch die Republik, bis sich nach einiger Zeit herausstellt, meist nach Sitzungen der PKK, daß alles nur ein Medienflop gewesen ist.
Es gibt sicherlich auch Punkte, über die man reden muß. Das tun wir dann ja auch. Aber wieviele Flops gibt es, mit denen die Öffentlichkeit aufgeregt wird? Anschließend können Sie über die Wahrheit und eine Korrektur nur wenig lesen. Jedoch: Schon kurze Zeit später wird die nächste Sau mit gleichem Medienaufwand durch die Republik getrieben, Ausgang wie gehabt.
Ich bitte die Presse eindringlich um mehr Fairness und Redlichkeit gegenüber den Nachrichtendiensten.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU bekennt sich zu den deutschen Nachrichtendiensten. Wer glaubt, heute auf diese Dienste verzichten zu können, täuscht sich. Die heutige Lage der Welt gibt keinen Anlaß, gegenüber offensichtlichen Gefahren sorglos und nachlässig zu sein. Wichtige Informationen können wir nicht nur aus offenen Quellen gewinnen, nachrichtendienstliche Mittel bleiben unverzichtbar.
Weder die USA, Rußland, England, Frankreich noch andere mit Deutschland vergleichbare Staaten sind bereit, auf ihre Auslandsdienste zu verzichten. Wir wollen den BND noch besser machen, auf ihn zu verzichten wäre unverantwortlich.
Ich möchte mich zum Schluß an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BND, des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des MAD wenden. Ihre Arbeit ist, insbesondere beim BND, mit ungewöhnlich großen persönlichen Belastungen verbunden. Sie müssen zum Teil obendrein mit öffentlichen Verdächtigungen leben, die mich als Mitglied der PKK immer wieder empören.
Ich möchte diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sagen, daß sie für unseren demokratischen Staat und für unsere Bürger einen wichtigen, ja einen unverzichtbaren Dienst ausüben. Die CDU/CSU-Fraktion dankt Ihnen ausdrücklich für die Erfüllung dieser Pflichten.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Peter Kemper.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um es gleich vorwegzunehmen: Meine Fraktion hat ebenso wie die Mehrheit in diesem Hause nicht die Absicht, den BND abzuschaffen.
Allerdings sind auch Ergebenheitsadressen, wie Herr Olderog sie gerade formuliert hat, nicht unsere Sache. Das muß ich ganz deutlich sagen.
Der BND in seinem jetzigen Zuschnitt kann nach unserem Dafürhalten seinen Aufgaben, nämlich Gefahren abzuwehren, die uns aus dem Ausland drohen, nicht gerecht werden.
Die Pullacher Behörde hat sich im Laufe der Jahre verselbständigt und ist zu einem aufgeblähten, unübersichtlichen und unkontrollierbaren Apparat geworden. Erschwerend kommt hinzu, daß er seit den dramatischen Veränderungen in Osteuropa auf der Suche nach neuen Aufgaben ist. Das erschwert natürlich die Situation ganz erheblich.
Wie anders ist es zu erklären, daß kaum ein BND- Präsident sich am Ende seiner regulären Amtszeit in den Ruhestand verabschieden konnte? Wir wünschen dem neuen BND-Präsidenten, Herrn Geiger, viel Glück. Ich denke, er hat eine reelle Chance, seinen regulären Ruhestand zu erreichen, wenn die Bundesregierung unseren Forderungen nach einer schonungslosen Analyse und den sich daraus ergebenen Konsequenzen zur Straffung und zur Effizienzsteigerung des BND nachkommt.
Die Pannen und Skandale, Herr Olderog, in die der BND mehr oder weniger nahe verwickelt war, will ich nur in einigen Punkten stichwortartig auflisten: Verwicklung in den Technologietransfer an die Giftgasfabrik in Rabta, Plutoniumschmuggel von Moskau nach München, erst kürzlich erneute Lieferung von Schlüsseltechnologien für Gaddafis Chemiewaffenprogramm,
Teilnahme eines BND-Mitarbeiters in den Reihen des EU-Beobachters in Bosnien sowie die Teilnahme eines als Kanzleramtsmitarbeiter getarnten BND-Mannes auch an den nichtöffentlichen Sitzungen des Plutoniumausschusses. Überall haben sie mitgemischt, in vielen Fällen sind sie aufgefallen.
Bei all diesen Aktivitäten gehen die Agenten zuweilen höchst dilettantisch vor; das muß ich einfach einmal sagen. Geheimnistuerei mit albernen Tarnnamen, mit denen sich selbst alte BNDler untereinander ansprechen, Trenchcoat mit hochgeschlagenem Kragen, mit rotem Schal garniert, konspirativ die „Wirtschaftswoche" in der Hand - wie beim Besuch des Plutoniumausschusses in Pullach -, halten das Agentenbild à la Humphrey Bogart hoch.
Und wofür dieses ganze Getue? 80 Prozent der Kenntnisgewinnung bestehen nach Aussagen von BND-Mitarbeitern in der Auswertung dessen, was in Rundfunk, Fernsehen und Presse ohnehin öffentlich dargetan wird. Diese Informationen werden dann zu einem Paket verarbeitet und als geheimes Dossier
Hans-Peter Kemper
dem jeweiligen Regierungschef angeboten. Da mag es niemanden verwundern, daß unabhängig von der Parteizugehörigkeit sowohl Altbundeskanzler Helmut Schmidt als auch sein Nachfolger Helmut Kohl nur ein sehr begrenztes Vertrauen in die Fähigkeiten des BND hatten und immer noch haben.
Was die Aufklärungsarbeit des BND in der Vergangenheit angeht, so will ich nur einige Beispiele nennen, mit denen ich selbst etwas zu tun hatte. Als in den 70er Jahren die RAF-Terroristen ihre größten Aktivitäten entfalteten, hatte ich eine leitende Funktion bei der Polizei. Dank der „hervorragenden" Aufklärungs- und Ermittlungsarbeit nicht zuletzt des BND habe ich zu einer Zeit mit meinen Leuten an Straßenkreuzungen gestanden und brave Bürger angehalten und daraufhin kontrolliert, ob sie denn wohl Terroristen seien, als die wahren RAF-Terroristen längst in ihren Ruheräumen in der damaligen DDR waren und dort unerkannt ein bürgerliches Leben führten.
Im Zusammenhang mit der Truppenstärke und der Ausrüstung der ehemaligen DDR-Streitkräfte haben wir erst nach der Wiedervereinigung erfahren, daß der BND diese Dinge total überhöht hatte.
Erst in der letzten Zeit wurden wieder Verwicklungen des BND bei der Lieferung von Giftgastechniken nach Libyen bekannt. Hier hatte der BND über lange Jahre enge Kontakte zu einem Mittäter, zu dem Libanesen Balanian. Man hielt ihn für einen V- Mann, und man hielt ihn sich als V-Mann.
Mir kommen im nachhinein allerdings Zweifel, wer nun wessen V-Mann war: Balanian der V-Mann des BND oder der BND V-Mann des Balanian.
Spätestens hier stellt sich die Frage nach der Kontrolle der geheimdienstlichen Ermittlungstätigkeit. Das bisher einzige Gremium, die PKK, hat völlig unzureichende Befugnisse. Die neun Parlamentarier - fünf von der Regierungskoalition, vier von der Opposition - tagen geheim, dürfen über das Gehörte nichts sagen und sind - das führt ihre Arbeit nahezu ad absurdum - auf die Informationen dessen angewiesen, den sie da kontrollieren sollen. Das heißt, die PKK erfährt nur das, was der BND will.
Hinzu kommt, daß dem „Kapuzenausschuß" wegen seiner Bedeutung keine parlamentarischen No-names angehören. Alle PKK-Mitglieder haben in ihren Fraktionen wichtige Funktionen und können wegen zeitlicher Überbelastung ihre Kontrollaufgaben gar nicht optimal wahrnehmen. Ich will das gleich mit einem Appell verbinden: Es sollten nur diejenigen Kollegen die PKK-Mitgliedschaft wahrnehmen, die auch bereit und in der Lage sind, sich entsprechend zu engagieren.
So ist es auch nicht verwunderlich, daß viele dieser tatsächlichen oder vermeintlichen Skandale nicht durch die PKK, sondern durch die Medien aufgedeckt wurden.
Ähnliches gilt für die Arbeit im 1. Untersuchungsausschuß, dem ich angehöre. Wir versuchen dort seit einiger Zeit, den Transfer von Plutonium von Moskau nach München aufzuklären. Ich ärgere mich als Mitglied dieses Ausschusses immer wieder über die Behinderung von Amts wegen, mit der der BND und gelegentlich auch unser Geheimdienstkoordinator versuchen, die Sache bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschleppen. Besonders ärgerlich ist dabei, daß das zu funktionieren scheint. Das Erinnerungsvermögen läßt nach, und mich ärgert, daß das Erinnerungsvermögen und die Verantwortungsbereitschaft mit zunehmendem Dienstgrad erschrekkend abnehmen. Gering besoldete BND-Mitarbeiter mit niedrigem Dienstgrad konnten sich sehr genau erinnern, und je weiter es nach oben geht, desto schlechter wurde es. Das ging sogar bis dahin, daß ein Mitarbeiter in der Besoldungsgruppe A 11 die Verantwortung und der Mitarbeiter in A 13 die Brötchen trug.
Und dann dieses völlig überzogene Fotografierverbot auf den Fluren! Das untergräbt doch die Glaubwürdigkeit des BND. Da wird alles mögliche geheimgehalten, und die Rafas und Robertos konnten wir doch längst mit Konterfei und Klarnamen in den Medien bewundern.
Welche Schlußfolgerungen sollten wir aus alledem ziehen? - Die Sachverständigenanhörung auf Initiative der SPD-Fraktion hat bestätigt: Einen BND mit klar umrissenen Aufgaben soll es auch künftig geben. Seine Kontrolle muß allerdings deutlich und zweifelsfrei verbessert werden, auch wenn ein Mitglied der CSU-Landesgruppe sagte - ich zitiere -:
Die Nachrichtendienste verdienen bei der Erfüllung ihrer vielfältigen Aufgaben volles Vertrauen.
Dieses Vertrauen hat ja nicht einmal der Bundeskanzler, und die Redensart „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" trifft hier in besonderem Maße zu.
In einem Punkt sind sich die Experten einig: Nur eine effektive Kontrolle bietet die Chance für einen Neuanfang. Der PKK müßte ein unabhängiger, nicht auf Parteienproporz ausgerichteter Mitarbeiterstab an die Seite gestellt werden, der zwar strengen Geheimhaltungspflichten unterliegt, der aber gleichzeitig ungehinderten Zugang zu den BND-Akten und das Recht auf unmittelbare Befragung erhält; denn die bisherigen Gepflogenheiten haben gezeigt, daß der Dienst und auch sein jeweiliger Geheimdienstchef eher bemüht sind, unrühmliche Dinge zu vertuschen und herunterzuspielen, was auch ganz menschlich ist. Da hat sich im übrigen unser Geheimdienstkoordinator Schmidbauer als Meister seines Fachs erwiesen.
Hans-Peter Kemper
Andererseits müßten die BND-Mitarbeiter die Möglichkeit haben, einzelne PKK-Mitglieder anzusprechen und auch vertrauliche Gespräche mit ihnen zu führen.
Eine erste vertrauensbildende Maßnahme könnte die Offenlegung des tatsächlichen Etats und die Feststellung des tatsächlichen Personalumfangs sein.
Ziel muß es sein, einen Dienst zu schaffen, der straff organisiert ist, mit klaren Weisungs- und Informationssträngen. Das wird unweigerlich mit einer starken Reduzierung des Personalbestandes einhergehen müssen. Ziel muß es weiter sein, einen transparenten Dienst zu schaffen, der effektiv arbeitet und sich auf die Aufklärung von Mißständen und Gefahren beschränkt, die von außen auf uns zukommen, und der sich klar an das Trennungsgebot hält, der sich deutlich von der Polizei unterscheidet, der keine polizeilichen Ermittlungsaufgaben, keine Kriminalitätsbekämpfung im Inland wahrnimmt. Dafür ist er fachlich nicht qualifiziert, und diese Betätigung ist rechtlich nicht zulässig.
Zur Umsetzung unserer Zielvorstellungen wäre durchaus auch die Schaffung eines Geheimdienstbeauftragten denkbar, der in enger Zusammenarbeit mit dem Datenschutzbeauftragten und den Kontrollgremien der Länder tätig werden könnte.
Eines ist sicher: Der BND muß endlich aus den Schlagzeilen verschwinden. Er muß endlich das Waffenschieberimage loswerden. Nur dann wird es dem BND gelingen, in der Bevölkerung, aber auch in der Politik das nötige Vertrauen zu gewinnen, das er für seine Arbeit braucht.
Vielen Dank.
Es spricht jetzt der Kollege Dr. Burkhard Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kemper, um das gleich vorwegzunehmen - vielleicht habe ich Sie falsch verstanden -, die Parlamentarische Kontrollkommission hat das Recht und die Möglichkeit der Akteneinsicht, der Befragung der Mitarbeiter des BND und des direkten Kontaktes mit ihnen.
Ich kann der Versuchung nicht widerstehen, aus einem Buch zu zitieren, das die verehrte Kollegin Vollmer gerade lobend eingeführt hat. Es stammt von Egon Bahr, der zu unserem Thema schreibt:
Das verborgene Netz von internationalen Verbindungen nicht zu nutzen wäre dumm und nicht zu verantworten. Es wird ja auch, außer von einigen Wenigen in Deutschland, nicht verlangt. Denn das wäre genauso, als wenn ein Pianist nur die weißen Tasten benutzen soll. Das reicht für „Hänschen klein". Nur wer auch die schwarzen
Tasten mag und pflegt, kann alle Möglichkeiten des Spiels üben, Mißgriffe und Fehler immer einbegriffen.
Wir beraten hier einen Antrag, Herr Kollege Such, der entweder töricht und weltfremd ist oder in der Erwartung gestellt wird, daß sein Mangel an Ernsthaftigkeit und Erfolgsaussichten nicht verkannt wird. Es wird in geradezu liebevoller Kleinarbeit über die weitere Verwendung von Mitarbeitern, den Verbleib und die weitere Nutzung der Akten des BND und darüber nachgedacht, wer seine offenbar noch weiter bestehenden Aufgaben in Zukunft wahrnehmen soll. Es fällt kein Wort zu der Frage, warum er denn aufgelöst werden soll, wenn seine eigenen Aufgaben gemäß dem Antrag doch offenbar fortbestehen.
Zur Begründung werden alle jemals dargestellten oder behaupteten tatsächlichen oder angeblichen Pannen des Nachrichtendienstes aufgeführt.
Sie sind selbst Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission. Sie scheuen sich aber nicht, dabei auch solche Verdächtigungen zu wiederholen, die durch eine offizielle Erklärung der Parlamentarischen Kontrollkommission als haltlos und völlig unbegründet gekennzeichnet worden sind. Natürlich sind beim Bundesnachrichtendienst auch Fehler gemacht worden. Es kann ja gar nicht anders sein. Natürlich hat er nicht nur Erfolge gehabt. Aber es muß aufhören, daß wir hier aus offenkundig parteipolitischen Gründen immer wieder dieselben Lügengeschichten aufgetischt bekommen. Ich beziehe mich dabei insbesondere auch auf Passagen zur Firma Telemit.
Es ist unerhört und ich lasse mir das nicht mehr lange gefallen - das muß ich Ihnen sagen.
Geradezu erstaunlich ist der Vorschlag, daß Teile der Aufgaben des BND von der Bundeswehr oder vom Auswärtigen Dienst übernommen werden sollen. Wir erleben doch gerade in diesen Tagen Diskussionen darüber, daß ein Mitarbeiter des BND zum Auswärtigen Amt abgeordnet wurde und Aufgaben im Rahmen einer Beobachtergruppe in Bosnien wahrgenommen hat. Man kann doch nicht einen solchen Vorgang kritisieren und im gleichen Atemzug vorschlagen, daß das der künftige Regelfall werden soll.
Auch nach dem Ende des Kalten Krieges leben wir nicht in einer gefahrlosen und spannungsfreien Welt. Es gehört zur äußeren Sicherheit unseres Landes, daß alle dafür erforderlichen Informationen gesammelt und sorgfältig ausgewertet werden. Das kann weder nebenbei geschehen noch dadurch - wie oft vorgeschlagen wird -, daß wir uns Informationen von den Diensten anderer Staaten kaufen und uns damit von ihnen abhängig machen. Darum brauchen wir
Dr. Burkhard Hirsch
einen eigenen, effektiven und möglichst guten Nachrichtendienst. Er muß der veränderten politischen Lage angepaßt und technisch und personell überzeugend ausgestattet sein. Während unserer Arbeit haben wir Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes kennengelernt, vor denen ich alle Achtung habe, auf Grund ihrer Sachkenntnis und ihrer sachlichen Aussagen.
Der neue BND-Präsident Geiger hat Überlegungen angestellt, die wir für gut und eindrucksvoll halten. Wir werden ihn nach Kräften unterstützen. Auch die parlamentarische Kontrolle des Dienstes ist verbesserungsfähig. Der Dienst muß wissen, daß diese Kontrolle in einer Demokratie notwendig ist und zu den Existenzbedingungen dieses Dienstes gehört. Wir arbeiten dazu an Vorschlägen, die wir in Kürze in diesem Haus erörtern wollen. Sie sind in weiten Teilen nahezu deckungsgleich mit dem, was Sie hier vorgeschlagen haben, Herr Kollege Kemper, und zu einem Teil auch schon erfüllt - das muß man hinzufügen. Eine Auflösung des Bundesnachrichtendienstes kommt für uns nicht in Betracht.
Ich muß sagen, ich wundere mich eigentlich, daß unsere Geschäftsführer vorschlagen, diesen Antrag einem Ausschuß zu überweisen. Ich weiß nicht, was man damit machen soll. Wir wären bereit, ihn hier und jetzt abzulehnen. Aber wenn Sie auf Überweisung bestehen, können wir das natürlich auch machen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulla Jelpke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Olderog, man kann sehr viel verharmlosen. Sie haben hier einen Appell an die Presse gerichtet, fairer über Geheimdienste zu berichten.
Ich müßte eigentlich an Sie als PKK-Mitglied - für alle unsere Gäste dort oben: als Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission, damit sie das nicht mit der kurdischen PKK verwechseln - die Frage richten, die auch der Kollege Hirsch inzwischen angesprochen hat: Wo findet hier eigentlich wirklich eine parlamentarische Kontrolle statt?
Wir sind beispielsweise in dieser Kommission nicht drin. Ich kann eine wirkliche Aufklärung seitens dieser Kommission nicht nachvollziehen; Sie dürfen ja auch nicht über das sprechen, was Sie dort erfahren. Es lohnt auch kein ernsthafter Versuch über den Innenausschuß, den Rechtsausschuß oder welchen auch immer.
Nach allem, was über Skandale bekannt geworden ist - es gibt den Plutonium-Untersuchungsausschuß -, ist der BND massiv in diese Dinge verwikkelt, andere Sicherheitsorgane auch. Ich habe leider nicht die Zeit, hier auf einzelne Beispiele einzugehen. Ich wehre mich auch dagegen, daß immer so getan wird - damit meine ich auch den Kollegen Hirsch -, als handele es sich hier um einzelne Betriebsunfälle.
Ich glaube schon, daß die Geheimdienste in diesem Land abgeschafft werden müssen. Da kritisiere ich auch meinen Kollegen Such von links. Im übrigen wundere ich mich sehr über die Kollegen Olderog und Hirsch; denn in der letzten Legislaturperiode haben die Grünen tatsächlich einen viel weitergehenden Antrag eingebracht.
Sie haben die Abschaffung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des BND und des MAD gefordert.
Ich stimme voll mit Herrn Hirsch überein, daß der Antrag zwar „Auflösung des BND " heißt, daß es sich aber faktisch um eine Aufteilung verschiedener Abteilungen auf andere Geheimdienste handelt.
Heute klagen die Grünen Reformen beim MAD und beim Bundesamt für Verfassungsschutz ein. Die militärische Aufklärung wollen sie an das Amt für Nachrichtenwesen der Bundeswehr übertragen. Immerhin ist das ein Punkt, den wir in der vergangenen Legislaturperiode noch gemeinsam gefordert haben: daß eine solche Abteilung aufgelöst gehört.
Mit privaten Sicherheitsdiensten haben die Grünen inzwischen ebenfalls keine Probleme mehr. Auch das ist neu. Die Bespitzelung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird jetzt in dem Antrag der Grünen ganz verschämt als Personalbetreuung bezeichnet. Dies sollen zukünftig ein Geheimdienstableger des Bundesamtes für Informationstechnik sowie private Sicherheits- und Unternehmensberater übernehmen.
Die von den Grünen hier empfohlene Geheimdienstkontrolle nach dem sogenannten Berliner Modell - das sagt selbst ihre Kollegin Renate Kynast in Berlin - ist gescheitert.
Ich habe dem eigentlich nicht viel hinzuzufügen. Vielleicht noch die Bemerkung, daß es ein Gutachten der Grünen von 1990 gibt, nach dem die Grünen aus unserer Sicht richtige Wege beschreiten wollten, und zwar nach einem einheitlichen Konzept für die Auflösung aller Geheimdienste. Ich sage nichts Neues, wenn ich mitteile, daß dies auch die Position der PDS ist, auch aus Aufarbeitungserfahrungen, die wir mit der DDR gemacht haben.
Es ist in diesem Gutachten auch einmal gesagt worden: Geheimdienste machen keine Fehler, sie sind der Fehler. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Als letzter in dieser Aussprache hat der Staatsminister Bernd Schmidbauer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kol-
Staatsminister Bernd Schmidbauer
leginnen und Kollegen! Ich will zuerst etwas zum Kollegen Such und zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sagen. Es ist - dafür bin ich sehr dankbar - bei den Ausführungen von Herrn Kemper deutlich geworden, daß jeder, der sich intensiv mit Nachrichtendiensten beschäftigt und Erfahrungen in diesem Bereich hat, diesen Antrag völlig unverständlich findet.
Am Anfang haben Sie hier die sanfte Tour gefahren. Herr Such, Sie müssen entlarvt werden. Sie sind nicht der, als der Sie sich ausgeben. Sie haben sich heute wieder entlarvt,
indem Sie wörtlich wieder zitiert haben, daß der BND in dubiose Waffengeschäfte verwickelt sei, und gleichzeitig Ergebenheitsadressen an den BND abgeben. Die seitenlange Aufzählung angeblicher BND-Fehlleistungen ist - das muß ich Ihnen sagen - zusammengeschustert. Sie haben das bei einem sogenannten Experten, der in Wirklichkeit keiner ist und der überhaupt nichts von der Arbeit der Nachrichtendienste versteht, abgeschrieben - ich kann Ihnen sogar die Fundstellen nennen -, und zwar aus vordergründigen, verfälschenden und mißverstandenen Schlagzeilen.
Es ist bemerkenswert, was ein anderer Redner ausgeführt hat, nämlich daß die Widerlegung der Vorwürfe durch parlamentarische, gerichtliche und aufsichtsbehördliche Untersuchungen bewußt unterschlagen wird.
Sie addieren Lügenmärchen und nutzen sie zum Angriff. Sie nehmen nicht zur Kenntnis, daß Institutionen dieses Parlaments diese Vorwürfe entkräftet haben. Herr Kollege Hirsch hat darauf hingewiesen.
Ich erwähne nur die aktuellen Vorwürfe, der BND sei in Waffenschiebereien verstrickt. Der BND-Präsident hat das mit Nachdruck zurückgewiesen. Die Nachprüfungen haben ergeben, daß es nicht bestätigt werden kann. Trotzdem verwenden Sie es heute wieder.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich einmal klarstellen: Der BND ist keine Bande von gesetzlosen Gesellen, sondern eine Bundesbehörde, die fest in unserem demokratischen Staat verankert ist. Seine Mitarbeiter leisten - oft unter schwierigen Bedingungen - eine hervorragende Arbeit für unser Land. Sie verdienen unser aller Anerkennung und volles Vertrauen.
Eigentlich empfehle ich Ihnen das, was hier schon gesagt wurde: Überschlafen Sie den Antrag! Machen Sie es uns einfach und bringen Sie etwas anderes ein, damit wir konstruktiv darüber reden können!
Herr Kollege Kemper, ich bin Ihnen sehr dankbar, für das, was Sie gesagt haben: 50 Prozent im Minimum - darin stimme ich mit Ihnen voll überein. Ich bin gern bereit, mit Ihnen in eine ausführliche Diskussion einzutreten. Sie haben recht: Der Nachrichtendienst muß für die Aufgaben im Jahr 2000 schlanker und effizienter werden und ein neues Profil bekommen. Diese Arbeit ist aber bereits seit vielen Jahren in vollem Gange. Sie wissen, wie man mit einer großen Behörde umgehen kann - auch im Hinblick auf Abbausituationen, auch im Hinblick auf Umsetzen und die Notwendigkeit, einen evolutionären Prozeß einzuleiten und parlamentarisch zu begleiten. Ich bin sehr dafür.
Sie sprechen sich für die Kontrolle aus. Ich kann Ihnen bestätigen, daß diejenigen, die kontrollieren, uns das Leben in der Regel nicht einfach machen. Das ist gut so. Die Kollegen - Mitarbeiter mit langjähriger Erfahrung - überprüfen diese Dinge in harter Auseinandersetzung mit uns. Im übrigen habe ich zu Beginn der Legislaturperiode für die Bundesregierung die Erklärung abgegeben, welche zusätzlichen Möglichkeiten die Parlamentarische Kontrollkommission hat. Ich will Ihnen nicht verschweigen - auch, wenn es noch nicht bekannt ist -, daß wir zwei Kontrollgremien haben. Wir haben auch die Vertrauensmänner. Ich muß feststellen, daß die Arbeit in diesem Gremium über alle beteiligten Fraktionen hinweg hervorragend ist.
Schwierigkeiten gibt es manchmal in einem anderen Gremium, weil dort gestört wird oder weil übermäßig Auskunft verlangt wird. Ich erinnere mich an ein Beispiel: Bis tief in die Nacht wurden 70 Fragen gestellt. Bei der zehnten Frage hat der betreffende Kollege das Lokal verlassen. Ihm war es wichtiger, im Fernsehen eine Stellungnahme abzugeben, als auf die Antworten auf seine eigenen Fragen zu warten. Er wußte vorher, was passiert; er wußte vorher, wen er verdächtigen muß und was angeblich alles Schlimmes passiert ist.
Ich bin der Meinung, daß wir über Kontrolle nicht nur nachdenken müssen. Aber: Unser Nachrichtendienst ist der am besten kontrollierte. Daß man daran noch etwas ändern kann, daß man in dieser Hinsicht noch Wünsche haben kann - bitte sehr.
Das Ende des Kalten Krieges hat die Beziehungen zwischen den Staaten verändert, man kann sagen: friedlicher gemacht. Es gibt aber nach wie vor Konflikte und neue Bedrohungen. Es liegt im Interesse unseres Landes - da sind wir hundertprozentig einer Meinung -, daß wir für diese schwierige Arbeit Nachrichtendienste brauchen. Denken Sie an den internationalen Drogenhandel, die internationale Geldwäsche, die Gefahren der Proliferation von Massenvernichtungswaffen und die international organisierte Kriminalität.
Ich könnte Ihnen auf Anhieb die Erfolge eines Nachrichtendienstes in diesem Zusammenhang darlegen. Ihre Kollegen sollten Ihnen allen einmal die Analysen zur Kenntnis geben. Vielleicht ist es wichtiger, über solche Dinge, die eigentlich nicht streng geheimzuhalten sind, einmal in einer breiten parlamentarischen Öffentlichkeit zu reden.
Ich könnte Ihnen auch Beispiele dafür geben, wie der Dienst geholfen hat, Leben zu schützen, wie es
Staatsminister Bernd Schmidbauer
dem BND gelungen ist, Terroristen den Prozeß zu machen, oder wie er mitgeholfen hat, internationale Verbrecher zu entlarven und der Polizei diese Information weiterzugeben. Ich bin wie Sie der Meinung, daß wir ein strenges Trennungsgebot durchhalten müssen. Ich bin aber auch der Meinung, daß die Polizei weiter mit ihren polizeilichen Mitteln und die Nachrichtendienste weiter mit ihren nachrichtendienstlichen Mitteln arbeiten müssen. Dies gewährleistet professionelle Arbeit und ausreichende Kontrolle.
Dazu ist aber nötig, daß koordiniert und kooperiert wird. Sie erinnern sich an den Fall Guillaume, der Anlaß für eine bessere Koordinierung innerhalb der Bundesregierung war. Im übrigen bin ich der Meinung, daß wir die Diskussion so versachlichen sollten, daß die Dienste aus einer solchen Situation etwas Produktives mitbekommen und wir auch in die Lage versetzt werden, über die neue Struktur des Bundesnachrichtendienstes Konsensfähigkeit zwischen den Fraktionen in diesem Plenum zu bekommen.
Im übrigen freue ich mich über die Erklärungen zu unserem neuen Präsidenten. Sie können sicher sein, daß die Bundesregierung den neuen Präsidenten wie den vorhergegangenen Präsidenten voll unterstützt.
Ich empfehle Ihnen, Herr Kemper, einmal die Arbeit des Plutoniumausschusses abzuwarten und nicht von vornherein zu erklären, daß es da Profis im Sinne einer Verzögerung gebe. Das Bundeskanzleramt hat alles getan, Sie voll zu informieren. Zu jedem Zeitpunkt haben Sie von uns nach Aktenlage Informationen erhalten.
- Sie haben mich zu lange genossen. Herrn Such ging es zu lang; er konnte meinem Zweistundenvortrag geistig nicht folgen, und er wollte mich nachts um zehn Uhr schonen. Ich habe verstanden, daß die Zeugenvernehmung allen zu lang war. Ich bin gerne bereit, in den Ausschuß zu gehen. Ich bin sicher, daß wir da in den Dingen, die Sie zu ermitteln suchen, noch ein Stück weiterkommen. Ich bin sehr dankbar. Ich habe immer gesagt, ich warte auf das Ergebnis dieses Ausschusses.
Nur, Herr Kemper, eins können wir schon heute feststellen: Alle üblen Verdächtigungen, die gegen mich oder die Bundesregierung ausgesprochen wurden, sind durch keinen einzigen Zeugen nachgewiesen worden; es gibt nicht einmal ein einziges Indiz.
Im übrigen will ich dazu sagen -
Herr Staatsminister, wir haben der Bedeutung des Gegenstandes --
- im übrigen will ich mich bedanken, Frau
Präsidentin, ich bin damit am Ende, wenn auch nicht am Ende der Diskussion -: Ich habe Sie eingeladen, Herr Kemper, weil ich das als gut empfunden habe, was Sie hier gesagt haben. Ich bin gerne bereit, mit Ihnen darüber zu reden. Auch der Appell an die eigenen Freunde im Ausschuß, sich Zeit zu nehmen und in der Parlamentarischen Kontrollkommission Erfahrungen zu sammeln, hat mich tief beeindruckt.
Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/4374 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie nach wie vor damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dagmar Freitag, Klaus Lohmann , Ingrid Becker-Inglau, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des Doping und zur Umsetzung des Übereinkommens des Europarates gegen Doping
- Drucksache 13/5215 -
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuß Rechtsausschuß
Ausschuß für Gesundheit
Dieser Tagesordnungspunkt soll zu Protokoll gegeben werden. Alle Redebeiträge liegen schriftlich vor.*)
Auch hier wird interfraktionell die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/5215 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS
Änderung des Strafvollzugsgesetzes - Drucksache 13/1443 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe der PDS fünf Minuten erhalten soll. - Dazu höre ich keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt Dr. Ulla Jelpke.
*) Anlage 2
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 1. Januar 1977 trat das Strafvollzugsgesetz in Kraft. Die Einbeziehung von Strafgefangenen in die gesetzliche Renten- und Sozialversicherung hat bis heute nicht stattgefunden. Damals wurde vom Gesetzgeber - nicht vom Bundestag in seiner heutigen Zusammensetzung - beschlossen, daß die Gefangenen in die Renten- und Sozialversicherung einbezogen bzw. tariflich entlohnt werden sollen.
Ebenso wurde die Resozialisierung als herausragendes Ziel des Strafvollzugs bezeichnet. Gefangene sollten befähigt werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Daraus ergibt sich meiner Meinung nach die Pflicht des Gesetzgebers, hier endlich zu handeln.
Obwohl die Bundesrepublik das Übereinkommen Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation über die Abschaffung von Zwangs- und Pflichtarbeit unterschrieben hat, ist sie bis heute nicht willens, ihre Verpflichtungen auch gegenüber Strafgefangenen einzulösen.
Ergebnis: Gefangene, die in der Haft über Jahre oder sogar Jahrzehnte ihrer Arbeitspflicht nachgekommen sind, bekommen keinen Pfennig Rente. Sie sind, wenn sie entlassen werden, Sozialhilfeempfänger. Viele von uns wissen, daß Gefangene hohe Schulden durch Prozeß-, Rechtsanwalts- und Haftkosten usw. haben. Nach den Statistiken hat ein Gefangener in etwa 50 000 DM Schulden, wenn er aus der Haft entlassen wird. Wir sind der Meinung, daß hier auch über eine Entschuldung nachgedacht werden muß.
Wichtiger ist mir aber, festzustellen, daß Bund und Länder immer damit argumentieren, die Haushaltslage erlaube es nicht, den damaligen Beschluß umzusetzen. Es gibt viele Gefangenenorganisationen, die nachgewiesen haben, daß dies eigentlich viel teurer ist. Denn wer sich ein wenig mit dem Strafvollzug beschäftigt hat, weiß, daß Leute, die ohne finanzielle Mittel entlassen werden und keine Arbeit oder Wohnung haben, natürlich schneller rückfällig werden. Die Kosten der Rückfälligkeit und der neuen Strafverfolgung sind bislang weder vom Bund noch von den Ländern errechnet worden. Umgekehrt haben sich aber Gefangene die Mühe gemacht, auszurechnen, daß die Kosten eigentlich umverteilt werden müßten. Dann wäre auch das Geld für eine tarifliche Entlohnung da. Sie hätten dann wenigstens eine Chance, so etwas wie eine Resozialisierung zu erreichen.
Deshalb forderten wir nicht erst in dieser Legislaturperiode, sondern bereits in der vergangenen, daß Gefangene im Gefängnis tariflich entlohnt werden, wenn sie arbeiten. Heute erhält ein Gefangener, der acht Stunden am Tag arbeitet, etwa 7,50 DM pro Tag. Das macht im Monat zwischen 120 und 160 DM aus. Jemand, der nicht arbeitet, bekommt nur ein Taschengeld von 40 DM. Davon bezahlt der Gefangene seinen Tabak, Kaffee und alles das, was er außer den Grundnahrungsmitteln noch braucht. In der Regel bleibt nicht allzu viel übrig.
Wir haben in diesem Zusammenhang immer wieder deutlich gemacht, daß ein Gefangener, der so wenig Geld bekommt, natürlich auch wenig für den Täter-Opfer-Ausgleich tun kann. Das heißt, Wiedergutmachung kann in der Regel gar nicht praktiziert werden. Auch das wäre mit zu überlegen, wenn dieser Antrag von uns in den Ausschüssen beraten wird.
Ich möchte am Schluß noch sagen, daß sich in der letzten Legislaturperiode der Petitionsausschuß auf Grund einer Petition von Gefangenen aus Bayern - die ein Straubinger Manifest erarbeitet haben und darin nachweisen, daß der Staat Kosten sparen könnte, daß die tarifliche Bezahlung bzw. die Renten- und Sozialversicherung dringend notwendig sind - ebenfalls damit beschäftigt hat. Diese Gefangenen haben das als Petition in den Bundestag eingebracht. Der Petitionsausschuß hat in der vergangenen Wahlperiode beschlossen, daß sich die Ausschüsse hiermit beschäftigen mögen. Das ist bis heute nicht geschehen, und es ist inzwischen auch schon wieder einige Jahre her. Ich kann nur hoffen, daß sich die Ausschüsse ernsthaft hiermit auseinandersetzen, damit für die Gefangenen tatsächlich ein Leben in Freiheit möglich ist, und zwar ein Leben, ohne rückfällig zu werden.
Ich danke.
Als nächster spricht unser Kollege Franz Peter Basten.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Jelpke, ich möchte Ihrer Feststellung nachdrücklich widersprechen, daß der Strafvollzug in der Bundesrepublik Deutschland in den von Ihnen aufgeführten Fällen der Verfassung widerspreche oder internationalen Übereinkünften wie beispielsweise der IAO-Übereinkunft Nr. 29. Das ist nicht der Fall. Es ist eine falsche Behauptung. Sie haben sie auch in der schriftlichen Begründung erhoben. Ich muß Ihnen in diesem Punkte nachdrücklich widersprechen. Der Strafvollzug der Bundesrepublik Deutschland ist verfassungskonform und steht im Einklang mit internationalen Abmachungen. Es existiert keine nationale oder internationale Norm, die dem Gefangenen einen Anspruch auf Arbeitsentgelt in Form von Tariflohn einräumt oder seine Gewährung gebietet.
Die gleiche Feststellung gilt für die Aufnahme in die Kranken- und Rentenversicherung.
Ich habe, weil Sie es immer wieder behaupten, diese Vereinbarung Nr. 29 einmal herangezogen, und ich stelle dort fest: Unter II Nr. 2 ist geregelt, daß als Zwangs- oder Pflichtarbeit im Sinne dieses Übereinkommens jedoch nicht gelten - dann werden Fälle aufgezählt -: c) jede Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person auf Grund einer gerichtlichen Verordnung verlangt wird.
Franz Peter Basten
Also die Strafgefangenen fallen gar nicht unter diese Übereinkunft. Deswegen kann auch nicht gegen sie verstoßen werden. Das ist der eine Punkt.
Der andere Punkt, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das Vollzugsziel - darin sind wir uns einig - ist ein Leben ohne Straftaten in Freiheit, und dazu soll der Vollzug einen Beitrag leisten, indem er durch therapeutische Maßnahmen, durch Arbeit, durch Ausbildung und Weiterbildung dem Strafgefangenen in seiner Haftzeit hilft. Darauf könnten wir uns vielleicht verständigen. Das ist ja auch etwas, was heute abend in der Debatte im Zusammenhang mit der Sexualgewalt gegen Kinder zum Ausdruck kam, daß wir die richtigen Akzente setzen, wenn wir zusätzliche Hilfen, auch finanzielle Hilfe, fordern.
Die Länder bauen Personal ab, auch therapeutisches Hilfspersonal. Sie haben nicht genügend Mittel, um im Ausbildungs- und im Weiterbildungsbereich zu helfen. Darüber kann man sicherlich vernünftig reden. Aber wenn wir die Akzente setzen, ist der Tariflohn für in der Strafanstalt beschäftigte Strafgefangene sicherlich nicht das vordringlichste. Das will ich Ihnen bei dieser Gelegenheit noch einmal deutlich zum Ausdruck bringen.
Man kann sicherlich auch über die Frage reden, und da möchte ich gerne differenzieren im Verhältnis zum Tariflohn, ob nicht auf längere Sicht die Einbeziehung in die Rentenversicherung sinnvoll und notwendig ist.
- Nein, der Bundestag hat es einem zukünftigen Gesetz überlassen. Es gibt keine definitive Verpflichtung dazu. Ein zukünftiges Gesetz soll diese Frage regeln, nicht mehr und nicht weniger.
Was die Krankenversicherung angeht, da ist wiederum zu differenzieren, weil ja der Strafgefangene von den Gesundheitsdiensten des Vollzugs in vollem Umfang versorgt wird.
Herr Basten, gestatten Sie eine Zwischenfrage unseres Kollegen Beck?
Bitte schön.
Herr Kollege, Sie haben die Zeitdimension beim Thema Sozialversicherung angesprochen. Können Sie uns vielleicht sagen, wie lange diese Verpflichtung im Gesetz steht und welche Zeit Sie für die Umsetzung solcher gesetzlicher Aufträge für angemessen halten?
Seit 1977 steht das im Gesetz, seitdem es das Strafvollzugsgesetz gibt. Das ist mit keiner Frist verbunden. Ich sage Ihnen aber, daß das Bundesverfassungsgericht noch
Ende der 80er Jahre in dieser Frage entschieden hat, daß das alles noch verfassungskonform ist, auch wenn es noch nicht geregelt ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber bisher keine bestimmte Frist aufgegeben, was es tun könnte, wenn es das für geboten hielte.
- Das ist eine andere Frage. Aber ich will Ihnen, Herr Kollege Beck, dazu noch etwas sagen. Geben Sie mir Gelegenheit; ich will dazu noch meine Ausführungen machen.
Es gibt einen weiteren Punkt, den wir in diesem Zusammenhang berücksichtigen sollten. Wenn dem Strafgefangenen Tariflohn für die in der Strafhaft geleistete Arbeit gezahlt wird, dann führt dies letztlich in der Konsequenz, wie es im Antrag der PDS auch gefordert wird, in den arbeitsrechtlichen Beziehungen und in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht zu einer völligen Gleichstellung mit dem Arbeitnehmer in Freiheit, der von seinem Tariflohn allerdings seinen ganzen Lebensunterhalt bestreiten muß.
Wenn Sie diese Fragen aufwerfen, müssen Sie auch die Fragen der Gegenleistungen, die der Strafvollzug aufwenden muß, um die Behandlung und die Wiedereingliederung des Strafgefangenen möglich zu machen, stellen. Dann sind wir zu einer Gegenrechnung verpflichtet. Was die Landesbehörden durch die Arbeitstätigkeit der Strafgefangenen einnehmen, deckt nur einen Bruchteil dessen ab, was der Strafgefangene durch seine Straftat und die Notwendigkeit, ihn zu resozialisieren, an Kosten auslöst. Dann wäre es billig und gerecht, auch über eine Gegenleistung für den Aufenthalt und für die Behandlung in der Strafanstalt ein Wort zu verlieren.
Es ist nicht richtig, wenn behauptet wird, daß ein Strafgefangener, der entlassen wird, ohne Hilfe auf der Straße stünde. Er wird zunächst einmal durch die Sozialdienste des Vollzugs auf die Freiheit vorbereitet. Das wird gründlich und sorgfältig getan.
Die Sozialarbeiter, die mit den Strafanstalten zusammenarbeiten, versehen einen ganz harten, aber verläßlichen und guten Dienst. Man sollte ihnen bei dieser Gelegenheit einmal dafür danken - das ist ganz selten der Fall - und deutlich machen, was solche Leute gerade unter dem Personaldruck, unter dem die Anstalten stehen, für die Strafgefangenen und ihre Resozialisierung leisten.
Franz Peter Basten
Das ist der eine Punkt.
Der andere Punkt: Es wird eine Überbrückungshilfe geleistet. Wenn jemand nach der Entlassung nicht in Arbeit kommt, hat er Ansprüche an die Arbeitslosenversicherung wie jeder andere auch, weil er auch während der Strafhaft Mitglied in der Arbeitslosenversicherung ist. Es gibt also auch von daher Leistungen. Die Ansprüche nach dem Bundessozialhilfegesetz stehen zur Verfügung.
Wichtig ist aber, daß durch Qualifizierung in der Strafhaft Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß der Entlassene bald wieder in Arbeit kommen kann, weil er etwas kann, weil er beruflich leistungsfähig ist, weil er gut ausgebildet worden ist. Dort sollte der Schwerpunkt der Hilfen liegen.
Ein letzter Punkt: 560 Millionen DM soll das, was hier gefordert wird, die Länder kosten. Ich kenne kein einziges Land, das bereit ist, vor dem Hintergrund seiner finanziellen Situation einen derartigen Schwerpunkt zu setzen. Eine Änderung des Strafvollzugsgesetzes ist nach unserer verfassungsrechtlichen Ordnung zustimmungsbedürftig. Mit einer Zustimmung der Länder zu diesem Gesetz ist bei der Haushaltsmisere der Länder mit Sicherheit nicht zu rechnen. Deswegen müssen wir deutlich machen, daß wir uns mit dieser Debatte vielleicht gegenseitig froh machen, aber keine Zustimmung zu dem, was hier angeregt worden ist, bekommen. Dessen bin ich mir absolut sicher.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf?
Ja.
Herr Kollege Basten, halten Sie es denn nicht für zwingend notwendig, daß wir Gerechtigkeit zumindest insoweit herstellen, als es heute eine sehr unterschiedliche Behandlung von Strafgefangenen gibt? Einerseits gibt es Strafgefangene, die außerhalb der Strafanstalten im Arbeitsprozeß stehen, tarifmäßig entlohnt werden und somit auch in die Renten- und Sozialversicherung einzahlen und sich während der Verbüßung ihrer Strafe ein Polster zulegen können, mit dem sie nach ihrer Entlassung viele Dinge selbständig regeln können. - Ich halte das im übrigen auch für vernünftig. - Andererseits kommt es vor, daß sich ein Unternehmen in eine Strafanstalt einkauft, ein Strafgefangener innerhalb der Anstalt die gleiche Arbeit verrichtet wie ein anderer außerhalb, allerdings nicht dieselben Leistungen gewährt bekommt. Das halte ich für eine Ungerechtigkeit. Außerdem ist das ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Handeln ist notwendig. Ganz zu schweigen von den Tätigkeiten, die Strafgefangene innerhalb der Anstalten ausüben, die anstaltseigen sind und hinter denen kein Unternehmen steht. Ich denke, daß Sie uns - -
Herr Kollege Graf, das, was Sie jetzt bieten, ist schon eine ausgesprochene Intervention. Sie wollten doch eine Frage stellen.
Herr Kollege Graf, ich stimme Ihnen insoweit zu, als es eine sehr differenzierte Praxis gibt. Mein Wunsch wäre es, daß man möglichst vielen Strafgefangenen die Möglichkeit eröffnet, durch Tätigkeiten außerhalb der Strafanstalt Angebote zu nutzen. Das geht aber nicht immer. Manchmal gebieten sowohl der Resozialisierungs- wie auch der Vorbereitungszweck oder therapeutische Gründe, so zu verfahren, wie das bisher geschehen ist. Könnte es uns gelingen, die Länder dazu zu bewegen, den Anteil derjenigen Strafgefangenen zu erhöhen, die außerhalb von Anstalten Arbeiten verrichten, hätten Sie mich sofort auf Ihrer Seite.
Jetzt möchte auch die Kollegin Ulla Jelpke eine Frage stellen.
Bitte schön! Dann haben fast alle gefragt, die noch hier sind.
Auch die Zahl der Kolleginnen und Kollegen, die noch hier sind, qualifiziert dieses Thema. - Sind Sie denn wenigstens bereit, die Berechnungen der Gefangenenorganisationen nachzuprüfen oder eine Art Bund-Länder-Analyse erstellen zu lassen, was es kosten würde, wenn man Gefangene materiell so ausrüstet, daß sie sich wieder entsprechend eingliedern können? Es liegen dazu Berechnungen von Gefangenenorganisationen vor. Sind Sie bereit, dies aufzunehmen?
Sicherlich. Ich habe ja eine Zahl genannt. Das, was auf Grund Ihres Antrages auf die Länder zusätzlich zukäme, ist entsprechend untersucht und durchgerechnet worden. Ich bin dafür, daß wir dann sozusagen eine Gesamtbilanz im Sinne eines Pro und Kontra, also eine Rechnung und Gegenrechnung, aufmachen, was auf der einen Seite erwirtschaftet wird und Strafvollzug auf der anderen Seite kostet. Dieses Ergebnis sollten wir uns dann anschauen. Das wäre eine gerechte und vernünftige Regelung.
Vielen herzlichen Dank.
Nun erteile ich das Wort der Abgeordneten Erika Simm.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was ich jetzt sage, erwarten Sie vielleicht nicht unbedingt von mir. Es spricht mir aber aus dem Herzen, weil ich mich wirklich sehr geärgert habe: Debatten, wie wir sie heute aus Anlaß dieses PDS-Antrages führen, finde
Erika Simm
ich ausgesprochen ärgerlich. Ich werde auch erklären, warum:
Da durchforscht eine Kollegin auf der Suche nach einem Tätigkeitsnachweis offensichtlich den Fundus alter, gescheiterter Anträge bzw. Gesetzesvorlagen aus früheren Legislaturperioden, formuliert ohne Rücksicht auf politische Gegebenheiten und Durchsetzbarkeit ein paar Maximalforderungen, fügt noch etwas Exotisches hinzu, das bisher noch niemand gefordert hat, schreibt zur Begründung ein paar Seiten zusammen - der Einfachheit halber gleich aus einem der gängigen Kommentare wortwörtlich; ich habe das gefunden - und beschäftigt uns damit. Das bezeichne ich als Schaufensterantrag,
dem der ernsthafte Wille, politisch etwas zu verändern, abgesprochen werden muß.
Das Problem, um das es in diesem Antrag geht, nämlich die Frage, wie die soziale Situation von Strafgefangenen und ihren Familien verbessert werden kann, ist durchaus ernst und verdient es nicht, unter den bestehenden politischen Gegebenheiten so abgehandelt zu werden.
Die gerade auch von Sozialdemokraten erhobenen Forderungen, Strafgefangene in die gesetzliche Renten- und Krankenversicherung einzubeziehen und die Arbeitsentgelte im Strafvollzug auf ein Niveau anzuheben, das es den Gefangenen erlaubt, daraus eine Familie zu unterhalten, den angerichteten Schaden wiedergutzumachen und Schulden zu tilgen, reichen weit zurück und sind zu Zeiten der sozialliberalen Koalition sowohl 1976 bei der Verabschiedung des Strafvollzugsgesetzes als auch im Zusammenhang mit Gesetzentwürfen der damaligen Bundesregierungen 1979 und 1981 jeweils am Widerstand des Bundesrates gescheitert. Sie sind nicht an diesem Parlament, sondern am Widerstand des Bundesrates gescheitert, weil die Länder nicht bereit waren, die mit diesen Reformen verbundenen, ausschließlich sie treffenden Kosten zu tragen. Um wieviel weniger haben diese Forderungen, wie Sie sie jetzt wieder erheben, angesichts der gegenwärtigen Finanzsituation der Länder heute eine Chance!
Der PDS-Antrag läßt jede Auseinandersetzung mit dieser Problematik vermissen. Unquantifizierte Kosten-Nutzen-Analysen helfen da nicht weiter. Lösungsansätze, wie sie auch früher schon gesucht wurden - etwa eine Anpassung der Arbeitsentgelte in kleinen Stufen mit dem längerfristigen Ziel der Annäherung an einer üblichen Entgelten entsprechenden Entlohnung -, werden erst gar nicht in Betracht gezogen. Völlig außer acht bleibt das große Problem, daß die Strafanstalten heute vielfach gar nicht mehr in der Lage sind, den Gefangenen überhaupt eine Arbeitsmöglichkeit anzubieten. Viele Strafgefangene sitzen heute beschäftigungslos in ihren Zellen und wären froh, wenn sie wenigstens für die jetzt geltende geringe Belohnung - was sie bekommen, ist nämlich keine Entlohnung, sondern eine Belohnung - arbeiten könnten, um zumindest die Möglichkeiten des wöchentlichen Einkaufs wahrnehmen zu können.
Frau Kollegin Jelpke, Ihr Antrag geht an allem vorbei, was im Moment politisch durchsetzbar und erreichbar ist. Deswegen - es tut mir leid - nehme ich Ihnen nicht ab, daß es Ihnen wirklich darum geht, an der sozialen Situation von Strafgefangenen und deren Familien etwas zum Positiven zu ändern.
Die von Ihnen erhobenen Forderungen haben in dieser Absolutheit keine Chance auf Durchsetzung, was Sie auch wissen. Sie erweisen den Betroffenen, denen helfen zu wollen Sie vorgeben, mit Ihrem Antrag einen Bärendienst.
Mir fällt schwer, dies alles zu sagen, weil ich nämlich als junge Juristin Anfang der 70er Jahre ehrenamtlich jugendliche Straffällige in der Strafanstalt und nach ihrer Entlassung betreut habe. Ich habe in den 70er Jahren als Mitglied einer Kommission zur Reform des Strafvollzuges, die der SPD-Parteivorstand eingesetzt hatte, gearbeitet. Wir haben damals Papiere formuliert, die selbstverständlich die Forderung nach Einbeziehung der Strafgefangenen in die gesetzliche Sozialversicherung und nach angemessener Arbeitsentlohnung enthielten.
Mittlerweile habe ich gelernt, daß man den Betroffenen keinen Gefallen tut, wenn man Maximalforderungen erhebt. Vielmehr muß man irgendwann Konsequenzen daraus ziehen, daß es einfach Hindernisse gibt, die man in der Position, in der man sich befindet, nicht überwinden kann. Das gilt jetzt für den Bundestag. Man muß dann versuchen, kleine Schritte zu machen, um wenigstens Verbesserungen einer unbefriedigenden Situation zu erreichen. Hinsichtlich der Situation haben Sie ja völlig recht; in der Sache widerspreche ich Ihnen gar nicht.
Ein solch kleiner Schritt ist - ich sage es, damit ich das Thema nicht nur negativ darstelle - im Moment der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems, der unter anderem darauf abzielt, die Freiheitsstrafe mit ihren negativen Folgen für die soziale Situation der Strafgefangenen und ihrer Familien zugunsten von Sanktionsformen zurückzudrängen, die es den Verurteilten ermöglichen, ihrer sozialen Verantwortung in Freiheit nachzukommen.
Für völlig unseriös halte ich in Ihrem Antrag Punkt 3, in dem Sie die Entschuldung von Strafgefangenen fordern. - Wissen Sie, wenn es diesen Punkt nicht gäbe, hätte ich heute anders geredet. Aber gerade er hat mich in meiner Beurteilung, daß Sie einen Schaufensterantrag gestellt haben, so sicher gemacht.
Diese Forderung ist in dieser Form meines Wissens
bisher noch von niemandem, der ernst zu nehmen
Erika Simm
wäre, aufgestellt worden. Die Umsetzung dieser Forderung würde eine ungerechtfertigte Privilegierung des Strafgefangenen gegenüber dem verschuldeten gesetzestreuen Bürger bedeuten,
von dem selbstverständlich erwartet wird, daß er für seine Schulden einsteht.
Der von Ihnen geforderte Schuldenerlaß steht damit meines Erachtens auch nicht im Einklang mit den Zielen des Strafvollzuges, wie sie im Strafvollzugsgesetz festgelegt sind. Der Strafgefangene soll danach im Vollzug der Freiheitsstrafe fähig werden, sein Leben straffrei und selbstverantwortlich zu führen. Des weiteren soll der Strafvollzug an die allgemeinen Lebensbedingungen angeglichen werden. Die Forderung nach Schuldenerlaß widerspricht beiden Zielen.
Dem Strafgefangenen würden falsche Vorstellungen von der Lebensrealität in Freiheit vermittelt, zu der es eben auch gehört, daß man Schulden bezahlen, für einen angerichteten Schaden einstehen und ihn wiedergutmachen muß.
Hätten Sie gefordert, wie es alle seriösen Fachleute auf diesem Gebiet tun, daß die soziale Betreuung in den Strafanstalten wesentlich verbessert, die Vorbereitung auf das Leben nach der Entlassung intensiviert und eine fachkundige Schuldnerberatung geleistet werden müsse, dann ginge ich mit Ihnen einig. - Im übrigen sehe ich das alles nicht so rosig, Herr Basten, wie Sie es dargestellt haben. Ich kenne die Verhältnisse ziemlich gut.
Solche Forderungen wären nur kleine Schritte zur Verbesserung der sozialen Situation von Strafgefangenen, die Ihre Sache, weil zu unspektakulär, ganz offensichtlich nicht sind.
Nun gebe ich das Wort dem Abgeordneten Volker Beck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich nehme Frau Jelpke - das sehe ich anders als Frau Simm - durchaus ab, daß sie es mit ihrem Anliegen der Resozialisierung und der Verbesserung der Situation von Strafgefangenen sehr ernst meint.
Wir sind fast im 20. Jahr nach der großen Reform des Strafvollzugsgesetzes. Viele Vorgaben, die in dem Gesetz stehen und sich gut anhören, sind leider nicht umgesetzt worden.
Wir haben vorhin beim Thema „sexueller Mißbrauch" diskutiert, wie mit Tätern in diesem Bereich tatsächlich umgegangen wird. Ich hoffe, das ist zwei Stunden später nicht schon vergessen. Wir sollten uns alle an die Aufarbeitung der großen Defizite machen, die wir vorhin festgestellt haben. Alle Bundestagsfraktionen stellen in den Ländern Justizminister. Wir können uns da alle nicht auf die Schulter klopfen für das, was bisher erreicht wurde. Wenn man an Sätze wie „Angleichung an das Leben in Freiheit" denkt, muß man sagen: Solche Aussagen des Strafvollzugsgesetzes sprechen der Realität leider wirklich Hohn.
Den Resozialisierungsanspruch und die Humanisierung des Strafvollzugs sind wir nicht nur den Tätern, denen die Freiheit wegen ihrer Straftat genommen ist, sondern auch der Öffentlichkeit wegen der Besserung der Straftäter dringend schuldig.
So sehr wir den Intentionen des Antrages zustimmen, so sehr muß ich die Umsetzung und die Ausführung im Detail tatsächlich als nicht sehr seriös und doch etwas voluntaristisch kritisieren.
Ich gehe mit Ihnen einig, daß wir bei der Sozialversicherung nach so vielen Jahren endlich versuchen sollten, diese gesetzliche Pflicht umzusetzen. Sie aber stellen sich nicht mal der Diskussion in der Sozialdebatte. Stichwort: versicherungsfremde Leistungen - sollen die Beitragszahler für die Kosten der Sozialversicherung für Strafgefangene aufkommen? Sollen die Länder allein dafür aufkommen? Sollen Bund und Länder gemeinsam dafür aufkommen? Hierzu brauchen wir konkrete Vorschläge, damit wir dieser meines Erachtens richtigen und wichtigen Forderung, daß die Strafgefangenen auch im Alter eine Perspektive haben, entsprechen.
Auch bei der Anhebung des Arbeitsentgeltes - das beschäftigt uns gleichfalls schon seit nunmehr 16 Jahren, seit man in dem Gesetz Vorgaben gemacht hat - stimme ich Ihnen zu. Ich meine, Herr von Basten
- Entschuldigung -, das Stichwort „Gesamtrechnung" müssen wir auf andere Weise aufgreifen, als Sie das in Ihrem Redebeitrag getan haben. Vielmehr müssen wir das Hauptaugenmerk nicht nur auf die Kosten, die beim Strafvollzug anfallen, richten, sondern müssen auch eine umfassende Gewinn- und Verlustrechnung aufstellen. Wir müssen die Frage beantworten: Was passiert, wenn Strafgefangene nicht arbeiten, nicht genügend verdienen, mit der Familie, die da ist? Sie fällt den Sozialhilfeträgern zur Last.
Was passiert mit den Opfern der Straftaten? Es kann für sie keine Wiedergutmachung geben, weil die Straftäter auch nach der Entlassung nicht die Mittel haben, hier einzutreten.
Ich meine, auch dies sind Aspekte, die wir berücksichtigen müssen. Nicht zuletzt müssen wir berück-
Volker Beck
richtigen, daß die Strafgefangenen auf Grund der fehlenden Perspektive, wieder in die Gesellschaft integriert zu werden, rückfällig werden können.
Aber ich weiß nicht, Frau Jelpke, woher Sie angesichts der Geschichte dieses Problems den Mut nehmen, zu fordern, Strafgefangenen 100 Prozent des Tariflohns zu zahlen. 40 Prozent hat der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform damals gefordert. Das ist im Bundesrat gescheitert. Damals hat man dann
5 Prozent eingesetzt; jetzt sind es gerade einmal
6 Prozent. 1989 hat meine Kollegin Nickels -
Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Kollege; Sie müssen zum Schluß kommen.
- einen Vorstoß unternommen, wenigstens 40 Prozent noch einmal in die Debatte zu bringen und ist damit leider auch gescheitert. Woher nehmen Sie, Frau Jelpke, die Courage, einfach einmal 60 Prozent draufzulegen und den Betroffenen damit Versprechungen zu machen, die keiner von uns halten kann?
Das, muß ich sagen, finde ich insgesamt an Ihrem Antrag unverantwortlich.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen. Tut mir leid.
Dies gilt auch ganz im Sinne von Frau Simm für den Punkt 3 ihres Antrages.
Nun spricht der Kollege Jörg van Essen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß sagen: Als ich mich mit dem Antrag der PDS beschäftigt habe, habe ich mich sehr geärgert. Wer sich diesen Antrag anschaut, der muß genau den selben Eindruck haben, den die Kollegin Simm gerade in so eindrucksvoller Weise belegt hat. Ich unterstreiche jeden ihrer Sätze. Ich habe eine ähnliche Rede vorbereitet wie die Ihre, Frau Kollegin Simm. Es wäre schade, wenn ich Ihre Argumente wiederholen würde.
Ich möchte ein paar Gedanken anführen, die mir gekommen sind, als ich der Debatte kritisch zugehört habe. Viele der Dinge aus den 70er Jahren, die angesprochen worden sind, sind sicherlich erfreulich, und keiner von uns wird bestreiten, daß die Resozialisierung von Strafgefangenen ein ganz wichtiger Zweck der Strafe und auch des Strafvollzuges ist. Daran darf sich nichts ändern. Ich selbst habe wie Sie, Frau Kollegin Simm, in einer Jugendstrafanstalt zu einer Gruppe gehört, die sich darum bemüht hat, insbesondere jugendlichen Strafgefangenen zu einer Resozialisierung zu verhelfen. Ich muß sagen, daß ich gerade in bezug auf diesen Bereich das Gefühl hatte, daß man dort wirkliche Hilfe leisten konnte.
Aber gerade die Debatte von heute nachmittag, nämlich die Debatte über den Umgang mit Tätern, die schwerste Straftaten an Kindern begehen, macht deutlich, daß Resozialisierung nicht ausschließliche Aufgabe des Strafvollzuges sein kann, sondern daß auch andere Strafzwecke, zum Beispiel auch der Schutz der Allgemeinheit, eine ganz erhebliche Bedeutung haben.
Es hat sich heute auch hier in der Debatte gezeigt, daß eine Perspektive bei uns völlig gefehlt hat, nämlich: Wie gehen wir mit den Opfern von Straftaten um? Wir haben uns heute unglaublich viele Gedanken darüber gedacht, wie es Strafgefangenen bessergehen kann. Ich habe keinen einzigen Gedanken gehört, der sich mit den Opfern der Straftaten befaßt hätte. Ich muß sagen: Das hat mich schlicht geärgert.
Wir haben überall erhebliche Probleme in den öffentlichen Kassen. Für mich persönlich muß ich dennoch sagen: Auch ich wünsche mir natürlich, daß es Verbesserungen bei den Resozialisierungsmöglichkeiten gibt. Aber ich wünsche mir, daß bei unseren Überlegungen in erster Linie das Interesse der Opfer eine Rolle spielt. Das sage ich mit Blick auf das, was wir heute nachmittag angesprochen haben: die therapeutische Betreuung von Strafgefangenen, die ihrer bedürfen, wofür allerdings das Geld fehlt. Ich muß aber sagen: Wenn Geld da ist, dann möchte ich es zuerst da für die Opfer eingesetzt wissen.
Ein zweiter Gedanke, der mir wichtig ist: Es gibt das Opferentschädigungsgesetz, die Länder haben Opferentschädigungen zu leisten. Auch hier gibt es nur ganz wenig Entschädigungen für die Opfer von Straftaten. Hier möchte ich den Schwerpunkt gesetzt sehen.
Ich ärgere mich auch deshalb über den Antrag - es ist bereits mehrfach angesprochen worden -, weil insbesondere der Vorschlag des Abbaus der Schulden, des Erlasses der Schulden Strafgefangene, Leute, die schwere und schwerste Straftaten begangen haben - andere kommen gar nicht mehr in Strafhaft -, gegenüber den anderen, sich straffrei verhaltenden Bürgern, die sich nach der Neufassung der Insolvenzordnung entschulden können, dafür aber ganz erhebliche Bemühungen aufbringen müssen, privilegiert. Diese Bürger stehen schlechter da als diejenigen, die schwerste und schwere Straftaten begangen haben. Ich halte es für absolut unglaublich, worüber wir heute im Bundestag diskutieren müssen.
Sie merken, daß ich mich geärgert habe. Jeder Antrag hat Anspruch darauf, daß ernsthaft über ihn diskutiert wird. Selbstverständlich gehört es zur parlamentarischen Kultur, daß das auch mit Ihren Anträ-
Jörg van Essen
gen geschieht. Ich muß aber gestehen, daß mir das heute ganz besonders schwergefallen ist.
Vielen Dank.
Nun gebe ich dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz, Rainer Funke, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
- Nein, das wollte ich nicht, denn es ist kein Hamburger Problem, sondern ein generelles Problem.
Die Einbeziehung der Strafgefangenen in die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung sowie die Erhöhung des Arbeitsentgelts waren bereits - das ist mehrfach erwähnt worden - 1977 in der Diskussion. Der Bundestag ist - darauf hat Frau Kollegin Simm ausführlich hingewiesen - mit seinen Bemühungen, dieses Strafvollzugsgesetz aus dem Jahre 1977 hinsichtlich der Arbeitsentgelte mit Leben zu füllen, am Bundesrat gescheitert. Das gilt natürlich unter dem Gesetz der leeren Kassen der Länder heute ganz genauso.
Das Argument, eine Erhöhung des Arbeitsentgelts der Gefangenen werde durch Wegfall ansonsten aufzubringender Sozialleistungen - beispielsweise Sozialhilfe - für die Gefangenen und deren Familienangehörigen nicht zu einer weiteren Belastung der Länderhaushalte führen, sondern weitgehend neutral sein - es werde sich wie eine Waage wieder ausgleichen -, hat sich nach dem Ergebnis eines 1994 erstellten Gutachtens des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel nicht bestätigt. Ich bin gern bereit, Ihnen dieses Gutachten zur Verfügung zu stellen. Offensichtlich ist es dem einen oder anderen hier im Hause nicht hinreichend bekannt.
Das Gutachten, das alternative Modellrechnungen einer tariforientierten Gefangenenentlohnung entwickelt und deren voraussichtliche Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte untersucht hat, kommt hinsichtlich eines tariforientierten Modells zu dem Ergebnis, daß auch nach Abzug aller Einnahmen bzw. Ersparnisse die danach von den Ländern aufzubringenden Gelder die derzeitigen finanziellen Belastungen der Länder um ein Mehrfaches übersteigen würden.
Auch die Forderung nach einer Ergänzung des Strafvollzugsgesetzes um eine gesetzliche Regelung über den Abbau, den Erlaß bzw. die Übernahme von Schulden von Strafgefangenen geht fehl. Der Kollege van Essen hat zu Recht - jetzt hört er auch zu - darauf aufmerksam gemacht, daß nach der Neufassung der Insolvenzordnung, die wir vor gut einem Jahr beschlossen haben und die am 1. Januar 1999 in Kraft treten wird, mit der Restschuldbefreiung auch für Strafgefangene die Möglichkeit bestehen wird, dem Strafgefangenen entgegenzukommen und ihm zu helfen. Aber er muß sich natürlich im Leben entsprechend bewähren. Er muß bemüht sein, seine Schulden zurückzuführen, genauso wie jeder andere Bürger, der unverschuldet in eine schwierige finanzielle Situation gelangt ist.
Wenn er durch seine Straftat in diese finanzielle Schuld gelangt ist, wird es auch eine Restschuldbefreiung natürlich nicht geben; denn - darauf haben Frau Simm und auch der Kollege van Essen zu Recht hingewiesen - strafbedingte Schulden können natürlich nicht zur Restschuldbefreiung führen, selbstverständlich aber jede andere Schuld. Auch das ist eine große Hilfe für Strafgefangene, die häufig vorher schon in finanzielle Schwierigkeiten gelangt sind.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/1443 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 27. September 1996, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.