Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Sitzung.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich auf der Ehrentribüne die Präsidentin des finnischen Reichstags, Frau Riita Uosokainen, mit ihrer Delegation ganz herzlich begrüßen.
Sie wissen, wie eng die deutsch-finnischen Beziehungen, gerade die parlamentarischen, sind, daß sie seit Jahrzehnten von vielen Einzelpersönlichkeiten auf beiden Seiten aufgebaut und vertieft worden sind. Wir begegnen uns als Freunde. Wir wissen um Ihren Einsatz für die baltischen Staaten, für Ihre behutsame Politik der Neutralität und doch der Zugehörigkeit. Wir sehen in Ihnen, wenn Sie auch ein junges Mitglied der Europäischen Union sind, ein altes Mitglied Europas. Herzlichen Dank für Ihr Kommen!
Von hier aus möchte ich auch noch einen herzlichen Glückwunsch für das Große Verdienstkreuz, das Ihnen gestern vom Bundespräsidenten verliehen worden ist, aussprechen.
Herzlichen Glückwunsch nachträglich auch an den Kollegen Dr. Günther Maleuda, der am 20. Januar seinen 65. Geburtstag feierte.
Nun zum Amtlichen: Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu ändern bzw. zu ergänzen. Die Zusatzpunkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ursachen der aktuellen Schwierigkeiten im deutsch-tschechischen Verhältnis *)
2. Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Beschäftigungschancen des ökologischen Umbaus sofort nutzen: Bündnis für Umwelt und Arbeit - Drucksache 13/3613 -
3. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesundheitsstrukturgesetzes - Drucksache 13/3607 -
*) In der 82. Sitzung am 31. Januar 1996 erledigt.
4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Knoche, Marina Steindor, Marieluise Beck , weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Umbau und Weiterentwicklung der Gesundheitsstruktur - Drucksache 13/3612 -
5. Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren
Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Lenzer, Hans-Otto Schmiedeberg, Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann, Dr. Karlheinz Guttmacher und der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P.: Forschung zur Sicherung der Energieversorgung und für ein besseres Klima - Drucksache 13/3610 -
6. Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann, Dr. Irmgard Schwaetzer, Roland Kohn und der Fraktion der F.D.P.: Bekämpfung des internationalen Landminenproblems - Drucksache 13/3611-
7. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Aktuelle Lage der Rentenversicherung
8. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Aktuelle Finanzlage der Rentenversicherung - Drucksache 13/3606 -
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit es bei einzelnen Punkten der Tagesordnung und der Zusatzpunktliste erforderlich ist, abgewichen werden.
Zunächst soll mit der Beratung der Vorlagen zu Tagesordnungspunkt 3 a bis 3 c zum „Bündnis für Arbeit" begonnen werden. Ich mache darauf aufmerksam, daß über einen Änderungsantrag namentlich abgestimmt werden wird. Danach findet die Beratung zu Tagesordnungspunkt 2 zur Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung statt.
Der Tagesordnungspunkt 12, Zweites Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch, und der Tagesordnungspunkt 13, Erstes Gesetz zur Änderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze, der Tagesordnungspunkt 17, Debatte zur Entwicklungspolitik, der Tagesordnungspunkt 18, Jahresbericht 1994 der Wehrbeauftragten, sowie die Tagesordnungspunkte 19e und 20k, die beide ohne Aussprache vorgesehen waren, sollen abgesetzt werden. Über den Tagesordnungspunkt 15, Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages, soll zusammen mit den Beratungen ohne Aussprache abgestimmt werden.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Ausschußüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Gewässer
schützen - Kosten senken - Drucksache 13/3490 -
Dieser in der 80. Sitzung des Deutschen Bundestages am 18. Januar 1996 überwiesene Antrag soll nachträglich dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau überwiesen werden.
Sind Sie mit den Änderungen und Ergänzungen der Tagesordnung einverstanden? - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c sowie Zusatzpunkt 2 auf:
3. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ottmar Schreiner, Ernst Schwanhold, Doris Odendahl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Bündnis für Arbeit
- Drucksache 13/3263 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung,
Technologie und Technikfolgenabschätzung
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Teilzeitbeschäftigung
- Drucksache 13/1888 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Gruppe der PDS
Arbeitsmarktpolitische Sofortmaßnahmen für 1996
- Drucksachen 13/2263, 13/3636 -
Berichterstattung: Abgeordneter Adolf Ostertag
ZP2 Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Beschäftigungschancen des ökologischen Umbaus sofort nutzen: Bündnis für Umwelt und Arbeit
- Drucksache 13/3613 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Es ist ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen angekündigt. Über diesen soll im Anschluß an die Aussprache namentlich abgestimmt werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung
sind für die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Als erster spricht der Ministerpräsident des Saarlandes, Oskar Lafontaine.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 5 Millionen Arbeitsplätze fehlen in Deutschland nach dem Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung. Diese Zahl von 5 Millionen Arbeitsplätzen kann man durchaus hinterfragen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten halten fest an dem Ziel der gleichberechtigten Teilnahme der Frauen in Beruf und Gesellschaft.
Wenn man an diesem Ziel festhält, meine Damen und Herren, und wenn man die Entwicklung der Frauenerwerbsquote in der letzten Zeit berücksichtigt, dann ist die Zahl 5 Millionen noch zu gering angesetzt. Daher weise ich darauf hin, daß wir auf der einen Seite nicht immer wieder die Teilhabe der Frauen an Beruf und Gesellschaft fordern können, auf der anderen Seite bei den Zahlen, die wir veröffentlichen, diesem Ziel nicht Rechnung tragen.
Für uns, meine Damen und Herren, ist diese Feststellung eine große Herausforderung an Politik und Gesellschaft. Denn es wirft die Frage auf, wie wir eigentlich zusammenleben wollen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten können uns mit einer solchen Entwicklung unserer Gesellschaft nicht abfinden.
Für uns bedeutet eine soziale Demokratie, die wir anstreben, Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben und daher auch Teilhabe aller Menschen an der Erwerbsarbeit, soweit sie dies wünschen. Dies ist und bleibt Ziel unserer Politik.
Nun könnte der eine oder andere in der Debatte versucht sein, darauf hinzuweisen, daß wir auch in anderen Staaten Probleme des Arbeitsmarktes haben. Aber, meine Damen und Herren, ich verweise auf die Entwicklung in den Vereinigten Staaten. Bis in die Jahre 1982 und 1983 - man beachte das Datum - waren die Arbeitslosenquoten in den Vereinigten Staaten in der Regel deutlich höher als in Deutschland.
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
Erst ab den Jahren 1982/83 begann sich diese Entwicklung entscheidend zu verändern. Seit dieser Zeit ist die Arbeitslosenquote in den Vereinigten Staaten niedriger geworden; sie ist jetzt teilweise deutlich niedriger als in der Bundesrepublik.
Deshalb sagen wir: 5 Millionen Arbeitsplätze, die fehlen, sind der Offenbarungseid einer Regierung, die 13 Jahre lang vergeblich versucht hat, die Arbeitslosigkeit in diesem Land zu bekämpfen.
5 Millionen fehlende Arbeitsplätze sind der Beweis, daß Ihre Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik in den letzen Jahren gescheitert ist.
In Ihrem Jahreswirtschaftsbericht stellen Sie fest: Die drückende Steuer- und Abgabenlast, die hohe Staatsquote und vielfältige bürokratische Hemmnisse engen den Spielraum für private Leistungen und Investitionen ein. Meine Damen und Herren von der Regierung, Sie haben ja recht! Aber wer hat denn in diesen 13 Jahren regiert? Wer trägt denn die Verantwortung für diese Entwicklung?
Viele Mitbürger sorgen sich in diesem Augenblick um ihre Arbeitsplätze, sorgen sich um den Frieden, und sie bangen um ihre Zukunft. Ihre Sorgen sind auch meine Sorgen. Wir sollen und können diese Probleme meistern. Ich wiederhole: Wir sollen und können diese Probleme meistern!
Meine größte Sorge sind die jugendlichen Arbeitslosen ... Ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland darf es nicht zulassen, so viele junge Menschen nach der Schule auf die Straße zu entlassen.
So Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner ersten Neujahrsansprache am 31. Dezember 1982.
In der letzten Neujahrsansprache hieß es wiederum:
Unsere Hauptsorge gilt daher dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Wir müssen uns anstrengen, um bestehende Arbeitsplätze zu erhalten. Und wir müssen uns anstrengen, um neue, zukunftssichere Arbeitsplätze zu schaffen.
So Ihre Worte am 31. Dezember 1995. Ist es bei dieser Entwicklung, Herr Bundeskanzler, so überraschend, daß Ihre Neujahrsansprachen schon einmal verwechselt wurden und falsche Kassetten eingelegt worden sind?
Millionenfache Arbeitslosigkeit, die höchste Steuer- und Abgabenquote, die es jemals in dieser Republik gab, eine Finanzkrise der sozialen Sicherungssysteme und die Verantwortung für ein strukturelles Staatsdefizit: Das ist die Bilanz nach 13 Jahren Regierung Kohl. Meine Damen und Herren, da gibt es nichts zu lachen. Bei einer solchen Arbeitslosigkeit denken Sie bitte an die Menschen, die uns draußen zuhören.
Denken Sie bitte an die jungen Menschen, die den Zugang zum Erwerbsleben suchen und die auf Antworten warten. Meine Damen und Herren, stellen Sie sich Ihrer Verantwortung. Gehen Sie nicht so läppisch an diese Fragen heran. Arbeitslosigkeit ist nach unserem Verständnis ein Anschlag auf die Menschenwürde, und Sie sollten das genauso begreifen.
Als Sie vor 13 Jahren, Herr Bundeskanzler Kohl, Bundeskanzler Helmut Schmidt ablösten, sagten Sie: „Ihre Regierungszeit ist die Regierungszeit der Schulden und der Arbeitslosen. "
Ich wiederhole: Sie sagten vor 13 Jahren: „Ihre Regierungszeit ist die Regierungszeit der Schulden und der Arbeitslosen. "
Bei 4 Millionen Arbeitslosen und bei Staatsschulden von 2 Billionen DM - Entwicklungen, die damals niemand für möglich gehalten hätte -: Kommen Sie sich angesichts Ihres damaligen Urteils heute nicht merkwürdig vor, Herr Bundeskanzler? Wäre es nicht an der Zeit, sich einmal bei Helmut Schmidt zu entschuldigen?
Denn, Herr Bundeskanzler, Sie können doch von seinen Arbeitslosenzahlen und von seiner Staatsverschuldung nur träumen.
Sie haben sich maßlos überhoben. Wenn Sie Ihre eigenen Maßstäbe für sich selbst gelten lassen würden: Wo wären Sie dann eigentlich heute, Herr Bundeskanzler?
Meine Damen und Herren, in dieser schwierigen Situation, die unsere gesamte Gesellschaft herausfordert, haben die Gewerkschaften ein „Bündnis für Arbeit" angeboten. Besonders dem IG Metall-Vorsitzenden Klaus Zwickel ist unsere gesamte Gesell-
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
schaft zum Dank verpflichtet, daß er von seiten einer großen Industriegewerkschaft diesen Schritt unternommen hat und angeboten hat, von seiten dieser Gewerkschaft die Arbeitslosigkeit in diesem Lande zu bekämpfen.
Sie sind scheinbar auf dieses Angebot eingegangen. Sie haben eine ganze Reihe von Gesprächen geführt, und dann kamen Sie zu dem Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze im Jahre 1996, das jetzt schon auf entsprechende Reaktionen in der Öffentlichkeit stößt und das jetzt schon von seiten der Gewerkschaften als Rückfall in alte ideologische Vorstellungen qualifiziert wird.
Meine Damen und Herren, ich erinnere daran: Vor zwei Jahren hatten Sie schon einmal dasselbe Aktionsprogramm vorgetragen. Es hieß: Aktionsprogramm für Wachstum und Beschäftigung im Jahre 1994. Es war praktisch dasselbe Programm, und es hat zu nichts geführt. Es konnte nicht verhindern, daß die Arbeitslosigkeit weiter angestiegen ist. Sie glauben ja selbst nicht mehr an Ihre Programme, weil Sie in Ihrem Jahreswirtschaftsbericht feststellen: Die Arbeitslosigkeit wird in diesem Jahre um 250 000 bis 300 0000 weiterhin ansteigen. Sie glauben selbst nicht mehr an die Wirksamkeit Ihrer Programme.
Die Rezepte, die Sie vorstellen, sind immer wieder dieselben - seit Jahren sind sie dieselben -: Unternehmensteuersenkung, Lohnzurückhaltung, Sozialabbau und, was fatal ist: Der Umweltschutz wird immer noch als ein Politikbereich begriffen, der im Grunde genommen der wirtschaftlichen Entwicklung schadet und Arbeitsplätze kostet. Da ist es auch verständlich, daß in Ihrem Programm vom Umweltschutz überhaupt nicht die Rede ist, so, als hätten wir die Debatte der letzten zwei Jahrzehnte umsonst geführt; ein merkwürdiger Vorgang, meine Damen und Herren.
Aber ich will Ihnen eines sagen: Wenn Sie von Neujahrsansprache zu Neujahrsansprache sagen, Sie wollen gegen die Arbeitslosigkeit kämpfen, und das schon 13 Jahre lang, wenn Sie im Jahr 1994 praktisch ein Programm vorgelegt haben, das zu nichts geführt hat und das Sie jetzt im Jahr 1996 mit etwas anderem Firnis wieder neu auflegen,
dann müssen Sie doch irgendwann einmal zu dem Ergebnis kommen, daß Ihre Politik gescheitert ist und daß Sie sie ändern müssen. Meine Damen und Herren, Sie müssen sie ändern!
13 Jahre lang setzten Sie immer auf dasselbe Rezept: Unternehmensteuersenkung, Lohnzurückhaltung, Sozialabbau, und Umweltschutz schaden der Wirtschaft. 13 Jahre sind Sie mit dieser Politik gescheitert. Sind Sie denn lernunfähig geworden?
Es wäre an der Zeit, daß Sie Ihre Politik ändern; sonst werden Sie immer dieselben Ansprachen halten und immer dieselben Ergebnisse vorweisen.
Im übrigen hat Ihnen gestern in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung " James Tobin noch einmal vorgehalten, daß man auch die makroökonomischen Bedingungen justieren muß, daß man stets auf Wechselkurse und auf Zinsen achten muß. Aber was stört schon das Urteil eines Nobelpreisträgers der Ökonomie!
Meine Damen und Herren, ich wiederhole hier, was Ihnen Rudolf Scharping schon zu Beginn dieses Jahres gesagt hat:
Sie können noch soviel Lohnzurückhaltung predigen: Wenn Sie auf Grund Ihrer Verantwortung in Europa nicht in der Lage waren, das Chaos der Wechselkurse zu verhindern, dann haben Sie Mitverantwortung dafür, daß Hunderttausende von Arbeitsplätzen verlorengegangen sind.
Meine Damen und Herren, eine Zinspolitik, die zu langsam und zu spät reagiert - ich zitiere hier den amerikanischen Nobelpreisträger -, verursacht natürlich ebenfalls Arbeitsplatzverluste, weil sie Investitionen nicht fördert, und alle Analysen zeigen, daß es an der Investitionsdynamik fehlt.
Bei den Rezepten, die Sie anbieten, gehen Sie ungleichgewichtig vor, und deshalb sind sie zum Scheitern verurteilt. Wir sagen, es war falsch, in den vergangenen Jahren immer wieder Unternehmensteuersenkungen in einer Art und Weise, wie Sie das jetzt auch wiederum vorhaben, durchzuführen, durch die kapitalstarke Großbetriebe entlastet worden sind, während viel zuwenig für Handwerk und Mittelstand getan worden ist.
Die finanziellen Spielräume, die wir hatten, wären doch viel, viel besser dafür einzusetzen gewesen, um die gesetzlichen Lohnnebenkosten zu senken.
Wir wollen das in diesem Jahre tun, und wir bieten Ihnen an, zügig die Entscheidungen dafür zu treffen.
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
Es hat doch keinen Sinn, daß Sie in Sonntagsreden immer wieder von der Notwendigkeit des Absenkens der gesetzlichen Lohnnebenkosten reden, und in Wirklichkeit steigen permanent die Beitragssätze. Gerade auch bei den Rentenbeiträgen ist es doch geradezu ein Jammerspiel, daß Sie praktisch von Monat zu Monat Ihre Prognosen korrigieren müssen und auch das Vertrauen bei der älteren Generation verspielen.
Wenn man die Lohnnebenkosten senken will, muß man drei Ansätze verfolgen.
Erstens. Es muß endlich aufhören, daß die Sozialkassen geplündert und mit fremden Leistungen befrachtet werden, die da nicht hingehören.
Das ist Betrug an den Beitragszahlern in die sozialen Versicherungskassen. Sie dürfen nicht ständig mit sachfremden Leistungen belastet werden.
Zweitens. Natürlich müssen die sozialen Leistungen insgesamt zielgenau justiert werden. Wir haben in der Vergangenheit bei der Rentenformel, beim Kostendämpfungsgesetz, bei der Begrenzung der Sozialausgaben entsprechende Vereinbarungen getroffen, und wir bieten Ihnen hier auch an, beim Vorruhestand eine Lösung zu suchen, weil es unerträglich ist, daß sich einzelne Betriebe zu Lasten der Allgemeinheit in dieser Form entlasten, wie das in den vergangenen Jahren geschehen ist. Dies ist unerträglich und nicht hinnehmbar.
Aber es ist möglich, die Entlastung der Lohnnebenkosten mit anderen steuerreformerischen Notwendigkeiten zu verbinden. Daher bedauern wir - Stichwort: Umweltschutz -, daß Sie nicht bereit waren, die Entlastung der Lohnnebenkosten mit dem ökologischen Umbau unseres Steuer- und Abgabensystems zu verbinden,
obwohl alle Wirtschaftsinstitute mehr oder weniger klar sagen: Die Entlastung der Lohnnebenkosten schafft Arbeitsplätze, und der ökologische Umbau schafft auch Arbeitsplätze. Warum greifen Sie die Vorschläge wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Institute an dieser Stelle nicht auf?
Drittens. Ihre Steuerpolitik setzt auf Umverteilung. Was ist jetzt wieder im Schwange? Sie reden davon, daß die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft werden soll. Dabei wird verschwiegen - Herr Kollege Solms, das ist wirklich nicht zum Lachen -, daß Sie gleichzeitig die Investitionsbedingungen verschlechtern wollen. Das wäre in dieser Situation doch Gift für die Konjunktur. Wenn Sie nicht auf uns hören wollen, dann hören Sie doch bitte auf die Fachkommentare der gesamten deutschen Presse: Eine Verschlechterung in den Abschreibungsbedingungen zur Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer wäre in der gegenwärtigen konjunkturellen Situation nun wirklich die Faust aufs Auge.
Sie versäumen es endlich, den Steuertarif richtig zu justieren. Die Bareis-Kommission hat entsprechende Vorschläge gemacht, und vor einiger Zeit kursierten Berichte, daß Sie darauf eingehen würden. Ich habe in zwei Verhandlungen mit dem Bundesfinanzminister angeboten, über Steuersubventionsabbau zu reden und insbesondere die Vorschläge der Bareis-Kommission aufzugreifen. Meine Damen und Herren, Sie sind dazu schlicht und einfach nicht fähig. Wenn Sie dieses Problem jetzt auf das Jahr 2000 verschieben wollen, dann wird das nicht unsere Zustimmung finden. Steuergerechtigkeit ist jetzt notwendig, nicht im Jahre 2000!
Der Gipfel Ihrer Politik ist das, was Sie sich mit dem Solidaritätszuschlag geleistet haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist wirklich ein starkes Stück. Da wird seit langer Zeit vorgetragen, die F.D.P. wünscht, den Solidaritätszuschlag schnell abzubauen. Wer wollte das nicht? Da sagt der Finanzminister: Die Haushaltslage gibt das nicht her. Und dann kommen Sie auf eine merkwürdige Art und Weise, Steuerpolitik zu machen; aber das ist ja bezeichnend für Sie. Sie sagen: Jawohl, wir bauen ab; seht her, wie lobenswert wir uns benehmen! Voraussetzung ist, die Länder bezahlen es. Auf diese Art und Weise kann natürlich der Dümmste Steuerpolitik betreiben.
Nur nimmt Ihnen das in Deutschland niemand mehr ab. Wenn Sie irgendwo jedes Vertrauen und jeden Kredit vespielt haben, meine Damen und Herren, dann in der Steuer- und Abgabenpolitik, weil der Wahrheitsgehalt Ihrer Aussagen allenfalls einen Monat lang anhält und dann von Ihnen selbst widerlegt wird.
Ich sagte, ein schwerer Fehler Ihres „Bündnisses für Arbeit" ist, daß Sie den Umweltschutz völlig vernachlässigen. Deswegen bleiben wir Sozialdemokraten bei einer anderen Politik. Ich sagte, wir müssen die Politik ändern. Jawohl, wir haben eine Vision: Wir wollen die Energiewende schaffen.
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
- Wenn das Wort bei Ihnen Heiterkeit aus-
löst, ist das ein schlimmer Zustand, meine Damen und Herren.
Sie haben noch die klägliche Hoffnung, Sie könnten sich an der Macht halten. Aber das ist keine Vision. Wir wollen Visionen haben, wie wir die Arbeitslosigkeit in diesem Lande abbauen können. Die Energiewende ist eine solche. Wir halten daran fest: Wir wollen die Brücke ins Solarzeitalter bauen. Wir glauben, daß dies ein Programm für Wachstum, Beschäftigung und mehr Umweltschutz ist.
Der vierte Punkt, der ungelöst ist und den Sie nicht lösen wollen, ist die Gemeindefinanzreform. Meine Damen und Herren, was sich bei den Gemeinden abspielt, scheinen Sie überhaupt nicht zur Kenntnis zu nehmen.
Es ist unerträglich, daß der Aufbau Ost auch dadurch gebremst wird, daß die Altschuldenproblematik bei den Gemeinden im Osten überhaupt nicht gelöst wird.
Sie können in den Pressemitteilungen von gestern nachlesen, daß die Investitionen in allen Gemeinden wirklich einbrechen; das ist doch ein Alarmsignal. Da wäre es doch an der Zeit, daß man sich auch die Gemeindefinanzen einmal näher ansieht. Hier haben Sie ein schweres strukturpolitisches Versäumnis begangen: Sie haben die Kosten der Arbeitslosigkeit auf die Gemeinden geschoben und sie damit investitionsunfähig gemacht.
Dies ist allerdings ein schweres strukturelles Versäumnis; denn ein wichtiger Bestandteil unserer Verfassung, die wir uns nach dem Kriege gegeben haben, waren freie Gemeinden. Freie Gemeinden brauchen Finanzautonomie. Deshalb sage ich Ihnen: Verspielen Sie nicht, was jahrzehntelang gewachsen ist. Wir brauchen freie Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland, und wir brauchen die Wiederherstellung der finanziellen Autonomie unserer Gemeinden, wie das im gesamten Deutschland gefordert wird.
Ihr größtes Versäumnis, Herr Bundeskanzler, ist die Arbeitsmarktpolitik. Jahrelang haben Sie geglaubt, Arbeitszeitverlängerungen seien ein Rezept, um die Probleme des Arbeitsmarktes zu lösen. Sie haben gar nicht erkannt, daß das Angebot, Arbeitszeit zu verkürzen, etwas mit Solidarität, mit Mitmenschlichkeit in unserer Gesellschaft zu tun hat.
- Ja, daß Sie als christlicher Pfarrer auch noch lachen, das zeigt nun, daß Sie überhaupt nichts begriffen haben. Wir schenken Ihnen einmal eine Bibel, in der Sie nachlesen können, worum es da eigentlich geht.
Sie haben völlig verkannt, daß es hier um einen solidarischen Ansatz in unserer Gesellschaft geht, und daher ist Ihr Wort, daß Arbeitszeitverkürzung dumm, töricht und absurd sei, nach wie vor ein Beleg dafür, daß Sie jahrelang falsch gesteuert haben. Auch das Wort vom Freizeitpark Deutschland klingt allen Arbeitslosen in dieser Republik immer noch in den Ohren und war blanker Zynismus.
Sie haben jetzt die Möglichkeit, beim Entsendegesetz im Vermittlungsausschuß unseren Vorstellungen entgegenzukommen. Ich muß Ihnen hier noch einmal sagen: Es ist für Arbeitnehmer, die jahrelang gearbeitet haben, die 50 Jahre und älter sind, nicht hinzunehmen, daß ihnen mit Billiglöhnen zu 6 bis 8 DM ihre Arbeitsplätze wegkonkurriert werden. Wir sind hier in der Verantwortung; Sie haben ein jämmerliches Gesetz vorgelegt; das ist eine Schande für Deutschland und in bezug auf den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.
Meine Damen und Herren, ich zitiere: Eigenverantwortung, Gemeinsinn und Mitmenschlichkeit
bleiben unentbehrlich für eine Gesellschaft mit menschlichem Gesicht; und nur so
- nur so! -
können wir auch die wirtschaftlichen Probleme ... meistern.
Das sagte Helmut Kohl in der bereits zitierten Neujahrsansprache zu Beginn seiner Amtszeit: „Eigenverantwortung, Gemeinsinn und Mitmenschlichkeit".
Auf die Eigenverantwortung, meine Damen und Herren, haben Sie in ausreichendem Maße gesetzt. Dies können wir nicht bestreiten. Aber ob Gemeinsinn und Mitmenschlichkeit in Ihrer dreizehnjährigen Regierungszeit nicht zu kurz gekommen sind, diese Frage wird jetzt überall in Deutschland gestellt.
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
Wer beispielsweise Arbeitszeitverkürzung nicht als eine Aktion von Gemeinsinn und Mitmenschlichkeit begreift, der hat eben nicht erfaßt, was jetzt in dieser Gesellschaft notwendig ist.
Wer vom Freizeitpark Deutschland spricht, hat eine Sprache, die in dieser Gesellschaft nicht verstanden wird, und wer, statt Worte der Mitmenschlichkeit für die Arbeitslosen zu äußern, von einer neuen Kultur der Selbständigkeit spricht, der hat nicht begriffen, worum es in diesen Tagen in unserer Gesellschaft geht.
Anscheinend haben Sie diesen Ihren eigenen Anspruch in die Tat umzusetzen versäumt. Nach der deutschen Vereinigung haben Sie es versäumt, an Gemeinsinn, Mitmenschlichkeit und Solidarität zu appellieren. Sie haben vielmehr in völlig fahrlässiger Weise allen versprochen, es gehe ohne Gemeinsinn, es gehe ohne Mitmenschlichkeit, niemandem werde es schlechter gehen, vielen aber besser; Steuern und Abgabenerhöhungen seien sowieso nicht notwendig. Dies war Ihr historischer Fehler bei der deutschen Vereinigung, meine Damen und Herren.
Deswegen ist es auch gar kein Wunder, daß Sie bei Steuersenkungen - wer wäre nicht dafür? - mit dem Abbau des Solidaritätszuschlags beginnen. Wer Solidarität in den letzten 13 Jahren immer wieder abgebaut hat, für den ist es eigentlich nur konsequent, daß er beim Abbau des Solidaritätszuschlages beginnt.
Wie wird das eigentlich in unserer Gesellschaft aufgenommen? Ich sage Ihnen eines, meine Damen und Herren: Ihre Regierung ist strukturell unfähig, die jetzt anstehenden Probleme Deutschlands zu lösen.
Sie ist deshalb strukturell unfähig, weil sie sich zusammensetzt aus einer Regionalpartei, die im Zweifel „pro Bavaria" sagt, und aus einer F.D.P., die, nachdem sie das Vermögen im Osten kassiert hat, im Osten nicht mehr vertreten ist und jetzt glaubt, auf diese Art und Weise mit der Bevölkerung im Osten Deutschlands umspringen zu können.
Sie sind eine Regierung, die sich zusammensetzt aus
einer Regionalpartei und einer Westpartei, die nur
noch an die eigene Klientel denkt und daran, wie sie mit Versprechungen diese eigene Klientel bei der Stange halten kann. Eine solche Regierung ist unfähig, die Probleme Deutschlands zu lösen.
Seit Ludwig Erhard, so sagte Helmut Kohl am Beginn seiner Regierungszeit, wissen wir, daß in einer modernen, freien Volkswirtschaft Vertrauen in die Regierenden wichtigste Voraussetzung für eine positive Entwicklung der Wirtschaft ist. - Recht hatten Sie, meine Damen und Herren! Aber nachdem Sie nun 13 Jahre lang erzählt haben, daß die Arbeitslosigkeit sinken müsse, nachdem Sie 13 Jahre den ständigen Anstieg der Arbeitslosigkeit mitzuverantworten haben, nachdem Sie 13 Jahre zwar auf Eigenverantwortung gesetzt, aber Mitmenschlichkeit und Solidarität vergessen haben und mit dem Abbau der Solidarität beschäftigt sind, haben Sie das Vertrauen unserer Bevölkerung verspielt und sind nicht mehr in der Lage, die Probleme Deutschlands zu lösen.
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, müssen wir noch über die Erweiterung der Tagesordnung beschließen.
Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD zum Solidaritätszuschlag - Drucksache 13/ 3648 -
zu erweitern.
Der Antrag soll in dieser Debatte mitberaten werden; nach Beendigung der Aussprache soll über ihn namentlich abgestimmt werden.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Ich erteile jetzt dem Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CSU ist eine Partei,
die nur in Bayern kandidiert, in ganz Deutschland Verantwortung hat
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
und seit der deutschen Einheit mit mehr Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten ist als zuvor. Und sie ist eine Partei,
die insgesamt - mit ihrem Vorsitzenden - für die Einheit eingetreten ist: auf Punkt und Komma, mit vollem Einsatz -
im Gegensatz zu Ihrem sehr zögerlichen Eintreten für die Einheit, Herr Lafontaine, wenn ich Ihnen das mal sehr zurückhaltend vorhalten darf.
Die CSU ist eine Partei, die mit Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher damals durchgesetzt hat, daß heute ganz Deutschland in der NATO ist, während Sie das als Hirngespinst und illusionär bezeichnet haben. Das unterscheidet uns von Ihnen!
Meine Damen und Herren, das also war ein neuer Vorsitzender mit alten Ladenhütern,
ein Redner, der plötzlich auf die neuen Arbeitsplätze in den Vereinigten Staaten hinweist.
Lieber Herr Lafontaine, wollen Sie solche Arbeitsplätze in Deutschland, obwohl Sie wissen, daß die Löhne zum Teil unter dem Sozialhilfeniveau in Deutschland liegen? Wollen Sie das?
Das müssen Sie zum Ausdruck bringen. Wenn Sie dafür sind, dann müssen Sie bereit sein, das Lohnabstandsgebot, die Reform des Arbeitslosenhilferechts und die Reform des Sozialhilferechts mit uns durchzusetzen und nicht als Blockierer im Bundesrat in Erscheinung zu treten.
Sie sprechen über Jugendarbeitslosigkeit. Das ist in der Tat eines der bedrängendsten Probleme in der Welt. Aber dann müssen Sie von diesem Platz aus auch sagen, daß die Jugendarbeitslosigkeitsrate in Deutschland die geringste in Europa und in der Welt ist und damit ein Erfolg unserer Wirtschafts-, unserer Sozialpolitik.
Sie haben gefordert, Helmut Kohl solle sich bei Helmut Schmidt entschuldigen.
Wenn es in diesem Hohen Hause jemanden gibt, der sich bei Helmut Schmidt entschuldigen sollte, und zwar hier, dann sind Sie es, Herr Ministerpräsident Lafontaine.
Ich habe Verständnis dafür, daß Helmut Schmidt, als er auf der Autobahn erfuhr, daß Sie zum Vorsitzenden der SPD gewählt worden waren, die Bremse angezogen, kehrtgemacht hat und wieder nach Hause gefahren ist. Dafür habe ich volles Verständnis!
1983 bis 1989 sind in Deutschland durch unsere Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik 3 Millionen Arbeitsplätze zusätzlich entstanden. Sie wissen ganz genau, daß wir eine völlig andere Arbeitsmarktsituation hätten, wenn nicht im gleichen Zeitraum 3 Millionen Menschen von außerhalb Deutschlands hierher gekommen wären, die integriert werden mußten. Das ist doch die Herausforderung, das ist die ehrliche Bilanz.
Sie vermissen in unserem Programm Aussagen zum Umweltschutz. Nehmen Sie einmal zur Kenntnis, daß wir zum Beispiel die Mittel der KfW für das CO2-Reduzierungsprogramm von 2 Milliarden DM auf 4 Milliarden DM erhöhen werden und damit einen ganz wichtigen Beitrag zum Umweltschutz leisten.
Wer für feste Wechselkurse sein will, Herr Ministerpräsident,
der muß für die Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion in Deutschland eintreten;
denn nur dann gibt es feste Wechselkurse. Wer daran aber Zweifel läßt, der muß natürlich wissen, daß, wenn die Konvergenz in den anderen Ländern und bei uns nicht konsequent weitergeht, Irritationen auf den Devisenmärkten entstehen. Es gibt keine Macht der Welt - nicht einmal die der Staatskanzlei in Saarbrücken -, die dann feste Wechselkurse garantieren könnte. Ich nehme an, daß Ihnen das zwischenzeitlich vielleicht irgend jemand erzählt hat.
Und langfristige Zinsen, Herr Lafontaine, bilden sich am Kapitalmarkt. Sie bilden sich auf Grund des Vertrauens in die Finanz-, in die Währungs- und in die Geldpolitik. Wenn wir im Augenblick die niedrigsten langfristigen Zinsen seit vielen Jahren haben, dann ist das die beste Voraussetzung, um gerade
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
jetzt die Investitionskonjunktur beschleunigen zu können.
Herr Ministerpräsident Lafontaine, ich hätte Ihnen wirklich einen besseren Einstieg gewünscht - aber das war's wohl nicht.
Da sind uns - das muß ich ehrlich sagen - doch wieder wehmütige Erinnerungen an Scharping gekommen. So ändern sich die Zeiten!
Das wirtschafts- und finanzpolitische Problem der nächsten Jahre ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Dazu brauchen wir Kreativität und Phantasie, aber auch Stetigkeit und Verläßlichkeit in der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik. Dem entsprechen das „Bündnis für Arbeit und Standortsicherung" vom 23. Januar und das „Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze".
Die deutsche Finanzpolitik hat die Pflicht, mit ihren Möglichkeiten zur Lösung dieser Aufgabe beizutragen und die beschlossenen Maßnahmen zu flankieren. Die Basis für den Erhalt der bestehenden und für die Schaffung neuer Arbeitsplätze ist ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum. Ohne gesunde Staatsfinanzen, ohne eine verläßliche und solide Finanzpolitik kann diese Basis nicht gesichert werden.
National und international hat sich die Erkenntnis durchgesetzt: Die Konsolidierung der Staatsfinanzen ist kein Widerspruch zur Schaffung von Arbeitsplätzen, sondern die Voraussetzung dafür. Der Internationale Währungsfonds, die G 7, die Europäische Union, die Kommission - alle sagen, daß nur auf der Basis der Konsolidierung, nur dann, wenn der Staat den Kapitalmarkt nicht zu stark in Anspruch nimmt, wenn genügend Ersparnisbildung für private Investitionen zur Verfügung steht, ein verläßliches, dauerhaftes, inflationsfreies Wachstum entstehen kann. Schuldenfinanzierte Beschäftigungsprogramme kommen nicht in Frage.
Sie, Herr Lafontaine, haben diesen alten Ladenhüter in den letzten Wochen wieder aufgegriffen und mußten sich dann von Frau Matthäus-Maier, von Herrn Bürgermeister Voscherau und von anderen zurückpfeifen lassen, weil Sie offensichtlich seit den 70er Jahren wirtschaftspolitisch nichts, aber auch gar nichts dazugelernt haben.
Diese „Politik der Strohfeuer" hat nur Schulden, Inflation und Stagnation hinterlassen. Das war die Bilanz der 70er Jahre. Genau diese Bilanz ist durch die Finanzpolitik unter Helmut Kohl und Gerhard Stoltenberg verändert worden: zu einem dauerhaften
Wachstum, zu Konsolidierung und zur Schaffung von 3 Millionen zusätzlichen Arbeitsplätzen.
Meine Damen und Herren, die Arbeitslosigkeit - das wird niemand bestreiten - ist heute vor allem strukturell bedingt. Mit dem Vorschlag eines „Bündnisses für Arbeit" haben die Gewerkschaften die Ursachen anerkannt und ihren Beitrag zu ihrer Behebung geleistet.
- Über unseren wird eben debattiert. - Zu den Ursachen gehören starre Lohn- und Arbeitszeitsysteme, Überlastungen der sozialen Sicherungssysteme und - als Folge - zu hohe Lohnnebenkosten, zuviel Bürokratie und Regulierung, überhöhte Lohnabschlüsse, aber auch Technik- und Fortschrittsfeindlichkeit, Marktzutrittsbarrieren für junge, innovative Unternehmen und einiges mehr. Dazu gehört auch eine in den letzten Jahren durch die Kosten der Einheit zwangsläufig angestiegene Steuer- und Abgabenlast sowie die Existenz einer „Arbeitsplatzvernichtungssteuer" wie der Gewerbekapitalsteuer.
Herr Lafontaine und meine Damen und Herren von der SPD, wenn Sie wirklich einen Beitrag dazu leisten wollen, daß wir sehr schnell - und nicht mit der durch Sie verschuldeten Verzögerung von einem Jahr - in der Steuerpolitik vorankommen, dann stimmen Sie der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, der Reduzierung der Gewerbeertragsteuer, dem Wegfall der Vermögensteuer, einer vernünftigen Reform der Erbschaftsteuer und einer Reduzierung des Solidaritätszuschlages zu.
Das ist ein entscheidender Beitrag für Konjunktur, für Wachstum und für mehr Arbeitsplätze.
Allein eine Zinssenkung - oder umgekehrt eine Zinserhöhung - von 1 Prozent belastet oder entlastet die Betriebe um netto 6 bis 7 Milliarden DM. Um voranzukommen, müssen wir entschlossen sparen, Wachstum sichern und die Bürger entlasten.
Der Bund wird mit den Gebietskörperschaften über einen Nationalen Stabilitätspakt beraten. Von „Kaputtsparen" kann überhaupt keine Rede sein. Immerhin bringt das Jahressteuergesetz 1996 eine Nettoentlastung von rund 19 Milliarden DM, und der Wegfall des Kohlepfennigs bedeutet für die Bürger eine weitere Entlastung von etwa 7 Milliarden DM.
Mit seinem Defizit von 60 Milliarden DM liegt der Bund auch über dem Niveau des Jahres 1995. Hier gibt es also konjunkturell expansive Impulse in einem vertretbaren Umfang. Ein stetiger Konsolidierungskurs wirkt nach aller Erfahrung der 80er Jahre eher expansiv.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Bei den Sozialversicherungen muß das Ziel der Beitragsstabilität und -begrenzung sichergestellt werden. Wir wollen den Sozialversicherungsgesamtbeitrag mittelfristig von jetzt 41 auf unter 40 Prozent zurückführen.
Aus dem Bundeshaushalt werden in beträchtlichem Umfang Leistungen für die Sozialversicherung erbracht: Von 1991 bis 1995 waren es 257 Milliarden DM für die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten. Noch beachtlicher ist der Zuschuß des Bundes zur knappschaftlichen Rentenversicherung. Mit 64 Milliarden DM in den Jahren 1991 bis 1995 trug der Bund fast drei Viertel der Ausgaben. Und nicht zuletzt sind von 1991 bis 1995 Bundeszuschüsse von 57 Milliarden DM an die Bundesanstalt für Arbeit geflossen.
Wir wissen: Es ist ein struktureller Umbau notwendig, um die Konsolidierung des Sozialsystems herbeizuführen und es finanzierbar zu behalten. Was der Bund im Bereich der Sozialpolitik tut, zeigt auch ein Blick in den Haushalt: Der Anteil der Sozialausgaben an den Bundesausgaben stieg von 27,2 Prozent in 1990 auf 36,7 Prozent im Jahr 1995.
Ich rate dem Vorsitzenden der SPD und allen Kolleginnen und Kollegen der SPD einen Blick über unsere Grenzen, vor allen Dingen dorthin in Europa, wo Sozialdemokraten regieren.
Seit 1990 ist in Schweden der überbordende Wohlfahrtsstaat radikal zurückgeschnitten worden. Soeben wurden in einem weiteren Schritt die Lohnfortzahlung, das Kindergeld und bestimmte Rentenbestandteile gesenkt; der Eigenanteil an der Krankenversicherung wurde erhöht. Das Arbeitslosengeld für Arbeitslose unter 20 Jahren wurde gestrichen, die Wohnungsmietbeihilfe für Rentner gekürzt.
In den Niederlanden ist die Eigenbeteiligung im Gesundheitswesen deutlich erhöht worden. Die Anspruchskriterien für Arbeitsunfähigkeitsrenten wurden verschärft, Sozialleistungen und die Versorgungsbezüge von der Lohnentwicklung abgekoppelt. Die Leistungen beim Kindergeld und bei der Arbeitslosenversicherung wurden eingeschränkt; die Studienförderung wurde reduziert.
In Schweden, in den Niederlanden und auch in anderen Ländern waren solch radikale Schritte möglich. Diese Einsicht und diesen Konsens wünsche ich mir auch in Deutschland, wenn wir über notwendige Strukturreformen bei den sozialen Sicherungssystemen reden.
Meine Damen und Herren, jetzt bin ich gerne bereit, etwas zum Solidaritätszuschlag zu sagen.
Herr Ministerpräsident Lafontaine, Sie sind auf die Vorgeschichte, auf die Umstände bzw. die Zahlen leider nur sehr kursiv eingegangen. Der Solidaritätszuschlag soll am 1. Juli 1997 von 7,5 auf 5,5 Prozent sinken - ohne zusätzliche Schulden, ohne eine Beeinträchtigung der Finanztransfers des Bundes in die neuen Länder.
Ein entscheidender Finanzbeitrag für die Rückführung des Solidaritätszuschlags muß von den Ländern kommen. Die Mehrwertsteueranteile, die den Bundesländern für den Finanzausgleich zur Verfügung gestellt wurden, müssen in dem Maße zurückgeführt werden, in dem sie zur Vorabauffüllung im Länderfinanzausgleich nicht mehr benötigt werden. Jetzt zeigt sich, ob klare Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern und eigene Zusagen eingehalten werden.
Die Bundesregierung hat immer auf die Mitverantwortung der Länder bei der Rückführung des Solidaritätszuschlags hingewiesen. Dies findet seine Berechtigung in Inhalt und Ablauf der Solidarpaktgespräche im März des Jahres 1993. Damals wurde eine große, gemeinsame Anstrengung unternommen, um die neuen Bundesländer ab 1995 als vollwertige Mitglieder in den Kreis der Länder der Bundesrepublik einzubeziehen. Der Bund hat damals unter Inkaufnahme großer eigener Belastungen eine Vereinbarung mit den Ländern getroffen, um eine schnelle Lösung zu erreichen und eine krisenhafte Zuspitzung für den Föderalismus zu vermeiden.
Vor dem Hintergrund konjunktureller Schwierigkeiten mußte damals eine auf Dauer angelegte tragfähige Basis für die Finanzpolitik in Deutschland geschaffen werden. Für den Bund stand dabei im Vordergrund, die neuen Länder zu funktionsfähigen Organisationen mit eigenständiger Finanzierungsbasis auszustatten und sie von der Alimentation durch den Fonds Deutsche Einheit zu befreien. Daneben mußte ein Konzept für die Bewältigung der Erblast der ehemaligen DDR gefunden werden.
Damals wurde die Solidarpaktvereinbarung von den neuen und alten Ländern als eine angemessene Antwort auf die Herausforderungen der gesamtdeutschen Zukunft gewertet.
So erklärte Ministerpräsident Biedenkopf am 16. März 1993: „Die Tür nach Bonn ist zu." Politiker aus den alten Ländern, auch aus SPD-geführten, zeigten sich über die Neuregelung des Finanzausgleichs erleichtert.
Der Solidaritätszuschlag ist in seiner Entstehung unmittelbar mit den damals anstehenden Problemstellungen verbunden. Der Bund war seinerzeit mit einer Lastenteilung zwischen Bund und Westländern im Verhältnis von 43 Milliarden DM Bund zu 28 Milliarden DM Westländer in die Gespräche gegangen. Dabei hatte er als Teilfinanzierungsinstrument einen Solidaritätszuschlag in Höhe von 3,5 Prozent vorgeschlagen. Nach dem Stand vom 16. März 1993 ergab sich eine Belastung für den Bund in Höhe von 51 Milliarden DM und für die Westländer in Höhe von 5 Milliarden DM. Die alten Länder wollten ihre eigene Belastung möglichst
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
gering halten. Von ihnen kam der Vorschlag, den Solidaritätszuschlag auf 7,5 Prozent festzusetzen.
Von einem öffentlichen Finanztransfer für Ostdeutschland in Höhe von rund 1 Billion DM im Zeitraum von 1991 bis 1996 trägt der Bund einen Anteil von rund 70 Prozent - auf die Länder entfallen gut 5 Prozent.
Der Bund hatte für die Sicherstellung der Finanzausstattung der neuen Länder ein System mit einer Lastenteilung zwischen Bund und Ländern vorgeschlagen, bei dem sich ein finanzieller Minderbedarf in den neuen Ländern auf Grund ihrer absehbaren überproportionalen Steuerzuwächse automatisch als Entlastung bei Bund und Westländern ausgewirkt hätte. Die Länder haben demgegenüber eine Vorabanhebung der Steuerkraft der neuen Länder durch Bundesmittel verlangt, um ihre Lasten im horizontalen Finanzausgleich zu begrenzen. Dafür hat der Bund den Ländern sieben zusätzliche Umsatzsteuerpunkte überlassen, die im horizontalen Finanzausgleich an die neuen Länder weitergereicht werden sollten.
Den Ländern war bekannt: Ein Minderbedarf bei der Vorwegauffüllung der Finanzkraft der neuen Länder mindert automatisch die notwendigen Transfers der alten Länder. Im Bundesratsbeschluß vom 26. März 1993 - Bundesrats-Drucksache Nr. 163/93 - heißt es dazu wörtlich:
Ändert sich in den Folgejahren die Steuerkraft der Ländergesamtheit aufgrund der tatsächlichen Entwicklung in den neuen Ländern, ist die Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländern gemäß Artikel 106 Absatz 4 Grundgesetz anzupassen.
Ich will Sie, Herr Ministerpräsident, weil Sie vom Kollegen Struck etwas davon abgehalten worden sind
- selbstverständlich -, aufmerksam zuzuhören, nochmals an die Bundesrats-Drucksache vom 26. März 1993 erinnern, die eine für den Bundesrat und die Ländermehrheit bindende institutionelle, parlamentarisch-politische Verpflichtung darstellt. Dort heißt es:
Ändert sich in den Folgejahren die Steuerkraft der Ländergesamtheit aufgrund der tatsächlichen Entwicklung in den neuen Ländern, ist die Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländern gemäß Artikel 106 Absatz 4 Grundgesetz anzupassen.
Genau daran hält sich die Koalitionsvereinbarung, und genau daran orientiert sich unser Koalitionsbeschluß.
Mit dem Bundesratsbeschluß ist dokumentiert: Die Länder haben einen Zusammenhang zwischen der Übertragung von Umsatzsteuerpunkten durch den Bund und den Anforderungen des Finanzausgleichsystems zugunsten der neuen Länder von Anfang an gesehen und anerkannt. Heute müssen sie sich an den damals von ihnen selbst gesetzten Konsequenzen festhalten lassen. Dies war und ist eine parlamentarisch verbindliche, politische Zusage, deren Einhaltung gegenüber Bundesrat, Bundestag und Bürgern jetzt ansteht.
Die Länder konnten die ihnen abgetretenen sieben Umsatzsteuerpunkte nicht als ihren dauerhaften Besitzstand betrachten. Es ging bei den Solidarpaktverhandlungen nicht um eine Stärkung der Finanzkraft der alten Länder, sondern ausschließlich um die Sicherstellung einer hinreichenden Finanzausstattung für die neuen Länder.
Dem muß sich die Verteilungsfrage bei den im Zeitablauf veränderten Finanzstrukturen zwischen alten und neuen Ländern anpassen. Ein Blick auf die finanzielle Ausgangssituation des Jahres 1993 mit höchst unterschiedlichen Defizit- und Zinslastquoten beim Bund und bei den Westländern beweist dies. Die Defizitquote des Bundes betrug 1993 14,6 Prozent, die der alten Länder ohne Berlin 6,3 Prozent. Die Zinsausgabenquote des Bundes lag bei 10 vom Hundert und die der alten Länder bei 8,1 vom Hundert.
Meine Damen und Herren, das wird auch von einem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen vom Dezember 1995 klar und eindeutig bestätigt. Dieses Gutachten wurde von 25 namhaften Professoren der Wirtschaftswissenschaften und des Verfassungsrechts erstellt. Der Beirat schreibt:
Dem Bund sind infolge der Wahrnehmung seiner Aufgaben in den neuen Bundesländern in erheblichem Umfang zusätzliche Ausgaben erwachsen. Was er zusätzlich an Steuern aus den neuen Bundesländern erhalten hat, ist hingegen vergleichsweise gering. Er ist in der Höhe der Differenz seiner Ausgaben in den neuen Bundesländern und seiner dort eingehenden Steuern belastet - von 1990 bis 1994 schon mit nahezu 280 Milliarden DM. Soweit die Ausgaben kreditär finanziert worden sind, ist diese Last auch dauerhaft.
Die finanzielle Lage des Bundes ist 1995 - trotz Erhebung des Solidaritätszuschlages und erheblicher Konsolidierungserfolge - auch durch Übernahme der Annuitäten für den Erblastentilgungsfonds weiterhin angespannter als die in den alten Ländern. Die Defizitquote des Bundes beträgt im Soll 10,4 vom Hundert, die der alten Länder 6,9 vom Hundert. Die entsprechenden Zinsquoten betragen: Bund - unter Berücksichtigung des Erblastentilgungsfonds - rund 19 vom Hundert, Länder 8,1 vom Hundert.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Nach den Solidarpaktvereinbarungen hat der Bund 1995 folgende Lasten übernommen: Übertragung von sieben Umsatzsteuerpunkten mit einem Nettovolumen von 14,5 Milliarden DM. Daneben zahlt der Bund im Rahmen des Länderfinanzausgleichs Fehlbetrags-Bundesergänzungszuweisungen in Höhe von rund 5 Milliarden DM, Bundesergänzungszuweisungen für die politische Führung in kleineren Ländern in Höhe von 1,5 Milliarden DM, Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen an die neuen Länder in Höhe von 14 Milliarden DM für 10 Jahre sowie Finanzhilfen für die neuen Länder zur Stärkung ihrer Investitionskraft in Höhe von 6,6 Milliarden DM ebenfalls für 10 Jahre.
Meine Damen und Herren, wo hat sich Solidarität wirklich noch bemerkbar gemacht? Eigentlich wäre der Ausgleich einer Notstandshaushaltslage im Saarland und in Bremen eine Angelegenheit von Bund und alten Ländern gewesen. Der Bund hat Sanierungshilfen allein für das Saarland und für Bremen in Höhe von jährlich insgesamt 3,4 Milliarden DM für eine Dauer von 5 Jahren übernommen.
Herr Ministerpräsident Lafontaine, wenn es in der Politik politischen Anstand gibt, dann hätten Sie hier einmal ein Dankeschön an den Bund aussprechen müssen dafür, daß Sie im Saarland überhaupt weiterregieren können.
Sie holen jedes Jahr über 2 Milliarden DM vom Bund ab; ein Drittel Ihres Haushalts wird durch Bundesmittel finanziert. Dann stellen Sie sich hin und werfen uns die Schulden vor; das ist eine politische und menschliche Unverfrorenheit.
Damit wird klar: Der Solidaritätszuschlag dient nur der Teilfinanzierung der Gesamtbelastungen des Bundes. Es ist nicht akzeptabel, die Rückführung des Solidaritätszuschlags dem Bund zu überlassen, während Ersparnisse der Westländer unangetastet bleiben sollen. Heute ist nach internen Schätzungen des Bundesfinanzministeriums erkennbar: Die an die Länder übertragenen sieben Umsatzsteuerpunkte entsprechen 1997 einem Betrag von 19 Milliarden DM. Nach Abzug von 2,5 Milliarden DM für den Fonds Deutsche Einheit stehen damit den Ländern 16,5 Milliarden DM zur Verfügung.
Der West-Ost-Transfer beläuft sich demgegenüber auf nur 13,5 Milliarden DM. Damit bekommen die alten Länder 3 Milliarden DM mehr, als sie an die neuen Länder weitergeben müssen.
Ich sage ohne Vorwurf - ganz ruhig, ganz sachlich -: Die Länder haben kein Recht, sich jetzt von der damaligen Zusage und aus dem damaligen Zusammenhang zu lösen und diesen Überschuß zurückzuhalten.
Die Bürger haben Anspruch darauf, daß diese Mittel für die baldmögliche Zurückführung des Solidaritätszuschlags eingesetzt werden. Der Bund hat sich bereit erklärt, zu diesen 3 Milliarden DM eine weitere Milliarde durch Einsparungen hinzuzufügen und damit den Solidaritätszuschlag ab Mitte 1997 zu senken. Niemand braucht zu befürchten, daß die neuen Bundesländer durch die Rückübertragung benachteiligt werden. Es bleibt bei einer überproportional steigenden Steuerkraft in den neuen Ländern. Sie verfügen über rund 110 Prozent der Pro-KopfEinnahmen der Westländer und sind auf Grund ihrer Einnahmensituation und ihrer Ausgabenstruktur zu Investitionen auf einem Niveau von etwa 200 Prozent desjenigen der Westländer in der Lage.
Der Bund steht zu seiner Verantwortung für die neuen Länder. Insgesamt flossen an öffentlichen Finanztransfers zwischen 1991 und 1995 820 Milliarden DM brutto in die neuen Länder. 1996 kommen noch einmal 180 Milliarden DM hinzu. Etwa zwei Drittel des Bruttotransfers hat allein der Bund übernommen.
Die finanzielle Unterstützung des wirtschaftlichen Auf- und Ausbauprozesses in Ostdeutschland wird den Bundeshaushalt auch 1997 und in den Folgejahren maßgebend prägen. Dabei entfällt weiterhin ein hoher Anteil auf die Investitionsausgaben: auf das Investitionsförderungsgesetz, die Gemeinschaftsaufgabe „Wirtschaftsförderung Ost" und die Verkehrsinvestitionen. Von den gesamten Bruttotransfers in Höhe von 820 Milliarden DM entfällt rund ein Fünftel auf beitragsfinanzierte Sozialtransfers. Der Rest ist direkt oder indirekt steuerfinanziert.
Meine Damen und Herren, neben dem Abbau des Solidaritätszuschlags müssen weitere Schritte der Entlastung bei den Steuern folgen. Eine dauerhaft überhöhte Belastung der Leistungsträger und der Betriebe beeinträchtigt die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland. Alle diejenigen, die in Sonntagsreden von einer Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Standort Deutschland sprechen, sind jetzt aufgefordert, mit uns zu handeln.
- Gemach, gemach. Ich komme gleich auf Sie zurück.
In der Pressemitteilung der SPD vom 6. November 1995 wird von einer Arbeitsgruppe der SPD unter der Leitung von Ministerpräsident Lafontaine ein Vorschlag für einen Initiativantrag unter dem Titel „Arbeitsplätze für Deutschland" vorgestellt.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Beteiligt waren unter anderem Frau Matthäus-Maier, Finanzminister Schleußer, Ministerpräsident Schröder, Ministerpräsidentin Simonis, der Erste Bürgermeister der Freien Hansestadt Hamburg und jetzige Koordinator der SPD für Finanzpolitik, Henning Voscherau. In dem Vorschlag ist wörtlich nachzulesen:
Die jetzige Rekordbelastung bestraft die berufliche Leistung, nimmt den Anreiz für Weiterbildung und Aufstieg und fördert den Marsch in die Schattenwirtschaft.
Unser Ziel ist eine schrittweise Rückführung der Steuer- und Abgabenbelastung auf der Grundlage solider Staatsfinanzen.
Es kommt noch besser: Das wiederholt Ministerpräsident Lafontaine im „Handelsblatt" am 29. Dezember 1995. In der „Zeit" vom 12. Januar 1996 sagt Henning Voscherau:
Wir Sozialdemokraten sollten uns daher vornehmen, die Rolle einer Steuergerechtigkeits- und Steuersenkungspartei einzunehmen.
- Herr Scharping, Sie klatschen zu früh. Sie kommen auch noch dran. Sie können sich beklatschen, wenn ich Sie zitiere.
Und schließlich Rudolf Scharping in der „Welt" vom 30. Januar 1995:
Der Solidaritätszuschlag muß weg, je schneller, desto besser.
Das war übrigens auch die Zeit, zu der der hessische Ministerpräsident Hans Eichel eine Bundesratsinitiative zum Abbau des Solidaritätszuschlages angekündigt hatte. Jetzt können Sie Ihren Worten endlich Taten folgen lassen. Unterstützen Sie uns!
Sie wissen ganz genau, Herr Ministerpräsident Lafontaine, daß wir den Gemeinden zugesagt haben, der Wegfall der Gewerbekapitalsteuer werde voll ausgeglichen, und keine Stadt und keine Gemeinde werde benachteiligt, in der Übergangszeit und danach. Sie wissen auch ganz genau, daß die Beteiligung an der Umsatzsteuer für die Kommunen eine echte qualitative Verbesserung ihrer Finanzausstattung darstellt und besser ist, als an der konjunkturabhängigen Gewerbesteuer in dem bisherigen Maße
beteiligt und von ihr abhängig zu sein. Das wissen Sie sehr wohl.
Wenn Sie eine Entlastung für die Gemeinden wollen, dann blockieren Sie nicht das Asylbewerberleistungsgesetz, dann blockieren Sie nicht das Sozialhilferecht, das notwendig ist, um eine Entlastung für die Gemeinden herbeizuführen.
Auch ich habe mir, Herr Lafontaine, einen Nobelpreisträger ausgesucht, nämlich Robert Lucas, den Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaft. Er hat gesagt:
Es ist die wichtigste Aufgabe der Geld- und Fiskalpolitik, der Wirtschaft eine stabile und vorhersehbare Umgebung zu schaffen.
Dies ist nicht nur das Credo eines Nobelpreisträgers, sondern auch der Kern unserer finanzpolitischen Philosophie.
Wir setzen auch in Zukunft auf die Kräfte des Marktes. Wir wollen dem Bürger und der Wirtschaft Luft zum Atmen zurückgeben und den Staat auf den Kern seiner Aufgaben reduzieren.
Unternehmergeist und Eigeninitiative schaffen produktive Arbeitsplätze. Sie lassen sich nicht durch Verwaltungsakte herbeiverordnen. Der Bund kann nicht so handeln wie das Saarland, nämlich dann, wenn er pleite ist, nach einer anderen Organisation rufen und sich von daher das Geld geben lassen.
Wir brauchen Freiheit für unternehmerisches Handeln innerhalb eines stabilen rechts-, sozial-, wirtschafts- und finanzpolitischen Rahmens. Diese Freiheit müssen wir durch einen neuen gesellschaftspolitischen Konsens zurückgewinnen. Wir haben die Verantwortung und die Pflicht, diese Chance zu nutzen und damit die Zukunft zu gestalten.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Marieluise Beck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister, diese Debatte heute morgen ist angekündigt worden - sie wird auch für die Öffentlichkeit angekündigt - als die Debatte gegen Arbeitslosigkeit. Die Öffentlichkeit hat wirklich ein
Marieluise Beck
Recht darauf zu erfahren, wie nun die Politik nach dem Vorstoß der Gewerkschaften gedenkt, sich in die Lösung dieses Problems einzumischen, das uns seit zehn Jahren begleitet.
Sie verwendeten Ihre Rede im wesentlichen Teil darauf, hier in das Gezerre zwischen Bund und Ländern über die Finanzierung einzugreifen und ellenlang darzulegen, zu welchen Prozentsätzen wer was bekommt. Was meinen Sie eigentlich, wie das draußen in der Öffentlichkeit wirkt?
Die Menschen haben wirklich ein Recht darauf, von uns zu erfahren, wo wir politisch hinsteuern wollen. Jeder wird uns abnehmen, daß niemand wirklich die volle Antwort auf die Beseitigung von millionenfacher Arbeitslosigkeit hat. Jeder weiß das. Aber daraus ergibt sich ein Recht auch auf nachdenkliche Töne aus diesem Parlament. Dem müssen wir heute Rechnung tragen, weil wir sonst wirklich dazu beitragen, daß sich die Menschen noch enttäuschter von der Politik abwenden, als sie es sowieso schon tun. Das ist eine bedrohliche Entwicklung für den Parlamentarismus.
Mit ihrem Vorstoß zu einem „Bündnis für Arbeit" haben die Gewerkschaften einen mutigen Schritt getan: mutig, weil die Gewerkschaften mit diesem Schritt die Verantwortung für die ganze Gesellschaft übernommen haben, das heißt sowohl für diejenigen, die Lohnarbeit haben, als auch für diejenigen, die von der Teilhabe am Erwerbseinkommen ausgeschlossen sind. Das sind bekanntlich fünf bis sechs Millionen Menschen in diesem Land.
Selbst wenn es viele Wenn und Aber gibt, selbst wenn absehbar war, daß sowohl die Unternehmen als auch die Bundesregierung versuchen würden, ihren Honig aus diesem Angebot zu saugen, war es richtig, alle gesellschaftlichen Kräfte darauf zu verpflichten, daß wir nicht weiterhin zur Tagesordnung übergehen dürfen, solange Millionen von Menschen in diesem Land gegen ihren Willen von Erwerbstätigkeit und damit von Einkommen ausgeschlossen sind.
Was ist nun seit der denkwürdigen Rede des IG-Metall-Vorsitzenden Zwickel passiert? Es gibt eine vage Zusage der Unternehmen, den Abbau von Überstunden - ich würde einmal sagen - zu prüfen und dann möglicherweise Neueinstellungen herbeizuführen. Es gibt einen verstärkten Druck der Unternehmensseite, die Lohnnebenkosten zu senken und die Deregulierung der Arbeitsverhältnisse zu beschleunigen. Hierbei war eben hochinteressant, daß Herr Waigel gesagt hat: Vorsicht vor dem Modell USA mit der Deregulierung, das dazu führt, daß die Einkommen nicht mehr existenzsichernd sind. Dies
geht an Ihre Adresse, Herr Louven. Sie haben anscheinend in der Koalition noch einiges unter sich zu klären.
Es gibt nun ein geradezu beängstigendes Versprechen nach der Kanzlerrunde, nämlich die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 auf 2 Millionen herabzusenken. „Beängstigend" sage ich deswegen - ich wünsche es mir von Herzen, daß Ihnen das gelingt -, weil es eine riesengroße Verantwortung ist, so ein Versprechen zu machen, ohne wirklich zu wissen, wie Sie es einlösen wollen.
Das, was Sie jetzt in dem 50-Punkte-Programm nachgeschoben haben, hat bewiesen, daß es bisher kaum feste Vereinbarungen bei Ihnen gibt.
Nur unter wenigen Punkten finden sich klare Aussagen. Im Bereich der Sozialleistungen sind Sie sich einig, daß mit der Senkung der Arbeitslosenhilfe und der Verkürzung des Arbeitslosengeldes der Rotstift noch einmal angesetzt werden soll; auch die Frühverrentung steht zur Disposition. Das meiste andere fällt unter den Begriff der Ankündigungen. Der Subventionsabbau: eine Prüfsache. Das kennen wir doch schon seit zehn Jahren. Die Tarifreform der Einkommensteuer: verschoben auf 1998. Dann dieses unwürdige Spielchen mit der Senkung des Solidarzuschlags: offensichtlich ein Versuch, der F.D.P. zur Gesichtswahrung zu verhelfen, weil man ihr bei den Landtagswahlen keine Zweitstimmen zuschustern kann und heute schon in der Zeitung steht: neuer Koalitionsstreit um Abbau bei der Solidarabgabe. Ist das die Verläßlichkeit, von der Sie eben gesprochen haben, Herr Waigel? Das glaubt Ihnen doch kein Mensch.
Der Begriff „Arbeit und Umwelt" kommt in diesen 50 Punkten nicht vor. Sie beklagen die hohen Lohnnebenkosten. Sie behaupten, Arbeit müsse billiger werden. Aber Sie verweigern sich hartnäckig dem Steuersystem, das das knappe Gut Energie verteuern und das reichlich vorhandene Gut menschlicher Arbeit verbilligen würde. Sie verweigern sich der Ökosteuer, die in doppelter Hinsicht neue Perspektiven eröffnen würde. Erstens. Eine Besteuerung von Energie und Rohstoffen hätte unzweifelhaft einen großen Innovationsschub in den Bereichen zur Folge, die Einsparung und Optimierung des Ressourceneinsatzes bewirken. Was meinen Sie, wie schnell die Automobilindustrie das Dreiliterauto auf dem Markt hätte, wenn wir endlich eine Ökosteuer hätten, und was das für neue Exportchancen für diese Republik eröffnen würde?
Zweitens. Mit einem Teil des Ökosteueraufkommens können die Lohnnebenkosten gesenkt, das
Marieluise Beck
heißt der Produktionsfaktor Arbeit entlastet und damit mehr Beschäftigung geschaffen werden. Noch 1970 entfielen 12 Prozent der Abgaben auf den Naturverbrauch, 17 Prozent auf die Lohnsteuer und 28 Prozent auf Sozialabgaben. 1993 entfielen nur noch 9 Prozent Abgaben auf den Naturverbrauch, dahingegen 24 Prozent auf die Lohnsteuer und 38 Prozent auf die Sozialabgaben. Sie haben eine stete Politik der antiökologischen Steuer betrieben. Sie haben konsequent den Verbrauch von Natur verbilligt und die Arbeitskraft verteuert.
Jetzt jammern Sie über die Kosten der Arbeit.
Es ist für jeden, der an Zukunft denkt, der verstanden hat, daß neben der Frage der Beschäftigungslosigkeit auch ökologische Fragen drängend sind, wirklich zum Verzweifeln, daß ein Instrument - die Ökosteuer -, welches nicht nur ökologisch vernünftige Folgen hat, sondern auch noch einen ökonomischen Modernisierungsschub mit sich bringt und der Kostenentlastung des Faktors Arbeit dient, nicht eingesetzt wird, sondern Sie sich ihm nach wie vor verweigern. Statt dessen wird nach den Landtagswahlen - das weiß jeder in diesem Land - die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf der Tagesordnung stehen, einer Steuer, die in ihrer Verteilungswirkung äußerst unsozial ist und die Kaufkraft abschöpft.
50 Punkte mögen nach Tatkraft klingen, besonders wenn die SPD nur 12 Punkte vorgelegt hat. 100 Punkte wären vielleicht noch beeindruckender gewesen. Aber alle Punkte helfen nichts, wenn die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht bereit ist, sich nach dem Papier zu verhalten.
Unsere Krise der Arbeit ist doch nicht wirklich eine Krise auf Grund eines Mangels. Die Krise der Arbeit entsteht doch vor allem, weil wir in immer kürzerer Zeit immer mehr produzieren können. Unsere Gesellschaft leidet doch in weiten Teilen an einer Überproduktionskrise. Die Probleme entstehen, weil es nicht zu einer gerechten Verteilung kommt. Weder wird die weniger werdende Lohnarbeit noch werden die Güter, die wir herzustellen in der Lage sind, gerecht verteilt. Eigentlich haben wir eine Verteilungskrise. Das fordert die Politik zu neuen Antworten heraus.
Die dritte industrielle Revolution, der Einsatz neuer Technologien und damit auch neuer Produktionsorganisation führt zu einer dramatischen Beschleunigung der Produktion und damit zu einer extremen Rationalisierung. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, daß selbst normale volkswirtschaftliche Wachstumsraten nicht den Verlust an Arbeitsplätzen
ausgleichen können, den diese Beschleunigung mit sich bringt.
Wie können Sie uns denn, nachdem zehn Jahre lang trotz Wachstum die Beschäftigungslosigkeit geblieben ist, dieses Modell noch einmal zur Lösung der Krise der millionenfachen Erwerbslosigkeit anbieten?
Auch der Dienstleistungsbereich, auf den Sie immer verweisen, der eine Kompensation mit sich bringen soll, ist in größtem Ausmaß von Rationalisierungen betroffen. Allein die Deutsche Bank will in den nächsten zwei Jahren 11 000 Arbeitsplätze abbauen. Das entspricht 23 Prozent der Beschäftigten.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns mit der Verteilung der weniger werdenden Lohnarbeit befassen. Sonst wird es keine Antwort auf die Erwerbslosigkeit geben.
Wir haben es mit Wachstum ohne Beschäftigung zu tun, auch im Dienstleistungssektor. Damit ist das Ende der Illusion, daß wir wieder in den Bereich der Vollbeschäftigung wie in den 60er Jahren zurückgehen können, endlich eingeläutet. Lohnarbeit wird zum knappen Gut.
Auf diese Entwicklung gibt es zwei Antworten: Entweder Sie verfolgen das alte Modell der Vollzeiterwerbstätigen, die ihr ganzes Leben lang, 40 Jahre, 38 Stunden pro Woche arbeiten - die Konsequenz wird sein: ein immer kleiner werdender Teil der Gesellschaft, der an dieser Art von Erwerbsarbeit und Einkommen teilhaben kann -, oder Sie verteilen das knappe Gut Arbeit auf alle: auf Männer und Frauen, auf Hochleistungsfähige und auf weniger Leistungsfähige. Damit verteilen Sie auch das Erwerbseinkommen. Das ist die Idee des VW- Modells. Wir brauchen in dieser Gesellschaft das VW-Modell für die Verteilung von Arbeit und Einkommen.
In diesen Größenordnungen muß sich die Neuverteilung der Arbeit bewegen. Die Idee des Überstundenabbaus folgt dieser Logik. Es ist aber ein zaghafter Ansatz und bringt in der Dimension nicht das, was wir brauchen, wenn wir der millionenfachen Erwerbslosigkeit zu Leibe rücken wollen.
Natürlich wirft die Frage nach der Verteilung der Arbeit auch die nach der Verteilung des Einkommens auf. Hier sind sowohl die Tarifparteien als auch die Politik gefragt. Endlich müssen die Frauenlöhne so angehoben werden, daß sie der Sicherung der eigenen Existenz dienen. Hier liegen jahrelange Versäumnisse der Gewerkschaften.
Endlich muß aber auch anerkannt werden, daß ein großer Teil der Männerlöhne schon lange nicht mehr der Absicherung eines Familieneinkommens dient. Nur dann, wenn wir uns endlich auf bedarfsdecken-
Marieluise Beck
des Kindergeld einigen, können wir von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Verkürzung von Arbeitszeit und Einkommen erwarten. Nur dann, wenn die Familiensituation finanziell abgedeckt ist, ist das zumutbar.
Das stellt zudem Anforderungen an eine sozial ausgleichende und gerechte Steuerpolitik. Wir haben die Wahl zwischen dem „Viel für wenige" und dem „Weniger für alle". Bleibt es bei dem Viel für wenige, so muß das soziale Sicherungssystem von Jahr zu Jahr löchriger werden; denn bei einer geringer werdenden Zahl von Einzahlern auf der einen Seite und einer steigenden Zahl von Bedürftigen auf der anderen Seite ist klar, daß wir zu einer Krise des Sozialstaats kommen.
Die Krise des Sozialstaats ist nur zu lösen, wenn das Gleichgewicht zwischen einer großen Zahl von Gebenden und einer kleineren Zahl von Entnehmenden wiederhergestellt wird.
Verteilen Sie Arbeit und Einkommen um, meine Damen und Herren, und die Krise des Sozialstaats ist gelöst.
Die Alternative zur Ausgrenzung liegt in der Gerechtigkeit, und Gerechtigkeit fordert eben diese Umverteilung im egalitären Sinne.
Wir alle wissen, daß der demokratische und soziale Zusammenhalt unserer Gesellschaft durch die millionenfache Ausgrenzung durch Arbeitslosigkeit bedroht ist. Es ist ein heikler Weg, wenn auf die hohe Zahl der Ausländer hingewiesen wird, die bei uns noch immer Arbeitserlaubnisse bekommen, wie Staatssekretär Kraus dies gestern im Ausschuß getan hat.
Ich hoffe, Herr Scharping, daß es eine Falschmeldung war, daß Sie gestern im ZDF-Magazin die Überprüfung der Erteilung von Arbeitserlaubnissen an Ausländer angemahnt haben sollen. Niemand garantiert uns, daß der Kampf um das knappe Gut Lohnarbeit nicht harschere Formen annimmt. Niemand garantiert uns, daß der Wunsch nach Sündenböcken nicht wieder artikuliert wird. Wir dürfen nicht mit dem Feuer spielen, meine Damen und Herren. Deswegen müssen wir uns von kleinmütigen, punktuellen Debatten und Schuldzuweisungen, die einen sehr langen Bart haben, hier verabschieden.
Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der F.D.P., Dr. Hermann Otto Solms.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Lafontaine hat den Volksmund heute wieder bestätigt: Man soll den Bock nicht zum Gärtner machen.
Herr Lafontaine, wenn Sie als vom Bundesrechnungshof erwiesenermaßen erklärter Schuldenkönig unter den Ministerpräsidenten der Länder hier nach Bonn kommen und dem Gärtner, dem Bundesfinanzminister Theo Waigel, Ratschläge erteilen wollen, dann ist das schon eine Dreistigkeit und Unverschämtheit, die ihresgleichen sucht.
Seit 1985 hat nämlich der Haushalt des Saarlandes die höchsten Verschuldungssteigerungen erfahren, und in den Jahren zwischen 1994 und 1998, weil Sie Ihren Haushalt nicht mehr selbst finanzieren können, wird er durch Sonderzuweisungen des Bundes in Höhe von zusammengenommen 8 Milliarden DM bezuschußt. Ich kann Herrn Waigel gut verstehen, wenn er von Ihnen wenigstens ein Wort des Dankes dafür erwartet hätte. Das wäre auch angemessen gewesen, genauso wie die Entschuldigung gegenüber Helmut Schmidt wegen Ihrer unglaublichen Bemerkungen seinerzeit - ich will das gar nicht erneut alles aufzählen - zu Sekundärtugenden noch aussteht. Nein, meine Damen und Herren, so geht das nicht.
Herr Dr. Solms, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wagner?
Nein, im Moment nicht.
Ich will meine Gedanken im Zusammenhang vortragen. - Nach dieser lautstarken, aber inhaltsleeren Rede des Parteivorsitzenden der SPD muß auch dazu etwas gesagt werden können.
Ihre Nervosität ist ja gut verständlich, denn die Gespräche beim Bundeskanzler mit den Arbeitgebern und den Gewerkschaften haben einen Konsens erbracht, der zeigt, daß die Gewerkschaften die ideologischen Tabus der SPD bereits hinter sich gelassen haben.
Das wird zu guter Letzt noch dadurch bestätigt, daß der SPD-Gewerkschaftsrat - das ging ganz still und heimlich durch die Agenturen - diese Linie ebenfalls bestätigt hat. Deswegen können wir sagen: Lassen Sie sich beraten, auch von den Gewerkschaften, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Es geht darum, daß wir im Konsens mit den Tarifvertragsparteien die Rahmenbedingungen für mehr Wachstum und Beschäftigung verbessern, denn wenn alle am gleichen Strang in die gleiche Richtung ziehen, kommt natürlich mehr dabei heraus. Aber die Bundesregie-
Dr. Hermann Otto Solms
rung macht sich natürlich nicht von diesen Entscheidungen abhängig, sondern geht mit eigenen Entscheidungen voran, wie sie es jetzt mit dem 50-
Punkte-Programm tut, das Ihnen vorliegt.
Meine Damen und Herren, es geht eigentlich um zwei Konzepte. Die Bundesregierung, die Koalitionsparteien sagen: Wir brauchen mehr Entlastung von Steuern, von Abgaben, von Vorschriften und von Bürokratie, um mehr Freiraum zum Atmen für die Beschäftigten und für die Unternehmen zu schaffen, damit investiert wird und Arbeitsplätze geschaffen werden. Das ist das eine Konzept, und dazu machen wir Vorschläge.
Dann gibt es das Gegenkonzept von seiten der Opposition: mehr Steuern, Umverteilung, mehr Belastung, mehr Regulierung. Die Grünen versuchen, die SPD noch zu übertreffen.
Dieses Rezept führt ins Aus. Das können wir uns nicht mehr leisten.
Meine Damen und Herren, das letzte Argument, das dann immer bleibt - das haben die Debatten der letzten beiden Wochen auch gezeigt -, heißt dann, diese Politik sei unsozial. Da frage ich Sie: Gibt es denn eine sozialere Politik als eine Politik, die Arbeitsplätze schafft?
Gibt es eine sozialere Politik als eine Politik, die die sozialen Sicherungssysteme auf Dauer finanzierbar macht?
Gibt es eine sozialere Politik, die den Mißbrauch sozialer Sicherung bekämpft? Gibt es eine sozialere Politik, die die Lebensverhältnisse in Ost und West möglichst schnell aneinander annähert?
Meine Damen und Herren, gibt es eine sozialere Politik - auch das ist wichtig -, die die Leistungskräfte in der Wirtschaft, in der Bevölkerung anregt und sie nicht durch zu hohe Steuern und Abgaben unterdrückt?
Das ist die Botschaft, die von dieser Debatte ausgehen muß. Wir haben die Probleme erkannt, so wie in
den 80er Jahren. Zwischen 1985 und 1989 sind
schließlich 3 Millionen neue Arbeitsplätze entstanden.
Dieses Rezept müssen wir jetzt erneut umsetzen. Wir können das ehrgeizige Ziel, 2 Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen, bis 2000 auch erreichen.
Nun einige Bemerkungen zu den steuerpolitischen Ausführungen in dem Aktionsprogramm. Gehen Sie eigentlich nicht im Land umher und reden mit den Arbeitnehmern und den kleinen Unternehmern? Hören Sie nicht die Klagen über diese hohe Steuer- und Abgabenbelastung?
Hören Sie denn nicht, daß alle dazu auffordern, den Solidaritätszuschlag so schnell wie möglich abzubauen?
Ist es denn nicht, wenn Finanzspielraum entsteht, angezeigt und wirklich höchste Zeit, daß wir uns an diese Aufgabe heranmachen?
Da kann man sich nicht einfach herausreden und sagen: Wenn das Geld, das uns für einen guten Zweck, für den horizontalen Finanzausgleich zugunsten der neuen Länder zur Verfügung gestellt worden ist, für diesen Zweck nicht mehr benötigt wird, wird es nicht mehr zurückgegeben. Die Steuerzahler haben einen Anspruch darauf, das Geld, das sie durch harte Arbeit verdient haben, zurückzubekommen, wenn es für diesen Zweck nicht mehr benötigt wird.
Da können sich die Bundesländer nicht herausreden. Die Ministerpräsidenten können nicht auftreten wie die Strauchdiebe, die nur versuchen, an das Geld des Steuerzahlers heranzukommen, und es nicht wieder zurückgeben.
Meine Damen und Herren, ich erinnere Sie daran, insbesondere die hessischen Freunde unter Ihnen, mit welcher Wahlkampagne der Ministerpräsident Eichel 1995 im hessischen Landtagswahlkampf agiert hat: mit Anzeigen des Inhalts, daß der Staat nicht weiter in die Portemonnaies des Bürgers greifen dürfe. Ich erinnere Sie daran. In die Enge getrieben hat er angekündigt, es gebe einen Plan zur Senkung des Solidaritätszuschlags. Daraus ist nichts geworden. Herr Scharping hat das seinerzeit bestä-
Dr. Hermann Otto Solms
tigt. Ich habe ein Bündel von Zitaten dabei. Ich will sie Ihnen nicht alle vorlesen.
Sogar Herr Lafontaine hat es erst am 27. November 1995 im „Focus" bestätigt. Der Solidaritätszuschlag darf keine neue Dauersteuer werden, sagt Lafontaine. In dem Maße - das ist das Entscheidende -, wie der Aufbau Ost vorankommt, muß der Solidaritätszuschlag schrittweise zurückgeführt werden. Er hat auch seine Zustimmung zu dem Bundesratsentwurf gegeben, den Herr Waigel vorgetragen hat. Alle Bundesländer haben dem Entwurf zugestimmt. Darin haben sie sich verpflichtet, daß das Geld in dem Maße, in dem die Belastungen aus dem Finanzausgleich zugunsten der neuen Länder nicht mehr vorhanden sind, zurückgegeben wird.
Meine Damen und Herren, Sie geben das Geld ja nicht dem Bund zurück, sondern dem Steuerzahler. Darum geht es. Dem Steuerzahler wird es zurückgegeben. Der Bund ist nur der Mittler durch den Solidaritätszuschlag, mit dem er ihn in Anspruch nimmt. Der Bund ist bereit, dem Steuerzahler das zurückzugeben, was ihm zusteht, was sein Eigentum ist. Ich weise die Länder darauf hin, daß es ebenfalls ihre Pflicht ist. Da, wo wir Verantwortung tragen, sind wir bereit, dies zu tun.
Deswegen weise ich auf die Äußerungen des stellvertretenden Ministerpräsidenten des Landes Rheinland-Pfalz, des Kollegen Brüderle, hin.
Er hat erklärt, daß in dem Maße, in dem diese Belastungen im Finanzausgleich zurückgehen, natürlich auch das Land Rheinland-Pfalz bereit ist, dem Steuerzahler das Geld zurückzugeben. Das ist eine anständige Verhaltensweise. Daran sollten sich die anderen Länderführer ein Beispiel nehmen.
Meine Damen und Herren, dann wird natürlich gestreut, diese Maßnahme bedeute eine Belastung der neuen Bundesländer. Es ist barer Unsinn, meine Damen und Herren, zu behaupten, die Rückführung des Solidaritätszuschlages sei mit einer Rückführung der Finanztransfers verbunden. Es wird kein Pfennig Finanztransferkürzung erfolgen, wenn der Solidaritätszuschlag abgebaut wird. Kein Pfennig!
Die Finanzleistungen des Bundes und der Länder an die neuen Bundesländer werden davon überhaupt nicht berührt. Nein, umgekehrt wird ein Schuh daraus: Der Abbau des Solidaritätszuschlages ist ein Beweis der Solidarität mit den Arbeitnehmern in den neuen Bundesländern, weil auch sie vom Solidaritätszuschlag belastet werden und weil der Solidaritätszuschlag ein eklatantes Investitionshemmnis
auch in den neuen Bundesländern ist, genauso wie im Westen.
Deswegen ist es einfach überfällig, daß wir jeden kleinsten Finanzspielraum nutzen, um die Belastungen der Arbeitnehmer und Unternehmen mit Steuern und Abgaben abzubauen, damit wieder Lust am Investieren, Lust am Unternehmen, Lust am Arbeiten und am Erbringen von Leistung entstehen kann.
Notwendig ist das auch deshalb, weil es, wie Sie wissen, ohne Investitionen keine Arbeitsplätze gibt. Wenn keine Investoren da sind, können keine Arbeitsplätze entstehen. Deswegen müssen wir die Bedingungen wettbewerbsfähig im Vergleich mit den mit uns in Konkurrenz stehenden Ländern machen; sonst wird in Deutschland eben nicht mehr investiert.
Vergleichen Sie einmal die Steuersysteme. Stellen Sie beispielsweise einen Vergleich mit Großbritannien an. Oder schauen Sie nur nach Österreich. In Österreich werden die Unternehmen mit maximal 35 Prozent besteuert, in Großbritannien mit 33 Prozent und in der Bundesrepublik zwischen 60 und 70 Prozent. Warum soll denn ein ausländischer Investor hier investieren, wenn er nur ein paar Kilometer weiter sehr viel bessere Bedingungen vorfindet? Das ist doch die Entscheidung.
Wenn es um Investitionen geht, hat es doch keinen Sinn, Verwaltungsbeamte oder Parteisekretäre zu fragen. Sie müssen diejenigen fragen, die selbst investieren und zu investieren bereit sind.
Die werden Ihnen die Antworten geben und sagen, was sie für notwendig erachten, damit hier wieder mehr investiert wird.
Für diesen Freiraum kämpfen wir. Dafür setzen wir uns ein. Das tut die Bundesregierung geschlossen. Der Bundesfinanzminister hat unsere volle Unterstützung, wenn er sagt, daß das aber nicht zu Lasten eines seriösen Haushalts gehen darf. Nein, das darf nicht über Neuverschuldung finanziert werden, das muß über Einsparungen finanziert werden, über eine disziplinierte Haushaltspolitik. Nur so sind auch die Maastricht-Kriterien zu erreichen.
Aber auch dies kann der Bund nicht allein; auch dies geht nur,
wenn die Gebietskörperschaften gemeinsam handeln und gemeinsam versuchen, einen solchen Stabi-
Dr. Hermann Otto Solms
litätspakt zu schließen. Wenn Sie bereit sind, das zu tun, dann werden wir es erreichen, die Stabilitätskriterien zu erfüllen, dann werden wir Freiraum für Wachstum und Beschäftigung erzielen,
und dann werden die Arbeitnehmer in Deutschland dankbar sein, daß wir diesen Kraftakt geschafft haben.
Aber, meine Damen und Herren - das will ich abschließend sagen -, der Bundesrat ist ja ebenfalls eine Gesetzgebungskörperschaft des Bundes. Der Bundesrat ist in der vollen Verantwortung. Gerade in der Finanzpolitik gibt es keine Gesetzgebung ohne Zustimmung des Bundesrates.
Deswegen kann sich der Bundesrat und können sich die Ministerpräsidenten auch in der öffentlichen Darstellung aus dieser Verantwortung nicht stehlen.
Sie müssen zu dieser Verantwortung stehen. Sie sind verantwortlich dafür, daß die Unternehmenssteuerreform für das Jahr 1996 nicht in Kraft treten konnte, weil Sie sie blockiert haben, Herr Lafontaine.
Sie sind jetzt aufgefordert, mit den Koalitionsfraktionen, mit der Bundesregierung gemeinsam ein solches „Bündnis für Wachstum und Beschäftigung" mitzugestalten.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Manfred Müller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst an meinen verehrten Vorredner, Herrn Dr. Solms:
- Ich relativiere es gleich mit meiner Aussage! - Sie haben eben behauptet, die deutschen Unternehmer zahlten die höchsten Steuern. Sie sollten wissen, daß die durchschnittliche Steuerbelastung der deutschen Unternehmen bei unter 23 Prozent liegt. Wer zahlt denn überhaupt den höchsten Steuersatz? Inzwischen zahlen die abhängig Beschäftigten 90 Prozent des Steueraufkommens insgesamt. Sie finanzieren unser Gemeinwesen. Und Sie tun immer noch so, als würden die Unternehmer den wesentlichen Beitrag zur Finanzierung unseres Gemeinwesens leisten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das größte Verdienst des von der IG Metall unterbreiteten Vorschlags zu einem „Bündnis für Arbeit" ist, daß es einen Impuls für einen neuen sozialen Kompromiß, einen neuen Deal geben kann. Bei fast 7 Millionen fehlenden Arbeitsplätzen, zunehmender Armut und totaler Überlastung der sozialen Sicherungssysteme - übrigens ein Ergebnis der Politik des Gärtners Waigel, anscheinend ohne Gesellenbrief - hilft keine Flickschusterei mehr. Wenn es nicht gelingt, das Hauptübel der unregulierten Marktwirtschaft, nämlich die Massenarbeitslosigkeit, mit einem breiten Konsens aller gesellschaftlichen Gruppen mindestens zu dämpfen, werden wir dieses Land in wenigen Jahren nicht mehr wiedererkennen.
Um so erschreckender ist die Ignoranz, mit der seit dem Gewerkschaftstag der IG Metall das „Bündnis für Arbeit" kleingeredet, uminterpretiert und besonders von den Arbeitgebern für die eigenen Zwecke ausgeschlachtet wird.
So wird behauptet, daß die Gewerkschaften erstmals den Zusammenhang von angeblich zu hohen Löhnen und Arbeitslosigkeit anerkannt hätten. Das können eigentlich nur Analphabeten aus dem Text des Kollegen Zwickel herauslesen. Gleichzeitig kommt jede sozialpolitische Sauerei, jeder Griff in die Taschen der Arbeiter und Angestellten neuerdings als Bestandteil des „Bündnisses für Arbeit" daher.
Daß das Unternehmerlager bei seinem betriebsegoistischen Kostendenken bleibt und die Folgen der wirtschaftlichen Umbrüche auf die abhängig Beschäftigten, die Sozialkassen und den Staat ablädt, war fast schon zu erwarten. Daß aber auch die Bundesregierung die Gunst der Stunde verkennt und den Gewerkschaften bei der sogenannten Kanzlerrunde kein Angebot, sondern ein neoliberales Bekennerschreiben zur Unterschrift vorlegt, zeugt wahrlich nicht von historischem Weitblick.
Von den Unternehmern kann nichts anderes als betriebswirtschaftliches Denken erwartet werden. Von der Bundesregierung verlangen die Menschen in diesem Lande zu Recht volkswirtschaftlichen Weitblick.
Sie sind aber auf dem besten Wege, ein „Bündnis für Arbeit" unmöglich zu machen, weil Sie die Gewerkschaften überfordern, weil Ihnen nichts anderes einfällt, als dem DGB Zustimmungserklärungen für die Fortsetzung Ihrer Politik des Sozialabbaus abzuringen. Ist Ihnen eigentlich bewußt, daß Klaus Zwickel am 4. November in Berlin unter anderem die Bedingung gestellt hat, daß - ich zitiere aus dem Tagungsprotokoll - „die Bundesregierung verbindlich erklärt, bei der Novellierung des Arbeitsförderungsgesetzes auf die Kürzung des Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe zu verzichten"?
Aber statt einer verbindlichen Erklärung über die Rücknahme Ihres Horrorkatalogs voller sozialer Grausamkeiten haben Sie nichts anderes anzubieten
Manfred Müller
als eine etwas geminderte Kürzung der Arbeitslosenhilfe.
Zusätzlich wurde gestern im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung bekannt, daß sich im Haushalt der Bundesanstalt in diesem Jahr ein Defizit von 6 Milliarden DM auftun wird, Wir sind uns ziemlich sicher, daß Sie das zu weiteren Leistungskürzungen veranlassen wird. So sehen wir schon am Anfang des Jahres deutlich, daß Sie die Bedingung der IG Metall für das angebotene Bündnis weder erfüllen können noch wollen. Die versprochene Selbstbeschränkung bei den Lohnforderungen will die IG Metall im Frühjahr 1997 aber nur dann üben, wenn es bereits Ende dieses Jahres abrechenbare Ergebnisse ihres Angebots gibt.
Ein „Bündnis für Arbeit" müßte in erster Linie die Ursachen der Arbeitslosigkeit bekämpfen und nicht weiterhin die Arbeitslosen.
Es ist doch ein Aberwitz, wenn Sie Lohnverzicht und eine Kürzung der Massenkaufkraft bei gleichzeitiger Senkung der Unternehmensteuern als arbeitsplatzschaffende Maßnahmen anbieten, wo doch offensichtlich ist, daß die nachlassende Binnennachfrage schon in der Vergangenheit Hunderttausende von Arbeitsplätzen vernichtet hat.
Wenn zum Beispiel der Einzelhandel bittere Tränen darüber vergießt, daß das zurückliegende Weihnachtsgeschäft einen Umsatzrückgang von mehr als einer Milliarde DM gebracht hat, dann müssen wir bedenken, daß das nicht nur Arbeitsplätze im Einzelhandel kostet, sondern auch dem Volumen von dreieinhalb bis 4 000 Arbeitsplätzen in der Konsumgüterindustrie entspricht.
Wenn Sie die sozialen Transferleistungen für Arbeitslose und Arme kürzen, um die Senkung der Unternehmensteuern zu finanzieren, dann sparen Sie nicht nur bei den Armen, um den Reichen zu geben, Sie vernichten wiederum Arbeitsplätze.
Wenn die Bundesregierung den Anteil der Kapitalsteuern am gesamten Steueraufkommen so drastisch gesenkt hat, daß deren Anteil von 23,6 Prozent im Jahr 1980 auf nur noch 11,3 Prozent im Vorjahr absinkt, dann hat sie damit eben keine neuen Arbeitsplätze geschaffen, sondern lediglich die Fähigkeit der Unternehmen erhöht, ihre weltweiten Investitionen zu steigern. Die Kehrseite - darauf habe ich schon hingewiesen - sieht dann so aus, daß die Lohnsteuer mittlerweile 90 Prozent der vom Einkommen abgezogenen Steuern ausmacht.
Es gibt für ein Bündnis für Arbeit keine andere Logik - darauf ist bereits von Kollegin Beck hingewiesen worden -, als die katastrophale Verteilungsschieflage zu korrigieren.
Wenn die Nettolohnquote, die 1982 noch bei 72,5 Prozent lag, bis 1994 auf 64,9 Prozent abgesackt ist und die Nettoeinkommen der Selbständigen im gleichen Zeitraum viermal schneller wuchsen als die
Einkommen der Lohn- und Gehaltsempfänger, dann ist das nicht nur ein sozialer Skandal, sondern die eigentliche Ursache der steigenden Massenarbeitslosigkeit.
Wann begreift diese Bundesregierung endlich, daß kein Unternehmer wegen niedriger Löhne investiert, sondern ausschließlich dann, wenn er für seine Produkte kaufkräftige Abnehmer findet?
Nun wollen Sie auch noch den Solidaritätszuschlag zu Lasten der Investitionsfähigkeit der Länder vorzeitig kürzen, um einer sogenannten Wirtschaftspartei zum Überleben zu verhelfen, einer Partei, die in den letzten 13 Jahren bewiesen hat, daß sie unsere Volkswirtschaft höchstens auf Grund setzen kann.
Ein weiterer Skandal, der sich hier zum x-tenmal wiederholt, ist der Versuch, den Bürgerinnen und Bürgern der früheren DDR, wegen der angeblichen Milliardentransfers, die in eine Richtung gehen ein schlechtes Gewissen einzureden. Dazu sage ich: Vergessen Sie nicht, meine Damen und Herren, daß diese Zahlungen auch von den Bürgerinnen und Bürgern der ehemaligen DDR finanziert werden und daß diese Bürger einen Rechtsanspruch darauf haben. Ich nehme sie vor dem Versuch in Schutz, ihnen hier ein schlechtes Gewissen einzureden.
Sie beklagen im Jahreswirtschaftsbericht, daß die deutsche Industrie immer stärker im Ausland statt im Inland investiert. Aber Löhne sind eben nicht nur ein Kostenfaktor, sondern auch Nachfragepotential. Wer eineinhalb Jahrzehnte lang Realeinkommen senkt, den Unternehmen Steuern senkt, während man den abhängig Beschäftigten die Sozialabgaben erhöht, mag zwar Gutes für die exportorientierte Industrie tun, nicht aber für die Masse der Menschen in diesem Land. Wozu soll hier in Deutschland eigentlich noch mehr investiert werden, wenn es immer weniger Kaufkraft gibt? Die Arbeitsplätze in diesem Land werden um so unsicherer, je mehr der Binnenmarkt austrocknet und die Exportabhängigkeit steigt. Dieses Dilemma läßt sich nicht durch sinkende Löhne beheben, im Gegenteil.
Die außerordentlich günstige Entwicklung der deutschen Lohnstückkosten, die nach Angaben des DIW von 1973 bis 1994 nur um 94 Prozent stiegen, während sie bei den wichtigsten Konkurrenzländern um 270 Prozent kletterten, ist letztlich dafür verantwortlich, daß die deutsche Exportindustrie auf dem Weltmarkt in schwieriges Fahrwasser geriet. Der Export leidet also nicht unter kräftigen Lohnkosten, sondern unter der kräftigen D-Mark, und die wiederum verdankt ihre Höherbewertung nach Meinung des DIW keinem anderen Umstand als der unterdurchschnittlichen Wachstumsrate der Lohnstückkosten.
Manfred Müller
Nach Angaben der Deutschen Bundesbank stieg der Index des realen Außenwerts der Deutschen Mark von 1991 bis zum letzten Quartal des vergangenen Jahres um 13 Indexpunkte. Für die deutsche Exportindustrie brachte das die gleiche Kostenbelastung mit sich, als wären in diesem Zeitraum die Löhne und Gehälter um sage und schreibe 40 Prozent gestiegen.
Das mindeste, was verlangt werden müßte, wenn die Bundesregierung den Gewerkschaften entgegenkommen wollte, wären arbeitsmarktpolitische Sofortmaßnahmen, wie wir sie zum Beispiel in dem von uns heute vorgelegten Antrag entwickelt haben. Das mindeste, was gleichzeitig erwartet werden kann, ist, daß Sie endlich eigene Vorschläge für neue Arbeitsplätze auch im öffentlichen Bereich machen.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Lafontaine, ich habe Ihren Ausführungen großen Beifall gezollt.
Aber ich habe kein Verständnis dafür, wenn die Mitglieder der SPD im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung unserem Antrag, der all das, was Sie hier gefordert haben, versucht umzusetzen, nicht ihre Zustimmung geben und sich noch nicht einmal enthalten. Dann gibt es einen erheblichen Widerspruch zwischen dem, was Sie hier sagen, und dem, wie sich ein Teil der Abgeordneten der SPD-Fraktion in der konkreten Ausschußarbeit verhält.
Gerade als Gewerkschafter bin ich weit davon entfernt, als Abgeordneter der IG Metall Ratschläge zu geben. Aber in einem bin ich mir sicher: Die Gewerkschaften werden das Spiel von Bundesregierung und Arbeitgebern kaum mitmachen können, ohne dabei ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen.
Manchmal kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Sie genau das vorhaben: Sie benutzen das Angebot der Gewerkschaften, um sie vor den neoliberalen Karren voller Lohnsenkungen und Sozialabbau zu spannen. Sie wollen die Maastrichter Konvergenzkriterien, unter denen ganz Europa ächzt, mit aller Gewalt im eigenen Land durchsetzen. Sie wissen, daß Sie dazu das Stillhalten der Gewerkschaften brauchen. Das werden Sie nicht erreichen!
Glauben Sie doch nicht, daß die Kolleginnen und Kollegen, die gerade in diesen Wochen mit der Ankündigung von Massenentlassung überschwemmt werden, Ihnen noch ein Wort abnehmen, wenn Sie einerseits ohne konkrete Zusage 2 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze versprechen und andererseits nicht einmal verhindern können, daß in diesem Jahr wiederum Zehntausende noch vorhandener Arbeitsplätze vernichtet werden.
Danke schön.
Ich erteile dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Rudolf Scharping, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Januar 1982 hat der Bundesarbeitsminister auf die Frage „Was fällt Ihnen bei dieser bedrohlichen und erschreckenden Zahl eigentlich noch ein?" - es ging um 1,7 Millionen Arbeitslose im Dezember 1981- geantwortet:
Das ist eine Katastrophenmeldung und ein Dammbruch. Ohne Übertreibung muß man das als eine Katastrophe bezeichnen, und ich nenne das Wort auch deshalb, damit nun endlich alle Kräfte mobilisiert werden.
Und so weiter, und so weiter.
Im Jahr 1983 - die Arbeitslosigkeit stieg - hat Norbert Blüm gesagt:
Wenn jeder mitmacht, halte ich es nicht für unrealistisch, daß wir 1985 das Wunder vollbringen, unter die Schallmauer der Millionenarbeitslosigkeit zu kommen.
Die Zahl der Arbeitslosen stieg um 125 000.
1984 hat er „Bild" mitgeteilt: „Die Arbeitslosigkeit werden wir übrigens auch noch überwinden." Die Arbeitslosigkeit selbst stieg erneut.
1985 hat er gesagt - damit hat er recht -: „Vollbeschäftigung ist eine Bringschuld der sozialen Marktwirtschaft." Diese Regierung versagt seit 13 Jahren bei der Bringschuld, die sie gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern hat.
1985 hat Norbert Blüm gesagt:
Ich bin zuversichtlich, daß die Zahl der Arbeitslosen nächstes Jahr wieder unter 2 Millionen geht. Wir können es schaffen.
1986 hat er hinzugefügt:
Aber die Zahl der neuen Arbeitsplätze wird weiter ansteigen, so daß die Arbeitslosigkeit deutlich sinkt. Ich will als Arbeitsminister noch die Vollbeschäftigung erleben.
Wie lange soll Deutschland denn noch warten, bis das Ziel der Vollbeschäftigung wieder ins Visier genommen wird? Schwätzereien beim ernstesten Thema, das Deutschland überhaupt hat!
Die Arbeitslosigkeit stieg weiter, und die CDA stellte fest:
Es ist die moralische Pflicht der Regierenden in einem sozialen Rechtsstaat, dafür zu sorgen, daß jeder, der eine Erwerbsarbeit sucht, auch die Chance hat, einen Erwerbsarbeitsplatz zu finden.
Ich sage mit der CDA: Sie versäumen seit 13 Jahren Ihre moralische Pflicht in einem sozialen Rechtsstaat.
Irgendwann muß sich in dieser Regierung herumgesprochen haben, daß es so nicht geht. Deswegen
Rudolf Scharping
hat Helmut Kohl 1988 eine neue Platte aufgelegt und bei der CDU-Mittelstandsvereinigung gesagt: „Ich stocke schon bei dem Begriff Massenarbeitslosigkeit, weil er der Wirklichkeit nicht entspricht." Weiter sagte er, in der Statistik seien auch zahlreiche Aussteiger enthalten, die die Gesellschaft ausnutzten und nicht daran dächten zu arbeiten. Wir hatten 2,2 Millionen Arbeitslose.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will damit folgendes sagen: Wenn eine Regierung die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nur verbal und nicht mit ihrem Tun in den Mittelpunkt stellt, dann versündigt sie sich am zentralen Thema unserer Gegenwart, und sie versündigt sich an der Glaubwürdigkeit von Politik.
Es ist mit den Ankündigungen dieser Regierung Legion: Man müßte mal, man müßte mal dies, man müßte mal jenes. - So ist ja auch dieses Programm geschrieben: Man müßte mal - vielleicht dieses, vielleicht jenes. - Ich will Ihnen folgendes sagen: Wer ermattet in den Seilen hängt, bewegungsunfähig geworden ist, der ist auch unfähig geworden, Programme aufzustellen und durchzusetzen, mit denen diesem Krebsübel der Gegenwart begegnet werden könnte.
So wie sich Ihre Neujahrsansprachen wiederholen, so wiederholen sich auch Ihre Programme. Die Realität entwickelt sich allerdings zum Schlechten.
Es ist das Verdienst der deutschen Gewerkschaften, der IG Metall und ihres Vorsitzenden Klaus Zwickel, daß wenigstens etwas Bewegung in diese Entwicklung zum Besseren hineingekommen ist.
Ich warne Sie davor, den Willen, die Verantwortungsbereitschaft und den Mut der Gewerkschaften zu mißbrauchen, nur um die alte Politik hinter einer neuen Rückendeckung fortzusetzen.
Sie wollen ablenken. Ich weiß, Ihnen ist die Arbeitslosigkeit ein Dorn im Auge - aber nicht wegen der wirtschaftlichen und sozialen Realität der Menschen, sondern wegen der parteipolitischen Folgen, die daraus für Sie entstehen könnten. Dann lenken Sie ab.
Ja, natürlich, mit allerlei haltlosen Vorwürfen. Da kommt der Bundesfinanzminister und bietet dem Deutschen Bundestag eine lange Lektüre aus einem Beschluß des Bundesrates.
Ich will Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, nur empfehlen: Lesen Sie doch einmal das Protokoll der 161. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 27. Mai 1993. Falls Ihnen das zu lang sein sollte, lesen Sie doch einmal, was wir im Solidarpakt vereinbart haben.
Ich räume erneut ein, daß Sie mit diesem Wochenende unangenehme Erinnerungen verbinden. Aber wir haben unter Ziffer 7 geschrieben: „Soziale Regelleistungen werden nicht gekürzt." Herr Bundesfinanzminister, berufen Sie sich doch nicht auf einen Beschluß des Bundesrates, der durch unsere gemeinsame Entscheidung überholt worden ist, sondern halten Sie sich - mitsamt der Bundesregierung - gefälligst an das, was wir vereinbart haben: „Soziale Regelleistungen werden nicht gekürzt."
Das Elend dieser Koalition ist nicht nur, daß sie ständig Worte in die Welt setzt und die entgegengesetzten Taten produziert; das Elend ist auch, daß sie nicht mehr vertragsfähig ist.
Das sage ich in aller Härte. Denn alles, was wir im Bereich der sozialstaatlichen Modernisierung vereinbart haben, ist von Ihnen mißachtet, ist von Ihnen gebrochen, ist von Ihnen mit dem Gegenteil bedacht worden.
„Soziale Regelleistungen werden nicht gekürzt."
Wir hatten bei der Einführung eines Solidaritätszuschlags noch etwas vereinbart - ich zitiere -: „eine über den Grundfreibetrag hinausgehende soziale Komponente" . Darum haben wir die ganze Zeit gekämpft: daß die unteren Einkommen von diesem Solidaritätsbeitrag entlastet werden. Das wird auch - soweit es um diesen Solidaritätszuschlag geht - unsere Priorität bleiben. Zunächst einmal müssen wir den Menschen helfen, die ihr gesamtes Einkommen zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts brauchen, und nicht jenen, die, wie viele Einkommensmillionäre, die Spende ans Finanzamt verweigern - so empfinden sie es ja - und mit Einkommen in Millionenhöhe überhaupt keine müde Mark Steuern zahlen.
Was den Solidaritätszuschlag angeht, so bin ich ziemlich sicher, daß wir irgendwann in nicht allzu langer Zeit, vielleicht nicht in diesem Blatt,
wieder solche Überschriften sehen werden: „Der Umfaller", „Die Steuerlüge". Das ist in dieser Koalition zur Tradition geworden. 1990 haben Sie die deutsche Öffentlichkeit über die wahren Kosten der deutschen Einheit getäuscht, hinters Licht geführt,
Rudolf Scharping
um dann hinterher Oskar Lafontaine vorzuhalten, er sei gegen die deutsche Einheit gewesen.
Er ist gegen Ihre Lügereien gewesen, und damit hatte er auch völlig recht.
1994 haben Sie die Bereitschaft und die Akzeptanz zur strukturellen Anpassung unserer Volkswirtschaft an den globalisierten Wettbewerb zerredet und gemindert mit Ihrer Aufschwungfaselei. Das war gut für Ihren Wahlkampf, aber schlecht für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Jetzt, im Jahre 1995, sind Sie erneut dabei, die Menschen zu täuschen, sie mit falschen Absichten hinters Licht zu führen und das politische Klima - im Sinne von Glaubwürdigkeit - erneut zu beschädigen. Ihre Koalition handelt nicht nach der Staatsräson, sondern nur noch nach Koalitionsräson.
Ihr Leitmotiv ist nicht die Stabilität der Sozialen Marktwirtschaft, Ihr Leitmotiv ist die Erhaltung dieser Koalition. Und man kann nichts Schlimmeres von einer Regierung sagen als dies: daß sie nicht mehr das allgemeine Wohl, sondern nur noch ihre eigene Existenz im Auge hat.
Dann versuchen Sie, den Menschen zu suggerieren, es gehe aus Gründen der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit darum, jetzt die Steuerbelastung generell bei den Unternehmen und insbesondere bei den kapitalkräftigen zu senken. Ich will Ihnen dazu folgendes sagen: Sie regieren seit 1982. 1982 betrug der Anteil der Unternehmensteuern am gesamten Volkseinkommen 13,9 Prozent; 1991, nach Verwirklichung der deutschen Einheit, 12,2 Prozent; im Jahre 1995 beträgt der Anteil der Unternehmensteuern am gesamten Volkseinkommen 8,8 Prozent.
Im Jahre 1982 war der Anteil der Arbeitnehmer mit ihren Steuern am gesamten Volkseinkommen 32,6 Prozent; 1991, nach Verwirklichung der deutschen Einheit, stieg er auf 33,5 Prozent; jetzt beträgt der Anteil der Arbeitnehmersteuern am Volkseinkommen 37,1 Prozent.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Abstand zwischen den unternehmensbezogenen Steuern und den Steuern der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer lag 1982 bei 18,7 Prozent, jetzt liegt er bei 28,3 Prozent. Und Sie wollen den Leuten einreden, die Unternehmen müßten von Steuern ent-
lastet werden! Das ist die wirtschaftspolitisch falsche Strategie. Damit ist überhaupt nichts zu bewirken.
Allerdings wäre es wichtig und notwendig, die Unternehmen von Lohnnebenkosten zu entlasten.
Da frage ich Sie mit Herrn Teufel, mit Herrn Stoiber: Was ist denn das für eine Staatskunst, die aus Gründen der Koalitionsräson die Senkung des Solidaritätszuschlages ankündigt und sich sofort den Widerspruch aller der Union angehörenden Ministerpräsidenten einhandelt?
Was ist das für eine Staatskunst? Parteikunst ist es ja auch nicht mehr!
Mit solchen eigenartigen sogenannten Strategien wird es Ihnen nicht mehr gelingen, von der Hauptsache abzulenken. Die Hauptsache ist, erstens dafür zu sorgen, daß der Arbeitsmarkt in Ordnung kommt, die Überstunden abzubauen, die Billigjobs, mit denen 4 Millionen Frauen in Deutschland ohne Sozialversicherung beschäftigt werden, in Teilzeitarbeitsverhältnisse zu verwandeln,
nicht mehr zuzulassen, daß große Handelsketten bis zu 70 Prozent ihrer Belegschaft mit Frauen ohne Sozialversicherung bestreiten und damit mittelständische Existenzen ruinieren,
nicht mehr zuzulassen, daß es in Deutschland hunderttausendfach illegale Arbeit gibt, nicht mehr zuzulassen, daß mittelständische Firmen ruiniert werden und Arbeitsplätze gleich mit, weil Sie kein wirksames Gesetz gegen Lohndumping zustande bringen und nicht dafür sorgen, daß gleicher Lohn für gleiche Arbeit gezahlt wird.
Wir müssen auch überprüfen, ob in einem Land mit vier Millionen Arbeitslosen mit regionaler und flexibler Arbeitsmarktpolitik nicht mehr bewirkt werden kann als dadurch, daß man - wenn der Kanzler richtig zitiert worden ist - wie im Jahre 1995 800 000 Arbeitserlaubnisse an Nicht-EU-Ausländer erteilt hat.
Das alles sage ich Ihnen vor dem Hintergrund folgenden Mottos: Wir wollen erreichen, daß die Emp-
Rudolf Scharping
fänger sozialer Leistungen wieder Beitragszahler werden, damit in Deutschland die Beiträge und Steuern für alle wieder sinken können.
Wir wollen erreichen, daß die Investitionskraft der Gemeinden gestärkt wird, und wir wollen erreichen, daß die Lohnnebenkosten sinken.
Es macht keinen Sinn - ich zitiere Heiner Geißler -, den Fußballtrainer oder den Minister oder den Abgeordneten von Steuern zu entlasten; es ist wichtiger, den Handwerker, den Mittelständler, das Arbeitseinkommen eines normalen Menschen in Deutschland zu entlasten.
Wir müssen - zweitens - Recht und Ordnung in der Wirtschaft durchsetzen. Ich lese in Ihren Programmen, wie schon seit Jahren, immer wieder schöne Sprüche, was Sie alles machen wollen: gegen Steuerhinterziehung, gegen Subventionsbetrug vorgehen. Die Parteien, die für den Dschungel im Steuerrecht verantwortlich sind, den wir in Deutschland mittlerweile haben, möchte ich angesichts der Flickschusterei der letzten 13 Jahre einmal fragen, wie das weitergehen soll. Wir brauchen ein einfacheres Steuerrecht, eines, das durchgesetzt werden kann, und nicht eines, das im Ergebnis bedeutet, daß der Arbeitnehmer während des Jahres Monat für Monat brav seine Steuern und Sozialabgaben abführt, während sich andere am Ende des Jahres gemeinsam mit dem Steuerberater überlegen, wie sie von ihren hohen Einkommen möglichst wenig an das Finanzamt zu zahlen haben.
Ich sage noch einmal: Wir sind bereit - wir haben Ihnen ja entsprechende Vorschläge gemacht -, Subventionen abzubauen. Wir sind bereit, in gemeinsamer Verantwortung die nominellen Steuersätze zu senken, wenn das durch den Abbau von allerlei Steuervergünstigungen finanziert wird.
Das muß sozial symmetrisch und wirtschaftlich vernünftig geschehen. Da gehört dann - einverstanden! - alles auf den Tisch.
Was Sie bisher gemacht haben und was Sie, wie man hier und da in den Medien lesen kann, vorhaben, wird diesen Anforderungen, der wirtschaftlichen Vernunft und der sozialen Symmetrie, in keiner Weise gerecht.
Da Sie nach Vorschlägen fragen, will ich Sie daran erinnern, daß wir bei der Debatte über das Jahressteuergesetz 1996 Subventionsabbau im Umfang von 14 Milliarden DM vorgeschlagen hatten, daß Ihre
traurige Koalition zunächst nur bereit war, sich auf 165 Millionen DM zu verständigen, und daß es harte Kämpfe gekostet hat, bis überhaupt ein Subventionsabbau in Höhe von 4 Milliarden DM erreicht werden könnte. Sie sind doch diejenigen, die sich ständig mit dem Hintern auf die Subventionen Ihrer eigenen Klientel setzen und deswegen verhindern, daß es in Deutschland ein einfacheres und vernünftigeres Steuerrecht gibt.
Und schließlich - drittens -: Wir müssen Risiko- und Leistungsbereitschaft fördern, aber dann bitte mit einer gradlinigen Politik. Was machen Sie denn? Die Erfindervergütung wurde gestrichen und wurde halbherzig wieder eingeführt. Das Meister-BAföG haben Sie gestrichen, und jetzt streiten Sie sich um die Frage, wer in Zukunft die Anträge auf das Meister-BAföG zu bearbeiten hat.
Die sachkundigen Leute in der Arbeitsverwaltung sollen es nicht dürfen, die Gemeinden sollen neue Leute einstellen - der heilige Fetisch vom Bürokratie- und Personalabbau läßt grüßen -, und am Ende werden wir die Situation haben, daß die sachkundigen Leute nicht tun dürfen, was sie können, und die neueingestellten Leute erst einmal eingearbeitet werden müssen. Was für ein Unsinn in einer Zeit, in der wir selbständige Existenzen brauchen und in der es notwendig wäre, sofort etwas zu tun!
Sie haben uns ein Programm vorgelegt - mal wieder, wie schon in den letzten 13 Jahren immer wieder -, aber das Erstaunliche ist: Sie haben sich nie so verhalten, wie es in Ihren Programmen steht. Sie haben sich nie so verhalten, wie es in Ihren Interviews steht; Sie haben sich nie so verhalten, wie Sie es hier im Deutschen Bundestag ankündigen. Was will man denn mit einer Politik anfangen, die immer nur schwätzt, immer nur Programme aufstellt und im übrigen mit fast zynischer Gelassenheit hinnimmt, daß die Arbeitslosigkeit in einem Umfang steigt, der die soziale Stabilität in Deutschland schwer beschädigt und die politische Stabilität möglicherweise zu bedrohen beginnt?
Tun Sie endlich etwas! Sorgen Sie dafür, daß der breite Konsens, der auf der Grundlage der Vorschläge des Deutschen Gewerkschaftsbundes möglich wäre, jetzt zu einem gesellschaftlichen und politischen Konsens wird. Wenn diese Chance verspielt wird, dann weiß ich nicht mehr, wie Sie vor den Bürgerinnen und Bürgern und übrigens auch vor Ihren
Rudolf Scharping
selbst eingegangenen und beschworenen Verpflichtungen bestehen wollen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Schäuble.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man den Ministerpräsidenten Lafontaine und den Kollegen Scharping so reden hört,
dann fragt man sich, ob es wirklich darum geht, für mehr Wachstum und Beschäftigung in Deutschland zu sorgen, oder ob es mehr um Wahlkampf geht.
- Bevor Sie Ihr Geschrei fortsetzen, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Wenn es Ihnen so ernst ist wie uns - -
- Zeigen Sie Ihre Gesichter ruhig! Bei der Lage von Wirtschaft und Beschäftigung, bei den Sorgen der Menschen: Häme, billige Sprüche, billige Polemik und keinen Vorschlag in der Sache.
Ich sage: Das Thema ist zu ernst. Die Arbeitslosigkeit ist zu ernst, um sie zu billigster parteipolitischer Polemik zu mißbrauchen.
Herr Lafontaine, damit können Sie auf dem Parteitag der SPD vielleicht Herrn Scharping stürzen, und zwar durch einen Verstoß gegen die Geschäftsordnung,
aber die Probleme unseres Landes kann man so nicht lösen.
Wer den Menschen einredet, es gäbe ein Patentrezept - so klingt es nämlich -, man könnte mit einer Maßnahme die Probleme von Staat und Politik lösen, der täuscht und betrügt die Menschen. Das ist nicht die Wahrheit; die Probleme sind komplizierter.
Wer, Herr Scharping, so daherredet: Vollbeschäftigung ist eine Bringschuld der Politik, und die Regierung hat versagt - -
- Herr Präsident, hören Sie sich dieses Geschrei an. Das ist wirklich unglaublich.
Wer die Vollbeschäftigung zu einer Sache der Politik von Regierung und Regierungsmehrheit macht, macht denselben Fehler, den der Bundeskanzler Willy Brandt schon 1969 gemacht hat.
In einer Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft kann die Politik alleine Vollbeschäftigung nicht garantieren.
Wer diesen Eindruck erweckt, täuscht nicht nur; er verschließt sich auch den Zugang zur Behebung der Ursachen unserer Probleme am Arbeitsmarkt. Das ist das eigentliche Verhängnis.
Sie haben es offensichtlich immer noch nicht kapiert. Vielleicht ist es zu einfach: Löhne, Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten und im übrigen mehr als die Hälfte der Lohnzusatzkosten werden durch die Tarifpartner vereinbart. Deswegen ist es entscheidend wichtig, daß Politik, Gewerkschaften und Wirtschaft in die gleiche Richtung gehen. Wer alle Verantwortung nur der Politik anlastet, wird dieses gleichgerichtete Handeln von Wirtschaft und Gewerkschaften erschweren und nicht fördern. Das ist der falsche Weg.
Genauso muß ich noch einmal in aller Kürze und in aller Eindringlichkeit sagen, weil wir mit den falschen Lösungsansätzen, Herr Lafontaine - -
Mit den falschen Lösungsansätzen verschließen wir uns jede Chance, die Probleme besser zu meistern. Wer noch immer wie Herr Lafontaine dem Irrglauben anhängt, man könne mit staatlich manipulierter Nachfrage die Beschäftigungsprobleme lösen, der hat nicht begriffen, daß in einer Welt globalisierter Märkte staatliche, schuldenfinanzierte Nachfrageprogramme nicht mehr der Beschäftigung nützen.
Wer wie Sie, Herr Lafontaine, ständig davon redet, die Bundesbank müsse die Zinsen senken, der nährt doch den Zweifel, daß ihm die Unabhängigkeit der Bundesbank nicht so wichtig ist, oder er erweckt den Verdacht, er rede von Dingen, für die er nicht zuständig ist, weil er in seiner eigenen Zuständigkeit versagt.
Dr. Wolfgang Schäuble
Wer Stabilität der D-Mark wie einer künftigen europäischen Währung will, muß die Unabhängigkeit der Notenbank verteidigen und darf nicht ständig als Politiker darüber reden, was die Notenbank zu tun oder zu lassen habe.
Ebensowenig Sinn macht es, davon zu reden, die Bundesregierung müsse die Wechselkurse stabilisieren. Das kann - das hat Theo Waigel zu Recht gesagt - nicht einmal Ihre Staatskanzlei. Die kann vielleicht einen Koch in Ihrer Landesvertretung beschäftigen. Aber die Wechselkurse können Sie nicht stabilisieren.
- Nein, verzeihen Sie, wenn wir darüber reden, wie wir die Lage von Wirtschaft und Arbeitsmarkt nachhaltig verbessern können - darum geht es -, gibt es nicht die bequemen, billigen Patentrezepte, die nichts kosten. Das wäre das Falsche. Deswegen ist der Kurs der Stabilität, der Konsolidierung von öffentlichen Haushalten auf allen Ebenen wie denen der Sozialversicherung notwendig, damit wir die nach der Wiedervereinigung zu hoch gewordene Steuer- und Abgabenquote wieder nachhaltig senken können. Dazu gibt es keine billige Alternative.
Deswegen helfen uns die Überschriften nicht. Der Herr Scharping redet vom Abbau von Steuervergünstigungen und Subventionen. Er nennt keine einzige. Wie steht es mit unserem Vorschlag, ab 1998 die Kohleförderung auf ein wesentlich niedrigeres Niveau zurückzuführen?
Sagen Sie einmal ja oder nein, aber reden Sie nicht darum herum!
- Nach 1998! Herr Ministerpräsident, ich komme gleich auf die Einhaltung von Vereinbarungen. Diese gilt bis 1998; danach werden wir miteinander zu reden haben.
Aber wer wie Sie von Subventionsabbau redet und dann im konkreten Fall sofort wieder sagt, das komme nicht in Frage, der ist nicht sehr glaubwürdig. Wir kommen darum nicht herum.
Deswegen muß darüber gesprochen werden. Wenn
wir die Staatsquote und auch die Steuer- und Abgabenquote senken wollen, führt kein Weg daran vorbei, daß wir in allen öffentlichen Haushalten, bei Bund, Ländern und Gemeinden, und bei den Sozialversicherungen zu Einsparungen kommen. Nur über die Kürzung von Ausgaben kommt man zu Einsparungen. Einen anderen Weg gibt es nicht. Daran müssen sich Bund und Länder solidarisch beteiligen.
Ich habe das schon in der letzten Sitzungswoche gesagt: Das finanzielle Verhältnis von Bund und Ländern hat sich im Bundesstaat nach den Aussagen aller sachverständigen Stellen, von der Bundesbank bis zum Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, zu Lasten des Bundes in eine Schieflage entwickelt, die korrigiert werden muß.
Natürlich war die Absprache bezüglich des Solidarpakts so. Das können Sie im Ernst doch nicht bestreiten. Sie waren alle dabei, so wie Sie hier sitzen. Herr Voscherau, Sie waren auch dabei. Die Absprache war völlig eindeutig:
- Er weiß es genau, er braucht gar nicht zuzuhören. Er bekommt nur ein schlechtes Gewissen, wenn er dazu noch fähig ist, da er sich nicht an die Absprachen halten will.
Wenn und soweit die Mittel, die der Bund den Ländern in Form von sieben Prozentpunkten Umsatzsteuer im Länderfinanzausgleich zur Verfügung gestellt hat, von den Ländern nicht mehr benötigt werden, müssen sie an den Bund zurückgegeben werden. Wir haben in unserer Koalitionsvereinbarung gesagt: Soweit die Mittel von Bund und Ländern aus dem Solidaritätszuschlag nicht für den Bund-Länder-Finanzausgleich benötigt werden, geben wir sie dem Steuerzahler zurück. Das ist die Absprache, und die halten wir ein. Die drei Milliarden DM, die die Länder 1997 nicht benötigen, müssen sie zurückgeben, wenn sie weiterhin als seriöse Verhandlungspartner behandelt werden wollen. Da führt kein Weg daran vorbei; die Zahlen sind völlig eindeutig.
Herr Lafontaine, der baden-württembergische Ministerpräsident - auf den ich stolz bin -
hat im Gegensatz zu dem, was hier von Herrn Scharping vorgetragen worden ist, gesagt: Wenn die Zahlen ergeben, daß die Länder aus den Umsatzsteuerpunkten vom Bund mehr haben, als sie für die Vorabauffüllung im Länderfinanzausgleich brauchen, ist es selbstverständlich, daß diese an den Bund und über den Bund an die Steuerzahler zurückgegeben
Dr. Wolfgang Schäuble
werden. So ist die Wahrheit; Sie können es nachlesen.
An dieser Tatsache werden sie nicht vorbeikommen; ich sage es Ihnen in aller Ruhe.
Im übrigen, Herr Kollege Scharping, nachdem Sie nicht mehr Ministerpräsident eines Landes, sondern Vorsitzender einer Fraktion des Bundestages sind, sollten Sie einen Moment über diese Dinge nachdenken. Natürlich ist die Interessenlage zwischen Bund und Ländern, was die finanzielle Ausstattung anbetrifft, notwendigerweise gegensätzlich. Ich habe ja schon oft beklagt: Soweit Sie hier sitzen, meine Damen und Herren, sind Sie Mitglieder eines Verfassungsorgans des Bundes. Hier sitzt nicht die Ministerpräsidentenkonferenz, sondern ein Verfassungsorgan des Bundes, der Bundesrat. Sie haben eine bundespolitische Verantwortung. Weil Sie hier sitzen, sollten Sie die bundespolitische Verantwortung ein bißchen stärker berücksichtigen.
Es ist nicht in Ordnung, daß der Bundesrat seine Mitwirkung an den Bundesgesetzen in den letzten Jahren mehr und mehr dazu mißbraucht hat, das gesamtstaatliche Finanzverhältnis zu Lasten des Bundes und zugunsten der Länder einseitig zu verschieben. Das muß korrigiert werden.
Nächste Woche werden wir ja bei der Vorlage des Jahreswirtschaftsberichtes ausführlicher und vielleicht auch vorbereiteter über Wirtschaft und Beschäftigung diskutieren.
- Verzeihen Sie; ich beklage allmählich, daß wir im Parlament nicht mehr in der Lage sind, zu Absprachen zu kommen, die wenigstens zu einer ordentlichen Gestaltung unserer Debatten führen. Wir haben vor Wochen im Ältestenrat miteinander verabredet, daß der Jahreswirtschaftsbericht am 8. Februar 1996 debattiert wird. Das ist doch gar keine Frage; das werden wir auch tun. Darauf bezieht sich mein Hinweis. Regen Sie sich doch nicht immer gleich auf, sondern wirken Sie mit, damit wir unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern, von denen wir hoffen, daß sie dem Austausch der Argumente auch folgen, einigermaßen vermitteln können, wozu und worüber wir gerade reden.
- Ich weiß schon, was Sie machen.
Wenn wir eine verbesserte Chance für Wirtschaft und Beschäftigung haben wollen, dann ist das Allerwichtigste, daß die Tarifpartner zu einem gleichgerichteten Verhalten kommen und daß die Tarifabschlüsse im Jahre 1996 den gesamtwirtschaftlichen Rahmendaten besser Rechnung tragen, als sie es 1995 getan haben.
Deswegen sage ich: Das Allerwichtigste und Allerbeste, das stattgefunden hat, ist, daß es der Bundesregierung und dem Bundeskanzler gelungen ist, Wirtschaft und Gewerkschaften in einen Dialog zusammenzuführen, der in der vorvergangenen Woche im Kanzlerbungalow mit den Absprachen zu einem „Bündnis für Arbeit und Standortsicherung" die Beschreibung gemeinsamer Zielrichtungen und Anstrengungen erreicht hat. Das, Herr Bundeskanzler, gibt die Hoffnung, daß wir in gemeinsamen Anstrengungen von Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik für Wirtschaft und Beschäftigung bessere Ergebnisse erzielen, als es im letzten Jahr möglich war.
- Warten Sie bitte einen Moment, ich muß noch ein paar Dinge sagen.
Sie werden doch nicht bestreiten können, daß nach den gemeinsamen Erklärungen von Bundesregierung, Wirtschaft und Gewerkschaften nach den Absprachen im Kanzleramt am Mittwoch vorvergangener Woche der sozialpolitische Sprecher der SPD- Bundestagsfraktion, der Kollege Dreßler - er hat sich im Moment in eine hintere Reihe verzogen -, die Gewerkschaften kritisiert hat, sie sollten nicht so sehr an dem Konsens mit Regierung und Wirtschaft mitwirken. Daran kann man erkennen, was in Wahrheit Ihre Absicht ist: Sie wollen doch nicht die Beschäftigungslage verbessern, sondern Sie wollen stören, daß das Ganze durch gleichgerichtetes Handeln zustande kommt.
Herr Kollege Schäuble, Kollege Urbaniak möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.
Bitte sehr, Herr Urbaniak.
Herr Kollege Schäuble, Sie haben sicherlich Gelegenheit gehabt, heute die Presse zu studieren. Sie müssen doch Gelegenheit genommen haben, den Vorwurf von Herrn Zwickel zu lesen. Er spricht von einem Etikettenschwindel und davon, daß die Maßnahmen nicht zum Abbau der Arbeitslosigkeit beitragen und daß damit das „Bündnis für Arbeit", das die Gewerkschaften angeboten haben, in großer Gefahr ist. Wie sehen Sie diese Situation? Die Gewerkschaften fühlen sich hinters Licht geführt. Das ist die Position der Bundesregierung.
Herr Kollege Urbaniak, ich habe heute noch nicht alle Zeitungen gelesen. Aber ich habe den Artikel von Dieter
Dr. Wolfgang Schäuble
Schulte in der „Frankfurter Rundschau" gelesen. Dieter Schulte ist der Vorsitzende des DGB, falls Sie das nicht wissen sollten.
- Sie schreien ja schon wieder dagegen. Ich lese Ihnen das als Antwort vor:
Das Verhandlungsergebnis braucht keine Verteidigung, es spricht für sich selbst. Dennoch: mich irritiert,
- damit meint er doch Sie und nicht uns -
daß das Urteil gesprochen ist, bevor die Sache selbst auf den Prüfstand gekommen ist.
Dann sagt er - er sagt eine Menge kluger Dinge; ich empfehle den Gastbeitrag Ihrer Aufmerksamkeit -:
Abschließend: Ich plädiere dafür, sorgsam und verantwortungsbewußt mit dem Verhandlungsergebnis der Kanzlerrunde umzugehen und es nicht leichtfertig und voreilig abzulegen oder zu zerreden.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Dr. Hendricks?
Nein. Ich würde meine Argumente gerne weiter vortragen.
- Ich habe nein gesagt.
- O Gott! Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich lasse normalerweise gern Zwischenfragen zu. Aber ich hatte fast vermutet, daß etwas Derartiges kommt.
Verzeihung, Herr Schäuble. - Es ist das souveräne Recht des Redners, eine Zwischenfrage zuzulassen oder nicht zuzulassen. Das gilt für alle Fraktionen.
Bitte, fahren Sie fort.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir werden
- ich sage das noch einmal - alles daransetzen müssen, im Zusammenwirken mit den Tarifpartnern durch eine Senkung oder durch eine Begrenzung von Lohn- und Lohnzusatzkosten die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu verbessern, damit nicht immer mehr Investitionen und Arbeitsplätze ins Ausland abwandern. Deswegen sind das Ergebnis
der Kanzlerrunde und der Dialog, der ja weitergeht, ein sehr wichtiges sowie Mut und Zuversicht machendes Ereignis, das wir nicht zerreden sollten.
Wir werden weiter darauf setzen müssen, unsere Wirtschaft zu modernisieren; wir müssen auf moderne technische und technologische Entwicklungen setzen.
Ich möchte nun doch, verehrte Kolleginnen und Kollegen, nachdem der Herr Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Herr Voscherau, heute anwesend ist, auf etwas hinweisen, was er in Cuxhaven vor wenigen Tagen gesagt hat. Er hat dort nämlich gesagt, es sei hinsichtlich Investitionen und damit Wirtschaft und Beschäftigung im norddeutschen Raum mit der derzeitigen schleswig-holsteinischen Landesregierung schon schwierig. Wenn es aber nach der nächsten Landtagswahl in SchleswigHolstein eine rot-grüne Regierung geben werde, werde er das Verfahren zur Länderneugliederung betreiben, denn mit dieser Regierung könne man nun Wachstum und Beschäftigung überhaupt nicht mehr zustande bringen. Wo er recht hat, hat er recht!
Ich würde Ihnen übrigens vorschlagen, machen Sie es wie ich, Herr Voscherau: Wir gehen nach Schleswig-Holstein und machen kräftig Wahlkampf, damit Ottfried Hennig Ministerpräsident wird. Dann brauchen Sie nicht das Verfahren zur Länderneugliederung zu betreiben.
- Es macht Freude, wenn man so etwas liest; deswegen darf man es auch hier wiedergeben. Aber dahinter verbirgt sich etwas anderes. Der Punkt ist wichtig: Die rot-grüne Blockade gegen technischen Fortschritt und Investition, die immer dann aufgebaut wird, wenn es konkret wird - vom Transrapid bis zur Biotechnologie -, schadet dem Standort Deutschland und schadet den Chancen für mehr Beschäftigung in unserem Lande.
Ich will noch folgende Bemerkung machen. Ich hatte einleitend gesagt, wir sollten bei den Menschen nicht den Eindruck erwecken, als gäbe es Patentrezepte, als könnte es die Politik alleine leisten. So wird es nicht sein. Selbst das Zusammenwirken von Politik, Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften wird nicht leicht und nicht in kurzer Zeit Vollbeschäftigung herbeiführen. Das ist die Wahrheit. Die Wahrheit ist so bitter, daß es unrecht wäre, sie den Menschen zu verschweigen. Angesichts der weltweiten Entwicklungen, angesichts einer immer härter werdenden Konkurrenz um Standorte und Arbeitsplätze, angesichts einer technologischen Entwicklung, bei der in der Großindustrie und auch bei den großen Dienstleistungsunternehmen Arbeitsplätze eher wegfallen als neue entstehen, sollten wir den Menschen die Dinge nicht schönreden. Aber wir sollten nicht glauben, daß das Problem mit Arbeitszeitverteilungsmodellen zu lösen ist, an die Herr
Dr. Wolfgang Schäuble
Lafontaine und offenbar auch Herr Scharping immer noch glauben.
Wer meint, er könne mit Verkürzung der Wochenarbeitszeit das Problem einfach lösen, täuscht die Menschen schon wieder. Wenn sich Herr Lafontaine schon mit Amerika beschäftigt, ist das in der Tat bemerkenswert; darauf hat der Finanzminister hingewiesen. Wir haben immer gesagt, Herr Fischer: Das amerikanische Modell ist nicht das unsere - das ist gar keine Frage -, und das britische auch nicht. Aber der Zusammenhang muß trotzdem genannt werden dürfen, wenn das Thema eingeführt wird: Wahr ist, daß bei vergleichbarem Wachstum im Zehn-Jahres-Zeitraum Länder wie Amerika und Japan mit wesentlich höheren Jahresarbeitszeiten höhere Beschäftigungsgewinne hatten als Deutschland mit der niedrigsten Jahresarbeitszeit. Deswegen und nur für diesen Zusammenhang sage ich: Der Glaube, durch Arbeitszeitverkürzungen das Problem der Beschäftigung lösen zu können, ist ein Irrglaube und der falsche Weg.
Meine Überzeugung ist, daß wir die notwendige zusätzliche Beschäftigung im industriellen Sektor nicht zureichend bekommen werden, was überhaupt nicht heißt, daß wir den industriellen Sektor in Deutschland nicht halten müssen. Wir werden keine Dienstleistungen haben, wenn wir in Deutschland keine Produktion mehr haben; der Zusammenhang ist völlig klar. Aber wir stehen vor der Aufgabe, in zeitlichen Horizonten, die möglicherweise kürzer sind, als es uns lieb ist, eine Umstellung auf dem Arbeitsmarkt vom industriellen Sektor auf den tertiären Sektor, in den Dienstleistungssektor, zu schaffen.
Das aber heißt, daß wir sehr viel mehr Flexibilität brauchen. Deswegen ist übrigens das, was in der Kanzlerrunde wie in dem Sofortprogramm für Wirtschaft und Beschäftigung, in dem 50-Punkte-Programm im Jahreswirtschaftsbericht, angelegt ist, genau der richtige Weg. Wer zum Beispiel Überstunden abbauen will, muß eben flexiblere Beschäftigungsverhältnisse anbieten. Deswegen ist der Weg richtig, die Zahl zeitlich befristeter Arbeitsverhältnisse zu erhöhen. Das ist ein Beispiel, daß wir gemeinsam mit den Tarifpartnern in die richtige Richtung gehen.
Solche Schritte brauchen wir mehr. Nur mit mehr Flexibilität und mit einer relativen Senkung von Lohn- und Lohnzusatzkosten, wenigstens mit einer Verminderung der Steigerung, werden wir bessere Chancen bekommen. Denn wir haben in Deutschland keinen Mangel an Arbeit, sondern einen Mangel an Nachfrage nach Arbeit zu den Preisen, die heute für reguläre Arbeit gefordert werden. Deswegen müssen die Kosten gesenkt werden und brauchen wir mehr Flexibilität, wenn wir mehr Arbeitsplätze schaffen wollen. Einen anderen Weg gibt es nicht.
Nur so werden wir die Umstellung der Beschäftigung in Richtung Dienstleistungssektor in einem stärkeren Maße erreichen.
Im übrigen ist in dem Programm der Regierung zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung auch der Ansatz richtig, stärker auf kleine und mittlere Unternehmen zu setzen. Wenn wir bei den Großbetrieben schon froh sein müssen, wenn nicht zu viele Arbeitsplätze abgebaut werden, dann ist es richtig, die Existenzgründung wie die Kapitalausstattung von kleinen und mittleren Unternehmen in der Expansionsphase zu fördern. Das ist wiederum der Weg der Regierung.
Deswegen müssen wir den Kapitalmarkt in Deutschland verbreitern. Deswegen brauchen wir die Förderung von Risikokapital. Auch deswegen muß endlich die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft werden. Sie müssen Ihre Blockade der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und der Senkung der Gewerbeertragsteuer aufgeben. Die ertragsunabhängigen, investitionsfeindlichen Steuern müssen gesenkt werden, weil sie den Aufbau eines Kapitalstocks gerade in der mittelständischen Industrie behindern. Nur so bekommen wir mehr Beschäftigung.
Ich sage noch einmal: Alles zusammen ist notwendig. Alles zusammen wird aber auch nicht von heute auf morgen die Probleme lösen. Aber wir sollten in allen Feldern gleichgerichtet, und zwar Bund, Länder und Gemeinden, die Voraussetzungen schaffen: durch eine sparsame Ausgabenpolitik - auch bei den sozialen Sicherungssystemen - für die Senkung von Steuern und Abgaben, durch Stärkung und Förderung von modernen Technologien für technischen Fortschritt, durch die Spitzenqualität unserer Produkte und durch die Modernität von Produkten und Verfahrensweisen für die Sicherung von Marktanteilen und um der Entwicklung entgegenzuwirken, daß unser Anteil am Welthandel zurückgeht, durch Stärkung des tertiären Bereichs bei Dienstleistungen aller Art, auch im häuslichen Bereich und bei der Pflege, ebenso bei den modernen produktionsnahen hochqualifizierten Dienstleistungen, für mehr Flexibilität - alles ist notwendig.
Herr Kollege Schäuble - -
Nein, ich möchte das im Zusammenhang darlegen. Die SPD leistet ja keinen Beitrag, die Arbeitslosigkeit zu überwinden; sie stört nur dabei.
Ich möchte darlegen, was möglich und notwendig ist, damit wir in diesem Lande bessere Chancen für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum haben und damit wir in diesem Lande bei einer guten wirtschaft-
Dr. Wolfgang Schäuble
lichen Entwicklung die Chance haben, mehr Menschen in reguläre Arbeit zu bringen. Das ist das vorrangige Thema; darauf müssen wir uns konzentrieren. Bei der Darlegung unseres Weges wollen Sie uns ständig stören. Das ist Ihr Verhalten in der Debatte.
Wir müssen auf alles setzen, was kleine und mittlere Unternehmen stärkt, was die Eigenkapitalbasis fördert, was Existenzgründer fördert. Deswegen müssen wir aufhören, jeden Schritt in die richtige Richtung zu tabuisieren.
Natürlich ist die gemeinsame Verpflichtung von Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften auf das Ziel, bis zum Jahr 2000 zwei Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen, ein ehrgeiziges.
Das ist ehrgeizig, aber es ist möglich, Frau Kollegin Beck. Wenn Wirtschaft, Gewerkschaften, Politik, Regierung und Gesetzgeber, Bundestag und Bundesrat, Bund, Länder und Gemeinden das Mögliche und Notwendige in die richtige Richtung tun, dann ist es erreichbar, bis zum Ende dieses Jahrzehnts zwei Millionen oder mehr zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen.
Daß es möglich ist, haben wir in den 80er Jahren bewiesen, als wir zwischen 1982 und 1989 in der damaligen Bundesrepublik - die noch nicht das Glück hatte, auch die neuen Bundesländer zu sich zu zählen - im Saldo drei Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen haben. Um drei Millionen Arbeitsplätze hat in den 80er Jahren während der Regierungszeit von Helmut Kohl die Beschäftigung in der alten Bundesrepublik Deutschland zugenommen.
Deswegen sage ich: Die Lage ist ernst. Es gibt nicht die Patentrezepte, wie Sie es den Menschen einreden. Wir sollten die Menschen nicht täuschen. Aber es gibt keinen Grund zur Resignation. Es gibt keinen Grund zu verzagen. Es gibt aber allen Grund zur Anstrengung, zu solidarischem Handeln und zur Zuversicht. Die Koalition ist entschlossen, in dieser Richtung zu handeln.
Ich erteile dem Senatspräsidenten und Ersten Bürgermeister der Hansestadt Hamburg, Dr. Henning Voscherau, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In aller Kürze: So, Herr Schäuble, geht das nicht.
Ich habe in Cuxhaven, das übrigens eine niedersächsische und keine schleswig-holsteinische Stadt ist,
über ein „Bündnis für Arbeit" für Norddeutschland, regionalisiert am Beispiel des Unterelbe-Raums, gesprochen. In diesem Zusammenhang habe ich deutlich gemacht, daß der schleswig-holsteinische Wahlkampf für die Menschen in Norddeutschland von großer Bedeutung ist und daß ich dort gemeinsam mit Heide Simonis um jede SPD-Stimme zur Erhaltung der Alleinregierung der SPD werbe.
Die Frage der Beteiligung der grünen Partei an einer schleswig-holsteinischen Landesregierung richtet sich an die Wählerinnen und Wähler, nicht an den Redner Voscherau in Cuxhaven. Dieser tritt allein für die SPD ein.
Lassen Sie mich hinzufügen, daß es für Norddeutschland im Rahmen des „Bündnisses für Arbeit" von zentraler strategischer Bedeutung ist, daß es uns allen gelingt, endlich die Erreichbarkeit des hamburgischen Hafens und die Befahrbarkeit der Elbe auch für Containerschiffe der neuen Generation zu erreichen. Das ist etwas, worüber ich mit dem Bundeskanzler zu Beginn des Überseetages 1991 Einigkeit erzielt habe. Heute schreiben wir das Jahr 1996, und dieses Verfahren läuft noch immer.
Ich fürchte allerdings, daß es für den Bund schwierig werden wird, das notwendige Einvernehmen mit dem Wasser- und Schiffahrtsamt Itzehoe herzustellen, wenn wir in der Diskussion Arbeit hie und Umwelt da in einen Gegensatz bringen, statt zu versuchen, beides langfristig strategisch in Übereinstimmung zu bringen,
wie es das sozialdemokratische Konzept der ökologischen Steuerreform ermöglicht - ein Konzept, das für die Umwelt, die Arbeitsplätze und die Wettbewerbsfähigkeit gleichermaßen eine zentrale Voraussetzung ist.
Meine Damen und Herren, heute ist viel zuviel über den Streit bezüglich der Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern gesprochen worden. Da aber haben wir alle Gehorsam gegenüber dem Grundgesetz an den Tag zu legen. Darin steht das Gebot, einen laufenden Deckungsquotenvergleich anzustellen. Dann werden wir sehen, wie es mit der Umsatzsteuerverteilung der Zukunft aussehen wird. Geschichtsklitterung im Hinblick auf die Entstehung des Solidarpakts zu betreiben weise ich zurück.
Im übrigen: Die Menschen in diesem Land, die Bürgerinnen und Bürger in den Gemeinden und Städten und in allen 16 Ländern, erwarten von uns allen hier, daß etwas geschieht, und zwar auf der
Präsident des Senats Dr. Henning Voscherau
Handlungsebene und nicht in Form eines 50-PunktePapiers,
um die allgemeine Zukunftsangst durch Taten in den Griff zu bekommen.
Die Wahrheit nämlich ist: Alle Menschen sind verunsichert. Zu viele aber versuchen, bezüglich der Folgen persönlich ungeschoren davonzukommen. Was wir brauchen, sind eine große Gemeinschaftsanstrengung und mehr Solidarität. Wir Sozialdemokraten vermissen dabei, daß sich die Regierung an die Spitze der Bewegung setzt, das gesamte deutsche Volk zu einer Solidaritätsleistung zu motivieren. Statt dessen geschieht es immer wieder, daß Sie mit dem Finger auf andere zeigen: auf die Gemeinden, auf die Länder, auf die Gewerkschaften und auf die Arbeitnehmer. So geht das nicht.
Deswegen rufe ich Sie auf, endlich gemeinsam die notwendigen Taten zu vollbringen.
Herr Kollege Schäuble zu einer Kurzintervention.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bürgermeister Voscherau, ich schätze Sie sehr. Deswegen bedanke ich mich, daß Sie nicht dem widersprochen haben, was ich hier berichtet habe.
- Nein, Sie haben dem nicht widersprochen. In Cuxhaven ging es um die Elbvertiefung; ich habe es genau gelesen. Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu; ich habe Ihnen nur eine bessere Abhilfe empfohlen.
Sie haben gesagt, für den Fall einer rot-grünen Kieler Koalition kündigen Sie einen Volksentscheid zur Bildung des einheitlichen Nordstaates an. - Das ist genau das, was ich gesagt habe. Sie haben das bestätigt. Ich schlage Ihnen noch einmal vor: Helfen Sie mit mir, daß Ottfried Hennig für CDU und F.D.P. in Schleswig-Holstein eine Mehrheit bekommt!
Zu einer Kurzintervention der Kollege Schwanhold.
Der Fraktionsvorsitzende der CDU, Herr Schäuble, hat ausgeführt, daß die Sozialdemokraten bei der Bewältigung der Arbeitslosigkeit stören würden, und er hat sich dann auf Anträge bezogen, die die Sozialdemokraten vor
mehr als einem halben Jahr im Deutschen Bundestag vorgelegt haben, die von den Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und der F.D.P. in den Ausschüssen allerdings abgelehnt worden sind. Ich nenne namentlich den Antrag, ein Existenzgründungsprogramm zu schaffen; ich nenne namentlich den Antrag bezüglich Risikokapital. Ich weise auch darauf hin, daß die Sozialdemokraten im Wirtschaftsausschuß die Anträge der CDU wortgleich übernommen haben und diese dann noch in der Ausschußsitzung zurückgezogen worden sind. Dort ging es um Eigenkapitalhilfe.
Herr Schäuble, Sie sollten Ihre Vorwürfe uns gegenüber zurücknehmen, sonst kann man Sie nur als den größten Hetzer hier im Saal bezeichnen!
Herr Kollege Schwanhold, dieser Ausdruck ist in einem Parlament auch konditional nicht zu verwenden. Ich würde Sie bitten, damit wir es gleich vom Tisch haben, den Ausdruck zurückzunehmen.
Ich nehme die Formulierung „sonst kann man Sie nur als den größten Hetzer bezeichnen" zurück und sage: Herr Schäuble hat in Kenntnis anderer Tatsachen nicht die Wahrheit gesagt.
Herr Kollege Schäuble, wünschen Sie zu replizieren?
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Joseph Fischer.
Herr Präsident, ich bin Ihnen eine Antwort schuldig, denn Sie haben mich gefragt, ob ich antworten möchte. Ich möchte nicht antworten, weil ich mich auf dieses Niveau nicht begeben möchte.
Herr Kollege Fischer, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bürgermeister, gestatten Sie mir eine kurze Bemerkung. Mit der SPD ist es manchmal ein Kreuz, wenn ich Ihnen so zuhöre.
Josef Fischer
Ich nehme an, das sehen viele auch in der SPD-Fraktion so, ohne daß sie mir jetzt zustimmen werden.
Sie sollten nicht Wahlkampf für die Union machen. Das ist Ihnen allerdings unbenommen. Aber wenn Sie der Meinung sind, daß ein Nordstaat dann zustande kommt, wenn man grün wählt, dann müßten Sie eigentlich grün wählen. Wenn das der Weg ist, dann müßten Sie ihn eigentlich gehen.
- Na ja, er ist doch ein Fan des Nordstaates.
Herr Schäuble, Sie haben den Ernst dieser Debatte eingeklagt. Sie sprachen von den Sorgen der Menschen und bezogen sich auf das 50-Punkte-Programm. In den wenigen Minuten, die mir zur Verfügung stehen, möchte ich mich auf nur einen, wesentlich herausgestellten Punkt konzentrieren, nämlich auf die Abschaffung des Solidaritätszuschlages, wieviel Ernst Sie mit der Sorge der Menschen verbindet und was das mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze zu tun hat.
Meine Damen und Herren, wenn man Ihnen heute zugehört hat, hat man den Eindruck, die Koalition ist der Gesangsverein „Harmonie" hier im Saale. Wenn man die Zeitungen liest, sieht das ganz anders aus. Heute liest man die Aussage von Unionspolitikern über das Steuerchaos: „Wir sind doch keine Teppichhändler" . In der FAZ liest man: „Union wirft der FDP Erpressung vor" . Ich zitiere aus diesem Artikel:
So war in Bonn aus der CDU zu hören, die FDP habe die Union erpreßt, damit sie der Senkung des Solidaritätszuschlags Mitte 1997 um zwei Prozentpunkte auf 5,5 Prozent zustimme. Sonst wäre die FDP nicht dazu bereit gewesen, den Jahreswirtschaftsbericht zu verabschieden.
Das ist die Situation in dieser Koalition. Ich frage Sie: Was hat die Senkung des Solidaritätszuschlags angesichts der Haushaltslöcher, über die in der letzten Woche im Finanzausschuß berichtet wurde, angesichts einer erlahmenden Baukonjunktur im Osten, angesichts dramatischer Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern mit dem Schaffen neuer Arbeitsplätze, mit der Konsolidierung der Staatsfinanzen zu tun? - Es hat ausschließlich mit dem politischen Rettungsversuch für die F.D.P. zu tun. Das ist die Lage, wie Sie mit den Interessen der Menschen umgehen!
Viele meinen, Politik sei ein schmutziges Geschäft. Nun, wir haben doch gesehen, daß Theo Waigel heute weit jenseits jeder Selbstachtung das Gegenteil von dem erzählen mußte, was er wirklich denkt, nur damit die Koalition zusammenbleibt, nur um den Rettungsring für die F.D.P. im Wasser zu halten, meine Damen und Herren.
Wenn Sie etwas für die Arbeitsplätze tun wollen, dann müssen wir vor allen Dingen über die Senkung der Arbeitskosten diskutieren. Eine solche Senkung der Arbeitskosten wäre möglich, wenn Sie endlich dazu kämen, nicht weiterhin über die Sozialversicherungsbeiträge Leistungen zu finanzieren, die dem Grunde nach über den Bundeshaushalt und andere öffentliche Haushalte finanziert werden müßten. Sie müssen endlich den Mut haben, die nach wie vor unter Preis gehandelten Güter Umwelt und Energie zu verteuern und das, was dadurch an Einnahmen erzielt wird, für eine Senkung der Arbeitskosten zu verwenden. Nur so werden wir die Menschen in Arbeit bekommen.
Nur so werden wir es schaffen, daß tatsächlich neue Arbeitsplätze entstehen, nicht aber dadurch, daß mit der Senkung des Solidaritätszuschlags irgendwelche politischen Überlebensspiele für die F.D.P. veranstaltet werden. Das, Herr Bundeskanzler, wissen Sie so gut wie Herr Schäuble, wie Herr Waigel. Wir haben noch letzte Woche Ihren Finanzstaatssekretär dazu gehört. Sie sollten nicht mit den Interessen dieses Landes, mit den Interessen der Arbeitslosen, der Arbeitsplatzsuchenden zugunsten der Überlebensinteressen der F.D.P. ein schändliches Spiel treiben.
Haben Sie endlich den Mut, über Subventionsabbau nicht immer nur zu reden! Hier wird dauernd gesagt, die Sozialhilfeempfänger seien das Problem. Meine Damen und Herren, in diesem Lande ist es nach wie vor so, daß private Veräußerungsgewinne im Immobiliengeschäft nicht wie in den USA einer generellen Besteuerung unterliegen, sondern frei mitgenommen werden können. In diesem Lande ist es noch immer so, daß private Veräußerungsgewinne beim Verkauf von Aktienpaketen nach einer bestimmten Frist einfach mitgenommen werden können.
Ich sage Ihnen eines: Steuergerechtigkeit herzustellen ist ein großes Ziel. Dabei haben Sie unsere Unterstützung. Aber bei Ihnen, bei der F.D.P. und neuerdings auch bei Ihnen in der Koalition, bedeutet dieses im wesentlichen: zu Lasten der sozial Schwachen. Da sage ich Ihnen: Dem werden wir entschieden entgegentreten.
Sie betreiben ein Spiel, meine Damen und Herren, gegen die Interessen der Menschen in Ostdeutschland.
Heute werden wir darüber abstimmen, und ich bin gespannt, wie die Kolleginnen und Kollegen der CDU aus den neuen Bundesländern abstimmen werden. Wenn Sie unserem Antrag nicht zustimmen, stimmen Sie gegen Ihre eigene Überzeugung. Das wird politische Konsequenzen haben.
Das Wort hat der Kollege Dr. Otto Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Fischer, mit mir und sicherlich auch mit der F.D.P. könnten Sie das Thema Veräußerungsgewinne und deren Besteuerung in den von Ihnen angesprochenen Fällen sehr schnell dann klären, wenn die Beseitigung derartiger Vorschriften zur Senkung der Steuertarife führen oder zumindest dazu beitragen würde. Denn eines ist ja wohl klar: daß die absolute Höhe der Steuertarife in Deutschland dazu beigetragen hat, daß wir in den Jahren 1990 bis 1995 Investitionen von Ausländern in Deutschland in Höhe von 18 Milliarden DM hatten, aber im Umfang von 195 Milliarden DM Investitionen von Deutschen im Ausland.
Wollen Sie nicht sehen, wo das hinläuft? Wollen Sie nicht bereit sein, das endlich abzustellen?
Sehen Sie nicht, daß der BMW-Konzern heute mehr Arbeitnehmer im Ausland beschäftigt als in Deutschland? Lesen Sie nicht in den Zeitungen, daß die Lufthansa Stewardessen aus Thailand und Indien anstellt? Warum? - Natürlich sagen sie, wegen der sprachlichen Betreuung; es ist aber auch wegen der Kosten. Sehen Sie nicht, daß United Parcels ihr Logistiksystem aus Deutschland nach Irland verlegen? Sehen Sie nicht, daß die Deutsche Bank 200 Software-Ingenieure in Indien beschäftigt?
Wie lange wollen Sie das mit dieser Steuer- und Abgabenlast noch treiben und sich dagegen wehren, daß mit der Senkung des Solidarzuschlags zumindest ein richtiger Einstieg zugunsten der Steuerzahler erfolgen wird?
Das darf nicht der letzte Schritt sein, es muß weitergehen; wir müssen herunter von diesen Steuerlasten.
Eines hat die Diskussion heute klargemacht, meine Damen und Herren: Auch wer das „Bündnis für Arbeit" nicht ganz so jubilierend begrüßt - das wissen Sie von mir -, kommt jedenfalls nach dieser Diskussion zu der Erkenntnis, daß die deutschen Gewerkschaften erheblich einsichtsvoller, problembewußter, entgegenkommender sind als die sozialdemokratische Opposition in diesem Bundestag.
Die haben es verstanden; Sie hingegen haben es immer noch nicht verstanden, und Sie werden nicht die notwendigen Konsequenzen ziehen.
Was haben wir denn hier für eine traurige Opposition? - Da sitzt der Herr Fischer, der uns vor einiger Zeit erklärte, die Steuern müßten gesenkt werden; gleichzeitig erklärte uns Herr Trittin, die Steuern müßten herauf. Kümmern Sie sich um das Management Ihres Vereins, für das entsprechend Ihrem Kleidungsstück gilt: Management by Blue jeans, nämlich: durch Nieten zusammengehalten.
Meine Damen und Herren, wie ist das denn mit dem Herrn Ministerpräsidenten des Saarlandes? - Der kommt hier plötzlich hereingeschneit und weist um 9.10 Uhr in den ersten Sätzen seiner Rede auf das amerikanische Beschäftigungswunder hin. Wenn Sie sich darum kümmern würden, was hier abläuft, Herr Lafontaine, dann wüßten Sie, daß mir Herr Dreßler und Herr Fischer noch vor 14 Tagen eine kapitalistische und unsoziale Haltung vorgeworfen haben
- nein, nicht mit Recht -, weil ich genau auf dieses Beispiel abgestellt habe.
Ich füge jetzt hinzu - damals hatte ich nicht die Gelegenheit -: Die Probleme, die entstehen, wenn Arbeitseinkommen nicht einmal das Existenzminimum sichern, müssen wir natürlich anders regeln als in den Vereinigten Staaten, und dazu bietet sich der Vorschlag eines Bürgergeldes bzw. der Vorschlag einer negativen Einkommensteuer an.
Aber kommen Sie doch nicht einfach angereist, ohne sich um die Diskussionen zu kümmern, die bisher gelaufen sind, und erzählen uns dann, was wir zu tun hätten.
Meine Damen und Herren, mich haben übrigens die amerikafeindlichen Untertöne in dieser Diskussion, die wir vor 14 Tagen hatten, bedrückt.
Nur wer nicht sieht, meine Damen und Herren, wie wir auf die Vereinigten Staaten angewiesen waren - aber vielleicht gibt es keine Dankbarkeit -, wer nicht sieht, wie wir auf die Vereinigten Staaten und ihre Präsenz in Europa angewiesen sind, kann über unseren großen Bündnispartner und unsere Freunde in diesen Tönen reden.
Hier sind heute amerikanische Ökonomen schon reihenweise zitiert worden. Ich füge einen hinzu, der übrigens bei der SPD immer große Aufnahme fand. Lester Thurow hat uns in der vorigen Woche gesagt: Ohne reale Einkommensverzichte war dieses Ergebnis auf dem amerikanischen Beschäftigungsmarkt nicht zu haben. - Ich glaube nicht, daß das alles gerecht gelaufen ist.
- Das bestreite ich doch gar nicht; da können Sie auch aha schreien. Aber ohne dies geht es nicht.
Frau Beck, Sie können uns doch nicht erzählen, es gebe eine Überproduktion, die man nicht verkaufen könne. Herr Fischer hat gesagt, ich soll nicht wissen-
Dr. Otto Graf Lambsdorff
schaftlich reden. Anderenfalls würde ich Ihnen etwas von Malthus und dem Sayschen Theorem erzählen. Das ist alles - entschuldigen Sie - dummes Zeug. Alles ist absetzbar. Es gibt keine Überproduktion, die man nicht verkaufen kann, wenn man sie zu den richtigen Preisen anbieten kann.
Das eben können wir nicht, und daran scheitert im Augenblick die Beantwortung der Frage, woher wir neue Arbeitsplätze bekommen. Ohne reale Einkommensverzichte ist das bedauerlicherweise nicht zu machen.
Meine Damen und Herren, wir reden hier wirklich über existentielle Probleme. Das Thema Arbeitslosigkeit und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist nicht damit abzutun, daß Sie uns empfehlen, wir sollten mal eben einen Verschiebebahnhof von den Soziallasten zu den Steuern veranstalten und dann möglichst auch noch die Mehrwertsteuer erhöhen. Das wäre ökonomisch das Falscheste, was wir tun könnten. Fragen Sie mal die Handwerker und die Mittelständler, was die davon halten! Aber was hat die SPD beim Jahressteuergesetz gemacht? - Draufgesattelt, die Unternehmensteuerreform verhindert und damit zur Entwicklung und Steigerung der Arbeitslosigkeit in Deutschland weiter beigetragen.
Unsere Produktionskosten sind zu hoch. Wir müssen davon herunter.
Herr Kollege, der Kollege Fischer möchte gern eine Zwischenfrage stellen.
Mit Vergnügen!
Graf Lambsdorff, um eine Bemerkung sofort auszuräumen, frage ich Sie, ob Sie zur Kenntnis nehmen, daß wir uns unbeschadet sonstiger harter Kontroversen in der Standortdebatte mit allen Möglichkeiten, die es gibt und die auch in anderen Ländern ausprobiert werden, vorurteilsfrei auseinandersetzen müssen. Es wird zu unterschiedlichen Bewertungen kommen. Aber eine nüchterne Bewertung der amerikanischen Arbeitsmarktpolitik, die im übrigen von vielen wichtigen politischen Kräften in Amerika selbst geteilt wird, sollten wir nicht als Antiamerikanismus bezeichnen, weil das das Klima vergiftet.
Herr Fischer, nichts gegen kritische Auseinandersetzungen. Ich kenne das, was Herr Reich über die amerikanische Beschäftigungslandschaft geschrieben hat, genauso wie Sie. Ich werde niemals empfehlen und habe niemals empfohlen, das voll nach Deutschland zu übertragen, sondern ich sage: Hier müssen Löcher geschlossen werden, und dafür eignet sich eine vertiefte Diskussion über Bürgergeld oder negative Einkommensteuern sehr wohl. Aber es waren andere Töne über das Gesellschaftsbild, die Sie angeschlagen haben. Ich habe das sehr wohl in Erinnerung. Wenn wir uns aber darüber einig sind, daß solche Töne unangemessen sind und nicht Inhalt Ihrer Politik sein sollen, dann haben wir vielleicht eine Klärung erreicht, die für uns alle positiv ist.
Meine Damen und Herren, es führt kein Weg daran vorbei - ich sage das noch einmal -: Wer Ausgaben sparen will, muß Aufgaben sparen; sonst geht nichts. Nur wenn das gelingt, werden wir in der Lage sein, Abgaben und Steuern zu senken. Deswegen ist der Weg, den die Bundesregierung einschlägt, richtig. Er wird nicht ohne Schmerzen zu verfolgen sein. Aber was ist denn schlimmer? Ist es schlimmer, eine steuerliche Vergünstigung oder eine gewisse Sozialleistung zu verlieren, oder ist es schlimmer, wegen der Überzogenheit unserer Ansprüche weiterhin Arbeitslosigkeit zu produzieren? Haben wir über unsere Verhältnisse gelebt, wie so häufig gesagt wurde?
- Alle, die ganze deutsche Volkswirtschaft, alle miteinander! Gucken Sie sich doch bitte einmal die Forderungen der Gewerkschaften an, die heute als Tarifforderung auf den Tisch gelegt werden! Ich weiß, das ist nicht das Ergebnis. Aber glauben Sie, daß das viel Einsicht von der Seite der Tarifvertragsparteien in die wirklichen Gegebenheiten der Bundesrepublik und ihrer Wirtschaftslage darstellt? Da ist überhaupt keine Rede mehr von Beschränkung auf Inflationsausgleich! Warten wir ab, wie die Verhandlungen ausgehen werden. Am Tisch „Bündnis für Arbeit" in der Runde beim Bundeskanzler klang das vernünftiger.
Es wird Zeit, meine Damen und Herren, daß bei Ihnen die Vernunft und auch die Einsicht einkehren. Richten Sie sich ein bißchen nach den Gewerkschaften. Sie können davon etwas lernen!
Frau Kollegin Ursula Schmidt, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schäuble, Sie haben eben den DGB-Vorsitzenden Schulte zum „Bündnis für Arbeit" zitiert. Sie haben zitiert, daß er sich positiv dazu geäußert habe.
Das ist richtig, und das sehen wir auch so. Aber wie immer haben Sie nur die Hälfte zitiert. Sie haben verschwiegen, daß alle Gewerkschaften, einschließlich des DGB-Vorsitzenden, Ihr Aktionsprogramm als einen Rückfall hinter das „Bündnis für Arbeit" bezeichnet haben
und daß sich viele Menschen in diesem Lande fragen, nicht nur die Gewerkschaften, ob es Ihnen mit diesem „Bündnis für Arbeit" denn wirklich ernst ist.
Ulla Schmidt
Sie haben zweitens zitiert und auf Ihre Erfolge hingewiesen, daß Sie drei Millionen Arbeitsplätze geschaffen haben. Sie verschweigen, daß es sich dabei in einem großen Umfang um Teilzeitarbeitsplätze und überwiegend um versicherungsfreie Arbeitsverhältnisse handelt. Diese Erfolge wollen wir genau nicht. Wir wollen nicht eine neue Klasse der „working poor", wie es sie in Amerika gibt und wie es auch mit den 580-DM-Arbeitsverhältnissen bei uns passiert, wo im Grunde genommen jemand zwei Arbeitsplätze haben muß, damit er einmal überhaupt leben kann.
Was wir wollen, ist die gleichberechtigte Teilhabe aller an diesem Bündnis für Arbeit, und das schließt die Frauen in diesem Lande ein.
Herr Bundeskanzler, Sie haben ja nicht einmal den Versuch unternommen, das Thema Erwerbsarbeit für Frauen überhaupt ins Gespräch zu bringen. In all diesen Debatten hat sich überhaupt nicht die Frage gestellt, welche Maßnahmen diese Bundesregierung denn ergreifen muß, so daß dieses Heer auch der erwerbslosen Frauen sich gleichberechtigt in die Leistungsgesellschaft einbringen kann. Sie stellen sich nicht die Frage, wie Frauen in diesem Lande ihre eigene Existenz sichern können und daß sich auch Frauen eine Rente erarbeiten wollen, von der sie im Alter ohne Sorgen und in Würde leben können.
Wer wie Sie die Leistungsträger dieser Gesellschaft allein männlich definiert, der gefährdet nicht nur die erwerbsbezogenen sozialen Sicherungssysteme, er verschwendet wertvolle, hervorragend qualifizierte Arbeitsmarktressourcen.
Herr Kollege Lambsdorff, wenn Sie sagen: „Wer Ausgaben sparen will, der muß Aufgaben sparen", dann erwidere ich Ihnen: Wer Ausgaben in diesem Lande sparen will, der kann es sich nicht länger erlauben, daß die bestqualifizierte Frauengeneration, die es in der Geschichte dieses Landes je gab, außen vor den Toren bleibt,
obwohl diese Frauen daran interessiert sind, bei der Bewältigung der gesellschaftlichen Aufgaben mitzuwirken, und obwohl diese Frauen bereit sind, ihre Kreativität, ihr Wissen, ihr Können und ihr Engagement zum Wohle unseres Landes einzubringen.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Ihre Devise „Mehr Optimismus" bringt den Frauen überhaupt nichts. Nur auf das Gottvertrauen zu setzen ist vielleicht christlich, aber es ist noch keine Politik.
Unter diesen Bedingungen können Frauen wahrscheinlich froh sein, wenn sie am Ende dieses Jahres
den Status quo gehalten haben, es sei denn, es geschieht ein Wunder und diese Bundesregierung ringt sich durch und leitet Maßnahmen ein, daß endlich jeder zweite Arbeitsplatz mit einer Frau besetzt wird. Immerhin sind von den 5,2 Millionen Menschen, die einen Arbeitsplatz suchen, mehr als 2,5 Millionen weiblich. Das wäre dann schon etwas.
Dies müßte für Sie eigentlich ein Grund sein, wirklich etwas zu tun. Da appelliere ich auch an Sie, Herr Bundeskanzler. Es liegen genügend Vorschläge in diesem Hause vor, wie wir wirklich damit Ernst machen können, daß Frauen gleichberechtigt ihre Qualifikationen einbringen. Wir haben Gesetzesinitiativen eingebracht; wir haben Vorschläge gemacht zur Förderung von Frauen in der Privatwirtschaft; wir haben Vorschläge gemacht zur Wirtschafts- und Strukturpolitik. Wenn Sie nur einen ganz geringen Anteil, nur ein Zehntel, dieser Vorschläge überhaupt einmal ernst nehmen würden und sie umsetzen würden, dann würde das für die Frauen in Deutschland einen wirklichen Quantensprung auch für ihre gesellschaftliche Beteiligung bedeuten.
Ich will nicht ungerecht sein. Natürlich kommen in Ihrem 50-Punkte-Programm auch die Frauen vor, an einer Stelle. Mir kommt immer der Gedanke, daß manchmal die Bundesregierung Dienstleistung mit Dienstmädchen verwechselt. Aber auch in diesen Vorschlägen redet die Bundesregierung erneut davon, neue Beschäftigungsverhältnisse in Privathaushalten zu schaffen.
- Das wollen wir auch.
Aber diese neuen Beschäftigungsverhältnisse - das können vielleicht die Herren nicht so wissen - sind für die Frauen wirklich nicht so neu. Neu wäre, wenn Sie endlich einmal ein Konzept vorlegen würden, wie diese Beschäftigungsverhältnisse wirklich attraktiv gestaltet werden können, wie Sie diese Beschäftigungsverhältnisse unbürokratisch sozial absichern wollen und wie Sie dies auch bezahlen wollen. Dann können wir wirklich von „neuen, attraktiven Beschäftigungsverhältnissen" reden. Zur Erinnerung, meine Damen und Herren: Sie haben dieses Konzept schon in Ihrer Regierungserklärung angekündigt. Seitdem warten Millionen von Frauen darauf, daß aus der Ankündigung Realität wird und daß diese Beschäftigungsverhältnisse so attraktiv werden, daß sie auch einmal ein Mann annimmt und an den neuen Aufgaben wachsen kann.
Mir scheint, wenn ich an all das denke, daß ein „Bündnis für Arbeit" ein eigenes Programm für diese Bundesregierung wäre.
Ein weiterer Punkt: Seit Monaten findet in diesem Land eine Debatte über die Sicherung unserer Sozialsysteme statt. Es kommt immer wieder von Ihrer Seite der Mißbrauchsvorwurf. Wer von Miß-
Ulla Schmidt
brauch redet, der sollte endlich auch darüber reden, daß mehr als 4,5 Millionen Menschen, überwiegend Frauen, in Ost- und Westdeutschland arbeiten, die nicht sozial abgesichert sind und sich damit weder eigene Rentenansprüche noch Ansprüche auf Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz aufbauen, obwohl sie regelmäßig arbeiten.
Vollmundig haben Sie 1994 angekündigt, daß Sie in diesem Bereich Initiativen für neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse schaffen werden. Das einzige, was Sie geschafft haben, ist eine Steuererhöhung. Sie haben die Pauschalbesteuerung für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse auf 20 Prozent angehoben, um Ihren Haushalt zu sanieren. Dieses Geld statt dessen in die Sozialversicherungskassen zu lenken und die Beschäftigten sozial abzusichern, daran haben Sie keinen einzigen Gedanken verschwendet.
Wenn es einen Bereich gibt, in dem Sie Ordnung schaffen müssen und Mißbrauch bekämpfen müssen, dann ist das genau hier.
Ganz nebenbei, Herr Bundeskanzler, würden damit endlich Wettbewerbsverzerrungen ein Ende haben, wenn jede vergleichbare Arbeitsstunde gleich teuer wäre und in diesem Land nicht weiterhin diejenigen bestraft würden, die ordentliche sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse schaffen, weil diejenigen, die es nicht tun, ihre Leistungen billiger anbieten können.
Hier haben Sie ein großes Aufgabenfeld. Das würde die Ausgaben senken, weil es die Sozialversicherungskassen füllen würde.
Dies würde verhindern, daß Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, sich dann, wenn sie Leistungen für ihre Arbeit in Anspruch nehmen wollen, in das Heer der Sozialhilfeempfänger und -empfängerinnen einreihen müssen. Dann würde wirklich die Würde von Menschen und auch von Frauen in diesem Lande gewahrt.
Eines möchte ich noch abschließend sagen - meine Zeit ist abgelaufen -:
Wenn wir von einem „Bündnis für Arbeit" reden, dann meinen wir wirklich ein Bündnis im wahrsten Sinne des Wortes. Dann heißt das für uns die gerechte Teilung von Arbeit, von Einkommen, von Status und von sozialer Verantwortung zwischen Frauen und Männern. Es heißt für uns teilen, um zu gewinnen - für dieses Land.
Sie, Herr Bundeskanzler - wenn ich Sie einmal zitieren darf -, haben in Ihrer Regierungserklärung gesagt:
Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist als allgemeiner Grundsatz inzwischen unbestritten,
aber es wird im Alltag viel zuwenig dafür getan, Frauen gleiche Chancen zu geben.
Da kann ich Ihnen nur zustimmen. Die Politik der Bundesregierung ist das beste Beweisstück dafür.
Das Wort hat der Kollege Julius Louven.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht heute morgen hier schon ziemlich turbulent zu. Sie haben 30 Minuten Polemik betrieben und wissen offensichtlich gar nicht, was in Ihrer eigenen Fraktion stattfindet. Sie haben sich hier hingestellt und uns gesagt, wir sollten uns an Amerika orientieren. Vor 14 Tagen wurde hier gegen die amerikanischen Verhältnisse polemisiert.
Wir fordern seit langem den Arbeitsplatz im Haushalt, um damit auch die 590-DM-Beschäftigungsverhältnisse abzubauen. Sie haben dies bisher mit dem „Dienstmädchenprivileg" abqualifiziert. Nun kommt die Kollegin her und sagt: „Auch wir wollen dies."
Sie haben gemeint, Herr Lafontaine, wir seien mit unserer Politik in den letzten dreizehn Jahren gescheitert und wir seien nicht lernfähig geworden. Unsere Rezepte seien falsch. Reden wir doch mal über Ihre. In der Diskussion der vergangenen Jahre über die Wege zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit haben die deutschen Sozialdemokraten drei Lieblingskinder gehegt und gepflegt. Das erste Lieblingskind war die Idee der kollektiven Arbeitszeitverkürzung. Sie haben dies auch heute morgen wieder gefordert.
Das zweite Lieblingskind war die Vorstellung, die unter dem Namen „Kaufkrafttheorien gehandelt wird: je höher die Löhne, um so höher die Kaufkraft, um so höher die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, um so niedriger die Arbeitslosenrate.
Dies haben Sie uns insbesondere dann vorgeworfen, wenn wir die Tarifvertragsparteien mahnten, zu beschäftigungsorientierten Tarifabschlüssen zu kommen.
Julius Louven
Ihr drittes Lieblingskind schließlich ist die Vorstellung, daß der Staat und nicht die Tarifpartner für Vollbeschäftigung verantwortlich sind. Gefordert werden schuldenfinanzierte Beschäftigungsprogramme - auch jüngst wieder durch Sie und durch Herrn Schröder -, eine an der Beschäftigungslage und nicht an der Inflationsbekämpfung ausgerichtete Zinspolitik - auch heute wieder gefordert.
Nein, Herr Lafontaine, dies sind die falschen Wege. Mit diesen drei Lieblingskindern erleben Sie, meine Damen und Herren von der SPD, Ihr Waterloo. Sie stehen vor einem Desaster; denn mit einem Schlag, und zwar mit dem von den Gewerkschaften angebotenen „Bündnis für Arbeit", haben sich Ihre Lieblingsideen in Luft aufgelöst.
Die Gewerkschaften erkennen an, daß es einen Zusammenhang zwischen Lohnhöhe und Arbeitslosigkeit gibt und daß zu hohe Lohnforderungen Arbeitslosigkeit hervorrufen. Sie erkennen auch an, daß sie, die Gewerkschaften, und nicht allein der Staat, in einer sozialen Marktwirtschaft mit der Tarifautonomie für Beschäftigung Mitverantwortung tragen.
Gestern konnte man in den Zeitungen lesen, daß der Kollege Dreßler die Gewerkschaften ob ihrer Haltung in der Kanzlerrunde kritisiert hat. Gestern abend, nach einem Gespräch mit dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Herrn Schulte, ist mir klargeworden, warum Dreßler die Gewerkschaften kritisiert: Die deutschen Gewerkschaften sind viel, viel weiter als Sie, meine Damen und Herren von der SPD.
Lassen Sie mich an dieser Stelle gleich eine Bemerkung anfügen: Sie haben es in Ihrem Betondenken für notwendig gehalten, zu meinem Vorschlag, das Lohnfortzahlungsgesetz im Krankheitsfall zu ändern, hier eine Aktuelle Stunde durchzuführen. Ein „sozialpolitisches Horrorpärchen" hat der Kollege Schreiner in mir und der Kollegin Babel ausgemacht. Mißbrauch nach dem Lohnfortzahlungsgesetz wurde von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, schlichtweg - ich sage: wider besseres Wissen - bestritten. Dazu der DGB-Vorsitzende gestern abend: „Wir werden das Problem der Fehlzeiten durch Krankheit mit angehen."
Dies ist in der Runde beim Bundeskanzler von den Gewerkschaften gesagt worden. Auch in diesem Punkt ist der DGB also viel weiter als Sie in Ihrem Betondenken. Ich kann verstehen, daß Ihnen das alles weh tut. Nicht verstehen kann ich jedoch, daß Sie sich in diesen Fragen nunmehr mit den Gewerkschaften anlegen.
Ich will kurz auf Ihre drei Lieblingskinder eingehen. Mit einer erzwungenen Arbeitszeitverkürzung,
Herr Lafontaine, wird bestenfalls Arbeitslosigkeit, aber nicht Arbeit auf viele Schultern verteilt. Der Mangel wird nicht behoben, sondern er wird verwaltet. Auf diesbezügliche Untersuchungen und Ergebnisse der OECD habe ich hier schon zweimal hingewiesen. Dies läßt Sie aber scheinbar unberührt.
Über die Kaufkrafttheorie auch nur ein Satz. Wer behauptet, daß wir Arbeitslosigkeit in Deutschland deshalb haben, weil die Löhne zu niedrig sind, macht sich nach dem Angebot der Gewerkschaften, Lohnzurückhaltung zu üben, nur noch lächerlich.
Gleiches gilt für das von Ihnen immer wieder geforderte Beschäftigungsprogramm, notfalls durch die Erhöhung von Schulden.
Nun zu Ihrer Forderung, die Arbeitsförderung, also den zweiten Arbeitsmarkt, auszuweiten. Wir werden auf eine aktive Arbeitsmarktpolitik auch in Zukunft nicht verzichten, aber sie kann nicht flächendeckend den Verlust an wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen ausgleichen, sondern muß sich darauf konzentrieren, insbesondere die Chancen benachteiligter Zielgruppen am Arbeitsmarkt zu erhöhen. Sie darf vor allem wettbewerbsfähige Arbeitsplätze nicht gefährden oder verdrängen. Was Sie fordern, verteuert Arbeit, und dies ist Gift für den Arbeitsmarkt.
In diesem Zusammenhang erinnere ich noch einmal an die Anhörung zu Ihrem Arbeitsförderungsgesetz durch den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. In einer Schlußbetrachtung haben auf die Frage der Kollegin Babel, was nach ihrer Meinung notwendig sei, um Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, alle Wissenschaftler, gleich welchem Lager man sie zuordnen möchte, erklärt: Alles ist schädlich, was Arbeit verteuert. - Aber dies nehmen Sie einfach nicht zur Kenntnis.
In unserer sozialen Marktwirtschaft und mit unserer Tarifautonomie haben die Tarifpartner über den Preis der Arbeit zu befinden, und wer über den Preis entscheidet, bestimmt zugleich die Höhe der Nachfrage.
Diesen Zusammenhang haben die Gewerkschaften, wie dargelegt, mittlerweile anerkannt. Wir haben keinen Mangel an Arbeit in Deutschland, sondern wir haben einen Mangel an bezahlbarer Arbeit.
Das bedeutet nicht, meine Damen und Herren von der SPD, wie von Ihnen so oft in diffamierender Absicht behauptet, daß wir Lohnkürzungen oder gar ein portugiesisches oder polnisches Lohnniveau forderten. Dies ist weiß Gott nicht notwendig. Wir können niemals ein Niedriglohnland werden, und wir brauchen es auch nicht zu werden.
Julius Louven
In dem „Bündnis für Arbeit und Standortsicherung", auf das sich Bundesregierung, Gewerkschaften und Wirtschaft am 23. Januar verständigt haben, heißt es dazu:
In der zweiten Hälfte der 80er Jahre hatten Staat und Tarifpartner mit einer beschäftigungsorientierten Tarifpolitik schon einmal einen kräftigen Aufschwung am Arbeitsmarkt angestoßen. Es wurden damals 3 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen.
Dies heißt nichts anderes, meine Damen und Herren von der SPD, als dies: Wir hatten schon einmal ein „Bündnis für Arbeit", über das nur nicht so spektakulär diskutiert und gesprochen wurde wie heute. Dies war in den Jahren von 1983 bis 1989. Damals kam es zu moderaten langfristigen Tarifabschlüssen; der Regierung Kohl gelang es, die Staatsquote von über 50 Prozent, die Sie uns damals hinterlassen hatten, auf 46 Prozent abzusenken; und die Lohnzusatzkosten blieben stabil.
Dies zeigt, was jetzt geschehen muß, und ich bin zuversichtlich, daß wir auf Grund der Verabredungen beim Kanzler und auf Grund unseres Aktionsprogramms für mehr Beschäftigung auf dem richtigen Wege sind.
Meine Damen und Herren, wir wollen diesen Weg konsequent gehen, und ich bin mir ziemlich sicher, daß wir, wenn wir gemeinsam arbeiten, auf diesem Weg die erhofften Fortschritte erzielen werden.
Nur mit Betondenken und mit einem Denken in den Kategorien von gestern lösen wir die Probleme nicht.
Meine Damen und Herren! In fünf bis sechs Minuten werden wir drei - in Ziffern: drei - namentliche Abstimmungen haben. Es ist zwar vor namentlichen Abstimmungen üblich, daß an den Rändern lautstarke Gespräche geführt werden, aber es ist trotzdem rücksichtslos. Ich darf die Kollegen da oben bitten, ihre Gespräche nach außen zu verlegen und die fünf bis sechs Minuten noch zu warten.
Jetzt hat der Kollege Hans Büttner das Wort zu einer Kurzintervention.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ausführungen des Kollegen Louven veranlassen mich zu dieser Kurzintervention, um einige Fakten und Zahlen richtigzustellen.
Die von den Gewerkschaften betriebene Politik der Arbeitszeitverkürzung in den 80er Jahren hat ausweislich der Berichterstattung der Bundesregierung - deren Berichte Sie anscheinend selbst nicht zur Kenntnis nehmen - dazu geführt, daß sich die Zahl der Arbeitsplätze erhöht hat. 1982 wurden in Deutschland 45 Milliarden Arbeitsstunden geleistet,
1992 ebenfalls 45 Milliarden. Die tarifliche Arbeitszeit wurde in dieser Zeit um mehr als 6 Prozent verringert; die Beschäftigtenzahl hat sich um 8 Prozent erhöht, genauso wie die Zahl der Teilzeitarbeitsplätze. Dies ist ausschließlich Ergebnis gewerkschaftlicher Tarifpolitik und nicht den Maßnahmen, die Sie eingeleitet haben, zu verdanken.
Ihre Politik hat dazu geführt, daß die Einkommen in Deutschland im gleichen Zeitraum um 42 Prozent gestiegen sind, die der Arbeitnehmer allerdings bloß um 37 Prozent, die der Unternehmer und Kapitalbesitzer aber um 121 Prozent. Das Ergebnis dieser Umverteilung war, daß wir heute statt 2 Millionen mehr als 4 Millionen Arbeitslose in Deutschland haben. Eine solche Politik zu rechtfertigen, halte ich schon für sehr verwegen.
Der einzige Weg, der zu einer Veränderung führt, ist, neben der Entlastung der unternehmerischen Tätigkeit endlich das kapitalorientierte Unternehmertum heranzuziehen und weiter eine Politik der Arbeitszeitverkürzung und der Arbeitsverteilung zu machen.
Herr Kollege Louven zur Replik.
Lieber Kollege Büttner, Sie haben es offensichtlich immer noch nicht begriffen. Ich habe noch nie bestritten, daß es Arbeitszeitverkürzungsmodelle gibt, die sinnvoll sind. Ich habe eben davon gesprochen, daß eine verordnete Verkürzung der Arbeitszeit nicht zu erwünschten Ergebnissen auf dem Arbeitsmarkt führt,
weil eine verordnete Verkürzung die Arbeit verteuert.
Nichts anderes habe ich hier erklärt. Aber offensichtlich wollen Sie oder können Sie - diesen Verdacht habe ich eher - dies nicht verstehen.
Frau Kollegin Dr. Christa Luft, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Herren Waigel, Schäuble, Graf Lambsdorff und Louven umgingen in ihren Debattenbeiträgen, die wortgewaltig, aber, so finde ich, dennoch nicht überzeugend waren, ein Faktum: Das Phänomen Massenarbeitslosigkeit ist doch nicht eines der letzten Jahre, der jüngsten Vergangenheit.
Dr. Christa Luft
Das ist schon seit Mitte der 70er Jahre eine Geißel dieser Gesellschaft.
Was diese seit mehr als 12 Jahren amtierende Koalitionsregierung tut, um diesem Phänomen beizukommen, ist absolut unzureichend. Es verhält sich wie eine Mücke zu einem Elefanten.
Sie müssen doch endlich eingestehen, daß Ihr althergebrachter marktwirtschaftlicher Instrumentenkasten leer ist. Aber Sie lassen Millionen Menschen den weiteren Griff in diesen leeren Kasten bitter bezahlen, eben mit Arbeitslosigkeit.
Gestatten Sie mir nur einige wenige Beispiele, um darzustellen, wie sich dieses Instrumentarium erschöpft hat.
Eine Losung dieser Koalitionsregierung war und ist die Privatisierung öffentlichen Eigentums. Aber ich beobachte, daß die Privatisierung längst aus den vernünftigen Bahnen geraten ist. Sie ist zum Selbstzweck geworden. Der Bund hat sein Vermögen inzwischen fast vollständig verkauft, ohne daß dies einen positiven Effekt auf den Arbeitsmarkt hätte, ohne daß arbeitslose Menschen etwas davon gehabt hätten.
Jetzt drängen Sie die Kommunen, ihr Eigentum zu privatisieren. Aber anstatt den Mittelständlern ein neues Betätigungsfeld in der Wirtschaft zu eröffnen, wodurch Arbeitsplätze entstehen können - oder zumindest nicht weiter vernichtet werden -, sehen Sie zu, wie immer mehr international verflochtene Konzerne hier einsteigen und mit früher öffentlich erbrachten Leistungen Arbeitsplätze vernichten.
In Ostdeutschland ist mit Weltrekordtempo privatisiert worden. Wir wußten jedoch schon aus marktwirtschaftlichen Lehrbüchern: Flächendeckende Privatisierung allein bringt noch keine marktwirtschaftliche Wirtschaftsweise hervor, sondern dazu ist Wettbewerb erforderlich. Wettbewerb ist in Ostdeutschland aber nicht entfaltet worden. Wir haben dort sehr viele Tochtergesellschaften, die abhängig und rezessionsgefährdet sind. Wir haben dort sehr viele Unternehmen, die noch nicht chancengleich am Wettbewerb teilnehmen. Ohnehin zahlen sehr viele ostdeutsche Unternehmen zu meinem Bedauern schon nicht mehr Tariflöhne, weil sie aus dem Unternehmerverband ausgetreten sind.
Erwartet Herr Graf Lambsdorff vielleicht, daß man in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und wo auch immer nun mit Löhnen wie in Taiwan, Hongkong, Singapur oder Litauen konkurriert? Er sagte: Wenn man Produkte zu Preisen anbietet, bei denen eine Nachfrage entsteht, dann würde man die Produkte auch loswerden.
Ich kann mir keine Konkurrenz mit den Löhnen der genannten oder anderer Länder vorstellen. Insofern finde ich dieses Auseinanderdividieren von Oppositionsparteien und Gewerkschaften einfach unfair, weil ich niemanden in den Gewerkschaften kenne, der den Zusammenhang zwischen Löhnen und Lebenshaltungskosten außer acht ließe.
Frau Kollegin, die Redezeit ist schon ein gutes Stück überschritten.
Ich rate den Koalitionsparteien und den Regierungsmitgliedern, daß sie des öfteren einen Blick ins Grundgesetz werfen; denn dort steht: Mit privatem Eigentum ist eine Sozialpflicht verbunden, und die öffentliche Hand hat im Gemeinsinn wirksam zu werden. Das größte Gemeininteresse in diesem Land müßte darin bestehen, der Massenarbeitslosigkeit an der Wurzel beizukommen.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/3263, 13/1888 und 13/ 3613 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen. Ich weise noch einmal darauf hin, daß wir drei namentliche Abstimmungen haben.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Gruppe der PDS zu arbeitsmarktpolitischen Sofortmaßnahmen für 1996, Drucksache 13/ 3636. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2263 abzulehnen.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3649 vor. Der Änderungsantrag besteht aus zwei Absätzen. Der Absatz I betrifft die Zurückführung des Solidaritätszuschlags. Über diesen Teil des Änderungsantrags stimmen wir zuerst ab.
Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen verlangt hierzu namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. -
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? -
Sind jetzt alle Stimmen abgegeben? - Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Meine Kolleginnen und Kollegen, bis zum Vorliegen des Ergebnisses dieser namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung, bitte Sie aber, im Saal oder in der Nähe des Saales zu bleiben, weil wir unmittelbar nach Verkündung des Ergebnisses mit weiteren namentlichen Abstimmungen fortfahren.
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich darf das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Nr. I des Änderungsantrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3649 bekannt geben. Abgegebene Stimmen 632. Mit Ja haben gestimmt 308. Mit Nein haben gestimmt 324. Keine Enthaltungen.
Damit ist die Nr. I des Änderungsantrags abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 629
ja: 305
nein: 324
Ja
SPD
Brigitte Adler Gerd Andres Robert Antretter
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau
Hans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Lilo Blunck
Arne Börnsen Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Hans Martin Bury
Hans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler Ludwig Eich Peter Enders Petra Ernstberger
Annette Faße Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Dagmar Freitag
Anke Fuchs
Katrin Fuchs
Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Norbert Gansel Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Dr. Peter Glotz
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl-Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein
Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Barbara Imhof
Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher
Klaus Lennartz
Klaus Lohmann Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß
Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck
Markus Meckel Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Wilfried Penner
Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach
Otto Reschke Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter
Günter Rixe
Gerhard Rübenkönig
Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler
Horst Schild Otto Schily
Dieter Schloten Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt
Dr. Emil Schnell Walter Schöler
Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
Brigitte Schulte Reinhard Schultz
Volkmar Schultz (Köln)
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Dietmar Thieser Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt
Karsten D. Voigt Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg
Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann
Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln)
Vizepräsident Hans Klein Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Antje Hermenau Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller Winfried Nachtwei Christa Nickels
Cern Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Dr. Jürgen Rochlitz Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt Wolfgang Schmitt
Ursula Schönberger Waltraud Schoppe Werner Schulz Rainder Steenblock Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer
Ludger Volmer
Helmut Wilhelm Margareta Wolf (Frankfurt)
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs
Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz
Andrea Lederer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller Rosel Neuhäuser Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler Hartmut Büttner
Dankward Buwitt
Manfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Dr. Karl H. Fell
Ulf Fink
Dirk Fischer Leni Fischer (Unna)
Klaus Francke Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe
Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Klaus-Jürgen Hedrich Manfred Heise
Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst
Michael Jung Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Hans Klein Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach
Walter Link Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven Sigrun Löwisch
Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer Hans Michelbach Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost
Eduard Oswald Norbert Otto Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold
Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber
Peter Harald Rauen Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter
Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Hannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken
Vizepräsident Hans Klein Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu
Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Horst Seehofer Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall
Dr. Horst Waffenschmidt Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann
Simon Wittmann
Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Heinz Lanfermann
Sabine LeutheusserSchnarrenberger Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 13/3636 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der PDS auf Drucksache 13/2263 abzulehnen. Wer den Antrag ablehnen will, muß also mit Ja stimmen.
Die Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer und Schriftführerinnen, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
- Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. *)
Ich bitte Sie, Platz zu nehmen.
Wir setzen die Beratungen fort. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD zum Solidaritätszuschlag auf Drucksache 13/3648.
- Darf ich um etwas Ruhe bitten? Sie wollen sicher wissen, worüber Sie abstimmen.
Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, wieder die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Dann eröffne ich die Abstimmung. -
Ist noch eine Kollegin oder ein Kollege anwesend, der seine Stimme nicht abgegeben hat? - Dann bitte ich, dies doch zu tun.
Sind alle Stimmen abgegeben? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekanntgegeben.**)
Zu einem Teil der Abstimmung ist seitens der Gruppe der PDS um das Wort gebeten worden. Frau Kollegin Luft, Sie wollen das Wort? - Bitte sehr.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine kurze Erklärung zu meinem Abstimmungsverhalten zum SPD-Antrag.
Ich weiß, daß sich einige Kolleginnen und Kollegen aus meiner Gruppe anders entschieden haben.
Ich habe dem SPD-Antrag zum weiteren Umgang mit dem Solidarzuschlag zugestimmt, weil ich erstens der Meinung bin, daß es zwar zweifelsohne wünschenswert ist, eine Abgabenentlastung herbeizuführen, die Regierung aber bislang eine solide Gegenfinanzierung nicht vorgelegt hat.
Zweitens habe ich zugestimmt, weil ich den Abbau dieses Aufschlages auf die Einkommensteuer - eigentlich ist es gar kein Solidaritätszuschlag, denn auch die Menschen im Osten bezahlen ihn - nicht deshalb befürworten kann, nur weil die F.D.P. aufgebaut werden soll.
Drittens meine ich, daß die Klein- und Mittelverdiener durch das Regierungsvorhaben viel weniger entlastet werden als die Hochverdiener. Es handelt sich also wiederum um ein besonderes Geschenk an eine bestimmte Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern in diesem Lande.
*) Seite 7262
**) Seite 7264
Dr. Christa Luft
Ich erkläre aber auch, daß ich meine Zustimmung an die Erwartung binde, daß die SPD-Fraktion in diesem Plenum Druck macht, endlich mit der ökologischen Steuerreform zu beginnen. Denn was in dem Antrag steht, daß Sie nämlich zum 1. Juli 1996 die Lohnnebenkosten senken wollen, hat zur Voraussetzung, daß wir bei der ökologischen Steuerreform vorankommen.
Ich schlage vor, auf die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen gemeinsam Druck auszuüben, damit wir bei der Realisierung der ökologischen Steuerreform das gleiche Tempo an den Tag legen können, wie es die Regierung bei der sogenannten Reform der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe vorlegt. Dann könnten wir zum 1. Juli bei der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit tatsächlich einen Schritt weiterkommen.
Danke schön.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 sowie die Zusatzpunkte 3 und 4 auf:
2. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Strukturreform in der gesetzlichen Krankenversicherung
- Drucksache 13/3608 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit Haushaltsausschuß
ZP3 Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesundheitsstrukturgesetzes
- Drucksache 13/3607 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuß
ZP4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Knoche, Marina Steindor, Marieluise Beck , weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Umbau und Weiterentwicklung der Gesundheitsstruktur
- Drucksache 13/3612 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Wolfgang Lohmann das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem heutigen Gesetzentwurf legt die Koalition den letzten Baustein ihres Gesamtpaketes zur dritten Stufe der Gesundheitsreform vor.
Dieses Gesamtpaket hat die Koalition nach langen Diskussionen mit allen Beteiligten im Gesundheitswesen aus drei Teilen geschnürt. Sie hat dabei die notwendigen Konsequenzen aus den Erfahrungen des Gesundheits-Reformgesetzes 1989 und des Gesundheitsstrukturgesetzes 1992 gezogen und deshalb auch zuerst den Bereich politisch angepackt, in dem von allen Sachkundigen in der gesundheitspolitischen Landschaft unstreitig der größte Handlungsbedarf diagnostiziert wird, nämlich im Bereich des Krankenhauses.
So war es nur logisch, daß die Koalition zunächst das Gesetz zur Stabilisierung der Krankenhausausgaben 1996 und das Gesetz zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung 1997 noch im alten Jahr, also 1995, eingebracht hat. Die Vorwürfe von Oppositionspolitikern, „Salamitaktik" - ich zitiere Frau Lehn; das wurde heute wiederholt -, „ scheibchenweise" - das stammt von Professor Pfaff - oder „Ein Konzept ist bisher nicht erkennbar", gehen allein schon deshalb an der Sache vorbei.
Es war für uns ebenso logisch, daß die parlamentarischen Beratungen der beiden Krankenhausgesetze getrennt durchgeführt wurden und wir bereits am 19. Januar das Stabilisierungsgesetz 1996 in zweiter und dritter Lesung mit der Mehrheit der Koalition beschlossen haben, da die Krankenhäuser zu Recht Planungssicherheit für das laufende Jahr verlangen.
Nebenbei führt das vorgesehene Gesetz voraussichtlich zu Einsparungen bzw. zur Vermeidung von Kostenerhöhungen in einer Größenordnung von rund 3 Milliarden DM. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß dieses Gesetz quasi ungeschoren den Bundesrat passiert. Danach sieht es im Moment nicht aus, da die beteiligten Bundesratsausschüsse trotz der Dringlichkeit des Gesetzentwurfes aus rein taktischen Gründen empfohlen haben, den Vermittlungsausschuß anzurufen.
Leider muß man den Krankenhäusern sagen, daß im Moment jedenfalls die Hängepartie für sie weitergeht.
Das Stichwort Bundesrat gibt mir die Gelegenheit, gleich zu Beginn eine der Kernbotschaften der Koalition zu wiederholen - dieser Hinweis gilt vor allen Dingen für die Opposition -: Ohne eine wirksame Krankenhausreform wird es eine dritte Reformstufe
Wolfgang Lohmann
im Gesundheitswesen auch in der ambulanten Versorgung nicht geben.
Es ist unumgänglich, endlich diesen bisher reformresistenten Krankenhausbereich substantiell anzugehen, den Bereich, der jährliche Ausgabensteigerungen zu verzeichnen hat, die nahezu 100 Prozent über der Einnahmenentwicklung der Krankenkassen liegen.
Die Länder müssen deshalb am 9. Februar, morgen in einer Woche, beweisen, ob sie der zwischen allen Fachleuten unstreitigen Tatsache, daß die Entscheidung über die Finanzierbarkeit der GKV nicht im Bereich der ambulanten, sondern im Bereich der stationären Versorgung fällt, Rechnung tragen oder ob sie mit ihrer Politik fortfahren, den Krankenhaussektor durch das Einfordern immer neuer Ausnahmeregelungen zu verschonen.
Meine Damen und Herren, dies zu sagen war mir in der heutigen Debatte wichtig, um noch einmal die Zielrichtung des Gesamtpakets der Koalition zur dritten Stufe zu verdeutlichen und jedermann zu verstehen zu geben, in welchem Bereich die Koalition in erster Linie eine beitragsdämpfende Wirkung erwartet.
Die Grundphilosophie für den hier vorliegenden Gesetzentwurf basiert auf der Erkenntnis, daß eine reine Kostendämpfungspolitik mit halbherzigen Strukturverbesserungen auf Dauer nicht geeignet ist, den Herausforderungen der Zukunft gerecht zu werden. Die Koalition ist nach intensiven Diskussionen der festen Überzeugung, daß wir nur über die Stärkung der Selbstverwaltungskompetenz in der Lage sind, trotz demographischer Entwicklung, der damit einhergehenden zunehmenden Multimorbidität sowie des medizinisch-technischen Fortschritts die Beitragssatzentwicklung einigermaßen im Lot halten zu können. Diese Stärkung der Selbstverwaltung machen wir an drei Elementen fest: an der Leistungsverantwortung, an der Finanzverantwortung und auch an der Eigenverantwortung.
Die Rückbesinnung auf das Selbstverwaltungsprinzip in der sozialen Krankenversicherung bedeutet zuallererst, daß den Selbstverwaltungspartnern Gestaltungsfreiheit und Gestaltungsverantwortung eingeräumt und übertragen wird. Dies kann nach Auffassung der Union nur durch eine möglichst weitgehende Liberalisierung des Vertragsrechts realisiert werden. Diese Liberalisierung des Vertragsrechts, die Chancen und Optionen eröffnet, die von vielen von uns in ihrer Dimension noch gar nicht überblickt werden, wird von uns als Option für die Selbstverwaltung verstanden, die von dieser dann allerdings auch angemessen und innovativ genutzt werden muß.
Wir wollen im Vertragsbereich ein einheitliches I und gemeinsames Handeln der Krankenkassen und ihrer Verbände auf die Fälle beschränken, wo dies unter medizinischen oder organisatorischen Aspekten wirklich zwingend geboten ist. Beispielhaft sind hier zu nennen Vereinbarungen zur Definition der abrechnungsfähigen vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Leistungen, die Abrechnungsgrundlage von Leistungen oder auch die Gestaltung der Krankenversicherungskarte. Alle anderen Verträge müssen weder einheitlich noch gemeinsam sein, sondern können kassen- oder kassenartspezifisch - das wiederum auf Landes-, auf Bundes- oder auf Kassenebene - sein.
Da diese Möglichkeit nun von manchen schon vor Veröffentlichung des Gesetzentwurfes falsch interpretiert worden ist, erkläre ich hier noch einmal ausdrücklich, daß bei unserem Konzept die Betonung auf dem Wort „können" liegt. Es gibt keinen Zwang zur Flexibilisierung des Vertragsrechts.
Natürlich ist es auch richtig, daß die mit der Liberalisierung des Vertragsrechts geschaffenen Optionen wegen der Gliederung der Krankenversicherung ganz neue Allianzen und Strukturen auf allen Ebenen schaffen werden, die einen gewissen Zwang zur Flexibilität und Beweglichkeit für die Krankenkassen auslösen werden, wenn man nicht in erstarrten Strukturen im Wettbewerb der Krankenkassen letztendlich versagen will.
Viel weitgehender als bisher sollen die Krankenkassen die Möglichkeit bekommen, im Rahmen ihrer Aufgabenstellung zur Verbesserung von Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung sowohl neue Verfahren und Organisationsformen der Leistungserbringung als auch neue Leistungen der Krankenbehandlung und -pflege, der Rehabilitation und Prävention in zeitlich befristeten Modellvorhaben zu erproben.
Die von der Koalition vorgesehenen Gestaltungsmöglichkeiten der Krankenkassen im Satzungsrecht haben neben der Dynamisierung der Selbstbeteiligung, auf die ich später noch eingehen werde, in der Öffentlichkeit für den größten Wirbel gesorgt. Frau Schaich-Walch, Sie haben sich nicht gescheut, von einem Einstieg in den rigorosen Umbau unseres Gesundheitssystems zu sprechen.
Hätten Sie die Fertigstellung des Gesetzentwurfes abgewartet und die Begründung gelesen, wäre eine derartig abenteuerliche Unterstellung möglicherweise unterblieben. Andererseits weiß ich auch, daß wir uns im Wahlkampf befinden. Insofern werden Sie von solchen Wertungen vorläufig wohl nicht ablassen.
Dennoch noch einmal, zumindest für die, die guten Willens sind: Unsere Kernbotschaft in diesem Zusammenhang ist: Der Leistungskatalog der gesetzlichen
Wolfgang Lohmann
Krankenversicherung wird gegenüber dem geltenden Recht nicht verändert.
Das ist wichtig, weil immer wieder das Gegenteil unterstellt wird. Im Rahmen ihrer Aufgabenstellung kann die Selbstverwaltung der Krankenkasse zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten in ihre Satzung hineinnehmen. Danach kann - ich betone noch einmal: kann! - jede Krankenkasse Regelungen wie Beitragsrückerstattung oder Selbstbehalte im Rahmen von Kostenerstattungsregelungen anbieten, die allen - ich wiederhole: allen! - bei ihr versicherten Personen offenstehen müssen. Also, sie kann, und wenn sie das beschließen sollte, dann muß sie es allen anbieten. Eine individuelle Zu- oder Abwahl im Rahmen des Leistungskataloges ist nicht vorgesehen, weil dies auch mit einer solidarisch finanzierten gesetzlichen Krankenversicherung nicht vereinbar ist. Herr Kollege Dreßler hat gerade in diesem Zusammenhang auch früher immer darauf hingewiesen, daß die saubere Trennung zwischen den Systemen erhalten bleiben muß.
Das aber nun von Ihnen, von der SPD, in den Raum gestellte Szenario des Einstiegs in den Umbau im Sinne rigoroser Erhöhungen von Zuzahlungen könnte bei der paritätischen Besetzung der Selbstverwaltung der Krankenkassen nur dann eintreten, wenn die Arbeitnehmerseite beispielsweise einer solchen Erhöhung aller Zuzahlungen zustimmen würde. Dies ist aber doch lebensfremd und genauso abstrus wie die Aussage exponierter Vertreter des AOK-Bundesverbandes, daß bei einer Ablehnung von Beitragssatzerhöhungen durch den Verwaltungsrat die Kasse durch erhöhte Zuzahlungen aller Mitglieder die Defizite ausgleichen müßte. Auch dies wäre nur möglich, wenn zumindest die Hälfte der Arbeitnehmerseite im Verwaltungsrat zustimmen würde.
Fazit: Hier wird aus ideologischen Gründen die Öffentlichkeit irregeführt. Mehr ist es nicht.
In Ihrer gestrigen Pressekonferenz unter dem hollywoodreifen Titel „Der letzte Zug nach Lahnstein geht in 24 Stunden" haben die Kollegen Dreßler und Kirschner die Punkte Beitragsrückgewähr, Kostenerstattung und Erhöhung der Zuzahlungen - wohlgemerkt: alles nur Entscheidungen von uns aus auf der Basis von Selbstverwaltung und Freiwilligkeit - als die Knackpunkte bezeichnet, die mit der SPD auf keinen Fall zu machen seien. Wenn das alles ist, könnten Sie nach meinen Erläuterungen, die ich jetzt gegeben habe, vor allem im Hinblick auf die Freiwilligkeit und das Können und nicht das Müssen, ganz beruhigt unserem Gesetzentwurf zustimmen und Ihren zurückziehen.
Nun nach der Leistungsverantwortung zur Beitragsverantwortung. Zur Liberalisierung der Vertragskompetenzen gibt es natürlich auch eine Kehrseite. Diese Kehrseite der Medaille heißt Finanz- und Beitragssatzverantwortung der Selbstverwaltung. Freiheit und Verantwortung auf der Leistungsseite kann nur dann gewährt werden, wenn auch Verantwortung auf der Beitragssatzseite übernommen wird.
Leistungs- und Finanzverantwortung der Selbstverwaltung sind also die Elemente, die den Kern unseres Selbstverwaltungskonzepts darstellen.
Wir wollen Erhöhungen des allgemeinen Beitragssatzes für vermeidbare bzw. unwirtschaftliche Entwicklungen zur Sicherung der Beitragssatzstabilität und zur Vermeidung zusätzlicher Belastungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausschließen. Es darf daher keine Beitragssatzerhöhungen geben, die auf Grund überdurchschnittlicher Steigerungen von Verwaltungs- und Werbeausgaben sowie der Aufwendungen für Modellvorhaben und Satzungsleistungen erforderlich werden.
Andererseits bekennt sich die Koalition zu Beitragssatzerhöhungen in natürlich eng begrenztem Umfang, wenn dies zur Sicherung der medizinischen Versorgung und vor allen Dingen des medizinischen Fortschritts unumgänglich notwendig ist.
Deshalb haben wir uns dafür entschieden, Beitragssatzerhöhungen von der Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit von mehr als drei Viertel der satzungsgemäßen Mitglieder des Verwaltungsrates abhängig zu machen. Dabei haben wir die Entscheidung, daß alle Möglichkeiten der Einflußnahme der Kasse auf Einnahmen und Ausgaben ausgeschöpft sein müssen, in die Hände des Verwaltungsrates gestellt. Der Vorstand hat das vorzutragen und zu begründen.
Zur Eigenverantwortung - ich sehe, daß die Zeit schneller läuft als die Möglichkeit, das Konzept vorzustellen - kurz: Viele von der SPD haben versucht, sich an angeblichen Erhöhungen der Selbstbeteiligung festzubeißen. Das ist falsch. Denn eine Dynamisierung der bisher vorhandenen Selbstbeteiligung, das heißt nicht mehr als die Beibehaltung der Wertigkeit, ist keine Erhöhung, sondern bedeutet eine gleichmäßige Beibehaltung der bisherigen Selbstbeteiligung.
Sie selbst von der SPD haben im Bereich der Arzneimittel durch Ihre damalige Forderung - die Sie durchgesetzt haben -, daß die Selbstbeteiligung bei Arzneimitteln von der prozentualen Beteiligung auf die packungsbezogene Beteiligung umgewandelt wird, den Mitgliedern der Krankenkassen einen zusätzlichen Beitrag abverlangt, indem Sie ihnen 850 Millionen DM zusätzlich auf das Auge gedrückt haben. Das muß man bei dieser Gelegenheit noch einmal sagen.
Wer dieses Modell als „Abkassiermodell" bezeichnet, liegt falsch und polemisiert. Auch wenn wir sagen, daß diejenigen, die eine Kostenerstattung wollen, diese künftig auch wählen können, so muß
Wolfgang Lohmann
Sie das doch nicht in Ihrer ideologischen Vorbestimmung von den Stühlen reißen. Ich frage: Warum soll sich ein Pflichtversicherter nicht freiwillig für eine Kostenerstattung entscheiden können? Warum wollen Sie den Pflichtversicherten auch weiterhin, vor allen Dingen nachdem wir auch die Wahlfreiheit haben werden, weniger Freiheitsrechte einräumen als den freiwillig Versicherten?
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Alles in allem: unser Konzept ist rund; es ergänzt die bisher vorgelegten. Daß mit Ihnen gesprochen werden muß, ist selbstverständlich, und zwar da, wo es hingehört, in den Ausschuß, zu jeder Zeit und sooft Sie wollen.
Danke schön.
Ich gebe zunächst das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmungen bekannt, und zwar zunächst die Abstimmung über die Beschlußempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 13/3636 zu dem Antrag der PDS auf Drucksache 13/2263. Abgegebene Stimmen: 631. Mit Ja haben 560 gestimmt, mit Nein 27, enthalten haben sich 44. Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen und der Antrag der PDS auf Drucksache 13/2263 abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 631
ja: 560
nein: 27
enthalten: 44
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Rudolf Braun Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber Klaus Bühler Hartmut Büttner
Dankward Buwitt
Manfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann
Heinz Dieter Eßmann
Horst Eylmann Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Dr. Karl H. Fell
Ulf Fink
Dirk Fischer Leni Fischer (Unna)
Klaus Francke Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill
Wolfgang Gröbl
Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Klaus-Jürgen Hedrich Manfred Heise
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst
Michael Jung Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Hans Klein Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe
Norbert Königshof en Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet
Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann Werner Lensing
Christian Lenzer Peter Letzgus
Editha Limbach
Walter Link Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven
Sigrun Löwisch
Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer Hans Michelbach Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold
Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber
Peter Harald Rauen Otto Regenspurger
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Hannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth
Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Horst Seehofer Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall
Dr. Horst Waffenschmidt Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann
Simon Wittmann
Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer Wolfgang Zöller
SPD
Brigitte Adler Gerd Andres Robert Antretter
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau
Hans Berger Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Lilo Blunck
Arne Börnsen Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt Hans Martin Bury
Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Petra Ernstberger
Annette Faße Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Dagmar Freitag Anke Fuchs
Katrin Fuchs
Arne Fuhrmann Monika Ganseforth
Norbert Gansel Konrad Gilges Iris Gleicke
Günter Gloser Dr. Peter Glotz
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Achim Großmann
Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein
Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Barbara Imhof
Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning
Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange
Detlev von Larcher Klaus Lennartz
Klaus Lohmann Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller
Jutta Müller Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach
Otto Reschke Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter
Günter Rixe
Gerhard Rübenkönig
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Dieter Schanz Rudolf Scharping Bernd Scheelen Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
Brigitte Schulte Reinhard Schultz
Volkmar Schultz (Köln)
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann
Margitta Terborg Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Dietmar Thieser Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt
Karsten D. Voigt Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Cem Özdemir
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Heinz Lanfermann
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Jürgen W. Möllemann
Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
Nein
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva-Maria Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Ruth Fuchs
Hanns-Peter Hartmann Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz
Andrea Lederer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller Rosel Neuhäuser Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz
Enthalten
SPD
Hans Büttner
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann
Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Antje Hermenau Kristin Heyne
Ulrike Höfken-Deipenbrock Michaele Hustedt
Dr. Manuel Kiper
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Oswald Metzger
Kerstin Müller Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Gerd Poppe
Simone Probst
Dr. Jürgen Rochlitz
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt Wolfgang Schmitt
Ursula Schönberger Waltraud Schoppe
Werner Schulz Rainder Steenblock
Marina Steindor
Christian Sterzing
Manfred Such
Dr. Antje Vollmer
Ludger Volmer
Helmut Wilhelm Margareta Wolf (Frankfurt)
Ich gehe davon aus, daß damit die Beschlußassung über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen II auf Drucksache 13/3649 erledigt ist, weil er ebenfalls die Ablehnung des Antrages der PDS beinhaltete.
Dann haben wir das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD über den Solidaritätszuschlag auf Drucksache 13/3648.
Abgegebene Stimmen: 627. Mit Ja haben gestimmt 292 Abgeordnete, mit Nein 323, 12 Enthaltungen. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 627
ja: 292
nein: 323
enthalten: 12
Ja
SPD
Brigitte Adler Gerd Andres Robert Antretter
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau
Hans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Lilo Blunck
Arne Börnsen Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Hans Martin Bury
Hans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Ludwig Eich
Peter Enders
Petra Ernstberger Annette Faße
Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs Katrin Fuchs (Verl) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Norbert Gansel Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Dr. Peter Glotz
Günter Graf Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach
Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann Frank Hofmann (Volkach) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Klaus Lennartz
Klaus Lohmann Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Wilfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach
Otto Reschke Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter
Günter Rixe
Gerhard Rübenkönig
Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
Brigitte Schulte Reinhard Schultz
Volkmar Schultz (Köln)
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann
Margitta Terborg Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Dietmar Thieser Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen
Ute Vogt
Karsten D. Voigt Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Gerda Hasselfeldt
Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Michael von Schmude
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze Clemens Schwalbe
Nun wäre es ein reichlich verwegener Schluß, anzunehmen, daß angesichts der neuen Kostenkrise im Gesundheitswesen das Gesetz von 1993 gescheitert sei. Dieses Gesetz, das Kostenkrisen dieser Art eigentlich vermeiden sollte und auch könnte, ist nicht gescheitert. Es war auch kein Fehlschlag. Die aktuelle Entwicklung im Gesundheitswesen sagt nämlich weniger über dieses Gesetz als vielmehr über die Art und Weise aus, wie regierungsamtliche Politik mit ihm umgegangen ist.
Das Gesetz von 1993 ist richtig und gut, aber auch gute Gesetze muß man umsetzen und anwenden und darf sie nicht wie CDU/CSU und F.D.P. klammheimlich aushöhlen, gezielt hintertreiben oder gar offen revidieren, und genau das ist geschehen, meine Damen und Herren.
Die dramatische Kostenentwicklung mit einem Defizit der Krankenversicherung von zirka 10 Milliarden DM im abgelaufenen Jahr ist nicht nur so überflüssig wie ein Kropf, weil sie vermeidbar gewesen wäre,
sie ist durch politische Fehlentscheidungen oder durch politisches Unterlassen erst heraufbeschworen worden.
Der Bundesgesundheitsminister und die Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. haben sie verursacht, Herr Zöller, ob Ihnen das nun schmeckt oder nicht. Ich sage Ihnen nur mit Egon Erwin Kisch: „Nichts ist erregender als die Wahrheit."
Die Art und Weise, wie diese Regierung mit den Sozialversicherungssystemen, sei es die Renten-, die Arbeitslosen- oder die Krankenversicherung, umgeht, ist schlicht und einfach hinterhältig.
Erst die Systeme durch schwere politische Fehler in existentielle Krisen zu führen, um sie dann als unzeitgemäß und als Belastungsfaktor für die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gezielt diffamieren zu können - dies ist der eigentliche politische Skandal in unserem Sozialstaat.
Ich frage: Haben die vierteljährlichen Finanzschätzungen der Krankenkassen nicht seit dem Frühjahr 1995 das drohende Ausgabendefizit signalisiert? Hat sich der Anstieg des durchschnittlichen Beitragssatzes für 1996 nicht schon im Sommer 1995 abgezeichnet, bei den Ortskrankenkassen von 13,4 auf 13,9 Prozent, bei den anderen Krankenkassen von 13,2 auf 13,7 Prozent? Das ist doch nicht vom Himmel gefallen!
Was soll man eigentlich von der politischen Verantwortung einer Regierung halten, die zwar ständig hohe Lohnnebenkosten in Deutschland als Hindernis im internationalen Wettbewerb reklamiert, aber zugleich nichts tut, um einem weiteren Anstieg dieser Kosten entgegenzuwirken?
Aber in Wahrheit ist das ja noch schlimmer. Diese Regierung hat nicht nur nichts getan, sondern sie hat die neue Ausgabenwelle der Krankenkassen und damit weiter steigende Lohnnebenkosten auch noch beschleunigt. Seit Oktober letzten Jahres beglückt Herr Seehofer dieses Haus mit einem wahren Staccato von Gesetzeskrümeln, die fast alle neue Ausgaben für die Krankenkassen bedeuten: 600 Millionen DM zusätzlich für Hausärzte, 240 Millionen DM zusätzlich für ostdeutsche Ärzte, um Arzneimittelregresse zu verhindern,
Streichung der Positivliste für Arzneimittel
Rudolf Dreßler
und damit Verzicht auf Qualitätsverbesserungen im Umfang von 6 Milliarden DM und auf Einsparungen von 2 Milliarden DM.
Und noch nicht verabschiedet: Begrenzung der Wirkungen der Arzneimittelfestbeträge mit Einsparverzichten in nicht quantifizierbarer Höhe. Dies nennt der F.D.P.-Abgeordnete Möllemann „gut". Ich will das nur für die Versicherten sagen, die mit ihren Beiträgen diese Klientelpolitik, die Herr Möllemann in der Koalition anführt, in diesem Jahr bitter bezahlen müssen.
Alles das war mit dem Gesetz von 1993 nicht vereinbart. Im Gegenteil, es bedeutet dessen direkte Korrektur.
Diese Regierung beklagt öffentlich ein Milliardendefizit in der Krankenversicherung und ist in Wahrheit einer der wesentlichen Verursacher von Defiziten.
Und damit auch das für die CDU/CSU und die F.D.P. klar ist: Erst die eigene Klientel bei Ärzten und Pharmaindustrie gesetzlich mit milliardenschweren Geschenken aus der Kasse der Versicherten bedienen,
dann über Defizite in der Beitragskasse öffentlich Klage führen, schließlich die Versicherten, die diese Geschenke bezahlen mußten, zur Sparsamkeit mahnen und ihnen die Selbstbeteiligung erhöhen wollen und für letzteres dann bei der SPD um Mitwirkung einkommen - das, meine Damen und Herren, kann keine politische Erfolgsstory werden.
Anzunehmen, Herr Möllemann, für ein solches Vorhaben seien sozialdemokratische Stimmen zu haben, ist zumindest naiv, wenn nicht gar frivol.
Die SPD hat beizeiten versucht, der neuen Kostenwelle in der Krankenversicherung entgegenzuwirken. Die Koalitionsfraktionen waren dagegen. Sie haben die Ausgabenbegrenzung trotz neuer Kostenwelle am 31. Dezember 1995 auslaufen lassen.
Nun philosophiert der Bundesgesundheitsminister in Kenntnis der politischen Mehrheitsverhältnisse über die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit mit der SPD. Herr Seehofer hat zehn Monate gebraucht, um zu lernen: Ohne die Mitarbeit der SPD wird eine neue Stufe der Gesundheitsstrukturreform das Bundesgesetzblatt nicht erreichen.
Wir sind darauf vorbereitet, inhaltlich wie politisch. Unsere inhaltlichen Vorstellungen liegen dem Hause
seit Oktober des vergangenen Jahres in Form eines Antrages und seit heute in Form eines Gesetzentwurfs vor.
Wir wollen eine konsequente Weiterentwicklung der 1993 eingeleiteten Reformen: mehr Wettbewerb im System, also zwischen den Krankenkassen, zwischen Ärzten und Zahnärzten, zwischen Krankenhäusern und Pharmaunternehmen, mehr Flexibilität und Verzahnung zwischen den einzelnen Versorgungskreisen, vor allem zwischen ambulantem und stationärem Sektor, mehr Transparenz bei der Preis- und Honorargestaltung im Krankenhaus und in der Arzneimittelversorgung, mehr Effektivität und Handlungsfähigkeit in der Selbstverwaltung, mehr zuwendungsorientierte Medizin statt Flucht in die Medizintechnik.
Den Gemischtwarenladen des Gesetzentwurfs Ihrer Koalition, Herr Lohmann - ich könnte ihn auch den denkbar kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen Union und F.D.P. nennen -, den wir heute auch beraten, kennzeichnet in seinem strukturwirksamen Teil vor allem eines: den schleichenden Übergang von einer Veränderung des Systems der sozialen Krankenversicherung zu seiner Zerstörung. Wer nämlich eine kassenindividuelle Selbstbeteiligung will, der bewirkt in einem wettbewerbsorientierten System, in dem es sehr auf die Beitragshöhe der einzelnen Kasse ankommt, daß die Kassen lieber die Selbstbeteiligung für die Kranken erhöhen statt den Beitrag für alle Versicherten.
Ich frage: Hat das etwas mit Sozialversicherung zu tun, meine Damen und Herren?
Zweitens. Wer die Beitragsrückgewähr für Gesunde einführt oder einführen lassen will, der bewirkt nicht nur, daß auch Kranke sich als Gesunde einstufen, um in den Genuß der Beitragsrückgewähr zu kommen - eine gesundheitspolitische Fragwürdigkeit -, sondern der bewirkt auch, daß die Kranken mit ihren Beiträgen die Beitragserstattung für die Gesunden finanzieren. Soll das auch noch Sozialversicherung sein, meine Damen und Herren?
Damit das klar ist, Herr Lohmann: Das Prinzip „Je höher das gesundheitliche Risiko oder je kränker ein Versicherter, desto höher seine finanziellen Aufwendungen" steht nicht auf der sozialdemokratischen Tagesordnung. Da soll sich niemand täuschen! Und wer auf seiten der Koalition glauben sollte, durch scheibchenweise Aufteilung der Gesamtprojektion Gesundheitsstrukturreform in Einzelgesetze damit kalkulieren zu können, in schwierigen Einzelfragen die SPD im Falle der Fälle zu umgehen, dem darf ich hier klipp und klar mitteilen: Wir verhandeln über alles, oder wir verhandeln gar nicht.
Schönen Dank.
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Monika Knoche.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Was die Regierung heute vorlegt, wird zu einem riskanten Ausstiegsszenario aus der Sozialstaatlichkeit werden.
Die Gesundheitsstrukturpolitik wird eine öffentliche Aufgabe bald nicht mehr haben; Kranksein wird teuer, auch wenn mit den unsozialen Reizwörtern „Regel- und Wahlleistung" oder „Ausstieg aus der Arbeitgeberdualistik" nicht mehr operiert wird.
- Von Ihrem. Ich sage: Sie operieren nicht mehr damit.
- Von dem der Regierungsparteien. Entschuldigen Sie bitte.
Wenn auch mit jenen Begriffen nicht mehr operiert wird: Weg ist diese Fragestellung nicht. Im Ergebnis wird die Individualisierung der Krankheitsrisiken durch die Individualisierung der Risikoabsicherung ergänzt,
wird die staatliche Letztverantwortung für das hohe Gut Gesundheit den Kräften des Marktes und des Wettbewerbs überlassen. Sie umschreiben das mit „Eigenverantwortung" und „Selbstverwaltung". Die Bürgerinnen und Bürger sollen darüber getäuscht werden, wie tiefgreifend die Strukturveränderungen sind.
Was wird kommen? - Die Versicherten werden auseinanderdividiert, und der ursprüngliche Sozialcharakter der gesetzlichen Krankenversicherung wird durch Elemente der PKVen ausgehöhlt.
Das ist in sich ein Systembruch.
Durch die Konkurrenz der Kassen um kostengünstige Leistungsanbieter - das ist die andere Geschichte - wird letztlich die staatliche Rahmensetzung unterminiert. Wenn Beitragsrückerstattungen, weitere Zuzahlungen, Sonderbeiträge und Kostenerstattung erst einmal in der GKV vorherrschen, ist das allgemein gleiche Versorgungsniveau rasch dahin. Mit Wahlfreiheit hat das nichts zu tun. Es ist eine ungleiche Lastenverteilung für die Versicherten, und grundsätzlich wird das Recht auf bedarfsorientierte Inanspruchnahme von Leistungen entwertet.
Das ist ein gesundheitspolitisch riskantes Unternehmen. Die Kurzformel lautet: Wer krank ist, zahlt; wer chronisch krank ist, zahlt drauf; wer gesund geblieben ist, kriegt was raus.
Es ist unmöglich, die krankmachenden Lebens-, Umwelt- und Arbeitsbedingungen frei zu wählen, und kein Mensch kann sich der sozialen Unterprivilegiertheit eigenverantwortlich entziehen. Schon hier beginnt aber Prävention. Jetzt besteht die Gefahr, daß Menschen aus finanziellen Erwägungen Unterversorgungen in Kauf nehmen. Die Chancenungleichheit wird als Wahlfreiheit verkauft. Dieser Einbruch hat mit der Beitragsstabilität nun überhaupt nichts zu tun.
Die jüngsten Beitragssteigerungen sind verursacht durch Lastentransfers auf Kosten der Krankenkassen. Die echten Mehraufwendungen rechtfertigen keine tiefgreifenden Veränderungen im System. Dennoch ist es notwendig, mehr Qualität, mehr Verzahnung, mehr demokratische Entwicklung einzuleiten.
Wir sprechen uns für eine globale Budgetierung aus und binden die Ausgabenentwicklung an den Index Bruttoinlandprodukt. Das ist eine Ausgabendeckelung, und es ist eine volkswirtschaftlich sinnvolle Einnahmeerhöhung möglich. Eine einfache Wahrheit zur Stärkung der gesetzlichen Krankenversicherung ist, die Pflichtversicherungsgrenze den Regeln der Rentenversicherung anzugleichen und die Beitragsbemessungsgrenze anzuheben.
Die Regierung will weiterhin leistungsstärkere Gruppen von den Solidargemeinschaftspflichten suspendieren und macht nichts anderes, als die Privatkassen zu privilegieren. Selbständige genauso wie Beamtinnen und Beamte gehören in die gesetzliche Krankenversicherung.
Aber sprechen wir ruhig auch über milliardenschwere Ineffizienzen. Sie liegen nämlich in der fehlenden Verzahnung von ambulantem und stationärem Sektor. Wir sind der festen Überzeugung, daß durch einen gemeinsamen Sicherstellungsauftrag aus der Hand eines regionalen Gesundheitsrates höhere Wirtschaftlichkeit, mehr Qualität und viel Entbürokratisierung erreicht werden kann.
Bei uns werden keine Pfründe und Stände bedient, sondern es werden bedarfsgerechte und problemnahe Lösungen dort gefunden, wo auch die meiste Sachkompetenz sitzt. Das ist demokratisch-transparente Selbstverwaltung. Den Kassen gäbe dieses Modell eine politische Planungskompetenz, und den Krankenhäusern böte es eine Erweiterung ihres Versorgungsauftrags auch in den ambulanten Sektor hinein.
Das ist ein Gegenentwurf. Die Regierung will etwas vollkommen anderes. Die Dramatik dessen erschließt sich freilich erst auf den zweiten Blick. Mit den Praxiskliniken wird jenseits einer Krankenhausbedarfsplanung der ambulante Sektor radikal verändert werden; die öffentlichen Krankenhäuser werden in eine nahezu aussichtslose Konkurrenz getrieben.
Monika Knoche
Hier wird sich im wesentlichen die Deregulierung abspielen, und zwar in großem Maßstab. Ein lukratives Patientensegment versorgen dann die Niedergelassenen, den öffentlichen Häusern verbleibt der komplexe Rest. Die in den Wettbewerb getriebenen Krankenkassen können einzeln aus Krankenhausverträgen aussteigen, wenn sie woanders billigere Angebote finden. Mit der Monistik, dem Kündigungsrecht und der Einzelvertragsschließung haben sie ein weiteres Pfand in der Hand, ganz ohne Politik das Existenzrecht von Krankenhäusern zu bestimmen und nebenbei ihren Versicherten ein Gutteil Wahlfreiheit aus der Hand zu nehmen. Diese müssen dann vielleicht erst einmal schauen, ob ihre Versicherungskarte überhaupt eine Eintrittskarte für die Praxis oder das Krankenhaus ihrer Wahl ist.
Es kommt zu einer großen, neuen Unübersichtlichkeit; es werden Überkapazitäten und Unterversorgung über das Land kommen, die sich als teure Mißstandstatbestände erweisen werden. Zwar bleiben die gesetzlichen Krankenversicherungen; aber sie bleiben nicht, was sie sind. Die Arbeitgeberdualistik wird mit der 25prozentigen Sperrminorität bei der Beitragserhöhung unterlaufen. Den Versicherungen bleiben - das liegt auf der Hand - die Schlupflöcher neue Zuzahlung, Satzungsleistungen oder Leistungsausgrenzungen. Der Wettbewerb kommt, und die Startchancen der Kassen sind ungleich verteilt. Wird es Aldi-Kassen geben? Werden Kassen um Wohnungslose, um Spritzdrogenabhängige und um Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger werben?
- Dann fügen Sie aber bitte den Morbiditätsausgleich hinzu; dann kann man darüber auf etwa gleicher Ebene reden.
Was die Modellprojekte, die jetzt die Krankenkassen im ambulanten Bereich entwickeln werden, angeht, besteht die Frage, ob sie wirklich denen zugute kommen, die im sozialen System ohnehin zukurzkommen. Wenn ich weiß, wie ich ein System optimieren will, weiß ich auch, für wen ich es optimieren will. Dann weiß ich auch, wie ich es machen muß. Mit marktwirtschaftlichem Wettbewerb aber wird Ungleichheit vertieft. Die Gesamtkosten steigen, nur die Risiken werden neu verteilt.
Wo sind die Gestaltungsmöglichkeiten der Opposition? Diese Frage möchte ich gerne an die Kolleginnen und Kollegen von der SPD richten.
Ich frage mich: Was treibt Sie dazu, in die Mithaftung für ein Lahnstein II zu gehen? Was reizt Sie an einer großen Koalition, was zieht Sie in eine große Koalition? Reden wir doch lieber über Reformen, reden wir über Optimierung statt Deregulierung. Stellen wir Selbstbestimmung der Versicherten und Qualität in das Zentrum; dann haben wir genug zu tun.
Danke schön.
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Dieter Thomae das Wort.
Sehr geehrte Damen und Herren! Die Koalition hat Handlungsfähigkeit in der Gesundheitspolitik bewiesen.
Denn die Koalition hat mit dem Krankenhausstabilisierungsgesetz, dem Krankenhausneuordnungsgesetz und mit dem heute eingebrachten GKV-Weiterentwicklungsgesetz für den ambulanten Bereich ein stimmiges Gesamtkonzept auf den Tisch gelegt.
- Ich weiß, es ärgert Sie; aber alle Beteiligten haben diesem Konzept mehr oder weniger zugestimmt.
Wir setzen dabei weiter auf solidarische Finanzierung, die durch ein stärkeres Maß an Subsidiarität, an Eigenverantwortung und Freiheit gestärkt wird.
Meine Damen und Herren, Ziel ist es, wenn wir diese drei Aspekte verfolgen, der Selbstverwaltung mehr Eigenverantwortung zu übertragen. In ihr sind die Fachleute für Gesundheitspolitik. Von daher müssen wir ihnen Handlungsspielräume einräumen.
- Hören Sie doch mal zu! Das fällt Ihnen schwer; das weiß ich.
Wenn wir ihnen Verantwortung geben, dann müssen wir ihnen natürlich auch die Möglichkeit geben, Leistungsstrukturen so zu verändern, daß sie den Wünschen der Versicherten völlig entsprechen. Und diese Leistungsstrukturen, meine Damen und Herren, sollen auch gewisse Anreize verschaffen. Herr Lohmann hat es deutlich betont: Die einzelnen Kassen können die Anreizstrukturen unterschiedlich einsetzen. Dies halten wir für einen wirklich vernünftigen Weg. Es ist keine Pflicht; es liegt in der Selbstverantwortung der Kassenvertreter.
Dazu gehört auch die Beitragsverantwortung.
Ich glaube, Frau Knoche, Sie sollten die Thematik Beitragsverantwortung noch mal genau analysieren. Dann erkennen Sie, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Beitragsverantwortung zu gleichen Teilen tragen. Da gibt es keine Vor- und Nachteile. Es geht darum, die Lohnzusatzkosten in vernünftigen Grenzen zu halten. Auch dies ist ein Konzept, das der Selbstverwaltung meiner Meinung nach sehr sinnvoll mehr Spielräume gibt.
Satzungsgestaltungsmöglichkeiten werden durch Vertragsgestaltungsmöglichkeiten flankiert. Es waren doch gerade die Krankenkassen, die in die-
Dr. Dieter Thomae
sem Bereich Möglichkeiten eröffnet haben wollten, um kreative Angebote machen zu können.
Wir sind in diesem Punkt voll auf die Wünsche der Krankenkassen eingegangen. Daß sie noch weitergehen wollen, mag zwar sein. Aber ich bin der Meinung, wir sollten unser System sorgfältig und wohlüberlegt entwickeln - ohne große Brüche und ohne große Sprünge. Wir sollten die Vertragsgestaltungsmöglichkeiten schrittweise erweitern. Das ist verantwortliche Gesundheitspolitik. Wenn wir das machen, dann wird auch ein sozialer, solidarischer Wettbewerb ermöglicht werden.
Über Modellvorhaben kann man eine ganze Menge einbringen. Wir Deutschen haben nämlich einen großen Nachteil: Die eine Gruppe behauptet dies, die andere jenes; und keine kann beweisen, was wirklich sinnvoll ist. Darum bin ich froh, daß wir diese Modellvorhaben endlich mal einführen.
Dadurch können wir Fortschritte erzielen - auch in der gesundheitlichen Versorgung.
Lassen Sie mich auf einige Punkte noch besonders eingehen.
Ich habe mich dafür eingesetzt, daß es bei MutterKind-Kuren nicht zu Veränderungen kommt. Ich halte diese Kurform für besonders wichtig.
Auch die Anschlußheilbehandlungen werden nicht verändert. Ich kenne die Abgrenzungsschwierigkeiten in diesem Bereich.
- Lieber Klaus, auch du hast deinen Kurort in der Nähe.
Bei Reha-Kuren wollen wir, daß Urlaub angerechnet wird. Ich halte es für ein verantwortliches Vorgehen, daß sich der Patient an dieser Kurform beteiligt.
Wir möchten ambulante und stationäre RehaKuren und Vorsorgekuren auswägen. Daher sind wir für eine Selbstbeteiligung von 25 DM. Aber ich sage auch: Die Kurlänge muß sich nach der Indikation richten. In diesem Punkt müssen wir noch stärker Einfluß nehmen, damit sich die Kurdauer nach der Indikation richtet.
Ich komme zum großen Bereich Zahnersatz. - ich weiß, Sie gehen gleich hoch; ich spreche es trotzdem an -: Die Koalition will die Prophylaxe und die Prävention deutlich ausbauen. Wir wollen die Prophylaxe ohne Unterbrechung sichern. Dazu wollen wir finanzielle Mittel zur Verfügung stellen. Die Schweiz ist in dieser Frage unser Vorbild. Da haben wir noch etwas zu tun.
Zum Bereich des Zahnersatzes sage ich sehr deutlich: Wir halten es für möglich, diesen Bereich langfristig - zehn, fünfzehn Jahre - schrittweise aus der gesetzlichen Krankenversicherung auszugliedern, wenn die Prävention eindeutig ausgebaut worden ist.
Über die Festzuschüsse werden wir in der Expertengruppe in Ruhe reden, ebenso über die Frage GOZ. Wir lassen uns von der Opposition da überhaupt nicht verrückt und scheu machen. Wir wollen das in Ruhe abklären.
- Lieber Klaus, du weißt: Ich habe eine harte Zeit hinter mir. Ich bin fest davon überzeugt, daß der Bereich des Zahnersatzes als Modell aufgegriffen werden muß, um vernünftige neue Strukturen aufzubauen.
Lassen Sie mich zum Abschluß bitte noch das Thema Psychotherapeutengesetz erwähnen. Meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist bei uns nicht abgeschoben, sondern wir haben diese Thematik in den Eckwerten der Koalitionsvereinbarung voll aufgegriffen. Wir wollen auch hier eine Möglichkeit schaffen. Ich plädiere dafür, in Ruhe über das Integrationsmodell mit den Experten, den Psychologen und den Ärzten, zu diskutieren. Ich möchte kein Auseinanderdriften in diesem Bereich, sondern ein einheitliches Vorgehen sowohl bei den ärztlichen Psychologen als auch bei den Psychologen in der Niederlassung. Das Thema ist also nicht vergessen, es wird behandelt, wir werden es mit einbringen.
Von daher, meine Damen und Herren, ein letzter Punkt - ich glaube, das hat die Opposition bisher noch nie erwähnt, aber das ist für uns Liberale und, wie ich denke, auch für den Koalitionspartner eine ganz wichtige Frage -: Wir wollen endlich das Sozialgesetzbuch entrümpeln. Wir wollen es halbieren. Wir wollen hier Erfolge erzielen, um Bürokratieabbau zu betreiben.
Das können wir nur, wenn die Selbstverwaltung gestärkt wird. Die Selbstverwaltung ist kreativ. Unser Ziel lautet: keine Budgetierung, keine Überreglementierung, keine Planungswut, keine Gesprächszirkel, meine Damen und Herren. Nein, wir wollen etwas anderes: Wir wollen Beitrags- und Leistungsverantwortung, Eigenverantwortung und Handlungsspielraum für die Beteiligten. Darum bin ich froh, daß wir das Ziel haben, die Selbstverwaltung zu stärken.
Lassen Sie mich zum Abschluß sagen: Wir werden mit Ihnen, mit der Opposition, im Bundestagsausschuß für Gesundheit in Ruhe diskutieren. Ich freue mich auf diese Diskussionen; sie waren immer sehr interessant und fruchtbar. Daher, Herr Dreßler, sollte das in den Bundestagsausschuß und in den Bundesrat gehen, und dann werden wir uns sicherlich im Vermittlungsausschuß wieder treffen. Also, meine Damen und Herren, der parlamentarische Weg ist der Weg, der uns vorgeschrieben ist. Daher wird es kein Lahnstein geben.
Herzlichen Dank.
Ich erteile der Abgeordneten Dr. Ruth Fuchs das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werter Kollege Thomae, im Wettbewerb gibt es immer Gewinner und Verlierer. Ich habe da ein bißchen Angst. Ich weiß nicht so richtig, wer auf der Seite der Verlierer sein wird, aber mir wird klar, wer bei dem, was hier vorliegt, auf der Seite der Gewinner sein wird.
Zusammen mit den Gesetzentwürfen zur Krankenhausfinanzierung liegt nun vor, was Regierung und Koalition seit langem als dritte Stufe der Gesundheitsreform angekündigt haben. Nach wie vor handelt es sich nicht um ein in sich geschlossenes Konzept, wie es notwendig und angemessen wäre. Aber das ist, wie man jetzt sehen kann, noch keineswegs das größte Übel. Viel schwerer wiegt, daß im Rahmen des generellen Sozialabbaus nun auch der soziale Schutz im Krankheitsfall drastisch verschlechtert werden soll.
Wenn über wachsende Zuzahlungen hinaus nun auch in großem Stil Kostenerstattung, Selbstbehalte, Beitragsrückerstattungen ins Auge gefaßt sind, wenn Sonderbeiträge der Versicherten für zusätzliche Leistungen ohne Arbeitgeberanteile eingeführt werden, dann, meine Damen und Herren, ist die Axt an die Wurzeln der Solidargemeinschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung gelegt.
Geradezu als katastrophal ist die vorgesehene Möglichkeit für unterschiedliche Leistungsangebote der Krankenkassen zu bewerten, öffnet sie doch über kurz oder lang das Tor zur Herausbildung von Kassen für arme Leute und solchen für Besserbetuchte.
Zweifellos ist es richtig, daß ein leistungsfähiges Gesundheitswesen erhebliche Mittel benötigt und daß die finanziellen Aufwendungen für diesen sozialen Bereich der Betreuung und Pflege in Zukunft auch weiter wachsen müssen; dies allerdings nicht sprunghaft, wie es in den letzten Jahren der Fall war, sondern eher in kalkulierbaren Schritten. Richtig ist aber auch, daß die aktuellen Kosten des Gesundheitssystems in ihrer Höhe durch seine zahlreichen Konstruktionsfehler geprägt sind. Das ist der Grund dafür, daß es gegenwärtig möglich ist, beträchtliche Rationalisierungsreserven zu erschließen, ohne die Qualität der Versorgung zu gefährden.
Um im Zusammenhang mit dem Gesetz nur ein Beispiel zu nennen: Es ist doch höchst bemerkenswert, daß die überhöhten Tarife bei Rettungsdiensten und Krankentransporten klipp und klar angesprochen werden - auch Minister Seehofer hat heute früh im Frühstücksfernsehen diesen Fakt betont -, keineswegs aber die deutlich kostenrelevanteren Preise der Pharmaindustrie und der Medizintechnikhersteller. Das wurde nicht gesagt.
Wer den Versicherten zusätzliche Belastungen ersparen, wer Ineffizienz stoppen und zurückdrängen will, der muß vor allem Fehlsteuerungen und
Strukturmängel angehen. Aber genau an diesem Punkt wird die Koalition regelmäßig von einer eigentümlichen Beißhemmung befallen, werter Herr Kollege Thomae.
Schließlich mußte sie sich ja mit mächtigen Interessengruppen anlegen, die dazu noch ihre ureigene Klientel bilden. Das, meine ich, werden die Gewinner sein.
Hier liegen bekanntlich auch die Ursachen für die
Unfähigkeit der Regierung, eine wirklich adäquate
Reform des Gesundheitswesens zustande zu bringen.
Meine Damen und Herren, nach unserer Überzeugung muß die wichtigste Aufgabe der Politik im Gesundheitswesen darin bestehen, für eines der großen sozialen Probleme jeder Gesellschaft, für die Gewährleistung einer menschlichen, einer allen gleichermaßen zugänglichen und zugleich qualitativ hochstehenden medizinischen Versorgung, immer wieder adäquate Lösungen zu finden.
Die gesetzliche Krankenversicherung war und ist bis heute ein Eckpfeiler des bundesdeutschen Sozialstaates. Die Koalition hat sich offensichtlich entschlossen - unter Mißachtung sämtlicher Gesetze gesellschaftlicher Stabilität -,
nun auch diesen Pfeiler umzuwerfen. Im Ergebnis dieser Politik steht das Gesundheitswesen am Scheideweg: Amerikanisierung und Rückkehr zur Zweiklassenmedizin oder Festigung und Ausbau seiner solidarischen Grundlagen - das ist die Alternative.
- Doch, ich meine das so. Ich war in Amerika und habe mir das angeguckt. Ich habe einen Bruder, der dort einen Herzinfarkt gehabt hat. Ich weiß, was er zuzahlen mußte. Man hat ihm gesagt: Entweder bezahlen Sie soundso viele Dollar für den Sarg oder soundso viele für die Operation.
Erstmals sind die Weichen für eine solche grundsätzliche Richtungsänderung gestellt. Seit Existenz der Bundesrepublik ist Vergleichbares noch nie vorgenommen, wohl auch noch nie gewagt worden. Der gegenwärtige politische Zusammenhang ist allerdings eindeutig: Der Ballast der Sozialstaatlichkeit soll auch auf diesem Gebiet abgeworfen werden. So muß man wohl davon ausgehen, daß sich die Auseinandersetzungen um die gesundheitliche Versorgung in diesem Lande in der vor uns liegenden Zeit noch weiter zuspitzen werden.
Dr. Ruth Fuchs
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und für Ihre netten Bemerkungen.
Ich erteile nun der Abgeordneten Gudrun Schaich-Walch das Wort.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Möllemann, wenn Sie nur den Umfang des Sozialgesetzbuches mit Hilfe von Herrn Thomae halbieren wollten, hätten wir kein Problem. Aber es geht einfach um mehr als darum, den Umfang der Bücher des Sozialgesetzbuches zu halbieren.
Sie machen heute nichts anderes, als Ihren Minister zum Wortbruch aufzufordern. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, daß wir viele gesundheitspolitische Debatten geführt haben, bei denen Herr Seehofer versichert hat, mit ihm werde es keine weiteren Zuzahlungen geben. Ich denke, daran werden sich auch die Versicherten erinnern.
Nun wird es diese Zuzahlungen geben. Sie sind allerdings verborgen worden hinter den Begriffen Leistungsverantwortung, Beitragsverantwortung und Eigenverantwortung.
Sie tun hier so, als wären das die Schlüssel zur Sanierung des gesetzlichen Systems unserer Gesundheitsversorgung.
Das einzige, was Sie machen, ist, zur Entsolidarisierung in dieser Gesellschaft zu einem Zeitpunkt beizutragen, in dem wir einen breiten gesellschaftlichen Konsens bräuchten.
Sei es bei der Debatte über Sozialhilfe, sei es bei der Debatte über Asyl oder - künftig - bei der Debatte über Renten: Es ist immer so, daß die Betroffenen schuld sind. Im Fall der Krankenversicherung sind offensichtlich die Kranken schuld an der Kostenentwicklung,
und morgen früh werden wir wahrscheinlich hören, die Rentner seien schuld daran, daß die Renten in Unordnung sind.
Ich will in einzelnen Punkten aufgreifen, wen Ihre Vorstellungen besonders hart treffen: die chronisch Kranken, denen Sie, Herr Minister, immer wieder die
Verbesserung ihrer Situation versprochen haben. Der Eigenanteil an medizinisch indizierten stationären Reha-Maßnahmen soll jetzt von 12 auf 25 DM hochgeschraubt werden. Es wird nicht mehr so sein, daß die Kosten für 14 Tage zu tragen sind, sondern sie werden für die gesamte Dauer des Aufenthaltes zu tragen sein.
Sie fordern ein Weiteres: Man hat zwei Tage seines Urlaubes abzugeben. Ich frage Sie ganz ernsthaft: Wie soll die gesetzliche Krankenversicherung mit zwei Tagen Urlaub saniert werden? Sie wollen doch ausschließlich ein Geschenk für die Arbeitgeber veranlassen. Damit kündigen Sie, wie bereits in der Pflegeversicherung, die hälftige Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung auf.
Es ist im Reha-Bereich auch nicht so wie in anderen Bereichen, zum Beispiel im Bereich der Arznei-, Heil- und Hilfsmittel, daß Sie sich dort darauf zurückziehen und sagen könnten: Wir haben Härtefallregelungen oder Überforderungsklauseln. In diesem Bereich ist das nicht so. Jeder, der eine Kur notwendig hat, wird künftig, wenn er einen vierwöchigen Kuraufenthalt hat, statt 164 DM 700 DM aus eigener Tasche zu zahlen haben, ohne daß die eben genannten Hilfsregelungen zum Zuge kämen.
Diese greifen nur dann, wenn jemand überhaupt nichts mehr in der Tasche hat. Wenn noch ein bißchen drin ist, holen Sie das auch noch heraus.
Ich komme noch einmal auf einen Bereich zurück, der hier ganz stark angesprochen worden ist und von dem Herr Thomae gesagt hat, er liege ihm am Herzen: die Müttergenesungskuren. Sie werden in der Regel von Frauen in Anspruch genommen, die zwar nicht immer die ärmsten, aber beruflich und familiär stark belastet sind. Denen kürzen Sie den Jahresurlaub, indem Sie zwei Tage pro Kurwoche anrechnen. Diese Frauen können sich dann nicht in gewohntem Umfang ihrer Familie widmen. Auch sie werden zahlen müssen.
Es ist doch einfach unglaublich, was Sie sich in diesen Fragen leisten. Es wird letztlich alle betreffen.
Ein weiterer Punkt sind die Rettungsdienste. Es ist ganz hervorragend, daß Sie sagen: Die Kassen sollen Festbeträge vereinbaren. Die Beträge sind zum Teil hoch. Wenn Sie dann aber sagen, daß jemand, der
Gudrun Schaich-Walch
das Pech gehabt hat, von einem Rettungsdienst gerettet worden zu sein, der sich an diese Vertragsvereinbarung mit den Kassen nicht gehalten hat, alles, was darüber hinausgeht, selbst zahlen muß, dann muß ich ganz ernsthaft feststellen: Es ist schlicht und einfach unerträglich, was Sie unter dem Begriff Freiheit postulieren. Es ist nämlich nichts anderes als die Freiheit der Zuzahlung.
Ich erteile nun dem Abgeordneten Professor Dr. Martin Pfaff das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon einmal, im Sommer 1992, befanden wir uns in einer Situation, die der heutigen ähnlich ist. Schon einmal gab es Gespräche über die Zukunft des Gesundheitswesens, und schon einmal brauchten Sie, Herr Bundesminister, die Hilfe der SPD, um unsinnige Forderungen der F.D.P. in die Schranken zu weisen.
Aber nicht noch einmal, Herr Bundesminister, wollen wir in die Situation kommen, in der wir für ein Gesetz, das durch die Art der Umsetzung wesentliche Ziele aushebelt, mit haftbar gemacht werden, weil wir es gemeinsam beschlossen haben. Nie wieder wollen wir in die Situation kommen, daß ein Gesetz, das wir gemeinsam beschlossen haben, in Teilen von Ihnen - Stichwort: Positivliste oder ICD 10-total ausgehebelt oder umgangen wird. Niemals wieder diese Art von Vereinbarung!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gesetzesvorlage der Regierungskoalition enthält zwei Arten von Elementen. Das eine sind die alten Ladenhüter, die ich nicht einzeln aufzählen will. Sie kommen aus dem Steinbruch der Geschichte. Dort gehören sie nach dem 24. März auch wieder hin, und dort werden sie schließlich auch wieder landen; denn die Privatisierung der Gesundheitsrisiken kann kein Zukunftsentwurf für die gesetzliche Krankenversicherung sein.
Daneben gibt es Elemente, über die man diskutieren muß. Diese Elemente sind die eigentlichen Anforderungen an die dritte Stufe - wenn Sie sie so nennen wollen - der Gesundheitsreform. Ich nehme drei Begriffe vorweg und will sie kurz begründen. Das eine sind Kooperation und Vernetzung. Das zweite ist Wettbewerb, und das dritte ist Sicherung.
Kooperation und Vernetzung: Das Herzstück einer zukünftigen Reform muß doch darin bestehen, daß die mangelnde Verzahnung zwischen ambulanten und stationären Gesundheitsleistungen, zwischen Gesundheitsleistungen und Pflegeleistungen, zwischen Gesundheitsleistungen und sozialen Diensten ein für allemal überbrückt wird. Wir brauchen eine integrierte Gesundheits- und Sozialpolitik, wenn wir den Anforderungen gerecht werden wollen. Wir müssen weg von einer Situation, in der das Leistungsgeschehen durch die Eigeninteressen der Sektoren in dem Umfang verzerrt ist, wie das bisher der Fall war.
Wir brauchen also eine sektorübergreifende, integrierende Konzeption, und davon merke ich bei Ihnen reichlich wenig.
Wir sehen vielfältige Formen der Öffnung vor: durch neue Versorgungsformen, durch integrierte Versorgungsformen und kombinierte Budgets. Wenn die KVen nicht bereit sind, das mitzumachen, dann sehen wir vor, daß es auch Einzel- und Gruppenverträge geben muß. Denn sonst würden diese Erprobungsregeln nicht zum Zug kommen.
Sie wollen eine durchgängige Streichung von „einheitlich" und „gemeinsam". Das führt dazu, daß die KVen und auch die KZVen - eigentlich nicht notwendigerweise - an den Verhandlungstisch müssen. Sie sehen Erprobungsregelungen für neue Leistungen und neue Versorgungsformen vor. Aber über die Quorumregelung übrigens ist zu diskutieren. Sie wollen keine Organisationsreform der KVen. Wir wollen neue Strukturen, die der Welt flexibler begegnen können. Sie wollen keine Weiterentwicklung der Anreizstrukturen. Wir wollen eine weitergehende Reform des einheitlichen Bewertungsmaßstabes. Wir wollen eine weitere Aufwertung der zuwendungsorientierten Leistungen. Wir wollen, daß mit dem bloßen Gerede über präventive Leistungen Schluß gemacht wird: Wir müssen in der Gesundheitsförderung endlich zu Taten schreiten und die Prävention gleichgewichtig neben die Kuration stellen. Das wollen wir; das ist ein wichtiger Schritt.
Das zweite Herzstück ist der Wettbewerb: Sie wollen einen kassenartenspezifischen Wettbewerb. Das, was Sie als Gestaltungsleistungen jetzt nennen - ursprünglich Satzungsleistungen -, regt die Versicherten geradezu an, mit den Füßen in Richtung Wahl- und Regelleistungen abzustimmen. Sie führen also kassenartenspezifisch - nicht individuell - ein System ein, das zu einem Aufschaukelungswettbewerb, auf jeden Fall aber zu einer sozialen Differenzierung in der Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung führen muß.
Wir wollen keine weiteren Öffnungen auf der Kassenseite, aber wir wollen in der vertragsärztlichen Versorgung das System für neue Versorgungsformen, für mehr Flexibilität und dergleichen öffnen. Sie wollen zwar auch eine Öffnung durch Modellvorhaben, aber Ihre Quorumregelung wird das verhindern. Ihre Vorschläge zu Gestaltungsmöglichkeiten sind unbefriedigend, nicht genügend, und sie verletzen die Prinzipien einer solidarischen Krankenversicherung.
Das dritte Herzstück der kommenden Reform sind die Sicherungen, die eingebaut werden, wenn die Welt des Wettbewerbs die Kosteneffizienz eben nicht
Dr. Martin Pfaff
steigert, wenn sie in der Tat nach sozialen Gesichtspunkten selektiert, wenn sie eben nicht das bringt, was wir alle hoffen, nämlich Innovation, Servicewettbewerb und mehr. Sie haben keine entsprechende Sicherung; denn das, was Sie als Bremse über die Beitragserhöhungsgenehmigungen im Verwaltungsrat vorsehen, wird nicht ausreichen. Wir sind durch die internationale Erfahrung überzeugt, daß nur eine Budgetierung diese Sicherung bietet.
Zum Abschluß: Herr Bundesminister, Sie haben in Ihrer letzten Rede hier gesagt: Verhandlungen in 24 Stunden, wenn der Gesetzesentwurf vorliegt. - Er liegt nun vor! Wenn Sie der Sache wirklich dienen wollen, Herr Bundesminister, wenn Sie die verbleibenden Hürden nehmen und echte Gespräche in der Sache führen wollen - sie sind im Sinne der Versicherten und der Patientinnen und Patienten notwendig -, dann sagen Sie doch ohne Wenn und Aber: Ja, wir sind bereit, über das Gesamtkonzept zu reden; wir sind bereit, auf die ernsthaften Vorschläge der anderen Parteien einzugehen.
Ich erteile dem Bundesminister für Gesundheit, Horst Seehofer, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gesundheit ist bekanntlich das höchste Gut für den Menschen. Deshalb sollte man sich in einer Diskussion, in der es um die Finanzgrundlagen für die Absicherung des finanziellen Risikos bei Krankheit geht, von der Wahrheit nicht entfernen.
Lieber Kollege Dreßler, wenn man hier den Eindruck erweckt, als wäre die Selbstverwaltung künftig unter den Zwang gesetzt, an Stelle der Beiträge die Selbstbeteiligung für die kranken Menschen zu erhöhen, dann entspricht das einfach nicht der Realität.
- Nein; denn Sie wissen ganz genau, daß zu einer solchen Maßnahme die Zustimmung der Arbeitnehmervertreter in einer Selbstverwaltung nach dem Gesetz notwendig wäre. Weshalb erwecken sie hier den Eindruck, daß die deutschen Arbeitnehmer, die Gewerkschaftsvertreter in der Selbstverwaltung einer Krankenkasse künftig an Stelle von Beitragserhöhungen für alle in der Krankenversicherung eine Selbstbeteiligungserhöhung zu Lasten der chronisch Kranken durchführen werden? Wie kommen Sie zu dieser Botschaft gegenüber der Öffentlichkeit?
Frau Schaich-Walch, wie kommen Sie zu der Botschaft - diesen Eindruck haben Sie hier erweckt -, daß wir bei einer Anschlußheilbehandlung, bei der es um die Betreuung eines Menschen geht, der nach einer Schwerstoperation anschließend in die Rehabilitation kommt, die Selbstbeteiligung erhöhen wollen? Das ist nicht der Fall. Die Anschlußheilbehandlung wird genauso behandelt wie die Behandlung im Krankenhaus.
Warum sagen Sie hier die Unwahrheit? Warum wird hier der Eindruck erweckt, die Streichung der Positivliste sei eine Ursache dafür gewesen, daß die Ausgaben in der Krankenversicherung explodiert sind? Herr Dreßler, wir haben die Protokolle noch einmal nachgelesen: Die Vertreter der SPD haben hier im Deutschen Bundestag erklärt, daß die Positivliste einen Qualitätsaspekt habe, aber keine Kosteneinsparung für die gesetzliche Krankenversicherung bedeute. Jetzt können Sie hier doch nicht so tun, als habe die Streichung der Positivliste, die wir Gott sei Dank vorgenommen haben, zu einem Kostenschub in der gesetzlichen Krankenversicherung geführt. Nein, das ist nicht so.
Deshalb ermuntere ich uns Politiker und appelliere an uns selbst, bei diesem schwierigen, sensiblen Thema Gesundheit - sie ist für die Menschen das höchste Gut - nicht pausenlos an der Wahrheit vorbei zu argumentieren und Ängste auszulösen, die mit der Realität überhaupt nichts zu tun haben.
Ich bin für die Auseinandersetzung; aber sie muß sich auf dem Boden der Realität bewegen.
Wir dürfen unser deutsches Gesundheitswesen nicht in Schutt und Asche diskutieren. Das deutsche Gesundheitswesen ist qualitativ hochwertig; es braucht keinen Vergleich in der Welt zu scheuen. Die Versorgungssicherheit der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland ist ambulant und stationär auf hohem Niveau rund um die Uhr gewährleistet. Der medizinische Fortschritt in der Bundesrepublik Deutschland steht weltweit an vorderster Stelle. Der soziale Schutz im Falle der Krankheit ist in der Bundesrepublik wie nirgendwo sonst auf dieser Erde ausgebildet.
Meine Damen und Herren, es bleibt bei dieser solidarischen Hilfe für kranke Menschen; sie wird nicht zur Disposition gestellt.
Aber hier wird so getan, als sei das deutsche Gesundheitswesen im Keller, als müßten wir jetzt Maßnahmen treffen, damit wir in obere Etagen kommen. Nein, meine Damen und Herren, das deutsche Gesundheitswesen steht qualitativ an der Spitze. Mit unseren Reformen müssen wir dazu beitragen, daß es an der Spitze bleibt.
Natürlich redet man als Gesundheitsminister nicht gerne vom Geld, weil es sofort den Eindruck erweckt, man sehe alles nur pragmatisch unter Kostengesichtspunkten. Aber wir müssen auch der Realität ins Auge sehen: Dieses Versorgungsniveau und diese Versorgungsqualität sind auf Dauer nur zu halten, wenn auch die Finanzgrundlagen der gesetz-
Bundesminister Horst Seehofer
lichen Krankenversicherung stimmen. Nicht die Versorgungssicherheit oder die Versorgungsqualität, sondern die Finanzgrundlagen zwingen uns zu Reformen. Wegen der Qualität der Ärzte, der Pfleger, der Schwestern, der Masseure, der Krankengymnasten, der Psychologen, der Arzneimittelhersteller und der Hilfsmittelhersteller brauchen wir keine Reform. Sie erfüllen ihre Pflicht, sie machen ihren Dienst; ich komme noch einmal darauf zurück.
Wir brauchen eine Reform wegen der Finanzgrundlagen. Herr Kollege Dreßler, seien wir einmal ganz ehrlich zu uns selbst - dabei nehme ich die Regierungskoalition nicht aus; aber das gleiche trifft für die Opposition und die Bundesländer zu -: Zweifellos ist es richtig, daß nicht verantwortungsloses Handeln verschiedener am deutschen Gesundheitswesen Beteiligter zu der aktuellen Kostenexplosion im Gesundheitswesen beigetragen hat, sondern daß diese Kostenexplosion ausschließlich politisch induziert ist. Meine Damen und Herrén, wenn die Politiker diese Kostenentwicklung induziert haben, dann haben sie auch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, die Ursachen dieser Kostenentwicklung wieder zu beseitigen, die bei Bund, Ländern und Kommunen liegen.
Die erste Ursache ist der Verschiebebahnhof zwischen Arbeitslosenversicherung und Krankenversicherung. Wir haben gemeinsam mit der SPD 1989 beschlossen, daß für Arbeitslose weniger Beiträge an die Krankenversicherung gezahlt werden. Das kostet die Krankenversicherung 6 Milliarden DM. Nun kann man ja der Meinung sein, daß dies richtig gewesen ist. Nur muß man dann die Dinge auch beim Namen nennen und zugeben, daß diese 6 Milliarden DM die Hauptursache für die derzeit stattfindenden Beitragserhöhungen sind.
Die zweite Ursache ist die Kostenentwicklung in den Krankenhäusern. Warum nehmen Sie immer die Zusatzaufwendungen für die Hausärzte, die nur ein Fünftel oder ein Zehntel dessen betragen, was wir an überproportionalen Ausgaben im Krankenhaus haben? Die überproportionalen Ausgaben im Krankenhaus liegen nicht in der Tätigkeit der Schwestern, Pfleger oder Ärzte begründet, sondern darin, daß auf Druck der Bundesländer 1992 - am Ende mit unserer Zustimmung - so großzügige Ausnahmen von den Krankenhausbudgets gemacht wurden, daß die Defizite entstanden sind, die wir zur Zeit beklagen. Wir haben sie veranlaßt.
Das sind die Dinge, die man ändern muß, Herr Kollege Dreßler. Warum schleichen wir dauernd davon? Das Ganze haben wir verursacht. Stehen wir gemeinsam zu dieser Verantwortung, und beseitigen wir die Ursachen der Kostenexplosion und beschimpfen nicht pausenlos diejenigen, die zu der Kostenexplosion im deutschen Gesundheitswesen nicht beigetragen haben.
Die dritte Ursache. Einer weiteren Realität müssen wir ins Auge sehen. Seit Mitte der 70er Jahre versucht die Politik mit staatlichen Eingriffen ständig - ob das nun Aufsichten, Ersatzvornahmen, Paragraphen oder Budgetierungen sind -, die Kostenentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung in den Griff zu bekommen. In immer kürzeren Abständen sind diese Reformen gescheitert, und in immer kürzeren Abständen mußte die Politik immer noch tiefer eingreifen. Deshalb können wir den Weg, den wir in der Vergangenheit beschritten haben, nämlich auf die Finanzherausforderungen der gesetzlichen Krankenversicherung mit immer neuen Paragraphen zu antworten - fast 7 000 Paragraphen seit 1978, fast 50 Gesetze, um die Finanzgrundlagen in den Griff zu bekommen -, nicht weiter gehen, weil er sich als Holzweg herausgestellt hat.
Deshalb machen wir etwas, was als Grundregel und als Antwort für die gesamte Gesellschaftspolitik gilt: Geben wir Verantwortung wieder in die Hände derer zurück, die täglich im Dienst für den Menschen tätig sind, an die Ärzte, die Schwestern, die Pfleger und die Krankenkassen, weil sie die Dinge vor Ort viel besser und flexibler erledigen können als wir zentral von Bonn oder Berlin aus.
Das ist unsere Antwort: mehr Selbstverwaltung. Das heißt, daß bei den Leistungsverantwortungen in einer Region oder in einem Bundesland eine andere Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern vereinbart werden kann als in einer anderen Region oder in einem anderen Bundesland. Warum müssen wir das alles in Deutschland einheitlich regeln? Wenn Ärzte in einer Region mit den Krankenhäusern so zusammenarbeiten, daß Doppel- oder Mehrfachuntersuchungen vermieden werden, dann sollen sie es so machen, wie sie es für richtig halten. Müssen wir denn in Deutschland alles zentral regeln und nach zwei Jahren erkennen, daß das Ganze doch nicht funktioniert?
Das alles kann in der Praxis doch sauber entwikkelt werden. Wir sollten die Selbstverantwortung zurückübertragen, aber nicht, weil die Politik keinen Mut mehr hat, sondern weil wir nach 25 Jahren zu der Einsicht kommen müssen, daß wir auf eine größere Einheit nicht das übertragen sollten, was in unserer Gesellschaft eine kleinere Einheit genausogut erledigen kann. Das sind die Antworten.
Warum soll bei der Finanzverantwortung die Politik mit dem Stichwort „Lohnnebenkosten" ständig durch die Landschaft laufen? Übertragen wir die Verantwortung für die Finanzentwicklung in der Krankenversicherung auf jene, die die Beiträge zahlen. Das sind die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber. Sie sollen selber über die Beiträge für ihre Krankenversicherung entscheiden.
Den Versicherten geben wir an die Hand: Wenn sie mit dieser Entscheidung nicht einverstanden sind,
Bundesminister Horst Seehofer
können sie die Krankenkasse wechseln. Selbst wenn sie chronisch krank und 80 Jahre alt sind, muß die neue Krankenkasse, für die sie sich entscheiden, sie nehmen. Gibt es ein schöneres Freiheitsmodell, als auf die Bedürfnisse der Versicherten Rücksicht zu nehmen durch einen Kontrahierungszwang bei der neuen Krankenkasse und durch Rückverlagerung der Verantwortung bei der Beitragsgestaltung auf diejenigen, die die Beiträge zahlen, auf die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber?
Wir sehen im Gesetz vor, daß Beitragserhöhungen für Unsinn nicht stattfinden dürfen. Wenn eine Krankenkasse meint, sie müsse ihre Verwaltungsausgaben verdoppeln, weil ihr die Verwaltung wichtiger ist als die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung, dann - das wird künftig im Gesetz stehen -, wird dafür eine Beitragserhöhung nicht möglich sein. Das ist die richtige Antwort - statt ständig Ersatzvornahme, Staat und neue Paragraphen.
Ich glaube fest daran, daß die Stärkung der Kompetenz der Selbstverwaltung die richtige Antwort für ein Gesundheitswesen ist, das über die Jahrhundertwende hinaus stabilisiert werden soll. Zu dieser Stärkung der Selbstverwaltung gehören gleich starke Kräfte. Das heißt, daß wir nicht Ihre Antwort geben, Herr Kollege Dreßler, daß wir die Ärzteschaft nicht so lange zerschlagen und teilen, daß die Ärzte alles machen müssen, was die Krankenkassen von ihnen verlangen. Ich bin dafür, daß den Krankenkassen eine starke Verhandlungsmacht, nämlich eine geschlossene Ärzteschaft, gegenübersteht und daß wir die Ärzteschaft nicht so weit zerbröseln, wie Sie es im Gesetzentwurf vorsehen, daß die Krankenkassen gewissermaßen ein Verhandlungsoligopol, wenn nicht gar -monopol bei den Honoraren bekommen.
Wenn Sie mir diesen Satz noch erlauben: Der Anteil der Honorare von Ärzten im niedergelassenen Bereich ist seit 25 Jahren, gemessen an den Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung, unverändert. Mich hat in den letzten drei, vier Jahren niemand mehr geprügelt als die deutsche Ärzteschaft. Gleichwohl muß man der Wahrheit die Ehre geben und sagen: Die Ärzte sind seit vielen Jahren ein finanzieller Stabilitätsfaktor in unserem deutschen Gesundheitswesen. Sie leisten den Dienst an Menschen. Sie sind die Kapitäne unseres Gesundheitswesens. Wir müssen aufhören, uns als Politiker gewissermaßen als Oberlehrer der deutschen Ärzteschaft zu gebärden und pausenlos den Ärzten zu sagen, was sie beim Patienten falsch oder richtig machen. Das machen sie viel besser als wir.
Ich komme zu einem weiteren Punkt, dem Gespräch. Beide Gesetze, das für das Krankenhaus und das für den ambulanten Bereich, sind zustimmungspflichtig. Das weiß ich seit vielen Monaten, Herr Kollege Dreßler. Ich habe immer gesagt, daß wir zu diesen Gesprächen bereit sind, weil sie notwendig
sind. Auch meine Aussage in der letzten Woche im Deutschen Bundestag ist realisiert. Sehr kurz nachdem Sie gestern den Gesetzentwurf vorgestellt haben, habe ich mit Ihnen Kontakt aufgenommen. Wir werden noch in dieser Woche ein Gespräch führen. Mir wird niemand verwehren können, daß ich als verantwortlicher Ressortminister nicht nur mit der SPD, sondern auch mit anderen Beteiligten am Gesundheitswesen, auch mit den Ländern, auch mit anderen politischen Kräften in der Bundesrepublik Deutschland Gespräche führe und sondiere, was wir vielleicht gemeinsam tun können und was wir im Dissens machen müssen.
Diese Verhandlungen finden aber dort statt, wo die demokratisch legitimierten Fachleute des deutschen Gesundheitswesens sitzen, nämlich im Gesundheitsausschuß des Deutschen Bundestages. Nur so ist gewährleistet, daß alle Fraktionen einbezogen werden, die auch in den Ländern, in den Landesregierungen Verantwortung tragen. Ich möchte nicht, daß in einem kleinen Zirkel im Hinterzimmer etwas ausgehandelt wird und mir dann Mitglieder einer Landesregierung plötzlich im Gesundheitsausschuß erklären: Wir waren nicht dabei und können deshalb dieses nicht mittragen. - Dort in den Gesundheitsausschuß gehört es hin. Dort sitzen alle Fraktionen, die auch in den Ländern, in den Landesregierungen Verantwortung tragen.
Es ist dem Gesundheitsausschuß - dafür würde ich plädieren, Herr Vorsitzender Dieter Thomae - völlig unbenommen - das wird er auch tun -, die Klammer zwischen den politischen Parteien, den Bundesländern und natürlich auch den Beteiligten am deutschen Gesundheitswesen herzustellen. Wir sollten uns befleißigen, den Dialog mit denen herzustellen, die im Gesundheitswesen tätig sind.
Dies ist eine ganz normale Verhandlungsführung. Ich erkläre mich bereit, Herr Kollege Dreßler - Sie sind ja nicht regelmäßig im Gesundheitsausschuß anwesend -: Ich werde jeden Termin zurückstellen und bei allen Verhandlungen und Gesprächen im Gesundheitsausschuß persönlich anwesend sein, weil mir an dieser Konsensbildung und am Dialog sehr viel liegt.
Ein Letztes. Dazu ist es aber notwendig, Herr Kollege Dreßler, daß wir vorher einen Punkt gemeinsam erledigen, der verhindert, daß uns 1996 die Ausgaben in der Krankenversicherung davonlaufen. Es ist die Budgetierung der Krankenhausausgaben. Sie nimmt in der Struktur gar nichts vorweg, weil es nur darum geht, die Budgetierung durchzusetzen. Herr Kollege Dreßler, wenn die Budgetierung im Krankenhausbereich nicht funktioniert, können wir im ambulanten Bereich gar nicht soviel einsparen, um auf der anderen Seite der Ausgabenexplosion im stationären Bereich zu begegnen.
Das sind drei ganz klare Aussagen zu unserer Gesprächsbereitschaft. Wir werden noch in dieser Woche miteinander reden. Wir werden noch viele Gespräche führen. Das wird einige Wochen, wenn nicht Monate dauern. Ich bin sehr zuversichtlich:
Bundesminister Horst Seehofer
Wenn der gute Wille auf allen Seiten des Hauses, bei allen Fraktionen vorhanden ist, kann es bei dem, was ich heute gehört habe und was mir schriftlich vorliegt, gelingen, daß wir im Konsens, wenn es nötig ist, allerdings auch strittig, Grundlagen legen, die geeignet sind, den Menschen guten Gewissens sagen zu können: Die Risiken im Falle der Krankheit bleiben solidarisch abgesichert. Jeder Mensch muß seine Verantwortung für seine Gesundheit wahrnehmen. Das gehört dazu. Wir können den Beteiligten im Gesundheitswesen sagen: Es ist vorbei, daß alle ein bis zwei Jahre eine Gesundheitsreform kommt. Wir geben euch eine verläßliche, stabile Grundlage für eine mittlere Frist, auf der ihr dann arbeiten könnt, ohne euch pausenlos mit neuen Vorstellungen der Politik auseinandersetzen zu müssen.
Es liegen Wünsche zu zwei Kurzinterventionen vor, und zwar von dem Kollegen Dreßler und dem Kollegen Möllemann. Ich werde beide zulassen und schlage Ihnen vor, Herr Minister, daß Sie dann auf beide gemeinsam antworten, wenn Sie es wollen.
Herr Kollege Dreßler, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sehe mich auf der Grundlage der Rede von Herrn Seehofer zu drei Feststellungen verpflichtet:
Erstens. Die 6 Milliarden DM Mehrbelastung der Krankenversicherung aus der Kürzung der Beiträge der Arbeitslosenversicherung für die Krankenversicherung auf 80 Prozent haben den gleichen Herrn in seiner Eigenschaft als Staatssekretär im Jahre 1989 uns gegenüber die Forderung erheben lassen, dieses auf 70 Prozent zu kürzen. Wenn wir nicht gewesen wären, hätten Sie es alleine gemacht, das heißt, das Defizit wäre noch größer geworden. Nun die SPD in die Verantwortung für etwas nehmen zu wollen, was er federführend mit verursacht hat, ist schon eine tolle Nummer. Das muß ich hier einmal sagen.
Zweitens. Wenn ich gesagt habe, daß eine kassenindividuelle Selbstbeteiligung in einem wettbewerbsorientierten System, in dem es auf die Beitragshöhe der einzelnen Kassen ankommt, bewirkt, daß die Kassen lieber die Selbstbeteiligung für die Kranken als den Beitrag für alle Versicherten erhöhen, dann meine ich, daß die unterschiedliche Selbstverwaltung beim Angestelltenbereich - VdAK - und bei den anderen Kassen geradezu geeignet ist, sie zu zwingen, die Leistungsausgrenzung zu vollziehen, weil die Arbeitgeberseite in ihrem Spitzenbüro angeordnet hat, zu verhindern, daß Beitragserhöhungen erfolgen. Das heißt, die Koalition geht zielgerichtet in die Selbstverwaltung hinein, um sie über diesen Hebel zu zwingen, die Leistungen aus dem Katalog herauszuquetschen. Dies müssen Sie hier zunächst einmal zugeben.
Dritter Punkt. Ich finde es nun wirklich toll, daß ein leibhaftiger Bundesminister es vor dem Deutschen
Bundestag wagt, der Opposition das Recht einzuräumen, in einem Ausschuß des Bundestages mit den Koalitionsfraktionen zu reden. Das ist der Gipfel der Arroganz. Glauben Sie denn im Ernst, Herr Seehofer, die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland sei die Hausordnung der CSU?
Was bilden Sie sich eigentlich ein? Selbstverständlich wird die SPD im federführenden Ausschuß darüber reden. Da bedarf es weder einer Einladung von Ihnen noch von irgendeinem anderen.
Das Wort zur zweiten Kurzintervention hat der Abgeordnete Möllemann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anlaß meiner Intervention sind die Äußerungen von Herrn Dreßler, besonders die in der Intervention, und nicht die des Bundesministers.
Wenn man vor wenigen Tagen das öffentliche Echo quer durch die gesellschaftlichen Gruppen auf die Bemühungen von Bundesregierung, Gewerkschaften und Arbeitgebern gehört hat, zu einem Konsens zu kommen, der dazu beitragen kann, die dramatischen strukturellen Probleme unserer sozialen Sicherungssysteme und des Beschäftigungssystems in den Griff zu bekommen, dann kann man nicht verstehen, was mit diesem Gedröhne, Herr Dreßler, mit diesem ewiggestrigen Gerede, das Sie hier von sich geben, bewirkt werden soll.
Jeder weiß, daß die Struktur, die Aufgaben und die Finanzierung aller vier Säulen unserer sozialen Sicherungssysteme - der Rentenversicherung, der Arbeitslosenversicherung, der Kranken- und der Pflegeversicherung - bei ihrem jetzigen Stand nicht zu halten sein werden, daß es der Veränderungen, der Reformen bedarf. Wir reden heute über eine der Komponenten. Sie tun so, als würden diejenigen, die sich Sorgen machen, wie das Verhältnis zwischen Solidarität und Subsidiarität künftig vernünftig neu gestaltet werden kann, eine schnöde Interessenpolitik betreiben. Dieses billige Etikett läßt sich die F.D.P. nicht aufkleben.
Vor allem aber versuchen Sie, Herr Dreßler, den Eindruck zu erwecken, als sei das Problem mit einem schlichten „Weiter so" zu lösen.
Mich beschäftigt neben Ihrem wirklich theatralischen Gedröhne viel mehr, daß sich Tag für Tag Hunderttausende von Menschen in Deutschland die Fragen stellen, wie wir die Systeme als bezahlbar und leistungsfähig zugleich erhalten können und wie wir
Jürgen W. Möllemann
weitere Arbeitsplätze vor dem Export bewahren können. Sie tun so, als sei das mit dem „Weiter so" zu machen. Wenn das alles ist, was Sie im Ausschuß anzubieten haben, ist das dürftig.
Dazu die letzte Bemerkung. Der Bundesminister für Gesundheit weiß schon, warum er Sie darauf hingewiesen hat, wo die Gespräche zu führen sind.
Ich möchte diesen Hinweis bekräftigen.
Jetzt hat sich die Geschäftsgrundlage verändert. Die Intervention von Herrn Möllemann war nicht zu der Rede von Minister Seehofer, sondern zu Ihrer Rede, Herr Dreßler. Sie haben also jetzt die Möglichkeit, auf die Intervention von Herrn Möllemann zu antworten.
Herr Minister Seehofer, dann haben Sie die Möglichkeit, auf die Intervention von Herrn Dreßler zu antworten.
Noch einmal, Herr Kollege Dreßler: Ich kann mir vorstellen, daß angesichts dieser sehr ernsten Lage der Sozialsysteme, der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes nicht überall ungeteiltes Verständnis für die Art und Weise besteht, wie wir über Regularien, Techniken und die Vergangenheit miteinander reden.
Ich habe in meiner Rede ausdrücklich gesagt, daß die momentane Situation der Arbeitslosen- und Krankenversicherung auf uns, auf die Koalition, meine Person eingeschlossen, zurückgeht. Es steht der Politik gut an, wenn sie nicht immer mit Fingern auf andere zeigt, sondern auch die Ursachen in der Öffentlichkeit deutlich macht, für die sie selbst verantwortlich ist. Für diese Ursachen sind wir alle miteinander verantwortlich.
Für die Öffentlichkeit ist es ein schwacher Trost, wenn man sagt: Wir haben noch Schlimmeres verhindert. 1989 waren Sie in der Verantwortung. - Das ist genau die Art und Weise, die zur Politikverdrossenheit in der Öffentlichkeit beiträgt. Immer sind andere schuld.
Nun zu der Geschichte mit der Selbstbeteiligung und dem Beitrag. Bei den Ersatzkassen sitzen nur Arbeitnehmervertreter in der Selbstverwaltung. Herr Dreßler erweckt jetzt in der Öffentlichkeit den Eindruck, daß diese Arbeitnehmervertreter, wenn es für
den medizinischen Fortschritt notwendig ist, eher die Selbstbeteiligung für die chronisch Kranken erhöhen, bevor Sie den Schritt einer Beitragserhöhung tun.
- Nein, Herr Kollege Dreßler, das ist nicht ganz fair.
Das gleiche gilt bei der AOK. Dort kann eine Satzung, in der eine höhere Selbstbeteiligung für Kranke vorgesehen ist, nur mit Zustimmung der Arbeitnehmer beschlossen werden. Wenn die Arbeitnehmer diese Satzung nicht beschließen, kann die höhere Selbstbeteiligung nicht in Kraft treten.
Wenn - ich gehe einmal von Ihrem fiktiven Fall aus - weder die Arbeitnehmer die Selbstbeteiligung durch eine Satzung noch die Arbeitgeber eine Erhöhung des Sozialversicherungsbeitrags beschließen, dann findet genau das statt, was Sie wollen, Herr Dreßler: Durch stringente Verträge mit den Leistungserbringern wird dafür gesorgt, daß die gesetzliche Krankenversicherung nicht in rote Zahlen gerät. Das ist genau das, was Sie wollen. Bitte erwekken Sie nicht einen anderen Eindruck.
Herr Kollege Dreßler, wir können es drehen und wenden, wie wir wollen: Wir haben ein gutes Gesundheitswesen. Wir müssen es reformieren, wenn wir es beibehalten wollen; denn Stillstand bedeutet Rückschritt. Ich möchte gerade im Hinblick auf kranke und behinderte Menschen sagen: Das Nichthandeln richtet sich gegen die kranken Menschen; denn es würde dazu führen, daß wir schon in absehbarer Zeit nicht mehr die notwendigen Finanzmittel hätten, um chronisch Kranken und Behinderten im Falle der Krankheit zu helfen, meine Damen und Herren.
Diese Situation müssen wir vermeiden.
Die soziale Gerechtigkeit kann sich nicht immer nur danach richten, wieviel Geld wir im Rahmen der Krankenversicherung ausgeben, wenn mit diesen explosionsartigen Ausgaben Unwirtschaftlichkeiten finanziert werden. Die Ausgaben für Kuren sind um 30 bis 40 Prozent gestiegen, die Fahrtkosten um über 40 Prozent. Meine Damen und Herren, nehmen wir doch dort die Unwirtschaftlichkeiten heraus. Dann hätten wir zusätzliche Mittel, um manchem Kranken und Behinderten noch stärker zu hellen als in der Vergangenheit.
Ich schließe damit die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/3608, 13/3607 und
Metadaten/Kopzeile:
7280 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Februar 1996
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch13/3612 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19a bis 19d, 19 f bis 19i und den Zusatzpunkt 5 auf:19. Überweisung im vereinfachten Verfahrena) Erste Beratung des von den Abgeordneten Editha Limbach, Wilfried Seibel, Johannes Singhammer und der Fraktion der CDU/ CSU, der Abgeordneten Stephan Hilsberg, Sigrun Klemmer, Dieter Schloten und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Ina Albowitz, Uwe Lühr, Dr. Max Stadler und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland"- Drucksache 13/3300 -Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung,Technologie und Technikfolgenabschätzungb) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verkehrsvorsorge
- Drucksache 13/3354 -Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr Rechtsausschußc) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Luftverkehrsabkommen vom 2. März 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Arabischen Emiraten- Drucksache 13/3465 —-Uberweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr Finanzausschußd) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes- Drucksache 13/3467 -Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
Ausschuß für Arbeit und SozialordnungAusschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugendf) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Lenzer, Thomas Rachel, Dr. Martin Mayer , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann, Dr. Karlheinz Guttmacher, Horst Friedrich und der Fraktion der F.D.P.Rolle Deutschlands in der internationalen Raumfahrt- Drucksache 13/3497 -Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für WirtschaftVerteidigungsausschußHaushaltsausschußg) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der FinanzenEntlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1994- Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes
- Drucksache 13/3437 -Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschußh) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der FinanzenEinwilligung in die Veräußerung eines Grundstücks in Berlin gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung- Drucksache 13/3478 -Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschußi) Beratung des Antrags des Bundesministeriums für WirtschaftRechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes" für das Wirtschaftsjahr 1994- Drucksache 13/3451 -Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuß Ausschuß für WirtschaftZP5 Weitere Überweisung im vereinfachten VerfahrenBeratung des Antrags der Abgeordneten Christian Lenzer, Hans-Otto Schmiedeberg, Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann, Dr. Karlheinz Guttmacher und der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.Forschung zur Sicherung der Energieversorgung und für ein besseres Klima- Drucksache 13/3610 -Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitInterfraktionell wird vorgeschlagen, die genannten Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Rolle Deutschlands in der internationalen Raumfahrt auf Drucksache 13/ 3497 soll zusätzlich dem Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe undVizepräsident Dr. Burkhard Hirschhöre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 20a bis j, 201 bis u und Tagesordnungspunkt 15 auf:20. Abschließende Beratungen ohne Aussprachea) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. Dezember 1994 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Estland über die Seeschiffahrt- Drucksache 13/2478 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Verkehr
- Drucksache 13/3305 -Berichterstattung:Abgeordnete Gila Altmann
b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25. Juni 1993 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Georgien über die Binnenschiffahrt- Drucksache 13/2479 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
- Drucksache 13/3306 -Berichterstattung:Abgeordnete Gila Altmann
c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluß des Obersten Rates des Europäischen Hochschulinstituts Nr. 8/93 vom 2. Dezember 1993 und zu dem Beschluß der Ständigen Kommission von Eurocontrol vom 28. Oktober 1994- Drucksache 13/2241 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
- Drucksache 13/3396 -Berichterstattung:Abgeordnete Beatrix Philipp Thomas KrügerRezzo SchlauchDr. Edzard Schmidt-Jortzig Maritta Böttcherd) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 6. November 1992 überden Beitritt der Griechischen Republik zu dem Schengener Übereinkommen vom 19. Juni 1990
- Drucksache 13/1269 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
- Drucksache 13/3481 -Berichterstattung:Abgeordnete Dietmar Schlee Günter Graf Manfred SuchDr. Edzard Schmidt-Jortzige) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Juni 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Indien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen- Drucksache 13/3168 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
- Drucksache 13/3505 -Berichterstattung:Abgeordneter Reiner Krziskewitzf) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 3. Juli 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Ukraine zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen- Drucksache 13/3169 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
- Drucksache 13/3506 -Berichterstattung:Abgeordneter Reiner Krziskewitzg) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. April 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Arabischen Emiraten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Belebung der wirtschaftlichen Beziehungen- Drucksache 13/3170 -
Vizepräsident Dr. Burkhard HirschBeschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
- Drucksache 13/3507 -Berichterstattung:Abgeordneter Detlev von Larcherh) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. Februar 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Venezuela zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen- Drucksache 13/3171 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
- Drucksache 13/3508 -Berichterstattung:Abgeordneter Detlev von Larcheri) Beratung der 2. Beschlußempfehlung und des Berichts des Wahlprüfungsausschusses zu 36 gegen die Gültigkeit der Wahl zum 13. Deutschen Bundestag eingegangenen Wahleinsprüchen- Drucksachen 13/3035, 13/3355 -Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Bertold ReinartzGerald HäfnerJörg van EssenDr. Peter Paziorek Erika SimmClemens Schwalbe Norbert Geisj) Beratung der 3. Beschlußempfehlung und des Berichts des Wahlprüfungsausschusses zu 50 gegen die Gültigkeit der Wahl zum 13. Deutschen Bundestag eingegangenen Wahleinsprüchen- Drucksache 13/3531 -Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Bertold ReinartzAnni Brandt-Elsweier Gerald HäfnerJörg van EssenDr. Peter Paziorek Erika SimmClemens Schwalbe Norbert Geis1) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Entscheidung des Rateszur Festlegung der Gruppen von Zusatzstoffen, die in der Tierernährung verwendet und mit Bezug auf den Verantwortlichen für das Inverkehrbringen zugelassen werden- Drucksachen 13/725 Nr. 107, 13/3309 -Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Gerald Thalheimm) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Verordnung des Rates über gemeinsame Regeln zur Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit im Binnenschiffsgüter- und -personenverkehr zwischen Mitgliedstaaten- Drucksachen 13/2306 Nr. 2.42, 13/3441 -Berichterstattung: Abgeordnete Annette Faßen) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÜberplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 17 04 Titelgruppe 02 - Leistungen des Bundes nach Maßgabe des Unterhaltssicherungsgesetzes -, Titel 681 23 - Sonderleistungen- Drucksachen 13/3028, 13/3179 Nr. 2, 13/3502 -Berichterstattung:Abgeordnete Peter Jacoby Ina AlbowitzKarl DillerKristin Heyneo) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungHaushalts- und Wirtschaftsführung 1995;überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 06 02- Allgemeine Bewilligungen - Titel 684 15- Einmalige Zuwendung an eine zentrale Organisation zur Unterstützung von Staatsangehörigen des ehemaligen Jugoslawien, die die Bundesrepublik Deutschland aus humanitären Gründen aufgenommen hat - bis zur Höhe von 39 375 TDM- Drucksachen 13/3029, 13/3179 Nr. 3, 13/3503 -Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Ina AlbowitzUta Titze-StecherOswald Metzgerp) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Kaspereit, Christian Müller (Zittau), Dr. Uwe Jens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDVizepräsident Dr. Burkhard HirschWiedereinbeziehung des ostdeutschen mittelständischen Handels in die Investitionszulagenregelung- Drucksachen 13/1541, 13/3509 -Berichterstattung: Abgeordneter Wolfgang Ilteq) Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages- Drucksache 13/3534 -Berichterstattung: Abgeordneter Ronald Pofallar) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 94 zu Petitionen- Drucksache 13/3513 -s) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 95 zu Petitionen - Drucksache 13/3514 -t) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 96 zu Petitionen- Drucksache 13/3515 -u) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 97 zu Petitionen- Drucksache 13/3516 -15. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages- Drucksache 13/3535 -Berichterstattung: Abgeordneter Ronald PofallaWir kommen zu Tagesordnungspunkt 20a: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zum Abkommen mit der Regierung der Republik Estland über die Seeschiffahrt, Drucksache 13/2478. Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf Drucksache 13/3305, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden ist.Dann folgt der Tagesordnungspunkt 20b: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit der Regierung der Republik Georgien über die Binnenschiffahrt, Drucksache 13/2479. Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf Drucksache 13/3306, denGesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden ist.Dann folgt der Tagesordnungspunkt 20c: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Beschluß des Obersten Rates des Europäischen Hochschulinstituts und zu dem Beschluß der Ständigen Kommission von Eurocontrol, Drucksache 13/2241. Der Innenausschuß empfiehlt auf der Drucksache 13/3396, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf von denjenigen, die sich an der Abstimmung beteiligt haben, einstimmig angenommen worden ist.Tagesordnungspunkt 20d: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zum Beitritt der Griechischen Republik zum Schengener Übereinkommen, Drucksache 13/1269. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 3481, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Gegenstimmen der Gruppe der PDS und Stimmenthaltungen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden ist.Tagesordnungspunkte 20 e bis 20 h: Abstimmung über die von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwürfe zu den Abkommen mit der Republik Indien, der Ukraine, den Vereinigten Arabischen Emiraten und der Republik Venezuela zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, Drucksachen 13/3168 bis 13/3171. Der Finanzausschuß empfiehlt auf den Drucksachen 13/3505 bis 13/3508, die Gesetzentwürfe unverändert anzunehmen. Sind Sie damit einverstanden, daß ich über die vier Gesetzentwürfe gemeinsam abstimmen lasse? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Dann bitte ich diejenigen, die den vier Gesetzentwürfen zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Gesetzentwürfe einstimmig angenommen worden sind.Tagesordnungspunkte 20i und 20j: 2. und 3. Beschlußempfehlung des Wahlprüfungsausschusses zu Wahleinsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl zum 13. Deutschen Bundestag, Drucksachen 13/3035, 13/ 3355 und 13/3531. Wer für diese Beschlußempfehlungen des Ausschusses stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlungen bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden sind.Dann rufe ich Tagesordnungspunkt 201 auf: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu einem Entscheidungsvorschlag der Europäischen Union zu Zusatzstoffen in der Tierernährung, Drucksache 13/3309.Vizepräsident Dr. Burkhard HirschWer dieser Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen ist.Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 m auf: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu einem Verordnungsvorschlag der Europäischen Union zur Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit im Binnenschiffsverkehr, Drucksache 13/3441. Wer dieser Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden ist.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 n und 20 o auf: Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses zu überplanmäßigen Ausgaben im Haushaltsjahr 1995, Drucksachen 13/3502 und 13/3503. Es handelt sich um Leistungen des Bundes nach dem Unterhaltssicherungsgesetz und um eine Zuwendung an eine zentrale Organisation zur Unterstützung von Staatsangehörigen des ehemaligen Jugoslawien. Wer diesen Beschlußempfehlungen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlungen einstimmig angenommen worden sind.Dann rufe ich Tagesordnungspunkt 20 p auf: Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Wiedereinbeziehung des ostdeutschen mittelständischen Handels in die Investitionszulagenregelung, Drucksachen 13/ 1541 und 13/3509. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag für erledigt zu erklären. Wer dieser Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung einstimmig beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 q auf: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zur Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages, Drucksache 13/3534. Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition, der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS und bei einer Enthaltung aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden ist.Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 20 r bis 20 u auf. Da stimmen wir über die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses ab.Ich rufe zunächst die Sammelübersicht 94 auf Drucksache 13/3513 auf. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS mitZustimmung der übrigen Fraktionen angenommen worden ist.Dann rufe ich die Sammelübersicht 95 auf Drucksache 13/3514 auf. Ich bitte diejenigen, die dafür stimmen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß auch diese Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung der übrigen Fraktionen und Gruppen angenommen worden ist.Dann rufe ich Sammelübersicht 96 auf Drucksache 13/3515 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 3635 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.Dann stimmen wir über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses in der ursprünglichen Fassung ab. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses mit der gleichen Mehrheit wie eben angenommen worden ist.Ich rufe die Sammelübersicht 97 auf Drucksache 13/3516 auf. Auch dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3632 vor, über den wir zuerst abstimmen.Wer dem Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Änderungsantrag mit der gleichen Stimmenmehrheit abgelehnt worden ist.Ich rufe die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses in der ursprünglichen Fassung auf. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen worden ist.Nun rufe ich die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zur Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages auf. Das ist die Drucksache 13/3535.Dazu werden zwei Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung gewünscht. Ich gebe das Wort zur Erklärung zur Abstimmung Frau Dr. Enkelmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier erklären, warum ich gegen die Aufhebung der Immunität von Kollegen Gregor Gysi stimme.
Die Immunität von Abgeordneten ist ein demokratisches Institut, das davor schützen soll, daß vom
Dr. Dagmar Enkelmann
Volk gewählte Mandatsträgerinnen und Mandatsträger wegen politischer Äußerungen oder politischen Handelns strafrechtlich verfolgt werden. Die Immunität von Abgeordneten ist hingegen kein Privileg gegenüber Bürgerinnen und Bürgern, das vor einer strafrechtlichen Verfolgung schützt, also im Falle von Verkehrsdelikten, Diebstahl, Körperverletzung usw., also bei Handlungen nichtpolitischer Natur.
Deswegen müßte ein Parlament im ersten Fall die Aufhebung der Immunität ablehnen und ihr im zweiten Fall zustimmen. Das ist der Grundsatz, von dem ich mich bisher leiten ließ und auch in diesem Falle leiten lasse. Das ist der Grundsatz, von dem sich meiner Auffassung nach jede Abgeordnete und jeder Abgeordnete unabhängig von der Fraktionszugehörigkeit leiten lassen sollte.
Für mich ist hier eindeutig, daß der vorliegende Antrag zu Gregor Gysi den ersten Fall betrifft, und deswegen kann ich der Aufhebung seiner Immunität nicht zustimmen.
Ich muß zur Begründung hier noch kurz an einiges erinnern.
Nach der für die PDS erfolgreichen Bundestagswahl im Oktober 1994 hat die Finanzverwaltung in Berlin versucht, mittels eines fragwürdigen Steuerbescheids die PDS auf administrativem Wege zu beseitigen. Vielleicht erinnern Sie sich noch daran. Dieser Steuerbescheid lief über - -
Frau Dr. Enkelmann, ich muß Sie unterbrechen. Es ist verabredet worden, daß es keine Aussprache gibt. Es ist wenig sinnvoll, über persönliche Erklärungen die Aussprache dann doch durchzuführen, weil wir dann in der Tat alle Seiten zu Wort kommen lassen müssen.
Sie haben Ihr persönliches Abstimmungsverhalten erklärt, und ich meine, Sie sollten damit zum Abschluß kommen.
Herr Präsident, ich fürchte nur, daß die Argumentation ansonsten nicht nachvollziehbar ist, wenn ich nicht an diesen Hintergrund erinnere,
weil mich heute schon Kollegen gefragt haben, was da eigentlich los war, und ich denke, um entscheiden zu können, ist das notwendig.
Frau Dr. Enkelmann, ich kann nicht über die Geschäftsführung debattieren lassen.
Es ist verabredet, daß keine Aussprache stattfindet, und dann sollten wir auch so verfahren.
Also, ich denke, es ist notwendig, zu sagen, daß es in diesem Falle um politisches Handeln des Kollegen Gregor Gysi ging,
daß in diesem Fall die Immunität ein Schutz des Abgeordneten sein sollte und sich das Parlament in diesem Fall vor seine Abgeordneten stellen sollte, und zwar unabhängig davon, welcher Fraktion oder welcher Gruppe in diesem Parlament derjenige angehört.
Ich gebe das Wort zu einer weiteren persönlichen Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung dem Kollegen Conradi.
Herr Präsident, ich werde mich streng an den § 31 halten.
Ich stimme dem Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens auf Drucksache 13/3535 nicht zu, weil der antragstellende 1. Ausschuß den Antrag nicht begründet und weder den Anlaß des Strafverfahrens noch die gesetzliche Grundlage seines Antrags mitteilt.
Ich stimme dem Antrag nicht zu, weil es keinen Automatismus gibt, nach dem der Bundestag solchen Anträgen zustimmt, sondern weil - jetzt zitiere ich - „die Entscheidung über die Aufrechterhaltung oder Aufhebung der Immunität eine politische Entscheidung ist, die auf einer Interessenabwägung zwischen den Belangen des Parlaments und den Belangen der anderen hoheitlichen Gewalten beruht". So steht es in unserer Geschäftsordnung. Ohne Kenntnis des Sachverhalts ist es mir nicht möglich, die Abwägung des 1. Ausschusses nachzuvollziehen.
Ich stimme dem Antrag nicht zu, weil es sich dem Vernehmen nach um ein Strafverfahren wegen Hausfriedensbruchs handelt. Der angeschuldigte Abgeordnete soll in einem öffentlichen Gebäude seine Meinung durch einen Sitz- und Hungerstreik ausgedrückt haben. Eine derartige Meinungsäußerung als Hausfriedensbruch zu verfolgen, halte ich für läppisch. In der Abwägung zwischen dem Strafverfolgungsbedürfnis und der Unabhängigkeit des Abgeordneten sollten wir uns an den Art. 38 halten und bei solchen Bagatellfällen für letztere entscheiden.
Ich verbinde diese Erklärung mit der Bitte an den 1. Ausschuß, dem Haus bei solchen Anträgen künftig mitzuteilen, worum es geht und nach welchen Überlegungen der Ausschuß die Abwägung gemäß unserer Geschäftsordnung vorgenommen hat.
Ich erteile das Wort zu einer weiteren Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung dem Abgeordneten Pofalla.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte als Berichterstatter begründen, warum ich heute der Beschluß-
Ronald Pofalla
empfehlung des 1. Ausschusses zustimmen werde. Ich will dabei auf die Sachverhaltsdarstellung anders als Sie, Herr Kollege, nicht mehr eingehen, sondern den rechtlichen Hintergrund als die Begründung dafür anführen, warum der 1. Ausschuß diese Empfehlung gegeben hat und warum ich heute dieser Empfehlung zustimmen werde.
Den für die Aufhebung der Immunität erforderlichen Formalien ist im vorliegenden Falle Genüge getan. Die Antragsberechtigung lag bei der zuständigen Staatsanwaltschaft 1 bei dem Landgericht Berlin.
- Ich gebe hier meine Begründung ab und bitte Sie, mir zuzuhören. Auch ich habe versucht, Ihnen sehr aufmerksam zuzuhören.
Ferner wurde insbesondere die nach Ziffer 1 Abs. 2 der Anlage 6 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages geforderte Frist von mindestens 48 Stunden zwischen dem Zugang der staatsanwaltschaftlichen Mitteilung bei der Frau Präsidentin am 9. Februar 1995 und der Einleitung des Ermittlungsverfahrens eingehalten.
Zu Inhalt und Umfang der hier zu beschließenden Genehmigung weise ich noch darauf hin, daß nach Nr. 4 der Anlage 6 der Geschäftsordnung - -
Herr Kollege, ich muß Sie unterbrechen. Auch Sie treten jetzt in eine Sachdebatte ein und geben nicht Ihre persönlichen, subjektiven Gründe bekannt. Ich habe nichts dagegen, wenn die Fraktionen verabreden, daß wir in eine Debatte einsteigen. Das können sie tun. Solange aber verabredet worden ist, daß das nicht geschieht, muß ich Sie bitten, sich bei Ihren Darlegungen allein auf die persönlichen Gründe für Ihr Abstimmungsverhalten zu beschränken, weil Sie sonst die Geschäftsordnung nach § 31 verletzen. - Bitte sehr!
Ich habe den Versuch unternommen, Herr Präsident, die eigentliche Begründung des Ausschusses im Rahmen der Erklärung zur meinigen zu machen. Insofern habe ich zumindest nach meiner Überzeugung versucht, mich im Rahmen der Geschäftsordnung zu bewegen. Aber ich kann das alles in einem Satz zusammenfassen: In diesem Verfahren ist nicht anders gehandelt worden als in allen anderen Immunitätsverfahren des Deutschen Bundestages, wenn es Anträge von Staatsanwaltschaften zur Aufhebung der Immunität gab. Insofern würden wir, wenn wir heute davon abweichen, eine spezielle Begründung geben müssen, warum wir von den normalen Formalien,
die ansonsten immer eingehalten werden, abweichen.
Herzlichen Dank.
Wir haben keine Aussprache vorgesehen. Man kann sich fragen - und die Geschäftsführer sollten sich überlegen -, ob es in einem solchen Fall nicht doch sinnvoll ist, wenigstens eine Berichterstattung vorzusehen, damit wir dann eine gemeinsame Grundlage haben.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zur Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages; das ist Drucksache 13/3535. Wer dieser Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und von Abgeordneten der SPD-Fraktion bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von Abgeordneten der Fraktion der SPD und der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Telekommunikationsgesetzes
- Drucksache 13/3609 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Post und Telekommunikation Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
b) Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Manuel Kiper und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ein ökologischer, sozialer und demokratischer Weg in die Informationsgesellschaft I
- Drucksache 13/1931 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Post und Telekommunikation Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesminister Dr. Wolfgang Bötsch.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr ver-
Bundesminister Dr. Wolfgang Bötsch
ehrten Damen und Herren! Der gemeinsame Entwurf eines Telekommunikationsgesetzes der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD, mit dem wir uns heute hier befassen, ist die Grundlage für die Neuordnung unserer Telekommunikationsmärkte ab dem 1. Januar 1998 und teilweise schon ab dem 1. Juli 1996. Diese Neuordnung der Telekommunikationsmärkte hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung am 23. November 1994 bereits angekündigt.
Ich möchte mich zu Beginn bei den Fraktionen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD für die Beratungen bedanken, die wir innerhalb eines Jahres zur Vorbereitung dieser ersten Lesung und zur gemeinsamen Einbringung dieses Gesetzentwurfes führen konnten. Ich möchte mich namentlich bedanken bei der SPD-Fraktion, bei Herrn Kollegen Bury und Herrn Kollegen Börnsen, den ich gleichzeitig als Ausschußvorsitzenden bitte, für eine zügige Beratung im zuständigen Ausschuß für Post und Telekommunikation Sorge zu tragen. Ich bedanke mich bei dem Kollegen Funke und dem Kollegen Stadler von der F.D.P.-Fraktion und bei den Kollegen meiner eigenen Fraktion, bei dem Kollegen Müller und der Kollegin Blank. Wir haben in einigen Sitzungen diesen Entwurf intensiv beraten und sind zu einer gemeinsamen Einbringung gekommen. Ich darf mich vor allen Dingen, weil ich gehört habe, wie es dort war, beim Kollegen Bury und beim Kollegen Börnsen für die Überzeugungsarbeit bedanken, die sie in der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion geleistet haben. Sie haben sich dort besondere Mühe gegeben. Ich bedanke mich bei jenen, die sich davon haben überzeugen lassen, daß eine gemeinsame Einbringung der Sache und der Beschleunigung des Verfahrens sicherlich dienlich ist.
Lassen Sie mich kurz auf die Gründe für eine ordnungspolitische Neuausrichtung in der Telekommunikation eingehen.
Das Telekommunikationsgesetz ist der folgerichtig nächste Schritt, der in der Postreform II bereits angelegt war. Deshalb ist es verfehlt, Herr Kollege Dr. Kiper, wie Sie es in Ihrem Antrag tun, von der Postreform III zu reden. Es gibt keine Postreform III. Denn die Folge der Zeitgesetze, die wir im Rahmen der Postreform II verabschiedet haben, war, daß der Liberalisierungsschritt der nächste Schritt sein wird.
Im Grundgesetz wurde nämlich festgelegt, daß die Dienstleistungen des Postwesens und der Telekommunikation durch die privatisierten Unternehmen der ehemaligen Deutschen Bundespost und durch andere private Anbieter erbracht werden.
Meine Damen und Herren, in einem Markt wie dem Telekommunikationsmarkt, der zunehmend auch mit dem Markt der Informations- und der Medientechnik zusammenwächst und ein enormes Innovationspotential birgt, ist es richtig, mit wettbewerbsrechtlichen Regelungen zu arbeiten und im Wettbewerb zu produzieren. 1,5 Billionen DM pro Jahr beträgt inzwischen der auf dem Weltmarkt produzierte Umsatz - wohlgemerkt: deutsche Billionen, nicht amerikanische. Was der Wettbewerb in diesem Bereich bedeuten kann, hat uns der Mobilfunksektor vor Augen geführt: Ohne Wettbewerb wäre der Boom im Mobilfunkbereich sicherlich nicht erreichbar gewesen.
Wir können des weiteren eine Globalisierung der Telekommunikationsmärkte beobachten. Wer die Wirtschaftszeitungen oder den Wirtschaftsteil der Tageszeitungen liest, kann täglich feststellen, wer sich wo positioniert und wer sich mit wem in Marktstellungen begibt. Telekommunikationsunternehmen aus den Vereinigten Staaten, aus Großbritannien und aus anderen Industrieländern bieten zunehmend ihre Dienstleistungen weltweit aus einer Hand an. Diesem internationalen Wettbewerb muß sich auch die Deutsche Telekom AG stellen, will sie auch noch im Jahre 2000 zu den weltweit führenden Telekommunikationsunternehmen gehören. Sie hat diese Herausforderung bereits aufgegriffen und gestern ihr Joint-venture sowohl mit der amerikanischen Firma Sprint als auch mit France Telecom hier in Bonn vorgestellt.
Nur, ein nationales, auf Deutschland beschränktes Monopol hilft hierbei natürlich nicht weiter. Ganz im Gegenteil: Wenn die Telekom auch im Inland dem Wettbewerb ausgesetzt ist und es schafft, sich hier erfolgreich zu positionieren, dann hat sie die besten Voraussetzungen, auch auf den internationalen Märkten zu bestehen.
Auch dazu ein Wort: Der Börsenwert der Deutschen Telekom wird durch Liberalisierung nicht beeinträchtigt werden, wenn sie sich frühzeitig auf den künftigen ordnungspolitischen Rahmen einstellen kann. Mit dem Telekommunikationsgesetz schaffen wir diese Planungssicherheit, die für die Deutsche Telekom und ihre Wettbewerber notwendig ist.
In diesem Bereich gibt es natürlich auch für die Politik noch einiges zu tun. Gestern hat der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom, wie ich einer Agenturmeldung entnehmen konnte und wie man teilweise gestern abend im deutschen Fernsehen sehen konnte, im Zusammenhang mit der Frage, die der Regulierungsrat am Montag entschieden hat, daß nämlich neben den Geschäftskundenrabatten auch für Private Rabatte erarbeitet werden sollen, erklärt, an den Rabatten für private Kunden arbeite man mit Hochdruck. Und dann wörtlich: „Wir brauchen aber keine Politiker, die uns daran erinnern, was wir tun sollen. "
Ich sage dazu ganz entspannt: Die Politiker dieses Hauses tun das, wozu sie in diesen Fragen nach Recht und Gesetz verpflichtet sind.
Dazu gehört beispielsweise auch, daß sie nach wie vor in Form des Regulierungsrates die Entscheidung für die Genehmigung von Monopoltarifen zu treffen haben. Ich sage das ruhig und entspannt. Ich hoffe, ich kann es für fast alle in diesem Hause sagen; sonst müssen wir uns vielleicht darüber etwas deutlicher auseinandersetzen.
Ich will einige zentrale Punkte unseres Gesetzentwurfes hervorheben.
Bundesminister Dr. Wolfgang Bötsch
Erstens. In Zukunft hat jedermann das Recht, Telekommunikationsdienstleistungen anzubieten. In den Marktsegmenten, die sich heute noch im Monopolrecht der Deutschen Telekom AG befinden - Übertragungswegenetz und Sprachtelefondienst - werden die Anbieter Lizenzen benötigen, wenn sie ihre Dienstleistungen für die Öffentlichkeit anbieten wollen. Dabei gibt es grundsätzlich keine Marktzutrittsbeschränkungen, es sei denn, daß dies mit der Zuteilung von Funkfrequenzen verbunden ist.
Zweitens. Eine wichtige Aufgabe im Bereich der Telekommunikationspolitik ist es, für ein flächendekkendes Mindestangebot an Telekommunikationsdienstleistungen Sorge zu tragen. Das ist ein Verfassungsauftrag. Dieses Mindestangebot muß in einer bestimmten Qualität und zu erschwinglichen Preisen jedermann zur Verfügung stehen.
In der Terminologie der Europäischen Union sprechen wir in diesem Zusammenhang vom Universaldienst. Nach unseren Vorstellungen sollen hierzu gehören: der Telefondienst mit ISDN-Leistungsmerkmalen - wir haben den Begriff der Länderwirtschaftsministerkonferenz übernommen -, die Telefonauskunft, die Herausgabe von Telefonverzeichnissen, öffentliche Telefonstellen mit Notrufeinrichtungen und einige Mietleitungen. Wir gehen allerdings davon aus, daß sich das Universaldienstangebot im großen und ganzen im Wettbewerb ergibt. Deshalb sieht das Telekommunikationsgesetz a priori keine größeren Verpflichtungen vor. Wenn es allerdings eine Lücke in diesem Universaldienstangebot geben sollte, dann gäben uns die Universaldienstvorschriften die Möglichkeit einzugreifen.
Drittens. Ein weiteres Kernstück des Telekommunikationsgesetzes sind die Vorschriften über die Regulierung marktbeherrschender Unternehmen. Wir halten diese für notwendig, um einen chancengleichen Wettbewerb sicherzustellen.
Viertens. Rufnummern sind durch internationale Vereinbarungen und Funkfrequenzen aus physikalischen Gründen grundsätzlich knappe Güter. Durch Zuteilungsakte werden den Telekommunikationsunternehmen Nutzungsrechte an diesen Gütern eingeräumt.
Fünftens. Wie die Deutsche Telekom AG öffentliche Wege bislang kostenfrei nutzen kann, um Kabel zu verlegen, sollen dies zukünftig alle lizenzpflichtigen Anbieter von Übertragungswegen können. Von dieser Haltung werden wir die Länderinnenminister - zumindest einen Teil - und die Gemeinden noch überzeugen müssen. Die Gemeinden sehen in diesem Bereich nämlich eine Einnahmequelle aus Wegenutzungsentgelten. Ich meine allerdings, daß die Liberalisierung der Telekommunikation nicht mit zusätzlichen Lasten für die Nutzer erkauft werden kann. Die Liberalisierung und die Privatisierung der Post und Telekommunikation sollten keine Veranstaltungen sein, um der vorhandenen Finanznot - die will ich gar nicht bestreiten - der Gemeinden abzuhelfen. Da weiß ich bessere Möglichkeiten, beispielsweise den kommunalen Finanzausgleich unter den Ländern. Darüber muß man das regeln.
- Ja, ich gebe zu: Auch die Graurheindorfer Straße könnte da eine Adresse sein.
Sechstens. Die Regulierungsbehörde wird als obere Bundesbehörde die im Telekommunikationsgesetz beschriebenen Regulierungsaufgaben wahrnehmen. Das Telekommunikationsgesetz gibt ihr wirksame Instrumente, Informations- und Untersuchungsrechte sowie Sanktionsmöglichkeiten, so daß sie die ihr zugedachte Aufgabe erfüllen kann. Diese Regulierungsaufgabe ist sektorspezifischer Natur. Eine Regulierungsbehörde wird deshalb neben dem Bundeskartellamt eingerichtet werden. Die Zusammenarbeit beider Behörden ist geregelt.
Die Koalition hat sich in der Frage, wie die Regulierungsbehörde aussehen soll, ganz besondere Mühe gegeben, hat sich dabei auch etwas Zeit gelassen. Meine Damen und Herren von der SPD, ich bedanke mich für die große Geduld, die Sie auch an dieser Stelle aufgebracht haben, bis wir zu unserer Entscheidung gekommen sind. Meine Damen und Herren, wir haben in diesem Hause heute so viel gestritten, daß man es nun auch einmal etwas versöhnlicher angehen lassen kann, insbesondere wenn man gemeinsam etwas einbringt.
Verehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Telekommunikationsgesetz bildet einen geeigneten Rahmen für den Übergang vom Monopol zu wettbewerblichen Verhältnissen. Wir müssen die Voraussetzung dafür schaffen, daß das große Innovationspotential bei kommunikations- und informationstechnischen Anwendungen im Wettbewerb ausgeschöpft werden kann. Private und gewerbliche Nutzer werden in Zukunft auf ein wachsendes Angebot von Telekommunikationsdienstleistungen stoßen. Qualitäts- und Preisniveau dieser Dienstleistungen werden sich dem internationalen Standard anpassen, womit auch die Basis für wesentliche Produktivitätssteigerungen in der Wirtschaft gelegt wird.
Ich bedanke mich.
Dann erteile ich dem Abgeordneten Hans Martin Bury das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Manuel Kiper hat anläßlich unserer letzten Debatte in diesem Hause zum Thema Telekommunikation das Wort von den bösen Buben Bötsch, Bury und Börnsen geprägt.
- Bernrath war in diesem Fall nicht beteiligt.
Hans Martin Bury
Wenn Regierung und Opposition gemeinsame Sache machen und der Bundesminister dann auch noch seinen Counterpart im Parlament ständig lobt, ist Mißtrauen in der Tat grundsätzlich nicht unangebracht.
Aber, Herr Kollege Kiper, es war durchaus mühsam, mit dieser Koalition zu einer Einigung zu kommen, so mühsam, daß Sie, Herr Kiper, den Versuch schnell wieder abgebrochen haben; denn in der Tat war lange fraglich, ob wir uns überhaupt einigen könnten.
Die Regierungskoalition wollte ursprünglich ein Regulierungsmodell, das der Telekom alle Pflichten und ihren Wettbewerbern alle Rechte gegeben hätte. Wir Sozialdemokraten dagegen wollen faire Wettbewerbschancen für alle Marktteilnehmer, mit Auflagen, die eine hochwertige und preisgünstige Versorgung der gesamten Bevölkerung sicherstellen. Die Koalition wollte sich der Infrastrukturverpflichtung dagegen zunächst mit einer Minimallösung, dem analogen Telefon, entledigen.
Die SPD hat schon vor einem Jahr die Regierungskoaliton zu Verhandlungen aufgefordert, denn die Weichenstellung, die wir heute vornehmen, ist zu wichtig, um sie der Bundesregierung zu überlassen. Wir wollen einen Wettbewerbsrahmen, der nicht den Status quo in Gesetzestext gießt, sondern Zukunftsperspektiven für Wirtschaft und Verbraucher eröffnet.
Die SPD hat in den interfraktionellen Verhandlungen wichtige Verbesserungen durchgesetzt. Das gilt zum einen für den Universaldienst. Wir haben dort jetzt den Sprachtelefondienst mit ISDN-Leistungsmerkmalen festgelegt. Die Rahmenbedingungen sollen sicherstellen, daß dieser im Wettbewerb von mehreren Anbietern erbracht wird und nicht nur von einem zwangsweise verpflichteten. Dazu kommen Versorgungsauflagen für alle Unternehmen, die knappe Frequenzen für den Wireless local loop nutzen wollen.
Wir haben zum zweiten bei der Zusammenschaltung der Netze sichergestellt, daß die Verpflichtung zur Zusammenschaltung für alle Betreiber öffentlicher Netze gilt, nicht nur für Marktbeherrscher. Das gibt einen zusätzlichen Schub für den Wettbewerb.
Wir haben bei der Anwendung neuer Technologien erreicht, daß kein Ausschluß einzelner Bewerber stattfindet. Wir wollen Wettbewerb um die beste Technologie. Das eröffnet einen zusätzlichen Innovationsschub.
Und wir haben beim Verbraucherschutz Regelungen gefunden, nach denen alle Kunden gleichermaßen geschützt werden, nicht nur diejenigen großer Unternehmen. Wir haben erreicht, daß die Entgeltregulierung praktikabler und flexibler geworden ist und daß sie regelmäßig auf ihre Notwendigkeit überprüft wird. Wir haben unter dem Stichwort der strukturellen Separierung die Befürchtungen der Arbeitnehmervertretung aufgegriffen, die Zerschlagung
der Telekom verhindert, aber auch Vorsorge getroffen, daß Quersubventionierungen aus Monopolbereichen, insbesondere von Energieversorgungsunternehmen oder der Deutschen Bahn AG, wirkungsvoll begegnet wird.
Aber - das festzustellen gehört auch zur Ehrlichkeit - wir haben auch Kompromisse machen müssen. Ich hätte es für sinnvoller gehalten, nur bundesweite Anbieter für den Telefondienst zu lizenzieren, weil wir damit industriepolitisch das Entstehen marktstarker Unternehmen in Deutschland gefördert, eine Fragmentierung verhindert und eine flächendekkende Versorgung der Verbraucher im Wettbewerb gewährleistet hätten. Demgegenüber haben ja manche in diesem Haus die Illusion gepflegt, es würden Hunderte von Telefondienstanbietern entstehen. Wenn Sie sich die Konzentrationsprozesse im Markt, die wir jetzt beobachten, anschauen und entsprechende Prognosen studieren, werden Sie feststellen, daß unser Marktmodell sehr viel realistischer ist. Es hätte auch eines geringeren Maßes an Regulierung bedurft.
Der beste Regulierer ist in der Regel der Wettbewerb. Im Telekommunikationssektor haben wir jedoch die Besonderheit, daß wir uns erst im Obergang vom Monopol zum Wettbewerb befinden, staatliche Regulierung also der Förderung eines funktionsfähigen Marktes dient und nicht dessen Reglementierung. Insofern, Herr Bötsch, ist der Begriff „Regulierungsbehörde" vielleicht etwas unglücklich gewählt, notwendig ist diese Behörde auf absehbare Zeit aber ohne Zweifel - auch deshalb, weil der Bund einen grundgesetzlichen Infrastrukturauftrag hat, flächendeckend die Versorgung mit angemessenen und ausreichenden Telekommunikationsdienstleistungen zu gewährleisten.
Wenn Sie sich vor Augen führen, wie das Bundeswirtschaftsministerium nicht erst seit Günter Rexrodt die Maxime des Hauses in dem großartigen Satz zusammenfaßte, daß Wirtschaft in der Wirtschaft stattfinde
- ja, die Frage ist berechtigt, wo er denn nun ist;
vielleicht, aber das nur als Randbemerkung, sollten wir konsequenterweise mit der Privatisierung dieses Wirtschaftsministeriums beginnen, aber den Minister will ja auch keiner -, wenn Sie sich vorzustellen versuchen, dieses Bundeswirtschaftsministerium solle Garant für eine preisgünstige und qualitativ hochwertige Versorgung der kleinen Leute sein, spätestens dann wird klar, warum wir eine unabhängige, starke Regulierungsinstanz brauchen und darüber hinaus eine andere Wirtschaftspolitik. Die F.D.P. hat dieses Ressort vom Erbhof zum Friedhof gemacht.
Es war, Herr Bötsch, aus meiner Sicht absolut unangemessen, wie zwischen CDU/CSU und F.D.P. über die Frage der Regulierungsinstanz verhandelt
Hans Martin Bury
wurde. Die F.D.P. hat gar nichts begriffen, die CDU sehr spät,
daß es bei Telekommunikation um einen Zukunftssektor mit gewaltigen Chancen und hohem Volumen geht.
- Ich kann Ihnen, Herr Weng, an diesem Punkt nicht widersprechen, wenngleich es natürlich noch einige andere in diesem Haus gibt.
- Keine Sorge!
Herr Rüttgers hat Ansprüche auf Kompetenzen bei Telekommunikation angemeldet, um die Raumfahrt zu bekommen. Die Posse verkam schließlich zum Postengeschachere. Schließlich befaßte sich die Runde der Partei- und Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU und F.D.P. mit der Frage. Die verstehen sicher von allem etwas, aber möglicherweise nichts richtig. Das Ergebnis war nicht mehr als ein kleinster gemeinsamer Nenner. Hier gibt es erheblichen Verbesserungsbedarf im Gesetzgebungsverfahren.
Ebenso müssen wir beim Universaldienst Präzisierungen vornehmen und sicherstellen, daß die Teilhabe aller an der Informationsgesellschaft über die Sprachkommunikation hinaus gewährleistet wird. Wir reden inzwischen alle gerne von der Datenautobahn. Ich möchte in diesem Zusammenhang lediglich erwähnen, daß für eine leistungsfähige Datenautobahn auch entsprechende Auffahrten geschaffen werden müssen. Die sehr schwierige Diskussion, die wir in diesem Zusammenhang mit den Kommunen führen, muß auch unter dem Gesichtspunkt gesehen werden, daß wir den Aufbau und die Erweiterung von Infrastrukturen dort nicht behindern dürfen, in ihrem eigenen Interesse. Der Kollege Eike Hovermann wird für unsere Fraktion speziell zu diesem Aspekt noch Stellung nehmen.
Wir sprechen in jedem Fall über einen chancenreichen Zukunftsmarkt. Ich denke, daß wir in Deutschland alles in allem eine gute Startposition haben, nicht zuletzt dank der Deutschen Telekom AG, die nach eigenen Angaben größter Investor der Welt ist und sicherlich Innovationsführerschaft hat. Ich denke, auch ihre Wettbewerber und die gesamte deutsche Industrie müssen ein Interesse an einer positiven Entwicklung dieses Unternehmens haben.
Ich würde mir deshalb vor dem Hintergrund der Diskussion der letzten Wochen einen anderen Umgang in dieser Branche wünschen mit dem Ziel eines fairen Wettbewerbs.
Ich glaube es im Interesse aller Beteiligten. Es ist zumindest pikant, wenn derzeit der Deutsche Industrie- und Handelstag gegen billigere Telefontarife für Geschäftskunden zu Felde zieht und die Gewerkschaften dafür werben.
Wir alle müssen dazu beitragen, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß der Börsengang der Telekom im November dieses Jahres ein Erfolg wird - ein Erfolg im Interesse des Unternehmens, dessen Eigenkapitalausstattung nach den jahrelangen Ablieferungen an den Bund und nach den gewaltigen Investitionen in den neuen Ländern relativ schlecht ist, aber auch ein Erfolg im Interesse des Zugangs deutscher Unternehmen zum internationalen Kapitalmarkt insgesamt.
Ich glaube, daß die Politik mit dem Telekommunikationsgesetz, auch dank der Verbesserungen, die im Laufe der interfraktionellen Beratungen eingefügt wurden, die Weichen gestellt hat. Wir stellen das Signal für die Innovationslokomotive Telekommunikation auf grün. Die Politik schafft also die Voraussetzungen. Nun können sich die Telekom und ihre Wettbewerber nur noch selber bremsen.
Ich möchte unterstreichen, Herr Bötsch, was Sie in diesem Zusammenhang zu Aussagen des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom AG gesagt haben. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß der ja durchaus eloquente Herr Sommer noch immer von Vorschußlorbeeren zehrt und nicht gemerkt hat, daß sie inzwischen leider welk sind.
Wir haben im Regulierungsrat einstimmig einen Antrag der SPD beschlossen, mit dem die Telekom gefordert, aber auch gefördert wird. Wir wollen, daß in Deutschland noch in diesem Jahr attraktive Optionstarife auch für Privatkunden sowie kleine und mittlere Unternehmen eingeführt werden. Damit muß nicht nur die soziale Schieflage der vom Bundespostminister genehmigten Tarifreform korrigiert werden, es geht auch um die Erschließung neuer Marktpotentiale. Ich hoffe, daß die Telekom AG dies noch begreift.
Im übrigen würde ich mir wünschen, daß das Telekommunikationsunternehmen seine eigene Kommunikationsstrategie überdenkt und verbessert. Jedesmal, wenn ich an dem Plakat mit dem Mädchen vorbeikomme, auf dem steht „Mal eben für 12 Pfennig die Mutti anrufen", habe ich den Eindruck, diese Kampagne haben irgendwelche Yuppies konzipiert. Dann kam ich aber kürzlich an einem zweiten Plakat vorbei, auf dem stand „Mal eben für 12 Pfennig das Rendezvous absagen" . Seither glaube ich, die verstehen schlicht gar nichts.
Die Botschaft kann doch nicht sein: Fasse dich kurz!
Kommunikation ist ein Bedürfnis, noch stärker als Mobilität.
Hans Martin Bury
Wir stehen kurz vor dem Take-off von der Informationsgesellschaft in die Innovationsgesellschaft. Lassen Sie uns die Checkliste vor dem Start gemeinsam sorgfältig durchgehen und die Voraussetzungen schaffen, um die Chancen zu nutzen und die Risiken zu begrenzen.
Wir werden den vorliegenden Gesetzentwurf in den Ausschüssen und mit externen Sachverständigen sorgfältig beraten, und wir wollen dazu beitragen, daß ein gutes Telekommunikationsgesetz im Juli im Bundesgesetzblatt stehen kann.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Manuel Kiper.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Bundespostminister und auch Kollege Bury haben schon darauf hingewiesen, daß wir, Bündnis 90/Die Grünen, die einzige Fraktion sind, die am TKG Kritik vorbringen.
Wir von Bündnis 90/Die Grünen sind - deshalb möchte ich das vorausschicken - nicht grundsätzlich gegen den Wettbewerb, wir begrüßen vielmehr den Wettbewerb in der Telekommunikation. Wir begrüßen auch, daß in dem jetzt eingebrachten Gesetzentwurf die Lizenzen nicht mehr auf wenige Große beschränkt werden, wie das von seiten der SPD in der Anfangsphase gefordert wurde.
Wir begrüßen auch, daß in dem Entwurf eine asymmetrische Regulierung abgewehrt worden ist und daß alle Telekommunikationsbetreiber die Interkonnektion gewährleisten müssen, was Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, in der Verhandlungsrunde durchgesetzt haben. Wir begrüßen, daß in dem Gesetz Regelungen zur Wahrung des Fernmeldegeheimnisses vorgesehen sind und daß die neuen Player, sprich: die großen Energieversorgungsunternehmen, zur strukturellen Separierung gezwungen werden sollen, wobei wir allerdings der Auffassung sind, daß hier die Sicherungen verstärkt werden müssen, damit nicht Atomgewinne, Gewinne aus der Monopolisierung der Strombranche genutzt werden, um eine weitere Branche - so möchte ich es fast nennen - zu unterwandern.
Nichtsdestotrotz sind mit der Postreform I und II zum Teil verkehrte Weichenstellungen getroffen worden, die jetzt der Korrektur bedürfen. Wir haben von seiten Bündnis 90/Die Grünen bereits im Frühjahr des letzten Jahres im Deutschen Bundestag einen Antrag dazu eingebracht, wie nach unserer Auffassung die Weichen richtig gestellt werden müssen und daß ein ökologischer, sozialer und demokratischer Weg in die Informationsgesellschaft beschritten werden muß.
Die Regierungskoalition und die SPD haben dabei versagt, zukunftsweisende Vorgaben zu verabschieden, und zwar einmal bei der Definition und Gestaltung des Universaldienstes. Nun gibt es hier im Hause Denker wie den Kollegen Glotz aus der SPD- Fraktion, der sehr richtig in der „Zeit" schrieb:
Während in den Vereinigten Staaten kostenlose Internet-Zugänge für die Bürger geschaltet werden und öffentliche Verwaltungen über kommunale Angelegenheiten elektronische Diskussionsforen eröffnen, weiß bei uns kein Mensch, was die Amerikaner mit universal service meinen. Es handelt sich unbeholfen übersetzt um einen Basisinformationsdienst. So wie wir uns neben eigenen Büchern öffentliche Bibliotheken geschaffen haben, müssen im digitalen Zeitalter Schulen oder Bibliotheken kostenlos vernetzt werden.
Dies ist die Aufgabe, und Sie von seiten der Regierungskoalition wie von seiten der Verhandlungsführer der SPD haben an diesem Punkt versagt. Herr Kollege Börnsen, ich darf zitieren, was Sie als Antwort auf die Forderung, wie der Universaldienst zukunftsfähig gestaltet werden muß, schreiben:
Diese Zielsetzung wird von der SPD eindeutig abgelehnt, weil sie für den heutigen Zeitpunkt unsinnig ist und einen Vorgriff auf mögliche Entwicklungen beinhaltet.
- Sie wissen das auch, das war im neuesten Jahrbuch für Telekommunikation. Ich zeige Ihnen noch einmal das Zitat.
- Sie können ja eine Zwischenfrage stellen. Wenn Sie das nicht glauben, dann lese ich Ihnen das gesamte Zitat vor.
Ich kann mich nur darüber wundern, daß der Kollege Bury Tränen geweint hat, weil es keine Auffahrten zur Informationsgesellschaft gibt. Die SPD-Verhandlungsführer haben aber gerade versäumt, das in den Verhandlungen durchzusetzen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Börnsen?
Ja, ich gestatte eine Zwischenfrage.
Herr Kollege, ich frage Sie in dem Zusammenhang, wo Sie über den Universaldienst neue Informationen zu geben versuchen: Ist Ihnen bekannt, daß die Deutsche Telekom zusammen mit Vertretungen der deutschen Industrie in nächster Zeit ein Programm auflegen wird für den kostenlosen Anschluß der Schulen ans Internet?
Arne Börnsen
Können Sie nachvollziehen, daß es unsere Philosophie ist, daß wir die Beteiligten der Industrie anregen wollen, Eigeninitiative zu entwickeln, wir es aber nicht für erforderlich halten, daß dies durch gesetzliche Auflagen geschieht? Wie man an dem genannten Beispiel erkennen kann, erfolgt das über diesen Weg sogar sehr viel schneller, als wenn wir für 1998 eine Auflage geben würden.
Herr Kollege Börnsen, Sie wissen wie ich, daß die 35 Millionen DM, die die Telekom dafür zur Verfügung stellt, ein Tropfen auf den heißen Stein sind und daß die geschätzten Kosten bei 16 Milliarden DM liegen. Das ist zwar eine Initiative, die wir gemeinsam begrüßen.
- Jetzt bleiben Sie erst einmal stehen! Ich bin doch noch mitten in der Antwort.
Das heißt aber nicht, daß bei den Verhandlungen über die Ausgestaltung des Universaldienstes nicht die Chance gegeben gewesen wäre, wesentlich stärkere Voraussetzungen zu schaffen, die Schulen, die Bibliotheken und andere öffentliche Einrichtungen schnell und flächendeckend an die Informationsgesellschaft anzuschließen.
- Bitte sehr.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das ist nicht die einzige Kritik an der Ausgestaltung des Telekommunikationsgesetzes. Es geht auch um die Frage des Fonds. Es geht um die Frage der Wegerechte. Der Fonds ist mehr oder weniger gestrichen worden. Man muß feststellen, daß die finanziellen Risiken zukünftig bei der Bundesrepublik verbleiben.
Der Auftrag nach Art. 87f des Grundgesetzes wurde mehr oder weniger ad acta gelegt. Die Chance ist vertan worden, über einen Universaldienstfonds alle Marktbeteiligten an der Finanzierung der Auffahrten in die Informationsgesellschaft zu beteiligen.
Zu dem dritten Punkt, den Wegerechten: Was hier beschlossen worden ist, ist eine Enteignung der Kommunen. SPD- und Koalitionsvertreter reden gemeinsam davon, das, was in diesem Fall von den Kommunen betrieben wird, sei eine moderne Wegelagerei. Nein, unter der Räubermaske Telekommunikation wird hier vielmehr eine zweite private Aneignung der Allmende betrieben. Dies muß im Telekommunikationsgesetz geändert werden.
Ein vierter Punkt, der auf unsere Kritik stößt: Mit der Regulierungsbehörde ist für Herrn Rexrodt eine neue Spielwiese geschaffen worden. Es wäre die Aufgabe gewesen, eine oberste Bundesbehörde zu schaffen, einen starken Regulierer, um zu erreichen, daß ein wirklicher Wettbewerb am Markt durchgesetzt wird.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluß.
In den kommenden Monaten müssen wesentliche Korrekturen am Telekommunikationsgesetz vorgenommen werden. Es geht erstens darum, die Rechte der Kommunen zu wahren. Es geht zweitens darum, den Universaldienst als Türöffner in die Informationsgesellschaft zu gestalten. Es geht drittens darum, eine unabhängige und starke Regulierungsbehörde als oberste Bundesbehörde einzurichten, um fairen Wettbewerb auf dem Telekommunikationsmarkt zu garantieren.
Ich hoffe, daß sich die SPD - auch über die Ländermehrheit - bewegt und sich nicht weiter an die Hosenträger vom Bundespostminister hängt.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Max Stadler.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wird Sie nicht überraschen, daß ich den vorliegenden Gesetzentwurf als besser beurteile als mein Vorredner. Mit dem TKG werden die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen in einem liberalisierten Telekommunikationsmarkt festgelegt. Zukünftigen Marktteilnehmern wird - ich möchte sagen: endlich - die notwendige Rechts- und Planungssicherheit verschafft.
In Erfüllung des verfassungsrechtlichen Auftrages des Art. 87 f des Grundgesetzes sollen ein chancengleicher und funktionsfähiger Wettbewerb in der Telekommunikation geschaffen und gleichzeitig Vorsorge für - das steht nämlich in Art. 87 f - „flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen" im Bereich der Telekommunikation getroffen werden.
Aus der Sicht der F.D.P.-Fraktion sind zwar nicht alle Formulierungen des TKG-Entwurfs optimal. Man hätte sich durchaus noch eine stärkere Öffnung der Märkte und weniger Regulierung vorstellen können. Gleichwohl kann der Entwurf, der ja nicht nur mit dem Koalitionspartner, sondern auch mit der SPD vereinbart worden ist, guten Gewissens mitgetragen werden. Es wäre schlecht gewesen, wenn am Ende der interfraktionellen Verhandlungen ein Entwurf gestanden hätte, mit dem der Markt zugunsten der Deutschen Telekom und weniger großer Wettbewerber abgeschottet worden wäre. So ist es jedoch nicht gekommen. Vielmehr bewertet die F.D.P.-Fraktion folgende Gesichtspunkte positiv:
Dr. Max Stadler
Erstens. Insbesondere in den §§ 1 und 2 wird das Gesetz nicht ausschließlich auf Regulierung, sondern auf die Förderung des Wettbewerbs festgelegt.
Zweitens. Der Regulierer legt nicht, wie einmal im Gespräch war, 15 Großregionen fest. Dem Lizenznehmer ist es vielmehr grundsätzlich freigestellt, regionale Lizenzen zu beantragen. Dies wird mittelständischen Unternehmern den Marktzugang erleichtern.
Drittens. Die Grundsätze der Berufs- und Gewerbefreiheit sowie der Verhältnismäßigkeit sind gewahrt.
Viertens. Die Definition der Universaldienstleistungen erfolgt in einer Rechtsverordnung, die auch im Bundestag beraten werden muß, dessen Mitsprache somit gesichert ist.
Fünftens. Universaldienstverpflichtungen können nach § 18 des Entwurfs nur marktbeherrschenden Unternehmen auferlegt werden.
Sechstens. Ein Universaldienstleistungsfonds, der allen Wettbewerbern Abgaben auferlegt hätte, ist verhindert worden.
Siebtens. Als defizitär bezeichnete Universaldienste werden ausgeschrieben und gehen an denjenigen Wettbewerber, der den geringsten Ausgleich verlangt.
Achtens. Die Notwendigkeit einer asymmetrischen Regulierung wurde anerkannt. Gleichzeitig muß die Regulierungsbehörde alle zwei Jahre einen Bericht vorlegen, der durch einen Bericht der Monopolkommission darüber ergänzt wird, ob auf den Märkten der Telekommunikation ein funktionsfähiger Wettbewerb besteht. Damit wird die Besonderheit der sektorspezifischen Marktregulierung und Asymmetrie grundsätzlich alle zwei Jahre überprüft.
Schließlich neuntens: Strittig war in den Verhandlungen die Ausgestaltung der Regulierungsbehörde. Die Einrichtung einer Bundesoberbehörde und nicht etwa einer obersten Bundesbehörde sowie die Zuordnung der Regulierungsbehörde zum Bundesministerium für Wirtschaft sind sachgerecht. Dadurch ist sichergestellt, daß auf diesem Zukunftsmarkt die Regeln der Marktwirtschaft gelten, die Zusammenarbeit mit dem Bundeskartellamt funktioniert und die Regulierung sich nicht aus Eigeninteresse verselbständigt.
Insgesamt bewerten wir den Entwurf somit positiv. Er trägt vor allem wegen der von mir genannten Einzelpunkte deutlich eine liberale Handschrift. Im Laufe der Vorarbeiten konnten insbesondere die Vorschriften zur wettbewerbsorientierten Regulierung präzisiert und die Marktzugangsbedingungen für neue Wettbewerber verbessert werden.
Als wesentliche Kritik könnte daher nur bleiben, daß der Gesetzentwurf schon eher hätte kommen müssen. In der Tat brauchen wir im Interesse des Wirtschaftsstandortes Deutschland und zum Nutzen der privaten Verbraucher dringend den Wettbewerb im Telekommunikationsmarkt. Die Telekommunikationskosten sind im internationalen Vergleich viel zu hoch. Wir sind überzeugt, daß der Wettbewerb zu günstigeren Tarifen führen wird.
Der kürzliche Streit um die Tarifstrukturreform der Telekom hat gezeigt, daß wir uns derzeit noch in einer eigentümlichen Übergangsphase befinden. Die Telekom legt ihre Tarife nach privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten fest. Gleichwohl werden diese Tarife von weiten Teilen der Bevölkerung noch sozusagen als politische Preise empfunden. Die Verantwortung für die Preise wird der Politik zugewiesen.
Richtig daran ist, daß die Tarifstrukturreform vom Bundespostminister zu genehmigen war und genehmigt worden ist, und zwar mit öffentlicher Zustimmung auch der Opposition und der Mehrheit der Bundesländer.
Dies geschah schon im Februar 1994. Die aktuelle Diskussion, wie sie von manchen Politikern, insbesondere von einigen Ministerpräsidenten der Bundesländer, geführt worden ist,
trug daher sehr populistische Züge; denn dieselben Kritiker haben mehr als eineinhalb Jahre nichts getan, um an der zum 1. Januar 1996 angekündigten neuen Tarifreform etwas zu ändern. Auch die Telekom selbst hat viel zu spät auf Kritik reagiert, wie sie etwa schon im Herbst letzten Jahres an der Verteuerung des Zugangs zu den Online-Diensten, zum Beispiel von der F.D.P., geübt worden ist.
Der gesamte Vorgang zeigt exemplarisch - ich komme zum Schluß -, daß es höchste Zeit ist, aus der Übergangsphase mit einer privatisierten, aber nahezu noch monopolistischen Struktur herauszukommen und in einen umfassenden freien Wettbewerb zu gelangen. Der vorliegende Gesetzentwurf gibt den Weg dazu frei.
Es spricht jetzt der Abgeordnete Gerhard Jüttemann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Koalitionsparteien und die SPD haben sich mit dem vorliegenden Entwurf des Telekommunikationsgesetzes eine beträchtliche Verspätung gestattet. Allerdings haben die Verfasser trotz allen Zeitverzugs das Klassenziel nicht erreicht.
Worin besteht dieses Ziel? In einem Satz gesagt, geht es darum, die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien optimal für die Interessen der Bürger dieses Landes zur gesellschaftlichen Entfaltung kommen zu lassen. Es geht, schlagwortartig gesagt, um umfassende kulturelle Entwicklung, um
Gerhard Jüttemann
neue Formen und neuen Zugang zu Bildung und Ausbildung, um die Schaffung neuer, vollwertiger Arbeitsplätze weit über die Zahl der verschwindenden hinaus, um die Sicherung von Wohlstand und sozialer Sicherheit und um neue Möglichkeiten breiter demokratischer Mitbestimmung. Es geht vor allem darum, daß alle Menschen in diese Prozesse einbezogen werden, daß alle Bürger unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Stellung und von ihrem Geldbeutel Zugang zu den neuen Medien haben und sie für sich und ihre eigene Entwicklung nutzen können.
Den Verfassern des vorliegenden Gesetzentwurf es geht es um nichts von alledem. Ihnen geht es darum, durch Regulierung im Bereich der Telekommunikation den Wettbewerb zu fördern. So steht es in § 1 des Gesetzentwurfes. Zwar wird noch die hohle Phrase hinterhergeschickt, daß angemessene und ausreichende Dienstleistungen gewährleistet werden sollen. Aber was ist angemessen, was ausreichend? Die Definition der Universaldienstleistungen als Mindestangebot in § 16 und völlig unzureichende Universaldienstauflagen unterstreichen das Fehlen jeglicher Vision und jeglichen Willens, sich auf politisch-soziale Ziele festzulegen und die Rahmenbedingungen zu ihrer Erreichung zu gestalten.
Statt dessen reduzieren Sie alles auf ein einziges, auf Ihr einziges Problem: Standort Deutschland, Konkurrenzfähigkeit deutscher Firmen in Europa und auf dem Weltmarkt, darauf, daß die Telekom vergoldet von ihrem Börsengang heimkehrt und daß die Deutsche Bahn AG und die großen Energieversorgungsmonopole neue Profitquellen für sich erschließen.
Ihre Visionen beschränken sich auf das Klingeln in den Kassen - und dabei leider nicht einmal in den öffentlichen. Der sogenannte Wettbewerb wird dazu führen, daß die Wettbewerber einer wie der andere nur ein möglichst großes Stück vom Kuchen haben wollen. Was betriebswirtschaftlich ganz sinnvoll ist, könnte volkswirtschaftlich allerdings unangenehme Folgen haben. Im Moment haben wir statt des bisherigen Staatsmonopols nur ein privates Monopol erhalten. Die Folgen bekommen die 30 Millionen Privatkunden der Telekom gerade mit ihrer JanuarRechnung präsentiert.
Eine Reihe von potentiellen Wettbewerbern wird im übrigen durch zunehmenden Preisdruck von Anfang an kaum Möglichkeiten für technologische Innovationen haben und eher über kurz als über lang vom Markt wieder verschwinden.
Oder nehmen Sie die Arbeitsplätze. Die großen Wettbewerber der Telekom planen für 10 Prozent Marktanteil ein Arbeitsplatzpotential von 2 000 bis 10 000 Stellen. Geht man von der größten Zahl aus, heißt das: Für 100 Prozent des Marktes werden nur 100 000 Stellen benötigt. Im Moment hat jedoch allein die Telekom noch über 200 000 Stellen. Das heißt, die vorhergesagte Konjunktur wird nicht ausbleiben - bei den Arbeitsämtern.
Von den Parteien der Regierungskoalition hat niemand eine andere Politik erwartet. Sie vertreten halt die Interessen derer, in deren Lohn und Brot sie stehen - und das immer konsequenter. Das ist einer der Hauptgründe, warum es den Leuten im Land immer schlechter geht.
Was aber ist mit der SPD? Warum fallen Sie eigentlich am Ende immer wieder um, obwohl Sie doch anfangs oft wortreich ganz respektable Positionen vertreten?
Abschließend nun noch einige Kritikpunkte der PDS am vorliegenden Gesetzentwurf.
Dringend notwendig wären Regelungen über den kostengünstigen Zugang öffentlicher Einrichtungen zu den künftigen Telekommunikationsdienstleistungen.
Wir vermissen außerdem Bestimmungen über die Schaffung öffentlicher Telekommunikationszentren für Menschen, die auf keine andere Weise Zugang zu den neuen Medien erhalten können.
Der Eingriff in das Wegerecht der Kommunen kann so nicht hingenommen werden. Die Straßen und Plätze gehören der Öffentlichkeit und sind von ihr bezahlt. Ihre betriebliche Nutzung muß folglich ebenso bezahlt werden. Allerdings wären hier Kompensationsgeschäfte denkbar, wie zum Beispiel kostenloser Zugang zum Netz für öffentliche Einrichtungen im Gegenzug zum kostenlosen Verlegen von Leitungen.
Unakzeptabel ist auch, daß die Tarifeinheit im Raum durch zunehmende Rabattregelungen nicht mehr gewährleistet ist und keine Schutzmechanismen gegen das massenhafte Entstehen von Scheinselbständigkeit und außertariflichen Arbeitsplätzen im Telekommunikationsbereich in das Gesetz eingebaut wurden.
Noch ein letztes Wort zu den Preisen, von denen im Gesetzentwurf behauptet wird, daß sie auf ein Niveau sinken werden, wie es in anderen Staaten mit liberalisierter Telekommunikation existiert. Wie das läuft, wissen wir bereits von der Deutschen Bahn AG: Auf jede Leistungseinschränkung folgt eine gepfefferte Preiserhöhung.
Recht herzlichen Dank.
Es spricht jetzt der Abgeordnete Elmar Müller, Kirchheim.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Vorredner haben, denke ich, hinreichend deutlich gemacht, daß man dieses Telekommunikationsgesetz durchaus zu den wichtigen Eckpfeilern nicht nur der derzeitigen Anstrengungen im Hinblick auf Investitionen und Arbeitsplätze zählen kann, sondern auch der Liberalisierung und der zukünftigen
Elmar Müller
Marktchancen für die Bundesrepublik Deutschland. Die enormen Auswirkungen werden in der Wirtschaftspolitik spürbar sein, und zwar nicht erst irgendwann, sondern schon in wenigen Jahren in dem Bereich, den wir Telekommunikation, Informationsgesellschaft und Multimedia nennen.
Ich möchte, Herr Minister, nachdem Sie und der Kollege Bury auch Herrn Sommer angesprochen haben, wenigstens einen Satz dazu sagen dürfen, und zwar auch deshalb, weil ich denke, daß es unnötig ist, diese Auseinandersetzung, die wir zu führen haben, erneut eskalieren zu lassen. Ich möchte es mit dem Hinweis von Bismarck, den ich noch in Erinnerung habe, bewenden lassen, der einmal gesagt hat: Gesandte sind nicht immer Geschickte. - Damit meine ich nicht Herrn Sommer. Aber ich möchte Herrn Sommer die Empfehlung geben, daß er sich für die Zukunft im Umkreis seiner Berater einen Geschickten sucht, der vor allem auch die Verbindung zur Politik hält und das, was den Dialog mit der Politik ermöglicht, künftig etwas anders gestalten sollte.
Dabei möchte ich es belassen.
Der deutsche Arbeitsmarkt wird von dieser Liberalisierung profitieren, die wir mit der Einbringung dieses Gesetzes erreichen wollen. Ich denke, daß das auch der Grund war, weshalb wir für diese gemeinsame Einbringung nicht nur die F.D.P. - das ist selbstverständlich -, sondern auch die SPD gewonnen haben, und zwar nicht nur, um dieses Gesetz auf den Weg zu bringen, sondern auch, um die Fristen einzuhalten, die wir uns gemeinsam gesetzt haben, nämlich bis Mitte des Jahres.
Die Grünen haben immer Schwierigkeiten bei der Zustimmung, wenn es darum geht, in dieser Gesellschaft und in dieser Industrienation etwas zu verändern. Ein Beispiel hat der Kollege Dr. Kiper vorhin genannt: den ISDN-Zugang. Herr Dr. Kiper, Sie sind einer der wenigen Kundigen in Ihrer Fraktion, der sich gelegentlich sehr ernsthaft mit der Zukunft dieser Gesellschaft auseinandersetzt. Aber daß Sie ausgerechnet ISDN als Universaldienst ins Gesetz aufgenommen haben wollen, ist eine Forderung, die schon vom Technischen her einfach unsinnig ist, und zwar deshalb, weil wir den digitalisierten Zugang, aber nicht einen Standard-ISDN wollen, von dem wir nicht wissen, ob er nicht schon in zwei Jahren durch andere Verfahren ersetzt wird.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Manuel Kiper?
Gern, Dr. Kiper.
Herr Kollege Müller, ist Ihnen vielleicht aufgefallen, daß ich nicht von ISDN gesprochen habe, sondern davon, daß Bibliotheken und Schulen an den Universaldienst angeschlossen werden sollen? So, wie es
in einzelnen Bundesländern der USA bereits als Universaldienst festgeschrieben worden ist, wäre das auch für Deutschland die Chance, in die Informationsgesellschaft einzusteigen, indem man solche Universaldienstauflagen macht.
Kollege Börnsen hat Ihnen darauf schon eine Antwort gegeben. Wir werden mit diesem Gesetz einen liberalisierten Markt, also einen Wettbewerbsmarkt schaffen. Das ist die gleiche Auseinandersetzung, die wir derzeit bei den Gebühren haben. In einem solchen Wettbewerbsmarkt ist es einfach nicht möglich zu sagen: Wir nehmen jetzt einzelne bevorzugte Gruppen heraus und versehen sie mit Segnungen, die der Gesamtmarkt zu erbringen hat. Damit schaffen wir keinen Wettbewerb; denn wir werden auf diesem Markt alle möglichen Wettbewerber haben. Deshalb ist es nur vernünftig, daß wir sagen: Es gibt öffentliche Aufgaben, beispielsweise Aufgaben der Büchereien, die nicht wir als Gesetzgeber zu regeln haben, sondern für die vor allem die Selbstverwaltung der Kommunen verantwortlich sein wird.
Die PDS hat auch durch ihren Kollegen Jüttemann vorhin einige Dinge in die Welt gesetzt. Herr Kollege Jüttemann, ich habe inzwischen wirklich Schwierigkeiten nachzuvollziehen, was die PDS überhaupt will. Wir haben gelegentlich die Aufforderung, uns ernsthaft mit Ihnen auseinanderzusetzen. Aber das ist schlicht nicht möglich. Sie sind einerseits immer wieder davon ausgegangen, daß wir einen Schutzzaun um die Deutsche Telekom ziehen. Im Bereich der Gebühren hingegen sind Sie jemand, der mit am dringendsten mehr Wettbewerb fordert. Irgendwann, Herr Kollege Jüttemann, müssen Sie sich entscheiden, auch für Ihre Partei, und es uns dann auch etwas erleichtern, sich mit Ihnen überhaupt auseinanderzusetzen. Bisher können wir Sie nicht ernst nehmen.
Herr Kollege Müller, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Abgeordneten Kiper?
Herr Dr. Kiper noch einmal?
Frau Präsidentin, das war vorhin. Der Kollege Müller ist nun fortgefahren. - Herr Kollege Müller, ich wollte eine zweite Frage zu dem Vorbild USA an Sie stellen. Sind Ihnen denn wenigstens die Gesetzesregelungen aus den USA bekannt, nach denen es in den USA sehr wohl möglich ist, Universaldienstregelungen so vorzuschreiben, daß Bibliotheken und öffentliche Einrichtungen an die Informationsgesellschaft, an die Datenautobahnen angeschlossen werden müssen?
Es gibt bei uns überhaupt keine Veranlassung, in einem Gesetz Dinge, die angeschlossen werden müssen, numerisch oder wie auch immer aufzuzählen, sondern bei uns hat jeder Kunde künftig das Recht, sich an ein
Elmar Müller
öffentliches oder auch ein privates Netz wie die Forschungsnetze anschließen zu lassen. Bei uns wird keiner außen vor gelassen. Deshalb ist es unnötig, dieses Gesetz mit allem möglichen zu belasten und zu befrachten. Ich denke, daß der Wettbewerb keine Gefahr darstellt, daß irgend jemand mit Recht sagen kann, er könne nicht angeschlossen werden. Es handelte sich nur um die Frage, ob wir dies kostenlos machen lassen oder, wie im Wettbewerb üblich, einen Preis dafür erheben dürfen.
Meine Damen und Herren, die SPD hat es sich natürlich wesentlich schwerer gemacht; das ehrt sie. Sie ist im Laufe der vergangenen zehn Monate - das darf gesagt werden - Gott sei Dank weit von früheren Vorstellungen abgerückt. Die SPD hat sich dabei - das ist unser Eindruck - immer wieder vor allem bei den SPD-Wirtschaftsministern in den Ländern kundig gemacht. Das hat sehr geholfen. Deshalb haben wir heute einen Stand erreicht, von dem wir sagen können: Dieses Gesetz weist durchaus, wie der Kollege Kiper sagt, im Bereich des Wirtschafts- und des Wettbewerbsrechtes liberale Züge auf.
Jedes Wettbewerbshemmnis wäre diesem Ziel abträglich. Es ist erfreulich, daß in der Realität Universaldienstauflagen nur sehr eingeschränkt zum Tragen kommen. Alles deutet darauf hin, daß auch in diesem Bereich technische Entwicklungen weitere Erleichterungen bringen, Herr Kollege Kiper.
Zudem wird die Europäische Union - Herr Dr. Stadler, darin sind wir uns einig - den Gesetzentwurf würdigen. Wir haben ausgemacht, daß die Europäische Union bei den Anhörungen vertreten sein wird. Ich hoffe sehr, meine Damen und Herren, daß wir einhalten, was wir gesagt haben, daß wir, wenn sich in diesem Gesetz noch Wettbewerbsbeschränkungen befinden - ich vermute darin noch einige; wir werden es gemeinsam mit der Europäischen Union in den Anhörungen erfahren -, diese vorurteilslos herausnehmen, bevor das Gesetz in Kraft tritt, um zu verhindern, daß anderenfalls möglicherweise ein Verfahren durch die Europäische Union in Gang gesetzt wird.
Meine Damen und Herren, vor allem der Arbeitsmarkt wird durch dieses Gesetzeswerk eine erkennbare Dynamik erfahren. Diese Dynamik wird sich auch in Zahlen ausgedrückt auswirken. Wir gehen heute davon aus, daß wir - dabei zählen wir die angekündigten Investitionen, die auf uns zukommen, zusammen - in den nächsten fünf Jahren etwa 30 Milliarden DM an Investitionen zu erwarten haben. In diesem Telekommunikationsmarkt gibt es die Faustregel, daß Investitionen in Höhe von etwa 1 Milliarde DM 15 000 zusätzliche Arbeitsplätze bewirken, so daß wir davon ausgehen, daß allein bis zum Jahre 2000 etwa 450 000, zumindest 400 000 Arbeitsplätze geschaffen werden,
und zwar im gesamten Umfeld der Telekommunikation.
Das ist auch notwendig; denn wir wissen, daß wir angesichts der Entlassungen bei der Deutschen Telekom, die sie vornehmen muß - darüber gibt es überhaupt keinen Zweifel und auch innerhalb der Fraktionen keine unterschiedliche Beurteilung; es sind etwa 60 000 -, dringend auch im Bereich der Arbeitsplätze einen Aufschwung brauchen. Zusätzlich zu diesen 30 Milliarden DM an Investitionen allein von den großen Unternehmen ist noch zu bemerken, daß wir, so hoffe ich, den mittelständischen Unternehmen den Zugang erleichtern, wie wir es ausdrücklich in diesem Gesetz enthalten haben wollten.
Darüber hatten wir die Auseinandersetzung mit der SPD. Sie hatte gesagt, zwei, maximal drei sollten genug sein. Nun haben wir erreicht, daß mittelständische Unternehmen, und zwar nicht nur als Netzbetreiber, sondern vor allem als Dienstebetreiber, Zugang zu diesem Markt haben. Diese Unternehmen werden künftig investieren und damit Arbeitsplätze schaffen. Darüber sind wir uns einig, Herr Dr. Kiper. Wir wollen Innovationen motivieren, vor allem aber Arbeitsplätze schaffen.
HEU, hoch angereichertes Uran, ist wegen seiner Brisanz als Grundstoff für Kernwaffen Gegenstand vieler außen- und sicherheitspolitischer Debatten gewesen. Im Sommer 1993 - das ist noch nicht allzu lange her - hat sich der Bundestag im Zusammenhang mit den Beratungen des Atomwaffensperrvertrages mit der Verwendung von hoch angereichertem Uran befaßt und einen sehr vernünftigen Beschluß zustande gebracht. Der Bundestag hat beschlossen - und zwar einstimmig, wirklich einstimmig -, daß alle Kernanlagenbetreiber dazu angehalten werden sollen, auf den Gebrauch von hoch angereichertem Uran zu verzichten, wann immer es technisch machbar ist.
Ohne solche nationalen Selbstverpflichtungen, mit denen verantwortungsbewußte Staaten vorangehen, wird es keinen Fortschritt bei der Abrüstung und der Nichtverbreitung von Waffenstoffen geben. Dies hat der Bundestag erkannt und deshalb die Bundesregierung aufgefordert, sich bei den NVV-Verhandlungen für eine solche nationale Selbstbeschränkung einzusetzen.
Und nun soll diese Verpflichtung für die Bundesregierung selbst nicht gelten? In Deutschland soll ein Reaktor mit waffenfähigem Uran gebaut werden dürfen? - Ich denke, daß hier ein Bundestagsbeschluß zur Nichtverbreitung im politischen Sinne von der Bundesregierung unterlaufen wird.
Der Bundestag hat eindeutig beschlossen, waffenfähiges Uran zu ersetzen, wenn es technisch möglich ist. Hoch angereichertes Uran ist für Garching technisch nicht nötig. Es liegen Konzepte auf dem Tisch,
die zeigen, daß der angestrebte Neutronenfluß auch mit niedrig angereichertem Uran machbar ist. Selbst Herr Staatssekretär Neumann hat für die Bundesregierung erklärt, daß sie die technische Machbarkeit einer Lösung mit niedrig angereichertem Uran auch gar nicht abstreitet und nie bestritten hat.
Ich frage mich und Sie, was dann diese Provokation soll.
Garching ist ein Beispiel dafür, daß es hier um einen Konflikt zwischen dem wissenschaftlich-technisch Machbaren und dem gesellschaftlich und politisch Vernünftigen geht.
Eine Forschungspolitik muß sich doch an der politischen Gesamtverantwortung und nicht an den Einzelinteressen, die in irgendwelchen Labors entstehen, orientieren.
Die Entscheidung über Garching ist noch korrigierbar, und zwar jetzt. Denn mit dem Bau wurde noch nicht begonnen, noch sind keine zig Milliarden in den Sand gesetzt. Wenn der Reaktor aber erst steht, gibt es kaum noch Handlungsmöglichkeiten. Hier wird aus Opportunismus gegenüber einer Firma wie Siemens die Möglichkeit zu echter Innovation verspielt.
Es ist unter den Neutronenforschern unbestritten, daß die Zukunft dieser Forschung der Spallation gehört. Es ist unbegreiflich, daß Sie an der veralteten Reaktortechnik festhalten. Die Planungen für den Reaktor stammen vom Anfang der 80er Jahre. Ich weiß nicht: Wollen Sie mit einer 15 Jahre alten Planung an die Spitze der Weltforschung kommen? - Das wird Ihnen sicherlich so nicht gelingen.
Nach den Aussagen des Forschungsministeriums kann eine europäische Spallationsquelle im Jahre 2010 fertiggestellt sein. Für die Übergangszeit stünden in der Bundesrepublik drei Forschungsreaktoren und auch der ILL in Grenoble, der skandalöserweise bisher nur zu 70 Prozent ausgelastet ist, zur Verfügung.
- Natürlich ist das wahr. Ich kann Sie gern mit Informationen überschütten. Wir haben davon Aktenordner voll.
Ich freue mich, wenn Sie sich bilden.
Simone Probst
Um den Handel mit waffenfähigem Uran zu beenden, liefern die USA kein hoch angereichertes Uran mehr an Reaktoren, die auch mit niedrig angereichertem Uran betrieben werden könnten. Die USA werden daher auch nicht an Garching liefern. Deshalb werden von den bayerischen Reaktorplanern Gespräche mit Rußland geführt.
Hier wird ein neuer Markt eröffnet - und das ist etwas sehr Schlimmes -; denn die Folgen eines solchen neuen Marktes sind einfach unabsehbar. Die Verantwortung hierfür liegt bei der deutschen Regierung. Wenn hoch angereichertes Uran demnächst wieder in Tonnenmengen weltweit verschoben wird und in falsche Hände gerät, dann werden auch Sie für das damit verbundene Elend verantwortlich sein.
Gestern sagte Herr Zehetmair im Ausschuß, daß Deutschland keine Bananenrepublik sei, wo waffenfähiges Material einfach wegkomme.
Das zeigt, wie sehr er die Tragweite des Problems verkennt. Hier geht es eben nicht um Bananen, die man eben in Rußland kauft, wenn sie in den USA gerade nicht zu haben sind. Hier geht es um waffenfähiges Spaltmaterial. Durch Garching wird der Handel mit hoch angereichertem Uran, der in den letzten Jahren fast auf Null zurückgegangen war, wieder angekurbelt und das Risiko, das von russischen Beständen ausgeht, vervielfacht.
Laut Atomwaffensperrvertrag ist dies alles völlig legal. Es ist genauso legal wie Chiracs Atomversuche. Aber es ist das falsche politische Signal.
Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, die Bundestagsbeschlüsse von 1993 auch national umzusetzen und sich international für einen Stopp des Handels mit hoch angereichertem Uran einzusetzen.
Wir wollen den Bau des Garchinger Reaktors verhindern.
Das Wort hat jetzt für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Bernd Neumann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Von den Großgeräten wie dem FRM II in München profitieren Forscher aus den Bereichen der Biologie, Physik, Chemie, Materialwissenschaften sowie der Medizin und hier insbesondere bei der
Krebstherapie. Viele industrielle Aufgaben sind auch auf Neutronen angewiesen, zum Beispiel die ChipProduktion. Die Wissenschaft in Deutschland bemüht sich seit Ende der 70er Jahre um eine neue leistungsfähige Neutronenquelle. 1989 schloß sich der Wissenschaftsrat diesen Bemühungen durch eine entsprechende Empfehlung zugunsten des hier diskutieren FRM II an.
Gibt es Alternativen? Das Ergebnis einer Studie des amerikanischen Argonne National Laboratory und der kürzlich mit amerikanischen Wissenschaftlern geführten Gespräche ist, daß ein Reaktor mit dem Fluß des FRM II theoretisch auch mit niedrig angereichertem Uran, sprich LEU, betrieben werden kann. Dies haben wir allerdings nie bestritten. Es wird aber ebenfalls nicht bestritten, daß ein solcher Reaktor mit 65 Prozent höherer thermischer Leistung, sprich Umweltbelastung, und deutlich höheren Bau- und Betriebskosten beträchtliche Nachteile aufweist. Nur der mit hoch angereichertem Uran, also mit HEU, betriebene FRM II ermöglicht einen wesentlichen Fortschritt der Experimentiertechnik und das Aufgreifen neuer Forschungsfelder.
Es kommt hinzu, daß beim FRM II eine deutliche Reduzierung des radioaktiven Abfalls stattfindet. Deshalb verstehe ich die Haltung der Grünen, die besonders umweltfreundlich sein wollen, hier überhaupt nicht.
Der Vorschlag der US-Studie würde zu einem völlig anderen Reaktorentwurf führen mit Mehrkosten in dreistelliger Millionenhöhe. Ein völlig neues Genehmigungsverfahren mit einem Zeitverzug von fünf oder mehr Jahren wäre nötig. Ich finde, verehrte Kollegen von der SPD, daß gerade auch die Wissenschaft einen Schutz genießen muß im Hinblick auf Vertrauen in die Entscheidungen, die die Politik einmal getroffen hat, insbesondere wenn sie technisch und ethisch zu verantworten sind.
Aus Sicht der Bundesregierung ergeben sich deshalb keine technischen Gründe, vom Konzept des FRM II im laufenden Genehmigungsverfahren abzuweichen.
Die nächste Frage ist, ob dies mit den internationalen Verträgen und Empfehlungen vereinbar ist. Die Bundesrepublik erfüllt alle internationalen Verpflichtungen aus dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, aus dem Abkommen mit der IAEO über Sicherungsmaßnahmen in den Nichtkernwaffenstaaten der Europäischen Gemeinschaft und aus dem Euratom-Vertrag. Deshalb sind alle Verdächtigungen üble Unterstellungen. Ich weise sie hiermit zurück, sofern Sie die so gemeint haben, Frau Probst.
Die Bundesregierung nimmt andererseits - das ist auch wichtig - das im Nichtverbreitungsvertrag aus-
Parl. Staatssekretär Bernd Neumann
drücklich verbriefte Recht zur Forschung zu friedlichen Anwendungen der Kernenergie in Anspruch. Danach ist die Nutzung von HEU ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Der Bau des neuen Münchner Forschungsreaktors verletzt also nicht den internationalen Konsens. Die internationalen Bestimmungen lassen dies zu.
- Herr Fischer, Sie reden zu allem; aber von den Problemen des FRM II und von den Neutronen verstehen Sie nun wirklich nichts.
Wie ist die Kritik der USA zu werten? Die derzeitige Haltung der USA geht über die internationalen Empfehlungen und Vereinbarungen hinaus. Sie will hoch angereichertes Uran vollständig aus allen denkbaren zivilen Nutzungen zurückdrängen. Das ist aus Sicht der USA, die in diesem wissenschaftlichen Feld Konkurrenten sind, auch nachvollziehbar. Daß die Nutzung von Reaktoren mit HEU für die USA auch selbst von Bedeutung ist, wird dadurch deutlich, daß in den USA zur Zeit 18 Reaktoren mit HEU betrieben werden und bis vor kurzem ein Reaktor geplant war, der die zehnfache Dimension des FRM II gehabt hätte.
Obwohl die Vereinigten Staaten den FRM II aus den bekannten Gründen ablehnen, haben sie die Politik der Bundesregierung insgesamt positiv gewürdigt. Dies wird in den Thesen deutlich, die vom US-Außenministerium bei den bilateralen Gesprächen am 18. Januar dieses Jahres vorgetragen wurden. Darin heißt es:
Wir erkennen an, daß die Auslegung und der Bau des FRM II allein Deutschlands Entscheidung ist.
Da heißt es weiter:
Auch stellen wir nicht Deutschlands ausgezeichnete Leistungen im Bereich der Nichtverbreitung und seine langjährige Unterstützung des Programms zur Reduzierung des Anreicherungsgrades bei Brennstoff für Forschungs- und Versuchsreaktoren in Frage.
In dem offiziellen Dokument der Vereinigten Staaten heißt es:
Wir möchten nicht in die nationalen Entscheidungen Deutschlands zum FRM-II-Projekt eingreifen.
Meine Damen und Herren, auf dieser Basis wird es auch zukünftig möglich sein, mit den USA in Wissenschaft und Forschung freundschaftlich zu kooperieren.
Lassen Sie mich abschließend feststellen: Der neue Reaktor muß jetzt angegangen werden, nicht in zwei, drei oder gar fünf Jahren. Wahrscheinlich wird der FRM II in München etwa ab 2010 die einzige, in jedem Fall aber die wichtigste deutsche Neutronenquelle sein; denn die anderen werden außer Betrieb gehen.
Wir können es uns nicht erlauben, bei unserer weltweit anerkannten Forschung mit Neutronen zurückzufallen und zweitklassig zu werden. Mit diesem Reaktor kann sich Deutschland in einem für Wissenschaft und Gesellschaft entscheidenden technologischen Bereich eine Spitzenstellung sichern, die für die technologische Wettbewerbsfähigkeit unseres Standorts Deutschland entscheidende Impulse bringen wird.
Ich appelliere deshalb an die Opposition, insbesondere aber an die Sozialdemokraten: Herr Glotz, machen Sie nicht nur Sprüche über mehr Innovationen in Deutschland, sondern unterstützen Sie die Bundesregierung, wenn es um konkrete Projekte geht!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Es spricht jetzt der Abgeordnete Horst Kubatschka.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuerst möchte ich sagen, worum es heute nicht geht. Es geht nicht darum, in Deutschland keine Neutronenforschung zu haben.
Wir sind dafür, daß in Deutschland Neutronenforschung betrieben wird.
Es geht nicht um Fortschrittfeindlichkeit. Der Forschungsreaktor München II soll mit hoch angereichertem Uran betrieben werden, dem sogenannten HEU; als Zuhörer weiß man jetzt also auch, was HEU ist. Dies ist aber keine zukunftsfähige Lösung; denn der Reaktor muß mit waffenfähigem Material betrieben werden. Fortschritt wäre der Einsatz von niedrig angereichertem Uran, dem sogenannten LEU. Wir müssen uns auch überlegen, ob nicht die Spallationsquelle eine Option für die Zukunft wäre.
Es geht auch nicht um Mißtrauen gegenüber uns Deutschen. Um es klarzustellen: Wir wollen uns die „Bombe" nicht aneignen. Wir geben damit aber ein Beispiel, wie andere an waffenfähiges Material herankommen können.
Es geht auch nicht darum, daß wir internationale Verträge nicht einhalten. Diese Verträge beeinflussen wir rechtzeitig.
Es geht auch nicht darum, Neutronentherapie zu verhindern. Man kann dies billiger und besser mit einem Zyklotron machen.
Horst Kubatschka
Es geht auch nicht um Angstmache - obwohl: Man kann schon etwas beunruhigt sein, wenn man aus dem Vorgutachten des TÜV erfährt, daß das eingesetzte Brennelement noch nicht getestet ist.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, heute geht es um den Einsatz von hoch angereichertem Uran, also dem Stoff, aus dem die Bomben sind. In unser aller Interesse muß der Umgang mit HEU so weit wie möglich eingeschränkt werden.
Deswegen gibt es seit 1978 das Programm „Reduzierte Anreicherung bei Forschungs- und Testreaktoren" . Dieses Programm war sehr erfolgreich. Hunderte Millionen DM wurden ausgegeben. Auch die Bundesrepublik hat sich bisher vorbildlich an diesem Programm beteiligt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Sollen diese Millionen DM, sollen die ganzen Anstrengungen der westlichen Welt umsonst gewesen sein? Wenn wir den Forschungsreaktor München II mit HEU betreiben, geben wir ein schlechtes Beispiel. Man würde auf Deutschland verweisen. Der Reaktor wäre ein „Freibrief" für einige Länder.
Unter dem Deckmantel „Forschungsprogramm" könnte HEU versteckt für Atomwaffenprogramme eingesetzt werden. In Rußland gibt es mehrere hundert Tonnen waffenfähiges Material. Wenn Euratom dort einkauft, warum sollen nicht auch andere dort einkaufen? Dies ist jedoch nicht im Weltinteresse. So wird ein ziviler Markt mit neuen Nachfragern und Anbietern entstehen.
Jetzt zum Problem der Ver- und Entsorgung. Zuerst zur Entsorgung. Die Entsorgung ist nicht gesichert. An einem Forschungskonzept für die Forschungsreaktoren wird gearbeitet. Wahrlich, wir haben uns wirklich viel Zeit gelassen.
Bisher heißt es, die Versorgung des Reaktors sei für zehn Jahre gesichert. Die weitere Versorgung liegt aber ziemlich im dunklen. Eines ist klar: Die USA werden HEU nicht liefern. Sie haben auch deutlich gemacht - und das sage ich jetzt ganz vorsichtig -, daß die Verwendung von HEU für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit nicht gerade förderlich ist.
Die Versorgung sollte aus westeuropäischen Quellen erfolgen. Darauf hat Herr Staatssekretär Neumann sehr lange bestanden. Aber anscheinend haben ihn seine Münchner Gesprächspartner nicht vollständig informiert; denn im Dezember 1995 hieß es plötzlich - ich zitiere -:
Nach den mir inzwischen vorliegenden Informationen kann ich heute nicht mehr ausschließen, daß Verhandlungen auch mit Rußland geführt werden.
Und damit es noch etwas verworrener wird: Der Sprecher des russischen Energieministeriums, Kau-row, hat in der Sendung „Kennzeichen D" am
24. Januar 1996 ausgeführt, mit ihnen sei überhaupt nicht gesprochen, geschweige denn verhandelt worden. Fürwahr, die Verwirrung ist groß. Es kann also sein, daß nach zehn Jahren der Brennstoff ausgeht.
Und jetzt zu den Kosten: Es wird ein Milliardenprojekt werden. Zum Beweis dafür kann man die Kostenentwicklung anführen. Gestartet wurde das Projekt mit 325 Millionen DM. Jetzt spricht man von 504 Millionen DM, also wahrlich eine deutliche Steigerung. Wenn man davon ausgeht, daß die Indexfestschreibung nach den Baupreisen erfolgt, wird 1 Milliarde DM im Laufe von sieben Jahren - so lange wird gebaut - sehr wohl erreicht werden.
Um es noch einmal klar zu sagen: Meine Fraktion ist für Neutronenforschung in Deutschland. Wäre es aber nicht vernünftiger, eine preiswertere Lösung zu suchen, die außerdem zu einer beispielhaften europaweiten Kooperation führen würde? Stichwort: ILLHöchstflußreaktor in Grenoble. Übrigens, er hat die doppelte Leistung.
Am 20. September 1994 hat mir der Parlamentarische Staatssekretär Neumann geschrieben, daß sieben Instrumente in Grenoble stillgelegt werden müssen. Ein Meßplatz wurde von den Deutschen gekauft, Kosten: 3 Millionen DM. Sechs Plätze sind noch frei.
Weiter heißt es in dem Schreiben - ich zitiere -:
Theoretisch gibt es am ILL neben den künftig vom ILL und von externen Forschungsgruppen betriebenen Instrumenten weitere Positionen am Reaktor, an denen Instrumente neu eingerichtet werden könnten.
Es stimmt, dafür müßte man investieren, und da müßte man mit unseren Vertragspartnern verhandeln. Warum aber wird das nicht gemacht, wenn das die einfachere und billigere Lösung wäre? Im Interesse der Neutronenforschung in Europa müßte dies erreicht werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte zusammenfassen. Seit 1981 wird an dem Projekt an der Technischen Universität in München gearbeitet. Damals ist der Vertrag zur Abreicherung längst gelaufen. Man hätte das also in München sehr wohl einlenken müssen. Man sollte nicht so tun, als wenn man plötzlich überrascht worden wäre.
Was ist das Ergebnis?
Erstens. Das Verhältnis mit den Vereinigten Staaten ist getrübt.
Zweitens. Wir geben ein Signal für weltweiten HEU-Handel; ein ziviler Markt entsteht.
Drittens. Die Bundesrepublik hat es seit 1988 versäumt, Alternativen ernsthaft auf den Weg zu bringen, und gewisse Auswertungen und Literaturarbeit sind etwas wenig.
Viertens. Wir greifen auf eine technische Lösung zurück, die nicht fortschrittlich genug ist.
Horst Kubatschka
Zum Schluß ein Zitat:
Ein so großes wissenschaftliches Projekt wie der Forschungsreaktor II sollte von einer breiten Mehrheit der politischen Kräfte und von einer ebenso breiten Mehrheit unserer Bevölkerung überzeugend befürwortet werden. Wenn das nicht so ist, erwächst der Wissenschaft daraus kein Segen. Nach unserer Meinung sollte das Projekt also nur realisiert werden, wenn ein breiter Konsens hergestellt wird.
Ich zitiere nicht aus einem Papier der Grünen oder der Sozialdemokraten, sondern dieses Zitat stammt aus einer Informationsschrift der Fakultät für Physik der Technischen Universität München aus dem Jahre 1992 und trägt die Unterschrift des Herrn Professor Gläser.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dieser breite Konsens besteht nicht. Deswegen können wir dieses Reaktorkonzept nicht unterstützen. Wir halten Neutronenforschung für notwendig. Dazu brauchen wir aber ein zukunftsfähiges Konzept.
Ich bitte Sie, dem Antrag der SPD-Fraktion zuzustimmen. Zum Antrag der Grünen möchte ich sagen: Da wir einen eigenen Antrag auf den Weg bringen, werden wir uns bei Ihrem Antrag enthalten. Außerdem ist ein, gelinde gesagt, größerer Fehler darin.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihr Zuhören.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Horst Friedrich.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht zur technologischen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu Beginn des Jahres war alarmierend. Deutschland ist bei durchschnittlichen Forschungen und Entwicklungen Spitze, aber ist im Bereich der Spitzenforschung bestenfalls Durchschnitt. Es ist das zweifelhafte Verdienst von SPD und Grünen, daß wir zwar in den Bereichen Technikfolgenabschätzung, Humanisierung des Arbeitslebens und bei der Friedens- und Konfliktforschung weltweit eine Spitzenstellung eingenommen haben.
Das ist auch gut und zu begrüßen, aber es reicht leider nicht aus, um die Probleme unseres Landes in den Griff zu bekommen.
Der Forschungsreaktor München II ist weltweit ein einzigartiges Werkzeug zur Erlangung von Spitzenergebnissen. Es gibt kein vergleichbares Konzept, das die notwendige hohe Qualität des Neutronenstrahls und damit die Sehschärfe dieses Instrumentes mit den hohen Anforderungen an die Sicherheit für Mensch und Umwelt bei möglichst geringen Kosten in kürzester Zeit gewährleistet.
Der Wissenschaftsrat hat gestern noch festgestellt, daß wir auch in der Materialforschung - für diese Zwecke beispielsweise dient der Forschungsreaktor München II - unsere Spitzenposition leider verloren haben. Neue Materialien werden dringend benötigt, um beispielsweise der Solarenergie zum Durchbruch zu verhelfen. Sie kommen zum Einsatz bei Flugzeugen und Fahrzeugen, reduzieren dort den Energieverbrauch bei gleichzeitiger Steigerung der Sicherheit und helfen uns in der Medizin. Vor allen Dingen sichern sie uns in innovativen Produktionen die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes.
Es herrscht, liebe Kolleginnen und Kollegen, Übereinstimmung, daß der geplante Bau des Reaktors gegen keinerlei Gesetz oder Vereinbarung, weder national noch international, verstößt.
Die F.D.P. ist in ihrer Bündnistreue zu den Amerikanern nicht zu überbieten.
Sie hat den Amerikanern die Stange gehalten, als es nicht um Garching, sondern um Pershings ging.
- Überlegen Sie einmal, welchen Standpunkt Sie da hatten.
Die F.D.P. war und ist einer der wichtigsten Betreiber einer unbefristeten Verlängerung des Nichtverbreitungsvertrages. Unserem Außenminister Klaus Kinkel gebührt hier unser aller Dank.
Man sollte aber nicht vergessen, daß Freundschaft nicht vor Wettbewerb schützt. Wir schicken unsere Sportler ja auch nicht mit Rücksicht auf die Amerikaner mit schlechteren Geräten zur Olympiade in Atlanta.
Man sollte auch nicht vergessen, daß der erste Münchener Reaktor von einer amerikanischen Firma gebaut wurde, während der Auftrag für den zweiten jetzt an eine deutsche Firma geht. Die Amerikaner planten bis vor kurzem eine sechsfach stärkere Neutronenquelle, die ANS, und haben diese nicht wegen besserer Überzeugung, sondern wegen Haushaltsproblemen aufgegeben.
Ebenso aufgegeben haben sie das Programm zur weltweiten Abreicherung von Stoffen aus Forschungsreaktoren. Sie selbst besitzen gegenwärtig noch 18 Reaktoren, die sie mit hoch angereichertem Uran betreiben. Sie planen, von den Russen 500 000 Kilogramm dieses Brennstoffes in den nächsten Jah-
Horst Friedrich
ren zu kaufen. Für München II benötigen wir 40 Kilogramm pro Jahr.
Die in Deutschland existierenden Forschungsreaktoren sind größtenteils schon umgestellt oder sie werden demnächst abgeschaltet. Um die Forschung mit Neutronen in Deutschland zu sichern und unseren Wissenschaftlern die Möglichkeit zu geben, sich für die wenigen zur Verfügung stehenden Meßzeiten an internationalen Neutronenquellen zu qualifzieren, brauchen wir München II in der geplanten Form.
Kein Land der Welt zweifelt an der Ernsthaftigkeit der deutschen Nichtverbreitungspolitik. Kein Land hat strengere Kontrollen und mehr Transparenz im Umgang mit hoch angereichertem Material. Die F.D.P. unterstützt deshalb den geplanten Bau des Forschungsreaktors München II und stützt sich dabei auf das einhellige Votum des Wissenschaftsrates und internationaler Neutronenforscher.
Dem Entschließungsantrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, lieber Kollege Schmidt, kann deshalb nur im ersten Punkt zugestimmt werden. Der Rest entbehrt einer sachlichen Grundlage und wirft den Forschungsstandort Deutschland im internationalen Wettbewerb ins Mittelmaß, um nicht zu sagen: ins Mittelalter zurück.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rolf Köhne.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Friedrich, ich finde es eher beruhigend, wenn wir in Technikfolgenabschätzung, Humanisierung der Arbeitswelt und Friedensforschung weltweit führend sind. Leider spürt man in der Politik nichts davon; denn sonst würde die Entscheidung zu Garching sicherlich anders aussehen. Hier geht es um hoch angereichertes Uran, um waffenfähiges Material, aus dem man Bomben bauen kann.
Seit über 15 Jahren bemüht sich deshalb die internationale Gemeinschaft, hoch angereichertes Uran - hier immer harmlos klingend mit der Abkürzung HEU benannt - aus dem Forschungsbereich zurückzudrängen, so zuletzt auf der Konferenz zum Nichtverbreitungsvertrag im Mai letzten Jahres.
Auch der 12. Deutsche Bundestag - die Kollegin Probst hat das schon zitiert - hat dazu beschlossen - ich möchte es ebenfalls zitieren -:
Die Kernanlagenbetreiber sollten angehalten werden, soweit technisch möglich, auf den Gebrauch von hoch angereichertem Uran in Forschungsreaktoren zu verzichten.
Es ist deshalb reines Prestigedenken, daß die TU München trotzdem beabsichtigt, ihren neuen Forschungsreaktor FRM II mit waffenfähigem Uran zu
betreiben. Schließlich gibt es Alternativen; sie sind hier aufgezeigt worden: der Betrieb mit niedrig angereichertem Uran, der Bau einer Spallationsneutronenquelle und die Beteiligung am nur zu 70 Prozent ausgelasteten Forschungsreaktor in Grenoble.
Es ist deshalb auch eine Provokation, wenn die Bundesregierung den bereits zitierten Beschluß des Deutschen Bundestags mißachtet. Zehn Jahre nach Tschernobyl soll wieder ein neuer Reaktor gebaut werden. Auch darum geht es hier. Das ist technisch und ethisch nicht verantwortbar.
Auch wenn es internationalen Vereinbarungen nicht widerspricht, muß man nicht alles tun, was erlaubt ist. Wir unterstützen deshalb den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen.
Das Wort hat jetzt für den Bundesrat der stellvertretende Ministerpräsident und Staatsminister für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst des Landes Bayern, Herr Hans Zehetmair.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau PMsidentin! Hohes Haus! Ich hatte heute schon ein wenig Gelegenheit, der Debatte zuzuhören. Fast bei jedem Tagesordnungspunkt ist die Betroffenheit über die Entwicklung des Arbeitsmarktes und des Wirtschaftstandortes Deutschland unüberhörbar. Wir reden heute über eine der wichtigsten Entscheidungen, nämlich darüber, ob Deutschland etwas zur Hochtechnologie beitragen will oder nicht.
Alles das, was hinsichtlich der Alternativen gesagt wird, verehrte Kollegen aus der SPD, wird Sie aus der Verantwortung nicht entlassen, daß Sie ein Scheingefecht betreiben; denn es gibt derzeit keine Alternative von vergleichbarer Qualität, wie wir sie bei HEU haben.
- Das ist nicht meine Aufgabe. Ich muß ganz deutlich sagen:
Wir sind - Sie übrigens auch - in dem Bereich politisch verantwortlich, aber nicht fachlich zuständig.
Wir haben die Aufgabe, uns höchster wissenschaftlicher Kompetenz zu bedienen.
Dies ist geschehen. Seit den 80er Jahren haben wir den Wissenschaftsrat mit allen Einzelfragen befaßt. Immer wieder haben wir nachgerüstet und haben einzelne noch vorhandene Desiderate einbringen müssen.
Staatsminister Hans Zehetmair
Der Wissenschaftsrat hat in zwei Befassungen, in 1981 und in 1994, in einer unglaublichen Intensität und am Ende mit Einstimmigkeit in der wissenschaftlichen Kommission die Notwendigkeit und Unausweichlichkeit des Baues des Forschungsreaktors II mit hoch angereichertem Uran bestätigt, weil nur dann die nationale Neutronenlücke geschlossen werden könne; und - so der Wissenschaftsrat - sie müsse möglichst bald geschlossen werden, um den Anschluß nicht zu verlieren.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Catenhusen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird sie auf meine Zeit angerechnet?
Nein, die Uhr stoppe ich.
Herr Staatsminister Zehetmair, können Sie bestätigen, daß im Wissenschaftsrat weder 1989 noch 1995 ein ausgearbeitetes Reaktorkonzept vorlag, das auf der Verwendung von niedrig angereichertem Uran aufbaute? Können Sie also bestätigen, daß die Alternative zwischen der Verwendung von hoch oder niedrig angereichertem Uran für den Wissenschaftsrat gar nicht konkret bestand?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ich kann bestätigen, daß die Fachkommission erklärt hat, daß nach dem heutigen Kenntnisstand weder LEU noch die Spallationsquelle entscheidungsreif sei, weil die erstere nicht die vergleichbare Leistung bringe und weil die Spallationsquelle frühestens in 2010 - so lautet auch die Vision der Sprecherin der Grünen - verwirklicht werden könne und derzeit mindestens doppelte Kosten verursache.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, man muß sich vor Augen führen, was dieser Forschungsreaktor für Zielsetzungen hat. Ich bin als der zuständige Wissenschaftsminister in Bayern erschrocken darüber, wie mit hochrangigen Wissenschaftlern der Technischen Universität München, die sich das ja nicht allein aus den Fingern saugen, sondern internationalen Kontakt haben, in der Bewertung von Leuten umgegangen wird, denen ich eine vergleichbare Qualität absprechen muß.
Das würde ich auch für mich gelten lassen, meine Damen und Herren. Nur, politische Aufgabe ist es, daß man sich die Dimension der Entscheidung vor Augen führt. Die Deutschen sind daran gewöhnt, in ihrer Risikoabschätzung nur eine Seite zu sehen. Bestimmte Seiten, vor allem die linken Seiten, pflegen und zelebrieren das auch. Sie warnen nämlich immer nur davor, daß etwas geschehen würde. Sie machen aber nicht deutlich, welche Risiken wir auf
uns nehmen, wenn wir eine Entscheidung nicht treffen und uns zu etwas nicht bekennen.
Das Innovationskapital des FRM II ist in einem so weit gespannten Spektrum, wie Sie es vergleichbar in der Technologie nirgends finden: von der Festkörperphysik über die Materialforschung, die Chemie, die Biologie, die Mikroelektronik zur Umweltforschung und nicht zuletzt auch zur Medizin.
Wir wollen Weiterentwicklung, wir wollen Zukunftsbereiche schaffen. Ich sage das ganz deutlich. Denn - das hat der Kollege Friedrich angesprochen - es stimmt, daß der Wissenschaftsrat erst wieder vor kurzem festgestellt hat: Deutschland ist in der Materialforschung, insbesondere bei der Entwicklung neuer hochwertiger Materialien, im internationalen Vergleich bedenklich zurückgefallen.
Da empfehlen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition - ich will Herrn Kubatschka ansprechen -, wir sollten das doch in Grenoble machen. Das erzählen wir in den bayerischen Landen dann, weil die Arbeitsplätze, die wir so dringend bräuchten, schon bei uns bleiben sollten.
Herr Staatsminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kubatschka?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, bitte.
Herr Staatsminister, können Sie dem Hohen Haus bitte mitteilen, wieviel Arbeitsplätze nach Fertigstellung des Reaktors in München zusätzlich entstanden sein werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
1957, Herr Kollege, wurde der Forschungsreaktor I - in der Fachsprache Atomei genannt - in Garching in Betrieb genommen, eine Entscheidung des SPD- Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner, des Atomministers Franz Josef Strauß
- ja, Sie sollten frühere Zeiten durchaus loben und sich gelegentlich daran erinnern -
und von Maier-Leibnitz, dem höchstrangigen zuständigen Wissenschaftler. Garching war ein Dorf von 1 500 Einwohnern.
- Oh, lieber Gott, wir könnten jetzt Geschichte betreiben. Ich will jetzt nicht darauf eingehen.
Garching ist heute eine Stadt. Während der großstädtische Bürgermeister von München, ideologisch
Staatsminister Hans Zehetmair
wie Sie, seine Bedenken bringt, ist die SPD mit ihrem Bürgermeister, Herrn Karl, geschlossen für die Fortsetzung der Forschung mit dem Reaktor II.
Die Menschen, die dort leben, wissen, daß all das mit den Strahlungen Sprüche sind und daß sie dort in Wirklichkeit völlig sicher aufgehoben sind.
- Nein, dann würden Sie zu kurz schließen. Ich beantworte die Frage insofern sehr genau, als ich Ihnen sagen kann, daß das Institut für Plasmaphysik in Garching heute, ohne daß ich andere zurücksetzen will, der Nukleus im Bereich der Max-PlanckForschungen ist. Dort ist ein neuer Campus der Technischen Universität München entstanden.
- Dann machen Sie es sich zu einfach. Wenn dort Tausende von Arbeitsplätzen für Wissenschaftler in der Grundlagenforschung, in anwendungsorientierter Forschung und in produktorientierter Forschung entstanden sind, dann nennen Sie mir einen zweiten Platz, der so deutlich erklärbar macht, warum München-Land das höchste Bruttosozialprodukt aller Regionen Deutschlands hat. Das hat schon seine Gründe, meine Damen und Herren.
Ich muß auf die Zeit achten und daher im Stakkato - -
- Es gibt welche, die wenig wissen, aber alles besser wissen. Zu denen möchte ich nicht gehören.
Ich möchte Ihnen ganz deutlich sagen: Wenn dieser Nukleus nicht auf der Höhe der Zeit mit zukunftsweisenden Entwicklungsmöglichkeiten entsteht, dann wird sich Deutschland aus der Neutronenforschung verabschieden. Der Hinweis auf ILL in Grenoble sticht erstens nicht, weil dort die Kapazitäten gar nicht vorhanden wären, zweitens nicht, weil wir national eine entsprechende Einrichtung brauchen, und drittens nicht, weil Herr Scherm, der Chef des Instituts in Grenoble, auch jüngst wieder deutlich dargelegt hat, daß Materialforschungen und Medizinforschungen von den Voraussetzungen her in Grenoble gar nicht betrieben werden könnten.
Meine Damen und Herren, wir als Bayerische Staatsregierung beantragen nur die nach dem heutigen Kenntnisstand beste Lösung. Wir könnten uns nie dazu verstehen, die zweitbeste zu beantragen. Das hat nichts mit Prestige zu tun. Wir haben 40jährige Erfahrungen mit dem Forschungsreaktor I, der ohne Störfall mit HEU gefahren wurde und wird.
Alles, was international gesagt wurde, muß man uns nicht sagen. Es treibt mir fast die Tränen in die
Augen, wenn ich mir vorstelle, daß sich gerade die Seite, deren Feindbild stets die USA waren, jetzt plötzlich zu deren Hüter aufspielt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen bitten, uns wie bisher in Geschlossenheit konsequent zu unterstützen. Deutschland braucht endlich wieder ein Signal in der Hochtechnologie. Wir wollen es gemeinsam setzen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält zunächst der Abgeordnete Schmidt, Hitzhofen.
Sehr geehrter Herr Staatsminister, je mehr Nebelkerzen Sie werfen, desto weniger wird klar, worum es an dieser Stelle eigentlich geht. Wenn Sie und vorher auch der Kollege Friedrich den geradezu abstrusen Eindruck zu erwecken versuchten, an der Frage FRM II oder nicht entscheide sich quasi die Zukunft des Technologie- und Forschungsstandortes Deutschland, es drohe - so ist es ja wörtlich gesagt worden - der Rückfall ins Mittelalter und die Arbeitsplätze in Bayern hingen von dieser Einrichtung ab, so kann man nur sagen: Das ist am eigentlichen Thema voll vorbei. Das glaubt Ihnen kein Mensch.
Herr Kollege Friedrich, Sie haben ausgerechnet die SPD und die Grünen rückblickend dafür verantwortlich gemacht. Das ist eine maßlose Überschätzung dessen, was die Opposition in den letzten zwölf Jahren in diesem Lande leisten konnte. Wer hat denn hier regiert und Forschungs- und Technologiepolitik in den letzten zwölf Jahren betrieben? Das waren doch nicht wir.
Es ist deshalb sehr abstrus, hier zu lamentieren, daß zukunftsfähige Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, wo gleichzeitig der letzte Großhersteller von Photovoltaik, nämlich die Firma ASE, die Produktion ins Ausland, in die USA, verlagert. Das wären zukunftsfähige Technologiearbeitsplätze und Massenfertigungsarbeitsplätze, die wir brauchen.
Aber worum geht es im Kern? Nicht um eine nationale Neutronenlücke. Sehr geehrter Herr Staatsminister, das ist eine gräßliche Wortschöpfung. Eine nationale Neutronenlücke existiert vielleicht in Ihrem Kopf, aber nicht in diesem Land.
Albert Schmidt
Es geht um etwas anderes. Mit diesem Projekt, mit der Versorgung mit hoch angereichertem Uran wird in Kauf genommen, daß ein ziviler Markt für atomwaffenfähiges Uran entsteht. Wer das in Kauf nimmt, öffnet Tür und Tor für etwas, was niemand verantworten kann. Mit welchem Recht wollen Sie andere Länder kritisieren, die mit dieser Produktion und diesem Handel andere Interessen verbinden? Das hätten Sie hier erklären sollen. Diese Antwort aber sind Sie schuldig geblieben.
Zur Kurzintervention der Abgeordnete Kubatschka.
Sehr geehrter Herr Staatsminister, es wundert mich, daß Sie wissen, daß mein Weltbild, wie Sie hier unterstellt haben, antiamerikanisch ist. Das möchte ich entschieden zurückweisen. Sie können doch nicht aus einer Frage zur Hochtechnologie - das ist es; dazu stehen wir auch -
einen Gegensatz zwischen den USA und uns schaffen. Sie sind mit Ihrem Handeln dabei, dieses Verhältnis zu trüben. Das ist deutlich gesagt worden.
Die Vereinigten Staaten wenden erhebliche Mittel auf, um HEU zu kaufen. Sie wenden erhebliche Mittel auf, um niedrig angereichertes Material zu kaufen, Hunderte Millionen DM. Zur Zeit wird in Rußland darüber verhandelt. Aus diesen Gründen reagieren die Amerikaner so empfindlich. Das ist der entscheidende Punkt. Wir brauchen von Ihnen keinerlei Belehrung darüber, was das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten betrifft.
Noch einmal ein Hinweis: Das IPP ist eine Großforschungseinrichtung des Bundes, die hauptsächlich vom Bund finanziert wird. Das können Sie wirklich nicht in Verbindung mit der Neutronenforschung bringen. Bitte, bleiben Sie bei einem Problemkreis und vermischen Sie nicht verschiedene Problemkreise.
Ebenfalls zu einer Kurzintervention der Abgeordnete Catenhusen.
Ich möchte mich auf zwei Bemerkungen beschränken, Herr Staatsminister. Die erste Bemerkung: Ich bin kein Bayer, bin aber oft in Garching gewesen und weiß, wie viele Forschungseinrichtungen es in Garching gibt, vorzügliche Forschungseinrichtungen, die aber mit Ihrem Atomei nichts zu tun haben.
Die Legende, die Verwandlung von Garching von einem Dorf in eine Stadt hänge ausschließlich vom Atomei ab, ist etwas grob gestrickt.
Ich füge ein Zweites hinzu, damit wir in der Diskussion keine falschen Fronten haben: Neutronenforschung ist wichtig. Wir brauchen auch in Zukunft leistungsfähige Neutronenquellen.
Wir werfen Ihnen, aber noch mehr als Ihnen der Bundesregierung vor, daß Sie, obwohl seit Anfang der 80er Jahre die Möglichkeit bestanden hätte, von vornherein aus Gründen der Nichtverbreitungspolitik den Reaktorbauern die Verwendung von niedrig angereichertem Uran vorzugeben, unbeirrt an dem alten Reaktorkonzept der 50er Jahre festgehalten haben. Wenn Sie jetzt über Verzögerung sprechen, dann ist schuld daran Ihre Weigerung, alternative Reaktorkonzepte ernsthaft zu prüfen. Das ist ausschließlich Ihr Problem.
Dabei ergibt sich für uns vor allem folgendes - das ist mein letzter Satz -: 1984 hat die Bundesregierung auf eine Große Anfrage der SPD-Fraktion festgestellt, daß in Deutschland künftig auf den Einsatz von hoch angereichertem Uran bei neuen Forschungsreaktoren verzichtet werden solle. Es ist offenkundig, daß diese Linie, die Herr Genscher aus der sozialliberalen Zeit bis Ende der 80er Jahre fortgesetzt hat, von dieser Bundesregierung verlassen worden ist.
Ich erteile jetzt noch zu einer Kurzintervention der Abgeordneten Bulling-Schröter das Wort, dann dem Minister zur Erwiderung, sage aber, daß ich weitere Kurzinterventionen nicht mehr zulassen möchte. Ansonsten gibt es hier eine weitere Debattenrunde.
Bitte.
Herr Minister Zehetmair, Sie haben von der nationalen Neutronenlücke in Beziehung zum Technologiestandort gesprochen. Es wird immer über Wettbewerbsfähigkeit, Standort Deutschland usw. diskutiert. Wir in Bayern kennen diese Sprüche. Das letzte Mal war das besonders bei der Diskussion um Wackersdorf interessant. Da wurde uns das nämlich auch erzählt. Wackersdorf wurde nicht gebaut. Sie kennen das vor Ort. Wir kennen es alle. Also bis jetzt ist Wackersdorf und auch die Umgebung nicht ins Mittelalter zurückgefallen, um das einmal klarzustellen.
Dann noch ein Zweites. Wenn man einmal in der Geschichte Bayerns etwas zurückgeht, dann stößt man dort auf Franz Josef Strauß.
Dieser hat vor langer, langer Zeit versucht, waffenfähiges Plutonium nach Bayern zu holen, etwa durch
eine WAA. Es könnte doch auch sein, daß diese Bay-
Eva Bulling-Schröter
erische Staatsregierung das wieder versucht, aber auf einem anderen Weg.
Herr Minister, möchten Sie das Wort zur Erwiderung? - Bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Hohes Haus! Ich will nicht auf jeden Punkt eingehen. Nur das, was jetzt am Schluß kam, will ich in aller Deutlichkeit zurückweisen.
Der Freistaat Bayern braucht sich von keinem anderen hinsichtlich seiner Bündnistreue, seiner Freiheitsliebe, Liberalität und seines Demokratieverständnisses belehren zu lassen.
In einem unterscheiden wir uns von einigen Ländern, aus denen manche stammen mögen: Bayern stand nach dem Krieg an letzter Stelle aller Länder der alten Republik.
- Vielleicht war das mit ein Grund. Aber das will ich jetzt nicht vertiefen. Wir mußten uns selber darauf einrichten, daß wir am Anfang nicht allzuviel Unterstützung bekämen. Wir bekommen sie heute aber von dieser Hälfte - das ist Gott sei Dank die größere - des Hohen Hauses.
Ich will Ihnen deutlich sagen: Wenn wir heute mit allen Wirtschafts- und Finanzfaktoren fast ausnahmslos an der ersten Stelle der alten Länder und damit aller Länder stehen, dann war bei dieser Entwicklung das Atomei - da können Sie, Herr Kollege Catenhusen, noch so dagegen sprechen, als würde das nicht zusammenhängen - ein Leuchtturm der Technologieentwicklung in Bayern.
- Gut, das mag Sie stören. Nur, ich bin stolz darauf. Es ist ein Stück unserer Politik.
Wenn wir heute in der High-Tech-Entwicklung an fünfter Stelle in Europa stehen, dann hat das seine Gründe. Wir werden auch weiter den Weg gehen. Wir werden uns in der Bündnistreue von niemandem überbieten lassen. Aber wir werden immer zeigen, daß wir auch selbständig sind, daß es Konkurrenz geben kann, auch in der Wissenschaft. Das ist unsere Politik. Wir wollen keine Gleichschaltung, wir wollen Konkurrenz und Freundschaft.
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/3623. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD und bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3631. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt worden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir aus gegebenem Anlaß noch eine persönliche Bemerkung. Ich sitze keinmal hier oben, ohne daß jemand auf den Treppen stolpert, wenn er zu den Abstimmungen hereinkommt. Ich bitte Sie: Passen Sie wirklich ein bißchen auf Ihre Knöchel auf. Ich wundere mich manchmal, daß sich so wenige verletzen. Aber sehr häufig stolpert hier jemand.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim, Anke Fuchs , Horst Sielaff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Auswirkungen und Zukunft der Garantiemengenregelung
Milch in Deutschland - Drucksachen 13/433, 13/1684 -
Dazu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Gerald Thalheim. Ich gebe ihm aber erst das Wort, wenn hier Ruhe eingetreten ist. - Ich glaube, jetzt können wir anfangen. Bitte.
Besten Dank, Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die deutsche Agrarpolitik beruht seit Jahren auf der Annahme, daß Planwirtschaft im Westen besser funktioniert als im Osten. Angesichts der aktuellen Entwicklung erweist sich dieser Ansatz immer mehr als Fiktion. Die Milchgarantiemengenregelung ist dafür ein beredtes Beispiel.
Die Milchquote wurde 1984 mit dem Ziel eingeführt, die Milchmengen zu begrenzen und damit hohe Erzeugerpreise zu erzielen. Heute können wir einschätzen: Weder das eine noch das andere Ziel wurde erreicht. Viel Geld wurde zwischenzeitlich für die Mengenbegrenzung ausgegeben. Fest steht: Heute beträgt die Eigenversorgung innerhalb der Europäischen Union 108 Prozent. Ziel nicht erreicht.
Dr. Gerald Thalheim
Zweites Ziel: Die Einkommenssicherung. Diese wurde nur kurzzeitig erreicht. Auch hier müssen wir heute einschätzen: Seit Jahren sind die Milchpreise im Sinkflug. Es steht nicht fest, wann hier eine weiche Landung erreicht wird.
Wenn Bundesminister Borchert einschätzt, daß im Hinblick auf die landwirtschaftlichen Einkommen „unser Ziel eindeutig nicht voll erreicht ist", so hat das viel mit den Milchpreisen zu tun. Mit Verlaub, Herr Minister: Ungeschickter kann man das Scheitern der eigenen Politik wohl kaum beschreiben.
Doch zurück zu den Milchpreisen. Die Milchpreisentwicklung läßt sich nicht losgelöst von der Quotenproblematik diskutieren. Für die Milchquote gilt, was auch für andere planwirtschaftliche Instrumente gilt: Am Anfang denkt man, es funktioniert, und hinterher ist alles noch viel schlimmer als vorher.
33 Änderungsverordnungen bis heute können als Beleg für diese These gelten. Die 33 Änderungsverordnungen zur Grundverordnung in ihrer deutschen Ausprägung haben nicht etwa die Milchquotenregelung besser gemacht, nein, sie haben sie ständig komplizierter gemacht.
Mit planwirtschaftlichen Mitteln lassen sich komplizierte Marktabläufe eben nicht regeln. Der bisherige planwirtschaftliche Ansatz ist gescheitert. Es drängen sich unwillkürlich Parallelen zur DDR auf. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob - wie in der ehemaligen DDR - die Nachfrageseite planwirtschaftlich geregelt wird oder ob - wie bei der Milchquote - die Angebotsseite geregelt wird. Die Folgen sind ähnlich. Im Osten hat die Planwirtschaft den Staat ruiniert, im Westen droht sie die Bauern zu ruinieren.
Wie anders soll man zum Beispiel die Auswirkungen der Milchquotenregelung auf die sogenannten Altpachtfälle interpretieren? Sie stellt für die Betroffenen eine schwere Last dar. Sie ist kaum mit dem gesunden Menschenverstand zu begreifen noch mit dem Gerechtigkeitsempfinden vereinbar.
Unseren Kollegen Heinrich hat das in der Debatte des Ausschusses zu der Meinung veranlaßt, für eine Änderung müßten wir sogar die Verfassung ändern; zumindest war das die Meinung in nichtöffentlicher Ausschußsitzung.
Wir werden wegen der Milchquotenregelung nicht die Verfassung ändern können. Aber was wir ändern müssen, ist die Milchquotenregelung in einigen wichtigen Teilen.
Aus der Milchquotenregelung müssen zumindest die Elemente entfernt werden, die leistungsfeindlich sind und die aktiven Milcherzeuger benachteiligen, wenn es schon nicht gelingt, die Regelung insgesamt abzuschaffen.
Wir müssen vor allem darüber nachdenken: Wie können kurzfristig zumindest die Lasten für die jungen und aufstockungswilligen Landwirte abgemildert werden? Wie können wir verhindern, daß ab 1998 die unsinnige Flächenbindung der Quote auch in den neuen Ländern eingeführt wird? Wie finden wir vernünftige Regelungen nach dem Auslaufen der bisherigen Quote im Jahre 2000 für die alten, aber auch für die neuen Länder? Auch zu einem Zeitpunkt nach 2000 wäre die Übertragung der Flächenbindung in die neuen Länder verhängnisvoll.
Was nach dem Jahr 2000 kommt, ist die eine Seite. Es gibt aber bereits aktuelle Aufgaben: Kurzfristig ist es erforderlich, das Leasing auf den Milchquotenübergang zwischen aktiven Milcherzeugern zu beschränken. Von einer solchen Entscheidung würde ein deutliches Signal an den Quotenmarkt ausgehen. Die Milcherzeuger haben nicht das geringste Verständnis für die bisherige Weigerung der Bundesregierung, diese Forderung umzusetzen.
Während Minister Borchert bisher überhaupt das Problem leugnet und seine Politik damit zum Teil desselben wird, die Kommission ständig neue Vorschläge bringt, hat die SPD-Bundestagsfraktion frühzeitig die Notwendigkeit des Handelns erkannt. Mit unserer Großen Anfrage haben wir die Debatte im Parlament eröffnet. Kollege Bredehorn, das werden Sie ja wohl nicht leugnen können.
Die Milcherzeuger brauchen dringend Sicherheit für ihre Investitionsentscheidungen. Sie müssen wissen, wie es in ihren Unternehmen weitergeht. Wolkenreiche Erklärungen aus Ihrem Haus, Herr Minister Borchert, reichen leider nicht aus.
Noch einmal zurück zur Planwirtschaft. Die planwirtschaftlichen Regelungen, zu denen sicher unbestritten die Milchquotenregelung gehört, haben einen weiteren entscheidenden Nachteil: Die Abschaffung ist wesentlich schwieriger als die Einführung.
Auch das zeigt sich ganz deutlich bei der Milchquote. Zwischenzeitlich gibt es hier eine gewachsene Rechtsprechung bis hin zum Bundesverwaltungsgericht. Bei aller Kritik an diesen Regelungen: Wenn es um die Entscheidung geht, wie es nach dem Jahr 2000 weitergehen soll, muß das berücksichtigt werden.
Wir dürfen aber nicht die Gefangenen der damaligen Entscheidung werden. Auch wenn es schwierig ist, politisch neue Wege aufzuzeigen, müssen wir uns dieser Aufgabe unterziehen.
Wir halten es für notwendig, daß die Landwirte einen größeren Handlungsspielraum erhalten. Deshalb fordert die SPD-Bundestagsfraktion, daß künftige Milchmarktpolitik auf folgende Ziele ausgerichtet wird: erstens auf die Stärkung der aktiven Milcherzeuger, zweitens auf die Stabilisierung der Erzeugereinkommen am Markt, drittens auf die Sicherung einer flächendeckenden Landbewirtschaftung durch Erhaltung der Milcherzeugung auf Grün-
Dr. Gerald Thalheim
Landstandorten und in den benachteiligten Gebieten und viertens auf die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Milchwirtschaft auf den Ebenen der Erzeugung, der Verarbeitung und der Vermarktung. Auch auf diesem Gebiet, so denke ich, gibt es erheblichen Nachholbedarf.
Wichtigstes Ziel dabei muß sein, daß die aktiven Milcherzeuger begünstigt und gleichzeitig insbesondere junge Landwirte in die Lage versetzt werden, die Milcherzeugung aufzunehmen und auszubauen.
Wir wissen, daß unsere Landwirte längst in eine sehr intensive Diskussion darüber eingetreten sind, die sich auch umfangreich in der Fachpresse niederschlägt. Davon, daß selbst die Verbände manchmal Mühe haben, die Diskussionen einzufangen, konnte ich mich zusammen mit den Kollegen Michels, Heinrich und Frau Höfken schon vor anderthalb Jahren in Münster überzeugen. Es ist daher längst überfällig, daß auch hier im Parlament über Konzepte für Nachfolgeregelungen nach dem Jahr 2000 debattiert wird.
Wir fordern mit unserem Antrag die Bundesregierung auf, spätestens im Herbst ihre Vorstellungen über die künftige Milchmarktpolitik nach dem Jahr 2000 vorzulegen.
In diese Diskussionsgrundlage sollte die Diskussion bei den Milchbauern und auf der EU-Ebene einbezogen werden. Erstens gehört dazu die Umstellung der Quote auf ein reines Bewirtschaftermodell, bei dem die Quote bei Nichtnutzung verfällt, zweitens die Einführung des sogenannten Zuckermarktmodells mit A-, B- und C-Quoten, drittens die Einführung des Getreidemarktmodells, also die Absenkung der Stützpreise bei gleichzeitiger Zahlung von Kuh- und Futterflächenprämien als Einkommensausgleich, viertens die ersatzlose Streichung der Quotenregelung.
Wir alle wissen, daß die einzelnen Regelungen Vor- und Nachteile haben. Ich denke aber, das Problem ist so kompliziert, daß es Zeit wird, daß von seiten des Bundeslandwirtschaftsministeriums Papiere als Grundlage für die Diskussion auf den Tisch gelegt werden.
Herr Minister Borchert, wir fordern Sie auf, endlich Ihre Hausaufgaben zu machen. Es reicht nicht aus, wenn Sie ausführen, daß Sie - ich zitiere - „für alle ergänzenden Überlegungen zur Weiterentwicklung der Quotenregelung aufgeschlossen" sind, wie auf der DLG-Tagung am 18. Januar 1996 ausgeführt. Ich denke, es reicht nicht aus, aufgeschlossen zu sein. Wir und auch die Bauern in Deutschland erwarten von Ihnen endlich Vorschläge.
Daß Sie die Diskussion um die Quoten verfolgen, ist, denke ich, eine Selbstverständlichkeit, die nicht besonders erwähnt werden muß. Ihre jüngst vorgestellte „Strategie des mittleren Weges" - man beachte die Wortschöpfung: Strategie des mittleren
Weges! - erreicht bisher das Klassenziel nicht, es ist der Weg des Mittelmaßes.
Unsere Bauern brauchen endlich Klarheit. Daher fordern wir Sie auf, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen. In dem Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion - das muß ich leider hier so einschätzen - wird teilweise das Problem geleugnet und werden kaum Vorschläge gemacht, wie es anzugehen ist.
Deshalb noch einmal die Aufforderung, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen.
Besten Dank.
Kollege Peter Bleser, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Thalheim, ich schätze Sie sehr als Kollegen, aber wenn ich Ihre Rede hier bewerten soll, dann muß ich zunächst einmal feststellen:
Fragestellung gut, Zielsetzung auch teilweise akzeptabel, aber Vorschläge! Wo blieben die Vorschläge, die unsere jungen Bauern in die Lage versetzen, zu bewerten, wer von welcher Seite dieses Hauses konkrete Dinge anpacken will, wie sie sich in ihren Betrieben verhalten sollen und vor allen Dingen, was junge Familien ganz besonders interessiert, ob sie die Entscheidung, den Betrieb des Vaters oder der Mutter zu übernehmen, überhaupt treffen können oder nicht?
Also, Problembeschreibung par excellence, aber keine konkreten Vorschläge, die wir an Ihrer Partei dann festmachen können.
- Sie werden mit Sicherheit nicht enttäuscht werden, Herr Sielaff.
Meine Damen und Herren, der Anteil der Milchproduktion an der gesamten landwirtschaftlichen Produktion Deutschlands beträgt 26,5 %.
Damit wird deutlich, welche Auswirkungen die Milchproduktion auf die Einkommen der deutschen Landwirte hat. Immerhin leben gut 270 000 Familien zumindest teilweise noch von der Milchproduktion.
Die CDU/CSU-Fraktion ist sich deshalb auch ihrer Verantwortung bei der weiteren Gestaltung der europäischen Milchmarktordnung und der nationalen Anwendung der Milchmengengarantieregelung bewußt.
Unser Ziel ist es erstens, den deutschen Landwirten zu ermöglichen, unserer Bevölkerung auch in Zukunft aus heimischer Produktion hochwertige
Peter Bleser
Milch und Milchprodukte anzubieten, zweitens, den bäuerlichen Familien, die in der Milchwirtschaft tätig sind, die Chance zu erhalten und zu eröffnen, ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften,
drittens, mit dem Verbleib der Milchproduktion in Hochgebirgs-, Mittelgebirgslagen und Talauen ökologisch wertvolles Grünland zu erhalten, und viertens, Beschäftigung und damit Arbeitsplätze in strukturschwachen Regionen auch über die Landwirtschaft hinaus zu sichern.
Meine Damen und Herren, unter diesen Vorgaben hat sich die Einführung der Milchquote am 1. April 1984 klar bewährt. Daran können auch von der EU- Kommission systemwidrig vorgenommene Eingriffe, die zur Verschlechterung der Milchpreise geführt haben, grundsätzlich nichts ändern. Allerdings ist hier die Grenze des Zumutbaren bereits deutlich überschritten. Das sollten wir auch in Richtung Brüssel immer wieder sagen. Die Alternative wäre damals gewesen: steigende Butterberge, größere Milchseen, Magermilchpulverhalden und vor allen Dingen nicht mehr finanzierbare Marktordnungsausgaben.
Der Preis wäre, wenn die Quote nicht gekommen wäre, auf Weltmarktniveau, etwa 35 bis 40 Pfennig, gefallen. Das liegt bekanntlich weit unter einer Kostendeckung. Dies hätte zu einer weitgehenden Abwanderung der Milchproduktion aus Deutschland geführt. Dessen sollten wir uns alle bewußt sein.
Wir teilen deshalb die von der SPD in ihrer Anfrage vorgenommenen Bewertungen, wie: Erwartungen an die Milchquote nicht erfüllt - Herr Thalheim hat es gerade noch einmal gesagt -, strukturkonservierende Wirkung, Wettbewerbsstellung heimischer Betriebe innerhalb der EU verringert, überhaupt nicht. Ich könnte entsprechende Zahlen, wie dieser Strukturwandel vonstatten gegangen ist, vorlegen. Ich glaube, der Kollege Deß macht das noch. Im übrigen - das habe ich schon gesagt - vermisse ich konkrete Vorschläge von Ihnen, wie man es anders machen könnte.
Die Milchquote wird von den Bauern - ich weiß, wovon ich als aktiver Milchbauer spreche - geschätzt und sogar so sehr, daß wir bereit sind, dafür freiwillig Geld auszugeben. Das muß schon etwas heißen. Kiechle hat für dieses Werk ein Denkmal verdient.
Trotzdem herrscht Unmut - das wollen wir nicht verschweigen - über einige Auswirkungen der Milchquote. Dazu gehören die Ausgaben für Milchquotenpacht, -leasing oder -kauf. Dies ist aber die Voraussetzung, wenn man die Milchproduktion erweitern will.
Ich habe deshalb Verständnis, daß besonders junge Bäuerinnen und Bauern, die sich eine Existenz auf Basis einer modernen Milchproduktion schaffen wollen, empfinden, daß diese Milchquotenregelung ihre unternehmerische Freiheit einengt. Besonders aus ihren Reihen kommt die Forderung nach kostenfreier oder kostengünstigerer Übertragbarkeit von
Quoten oder Lieferrechten auf ihren Betrieb. Zu Recht stört es die Milchbauern, daß der Anteil ihrer Lieferrechte, die gepachtet oder geleast werden mußten, ständig zunimmt, wobei insbesondere die dauernden Ausgaben an ehemalige Milcherzeuger nicht nur zur Gewinnschmälerung führen, sondern auch Abhängigkeiten schaffen, die langfristige Planungen erschweren oder sogar unmöglich machen.
Ziel meiner Fraktion ist es deshalb, die Milchquotenregelung über das Jahr 2000 hinaus fortzuführen. Darüber hinaus wollen wir langfristig die Quote zum Melker bringen, um es noch deutlicher zu sagen: vom Sofa in den Melkstand,
allerdings in freier Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien.
Es gibt aus unserer Sicht drei Möglichkeiten, dieses Ziel zu erreichen, wobei gleichzeitig die Frage der Vereinheitlichung der verschiedenen Quotensysteme innerhalb Deutschlands zu regeln ist. Der erste Weg wäre die Freigabe - dies ist bei Dr. Thalheim der letzte gewesen - der Produktion mit dem damit einhergehenden Verfall auf Weltmarktniveau. Die Auswirkungen auf den Preis entsprechen denen - ich habe dies schon vorher geschildert -, die 1984 zu erwarten gewesen wären. Auch ein direkter Einkommenstransfer kann dies nicht ersetzen. Ich frage auch, in welcher Höhe und in welcher Form dieser Einkommenstransfer stattfinden sollte. Er müßte jedenfalls limitiert sein.
Der zweite Weg ist, eine Flexibilisierung durch die Aufteilung der Quote wie bei der Zuckermarktregelung in A-, B- und C-Kontingente. Die A-Quote könnte den EU-Inlandsbedarf decken, und die B- Quote könnte an der Verarbeitung innerhalb der Industrie orientiert werden. Darüber hinaus könnte - so jedenfalls die Verfechter dieses Systems - beliebig auf dem Weltmarkt produziert werden.
Meine Damen und Herren, so verlockend dieser Vorschlag ist, so schwer ist er administrierbar. Wer kontrolliert den Abfluß der Quote auf dem Weltmarkt? Und vor allem: Wie soll die A-Quote dann gehandelt werden? Ich glaube auch, daß im Rahmen des GATT und der späteren WTO hier Akzeptanzprobleme entstehen würden. Das sind alles Fragen, die niemand zutreffend beantworten kann, und ich halte deshalb dieses Modell für nicht durchführbar.
Bleibt der dritte Weg, das Beibehalten des bisherigen Systems, allerdings mit vielen Variationsmöglichkeiten.
Da wäre zunächst noch die Vorstellung einiger Gruppen, die Quoten von abgebenden Milcherzeugern in einen Pool zu übertragen, zu nennen. Von dort aus, so die Vorstellung dieser Leute, könnten dann die Quoten kostenlos weiterwirtschaftenden Betrieben zugeführt werden.
Peter Bleser
Nach meiner Meinung funktioniert dies aus zwei Gründen ebenfalls nicht. Niemand oder nur wenige lassen sich, wenn die Quoten von ihrem Betrieb kostenlos abwandern sollen, dies so ohne weiteres gefallen. Schnell sind juristische Konstruktionen gefunden, die die Übertragung zwischen zwei Betrieben dennoch ermöglichen. Die Umgehung bei der Übertragung von Milchquoten mit Flächenbindung in der Vergangenheit sollte uns hier eine heilsame Lehre sein.
Nach welchen Kriterien soll, wenn überhaupt dieser Pool gefüllt werden, dann die Verteilung der Quote vorgenommen werden? Etwa nach der Anzahl der Kinder, die jemand hat, nach dem Alter oder eventuell prozentual?
- Guter Vorschlag. - Allerdings würde dann, wenn wir prozentual verteilten, der Strukturwandel schlagartig zum Erliegen kommen. Auch dieses Modell funktioniert also nicht und hat gravierende Nachteile.
Nach meiner Ansicht, nach unserer Ansicht sollten wir die Garantiemengenregelung in der EU fortsetzen und in Deutschland bei dem heutigen System der freien, auf bestimmte Regionen begrenzten Handelbarkeit bleiben.
Allerdings sollte auch innerhalb des Berufsstandes überlegt werden, ob wir nicht durch die Beschränkung des Leasens zwischen aktiven Milcherzeugern wilden Spekulanten am Ende des Milchwirtschaftsjahres das Geschäft erschweren.
Darüber hinaus sollten wir dem Ziel, die Milchquote zum Melker zu bringen, dadurch näherkommen, daß wir langfristig auch die Verpachtung einschränken, um den Kauf der Quote zu bevorzugen. Ein dann entstehender Angebotsdruck könnte zu akzeptablen Preisen führen.
Die Redezeit!
Ja, ich bin gleich fertig, Herr Präsident. - Ich gebe aber zu, daß hier noch Diskussionsbedarf besteht. Für die Betroffenen ist es aber wichtig, zu wissen, in welche Richtung wir denken.
Meine Damen und Herren, noch einen Satz zu der Quotenregelung in den neuen Bundesländern. Dort wird das bisherige System gerne auch in der Zukunft fortgesetzt. Man muß allerdings sagen, daß zur Zeit nur 93 Prozent dieser Quote ausgenutzt sind und damit eine Regelung bisher überhaupt nicht stattgefunden hat. Sollte diese Ausnutzung einmal zu 100 Prozent erfolgen, wird man schnell die gleichen Probleme haben, die ich vorhin bei der Poollösung geschildert habe.
Herr Kollege, Sie sind ein großes Stück über Ihre Redezeit.
Ich komme zum letzten Satz: Meine Damen und Herren, ich denke, wenn es uns gelingt, auch in Zukunft den Verbrauch von Milchprodukten innerhalb Europas und innerhalb Deutschlands zu steigern, und wir damit keine weitere Belastung des Weltmarktes mehr darstellen, dann können wir unseren Milcherzeugern für die Zukunft gute Aussichten prophezeien. Ich glaube, für dieses Ziel lohnt es sich zu arbeiten.
Vielen Dank.
Frau Kollegin Ulrike Höfken, Sie haben das Wort.
Sehr geehrte Damen und Herren! Erst einmal muß ich sagen, vor allem an die Kollegen von der SPD gerichtet: Der Punkt 5 aus unserem Antrag entfällt. Wir hatten das gemeinsam so abgesprochen, und ich habe das auch schon bekanntgegeben.
Zum Kollegen Bleser muß ich sagen, daß ich enttäuscht bin. Warum haben Sie sich nicht für Heu statt Uran ausgesprochen und einmal näher erklärt, was das mit nachwachsenden Rohstoffen zu tun haben könnte; denn die ganze letzte Debatte war ja davon geprägt - vom HEU nämlich.
Aber abgesehen davon ist es doch erstaunlich, daß einerseits das Problem des Milchmarktes problematisiert wird, andererseits aber wirklich nichts zu finden ist, was konkret von der CDU/CSU-Fraktion vorgeschlagen wird. Aber der Opposition wird mangelnde Konkretisierung vorgeworfen. Das ist hier sicher nicht richtig.
Die Bundesregierung teilt ununterbrochen mit, es gebe überhaupt keinen Handlungsbedarf im Milchbereich. Wir haben Bauernversammlungen, beispielsweise jetzt in Daun, wo all das wieder zum Tragen kommt. Die Situation, so wie sie ist, soll am besten weitergeführt werden, und das, obwohl die Betriebe keine Perspektive haben; das sehen wir ganz deutlich. Es gibt keine Hofnachfolgerinnen und -nachfolger mehr.
Auch wenn die „Welt" heute „satte Gewinne in der Landwirtschaft" meldet und 10 Prozent Gewinnerhöhung feststellt, muß man sagen, daß es sich um 46 200 DM pro Unternehmen handelt. Das ist heute noch nicht einmal für einen einzelnen lohnabhängigen Menschen eine ausreichende Grundlage für die Ernährung einer Familie, geschweige denn für einen Betrieb. Wenn das für die Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eine zufriedenstellende Basis ist, dann können wir auf dieser Basis nicht weiterreden.
Des weiteren ist das ganze Milchmengensystem auch EU-weit in der Diskussion. Das wurde schon ausgeführt. Es wird überlegt, ob die Preise an den Weltmarkt angelehnt werden und dann ein Aus-
Ulrike Höfken
gleich gezahlt werden soll. Diese ganze Diskussion, wie sicher oder unsicher ein solcher Ausgleich ist oder ob das Zuckermodell mit all seiner Problematik übertragen werden soll, brauchen wir hier nicht weiterzuführen.
Ebenso steht die Angleichung Ost und West, alte und neue Bundesländer, an, die sicherlich auch neue Überlegungen, eine Neukonzeption nötig macht. Dasselbe gilt für die Anforderungen des GATT, die die Bundesregierung einfach abtut, indem sie sagt: Die Mengenreduzierungen, die vom GATT für den Export gefordert werden, werden durch eine Verbesserung des Absatzes wettgemacht. Sie erklärt aber nicht, wie denn um Gottes willen eine solche Verbrauchssteigerung zustande kommen soll.
Wir müssen jedenfalls feststellen, daß dieses Nichtstun ein Drücken um politische Entscheidungen ist und daß es im Grunde destruktiv ist,
weil die Landwirte keine Basis haben, ihre Betriebe überhaupt fortsetzen zu können. Insofern ist ein weiterer Ausstieg vorprogrammiert.
Auch - das dürfte die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ebenso interessieren wie die Landwirte - die 7,6 Milliarden DM, die EU-weit pro Jahr in den Milchmarkt fließen, sind im Grunde völlig verschwendet, weil nichts an Effektivität nachzuweisen ist. Hier könnte ein erheblicher Betrag gespart werden.
Wir schlagen vor, unverzüglich ein Konzept vorzulegen, über das in der nächsten Zeit diskutiert werden soll, das sich an folgenden Kriterien orientiert: Das Quotenmodell soll im Rahmen einer Neufassung so gestaltet werden, daß die Flächenbindung erhalten bleibt, daß die Milcherzeuger auf dem Markt höhere Erzeugerpreise realisieren können und daß sich eine Anpassung der Milchmengen an den Verbrauch innerhalb der EU-Staaten vollzieht. Außerdem sollen die GATT-Forderungen erfüllt und soll eine einheitliche und konsequente Anwendung der Regelung in allen Mitgliedstaaten realisiert werden.
Die Handelbarkeit von Milchquoten soll auf eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt werden. Die jetzige Situation ist faktisch die, daß die Erben ehemaliger Milcherzeuger das Geld im Rahmen der Milchmarktordnung in Zukunft zur Verfügung bekommen, was sicherlich nicht im Sinne der Agrarpolitik ist. Letztendlich sind die ganzen Probleme, die jetzt für die übrigbleibenden Betriebe existieren, aus der unglücklichen Handhabung von Verleasung und Verpachtung entstanden.
Ebenso notwendig ist es, in den neuen Bundesländern die vorläufig zugeteilten Referenzmengen bis zum Auslaufen der bestehenden Garantiemengenregelung Milch im Jahre 2000 aufrechtzuerhalten, um eine gemeinsame Reform durchführen zu können.
Schließlich soll, was schon oft angesprochen worden ist und was wahrscheinlich auch das gemeinsame Interesse des Ausschusses ist, daran gearbeitet werden, daß wettbewerbsrechtlich die langfristigen Interessen der Produzenten und der Verbraucher in
den Vordergrund gestellt werden und die Wettbewerbssituation nicht weiterhin so interpretiert und geduldet wird, daß allein der Handel daraus große Vorteile zieht.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Günther Bredehorn.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei Einführung der Milch-Garantiemengen-Verordnung 1984 waren die Ziele der Politik die Begrenzung der Überproduktion von Milch, die Stabilisierung der Erzeugererlöse, die Begrenzung und Reduzierung der Marktordnungskosten sowie die flächendeckende Erhaltung bäuerlich strukturierter Milchviehbetriebe. Ich habe damals schon zum Ausdruck gebracht, daß ich große Vorbehalte und Skepsis gegenüber diesem Modell habe. Der Herr Kollege Thalheim hat von planwirtschaftlichen Elementen gesprochen, die zweifellos auch vorhanden sind. Das ist überhaupt nicht zu bestreiten.
Wenn wir heute Bilanz ziehen, muß ich leider Gottes feststellen, daß wir wenig Grund zum Jubeln haben. Wir haben nach wie vor erhebliche strukturelle Überschüsse von rund 20 Prozent der Milchproduktion. Von den 118 Millionen Tonnen produzierter Milch sind rund 23 Millionen Tonnen nur mit Exporterstattungen auf dem Weltmarkt oder Beihilfen auf dem EU-Markt unterzubringen.
Die Erzeugerpreise erreichten 1994 mit durchschnittlich 56,6 Pfennig je Kilogramm Milch einen absoluten Tiefpunkt, nachdem es in den Jahren 1984 bis 1989 durchaus eine positive Entwicklung gegeben hatte. Gott sei Dank befinden wir uns zur Zeit auch wieder im Aufwärtstrend.
Nachdem es im Jahr 1984 noch deutlich über 400 000 Milchviehbetriebe gab, sind wir heute bei rund 210 000 Milchviehbetrieben angelangt. Wir stellen fest, daß dieser Strukturwandel noch weitergeht.
Es gibt erfreulicherweise keine Butterberge und Milchseen mehr. Trotzdem verursacht die EU-Milchmarktpolitik weiterhin doch erhebliche Kosten von 8 bis 9 Milliarden DM jährlich.
Mit großer Sorge sehe ich aber, daß sich die Wettbewerbslage der deutschen Milchproduzenten gegenüber den Mitkonkurrenten aus den anderen EU-Ländern im letzten Jahrzehnt deutlich verschlechtert hat. Die Anwendung der Milchquotenregelung hat in Deutschland zu einer Abschwächung des Strukturwandels geführt; der Anteil der Milchviehbetriebe mit einem Bestand von 30 Kühen und mehr beträgt in der alten Bundesrepublik gerade 16 Prozent. In Großbritannien sind es 77 Prozent, in den Niederlanden 60,5 Prozent, in Dänemark 55 Prozent usw. Die Struktur der Milchkuhbestände hat sich in Deutschland gegenüber den wichtigsten
Günther Bredehorn
Mitkonkurrenten im letzten Jahrzehnt also verschlechtert.
Noch gravierender aber ist: Ein erheblicher Teil der Quoten ist inzwischen bei Landwirten, die selber nicht mehr melken. Die aktiven Milcherzeuger sind also gezwungen, einen Teil ihres Einkommens für Zukauf oder Zupacht von Quoten einzusetzen, um ihre Betriebe zukunftsträchtig fortentwickeln zu können.
In bezug auf die Molkereistruktur sieht es ähnlich aus. Ich will jetzt auf Einzelheiten nicht eingehen, sondern es nur als Merkposten hier anführen.
Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß über die Zukunft des EU-Milchmarktes zwischen Milchbauern, Milchverarbeitern und Agrarpolitikern diskutiert wird. Von daher ist die Große Anfrage der SPD durchaus positiv und anzuerkennen, obwohl wir hier ja von Herrn Thalheim eine Zustandsbeschreibung gehört haben, aber keine Vorschläge, wie es denn nun weitergehen soll. Darüber müssen wir ja in Zukunft diskutieren.
Unsere Landwirte brauchen rechtzeitig Klarheit über die künftigen agrarpolitischen Konzepte für den Milchmarkt. Milcherzeuger und Milchwirtschaft brauchen Sicherheit für ihre Planungen, betriebliche Entscheidungen und Investitionen.
Nach den bisherigen Erfahrungen mit der Milchquotenregelung - es gab 33 Änderungsverordnungen, und die nächsten stehen vor der Tür; denn es gibt immer wieder neue Zwänge; Ungerechtigkeiten müssen beseitigt werden; Gerichte treffen Entscheidungen, so daß dieses sicherlich weitergehen wird - gibt es Vorschläge, auch von Agrarprofessoren und anderen, die Milchquote nach dem Jahr 2000 abzuschaffen.
Ein solch abrupter Systemwechsel kommt mit der
F.D.P. nicht in Frage. Ohne eine Quotenregelung, auch wenn dies ordnungs- und agrarpolitisch die sauberste Lösung wäre, drohte vielen melkenden Unternehmen das wirtschaftliche Aus. Eine Anpassung an das Weltmarktpreisniveau ist nicht tragbar und deshalb politisch auch nicht zu verantworten. Zu viele Betriebe, die sich auf diese Milchgarantiemengenregelung verlassen haben und die investiert haben, würden bei einer solchen Entscheidung vor dem wirtschaftlichen Aus stehen.
Die bis jetzt vorliegenden Vorschläge zur Fortentwicklung der Milchgarantiemengenregelung sollten und werden von uns unvoreingenommen und sachlich geprüft und diskutiert. So gibt es den Vorschlag, die Referenzmenge umzuwandeln in ein an die Dauer der Bewirtschaftung des landwirtschaftlichen Unternehmens gebundenes Lieferrecht. Wenn der Landwirt die Milcherzeugung einstellt, soll die Quote einem Pool zugeführt werden und anschließend an aktive Milchproduzenten übertragen werden.
Abgesehen davon, daß es nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts schwierig sein wird, Quoten zu entziehen, wird es natürlich noch schwieriger sein, diese Quoten zu verteilen. Nach welchen Kriterien sollte denn das geschehen? Werden strukturpolitische, sozialpolitische oder ökologische Gründe eine Rolle spielen?
Spielt die Zusammensetzung der Landesregierung eine Rolle?
Ich bin ganz klar dagegen, daß der Bund, die Länder, Kammern oder Verbände Milchquoten verteilen. Dies sollte man dem Markt überlassen. Der regelt sehr viel besser, daß die Milch zum richtigen Wirt und in die richtige Region fließt.
Neuerdings wird selbst bei der EU-Kommission - Agrarkommissar Fischler hat das angedeutet - die A-, B- und C-Quote in die Diskussion gebracht. Dies wird aber bedeuten, daß unsere Milchbauern für die bisherige Garantiemenge einen geringeren Preis bekommen und alle darüber hinausgehenden Mengen, die sogenannte C-Quote, zum Weltmarktpreis abgesetzt werden müssen. Noch schwieriger wären aber Umsetzbarkeit, Kontrolle und Durchführung einer solchen Regelung. Der Milchmarkt ist mit dem uniformen Zuckermarkt nun einmal nicht vergleichbar.
Die F.D.P. will an einer marktwirtschaftlichen Weiterentwicklung der Milchgarantiemengenregelung mitarbeiten. Unser Ziel ist die Flexibilisierung, Deregulierung und Liberalisierung des Milchmarktes. In Deutschland sollte die Milchgarantiemengenverordnung so modifiziert werden, daß die deutschen Milcherzeuger bestehende Strukturdefizite aufholen können. Ich will eine Fortentwicklung des Systems handelbarer Quoten, in dem regionale oder Landestransfergrenzen überschritten werden können.
Es ist nach meiner Überzeugung ein politischer Fehler und falsch, wenn man glaubt, mit Hilfe der Milchgarantiemengenregelung regionalpolitische, sozialpolitische oder auch strukturpolitische Probleme lösen zu können. Zur Erhaltung und Förderung der Landwirtschaft auf Grenzertragsböden brauchen wir flankierende Maßnahmen. Die Umweltleistungen dieser Landwirte müssen honoriert werden, damit eine flächendeckende Landbewirtschaftung erhalten bleibt.
Für die Förderung und Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Milchviehbetriebe im europäischen Binnenmarkt brauchen wir auch weiterhin und verstärkt ein Agrarinvestitionsförderprogramm. Leistungsfähige Milchproduktionsbetriebe sind die Grundlage für die Zukunft unserer noch rund 290 deutschen Molkereiunternehmen mit einem Jahresumsatz von immerhin 36 Milliarden DM und 50 000 Beschäftigten.
Günther Bredehorn
Das Bundeslandwirtschaftsministerium möchte ich auffordern - ich verstehe nicht, daß es in der 33. Änderungsverordnung angeblich nicht passiert -,
schnellstmöglich eine Verordnung auf den Weg zu bringen, um Auswüchse beim Quotenleasing zu beenden. Das Verleasen von Milchquoten sollte nur aktiven Milcherzeugern - so war es gedacht - bis zu einer Grenze von 5 bis 8 Prozent ihrer Referenzmenge - darüber kann man reden - möglich sein.
Meine Damen und Herren, folgendes Signal wollte ich für unsere Milchbauern heute rüberbringen: Die Garantiemengenregelung wird auch nach dem Jahr 2000 fortgesetzt. Wir brauchen aber eine Flexibilisierung und Fortentwicklung der Garantiemengenregelung im marktwirtschaftlichen Sinne, damit unsere aktiven, unternehmerisch milchproduzierenden Landwirte im größer werdenden EU-Binnenmarkt ihre Zukunftschance nutzen.
Ich bedanke mich.
Herr Kollege Dr. Günther Maleuda, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor vier Tagen ist in Berlin die „Grüne Woche" zu Ende gegangen. Sie hat einmal mehr demonstriert, was Bäuerinnen und Bauern gemeinsam mit den Beschäftigten in der Ernährungsindustrie in Deutschland, in Europa und auch in Übersee trotz vielfältiger wirtschaftlicher und währungspolitischer Turbulenzen zu leisten imstande sind. Noch nie war der Tisch so vielfältig und reich gedeckt, noch nie waren die Lebensmittel so preiswert. Zugleich war Berlin der Ort von Veranstaltungen zu agrarpolitischen Themen in einem Umfang wie nie zuvor. Denn mit der Produktion sind auch die Fragen nach der Zukunft der Landwirtschaft gewachsen.
Preiswerte Lebensmittel erwirtschaften die Landwirte heute mit einem Einkommen, das nur 40 Prozent des gewerblichen Vergleichslohns beträgt. Selbst in 300-Hektar-Betrieben entsteht nur ein durchschnittlicher Reinertrag, der den staatlichen Ausgleichszahlungen entspricht. Die Bauern wollen aber ihr Einkommen am Markt verdienen.
Zunehmend wird deutlich: Das gegenwärtige agrarpolitische Instrumentarium zeigt nicht auf allen Gebieten die gewünschten Wirkungen. Das gilt auch für die Milchmarktordnung. Zwar wurden der Markt und die EU-Kassen entlastet, aber auch das Portemonnaie der Bauern.
Herr Kollege, ich darf Sie einen Moment unterbrechen. - Es gibt einen ganz besonderen Grund, dem Kollegen Maleuda heute aufmerksam zuzuhören, denn er redet heute
im Plenum an seinem 65. Geburtstag. Er sollte etwas mehr Aufmerksamkeit bekommen.
Ich hatte Geburtstag. Die Gratulationskur ist schon vielseitig abgeschlossen. Aber schönen Dank!
Die Milchpreise sind gefallen statt gestiegen. Die Unzufriedenheit - das ist hier bereits gesagt worden - auf diesem Sektor wächst. Der hohe D-Mark-Kurs hat die Absatz- und Preissituation noch verschärft. Bei genauerer Betrachtung stellt man fest, daß noch immer ein erheblicher Milchüberschuß besteht.
Die SPD hat in ihrer hier zu debattierenden Großen Anfrage versucht, das Problem sehr komplex anzugehen. Eine Kernfrage ist meines Erachtens: Soll die Referenzmengenregelung - sprich: „Quotenregelung" - durch ein neu zu bestimmendes „Lieferrecht" ersetzt werden, oder soll die „Quotenregelung" - wie auch Herr Bleser das in seinem Beitrag sagte - über das Jahr 2000 hinaus fortgesetzt werden?
Auf der DLG-Tagung zur „Grünen Woche" hat Professor Köhne aus Göttingen für eine zukünftige Milchquotenregelung vier Grundvarianten und mehrere Modifikationen vorgestellt. Nach unserer Meinung muß die zu wählende Variante zur Lösung vor allem folgender Probleme beitragen: Wird die Milchproduktion der Nachfrage angepaßt? Erreichen die Betriebe über den Preis ein angemessenes Einkommen? - Das ist bekanntlich ein ganz wesentlicher Aspekt. - Werden die staatlichen und EUMarktordnungskosten weiter gesenkt? Fördert die zu wählende Variante den Agrarstrukturwandel?
Es geht aber auch um folgende Aspekte: die Sicherung einer flächendeckenden und standortgerechten Landwirtschaft, den minimalen Verwaltungsaufwand; schließlich ergeben sich natürlich auch bestimmte Überlegungen aus der zu erwartenden Osterweiterung der EU.
Bei der Fülle der Probleme sind die Forderungen der SPD in ihrem Antrag nach gründlicher Analyse und zügiger Vorbereitung der neuen Regelungen vollauf berechtigt.
Ich meine, daß es sehr wichtig wäre, das zur Zeit auf diesem Gebiet vorhandene Wissen - im Ministerium, in den wissenschaftlichen Einrichtungen, in den Fraktionen, im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - in den nächsten Wochen und Monaten so zusammenzuführen, daß eine Lösung herauskommt, die auch für einen längeren Zeitraum Bestand hat und die Zustimmung der deutschen Bauern findet.
Bei den weiteren Überlegungen kann es nicht nur um eine Einzelregelung für den Milchmarkt gehen. Die Landwirtschaft ist bekanntlich auf vielfältige Weise mit der Volkswirtschaft allgemein verbunden, vor allem natürlich mit der Ernährungsindustrie. Die
Dr. Günther Maleuda
Milchproduktion läßt sich künftig nicht ohne Vertiefung der vertikalen Kooperation effektiver gestalten.
Minister Borchert hat auf derselben DLG-Tagung in Berlin festgestellt:
Landwirte und Verarbeitungsunternehmen sollten verstärkt Vereinbarungen treffen und die vertraglichen Bindungen ausbauen.
Wir interpretieren das als Aufforderung, den auch von der PDS hier schon mehrfach vorgeschlagenen Weg des Übergangs zur „Vertragslandwirtschaft" zu gehen. Es ist ganz eindeutig, daß gerade auf diesem Weg die zur Zeit noch vorhandenen Disproportionen zwischen Produktion und Verarbeitungsindustrie überwunden werden könnten. Wir sind allerdings auch dafür, Lösungen anzustreben, die zehntausenden Kleinbauern über Gemeinschaftsunternehmen eine Perspektive im ländlichen Raum geben.
Bei der weiteren Diskussion über die Milchmarktordnung werden wir primär den Maßstab anlegen: Wie trägt diese Ordnung dazu bei, den Lebensstandard und die Zukunft der Bäuerinnen und Bauern sichern zu helfen?
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Kollege Albert Deß.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Garantiemengenregelung Milch hat zu allen Zeiten heftige Diskussionen innerhalb und außerhalb der Landwirtschaft verursacht. In meiner über drei Jahrzehnte langen berufsständischen Tätigkeit kann ich mich an kein zweites Thema erinnern, das so lange und so kontrovers diskutiert worden ist. Diese Auseinandersetzung wird uns auch weiter begleiten, solange es eine Garantiemengenregelung Milch geben wird, und selbst wenn sie abgeschafft würde, wäre damit die Diskussion nicht beendet.
Eines ist völlig klar: Ohne Garantiemengenregelung wäre der Milchpreis in der EU noch wesentlich niedriger.
Die Ziele, die mit der Einführung der Quotenregelung angestrebt wurden, sind nicht alle erreicht worden. Dies lag nicht am System der Garantiemengenregelung, sondern an deren Umsetzung. Die Milchquotenmenge wurde zuwenig an den tatsächlichen Verbrauch angepaßt. Außerdem hat die Kommission in Brüssel sehr wohl die Möglichkeit, an der Milchpreisschraube zu drehen. Die Kommission hat an der Schraube meistens so gedreht, daß der Milchpreis nach unten ging. Dafür kann man das Quotensystem nicht verantwortlich machen, auch nicht für die Nichtumsetzung der Mengenregulierung in einigen EU-Ländern, sondern die Kommission in Brüssel hat hier die Verantwortung, nicht das System.
Trotz dieser negativen Erfahrungen würde sich eine Abschaffung der Milchgarantiemengenregelung in der EU negativ auf unsere Milcherzeuger auswirken. Meldungen aus den USA lassen Schlimmes befürchten. Ohne einen Schutz unserer Milcherzeuger an den EU-Außengrenzen und ohne Garantiemengenregelung würde die Milchwirtschaft in weiten Teilen Europas zusammenbrechen.
In einem Bericht der „Zentralen Marktberichterstattung" vom 9. Dezember 1995 heißt es - ich zitiere -:
So haben Untersuchungen in Kalifornien gezeigt, daß dort in Betrieben mit etwa 2 000 Milchkühen am effizientesten produziert werden kann. Zur Zeit haben aber auch die kalifornischen Betriebe im Durchschnitt „nur" 650 Kühe, so daß hier noch ein enormes Potential zur Kosteneinsparung gegeben scheint.
Wer also den freien Wettbewerb bei der Milcherzeugung fordert, muß wissen, daß dies das Ende der bäuerlichen Milcherzeugung bedeutet. Dabei ist gerade die Milchviehhaltung eine Domäne der bäuerlichen Familienbetriebe.
Selbst wenn sich die Durchschnittsgröße unserer Milchviehbetriebe verdoppeln oder vervierfachen würde, wäre die Konkurrenzfähigkeit mit diesen amerikanischen Größenordnungen nicht gegeben.
Die Konkurrenzfähigkeit ist auch deshalb nicht möglich, weil die Milcherzeugung bei uns zu anderen Bedingungen stattfindet. In Kalifornien werden in großem Ausmaß mexikanische Billigarbeitskräfte beschäftigt, und zwar zu sozialen Bedingungen, die Gott sei Dank bei uns verboten sind. Die klimatischen Verhältnisse und die Umweltauflagen sind nicht vergleichbar. Das Leistungshormon BST wird in den USA eingesetzt. Milchpreise um die 30 Pfennig werden befürchtet. Wer also der Marktöffnung das Wort redet, muß wissen, was er sich dafür einhandelt.
Wir sind deshalb gut beraten, die Garantiemengenregelung über das Jahr 2000 hinaus weiterzuführen - mit einer Stärkung der milcherzeugenden Betriebe.
Die Sonderregelung für die neuen Bundesländer sollte verlängert werden.
Dann kann zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werden, welches System das bessere ist.
Die regionale Bindung der Quoten muß beibehalten werden.
Eine Aufhebung würde die flächendeckende Landbewirtschaftung in Frage stellen, und sie würde sehr schnell auch Forderungen verstärken, den Quotentransfer zwischen den EU-Mitgliedsländern zu ermöglichen. Dies kann nicht im Sinne der deutschen Milcherzeuger sein. Gerade in den von der Natur benachteiligten Gebieten ist die Milchviehhal-
Albert Deß
tung die Haupteinnahmequelle für die dortigen landwirtschaftlichen Betriebe.
Besondere Sorge bereitet mir die Konzentration des Lebensmittelhandels vor allem in Deutschland. Das Bundeskartellamt hätte längst einschreiten müssen, da hier marktbeherrschende Strukturen entstehen.
Die Zeche bezahlen vor allem die Milcherzeuger. Später werden auch die Verbraucher die Zeche mitbezahlen. Die Gebühren für den „Grünen Punkt" bezahlen nicht, wie vorgesehen, die Verbraucher, sondern die Milcherzeuger, da der Handel nicht bereit ist, diese zusätzlichen Kosten zu übernehmen.
Die Gebühren haben inzwischen in vielen Molkereien eine Größenordnung von 3 bis 4 Pfennig je Kilogramm Milch erreicht.
Die Verpackungsverordnung müßte meiner Meinung nach dahin gehend geändert werden, daß die Gebühren auf den Rechnungen getrennt ausgewiesen werden müssen. Außerdem muß auf der Endverpackung der Entsorgungskostenanteil ausgewiesen werden. Dies würde die Verhandlungsposition der milchverarbeitenden Betriebe gegenüber dem Handel enorm stärken.
Auch das System der sogenannten Listungsgebühren bedarf einer Überprüfung. Ich bin der Meinung, daß wir über dieses Thema hier einmal diskutieren müssen.
Mit einem fairen Wettbewerb hat dies nichts mehr zu tun. Kleinere milchverarbeitende Betriebe sind oft nicht in der Lage, diese horrenden Einstiegsgelder zu bezahlen. Wenn ich es sagen dürfte, würde ich sie als „Schutzgelder" bezeichnen.
Aber Sie dürfen es nicht sagen!
Der Gesetzgeber ist hier gefordert. Doch nicht nur die Politik muß mithelfen, die Situation unserer Milcherzeuger zu verbessern. Berufsstand und Landwirte müssen selbst mithelfen, die Struktur der milchverarbeitenden Betriebe zu stärken. Besonders in Bayern - das sage ich ganz eindeutig - besteht Handlungsbedarf. Aber - ich kann aus Erfahrung berichten - die Strukturen sind so verkrustet, daß Veränderungen nur sehr träge vor sich gehen.
Wie aus Gutachten ersichtlich ist, könnten durch eine bessere Zusammenfassung der Milchverarbeitung vor allem im Genossenschaftsbereich Verarbeitungskosten in Höhe von zirka 3 Pfennig je Kilogramm Milch eingespart werden. Doch Fusionen oder auch andere Formen der Zusammenarbeit scheitern oft an der fehlenden Einsicht von Berufskollegen, die in Vorständen und Aufsichtsräten Verantwortung tragen. Diese fehlende Einsicht kostet die bayerischen Milcherzeuger Millionenbeträge. Es ist ein Irrweg, wenn jedes Molkereiunternehmen glaubt, mit einer Eigenmarke den Markt erschließen zu können. Man mag dabei für einige Zeit über die Runden kommen. Längerfristig bietet dieser Weg keine Perspektive.
Weder die Berufsvertretung noch der Genossenschaftsverband, noch die Politik können hier Zwang ausüben. Es handelt sich um selbständige Unternehmen. Gefordert sind die Organe der Genossenschaften, Strukturveränderungen herbeizuführen. Ohne daß ich der Größe als alleiniger Problemlösung das Wort rede, muß gerade in Bayern ein Umdenkungsprozeß einsetzen. Leider wird in vielen Fällen auf die Position von Molkereidirektoren mehr Rücksicht genommen als auf die Interessen der Milcherzeuger.
In meinem ehrenamtlichen Verantwortungsbereich versuche ich intensiv, Veränderungen herbeizuführen.
Die Garantiemengenregelung wurde in Deutschland durch Urteile des Bundesverwaltungsgerichtes in Berlin bezüglich der Altpachtregelung in Mißkredit gebracht. Vor allem das Urteil vom 11. November 1993 ist, vorsichtig ausgedrückt, unverständlich - um nicht zu sagen: skandalös -, gerade auch deshalb, weil es den Eigentumsbegriff des Art. 14 des Grundgesetzes völlig einseitig auslegt.
Das Urteil zeugt vom geringen Sachverstand der Richter und hat nicht zum Rechtsfrieden beigetragen. Es hat Unfrieden und Ungerechtigkeit in die Landwirtschaft getragen wie selten ein Urteil zuvor. Der Verschiedenheit der Fälle wird in diesem Urteil viel zuwenig Rechnung getragen. Dadurch wird die Existenz vieler milcherzeugender Betriebe gefährdet. Ich bitte die Bundesregierung, zu prüfen, welche Möglichkeiten es gibt, um einen neuen Rechtszustand zugunsten der Milcherzeuger herbeizuführen.
Zusammenfassend kann gesagt werden: Die Quotenregelung soll über das Jahr 2000 hinaus beibehalten werden - mit Korrekturen zugunsten der milcherzeugenden Betriebe, damit die Einkommensgrundlage für viele bäuerliche Familien auch in Zukunft erhalten bleibt.
Der Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. ist
eine gute Grundlage, um die Diskussion über die Fortführung der Garantiemengenregelung über das Jahr 2000 hinaus in richtige Bahnen zu lenken. Die Überlegungen der F.D.P. können durchaus mit einfließen.
Albert Deß
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Herr Kollege Reinhold Hemker, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Musik von Mozart macht Milchkühe munter." Diese Aussage erinnert mich an den alten, schon fast magischen Fünf- „m"-Werbespruch zur Belebung des Absatzes von Milch: „Milch macht müde Männer munter."
- Jawohl, Herr Kollege, die Berichterstattung war korrekt.
Der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband hielt dieses Forschungsergebnis von Agrarexperten aus den USA für so wichtig, daß nicht nur in Westfalen regional verankerte Zeitungen eine entsprechende Pressemeldung des Verbandes vielfach verwandten.
Rockmusik aber, insbesondere der bekannten Rockgruppe „Kiss", stimmte die Tiere eher lustlos, so die Studie aus den USA. Die Schlagzeile lautete: Kühe halten nichts von Rockmusik.
Als Ergebnis dieser Erkenntnisse soll zur Zeit folgende Anfrage des Bauernpräsidenten Constantin von Heereman dem Ministerium des Kollegen Borchert vorliegen: Erwägt die Bundesregierung auf dem Hintergrund der US-amerikanischen milchkuhbezogenen Musikstudie gegebenenfalls die Förderung des Einsatzes von Rockmusikanlagen oder Rockgruppen in Milchbetrieben zur Lösung der Überschußprobleme?
Angesichts der Größe der in der Debatte bereits beschriebenen und nach wie vor bestehenden Probleme erscheint mir jede neue vorgeschlagene Maßnahme bedenkenswert.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber gerne.
Herr Kollege Hemker, das, was Sie soeben gesagt haben, ist sehr interessant. Kann es sein, daß das in einigen SPD-geführten Bundesländern auch die Begründung dafür gewesen ist, das Landwirtschaftsministerium einem anderen Ministerium anzugliedern? Wäre es nicht möglich, zum Beispiel dem Kultusministerium die Arbeit des Landwirtschaftsministeriums zu übertragen?
Herr Kollege, ich kann mir nicht vorstellen, daß die Rockmusik dazu beitragen kann, daß Landwirtschafts- und Umweltfragen gemeinsam in einem Ministerium verhandelt werden. Ich war selbst einige Jahre Mitglied des Agrarausschusses des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Dort haben wir seit Jahren ein für Agrarfragen zuständiges Ministerium, und das funktioniert hervorragend.
- Ich denke, daß die hier anstehenden Fragen, bezogen auf die Beeinflussung unserer milchgebenden Kühe, nicht Angelegenheit der Kultusministerien sind. Da können wir uns als diejenigen, die sich mit Agrarpolitik auseinandersetzen, schon selbst eine Meinung bilden. Im übrigen sollte die Meldung aus dem heimatlichen Verband des Herrn Heereman sicherlich kein Beitrag zu den närrischen Tagen sein; es war sicherlich eine ernstzunehmende Meldung.
Heute allerdings erwarte ich, Herr Kollege Borchert, nur in Ansätzen eine Auskunft darüber, wie ein Szenario mit entsprechenden Alternativen hinsichtlich der regionalen, nationalen und internationalen Perspektiven aussehen könnte. In einem solchen Szenario müßten dann auch Fragen und Antworten formuliert werden, die die deutschen Interessen - und hier insbesondere die der Menschen - in den von einem umfassenden Strukturwandel betroffenen ländlichen Regionen herausstellen. Ich denke dabei vor allem an benachteiligte Gebiete: feuchte Grünlandflächen, Mittelgebirgsregionen und Flußauen. Vor allem müssen den jetzt und auch in Zukunft milchproduzierenden landwirtschaftlichen Betrieben Perspektiven aufgezeigt werden.
Es ist also zu fragen: Was sagt die Bundesregierung zu den Hinweisen, die der Brüsseler Agrarkommissar Fischler zum Beispiel in „top-agrar" aus 1/96 gegeben hat? Da muß unter anderem geklärt werden, für welche Gebiete, die Herr Fischler als Ungunstlagen bezeichnet, mit welchen Bewertungen und Hilfen - und das nicht nur im Rahmen von Garantiemengenregelungen - Konzepte in die gesamteuropäische Politik - damit meine ich nicht nur die Agrarpolitik - eingebracht werden müssen.
Klar erscheint zumindest mir schon heute - das wird auf der EU-Ebene auch von Herrn Fischler angedeutet, und ein wenig klang das für mich vorhin bei Herrn Bredehorn durch -: Eine Garantiemengenregelung in der Größenordnung und der Ausprägung wie noch 1996 wird es nach Auslaufen der jetzt gültigen Regelungen unter Berücksichtigung der ab 1998 neu beginnenden GATT-Runde im neuen Jahrtausend kaum noch geben.
Um so mehr ist für den nationalen politischen Handlungsrahmen, Herr Minister, Klarheit angesagt, zum Beispiel Klarheit darüber, ob eine Aufteilung in A-, B- und C-Quoten, etwa in der Orientierung an
Reinhold Hemker
der Regelung beim Zuckermarkt, eine Lösungsmöglichkeit bei der Milch wäre.
- Wir merken, daß klare Antworten darauf auch dann, wenn fachspezifische Beiträge gegeben werden, zumindest heute kaum möglich sind. Denn eine klare Verhandlungsposition wird unserem zuständigen Minister helfen, zum Beispiel gegenüber den EU-Mitgliedstaaten zu bestehen, die kein Interesse an einer weiteren Ausgestaltung einer Milchquotenregelung haben. Darum beteiligte und beteiligt sich meine Fraktion unter anderem mit der Großen Anfrage und dem heutigen Entschließungsantrag an einem Klärungsprozeß, der helfen soll, die Position des deutschen Agrarministers für das harte Brüsseler Geschäft zu stärken. In diesem Klärungsprozeß müssen alle Vorschläge, zum Beispiel auch die des Bundes der Deutschen Landjugend, Berücksichtigung finden.
Auf dem Hintergrund der „Eckpunkte für eine neue Agrarpolitik", die von einem breiten Bündnis getragen werden, wird gefordert, den Kapitalfluß aus den melkenden Betrieben hin zu den aussteigenden Betrieben zu verhindern.
Die Bundesregierung muß etwas dazu sagen, wie angesichts des unter anderem deswegen fehlenden Kapitals jungen Betriebsleiterinnen und Betriebsleitern geholfen werden kann. Dazu gehört auch eine Klärung der Fragen und Probleme, die sich auf die potentielle Einrichtung eines Quotenpools beziehen, der sich an sozialen und ökologischen Kriterien orientieren sollte.
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Anregungen konstruktiv-kritischer Art, die bei der Anhörung zum heutigen Thema am 27. April 1995 seitens der Experten gegeben wurden. Ich erwarte von der Bundesregierung Regelungsvorschläge im Vergleich zu den Regelungsvorschlägen anderer EU- Mitgliedstaaten.
Klar ist auch, daß die Zentralisierung insbesondere der Vermarktungsstrukturen zu immer größeren Problemen für die Anbieter von Milchprodukten geführt hat und weiterhin führen wird. Die sogenannten Regalgebühren etwa der mächtigen Ladenketten sind ein Skandal, und die „Gelegenheitsdumpings" zum Anlocken von Kunden schaden nicht nur den Anbietern der Produkte, deren Rohstoffbasis Milch ist.
Ich frage deswegen, Kollege Borchert: Gibt es Vorstellungen seitens der Bundesregierung, wie dem begegnet werden kann, damit unsere Landwirte und die Vertreter der aktiven Verarbeitungsbereiche dem nicht weiter ausgeliefert bleiben?
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die prekäre Situation der Molkereien, nicht nur in Bayern. In „topaltrar" wurde mit Blick darauf die Frage gestellt: „Bayernland vor dem Ende?" Auch der bayerische Bauernpräsident, Herr Sonnleitner, verweist hier auf Defizite im Blick auf Marktbeobachtung, perspektivische Unternehmensplanung, Finanzplanung usw.
Im Zusammenhang mit den Organisations-, Finanz- und Vermarktungsproblemen der Molkereien muß die Bundesregierung angesichts der prekären Situation der milchproduzierenden, der milchverarbeitenden und der milchvermarktenden Betriebe Konzepte im Rahmen eines Szenarios vorlegen, das - und das sage ich mit besonderer Betonung - alle Varianten ehrlich und offensiv konzeptionell darstellt. Erst dann hätten wir auch im Bundestag eine echte Entscheidungsgrundlage für die Richtungsgebung in diesem Politikbereich.
Herr Minister, verehre Kolleginnen und Kollegen, eine wirkliche Milchmarktpolitik muß eindeutig und in ihrer Gesamtheit konsequent darauf ausgerichtet sein, die Stabilität der Märkte zu garantieren. Hierzu bedarf es klarer politischer Vorgaben des Agrarministerrates. - Das war eine der Aussagen der Anhörung am 27. April letzten Jahres, damals vorgetragen, wenn ich mich recht erinnere, von einem Vertreter des deutschen Raiffeisenverbandes.
Ich wünsche, Kollege Borchert, Ihnen bei der Klärung dieser Vorgaben viel Glück und Erfolg auf der Grundlage eines deutschen Konzeptes, für das wir heute im Ansatz einige Beiträge geliefert haben. Das gilt auch für die anderen Beiträge, die hier eingebracht wurden.
Unser Antrag umfaßt einiges davon, was wir berücksichtigen müssen. Ich bitte darum, diesem Antrag zuzustimmen.
Ich erteile dem Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Jochen Borchert, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hemker, „Milch macht müde Männer munter" - zum Glück auch die SPD-Fraktion.
Ich freue mich, daß sich die SPD-Fraktion in ihrer Großen Anfrage mit dem Milchmarkt beschäftigt. Ich war sehr interessiert, die Vorschläge der Opposition zu hören. Ich wurde enttäuscht. Es war eine Fehlanzeige bei Herrn Thalheim. Aber ich muß zugeben, Herr Hemker, bei Ihnen war es sehr viel konstruktiver. Ich bedanke mich für die konstruktiven Anregungen für die Weiterentwicklung des Milchmarktes. Wenn eine Opposition nur so operiert, wie es Herr Thalheim gemacht hat, wenn sie keine eigenen Vorschläge macht, sondern sich ihre gesamte Kreativität darauf beschränkt, Lösungen von der Bundesregierung abzufordern, dann macht sich eine solche Opposition im Grunde selbst überflüssig.
Bundesminister Jochen Borchert
Meine Damen und Herren, wie ist nun die Milchgarantiemengenregelung heute zu beurteilen? Die Erfahrungen mit der Garantiemengenregelung sind im großen und ganzen gut: Die Haushaltsausgaben wurden begrenzt, die Überschüsse sind abgeschmolzen, die Milchseen sind verschwunden, die Milchproduktion hat sich auch in den benachteiligten Futterbauregionen, in den schwierigen Regionen, nachhaltig etabliert, und die Einkommen der Futterbaubetriebe sind über viele Jahre stabilisiert worden. Sicherlich könnten die Einkommen besser sein, zumal sie gerade im vergangenen Jahr erheblich unter Druck geraten sind. Hier muß man natürlich sehen - darauf hat der Kollege Deß hingewiesen -, daß man zwischen der Kritik am System und der Handhabung des Systems unterscheiden muß.
Vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen setze ich mich dafür ein, daß die Milchproduktion in der Europäischen Union über das Jahr 2000 hinaus durch eine Quotenregelung begrenzt wird.
Aus meiner Sicht gibt es derzeit zu diesem System keine sinnvolle und vor allem keine für die Bauern tragbare Alternative. Mit einer frühen Festlegung in Brüssel, für die ich im Augenblick im Rat kämpfe, soll erreicht werden, daß den Betrieben frühzeitig die notwendige Planungssicherheit für die Zukunft gegeben wird. Für mich gibt es keinen Zweifel: Trotz der strukturellen Veränderungen, die wir seit 1984 in der Landwirtschaft und im Verarbeitungssektor erlebt haben, können wir uns nicht erlauben, auf eine Quotenregelung in Europa zu verzichten.
Herr Kollege Thalheim, Sie haben ja mit einer heftigen Kritik an der Quotenregelung als planwirtschaftlichem Instrument begonnen und dann erklärt, am besten wäre es, die Quotenregelung völlig aufzuheben. Gleichzeitig ist in dem Papier der SPD von der Sicherung einer flächendeckenden Landbewirtschaftung durch Erhaltung der Milcherzeugung auf Grünlandstandorten und in benachteiligten Regionen die Rede. Beides, Herr Kollege, läßt sich nicht miteinander vereinbaren. Würden wir die Milchproduktion in Europa freigeben und etwa eine völlige Aufgabe der Quotenregelung oder eine grenzenlose Handelbarkeit der Quoten zulassen, konzentrierte sich die Produktion an den guten, den optimalen Standorten und würde an den benachteiligten Standorten aufgegeben. Damit würde mit der Milchproduktion zugleich die flächendeckende Landbewirtschaftung aufgegeben. Insofern besteht zumindest zwischen den Zielen, die Sie fordern, und Ihren weitergehenden Forderungen eine Diskrepanz.
- Was hat er nicht gefordert?
- Herr Thalheim hat gesagt, am besten wäre die Aufgabe dieses planwirtschaftlichen Instruments der Quotenregelung. Das hat er nun eindeutig gesagt. Dann hat er hinzugefügt, daß dies nicht machbar sei,
und weitergehende Vorschläge gemacht. Aber er hat eindeutig gesagt, was aus seiner Sicht am besten wäre. Das können wir ja dann auch noch im Protokoll nachlesen.
Wir jedenfalls wollen eine solche Regelung nicht. Wir wollen sicherstellen, daß mit der Quotenregelung auch in Zukunft die Milchproduktion an allen Standorten erhalten und damit eine flächendeckende Landbewirtschaftung gesichert wird. Deswegen werde ich in Brüssel weiterhin für die Fortführung der Milchgarantiemengenregelung eintreten.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal aufgreifen, was bereits Albert Deß gesagt hat. Hauptkritikpunkt ist die willkürliche Marktverwaltung durch die Kommission. Dies müssen wir in aller Deutlichkeit kritisieren.
Die Kommission muß Ausfuhrerstattungen und Beihilfen für die innergemeinschaftliche Verwendung so festsetzen, daß die Milcherzeugerpreise gestützt werden und nicht immer wieder ein Preisdruck auf die Erzeugerpreise ausgeübt wird.
Dies allein ist sicherlich für die Fortführung der Garantiemengenregelung noch nicht ausreichend. Wir müssen auch Angebot und Nachfrage wieder besser in Einklang bringen. Wir haben nach wie vor strukturelle Überschüsse. Ursache ist die viel zu hohe Quotenzuteilung von Anfang an. Mit Blick auf die Agrarstrukturen halte ich nach wie vor eine mengenmäßige Anpassung der Milchproduktion, also eine Quotenkürzung gegen Ausgleich, für einen geeigneten Weg zur Verbesserung der Perspektiven in der Milchproduktion. Ich gebe zu, daß in Brüssel noch viel Überzeugungsarbeit in diesem Bereich geleistet werden muß und daß die wenigsten Mitgliedstaaten bereit sind, diese Anpassung mitzumachen. Viele Mitgliedstaaten sehen durchaus Perspektiven in einer Anpassung über den Preis, aber diese Politik des Preisdrucks ist nicht unser Ziel. Ich meine, Preisdruck paßt nicht zu einer Politik der Mengenbegrenzung. Vielmehr muß Mengenbegrenzung über ausgeglichene Märkte stabile oder auch steigende Preise sicherstellen.
Im Hinblick auf die künftige Ausgestaltung der Milchmarktregelung - also für die Zeit nach dem Jahr 2000 - werden die unterschiedlichsten Modelle diskutiert. Viele der Modelle sind hier aufgeführt worden. Aus der Sicht der Bundesregierung ist eine frühzeitige und intensive Diskussion aller Möglichkeiten zur Weiterentwicklung notwendig. Deshalb werden wir alle Vorschläge, Herr Kollege Hemker, sehr genau prüfen und in den intensiven Diskussionsprozeß einbeziehen. Wir müssen auch prüfen, für welches der Modelle es Mehrheiten auf der Brüsseler Ebene gibt. Es hilft uns überhaupt nichts, Mehrheiten auf der nationalen Ebene zu schaffen und dann keine Mehrheiten in Brüssel zu finden.
Bundesminister Jochen Borchert
- Es hat auch in der Vergangenheit keinen Reinfall gegeben.
- Das sehe ich etwas anders, Herr Kollege.
Bei der Weiterentwicklung gibt es für mich drei Eckpunkte, die auch bei der zukünftigen Ausgestaltung der Milchquotenregelung berücksichtigt werden müssen. Erstens müssen die Milchpreise und damit die Einkommen der Futterbaubetriebe stabilisiert werden. Zweitens muß die Milchproduktion auch künftig in den schwierigen Erzeugerregionen gesichert sein. Drittens müssen aufstockungswillige Betriebe eine Perspektive erhalten.
Ohne einer weiteren Diskussion vorzugreifen, will ich sagen: Wir müssen dabei jeweils überprüfen, wie sich Modelle und Veränderungen auf landwirtschaftliche Betriebe, auf Molkereien, auf die verschiedenen Regionen und auf die Verbraucher auswirken. Das heißt: Wenn diese Modelle nicht zu einer weitergehenden Stabilisierung der Milcherzeugereinkommen führen und nicht zu einer Verbesserung der Marktstellung beitragen, dann können sie für uns nicht in Betracht kommen.
Soviel zur Ausgestaltung der Quote nach dem Jahre 2000.
Nun zur laufenden Diskussion um die innere Ausgestaltung der Quote, also der Garantiemengenregelung, bis zum Jahr 2000 und darüber hinaus in Deutschland. Die Bundesregierung hat bereits in der Vergangenheit versucht, die Position der aktiven Bewirtschafter zu verbessern, um Betriebsaufstokkungen zu erleichtern. Allerdings schränkt uns dabei die nationale Rechtsprechung hinsichtlich der Altpachtregelung erheblich ein. Gleichwohl müssen wir prüfen, wie wir den aktiven Bewirtschaftern einen erleichterten Zugang zu Quoten verschaffen können. Dazu ist eine Vielzahl von Modellen - Pool-Systeme, Beschränkung beim Leasing, mengenmäßige Beschränkung des Leasings oder Einschränkung und Abschaffung der Quotenpacht - in der Diskussion. Wenn man aber nachfragt, zeigt sich sehr schnell: Noch hat keiner den Königsweg gefunden.
Beispielsweise kann mir keiner sagen - auch ich sehe bisher keine Lösung -, wie bei dem Pool-System oder bei der Umwandlung der Quote in ein Lieferrecht - was letztlich dasselbe ist - die Verteilung der Quoten erfolgen soll. Wer soll diese Verteilung organisieren? Ich denke und ich hoffe, daß wir uns einig sind, daß dies nicht die Politik machen kann.
Die Lieferrechte müßten vorn Berufsstand oder von den Molkereiunternehmen verteilt werden. Aber nach welchen Kriterien wird verteilt? Immer wenn man hier nachfragt, wie denn Verteilung organisiert und nach welchen Kriterien verteilt werden soll, dann bleiben die Antworten aus. Das zeigt, daß über die Forderung hinaus, Lieferrechte einzuführen, meistens weitere Regelungen nicht vorhanden sind.
Darüber hinaus werde ich mich dafür einsetzen, die Sonderregelungen in den neuen Bundesländern um zwei Jahre zu verlängern, um dann nach dem Jahr 2000 in den alten und neuen Bundesländern ein einheitliches System einzuführen.
Zu Recht ist hier heute auf die Situation auf der Vermarktungsseite hingewiesen worden. Die Molkereiwirtschaft muß gewaltige Anstrengungen unternehmen, um die Vermarktungsposition zu verbessern. Auf diesem Gebiet haben wir die größten Nachteile im europäischen Wettbewerb. Wir haben die im europäischen Vergleich schlechteste Molkereistruktur und die zersplittertste Angebotsstruktur. Die Molkereien sind nur zu einem geringen Teil ausgelastet und arbeiten mit zu hohen Preisen. Es führt kein Weg daran vorbei, daß die Unternehmen durch Kooperation und Fusion ihr Angebot bündeln und dabei die erforderliche Kapazitätsanpassung vornehmen müssen. Nur wenn wir unsere Positionen gerade auch auf der Vermarktungsseite verbessern, werden wir auch zukünftig unter dem Dach der Garantiemengenregelung für Milch mit den anderen europäischen Konkurrenten mithalten können. Nur dann können wir Marktanteile in Europa sichern und ausbauen.
Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Thalheim das Wort.
Herr Minister, wenn Sie meine Rede nachlesen, werden Sie feststellen, daß ich nicht den Wegfall der Quote gefordert habe. Mein Anliegen war eine schonungslose Analyse der jetzigen Situation, weil das die Voraussetzung ist, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ich wollte vor der Gefahr warnen, noch weiter in die Sackgasse hineinzulaufen, also vor noch mehr Bürokratie, noch mehr Fehlentscheidungen warnen.
Ich kann jetzt nicht orakeln - ich war damals noch nicht hier -, ob das 1984 weise Entscheidungen waren. Fest steht jedenfalls: Die Flächenbindung war die verkehrte Entscheidung. Das war der eigentliche Sündenfall. Hätte man wie in Frankreich eine Quote auf Molkereiebene geschaffen, hätten wir heute weniger Probleme.
Kollege Deß, ich muß Ihnen widersprechen: Nicht die Richter haben die falsche Entscheidung getroffen. Sie haben nur die von Ihrem Parteifreund Kiechle damals getroffene Entscheidung zu Ende gedacht. Insofern muß man an der Stelle zur Vorsicht mahnen.
Wenn es darum geht, wie wir heute weiter verfahren, so, denke ich, können wir die Quote nicht abrupt auslaufen lassen. Ich könnte mir durchaus Elemente eines Lieferrechtes vorstellen. Ich könnte mir Regelungen vorstellen, die an die Getreideregelung anknüpfen, weil die Erfahrungen der letzten Zeit gezeigt haben, daß gerade bei der EU-Agrarreform
Dr. Gerald Thalheim
die Regelungen bei Getreide in vielen Bereichen auch eine positive Regelung am Markt zulassen. Wir müssen ernsthaft überlegen, ob dies nicht auf lange Perspektive ein Ansatz wäre. Das ist meine persönliche Meinung. Ich will sie hier gerne äußern. Aber ich will davor warnen, die Verhältnisse schönzureden.
Herr Minister, unterhalten Sie sich mit Betroffenen von Altpachtfällen. Sie werden dann erhebliche Kritik an der jetzigen Regelung und Forderungen, Korrekturen vorzunehmen, hören.
Angesprochen ist der Bundesminister. Sie haben das Wort zur Replik.
Vielen Dank, Herr Präsident. Herr Thalheim, Ihre Ausführungen sind mir unverständlich. Wenn Sie erst die Quotenregelung als ein Modell der Planwirtschaft kritisieren, das völlig versagt hat, und dann anschließend sagen, abschaffen wollten Sie es nicht, sondern Sie wollten es fortführen, dann weiß ich nicht, was die Grundsatzkritik an der Quotenregelung generell soll.
Zweitens. Sie kritisieren als den Kardinalfehler der Quotenregelung die Flächenbindung. Die Flächenbindung haben wir inzwischen längst abgeschafft. Dann hätten wir den Kardinalfehler, den Sie kritisiert haben, inzwischen beseitigt und damit Ihre Hauptkritik entkräftet. Ich denke, so einfach können wir uns die Diskussion über die Fortsetzung der Garantiemengenregelung nicht machen.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/3622. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3633 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist ebenfalls abgelehnt.
Der Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Drucksache 13/3655 soll an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zum Ausgleich der Währungsverluste in der Europäischen Union für die
deutsche Landwirtschaft auf Drucksache 13/3656 zu erweitern. Der Antrag soll jetzt gleich mit Tagesordnungspunkt 7 aufgerufen werden. Besteht damit Einverständnis? - Dies ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 und den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 10 auf:
7. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
- zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu der Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
zu den Auswirkungen der aktuellen währungspolitischen Entwicklungen in der Europäischen Union auf die Landwirtschaft
- Drucksachen 13/1401, 13/1385, 13/3308 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Gerald Thalheim Siegfried Hornung
ZP10 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.
Ausgleich der Währungsverluste in der Europäischen Union für die deutsche Landwirtschaft
- Drucksache 13/3656 -
Zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Egon Susset das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! An und für sich müßte man noch kurz auf den soeben abgestimmten Tagesordnungspunkt eingehen. Denn das, was am Abstimmungsverhalten am Schluß deutlich wurde, hat eigentlich klar bewiesen, daß man weder auf der Seite der SPD noch an anderer Stelle wußte, über was man abstimmt. Sonst hätte dieses unterschiedliche Abstimmungsverhalten nicht stattfinden können.
Wir haben Antworten der Bundesregierung auf Fragen der SPD diskutiert. Das Ergebnis der einstündigen Aussprache war, daß seitens der SPD vom Kollegen Thalheim und vom Kollegen Hemker wieder
Egon Susset
nur Fragen gestellt wurden. Wir sind also wieder da, wo wir waren, als ihr eure Fragen gestellt habt.
Aber jetzt geht es doch um einen anderen Punkt.
Da braucht man keine Fragen zu stellen, sondern da könnte man seitens der SPD seither schon klar signalisiert haben, daß sie dazu steht, daß wir den berechtigten Einkommensausgleich für die deutsche Landwirtschaft so rasch als möglich durchsetzen.
Die deutsche Landwirtschaft erhält einen Ausgleich von insgesamt rund 830 Millionen DM, je zur Hälfte Mittel der Europäischen Union und Bundesmittel.
Für 1996 werden rund 415 Millionen DM, für 1997 rund 267 Millionen DM und für 1998 rund 138 Millionen DM für weitere Beitragsentlastungen in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung bereitgestellt. Brüssel hat aufwertungsbedingte Einkommensverluste der deutschen Landwirtschaft in diesem Umfang ausdrücklich anerkannt.
Hervorzuheben ist, daß Deutschland neben Luxemburg das einzige Aufwertungsland ist, das eigene Haushaltsmittel beisteuert, um den Landwirten die Aufwertungsverluste auszugleichen. Da gilt unser besonderer Dank Bundeslandwirtschaftsminister Borchert, der die Maßnahme in Brüssel durchgesetzt hat, und unserem Bundesfinanzminister, der trotz angespannter Finanzlage ergänzend nationale Mittel bereitgestellt hat. Wir bedanken uns auch bei den Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und F.D.P.
Damit lösen wir die in der Koalitionsvereinbarung gegebene Zusage zum Ausgleich von Währungsverlusten ein. Im Agrarministerrat im Juni 1995 ist es Bundesminister Borchert gelungen, die Aufwertungsfestigkeit der Ausgleichszahlungen und der Strukturbeträge zu sichern, und zwar - das ist wichtig - bis zum Beginn der Wirtschafts- und Währungsunion, das heißt bis zur Schaffung fester Wechselkurse.
Es ist unser Kernanliegen, die deutsche Landwirtschaft in der Übergangszeit vor abrupten Währungsverlusten zu schützen. Richtig ist, daß die Landwirtschaft schon lange auf den Ausgleich wartet. Deshalb ist jetzt Eile geboten. Eine schnelle Hilfe ist nur über eine überplanmäßige Bereitstellung der notwendigen Bundesmittel möglich.
Wenn es nach der SPD gegangen wäre, müßte erst einmal ein Nachtragshaushalt beraten werden. Diese Forderung aber entlarvt schon das Gerede von einer
schnellen Hilfe für die Landwirtschaft als Lippenbekenntnis.
Es geht um Mittel des agrannonetären Ausgleichs auf Grund von Einkommensverlusten, die den deutschen Landwirten durch die DM-Aufwertung am 1. Juli 1995 entstanden sind. Diese Aufwertung hat als Folge der Festlegung der gemeinsamen Agrarpreise in der Europäischen Union die landwirtschaftlichen Preise für Marktordnungserzeugnisse in Deutschland automatisch um 2,2 Prozent sinken lassen.
Die Folge in den Abwertungsländern war ein deutlicher Preisanstieg: in Großbritannien um 8,5 Prozent, in Italien um 9,7 Prozent.
Ich spreche dies bewußt an, weil klarwerden muß, daß an einem einzigen Tag durch einen Beschluß auf der einen Seite beispielsweise für uns, die deutsche Landwirtschaft, die Preise automatisch gesenkt, und auf der anderen Seite für Länder wie beispielsweise Großbritannien und Italien - ich könnte auch andere nennen - die Preise angehoben wurden. Ich sage dies deshalb, um all jenen, die heute, wie in der Presse zum Ausdruck kommt, schon wieder kritisieren, daß die deutsche Landwirtschaft in Zeiten knapper Kassen wiederum mit Subventionen bedacht wird, zu sagen: Das sind keine Subventionen, sondern Ausgleichsleistungen, die der gemeinsamen Agrarpolitik wegen notwendig sind.
Ich wünschte mir, das man in der Presse, nicht nur in der Fachpresse, sondern auch in der überregionalen Presse, einmal klarmachte, daß es einen Unterschied zwischen den Währungsverlusten, die im gewerblichen Bereich bestehen, und denen, die im landwirtschaftlichen Bereich bestehen, gibt.
Ich glaube, dann wäre es viel leichter möglich, in der Öffentlichkeit Verständnis dafür zu schaffen. - Es geht also nicht um neue Subventionen, sondern um den Ausgleich.
Daß die jetzt beschlossene Verwendung der Ausgleichsmittel über die Unfallversicherung bei der Opposition wieder auf Kritik stößt, ist für mich nicht verwunderlich. Verwunderlich ist aber, daß so getan wird, als gäbe es realistische Alternativen. Wider besseres Wissen hält die SPD auch heute noch ihre Forderung nach gezielten Hilfen für die Währungsgeschädigten aufrecht, obwohl sie weiß, daß eine solche Lösung nicht möglich ist.
Auch uns wäre ein gezielter Einsatz der Gelder beispielsweise über die Produktion, wenn es über die Mehrwertsteuer möglich gewesen wäre, lieber. Auch uns wäre es lieb gewesen, wenn wir etwas für die strukturelle Weiterentwicklung der Betriebe, für die Verbesserung der Marktstruktur hätten tun können. Dies wäre aber einfach nicht durchsetzbar gewesen. Bekanntlich haben Brüssel und, wenn es um die Verbesserung der Vermarktungs- oder anderer Struktu-
Egon Susset
ren geht, auch die Bundesländer diesen Weg blokkiert; denn sie haben unisono nach außen erklärt, daß sie nicht bereit seien, sich finanziell zu beteiligen. Wenn sie sich nicht finanziell beteiligen, können wir es nicht durchsetzen. Es gab also keinen Spielraum, den Anteil der national bereitgestellten Mittel anders einzusetzen.
Die Forderung, die tatsächlichen Währungsverluste auszugleichen, vernebelt die Tatsachen. Wer dies fordert, sollte auch sagen, welche Konsequenzen dies hätte.
Konsequenz wäre ein sehr aufwendiges Verfahren mit Einzelanträgen und -nachweisen für jeden Betrieb. Das hat keiner gewollt. Das kann keiner wollen. Denn dies paßt auch nicht zu der gleichzeitig angemahnten schnellen unbürokratischen Hilfe.
Im übrigen ist eine exakte Berechnung der Einkommensverluste für die einzelne Produktionsart und für den einzelnen Betriebsstandort sehr schwer.
Ich weiß, daß die von uns favorisierte Mehrwertsteuerlösung einen umsatzbezogenen Ausgleich ermöglicht hätte, aber es gab hierfür keine Zustimmung.
Deshalb haben wir, nachdem Brüssel grünes Licht gegeben hat und der Berufsstand dies auch mitträgt, die Beitragsentlastung in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung als alles in allem zweitbeste Lösung und die einzige pragmatische Alternative angesehen.
Wir meinen, daß diese Beitragsentlastung unbürokratisch und rasch, ohne Gesetzgebungsverfahren verwirklicht werden kann. Aber dies geht nur mit einer Pauschalregelung, die natürlich im einzelnen zu Vor- und Nachteilen führen kann.
Die Verteilung über die Berufsgenossenschaft trägt dem berechtigten Verlustausgleich für die betroffenen Betriebe am ehesten Rechnung,
weil dabei auch die betrieblichen Strukturen berücksichtigt werden.
Meine Damen und Herren, Sie haben dieser Tage eine Antwort der Bundesregierung betreffend die Beitragsgestaltung der landwirtschaftlichen Unfallversicherung in den neuen Bundesländern auf den Tisch bekommen. Ich hoffe, daß Sie diese Antwort schon studiert haben. Wenn Sie sie gelesen haben, werden Sie die seither gemachten Äußerungen gegen diese Regelung nicht mehr zum Ausdruck bringen, weil in der Antwort klar und deutlich gesagt wird, wie so etwas wirkt.
- Jetzt kommt er wieder mit seinen 17 Prozent.
Dabei weiß er doch genau, daß Brüssel erklärt hat, daß über den Verkaufserlös nicht ausgeglichen werden darf. Das sollte man ja irgendwann einmal akzeptieren, auch wenn man 1984 die Milchquotenregelung hier nicht hat erleben können. Wenn man guten Willens ist, dann kann man endlich auch einmal akzeptieren, daß eine 17- oder 15-Prozent-Regelung in Brüssel nicht möglich ist. Das sollten auch Sie einmal zur Kenntnis nehmen, Herr Dr. Thalheim.
Ich meine, die unqualifizierten Attacken der SPD gegen diese Regelungen, auch die des Herrn Ministerpräsidenten Schröder - auch dazu gibt es Pressemeldungen -
sind sicherlich nicht dazu geeignet, die Probleme, wie sie die Landwirtschaft nun tatsächlich auf Grund dieser Währungsverschiebungen hat hinnehmen müssen, nun auch tatsächlich zu lösen.
Die Währungsprobleme in der EU werden erst durch eine Währungsunion, das heißt durch die Schaffung fester Wechselkurse gelöst. Daher ist die deutsche Landwirtschaft auf die Einführung einer gemeinsamen Währung angewiesen. In der Übergangszeit müssen Einkommensverluste auf Grund von Aufwertungen auch zukünftig ausgeglichen werden. Deshalb unterstützen wir den Bundeskanzler, die gesamte Bundesregierung sowie unsere Außenpolitiker, daß sie ihren Weg in die Europäische Währungsunion konsequent weitergehen, denn erst dann haben wir als deutsche Landwirtschaft auch die Chance, als ein in einer starken Währung produzierender Wirtschaftszweig von dem etwas zu profitieren, was man eigentlich von einer starken Währung erwarten könnte. Im Moment ist es leider noch nicht der Fall.
Die Redezeit!
Meine Damen und Herren, ich bitte, daß Sie nachher den Antrag, den die SPD zu der Beschlußempfehlung eingebracht hat, ablehnen. Wir haben ebenfalls einen Antrag eingebracht.
Die Redezeit, Herr Kollege!
Diesen werden wir dann überweisen. Ich danke schön.
Ich versuche zuerst immer ohne Mikrophon, dem Redner von hinten zu sagen, daß die Redezeit abgelaufen ist. Dann sage
Vizepräsident Hans Klein
ich es etwas lauter, dann mit Mikrophon; aber manche sind unbeirrbar.
Das Wort hat der Kollege Horst Sielaff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Bäuerinnen und Bauern haben - da sind wir uns einig - durch die Aufwertung der Grünen Kurse Einkommensverluste erlitten. Auch wir sind dafür, daß diese Verluste ausgeglichen werden.
Wir kritisieren allerdings das Wie der geplanten Maßnahmen. Die Handhabung dieses Ausgleichs ist, wie ich meine, ein Lehrstück besonderer Art. Es dokumentiert die Ziele und Konzeptlosigkeit dieser Bundesregierung. Die Bauern zahlen jetzt die Zeche für die verfehlte Strategie von Minister Borchert.
Meine Damen und Herren, es ist schon erstaunlich, wie der Bauernpräsident Heeremann die Bundesregierung über die Maßen lobt und der SPD unterstellt, sie wolle den Währungsausgleich verhindern. Diese einseitige Parteinahme des Bauernpräsidenten zugunsten der CDU/CSU schadet der gesamten Bauernschaft. Auch dies sollte einmal deutlich gesagt und zur Kenntnis genommen werden.
Erinnern wir uns: Die Minister Borchert und Waigel haben noch auf die Mehrwertsteuerlösung gesetzt, als schon längst klar war, daß weder der Rat der Agrarminister noch der Rat der Finanzminister das mitmachen würden.
Selbst die Erklärung der Angelegenheit zur Chefsache war nicht hilfreich. Die Intervention von Bundeskanzler Kohl bei Premierminister Major war erfolglos. Wenn Verzögerungen beim Währungsausgleich eintreten, meine Damen und Herren, dann ist der Agrarminister schuld, der zu lange allein auf die Vorsteuerpauschale setzte und nicht frühzeitig andere Alternativen erarbeiten ließ.
Minister Borchert hat mit seinem Verhalten die Bäuerinnen und Bauern in dem Glauben gelassen, auch er unterstütze die Forderung der Führung des Deutschen Bauernverbandes -
- hören Sie zu! - nach Anhebung der Vorsteuerpauschale um zwei Prozentpunkte.
Mit seinem persönlichen Engagement bei der Bauerndemonstration am 17. Oktober vorigen Jahres hat er das verdeutlicht. Ich weiß, er hat diese Forderung nicht direkt erhoben, aber sein stillschweigendes Einverständnis mit den Forderungen der Bauerndemonstration und sein Auftreten dort mußten jedoch
jeden in diesem Glauben lassen, meine Damen und Herren.
Und was ist nun das Resultat? Insgesamt erhalten die Bäuerinnen und Bauern 830 Millionen DM, degressiv verteilt auf drei Jahre.
- Nicht sehr gut. Denn das ist etwa die Hälfte von dem, was gefordert und stillschweigend von Bundesregierung und Koalitionsparteien unterstützt wurde.
Dieses Geld soll jetzt verregnet werden. Ein sozialpolitisches Instrument, die Unfallversicherung, wird dafür mißbraucht. Der Bundesregierung ist nur eines wichtig: Vor den Märzwahlen in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein sollen die Bauern dort wissen, daß jeder etwas bekommt. Zum Dank hofft man dann auf das Kreuz an der richtigen Stelle.
Ich weiß, meine Damen und Herren, die Gießkanne in der Hand eines guten Gärtners wirkt segensreich. Die Bundesregierung jedoch wendet noch nicht einmal eine Gießkanne an. Das zur Verfügung stehende oder - sollte ich besser sagen - noch zur Verfügung zu stellende Geld wird räumlich, sachlich und betrieblich unbegrenzt verregnet, besser noch: verrieselt.
Das ist eher das Prinzip einer Sprinkleranlage. Sie wissen sicherlich alle, meine Damen und Herren, daß die zur Verhinderung von Bränden da ist.
Im Ergebnis kommt es dabei zu Ungleichbehandlungen von landwirtschaftlichen Unternehmen: a) gleicher Größe, b) zwischen alten und neuen Ländern und c) zwischen Unternehmen in Gebieten mit unterschiedlichem Unfallrisiko - ein Unterfangen, aus Not geboren, aber nicht zielgerichtet und für Betroffene ungerecht. Mit dem Ausgleich währungsbedingter Einkommensverluste hat das alles nichts zu tun.
Die Bundesregierung weiß nicht einmal annähernd, bei wem oder bei welcher Betriebsform denn überhaupt die währungsbedingten Einkommensverluste entstanden sind. Vielleicht will sie das auch gar nicht wissen. Zu viele Informationen könnten verhindern, daß sie ihre Verrieselungsinstrumente oder Wahlgeschenkmaschine glaubwürdig in Gang setzen kann.
Unsere Frage nach dem Ort des Entstehens währungsbedingter Einkommensverluste hat sie noch Ende Dezember 1995 mit Ausflüchten beantwortet.
Horst Sielaff
Im Grunde genommen haben wir überhaupt keine Antwort bekommen.
Lieber Herr Hornung, Sie sind heute ausgezeichnet worden. Sie sollten sich auch dementsprechend hier im Parlament verhalten und nicht andauernd durch dumme Sprüche hier den Redner am Reden zu hindern versuchen.
Meine Damen und Herren, bis heute wurden nur Hoffnungen geweckt, bis heute hat im Gegensatz zu Landwirten in anderen Mitgliedsstaaten noch kein deutscher Bauer, noch keine deutsche Bäuerin eine Mark gesehen. Das ist die Bilanz dieser Bundesregierung am Ende des ersten Quartals in der 13. Legislaturperiode.
Eingangs habe ich gesagt, das Handeln der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Ausgleich sei ein besonderes Lehrstück in puncto Ziellosigkeit. Da wird 1993 von der Bundesregierung und ihrem neuen Landwirtschaftsminister mit viel Getöse das Agrarkonzept „Der künftige Weg - Agrarstandort Deutschland sichern" herausgebracht. Zum „zentralen Ziel" wurde eine „leistungs- und wettbewerbsfähige, marktorientierte und umweltverträgliche Landwirtschaft" erhoben. Die unzureichende Wettbewerbsfähigkeit großer Teile der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft sollte zielstrebig verbessert werden.
So wurde es zumindest mit viel Aufwand und Steuergeldern in bunten Broschüren verkündet, und viele haben daran geglaubt.
Und was ist das Ergebnis Borchertscher Politik? - Die Fördermittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" werden laufend gekürzt -
Fördermittel, die helfen könnten, die gesteckten Ziele zu realisieren. Zusätzlich bereitgestellte Mittel werden auch hier breitestmöglich gestreut, ganz gleich, ob die Betriebe durch die Agrarreform besonders bevorzugt werden wie der Marktfruchtbau oder wie die Veredlungsbetriebe schwierige Phasen zu bestehen haben.
An der Basis rumort es, wie ich meine, mit Recht. Viele Bäuerinnen und Bauern sind enttäuscht; Borchert ist nicht der Zukunftsminister, für den ihn viele zu Beginn seiner Amtszeit gehalten haben. Er ist in erster Linie ein Ankündigungsminister.
Die Aufblähung des Beamtenapparates zu Beginn seiner Amtszeit mit Schaffung einer neuen Kommunikationsabteilung trägt faule Früchte, Früchte, die dem viel propagierten schlanken Staat nicht gut zu Gesichte stehen und die den Bäuerinnen und Bauern nicht helfen. Statt dessen kosten derart überflüssige Dinge nur ihr und unser aller Geld.
Wir Sozialdemokraten haben die Bundesregierung aufgefordert, die zur Verfügung stehenden Mittel
aus Brüssel und aus Bonn gezielt einzusetzen. Mit unserem Antrag haben wir aufgezeigt, wie das gemacht werden soll. Der Ausgleich muß da erfolgen, wo der Verlust entstanden ist.
Ansatzpunkt müssen die Marktordnungsbereiche sein, die von der Währungsverschiebung betroffen sind. Die zusätzlich aus der Bonner Kasse den deutschen Bäuerinnen und Bauern zugesagten Mittel sind nach unserer Auffassung zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit in Produktion und Vermarktung und zur Verbesserung der Umweltverträglichkeit der Landbewirtschaftung einzusetzen.
Jede Mark, die für Investitionsförderung aufgewendet wird, ist im Interesse des Erhaltes und des Ausbaus der ländlichen Wertschöpfung besser angelegt als die ziellose Verregnung. Eine solche Politik wäre auch ein Beitrag zum Abbau der hohen, von der Bundesregierung zu verantwortenden Arbeitslosenzahlen in vielen ländlichen Gebieten.
Meine Damen und Herren, jetzt planen Bundesregierung und Regierungsparteien offensichtlich die Streichung von Subventionen für die Landwirtschaft, wie man vielerorts hört, natürlich erst nach den März-Wahlen. Erst wird mit den 415 Millionen DM etwas gegeben; wenige Wochen später wird wieder einkassiert, sicher mehr als 415 Millionen DM in drei Jahren. So werden die Bäuerinnen und Bauern von dieser Bundesregierung verschaukelt.
Wir brauchen endlich wieder eine verläßliche Politik, eine Politik, die die gegenwärtigen Probleme und die absehbaren Entwicklungen aufnimmt und entsprechend handelt. Dazu gehört auch die enge Verzahnung mit den so bedeutsamen ökologischen Fragestellungen und anderen Politikbereichen.
Unser Antrag, für den ich Sie um Zustimmung bitte, weist in diese Richtung.
Das Resümee Ihrer Aktion, Herr Borchert, fällt nicht schwer: erst hoch gepokert und verloren; außerdem: viel versprochen und wenig erreicht. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Wir wollen, daß die Landwirte ihren Ausgleich erhalten. Aus dem Grunde haben wir dem zugestimmt. Den Weg halten wir für falsch.
Ich bedanke mich.
Frau Kollegin Lisa Peters, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und meine Damen! Ich muß versuchen, das, was ich sagen will, in fünf Minuten loszuwerden. Wir haben eigentlich zwei Themen. Ich will es trotzdem versuchen.
Herr Sielaff, Sie halten doch wohl unsere deutschen Bauern und Bäuerinnen nicht für so dumm,
Lisa Peters
daß sie auf Grund irgendeiner Zuwendung diese oder jene Partei, welche auch immer, wählen. Das sind Dinge, die 30 oder 40 Jahre alt sind. Damals hat man davon gesprochen. Das kann wohl nicht sein.
Ich möchte die wenigen Minuten, die ich zur Verfügung habe, unter ein anderes Thema stellen. Ich habe mir überlegt: Wir Landwirte waren die ersten, die die Wirtschaftsgemeinschaft 1957 mitmachen mußten. Das ist schon lange her. Wir kennen die EU - das hat sich schon durch die Milchdiskussion gezogen und wird sich auch beim nächsten Tagesordnungspunkt fortsetzen - mit allem Wenn und Aber. 35 Jahre lang sind die Landwirte und die Bäuerinnen vorweggeturnt, und erst dann kamen alle anderen auf den Dampfer, nämlich erst seit 1993. Ich will das an dieser Stelle einfach mal sagen.
Ich sage es auch aus dem Grunde - Frau Höfken, Sie haben schon darauf hingewiesen -, weil mich der Artikel in der „Welt" von heute schon gestört hat. Dort geht man von einem Einkommen von 46 000 DM aus und behauptet, das sei sehr viel, und davon solle man auch noch investieren. Ich will nur daran erinnern, daß Landwirte und Landwirtinnen 35 Jahre lang erst in der EG und dann in der EU vorweggeturnt sind und daß wir nicht immer Freunde in den anderen Wirtschaftsbereichen hatten. Das alles hat sich nach meiner Ansicht geändert, seitdem alle Berufsgruppen der EU unterworfen sind, was wir ja wollen. Alle Berufsgruppen spüren plötzlich die Konkurrenz und wissen nicht mehr, wie sie weiterkommen sollen. Ich erinnere nur an die Bauwirtschaft. Ich erinnere an den Schlepperkrieg im Hamburger Hafen.
Das heißt, wir alle sitzen in einem Boot. Für die F.D.P. kann ich sagen, daß wir dieses Boot wollen und daß wir es auch weiter ausbauen wollen.
- Der Steuermann und die Steuerfrau fehlen nicht! - Wenn dieses Boot nämlich schon weiter ausgebaut wäre, bräuchten wir uns heute nicht zu unterhalten. Wenn wir schon die Währungsunion hätten, hätten wir uns diese Diskussion heute ersparen können.
Das haben wir alles nicht.
Ich überschlage jetzt einige Dinge und komme zu einem anderen Punkt. Herr Borchert, Sie sind gerade fürchterlich kritisiert worden. Sicherlich waren die Ansätze, von denen Sie ausgehen mußten, anders. Aber letzten Endes ist etwas erreicht worden. Ich weiß nicht, ob im großen und ganzen mehr als 830 Millionen DM hätten erreicht werden können, 830 Millionen DM, die wir insgesamt ausgeben können.
- Ja, wir sind dafür verantwortlich. Wir haben ein Mandat im Deutschen Bundestag und können das jetzt ausgeben, 450 Millionen DM aus der EU und 450 Millionen DM aus den deutschen Töpfen. Dazu stehe ich, und dazu bekenne ich mich auch. Ich denke, dazu haben auch Sie gestanden. Jedenfalls
habe ich es bisher so gehört, und Sie haben es eben auch noch einmal erwähnt.
Ich bin all denen dankbar, die das bisher mitgemacht haben. Ob es die richtige Lösung ist, das auszuschütten, ist eine andere Sache.
Aber sicher gab es im Moment keine andere Lösung.
Es kommt jetzt darauf an, daß diese Dinge ganz schnell an den Mann, an die Frau, an den Bauern, an die Bäuerin kommen. Die Erstattung über die Unfallversicherung wird nach meiner Meinung nicht ganz, nicht zu 100 Prozent funktionieren. Aber ich denke, zu 90 Prozent hat sie Gerechtigkeit. Das können Sie auch nachrechnen. Es handelt sich um eine Lösung, die man sofort einsetzen kann und die dort ankommt, wo sie eigentlich benötigt wird. Wir haben ja schon seit längerer Zeit diesen Währungsausgleich vermißt, und deshalb muß das einfach so laufen. Ich denke, daß auch die Betroffenen das zu werten wissen. Ich meine, daß die Auszahlung über die Berufsgenossenschaften das Richtige ist, weil keine zusätzlichen Kosten entstehen.
Noch kurz zu der Pauschale von 9,5 Prozent. Auch das ist gerechtfertigt, auch wenn der Bundesrechnungshof zu anderen Schlüssen gekommen ist und wenn alle Unterlagen, die vom Bundesrechnungshof an den Haushaltsausschuß übersandt worden sind, wenn ich das richtig gelesen habe, bewirkt haben, daß man alles noch einmal überdenken will. Davor, daß man eventuell alle buchführungspflichtigen Landwirte dazu verpflichtet, nicht mehr zu pauschalieren, kann ich nur warnen. Letztendlich wird es das nicht bringen. Allerdings wird es die einzelne Bäuerin oder den einzelnen Bauern auf dem Hof sehr viel kosten. Für jene 1000 DM, die dort irgendwo angesetzt sind, ist das Ganze nicht zu haben.
Ich weiß nicht, ob es denen, die keinen landwirtschaftlichen Betrieb haben, bekannt ist, daß man schon für einen ganz normalen Betrieb, auch wenn man selbst die Vorarbeiten leistet, heute Buchführungskosten zwischen 3 500 und 5 000 DM hat. In dieser Summe sind die Steuerberatungskosten nicht immer einbegriffen. Das geht über Landvolkverbände. Irgendwo muß man auch einmal sehen, daß man zwar auf der einen Seite etwas gibt, aber auf der anderen Seite wesentlich mehr wegnimmt.
Eine vollständige Gerechtigkeit werden wir in bezug auf diesen Punkt auch nicht erreichen; das müssen wir uns einfach sagen lassen.
Für unsere Fraktion kann ich sagen, daß diese Dinge - man kann sich immer etwas Besseres oder Gerechteres vorstellen -, wie wir sie heute einläuten und auf den Weg bringen, eine Lösung sind. Wir haben es gewollt; wir haben lange darüber geredet. Ich denke, dann sollten wir diesen Schritt tun und zustimmen, uns entsprechend verhalten und das
Lisa Peters
auch nach draußen deutlich machen. Wir jedenfalls können damit leben.
Das Wort hat die Kollegin Ulrike Höfken.
Herr Susset, ich fand, es war nicht passend, daß Sie gesagt haben: Die Forderungen der SPD nach einem Nachtragshaushalt entlarve das Gerede der SPD von einem schnellen Ausgleich. Ich denke, das war nun wirklich nicht das Wahre.
Was wir erlebt haben, war doch nun tatsächlich ein regelrechtes Theater im ganzen letzten Herbst. Es wurde am 17. Oktober eine Bauerndemo organisiert. Diese bezog sich auf die Vorsteuerpauschale.
Das war sozusagen die Ruhigstellung der aufgebrachten Bauern in einer Hallendemonstration.
Ich denke, das war ein Mißbrauch der Bauern für eine solche Vorführung.
Ich fand es auch nicht in Ordnung, daß das Parlament jetzt bei der Entscheidung über die Auszahlung des Währungsausgleiches im Prinzip derart hintergangen oder ausgeschaltet wurde.
- Nein. Wir haben jetzt das Ganze über überplanmäßige Leistungen und über den Bundesrat, das heißt ohne Debatte im Parlament, abgewickelt.
Ich denke, genau das, was Frau Peters gerade gesagt hat, hätte einer Diskussion über die Europäische Union, über die Probleme gerade der Landwirtschaft, über die Fragen in bezug auf die Hinführung zu einer gemeinsamen Währung und auch über die einzelnen Schritte, die dafür notwendig sind, bedurft. Denn es ist doch wirklich wahr, daß die Landwirtschaft in dieser Beziehung immer Vorturner gewesen ist und daß es wirklich einmal nützlich gewesen wäre, hier vor dem versammelten Haus - dann wären nämlich alle gekommen - diese Situation im einzelnen zu klären.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kalb?
Ja.
Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich auf Wunsch der SPD auch der Bundesrechnungshof mit der Frage befaßt hat, ob ein Nachtragshaushalt notwendig ist oder nicht, und daß er in dem Schreiben, das er uns, den Mitgliedern des Haushaltsausschusses, zur gestrigen Beratung zugeleitet hat, zu folgender Auffassung kommt? - Ich zitiere:
Die Entscheidung des BMF, die Mehrausgabe als unabweisbar und unvorhergesehen im Sinne des Art. 112 Satz 2 GG anzuerkennen, ist vertretbar.
Und dann als Ergebnis:
Die Einwilligung des BMF vom 18. 01. 1996 zu der vorgenannten überplanmäßigen Ausgabe ist aus haushaltsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
Die Fragestellung der SPD zielte aber auf etwas anderes.
Nein, ich bestreite überhaupt nicht, daß es möglich ist, so zu verfahren. Nur finde ich es politisch falsch. Es ist im Grunde genommen eine Kapitulationserklärung.
Diese Vorgehensweise legt ja nun leider Gottes den Verdacht nahe, daß es sich hier um eine Verschiebepolitik, um eine Lobbypolitik handelt. Ich denke, das hätte man wahrhaftig ausräumen können.
Dazu gehört natürlich auch - darum haben wir diesen Antrag heute geschrieben -, daß die Koalition darlegt, wie sie sich den ganzen Währungsausgleich in Zukunft vorstellt. Zum einen ist es so, wie die Kollegen von der SPD und Frau Peters auch sagten, daß es keinen vollständigen Ausgleich für die währungsbedingten Verluste gibt, sondern ausschließlich für die Aufwertungsverluste vom Juli 1995. Es wäre redlicher, zu sagen, daß man nur das ausgleichen kann und ausgleichen wird, als die Leute in der Illusion zu lassen, sämtliche währungsbedingten Verluste würden ausgeglichen.
Zum anderen finde ich auch eine Überprüfung gerechtfertigt, um die Vorwürfe zu entkräften, es handele sich hier um eine neue Art von Subventionspolitik, die es tatsächlich nicht ist. Es gilt auch, eine Überprüfung dieser Maßnahme, die jetzt getroffen ist, festzulegen. Darum ein entsprechender Antrag.
Als letztes noch zu den Forderungen der SPD, was die Verregnung angeht. Hier würde ich die Auszahlung über die Berufsgenossenschaften anders bewerten, weil es den soziostrukturellen Ausgleich vorher gegeben hat, der die Flächenstaatenbetriebe begünstigt hat, und weil die Verluste zumindest in den süddeutschen viehhaltenden Betrieben massiver aufgetreten sind als in anderen. Insofern gibt es dort schon eine gewisse Gerechtigkeit, die jetzt im Vergleich der Auszahlungsmodalitäten festzustellen ist.
Danke schön.
Herr Kollege Dr. Günther Maleuda, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ernährungsausschuß hat auch mit der Stimme der PDS beschlossen, die von den Fraktionen der CDU/CSU, der F.D.P. sowie der SPD eingebrachten Entschließungsentwürfe als erledigt zu erklären. Heißt das aber, daß damit die in den Anträgen angesprochenen Probleme insgesamt gelöst sind? Ja und nein. Ja, weil erreicht wurde, daß die Ausgleichszahlungen im Rahmen der EU-Agrarreform trotz der Währungsschwankungen unverändert bzw. stabil bleiben und inzwischen den Bauern auch ein Ausgleich für die währungsbedingten Verluste aus EU- und Bundesmitteln zugesagt ist.
Jetzt ergibt sich für mich allerdings die Frage auch im Zusammenhang mit dem heute eingereichten Antrag der Regierungskoalition: In Punkt 3 geht es darum, die Mittel möglichst bald bereitzustellen. Wenn ich mich recht erinnere, ist in der Ausschußsitzung am 17. Januar darüber gesprochen worden, daß die Mittel etwa ab Mitte Februar eingesetzt werden sollten. Es wäre schon interessant, zu wissen, was man unter „möglichst bald" verstehen kann.
Andererseits gibt es Probleme, die nicht gelöst sind, weil die von künftigen Währungsänderungen und den unterschiedlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den einzelnen EU-Staaten ausgehenden Wirkungen auf die Landwirtschaft, die Absatzmöglichkeiten, die Agrarpreise und landwirtschaftlichen Einkommen bestehengeblieben sind. Auch in Zukunft werden Landwirte in Belgien zum Beispiel je Liter Diesel netto 33 Pfennig, in Deutschland 57 Pfennig zahlen. Die Liste der Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen.
Als Heilmittel zur Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen wird nun die schnelle Einführung einer einheitlichen europäischen Währung gefordert. Wenn allerdings von gleichen Wettbewerbsbedingungen die Rede ist, dann werden sie nicht daran gemessen, wie gleiche Lebensbedingungen in der EU erreicht werden können, sondern an den Bedingungen für die eigene Kapitalverwertung.
Welche Konsequenzen die Einführung einer einheitlichen Währung in den Ländern unterschiedlicher Produktivität hat, kann man besonders anschaulich an den ökonomischen Wirkungen der Währungsunion in Ostdeutschland studieren.
Tatsache ist, daß vom EU-Binnenmarkt vor allem wirtschaftlich starke Standorte profitieren. Die Produktion wandert auf die besseren Standorte und zum besseren Wirt. Die starken Agrarbetriebe in der Bundesrepublik setzen - das belegen auch Diskussionen auf der „Grünen Woche" - offensichtlich auf das gleiche Konzept. Nicht zu übersehen ist: Konkurrenzerfolge Deutschlands sind letztlich Markt- und Arbeitsplatzverluste der anderen und umgekehrt. Das erleben wir zum Beispiel in der Schlachtschweinproduktion. Wenn wir etwa 11 Millionen Schlachtschweine importieren, deutet das letzten Endes auf wechselseitige Probleme zwischen den Ländern.
Dieses Nullsummenspiel, bei dem die einen Gewinner auf Kosten der Verlierer sind, ist unseres Erachtens sozial nicht zu verantworten und gefährdet letztlich die Zukunft vieler, möglicherweise aller. Gegen diese Politik werden wir opponieren und versuchen, durch Vorschläge auf Veränderung zu drängen.
Ich danke Ihnen.
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Jochen Borchert das Wort.
Herr Kollege Sielaff, Ihre Rede war der Versuch, der Auszahlung der Mittel einerseits zuzustimmen, sie andererseits heftig zu kritisieren. Wenn Sie kritisieren, der Ausgleich über die Berufsgenossenschaft sei eine pauschale Lösung, so muß ich Ihnen sagen, daß eine Auszahlung über die Mehrwertsteuer eine genauso pauschale Lösung ist. Ich kann nicht auf der einen Seite einer pauschalen Lösung zustimmen und sie auf der anderen Seite ablehnen.
Die 830 Millionen DM sind der Ausgleich für die aufwertungsbedingten Einkommensverluste. Die Regelung in Brüssel schließt definitiv aus, daß die Mittel im Bereich der einzelbetrieblichen Förderung oder bei der Förderung von Absatz eingesetzt werden.
Die Regelung läßt zwei Möglichkeiten offen: erstens Einzelanträge zu stellen und zweitens eine pauschale Lösung. Ich glaube, daß der Weg über Einzelanträge nicht gangbar ist; denn man muß die damit verbundene Bürokratie bedenken. Deswegen ist die pauschale Lösung über die Berufsgenossenschaft der richtige Weg. Wie bei jeder pauschalen Lösung gibt es natürlich Betriebe, bei denen man nachweisen kann, daß sie dabei schlechter oder besser abschneiden. Wer das verhindern will, muß sagen: Ich will Einzelanträge. Ich hätte bei Ihrer Kritik erwartet, daß Sie hier fordern: Jeder Betrieb muß Einzelanträge stellen. Dann müssen wir sehen, was am Ende dabei übrigbleibt.
Sie haben kritisiert, wir würden erst nach dem 24. März offenlegen, in welchem Umfang Subventionen in der Landwirtschaft gekürzt werden. Herr Sielaff, das ist immer der Nachteil, wenn man sich auf Meldungen bestimmter Magazine verläßt. Dies ist eine Fehlmeldung. Das vom Kabinett verabschiedete Programm sieht keine Kürzung bei Subventionen in der Landwirtschaft vor. Insofern sollten Sie solche Horrormeldungen nicht weiter verbreiten.
Es steht mir sicher nicht an, den Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes zu verteidigen. Aber Sie können natürlich nicht von ihm erwarten, daß er auf der einen Seite die gute Agrarpolitik der Koalition nicht lobt, auf der anderen Seite aber die schlechte Agrarpolitik der SPD lobt. Ich glaube, das
Bundesminister Jochen Borchert
geht zu weit - auch in einer Forderung gegenüber dem Berufsstand.
Herr Kollege Sielaff zur Replik.
Herr Minister, ich möchte nur wenige Sätze zu dem sagen, was Sie angesprochen haben; denn Sie haben hier nichts Neues vorgebracht.
Die Wiederholung Ihrer Aussage, der Weg über die Unfallversicherung sei ein guter Weg, macht diesen Weg nicht besser. Ich habe sehr genau gehört, daß innerhalb der Regierungskoalition in diesem Zusammenhang durchaus differenziert argumentiert worden ist. Ich erinnere daran, was die Kollegin von der F.D.P. dazu gesagt hat.
Ich werfe der Bundesregierung vor, daß sie nicht frühzeitig Alternativen erarbeitet hat, die wahrscheinlich besser gewesen wären. Vielmehr haben Sie einseitig gehofft und darauf gesetzt, mit Ihren Vorstellungen in Brüssel durchzukommen. Dies werfen wir Ihnen vor: Sie haben nicht lange genug nach Wegen gesucht.
Ich habe ausdrücklich gesagt: Da wir den Ausgleich wollen, nehmen wir diesen Weg an, wir halten ihn aber für den falschen.
- Lieber Herr Minister Borchert, Sie wissen doch genau, daß die Regierung einen ganz anderen Apparat hat als eine Oppositionsfraktion.
Sie sollten doch wohl in der Lage sein, innerhalb eines Jahres Alternativen zu errechnen. Sie wissen auch, daß unser Angebot sehr früh stand, daß wir bereit gewesen wären, mit Ihnen über Alternativen nachzudenken. Sie haben dieses Angebot der SPD nicht angenommen.
Ich höre es sehr gern, wenn Sie sagen, die Meldungen und das, was man aus den Ministerien hört, daß im Agrarbereich gekürzt werden soll, seien falsch. Wir werden sehr genau darauf achten, ob Sie in den nächsten drei Jahren - auf diesen Zeitraum habe ich mich bezogen - im Agrarbereich wirklich keine Kürzungen vornehmen werden. Sollte das so sein, werden wir Sie zu gegebenem Anlaß auch entsprechend positiv bewerten.
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 13/3308. Der Ausschuß empfiehlt, die Entschließungsanträge auf Drucksachen 13/1401 und 13/1385 für erledigt zu erklären. Dazu liegen je ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor.
Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/3627 ab. Wer für diesen Antrag der SPD stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt ist.
Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3647 ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD und bei Zustimmung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS abgelehnt ist.
Dann stimmen wir über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ab. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Antrag einstimmig angenommen worden ist.
Der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zum Ausgleich der Währungsverluste in der Europäischen Union für die deutsche Landwirtschaft auf Drucksache 13/3656 soll an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes
- Drucksache 13/3495 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
- Drucksache 13/3638 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Schindler
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Norbert Schindler das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir unterhalten uns über die Änderung des § 24 des Umsatzsteuergesetzes, wobei es darum geht, die tatsächlichen Werte im Gesetz anzupassen, nämlich die Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft von 9 auf 9,5 Prozent anzuheben.
Es ist im Vorfeld der Diskussion über diese Änderung auch ein Bericht des Bundesrechnungshofes und da der Bezug auf die Jahre 1991/92 diskutiert worden. Ich will dabei festhalten, daß bei einem Vergleich der Jahre 1991/92 mit der heutigen Situation - wir hoffen, daß das Gesetz am 1. April wirksam wird - die Aktualität fehlt. Damals wurden 1 500 Betriebe untersucht. Das ist noch nicht einmal 1 Prozent der 160 000 buchführungspflichtigen Betriebe. Insgesamt hatten wir in der Bundesrepublik Deutschland damals 560 000 Betriebe.
Weil man 1991 auf eine gewisse Vorteilnahme abgehoben hat, will ich daran erinnern, daß das die Jahre waren, in denen der große Preisbruch bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen eingetreten ist. Aus Sorge und Furcht haben sich damals viele Betriebsleiter gerade bei Neuinvestitionen zurückgehalten, sei es bei der Erstellung von Gebäuden und Hallen oder - das hat die Landmaschinenindustrie sehr deutlich gemerkt - beim Kauf von Maschinen und Geräten.
Meine Damen und Herren, noch ein Einwand: Ich hoffe, wir führen heute keine „Groß-Klein-Diskussion" und versuchen nicht noch einmal, unter dem Neidaspekt Grabenkämpfe zu führen.
Ich stelle gerne noch einmal einen rechnerischen Vergleich an - man könnte dies auch auf den tierischen Bereich übertragen -: Unterstellt man ein Ernteergebnis von 70 Doppelzentner Getreide pro Hektar und einen Preis von 40 DM pro Doppelzentner, ergibt sich ein Markterlös von 2 800 DM. Davon mußten 8 Prozent als Vorkostenpauschale, also rund 230 DM pro Hektar, abgeführt werden. Den gleichen Ertrag für das Jahr 1995 zugrunde gelegt und einen Getreidepreis von 25 DM pro Doppelzentner unterstellt, ergibt sich ein Markterlös von 1 750 DM, was bei einer Vorsteuerbelastung von pauschal 9 Prozent zu einem Betrag von 160 DM pro Hektar führt.
Damit auch der Laie weiß, um was es geht: Wenn ein Betrieb einen Umsatz von 300 000 DM hat, ergibt sich bei einer Vorsteuerpauschale von 9 Prozent eine Belastung von 27 000 DM. Er braucht, um seinen Betrieb führen zu können, Mittel in der Größenordnung von 220 000 DM - das ist bestimmt ein gut gegriffener mittlerer Wert -, von denen er 15 Prozent Umsatzsteuer abführen muß. Also zahlt er dafür zwischen 32 000 und 33 000 DM. Dieser Betrieb hätte
eigentlich den Anspruch, mittels einer besonderen Umsatzsteuererklärung Geld vom Staat zurückzubekommen.
Ich will nur darauf hinweisen: Die Anwendung einer Pauschale führt immer dazu, daß es 50 Prozent Bevorteilte und 50 Prozent Benachteilte gibt.
Aber die Anwendung dieser Pauschale hat - dies hat auch der Rechnungshof so dargelegt - natürlich einen großen Vereinfachungseffekt. Angesichts der Tatsache, daß wir im steuerlichen Bereich von Steuervereinfachung reden und dieses Ziel gemeinsam, so hoffe ich, politisch umsetzen - auf dem Kurs halten oder auf den Weg bringen - wollen, gehört auch diese Regelung dazu. Für den Betrieb bedeutet die bisherige Regelung im Einzelfall vielleicht einen Vorteil von 1 000 DM. Diesen Betrag gibt er dann an die Steuerberater weiter. Das kann ja nicht gewollt sein. Und wie viele Betriebe fallen bei diesem Verfahren hinten herunter?
Meine Damen und Herren, Art. 25 Abs. 3 der 6. EU- Richtlinie berechtigt uns auch für die Zukunft, Pauschalsätze festzulegen - mit gewissen Einschränkungen, die wir eingehalten haben.
Herr Kollege Sielaff, Sie haben vorhin auf die Vorwürfe bestimmter Berufsverbände hingewiesen. Ich bedanke mich deshalb ausdrücklich für das konstruktive Ergebnis des Finanzausschusses und des Agrarausschusses und dafür, daß wir gemeinsam so weit gekommen sind. Ich habe vor diesem Dankeschön extra einige Minuten auf die Differenzen hingewiesen, die angesichts Ihres erweiterten Antrages vielleicht bleiben könnten. Aber ich hoffe, wir verfolgen bei der Schlußabstimmung gemeinsam das gleiche Ziel.
Das wäre gut und im Sinne der Betroffenen.
Frau Kollegin Höfken, ein Wort an Sie: Ich warne davor, angesichts einer Bauerndemonstration von „Mißbrauch" zu reden. Ich habe noch nie gezählt - ich sage das auch hier nicht als Vorwurf, sondern nur als Feststellung -, wie viele Demonstrationen Ihre Partei massiv unterstützt hat, bei denen man den Begriff der Nötigung für angebracht hielt.
Das will ich schon einmal festhalten.
Herr Sielaff erhebt ja den Vorwurf, die Bundesregierung habe noch nichts getan. Wir hatten diese Debatte gerade vor wenigen Minuten, aber die Auszahlungen, über die wir heute reden, kommen bereits ein halbes Jahr zu spät. Das ist genauso wie bei den Währungsausgleichszahlungen.
Herr Kollege Sielaff, wir haben die gesetzliche Umsetzung zum 1. April erreicht, und zwar allein mit Blick auf die Finanzämter, die mit den Umsatzsteuererklärungen und all den anderen Problemen zu tun haben. Deswegen habe ich die Bitte, daß man dies seitens des Bundesrates - ich hoffe, man ist dort ver-
Norbert Schindler
nünftig genug - im Interesse der Klientel schnell auf den Weg bringt.
Normalerweise nervt mich diese Uhr, das sage ich hier einmal ganz offen. Aber man muß nicht immer seine Redezeit ganz ausnutzen; es geht auch, daß man, wenn die guten Argumente ausgetauscht sind, etwas kürzer spricht. Ich bitte Sie im Interesse der Klientel, im Interesse der deutschen Landwirtschaft, um Ihre Zustimmung. Dieser Appell geht vor allem an Sie, meine Damen und Herren Kollegen von der Opposition.
Vielen Dank.
Ich erteile nun dem Kollegen Ernst Bahr das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Borchert, das, was wir heute gehört haben, ist eigentlich ein Kennzeichen Ihrer Arbeit. Ich habe bei der Vorbereitung meiner Rede sehr wohl überlegt, ob der Grundgedanke, den ich hier verfolge, so typisch ist. Er ist typisch. Sie haben heute noch einmal bestätigt, daß Sie Sachverhalte, auch aus Anhörungen, die Ihnen nicht angenehm sind, einfach ignorieren und versuchen, die Dinge so zu gestalten, wie es Ihnen opportun erscheint. Das ist nicht die richtige Arbeitsweise, um Regierungspolitik zu machen.
Die Regierung hat grundsätzlich den Auftrag zum Handeln. Heute wurde die Frage vorgetragen: Wie wollen Sie es machen? Ich denke, die Anhörung zur Milchquote hat deutlich gezeigt, daß es grundsätzliche Vorschläge gibt. Nun wäre es Zeit, daß die Regierung ihrerseits diese Anregungen aufgreift und schnellstens ein Konzept erarbeitet.
Kollege Sielaff hat das beim Währungsausgleich ähnlich aufgegriffen. Da hätte es Möglichkeiten gegeben, langfristig Verfahren zu entwickeln, wie man einen gerechten Ausgleich der Währungsverluste vornehmen kann.
Die Opposition im Zweifelsfall zu fragen, wie sie es machen wolle, ist ganz sicher kein gutes Zeichen für eine konstruktive Regierungsarbeit.
Lieber Herr Kollege Schindler, daß wir der Regelung zustimmen wollen, haben wir bereits im Ausschuß klargemacht. Ich muß den Hinweis, den Sie gegeben haben, daß die Erhebungen des Bundesrechnungshofes nicht aktuell seien, schon mit der Richtlinie zur Festlegung solcher Verfahren zurückweisen. Die Daten sind genau in dem Bereich, wie es das Gesetz vorsieht. Es wäre an der Regierung gewesen, deutlich zu machen, wie sie diese Daten umsetzt, damit das auch mikroökonomisch stimmt.
Insofern habe ich einige Bemerkungen, die den Weg und das Verfahren kritisch beleuchten sollen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
Es ist eine langjährige Forderung der sozialdemokratischen Fraktion im Deutschen Bundestag, alle buchführungspflichtigen Landwirte zur Regelbesteuerung heranzuziehen. Nur kleine, nicht buchführungspflichtige Landwirte sollten nach unserer Auffassung auf längere Sicht die Möglichkeit der Pauschalierung haben.
§ 13 des Einkommensteuergesetzes sollte mittelfristig entfallen und somit eine generelle Buchführung eingeführt werden. Es ist ein Gebot der Steuergerechtigkeit und der Steuervereinfachung, die bestehende Ausnahmegesetzgebung für die Landwirtschaft im Einkommensteuerrecht auf Dauer abzubauen.
- Das sage ich im Namen der SPD.
Um die Wettbewerbsfähigkeit unserer landwirtschaftlichen Betriebe im europäischen Binnenmarkt ist es wahrlich nicht zum besten bestellt. Das gleiche gilt auch für die Vermarktungsstrukturen. Wollen wir das ändern, müssen wir das Übel endlich an der Wurzel packen. Wir müssen die Wettbewerbssituation in der Landwirtschaft bei Produktion, Verarbeitung und Vermarktung verbessern.
Wer eine konstruktive Politik im Sinne der Landwirtschaft machen will, muß erst die verfügbaren Daten objektiv aufarbeiten, um dann die logischen Schlußfolgerungen daraus in praktische Politik umzusetzen.
Es ist nicht nur eine Frage der Steuergerechtigkeit, ob die Vorsteuerpauschale von buchführungspflichtigen Betrieben in Anspruch genommen wird. Es gehört auch zur Glaubwürdigkeit der Politik, wie europäisches Recht umgesetzt wird.
Die EG-Richtlinie zur Umsatzsteuer schreibt verbindlich vor, daß nur die Betriebe pauschale Besteuerung in Anspruch nehmen dürfen, denen eine Buchführung nicht zumutbar ist. Eine Wahlmöglichkeit ist für diese Betriebe nicht vorgesehen.
Nicht nur die Aussage des Bundesrechnungshofes in seinem Bericht - ich zitiere: „Wesentliches Ergebnis der Erhebungen war, daß selbst bei buchführenden Landwirten die kleineren die größeren faktisch subventionieren, da die Vorsteuerbelastung der kleineren Landwirte erkennbar höher ist." -, sondern auch die Tatsache, daß sich nur 5 Prozent der buchführungspflichtigen Landwirtschaftsbetriebe der
Ernst Bahr
Regelbesteuerung unterziehen, macht deutlich, daß die Pauschalbesteuerung vor allem den großen Betrieben Vorteile bringt.
Das ist eindeutig nicht im Sinne der EG-Richtlinie und widerspricht dem Haushaltsgrundsatz, alle Steuerquellen optimal auszuschöpfen. Das Bundeslandwirtschaftsministerium trägt mit seiner Arbeitsweise wesentlich dazu bei, daß die Landwirtschaft weiterhin im Verdacht unberechtigter Subventionierung bleibt.
Die Bundesregierung scheut offensichtlich die Diskussion über den aktuellen Bericht des Bundesrechnungshofes zur Durchschnittssatzbesteuerung landwirtschaftlicher Betriebe, weil sie anscheinend weiterhin an der Bevorzugung bestimmter Landwirtschaftsbetriebe interessiert ist. Denn der Bundesrechnungshof stellt ausdrücklich fest, daß die Anwendung der Pauschalbesteuerung sozial- und verteilungspolitisch fragwürdig ist.
Wenn man den Bericht des Bundesrechnungshofes als unabhängiger Kontrollinstanz ernst nimmt - und ich nehme ihn ernst -, bleiben eine Reihe wichtiger Fragen: Warum entschieden sich bisher nur 5 Prozent der buchführenden Landwirte für die Regelbesteuerung, wenn die Pauschalierung angeblich keine geldwerten Vorteile bringt? Es ist wohl nicht davon auszugehen, daß sich 95 Prozent aller buchführenden Landwirte bewußt Vorteile entgehen lassen.
Warum legt die Bundesregierung zur Begründung der tatsächlichen Vorsteuerpauschale nicht mikroökonomisch untersetzte Daten zugrunde? Warum greift sie nicht die realitätsnahen empirischen Erhebungen aus der Buchführung der landwirtschaftlichen Betriebe und aus dem Testbetriebsnetz ihres Ministeriums auf? Auf diese Daten kann man leicht zurückgreifen. Sie sind für diese Arbeit verwertbar.
Warum sollen nicht alle buchführenden Betriebe der Regelbesteuerung unterzogen werden, wenn dies in den neuen Bundesländern bereits erfolgreich praktiziert wird? Nach meinen Erkenntnissen unterliegen die meisten landwirtschaftlichen Betriebe dort der Regelbesteuerung und profitieren nicht von einer Neufestsetzung der Vorsteuerpauschale, sondern zahlen auf der Grundlage ihrer konkreten Betriebsergebnisse Steuern.
Die Bundesregierung ignoriert statt dessen weitgehend die Aussagen des Bundesrechnungshofes. Die vom Bundesrechnungshof aufgeworfenen Fragen bedürfen gerade auch im besonderen Interesse unserer Bäuerinnen und Bauern einer Klärung.
Angesichts der von den Regierungsparteien geplanten Kürzungen in Sozialleistungen für große Teile unserer Bevölkerung muß dringend Klarheit geschaffen werden, damit die Landwirtschaft nicht
wieder in den Ruf ungerechtfertigter Subventionierung kommt. Unsere Landwirte wollen für ihre Leistungen bezahlt und eben nicht subventioniert werden.
Die Koalition redet häufig von notwendigem Abbau von Subventionen. Wenn Sie aber die Anhebung der Vorsteuerpauschale nicht schon von vornherein angreifbar machen wollen, müssen Sie die Zahlen und Fakten des Bundesrechnungshofes auch vom Bundesfinanzministerium und vom Bundeslandwirtschaftsministerium widerspruchsfrei interpretieren und entsprechend anwenden. Sie unterwerfen sich sonst dem Vorwurf, die Steuergeschenke in Vorwahlzeiten zu verteilen. Ich denke, das ist nicht in Ihrem Sinne.
Im übrigen machen 265 Millionen DM, verteilt auf 580 000 landwirtschaftliche Betriebe, 460 DM je Betrieb und Jahr aus. Damit kann man den landwirtschaftlichen Betrieben nicht glaubwürdig helfen.
Die SPD-Fraktion fordert in ihrem Antrag, die Befreiung von der Buchführung einzuschränken und alle buchführungspflichtigen Landwirte zur Regelbesteuerung zu verpflichten. Eine geordnete Buchführung ist überdies im wohlverstandenen Eigeninteresse des Betriebes und für jedes wirtschaftlich geführte Unternehmen unerläßlich.
Ich stelle aber fest, daß sich die Maßnahmen der Bundesregierung wieder nur in unzureichenden Nachbesserungen längst überholter Regelungen erschöpfen. Sie sind nicht geeignet, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft auf Dauer zu verbessern.
Wir brauchen ein konstruktives und zielgerichtetes agrarpolitisches Konzept, das die absehbaren Einkommenseinbußen der Landwirte verhindert und ein leistungsgerechtes Einkommen ermöglicht. Um der Landwirtschaft wirklich zu helfen, müssen die vorhandenen Finanzmittel zweckgebunden und zielgerichteter für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit in Produktion und Vermarktung eingesetzt werden. Jede Mark, die für Investitionsförderung aufgewendet wird, dient dem Erhalt landwirtschaftlicher Betriebe und der Sicherung von Arbeitsplätzen auf dem Lande.
Die Verschwendung ohnehin schon knapper öffentlicher Gelder muß endlich ein Ende haben.
Ich wende mich gegen eine Politik, die nicht die sachlichen Voraussetzungen zur Grundlage ihrer Entscheidungen macht. Ich wende mich auch gegen eine Politik, die ihre Möglichkeiten, alle relevanten Institutionen in eine konstruktive Politikgestaltung einzubeziehen, ungenutzt läßt. Ich wende mich besonders gegen eine Politik, die die Konsequenzen ihrer Entscheidungen nicht ausreichend abschätzt
Ernst Bahr
und bewußt in Kauf nimmt, daß die Landwirte wieder einmal unnötig in die Kritik der Öffentlichkeit geraten.
Vielen Dank.
Ich weiß nicht, wozu Sie sich melden, Herr Kollege Schindler. Ich frage Sie, wozu Sie sich melden.
Nach dem Beitrag des Kollegen Bahr möchte ich gerne eine Kurzintervention machen, wenn das gestattet ist.
Dann erteile ich Ihnen das Wort zu einer Kurzintervention.
Herr Kollege Bahr, nur zur Klarstellung, weil in Ihrer Rede der Anschein erweckt wurde, nur 8 000 Betriebe hätten sich für die Optionsregelung entschieden: Reden Sie einmal mit den Bauern darüber! Warum wird das denn so gemacht? Weil man gerade in den ersten Jahren nach einer großen Investition - ich denke an den Fall, daß ein Stall für 700 000 DM gebaut wird - versucht, über die Mehrwertsteuerverrechnung zu Geld zu kommen. Das ist eine reine Liquiditätsfrage. Ansonsten scheuen die Bauern diese Regelung.
Ich sage das gerade als Praktiker. Wenn man die Bauern im Gespräch darauf hinweist, erlebt man, wie widerwillig sie darangehen, weil es zusätzliche Bürokratie, zusätzlichen Formalismus bedeutet. Das möchte ich schon gegenüber der Argumentation abwägen, die Sie zum Teil auch auf Grund des Rechnungshofsberichtes vorgetragen haben.
Letzte Anmerkung: Gerade eine Partei wie die Ihrige, die gerne überdeutlich den sozialen Aspekt herausstellt, sollte beachten, wenn sie davon redet, 13-a-geschätzte Betriebe mittel- und langfristig zwingend in die Buchführung zu überführen, welchen Sprengstoff oder welchen Ärger dies zusätzlich verursacht. Dabei müssen Sie auch daran denken, wie diese Betriebe bei Hackfruchtanteil und bei Sonderkulturanteil derzeit von den Finanzämtern eingeschätzt werden. Dazu hat der Staat, hat die Regierung die Vorlage eigentlich gegeben. Gehen Sie hinaus aufs Land, und reden Sie mit den Betroffenen, auch solchen in eingeschätzten 13-a-Betrieben! Ich bin sicher, daß Sie dann Ihre Forderung nicht so aufrechterhalten werden.
Vielen Dank.
Herr Kollege Bahr, Sie können antworten.
Herr Kollege Schindler, in meinem Beitrag ging es mir im wesentlichen darum, daß wir alles tun, um den Landwirten öffentliche Kritik zu ersparen. Dazu ist es notwendig, daß die Regierung
und die Koalition alles so aufbereiten, daß es möglichst nicht angreifbar ist. Das ist bei diesem wie bei vielen anderen Verfahren nicht geschehen, und daran entzündet sich meine Kritik. Ich erhebe den Anspruch an die Regierung, daß sie dafür sorgt, daß das sachlich begründet nicht anzugreifen ist. Es müssen also Entscheidungsspielräume der Politik erarbeitet werden. Ansonsten bedeutet es einen Mißbrauch der Demokratie, wenn man etwas macht, nur weil man die Mehrheit hat.
Ich meine, es ist notwendig, in allen Fällen die Spielräume der Politik herauszuarbeiten und erst dann die Mehrheiten einzusetzen. Das wünsche ich mir auch in anderen Fällen.
Ich erteile nun der Abgeordneten Ulrike Höfken das Wort.
Ich habe ein bißchen Probleme damit, Herr Bahr, wenn Sie sagen: Die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe herstellen und die Vermarktungsstrukturen fördern! Das ist alles richtig. Das gleiche gilt auch für die Diskussion, die wir vorhin um den Währungsausgleich geführt haben. Nur liegt ein Problem darin, ob die Instrumente des Währungsausgleiches oder der Vorsteuerdurchschnittssätze tatsächlich geeignet sind, um Strukturpolitik zu betreiben. Sie stehen dafür nur in sehr begrenztem Maße zur Verfügung. Ansonsten würde ich das natürlich unterschreiben.
Ich wollte noch etwas zu den Demonstrationen sagen. Demonstrationen sind demokratisch legitime Mittel, um zu protestieren. Es ist auch berechtigt zu protestieren. Das ist nicht zu verwechseln mit einem Aufruf wie „Spießt Minister Borchert auf!". Ich denke, wenn das so interpretiert worden ist, dann haben die Bauern noch viel im Umgang mit demokratischen Mitteln zu lernen, um ihre Interessen durchzusetzen. Das müssen sie auch lernen, wenn sie nicht bei 42 000 DM Gewinn pro Unternehmen stehenbleiben wollen, also pro Arbeitskraft beim Sozialhilfesatz. Dabei noch ein Loblied auf die Bundesregierung zu singen!
- Wenn sie dabei noch das Loblied singen, muß man sagen, daß es eine Verständnisschwierigkeit oder einen Vermittlungsfehler des Bauernverbandes gibt.
Zur Umsatzsteuer. Wir gehen davon aus, daß die Berechnungen des Bundeslandwirtschaftsministeriums stimmen und daß die Anhebung auf 9,5 Prozent berechtigt ist. Wenn EU-weit makroökonomisch ermittelt wird, dann sollte das, denke ich, auch in Deutschland gelten. Natürlich ist es berechtigt, daß der Bundesrechnungshof das Ganze überprüft. Er
Ulrike Höfken
hat dafür unsere Unterstützung und, wie ich denke, die aller Mitglieder des Bundestages.
Wenn die Erläuterungen im Ausschuß ergeben haben, daß die im Wirtschaftsjahr 1991/1992 ermittelte Pauschale der tatsächlichen Belastung nahegekommen ist und daß es einen Unterschied zwischen kleineren und größeren Betrieben gegeben hat, dann muß man aber sagen, daß wir inzwischen einige Dinge gegenüber dem Jahr 1991/1992 geändert haben. Wir haben die Agrarreform und die Anhebung der Umsatzsteuer um einen Prozentpunkt gehabt. Damit haben wir jetzt andere Voraussetzungen und Berechnungsgrundlagen. Wir gehen davon aus, daß diese Anhebung berechtigt ist und daß der Bundesrechnungshof diesen Vorgang wiederum entsprechend überprüft.
Zu dem Vorschlag, der auch von seiten der SPD diskutiert worden ist, buchführungspflichtige Betriebe aus der Pauschalierung herauszunehmen, kann man sagen: Er hat einige Berechtigung. Die Pauschalierung sollte für alle Betriebe, die außerhalb der Buchführungspflicht sind, bleiben. Letztendlich ist es berechtigt, hier dem Vorschlag des Bundesrechnungshofes zu folgen. Ich denke nicht, daß es an den 1 000 DM für den Steuerberater scheitern wird. Vereinfachen ist etwas, das insgesamt erfolgen, aber nicht an dieser Diskussion festgemacht werden sollte. Es hat etwas von Transparenz, wenn man einigen Vorschlägen des Bundesrechnungshofes wie in diesem Fall folgt.
Danke.
Nun erteile ich der Abgeordneten Lisa Peters das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren! Meine Damen! Ich muß mich entschuldigen. Ich habe zuerst zwei Dinge in einen Topf geworfen, weil mein Fraktionsgeschäftsführer Ulrich Heinrich etwas falsch verstanden hatte. Es müsse nämlich beides in eine Rede gebracht werden.
Nun will ich aber die Zeit nutzen und freue mich vor allen Dingen, daß Herr Weng jetzt hier sitzt. Wir müssen nämlich ab und zu die Haushälter überzeugen, daß sie sich der landwirtschaftlichen Probleme voll und ganz annehmen. Ich denke, auch eine solche Diskussion dient dazu. Es kann also nur immer besser werden.
Meine Damen und meine Herren, ich meine, wir können uns über dieses Thema sehr trefflich streiten - das haben wir heute schon gemacht -: Haben wir überhaupt einen Anspruch auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer? Das ist hier, glaube ich, mehrheitlich bejaht worden. Oder - so wird auch gefragt - sind es Geschenke, die überhaupt nicht berechtigt sind? Läßt sich dieser Anspruch schwarz auf weiß belegen? Kann man das Gesetz ändern? - Alles das sind Fragen.
Was sagt der Bundesrechnungshof dazu? Ich bin schon kurz darauf eingegangen. Frau Höfken, ich denke, der Bundesrechnungshof sollte neuerlich nachrechnen. Das, was ausgerechnet worden ist - ich muß das hier nicht alles ausführen -, basiert auf den Zahlen von 1991 und 1992. Wenn man heute für 1994/1995 und bis in 1996 hinein nachrechnet, kommt man sicherlich zu anderen Ergebnissen. Es ist ja schon von meinen Vorrednern gesagt worden, wozu die Dinge gut sind, was wir damit bezahlen. Das alles muß ich nicht wiederholen.
Die Erzeugerpreise sind zurückgegangen; insofern ist weniger Mehrwertsteuer erzielt worden. Diesen Ausfall machen wir jetzt geltend, dieser Ausfall soll ausgeglichen werden.
Nun komme ich auf Sie, Herr Bahr, zurück. Sie haben hier für die SPD-Fraktion gesagt, daß alle buchführungspflichtigen Landwirte die Vorsteuer berechnen und entsprechend abführen sollten, oder sie bekommen etwas dazu. Das wäre Gerechtigkeit, und wir würden nach außen besser dastehen.
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie den Bogen sogar noch weiter gezogen und haben gesagt, es müßten auch die anderen Betriebe, die eigentlich buchführungspflichtig wären, das Ganze machen. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn wir noch viel mehr Betriebe in die Buchführung brächten und wir das, was wir von der F.D.P. für irgendwann anstreben, schon hätten, nämlich das Bürgergeld und auch eine Negativsteuer, dann würde mancher landwirtschaftliche Betrieb, der jetzt noch zehn Jahre bewirtschaftet werden soll, weil das Ehepaar 55 Jahre alt ist und kein Nachfolger da ist, ausgewiesen bekommen, daß er noch Einkommen vom Staate dazubekommt. So sieht doch die Wirklichkeit aus.
Kein vernünftiger Betrieb drückt sich um irgendwelche Dinge. Aber ich möchte vermeiden, daß wir durch Bürokratie und nur, weil wir den letzten Fetzen Gerechtigkeit wollen, alles hineinbringen. Dann mag der Bundesrechnungshof - das ist sicher preiswerter - öfter einmal prüfen. Wenn er dann zu dem Ergebnis kommt, daß zwei oder drei Prozent zuviel von den Bauern vereinnahmt werden, dann kann man darüber nachdenken, ob man gesetzlich irgend etwas noch enger einzieht. Ich denke, heute ist das nicht richtig.
Noch einmal zu diesem halben Prozent. Wenn ich das alles richtig gelesen habe, ist dieses Berechnungssystem mit den EU-Vorschriften in Einklang zu bringen. Es läuft alles ordnungsgemäß.
Selbst der Bundesrechnungshof hat gesagt: 9,31 Prozent, 9,33 Prozent; dann waren es 9,41 Prozent. Ich denke, daß wir daher Herrn Waigel in Anspruch nehmen dürfen. Frau Karwatzki, nehmen Sie das nicht übel: Allerhand ist in den letzten drei Jahren in die Staatskasse hineingekommen. Das kann man einfach so lesen. Insofern haben die Landwirte schon bis jetzt etwas zuviel gezahlt. Es wird allerhöchste Zeit, daß dann zum 1. April - -
- Jawohl, so ist es, ganz genau. Sonst mag ich ja
nicht lesen können, aber heute kamen die Vorlagen
ja im Laufe des Vormittags laufend auf meinen Tisch,
Lisa Peters
als ich hier saß. Das habe ich da schon herausgelesen. Auch diese Bundesrechnungshofssache habe ich bis zum letzten durchgelesen. Ein ganz bißchen verstehe ich davon. Ich war auch einmal ein bißchen in dem Job tätig und mache die Buchführung selbst.
Mir liegt viel an Vereinfachung, ohne daß man den Staat in irgendeiner Weise hintergehen muß; diese Absicht hat keiner. Wenn es wirklich um 0,1 oder 0,15 Prozent nach oben oder unten geht, dann lassen Sie das und dehnen Sie die Bürokratie nicht so fürchterlich aus.
Wir würden uns freuen, wenn es mit dem Gesetz klappen würde und diese Dinge noch zum 1. April ins Lot kommen würden.
Herzlichen Dank.
Ich erteile der Abgeordneten Frau Dr. Barbara Höll das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetz beraten wir eine Änderung um 0,5 Prozentpunkte. Darum geht es aber in der Diskussion eigentlich nicht.
Auch ich möchte betonen, daß die Pauschalierung prinzipiell ein einsames Beispiel einer bürgerfreundlichen Steuergesetzgebung ist. Das ist wirklich zu unterstützen: Wirtschaftlichkeit der Steuererhebung ohne großen Aufwand. 98 Prozent der Landwirte nutzen diese Steuern sparende Methode - vielleicht zu Lasten der Steuerberater; aber das soll uns hier nicht stören.
Es ist allgemein bekannt, daß die Einkünfte aus landwirtschaftlichen Betrieben in der Bundesrepublik nicht sehr hoch sind. Deshalb ist die Regelung, daß nicht alle Betriebe buchführungspflichtig sind, auch zu begrüßen. Das betrifft etwa dreiviertel der Betriebe, und zwar die Betriebe, die Gewinne von weniger als 48 000 DM haben.
Das möchte ich erst einmal voranstellen. Darüber diskutieren wir auch nicht. Wir diskutieren über das restliche Viertel. Hier zeigt sich, daß von den Betrieben, die sowieso buchführungspflichtig sind, die also die Arbeit schon haben - da entfällt das Argument von Herrn Schindler -, trotzdem nur 5,5 Prozent die Regelbesteuerung nutzen. Das heißt, für alle anderen Betriebe ist es günstiger, wenn sie gleich die Pauschalierung nutzen. Da frage ich mich natürlich: Ist das eine indirekte Subventionierung oder nicht?
Da ich ab und zu ein sehr gründlicher Mensch bin, habe ich mir ein Lehrbuch des Steuerrechts angeschaut, aus dem ich nun zitiere:
Die Vorsteuerpauschalierung und der Kürzungsbeitrag bewirken, daß für den Regelfall keine Zahllast verbleibt. Durch diese Subvention über die Preisberechnung sollen die Einkommensverluste der Landwirte ausgeglichen werden, die durch die EG-Agrarmarktsanierung entstanden sind.
Darüber kann man reden. Ich bin auch nicht prinzipiell gegen eine Subventionierung. Aber es stellt sich wirklich die Frage, ob man das ständig so weiterlaufen lassen muß, da doch - das hat der Bericht des Bundesrechnungshofes aufgezeigt - auf alle Fälle sehr klar der Verdacht naheliegt, daß hier große Betriebe zu Lasten kleinerer subventioniert werden. Wenn man das so beibehält, ist das kein Mittel, um tatsächlich eine ökologische Landwirtschaft voranzutreiben, sondern wir werden weiter einen Prozeß der Flächenstillegung einerseits und der Intensivierung auf den Flächen, die bewirtschaftet werden, andererseits haben.
Aus diesem Grunde sollte hier auf alle Fälle neu und weiter diskutiert werden. Das gilt nicht für das heutige Gesetz. Auch Mitglieder unserer Gruppe werden zustimmen; ich werde mich enthalten, weil ich doch Bedenken habe. Aber das Gesetz wird zugunsten der Land- und Forstwirte heute durchgehen.
Ich möchte aber noch ein Wort zu dem sagen, was Herr Bahr heute für die ostdeutschen Landwirte betont hat, da das im Finanzausschuß - zumindest im Anschluß daran - schon eine Rolle gespielt hat. Hier ist es klar, daß die Wiedereinrichter, da sie vielfach Fördermittel erhalten, von vornherein buchführungspflichtig sind und die Nachfolgeeinrichtungen landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften auf Grund ihres Charakters als juristische Personen ebenfalls zur Buchführung verpflichtet sind, so daß dieses Argument auf keinen Fall greift.
Insgesamt habe ich arge Bedenken. Das ist eine Subventionspolitik, zu der Sie von der Koalition nicht stehen. Das halte ich wirklich für diskussionswürdig. Das Gesetz wird heute mit einigen Stimmen der PDS beschlossen werden. Es sollte uns aber doch Anlaß geben, die Fragen neu zu diskutieren.
Danke.
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrachten Entwurf zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes, Drucksache 13/3495. Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/3638, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf bei Stimmenthaltungen aus der Gruppe der PDS in zweiter Beratung angenommen worden ist.
Dann kommen wir zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltungen aus der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9a bis c auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Peter Harry Carstensen , Renate Blank, Peter Bleser, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Günther Bredehorn, Ulrich Heinrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Lage der Fischerei
- Drucksachen 13/1633, 13/2583, 13/3044 -
b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dietmar Schütz , Michael Müller (Düsseldorf), Horst Sielaff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Schutz von Mensch und Natur vor den Folgen der Überfischung der Meere
- Drucksachen 13/1354, 13/2582 -
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Joseph Fischer (Frankfurt) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verletzung internationaler Walfang-Vereinbarungen durch Norwegen
- Drucksachen 13/1543, 13/2781 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Zu den Großen Anfragen der Fraktionen der CDU/ CSU und der F.D.P. liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Zur Großen Anfrage der Fraktion der SPD liegt ein Entschließungsantrag der SPD vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache aller dieser Themen eine dreiviertel Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Peter Carstensen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege Hemker hat seine Rede bei der Milchdebatte mit dem schönen Satz begonnen: Milch macht müde Männer munter.
Lieber Reinhold, Fisch ist so gesund. Die Bevölkerung in Fisch essenden Nationen hat die höchste Lebenserwartung. Wir haben aber heute nicht die Rentendebatte; deshalb darf ich das gar nicht so laut sagen. Was meinst du wohl, wie gut die Mischung von Fisch und Milch wäre! Wenn wir jedem empfehlen würden, viel Fisch zu essen und viel Milch zu trinken, dann räumten wir einige Probleme der Landwirtschaft aus.
Meine Damen und Herren, zu den Großen Anfragen liegen verschiedene Entschließungsanträge vor. Ich bin den Kolleginnen und Kollegen von der SPD genauso wie den Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen dankbar dafür, daß wir heute besprochen haben, über diese Entschließungsanträge heute nicht abzustimmen, sondern sie doch noch einmal an die Ausschüsse zu überweisen. Ich glaube, es wäre dem Stellenwert der Fischerei auch angesichts der umfangreichen Anfragen und der Materialien, die in den Antworten enthalten sind, nicht gerecht, heute nach einer Dreiviertelstunde darüber abzustimmen. Wir können nicht in einer Dreiviertelstunde über die Probleme sprechen, die anzusprechen wären. Wir brauchen im Grunde genommen die Debatte im Fachausschuß. Herzlichen Dank, daß wir dies vereinbaren konnten.
Wir haben es in den letzten Jahren, ich würde fast sagen: in den letzten Jahrzehnten, immer erreicht, uns für die Probleme der Fischerei im Fachausschuß über die Fraktionen hinweg einigermaßen abgestimmt einzusetzen. Ich erinnere daran, daß dies früher mit Horst Grunenberg gelungen ist; das ist auch heute noch so. Ich glaube, es ist den Fischern angemessen, wenn wir die Probleme gemeinsam aufgreifen. Ich habe das Gefühl, daß wir auch bezüglich der Entschließungsanträge eine gemeinsame Linie erreichen könnten, wenn wir uns zusammensetzten, und dann vielleicht auch den Anträgen noch etwas mehr Nachdruck verleihen könnten.
Ich bedanke mich auch bei den Grünen dafür, daß die Zahlen, die sie in ihrem Entschließungsantrag genannt haben, andere sind als die, die in dem Antrag „Das Meer ist keine Müllhalde" enthalten sind. Dort steht, daß 60 Prozent der in der Nordsee gefangenen Fische zu Fischöl und Fischmehl verarbeitet würden und ein Drittel wieder ins Meer gekippt werde. Wenn man das zusammenrechnet, muß man das Gefühl haben, daß das von jemandem formuliert worden ist, der die Mengenlehre an einer Gesamtschule gelernt hat. Der neue Antrag aber zeigt, daß auch die Grünen dazulernen.
Die Situation der Weltfischbestände ist in der Tat besorgniserregend. Gleiches gilt für den Bereich des EU-Meeres, insbesondere für die Bestände von Kabeljau, Seelachs, Schellfisch und Scholle. Nur ein besseres Gleichgewicht zwischen den Fangaspekten und den Aspekten der notwendigen Bestandserhaltung ist geeignet, insbesondere der deutschen Fischwirtschaft mittel- und langfristig eine sichere Existenzgrundlage zu gewährleisten.
Hier besteht, so glaube ich, zwischen allen Parteien ein übergreifender Konsens. Die entsprechenden Bemühungen der Bundesregierung im nationalen Bereich, aber auch auf der Ebene der Gemeinschaft sollten in diesem Bereich uneingeschränkt unterstützt werden.
In Ergänzung zu den bisher schon insbesondere im Rahmen der EG-Fischereipolitik getroffenen Maßnahmen sind hier sicherlich die Bewirtschaftung der Fischbestände innerhalb der nationalen Fischereizonen und auch in internationalen Gewässern, eine weitgehende Beschränkung der Fangkapazität,
Peter Harry Carstensen
neue Bewirtschaftungsinstrumente - zum Beispiel die Diskussion über die Begrenzung des Fischereiaufwandes - und vor allem eine größere Sensibilität der betroffenen Fischer selbst für die Grundlagen ihrer wirtschaftlichen Existenz geeignete Schritte in die richtige Richtung.
Ich meine aber auch, daß das Image des Fisches geändert werden muß, so daß er nicht allein als gesundes Nahrungsmittel angesehen wird. Die Fischwirtschaft soll vielmehr aufgefordert werden zu zeigen, daß sie die Verantwortung für die Fischbestände annimmt.
Mir liegt - ich freue mich darüber - ein Papier des Bundesverbandes der deutschen Fischindustrie und des Fischgroßhandels vom Oktober 1995 vor, in dem er eine Empfehlung für Maßnahmen zur Förderung einer bestandserhaltenden Fischerei gibt. Ich lese da zu meiner Freude unter Punkt 1: keine Verarbeitung von und kein Handel mit Fischarten, die vom Aussterben bedroht bzw. aus anderen Gründen geschützt sind; keine Geschäftsbeziehungen mit Lieferanten, die sich nicht an die oben genannten Grundsätze halten. Ich möchte nicht alle Grundsätze vorlesen; die Diskussion geht in diesem Bereich in die richtige Richtung.
Ich habe darzustellen versucht, daß die Themen und die Themenschwerpunkte im Bereich der Fischerei im Moment so vielfältig sind, daß es mir nicht gelingen wird, alles anzusprechen. Sicherlich sind nicht nur die Fischressourcen anzusprechen und zu diskutieren, sondern es geht auch darum, für unsere Fischerei Perspektiven zu entwickeln. Sie soll also nicht nur ihre Fänge tätigen, sondern letztendlich auch ihr Einkommen erwirtschaften können.
Da gibt es einige Punkte, die ich doch ganz kurz ansprechen möchte, zum Beispiel eine etwas schärfere Diskussion und Verhandlungsführung mit Rußland, um auch einen Zugang zum Nordostatlantik zu finden. Von dieser Stelle auch ein Hinweis an das BMZ, die Aufstockung der Heringskonserven für die Welthungerhilfe auf 2 000 Tonnen wieder zu genehmigen. Auch muß die Diskussion darüber geführt werden, ob man der Fischerei, insbesondere der Kutter- und Küstenfischerei, zumuten kann, in wenigen Jahren Mindereinnahmen von rund 40 Millionen DM in diesem Bereich zu verkraften.
Ich will einen zweiten Punkt ansprechen, um Ihnen auch von hier aus meine Position deutlich zu machen. Sie wissen, daß ich aus Nordfriesland komme und die Fischerei an der Westküste Schleswig-Holsteins natürlich auch durch die Krabbenfischerei geprägt wird. Die Krabbe, unsere schöne gute Nordseekrabbe, ist meines Erachtens der beste Hummer mit dem besten Geschmack.
Er leidet nur etwas darunter, daß er zu klein ist. Er hat auch noch verschiedene Namen: Günther Bredehorn sagt Granat dazu; in Dithmarschen sagen sie Kraut, und bei mir sagt man Porren. Es gibt also verschiedene Namen für dieses Tier.
Wir stellen fest, daß die Krabbe im Moment in die Diskussion kommt, weil wir - ich meine, durch einen überzogenen Anspruch auch an die Hygiene - das Heimschälen verboten haben und jetzt plötzlich feststellen, daß jede Krabbe erst einmal eine halbe Weltreise machen muß, um letztendlich nachher in Bonn gegessen ¿,u werden. Die Holländer können mit Wettbewerbsvorteilen im Bereich des Transports arbeiten; sie können in Marokko schälen lassen. Von uns aus läßt man zum Teil auch in Polen schälen. Ich meine, das ist eine Perversion des Hygienegedankens. Wir müssen uns einmal Gedanken darüber machen, ob wir nicht auch eine andere Regelung dafür finden können.
Wenn man die Krabbe nur noch mit Konservierung, Bestrahlung oder ähnlichem auf den Markt bringen kann, dann kann das nicht gut sein.
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen, der mir auch ein wenig unter die Haut geht. Der Kormoran ist ein Vogel, der seit über zehn Jahren in der Fischerei in der Diskussion ist. Und wir kommen in der Diskussion einfach nicht weiter. Ich habe den Kormoran seinerzeit auf dem Fischereitag in Cuxhaven, meinem ersten Fischereitag, erwähnt, habe ihn seinerzeit auch als Unterwasserterroristen bezeichnet, nur damit auch die Presse einmal ihr Augenmerk darauf richtet.
Meine Damen und Herren, wir stellen fest, daß sich der Kormoran gewaltig vermehrt, daß die Fischer auf Grund des Kormorans zurückweichen müssen, daß Betriebe kaputtgemacht werden. Herr Minister Borchert, ich weiß, daß Aktivitäten auch aus Ihrem Hause in dieser Richtung laufen, aber hier ist es notwendig, letztendlich auch auf EU-Ebene zu Ergebnissen zu kommen, damit durch einen solchen Vogel bei uns nicht die Existenzen von Fischern zerstört werden. Hier gehen Fischer pleite, hier werden Existenzen zerrüttet. Es ist notwendig, ganz anders dagegen vorzugehen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ganz zum Schluß noch einen Punkt ansprechen, nämlich die Angelfischerei. Wenn man nur 10 Minuten für ein so wichtiges Thema zur Verfügung hat, dann geht die Zeit natürlich sehr schnell vorbei. 10 Minuten gehen immer schnell vorbei, aber wenn man über so etwas spricht, dann hat man das Gefühl, daß sie noch schneller vorbeigehen.
Ich bin dankbar, daß die Bundesregierung einiges zur Angelfischerei ausgeführt hat. Es gibt Probleme der Angelfischerei. Wir geben ungefähr 1,5 Millionen Angelscheine aus. Ich will gar nicht über die volkswirtschaftliche Leistung der Angler sprechen. Ich will auch die Naturschutzleistung nicht so herausstellen, wie es vielleicht nachher auch bei der Diskussion in den Ausschüssen möglich ist.
In Sachsen-Anhalt gibt es den Wilslebener See bei Aschersleben. Zu DDR-Zeiten ist dieser See durch
Peter Harry Carstensen
die Angler phantastisch gepflegt worden. Nach der Wende wurde eine untere Naturschutzbehörde installiert. Als erstes wurde dort natürlich eine Biotopkartierung veranlaßt. Dabei wurde festgestellt, daß auf Grund der Arbeiten der Angler dort ein Kleinod, eine Idylle entstanden ist, wo vielleicht 20 oder 30 Libellenarten herumfliegen und viele verschiedene Pflanzenarten wachsen.
Da sagt man dann: Das ist ja so phantastisch, das müssen wir jetzt unter Naturschutz stellen. Dagegen haben die Angler auch nichts. Nur: Wenn die erste Maßnahme darin besteht, die Jäger und die Angler dort herauszuschmeißen, dann kann das nicht der richtige Weg sein.
- Ich kann doch einmal die Jäger mit unterbringen. Ihr bringt doch in euren Reden auch die Gewerkschaften unter, wo sie nicht hingehören. Da wird es doch möglich sein, hier die Jäger mit unterzubringen.
Die Jäger und die Fischer sind diejenigen, die sich draußen in der Natur bewegen und sehr viel für die Natur tun, mit Kapital und mit handwerklicher Arbeit, die Bäume pflanzen, Biotope pflegen, aktiv arbeiten. Ich finde, das sollte an dieser Stelle auch einmal anerkannt werden. Die Angler halten die Gewässer sauber, und die anderen sitzen an den Schreibtischen, schreiben Leserbriefe und nennen sich dann Naturschützer. Meine Damen und Herren, das kann wohl nicht die Art und Weise sein, wie wir mit den Anglern und den Fischern umgehen.
Die haben viel mehr Lob verdient. Das werden wir denen irgendwann auch einmal geben. Wenn es nicht von euch kommt, kommt es von uns.
Herzlichen Dank.
Ich erteile dem Abgeordneten Dietmar Schütz das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es gut, daß wir uns darin einig sind, die Resolutionstexte zunächst zurückzunehmen, um vielleicht - ich glaube, bei diesem Thema schaffen wir es - einen gemeinsamen Text zu erstellen, denn wir sind in unseren Meinungen nicht weit auseinander.
Wir sind aber, Herr Carstensen, in den Fangmethoden auseinander. Wir Sozialdemokraten haben uns dazu durchgerungen, nicht als Jäger auf die Fische zu schießen, sondern es anders zu machen.
An der Stelle, muß ich gestehen, bekommen wir keinen gemeinsamen Resolutionstext zustande.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich will etwas zum ökologischen Teil sagen. Wir wissen, daß sich infolge jahrzehntelanger Überfischung bereits heute zahlreiche Bestände in einem besorgniserregenden Zustand befinden. Mein Kollege Carstensen hat auch darauf hingewiesen, daß hochwertige Speisefischarten wie Schellfisch, Rotbarsch, Heilbutt oder Seelachs am Rande oder teilweise außerhalb sicherer biologischer Grenzen stehen und wir historische Tiefstände bei Anlandungen haben. Jahr für Jahr werden die Fischbestände mit der leichtsinnigen Arroganz des Zauberlehrlings dezimiert, der die biologischen Konsequenzen nicht zu Ende gedacht hat.
Vor einem knappen Jahr waren wir Zeugen des Fischereistreites zwischen Kanada und Spanien und haben diesen eskalierenden Konflikt beobachtet. Ich habe damals in Spanien gesehen, welche großen Fische in den Netzen waren, jünger als drei Jahre, unterhalb der Laichfähigkeit. Ich war tief erschüttert, was von den Raubfischern auf den spanischen Trawlern gemacht wurde. Der Konflikt endete mit einem Kompromiß mit Pferdefüßen: Die Gesamtfangmenge wurde entgegen den Expertenratschlägen erhöht. Das hatte die positive Folge, daß der Weltbevölkerung das zentrale Problem der Überfischung nachhaltig deutlich wurde und daß sich die EU zur Installierung und Überwachung einer Reihe von Kontrollmaßnahmen verpflichtet hat, die sicherstellen sollen, daß Quoten und Regeln im Unterschied zu den Vorjahren tatsächlich eingehalten werden. Das, finde ich, ist ein positives Ergebnis dieses Fischereikonflikts.
Der kanadisch-spanische Konflikt zeigte auch beispielhaft die ökologischen und ökonomischen Schäden durch die Überbeanspruchung der Meere. Es blieb offen, welche Konsequenzen wir zu ziehen haben. Wir brauchen eine Politik der nachhaltigen Nutzung der Meere, der nachhaltigen Bewirtschaftung - Stichwort: sustainable use -, die den Fischen nicht schadet, sondern ihnen langfristig nützt, weil die Nahrungskette nicht unterbrochen wird.
Ich begrüße in diesem Zusammenhang ausdrücklich, daß sich die Bundesregierung in ihrer Antwort auf unsere Anfrage zu den Verpflichtungen aus der Rio-Konferenz und zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt bekennt und den nachhaltigen Schutz, die umweltverträgliche und nachhaltige Nutzung sowie den sorgsamen Umgang mit der Meeresumwelt als Ziele ihrer Fischereipolitik bezeichnet. Ich bin mit der Antwort, die sie gegeben hat, zufrieden.
Dreh- und Angelpunkt des Fortschritts in Richtung auf eine nachhaltige Bewirtschaftung muß meines Erachtens eine deutliche Verbesserung der Verbindlichkeit aller bestehenden und zukünftigen Vereinbarungen zur Fischerei sein. Verbindliche Regeln, Überwachungs- und Verifikationsmethoden, aber auch durchsetzbare Verbote und spürbare Sanktionen stehen ganz oben auf der Agenda. Ich setze hier auch auf die Macht der Öffentlichkeit und der Verbraucher, die bereits im Falle des Walschutzes und im Falle der Treibnetz- und Thunfischjagd wichtige
Dietmar Schütz
Impulse gegeben und auch dazu beigetragen haben, daß schändliche Fangmethoden bekämpft werden.
Wenn wir heute von der Überfischung der Meere sprechen, dann können wir das direkt vor unserer Haustür erleben. Was an Beifängen, den sogenannten Discards, in der Nordsee geschieht, die mit nach Hause gebracht werden, finde ich schon sehr bedenklich. Als wir voriges Jahr über die Nordseeschutzkonferenz diskutiert haben, haben wir die Ergebnisse dieser Konferenz deswegen nicht mehr richtig wahrgenommen, weil parallel dazu die BrentSpar-Diskussion lief.
Wir haben nicht zur Kenntnis genommen, daß zum Beispiel unser Nachbarland Dänemark die Discards mit nach Hause nimmt und in Fischmehlfabriken zu Fischmehl und sogar zu Treibstoff usw. verwertet. Das halte ich für eine Verwertung der Anlandungen, über die wir nachhaltig diskutieren müssen. Ich glaube, auch darüber sind wir uns einig.
Wenn wir das Problem der Überfischung und der Beifänge diskutieren, dann müssen wir auch das Thema der Treibnetzjagd insbesondere im Mittelmeerraum ansprechen, wofür wir als Mitgliedstaat der EU auch Verantwortung tragen und Schutz gewähren müssen.
Ich will dieses leidige Thema der Treibnetzfischerei ansprechen, weil EU-Staaten wie zum Beispiel Frankreich und Spanien nach wie vor mindestens die 2,5 Kilometer langen Treibnetze benutzen und wir nicht sicher sind, ob nicht auch längere Netze benutzt werden. Ich finde, wir sollten es im Bundestag, aber vor allen Dingen auch im Europäischen Parlament den Amerikanern nachtun, die im Kongreß ein absolutes Verbot des Treibnetzfischfangs ausgesprochen und alles, was auf diese Weise gefangen wurde, insbesondere Thunfisch, mit besonderen Verbraucherschutzmaßnahmen belegt haben. Ich glaube, das sollten auch wir durchzusetzen versuchen, und wir sollten unseren europäischen Kollegen in diesem Kampf helfen.
Meine Damen und Herren, wir müssen ein vollständiges Verbot des Treibnetzfischfanges durchsetzen. Ich glaube, auch das ist hier im Hause Konsens.
Ich will ein Letztes sagen. Wir brauchen im Rahmen der EU eine Gesamtstrategie zum Meeresschutz und müssen uns auch im Rahmen der Gesetzgebung dafür einsetzen, stärkere Konventionen zum Meeresschutz durchzusetzen, die auf das Seerecht aufsatteln. Wir müssen Konventionen durchsetzen, die klare Überwachungsmöglichkeiten, klare Verifikationsmöglichkeiten, klare Kontrollmöglichkeiten nach sich ziehen, und deswegen spreche ich mich nachhaltig für eine internationale Meeresschutzkonvention aus, so wie sie auch der Beirat für Fischfang empfiehlt.
Ich glaube, wir sollten aus der Beratung der Anträge mit dem Vorschlag einer solchen Konvention in das Plenum zurückkehren und diese Vorstellungen dort ausdiskutieren. Das müßte meines Erachtens in einigen Monaten möglich sein.
Bis dahin wünsche ich uns eine gute Beratung unserer Anträge und in diesem Sinne vielleicht auch eine gemeinsame Beschlußfassung in dieser wichtigen Frage.
Danke sehr.
Nun erteile ich der Abgeordneten Steffi Lemke das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Carstensen, Sie hatten sich in Ihrem Redebeitrag auf unseren ersten Antrag „Das Meer ist keine Müllhalde" bezogen. Ich gebe Ihnen recht, daß uns dort ein bedauerlicher Fehler unterlaufen war. Wir haben diesen inzwischen verbessert, wie Sie sicherlich auch zur Kenntnis genommen haben. Allerdings kann man bestimmt nach wie vor kritisch anmerken - ich werde darauf noch weiter eingehen -, daß die Beifänge natürlich zu hoch sind und daß sie in einzelnen Fällen im Verhältnis 1 : 10 anfallen, was sicherlich nicht tolerabel ist.
Insgesamt ist der Zustand unserer Weltmeere desolat, und dies aus zwei Gründen: zum einen, weil das Meer von der internationalen Staatengemeinschaft nach wie vor als reguläre oder auch illegale Müllkippe genutzt wird, und zum zweiten auf Grund der drastischen Überfischung, die heute hier Thema ist.
Offensichtlich hat das Bundeslandwirtschaftsministerium zumindest das zweite Problem als solches erkannt. Die Zustandsbeschreibung der einzelnen Fischbestände, die es in der Antwort auf die Großen Anfragen vornimmt, liest sich jedenfalls wie ein Horrorkatalog. Da ist die Rede von Biomasse auf dem bisher niedrigsten beobachteten Stand. Es wird ausgeführt, daß die Laichfischmasse der Makrele in der Nordsee in 20 Jahren von 3 Millionen auf 200 000 Tonnen gesunken ist. Die Größe des Laichbestandes bewegt sich außerhalb eines biologisch vernünftigen Grenzwertes. Andere Bestände bewegen sich in der Nähe sicherer biologischer Grenzen. Wieder andere Bestände sind völlig erschöpft. Die Wortschöpfung, die Sie schließlich mit dem „Rekordminimum" vorgenommen haben, setzt dem allem die glänzende Krone auf. Man kann sich dann schon freuen, wenn man liest, daß einzelne Bestände nicht akut gefährdet sind.
Die Schlußfolgerung der Bundesregierung, die sie zumindest bei einer Art vorgenommen hat, die nicht mehr innerhalb sicherer biologischer Grenzen ist, daß der Fischereiaufwand keinesfalls erhöht werden soll, obwohl eigentlich an dieser Stelle ein Moratorium notwendig wäre, kann ich auf keinen Fall teilen. Ich befürchte deshalb, daß Sie das Problem immer noch nicht ausreichend zur Kenntnis genommen haben. Dafür spricht aus meiner Sicht auch, daß Sie sich zum Beispiel beim Schwarzen Heilbutt, der
Steffi Lemke
in den NAFO-Gebieten 0+ 1 als kritisch angesehen wird, für eine Erhöhung der Fangquoten innerhalb der EU eingesetzt haben, obwohl der Schwarze Heilbutt auch in anderen Gebieten an der Existenzgrenze dahinvegetiert.
Die internationale Staatengemeinschaft hat bei einzelnen Fischbeständen die Grenzen des Zulässigen im Hinblick auf die Entnahme längst überschritten. Hier werden nicht nur die Ressourcen der heute lebenden Generation verbraucht, sondern auch die zukünftiger Generationen. Ich weiß nicht, ob da nicht neue soziale Konflikte nicht nur zwischen Arm und Reich oder Nord und Süd entstehen, sondern perspektivisch auch zwischen Alt und Jung.
Wir fordern die Bundesregierung auf, sich statt dessen für eine internationale Übereinkunft der Vernunft einzusetzen, die die weltweite Fischerei strikt an den Prinzipien der Nachhaltigkeit orientiert. Das heißt, wir brauchen einen Konsens darüber, wie das langfristige Optimum der Fischbestände aussehen soll und wieviel auf dieser Grundlage überhaupt noch entnommen werden kann.
Durch geeignete Techniken muß endlich die Menge des ökonomisch und ökologisch nutzlosen Beifangs drastisch reduziert werden. Auf Ihre Anfrage erhielten Sie die Antwort, daß im Durchschnitt mindestens 20 Prozent in den Fängen als Beifang anfallen. Häufig ist es ein Drittel, und in Extremfällen beträgt das Verhältnis sogar 1 : 10.
Der Fischfang für die Futtermittel- und Kosmetikindustrie muß aus meiner Sicht in der gegenwärtigen Situation eingestellt werden. Er ist ökologisch und aus Sicht der Fischereiwirtschaft nicht mehr erträglich, weil Ersatzstoffe vorhanden sind, und er ist schlicht und einfach auch nicht notwendig. Er vernichtet Arbeitsplätze, statt Arbeitsplätze in der Fischerei zu erhalten.
Zu begrüßen ist, daß die Kapazitäten der deutschen Fangflotte bereits so weit reduziert sind, daß sie die EU-Anforderungen erfüllen. Ich hoffe, daß Herr Borchert sich dafür einsetzen wird, daß das auch alle anderen Mitgliedstaaten und vor allem auch die internationale Fischereiorganisation tun werden und ihre Fangkapazitäten auf ein ökologisch vertretbares Maß reduzieren werden.
Die Stillegeprämien, die die EU verteilt, werden auf Dauer keine Arbeitsplätze schaffen. Hier ist ein Engagement in anderen Bereichen notwendig. Wir fordern unter anderem die Förderung einer ökologisch orientierten Binnenfischerei und eine entsprechende Vermarktungsförderung. Ich fordere auch die Entwicklung ökologisch verträglicher - das betone ich: ökologisch verträglicher - Aquakulturen in der Seefischerei bzw. in der Binnenfischerei, jedoch nicht wie in der vor Binz geplanten Meeresverschmutzungsanlage, die, wie aus unserer Kleinen Anfrage ersichtlich ist, eine ökologische Grenze bereits neu überschreitet.
Lassen Sie uns im Ausschuß gemeinsam weiter darüber diskutieren und in der Perspektive hoffentlich auf eine, wie ich es erwähnte, Übereinkunft der Vernunft auf internationaler Ebene und auch zu entsprechenden Moratorien für einzelne Fischbestände kommen.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Günther Bredehorn.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Weltfischbestände befinden sich in einem besorgniserregenden Zustand.
Dieses geht aus der Antwort der Bundesregierung auf die Anfragen der Koalitionsfraktionen wie auch der SPD-Fraktion hervor. Mittel- und langfristig werden wir nur zu einer Verbesserung kommen, wenn es gelingt, die Bestände effektiver als bisher zu schonen und den Wiederaufbau der Bestände zu ermöglichen. Die Politik muß sich auf europäischer und internationaler Ebene verstärkt für die Erhaltung der Fischbestände und gegen die Überfischung der Meere engagieren. Weltweit muß es zu einem Abbau der Überkapazitäten bei den Fangflotten kommen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Koppelin?
Ja, bitte, sehr gern.
Kollege Bredehorn, darf ich Sie fragen, wie man das erklären kann, daß bei einer so wichtigen Debatte, gerade für den norddeutschen Raum, die norddeutschen Landesregierungen heute nicht auf den Bundesratsbänken vertreten sind? Wie beurteilen Sie das? Gerade der Fischfang ist ja doch ein wichtiger Wirtschaftszweig. Ich vermisse Vertreter von Bremen, Niedersachsen, Hamburg, und besonders vermisse ich - das werden Sie verstehen - natürlich Vertreter von Schleswig-Holstein.
Herr Kollege, das kann man sicherlich bedauern; denn ich weiß aus eigener Erfahrung - Sie sicher auch -, daß Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein doch eine erhebliche Anzahl von Arbeitsplätzen in der Seefischerei und in der Küstenfischerei haben. - Ich bedauere das.
Eine Verbesserung der Bewirtschaftungsmaßnahmen zur Bestandserhaltung ist dringend erforderlich.
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Bitte schön.
Herr Kollege Bredehorn, sind das alle F.D.P.-Kollegen aus den norddeutschen Küstenländern, die da sitzen?
Es gibt Gott sei Dank noch ein paar mehr. Ab 1998 werden es dann noch mehr sein.
Wir brauchen die Festsetzung von Gesamtfangmengen auf der Grundlage gesicherter Erkenntnisse. Es ist sehr kurzsichtig gedacht, wenn die betroffenen Fischer oft über zu geringe Quoten klagen und die vollständige Freigabe der Fischerei fordern. Das würde über kurz oder lang zu einem Zusammenbruch der Bestände und damit zur Vernichtung zahlreicher Existenzen in der Seefischerei führen. Notwendig ist auch eine Verbesserung technischer Erhaltungsmaßnahmen, zum Beispiel durch eine Steigerung der Selektivität der Netze, um den Fischnachwuchs zu schonen und Beifänge zu vermeiden. Um die Fischbestände nachhaltig und dauerhaft zu erhalten, brauchen wir die Neueinrichtung oder Erweiterung von Boxen, in denen die Fischerei eingeschränkt oder ganz verboten ist.
Als neues Bewirtschaftungsinstrument muß zukünftig verstärkt die Begrenzung des Fischereiaufwandes hinzukommen. Das bedeutet eine Beschränkung der Fangkapazität, eine Beschränkung der Anzahl und Größe der Schiffe, die Beschränkung der Motorleistung und die Beschränkung der Anzahl oder Größe der Netze. Notwendig ist auch die stärkere Überwachung der Fischereitätigkeit auf See und eine Verschärfung der Kontrollen. Gerade an der niedersächsischen Nordseeküste gibt es immer wieder Fälle von Raubfischerei auf Plattfische durch niederländische, aber auch durch deutsche Kutter. Zum Schutz der Plattfischbestände wurden die 12-Seemeilen-Plattfischschutzzone und die Schollenbox in der Deutschen Bucht eingerichtet. In diesen Vorbehaltszonen dürfen nur Fahrzeuge fischen, die registriert sind und eine maximale Maschinenleistung von 300 PS nicht überschreiten. Leider werden viel zu selten Fischkutter, die mit bis zu 500 PS und überschwerem Fanggeschirr die Jungfischbestände vernichten, überführt und bestraft. Das ist ein wirkliches Problem bei uns.
Somit bin ich auch gleich bei den Krabbenkuttern. Lieber Peter Harry Carstensen, Du hast ja deutlich das Verbot des Heimschälens geschildert. Gott sei Dank verhält es sich in Niedersachsen noch so - Kollege Schütz wird das sicher bestätigen können -, daß es in den Dörfern noch viele Menschen gibt, die auch noch Granat pulen. Ich habe mit diesem Zeug, das von anderswo herkommt, nicht so gern zu tun; das muß ich ganz ehrlich sagen. Wir kennen die Probleme; das wurde völlig richtig angesprochen.
Eine nachhaltige Entwicklung und Gesunderhaltung der Fischbestände hängt ganz entscheidend auch von einer sauberen Meeresumwelt ab. Eine
Besserung des Zustandes der Fischbestände und der Fischereitätigkeit wird nur durch die konsequente Schonung der Bestände bei verbesserten Bedingungen der Meeresumwelt möglich sein.
Der Schutz der Meere ist im letzten Jahrzehnt durch ein Netz internationaler Übereinkommen deutlich verbessert worden. Diese Übereinkommen - ich nenne nur Marpol-, Osloer und Londoner Übereinkommen, Pariser Übereinkommen, Bonner Übereinkommen, Helsinki-Übereinkommen - sind Regelungen, die die direkte oder indirekte Meeresverschmutzung verhüten sollen. Von daher dient die Nordseeschutzkonferenz nicht nur der Reinhaltung von Gewässer und Meer, sondern auch der Erhaltung der Fischbestände.
Ziel unserer Politik muß es sein, die Existenzgrundlage der Fischerei langfristig zu erhalten. Fisch ist als gesundes, eiweißreiches, wohlschmeckendes Nahrungsmittel für die Ernährung der Weltbevölkerung unverzichtbar.
Der Welt-Fischereiertrag liegt zur Zeit bei jährlich gut 100 Millionen Tonnen. Nach Schätzung der FAO sind über 40 Millionen Menschen durch ihre Arbeit direkt von der Fischerei und der fischverarbeitenden Industrie abhängig. In der Europäischen Union beträgt diese Zahl rund 1,8 Millionen Menschen. Die deutsche Fischereiflotte mit 609 Kutterfischereifahrzeugen und 17 Hochseeschiffen hat rund 5 000 Beschäftigte. Insgesamt sind es in Deutschland 45 000 Menschen, die in der Seefischerei, im Fischgroß- und -einzelhandel, in der Fischindustrie, in der Fischimportwirtschaft und der Fischgastronomie Arbeit finden.
Ich will jetzt nicht näher auf die Binnenfischerei und die Sportfischerei eingehen. Das Problem der Kormorane wurde angesprochen. Auch da gibt es sehr unterschiedliche Zahlen. Die Bundesregierung nennt 12 Millionen DM Schaden; die Betroffenen verweisen auf ganz andere Zahlen. Auch darum müssen wir uns sicherlich kümmern.
Ich freue mich im übrigen, daß wir noch mal Gelegenheit haben, in den Fachausschüssen diese wichtigen Probleme der Seefischerei zu beraten.
Schönen Dank.
Nun erteile ich der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sollen die Gewässer nicht leergefischt werden, dürfen nicht mehr Fische gefangen werden, als sich natürlich reproduzieren. Eine
Eva Bulling-Schröter
einleuchtende Gleichgewichtsformel, möchte man meinen.
Die Antworten der Bundesregierung auf die Großen Anfragen bezüglich der weltweiten Bestände einzelner Fischpopulationen sind jedoch Dokumente des ungezügelten Raubbaus. Schellfisch in der Nordsee: „außerhalb biologisch sicherer Grenzen"; Grönland-Kabeljau: „Bestand gilt derzeit als völlig erschöpft"; Kabeljau vor Labrador und Neufundland: „Elternbestand befindet sich auf niedrigstem Niveau und nimmt trotz Fangmoratorium weiter ab". So die Situation.
Der Kampf von Überkapazitäten um schrumpfende Fanggründe sowie die Verschmutzung der Weltmeere haben aber noch weiterreichende ökologische Folgen sowie soziale Ursachen und Wirkungen. Die Problematik der Beifänge wurde schon mehrfach angesprochen. Fischereibedingte Eingriffe in tief gegliederte Nahrungsketten, also in komplette ökologische Systeme, bedrohen darüber hinaus die Existenz von Arten, die unmittelbar nicht viel mit der Überfischung zu tun haben.
Millionen von lokalen Berufsfischern kämpfen mit ungleichen Waffen gegen die Raubzüge der internationalen Fischereiflotten. Insbesondere an den Küsten der Trikontländer geht es dabei um das schlichte Überleben ganzer Familien, denn hauptsächlich in den Fischerdörfern Asiens und Afrikas ist Fisch Grundnahrungsmittel und oft einziger Eiweißlieferant.
Der aggressive Heilbutt-Konflikt zwischen der kanadischen Marine und spanischen Trawlern im Frühjahr letzten Jahres ist demzufolge längst nicht die einzige gewalttätige Auseinandersetzung. Greenpeace Frankreich listete kürzlich nicht weniger als 25 „explosive Situationen" auf, von Indien über Somalia bis zu den Galapagosinseln.
Den Zündstoff liefern in der Regel Fischfangflotten, die eben am schnellen Geld interessiert sind und nicht am Überleben von Menschen oder am langfristigen Erhalt der Meeresschätze. Die Skrupellosesten bewegen sich dabei jenseits aller Rechtskonventionen. Unter starkem Verschuldungsdruck beugen sich viele Trikontstaaten den Industrieländern und verkaufen deren Flotten, beispielsweise über die EU, Fangquoten in ihren Wirtschaftszonen. Reichen die Quoten nicht aus, so werden diese Gewässer eben - wie beispielsweise vor Namibia geschehen - bei Nacht mit ausgeblendeten Scheinwerfern durchpflügt.
Internationale Machtmechanismen außerhalb der Fischerei fördern und reproduzieren also die weitere Ausplünderung von Meeresressourcen. Diese Misere löst auch das fortschrittlichste Seerecht nicht. Rigide Einschränkungen bei den Fangmethoden, beispielsweise Maschenweiten, Netzlängen usw. - das wurde heute schon diskutiert - sind die Mindestanforderungen. In diesem Bereich müssen endlich Kontroll- und Sanktionsmaßnahmen greifen.
Ich möchte kurz noch zu einem anderen Thema kommen. Es geht um die ungerechte Verteilung der Fangquoten innerhalb der Bundesrepublik. Die
Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung hat die bisherige Quotenverteilung für die wichtigsten Fischarten beibehalten. Das heißt, der letzte ostdeutsche Betrieb der Branche, die Mecklenburger Hochseefischerei, erhält nur 15 Prozent der Gesamtquote, während die westdeutsche Fischfangunion bei annähernd gleicher Kapazität 75 Prozent nutzen darf. Die restlichen 10 Prozent entfallen auf die Eurotrawler GmbH Bremerhaven. Wir meinen, das wird mittelfristig das Aus für den Ostbetrieb bedeuten. Obwohl dieses Plattmachen eine Kontinuität des Einigungsprozesses darstellen würde, sollte sich die Bundesregierung trotzdem überlegen, ob sie in diesem Bereich nicht noch tätig werden kann.
Nun erteile ich das Wort der Abgeordneten Ilse Janz.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Peter Harry Carstensen hat uns vorhin mitgeteilt, er sei aus Nordfriesland. Ich komme aus Ostfriesland.
Darin unterscheiden wir uns schon einmal. Auch sonst gibt es noch einige Unterschiede bei uns. Seit heute gibt es noch einen mehr. Ich möchte gratulieren; denn du hast heute das Bundesverdienstkreuz bekommen. Herzlichen Glückwunsch!
Ich muß mich wohl noch länger mit Fisch beschäftigen, bevor das bei mir soweit ist.
Wir haben also endlich wieder einmal eine Debatte über die Fischereipolitik im Deutschen Bundestag. Ich denke, daß wir das alle ganz erfreulich finden und daß wir alle gemeinsam ein bißchen traurig darüber sind, daß die Zeit für dieses Thema so knapp bemessen ist.
Die Situation in der deutschen Fischerei - das haben auch meine Vorrednerinnen und Vorredner gesagt - bleibt 1996 genauso schwierig, wie sie in den letzten Jahren war, vielleicht kann man sie an manchen Stellen sogar dramatisch nennen. Sicherlich gibt es auch Ausnahmen, zum Beispiel in Teilen der Krabbenfischerei. Doch auch in dem Bereich haben die Betriebe, die ihre Einnahmen aus zusätzlichem Seezungenfang holen müssen, durch den niedrigen Bestand, aber auch durch die niedrigen Preise ganz erhebliche Probleme.
Die deutsche Hochseefischerei ist seit längerer Zeit das Hauptsorgenkind; die Flotte ist stark dezimiert; die finanziellen Rücklagen reichen nicht aus, so daß in diesem Bereich inzwischen einige deutsch-isländische Partnerschaften - um es einmal so zu formulieren - eingegangen werden mußten.
In der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen steht: Es gibt nur noch 5 000 Arbeitsplätze für Fischer. Das ist leider richtig und muß uns an der Küste alarmieren, sind
Ilse Janz
wir doch in Teilbereichen - gerade durch die Struktur an der Küste, die in vielen Bereichen sehr einseitig ist - von diesen wichtigen Arbeitsplätzen abhängig. Die Gefahr, daß noch mehr Arbeitsplätze abgebaut werden müssen, ist groß; denn viele Betriebe der Kutterfischerei haben in den letzten Jahren starke Umsatzeinbußen von zum Teil über 50 Prozent hinnehmen müssen. Ihre Eigenkapitalbasis ist inzwischen so gering, daß ihre Existenz bedroht ist und uns ein weiterer Arbeitsplatzabbau ins Haus steht.
Mein Kollege Schütz hat schon einige Gründe genannt, woran das liegen kann: an der langjährigen Praxis der Überfischung - das muß man auch, denke ich, unseren Fischern ganz deutlich vorwerfen -, aber natürlich auch an den vielen Schadstoffeinträgen, den langfristigen Folgen des Klimawandels; auch an der Ausdünnung der Ozonschicht hat sicherlich vieles gelegen. Viel zu spät haben wir als Politiker die Gefahr erkannt, oft zu spät reagiert oder sie auch nicht ernst genug genommen. Deshalb, meine ich, muß jetzt dringend weltweit reagiert werden.
Hier ist schon mehrfach der Ausdruck der nachhaltigen Bewirtschaftung gefallen, die bereits in der Agenda 21 angesprochen wurde. Ich denke, daß wir alle darin übereinstimmen, daß in diesem Punkt dringend etwas durchgesetzt werden muß. Wir müssen alle an einem Strang ziehen: Fischer, Fischerei, Wirtschaft, Verbraucher und Politiker, damit wir - und da sind wir uns sicherlich auch einig - das wertvolle Nahrungsmittel Fisch auch in Zukunft genießen können.
Wir haben heute abend schon so viel über Fisch geredet, daß ich inzwischen richtig Appetit darauf habe.
Ich will mich auch an dieser Stelle einmal für die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage bedanken. Es ist wirklich sehr ausführlich geantwortet und auch sehr deutlich gesagt worden, wie es in Zukunft sein muß. Lassen Sie mich deswegen auf Grund der knappen Redezeit auch nur zu einigen Teilbereichen der Fischerei etwas sagen.
Für 1996 hat der Fischereirat beschlossen, bei Hering, Makrele und Scholle die Quoten in der Nordsee um ein Drittel zu senken und die Dorsch-quote in der Ostsee zu erhöhen. Durch diese Erhöhung werden die Verluste in der Nordsee für die Fischerei insgesamt nicht wettgemacht, und Mecklenburg-Vorpommern - das sieht man auch an den vielen Berichten und an den politischen Meinungen aus Mecklenburg-Vorpommern - reicht diese erhöhte Dorsch-Quote nicht aus. Um den Bestand sich entwickeln zu lassen, müssen wir, denke ich, dies hinnehmen, und es ist eine wirksame Maßnahme.
Wenn aber gleichzeitig eine Überfischung, zum Beispiel bei der Makrele in der südwestlichen Nordsee, durch andere EU-Mitgliedstaaten zu verzeichnen ist, macht das alles keinen Sinn. Hier müssen wir die Bundesregierung auffordern, dringend auf Kontrollmaßnahmen innerhalb der EU zu drängen, weil es so einfach nicht gehen kann.
So schön es ist, für den Ostseedorsch eine höhere Quote zu haben, müssen wir doch fragen, wie es da mit der Preisentwicklung aussieht. Wir alle können nicht abstreiten, daß es erhöhte Einfuhren aus Norwegen gibt. Ich erinnere auch an die verstärkten Direktvermarktungsbemühungen in Polen und in den baltischen Staaten. Im übrigen, aus Norwegen kommen auch große Mengen an Kabeljau und Seelachs, der, wie dieser „weltberühmte" Bischof mitteilt, zum Teil auch russischen Ursprungs sein soll.
Leider ist es der gemeinsamen Marktordnungspolitik immer noch nicht gelungen, gleiche Wettbewerbsbedingungen herzustellen beziehungsweise Wettbewerbsverzerrungen zu unterbinden. Deshalb fordern wir Sie auf, Herr Borchert, in der EU weiterhin auf gemeinsame wirksame Maßnahmen zur Abschaffung dieses Mißbrauchs zu drängen.
Für die deutsche Fischwirtschaft - und ich will hier auch erwähnen, daß ein wesentlich größerer Teil wichtiger Arbeitsplätze gerade hier vorhanden ist - haben günstige Preise eine große Bedeutung. Aber bei einer nicht einmal mehr 20prozentigen Eigenversorgung mit Fisch muß auch der deutschen Fischindustrie klar sein, daß ein weiterer Abbau zwangsläufig zum „Ableben" der deutschen Fischerei führen muß. Deshalb sind hier aus meiner Sicht gemeinsame Gespräche und Aktivitäten erforderlich. Das heißt auch, daß sich Fischer und Fischindustrie erneut an einen Tisch setzen müssen, um über Möglichkeiten gemeinsamen Handelns zu reden.
Immer wieder wird festgestellt: Allein durch Strukturhilfen lassen sich die Probleme der Fischerei nicht lösen. Preissituation und Absatz müssen verbessert werden. Hier gibt es seit einigen Wochen Probleme zwischen Fischerei und Fischwirtschaft. Durch das Fischwirtschaftsgesetz - das haben wir vor einigen Jahren gerade angepaßt - werden Sonderabgaben auf Fänge der deutschen Fischerei sowie auf Produkte der deutschen Fischwirtschaft erhoben. Damit wird eine zentrale Absatzförderung durch das Fischwirtschaftliche Marketing-Institut, abgekürzt FIMA, durchgeführt. Große Teile der Fischindustrie stellen dieses System nun in Frage. Sicherlich ist hier das letzte Wort noch nicht gesprochen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Meines Erachtens müßte es im Prinzip so bleiben, Ich bin bereit, über Änderungen zu diskutieren. Nur, ohne eine schlüssige Alternative, an der große und kleine Betriebe gleichberechtigt partizipieren, läuft mit uns Sozialdemokraten nichts.
Die Kapazität in der Seefischerei wurde in der EU durch die Vorgaben des „Mehrjährigen Ausrichtungsprogramms der Fischereiflotte 1993 bis 1996" festgelegt. Einige wenige Mitgliedsländer haben diese Vorgaben eingehalten, darunter auch die Bun-
Ilse Janz
desrepublik. Doch die Angaben der einzelnen Länder sind zu unterschiedlich, legen verschiedene Fakten zugrunde - dies zeigt auch der Bericht vorn 20. Oktober 1995 - und sind deshalb meines Erachtens nicht vergleichbar.
Klar ist, daß die deutsche Fischereiflotte die Vorleistungen erbracht hat. Rentabilität und Wirtschaftlichkeit können langfristig aber nur mit neuen Investitionen einhergehen. Deshalb kann es nicht sein, daß die Bundesregierung in ihrer Antwort auf unsere Anfrage die Verantwortung an die Fischer zurückgibt. Das, meine ich, kann so nicht funktionieren. Investitionen in dieser Größenordnung bedürfen der Förderung durch EU- und nationale Mittel.
Ich will kurz zusammenfassen. Die Probleme der Fischerei drängen. Klare Aussagen und Handlungen sind erneut erforderlich. Feste Planungsgrundlagen und verläßliche Rahmenbedingungen für eine wettbewerbsfähige Fischereiflotte müssen Bestandteil einer Gesamtkonzeption der Bundesregierung sein. Diese Gesamtkonzeption fordern wir ein.
Danke schön.
Nun erteile ich dem Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Jochen Borchert, das Wort.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weltweit sind heute viele wichtige Fischbestände in einem schlechten Zustand, und eine Verbesserung der Bestandssituation ist nicht in Sicht. Die Kolleginnen und Kollegen haben auf diese Situation hingewiesen.
Wir sind uns einig, daß wir deshalb handeln und die Maßnahmen weiter ausbauen müssen. Denn die Fischbestände auf diesem Globus gehören zu den Geschenken der Schöpfung, mit denen wir, auch im Interesse der nachkommenden Generationen, verantwortungsvoll umzugehen haben.
Deshalb ist es richtig und wichtig, daß wir heute die Gelegenheit haben, die komplexen Zusammenhänge zwischen Fischfang und Meeresumweltschutz sowie die Lage unserer Fischerei unter ökologischen und ökonomischen Aspekten zu diskutieren.
Daß Fisch zu einem, ökonomisch gesprochen, knappen Gut geworden ist, weiß die Öffentlichkeit spätestens seit den Fischereistreitigkeiten mit Kanada und den Auseinandersetzungen zwischen Fischern innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Wir alle wissen, daß sich auch im Bereich des europäischen Meeres wirtschaftlich bedeutsame Fischbestände in einem besorgniserregenden Zustand befinden und daß die Verteilungskämpfe um diese Ressourcen zunehmen.
Eine wesentliche Ursache für die schlechte Lage ist die fortwährende Überfischung, hervorgerufen durch weltweit bestehende Überkapazitäten der Fischereiflotten. Der ökonomische Aspekt ist nur
eine Seite der Medaille, aber er ist ein wichtiger Aspekt. Auch wenn leider nur noch 5 000 Arbeitskräfte in der Fischerei beschäftigt sind, so ist die ökonomische Bedeutung der Fischwirtschaft für unsere Küstenregionen doch nach wie vor groß. Im Interesse der Fischer und ihrer Familien, aber auch im Interesse der Küstenregionen müssen wir sichere Rahmenbedingungen für eine langfristige Nutzung der Fischbestände schaffen.
Die Fischwirtschaft in Nord- und Nordostdeutschland ist mehr als nur ein ökonomischer Faktor. Sie ist ein nicht wegzudenkender Bestandteil unserer niederdeutschen Kultur. Sie hat unseren Küstenregionen ihr Gesicht gegeben. Wer, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollte auf das vielen von uns vertraute Bild dieser Landschaft mit malerischen Häfen, romantischen Fischerhäusern und lebendigen Fischmärkten verzichten? Deshalb brauchen wir eine verläßliche Zukunft für die Fischwirtschaft. Ich denke, dies ist unser gemeinsames Ziel.
Dieses Ziel ist aber nur zu erreichen, wenn die Fischerei langfristig im Einklang mit der Natur und nicht gegen Erfordernisse des Meeresumweltschutzes betrieben wird. Deshalb muß auch die andere, die ökologische Seite der Medaille eine stärkere Beachtung finden. Der Fisch und die Fischer sind abhängig von einer intakten Umwelt. Für beide ist sauberes Wasser als Lebensgrundlage unverzichtbar.
Die Fischerei beeinflußt die maritime Umwelt aber auch selbst. Regional und international muß zukünftig ein verläßliches Gleichgewicht zwischen Fischereiaufwand und Sicherung der Fischbestände gewährleistet werden. Nur so ist zu verhindern, daß keine dauerhaften Schädigungen bei wichtigen Fischbeständen, mit allen negativen Folgen auch für die Fischwirtschaft selbst, eintreten.
Tatsache ist aber, daß sich der Nutzungsdruck auf die vorhandenen Fischbestände immer weiter erhöht hat. Durch den technischen Fortschritt beim Bau, bei der Ausrüstung und beim Betrieb der Fischereifahrzeuge ist es heute möglich, mit erheblich kleineren Fahrzeugen und mit verringerter Besatzung ein Vielfaches der früheren Fangmengen anzulanden. Um so wichtiger ist eine wirksame Erhaltungspolitik, aber natürlich auch die Eigenveranwortung der Fischer.
Die Bundesregierung verfolgt deshalb im Rahmen der gemeinsamen Fischereipolitik einen dauerhaften Abbau der Überkapazitäten. Die deutsche Fischwirtschaft hat hier ihre Vorleistungen bereits erbracht.
Jetzt geht es darum, die gemeinschaftsweiten und weltweiten Ungleichgewichte anzupassen. Deshalb werde ich in Brüssel weiter darauf drängen, daß die Mitgliedstaaten, deren Flotten Überkapazitäten aufweisen, diese zügig abbauen. In diesem Punkt besteht volle Übereinstimmung mit der Kommission.
Bundesminister Jochen Borchert
Sie hat den Schwerpunkt ihrer Fördermaßnahmen auf die endgültige Kapazitätsverringerung gelegt.
Für die Bundesregierung hat außerdem die Verbesserung der Bewirtschaftungsmaßnahmen große Bedeutung. Zu diesen Maßnahmen zählen die Festlegung der Gesamtfangmengen auf wissenschaftlicher Basis, die Neueinrichtung oder Erweiterung von Gebieten, in denen die Fischerei eingeschränkt oder ganz verboten ist, die technischen Erhaltungsmaßnahmen wie die verbesserte Selektivität der Netze, um Jungfische zu schützen, die Einschränkung der Industriefischerei und die Verschärfung der Kontrollen. Wir wollen erreichen, daß all diese am grünen Tisch festgelegten Bestimmungen auch tatsächlich eingehalten werden, und zwar von allen, ganz gleich, unter welcher Flagge gefahren wird.
Lassen Sie mich einen Satz zu der Diskussion darüber sagen, ob wir die Fangquote, Frau Lemke, für Schwarzen Heilbutt erhöht haben. Wir haben im NAFO-Gebiet keine Erhöhung der Gesamtfangmenge vorgenommen. Wir haben aber erreicht, daß der deutsche Anteil zugunsten unserer Fischer erhöht worden ist, ohne daß die Gesamtfangmenge angehoben wurde.
Für weitere Verbesserungsvorschläge zugunsten der Bestandserhaltung müssen wir sicher stets offen sein. Hier denke ich beispielsweise an die sogenannten Fangaufwandsbeschränkungen. Aber bei aller staatlicher Vorsorge sollten wir nicht vergessen: Auch die besten Regelungen sind wirkungslos, wenn sie von der Fischwirtschaft und den Fischern nicht mitgetragen werden; denn wir können und wollen nicht auf jedes Fischereifahrzeug einen Kontrolleur stellen, wir können und wollen auch nicht eine ständige und lückenlose Kontrolle aller Fischereifahrzeuge auf See durch Aufsichtsfahrzeuge oder durch Luftbeobachtung sicherstellen. Deswegen erfordern die Maßnahmen auch die aktive Unterstützung und Mitarbeit der Fischer.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Carstensen?
Gern.
Herr Bundesminister Borchert, würden Sie mir zustimmen, daß dazu natürlich auch der Abbau von bürokratischen Hemmnissen gehört? Denn manche Fischer - so pflege ich immer zu sagen - haben ihr Schiff nicht deshalb so groß gebaut, weil sie so viele Fische fangen wollen, sondern weil sie 1 800 Vorschriften der EU und anderer Organisationen mit an Bord führen müssen und natürlich überhaupt nicht in der Lage sein können, diese Vorschriften zu kennen, und letztendlich manchmal gar nicht wissen, daß sie gegen manche Vorschriften verstoßen.
Ich erwähnte deshalb
diesen Punkt, lieber Peter Harry Carstensen, denn wir müssen dringend Bürokratie abbauen. Wir können natürlich Bürokratie nur in dem Umfang abbauen, in dem Fischer in allen Ländern der Welt, vor allem in den Ländern der Europäischen Union, bereit sind, von sich aus die beschlossenen Maßnahmen aktiv zu unterstützen, so daß wir in immer stärkerem Umfang auf eine lückenlose Kontrolle verzichten und damit Bürokratie abbauen können.
Dies geht aber weit über den Kontrollbereich hinaus. Es ist eine Daueraufgabe, getroffene Regelungen immer wieder darauf zu überprüfen, ob wir nicht mit weniger Bürokratie das gleiche Ergebnis erreichen können. Deswegen sollte dies auch in Zukunft unsere gemeinsame Aufgabe sein.
Ich sage noch einmal: Das alles erfordert die aktive Unterstützung und Mitarbeit der Fischer. Sie müssen mithelfen, den Lebensraum Meer, die Fischbestände und damit schließlich auch ihre eigene Zukunft zu sichern. Wir werden nur dann die Ziele unserer Fischereipolitik erreichen, wenn die Fischer selbst ihren Beitrag zur Erhaltung des Gleichgewichts zwischen Fischfang und Bestandsschutz leisten.
Damit wird den Fischern sicherlich einiges abverlangt. Sie müssen im Interesse einer langfristigen Stabilisierung des ökologischen Gleichgewichts bereit sein, Einschränkungen ihrer Fangmöglichkeiten hinzunehmen. Deshalb muß auch von staatlicher Seite dafür Sorge getragen werden, daß der Fischerei nicht noch zusätzliche Probleme entstehen.
Ich greife gern auf, was Peter Harry Carstensen bereits gesagt hat. Ich meine, es kann nicht angehen, daß etwa durch den überzogenen Schutz des Kormorans Küsten- und Binnenfischer in ihrer Existenz gefährdet werden. Hier sind wir alle, sind die Länder gefordert, ihre Möglichkeiten voll und ganz auszuschöpfen, bis wir auf der EU-Ebene vernünftige Lösungen durchgesetzt haben.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Janz?
Ja.
Herr Minister, ich möchte Sie in diesem Zusammenhang ganz gern fragen, weil es sehr unterschiedliche Meinungen in der Frage gibt zwischen Tier-, Umweltschützern, Ländern und Bund, ob es nicht sinnvoll wäre, jetzt erst einmal eine Bestandsaufnahme der Kormorane zu machen, und ob Sie sich in der Lage sehen, das weltweit anzuregen - es gibt in dem Bereich die ersten Untersuchungen, wie wir aus Ihren Antworten ersehen haben -, damit wir endlich einmal wissen, wer tatsächlich recht hat. Sind zu viele Kormorane da, oder ist das richtig, was die Umweltschützer sagen?
Metadaten/Kopzeile:
7348 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Februar 1996
Ich glaube, Frau Kollegin, wir brauchen keine weltweite Erhebung der Bestände an Kormoranen. Wenn wir die Brutkolonien im Ostseegebiet betrachten, dann zeigt sich an deren Zunahme und auch an der Wanderung des Vogels ins Binnenland, daß wir inzwischen eine Verstärkung der Bestände haben, so daß man heute mit Sicherheit nicht mehr davon reden kann, daß der Kormoran gefährdet ist. Wir müssen uns - und zwar nicht nur national; es ist eine europäische Aufgabe - in der Zusammenarbeit mit den Ostseeanrainerstaaten auf eine vernünftige Bestandsobergrenze verständigen, die den Bestand der Kormorane sichert, aber auf der anderen Seite die Schäden bei den Fischern, vor allen Dingen bei den Binnenfischern, auf ein erträgliches Maß reduziert.
Erlauben Sie mir noch einige Worte zur Verbraucherseite. Unsere Bevölkerung weiß Fisch als hochwertiges und gesundes Nahrungsmittel zu schätzen. Gleichzeitig wird heute mehr und mehr der ressourcenschonende Fischfang für die Verbraucher zu einem wichtigen Qualitätskriterium bei ihrer Kaufentscheidung.
Die deutsche Fischwirtschaft hat daher gut daran getan, bereits in der Vergangenheit das Prinzip der Nachhaltigkeit immer wieder zu beachten. Dennoch nutzen alle Bemühungen wenig, wenn einzelne Glieder der komplexen Kette zwischen Fang und Verkauf Schwächen aufweisen und diese Schwächen dann die Qualität des Fangs immer wieder in Frage stellen. Ein lückenloses Qualitätsmanagement ist, glaube ich, das beste Verkaufsargument für die Vermarktung von Fisch.
Bei Vermarktung und Absatzförderung hat die deutsche Fischwirtschaft Erfolge aufzuweisen. Sie sollte sie weiter ausbauen und in Zukunft nach neuen Produktentwicklungen sowie neuen Strategien zur Eröffnung neuer Märkte suchen und solchen Entwicklungen offen gegenüberstehen.
Hier kann und wird die Politik gerne Hilfestellung leisten; denn es geht dabei auch um das Wohl unserer Fischer. Es geht um das Wohl der gesamten Branche der Fischwirtschaft, und es geht am Ende immer um das Wohl unserer Küstenregionen. Deswegen sollten wir gemeinsam versuchen, diesem Ziel näher zu kommen.
Herzlichen Dank.
Damit schließe ich die Aussprache.
Es ist beantragt worden, die Entschließungsanträge der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/ Die Grünen auf den Drucksachen 13/3621 und 13/ 3634 zu überweisen federführend an den Ausschuß
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Verletzung internationaler Walfang-Vereinbarungen durch Norwegen, Drucksache 13/2781 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1543 abzulehnen. Wer für die Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltung? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der PDS angenommen worden ist,
Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/2781 die Annahme einer Entschließung. Wer für diese Beschlußempfehlung, also für die Entschließung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Dann ist noch eine weitere Überweisung vorzunehmen. Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/3624 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie zur Mitberatung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist auch das beschlossen.
Nun rufe ich den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Jann-Peter Janssen, Susanne Kastner, Anke Fuchs , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Die Arbeitsplatz- und Ausbildungssituation in der Fremdenverkehrswirtschaft
- Drucksache 13/2981 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde. vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Jann-Peter Janssen.
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor fast genau einem Jahr, am 27. Januar 1995, haben wir im Rahmen der Debatte zum Tourismusbericht der Bundesregierung auch über die Arbeitsplätze und die Ausbildung im Fremdenverkehr gesprochen. Ich kann mich noch sehr gut an die Zwischenrufe von der rechten Seite des Hauses erinnern. Kollege Dr. Feldmann fragte zum Beispiel „Wollen Sie arbeiten, wenn andere Ferien haben?" oder bezweifelte schlichtweg die schlechte Bezahlung der Mitarbeiter in der Branche.
Ich hätte mir gewünscht, daß auf diese Zwischenrufe noch etwas gefolgt wäre. Ja, ich hätte mir gewünscht, daß den Rufen auch Taten der Regierungskoalition folgen.
Dies ist leider nicht geschehen. Ja, leider, weil es nämlich nach unserer Meinung dringend notwendig ist, die Situation in diesem Bereich nachhaltig zu verbessern. Die Politik ist hier gefordert, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Ich hoffe - um dies zu Beginn meiner Ausführungen deutlich zu sagen -, daß dies auf einer breiten, fraktionsübergreifenden Basis geschehen kann.
Unser Antrag ist notwendig, weil es weiterhin nicht hinzunehmende Zustände für die Kolleginnen und Kollegen in den Touristikbetrieben gibt. Stichpunkte sind befristete Arbeitsverträge, Saisonarbeitszeit, versicherungsfreie Arbeitsverhältnisse, schlechte Bezahlung, mehr als ungünstige und überlange Arbeitszeiten, Mehrarbeit als Regel und nicht als Ausnahme.
Zur Erinnerung und nochmaligen Verdeutlichung kurz einige wenige Zahlen: In der Bundesrepublik Deutschland sind etwa 2 Millionen Menschen in der Fremdenverkehrswirtschaft beschäftigt; davon sind 1,4 Millionen Vollzeitarbeitskräfte. Im Hotel- und Gaststättengewerbe gibt es derzeit 60 000 Auszubildende.
- Selbstverständlich, Herr Kollege Feldmann.
Dieser Wirtschaftszweig trägt mit 5,6 Prozent zu der Nettowertschöpfung bei, und dieser Bereich expandiert. Er ist mit dem Maschinenbau und der Automobilindustrie gleichzusetzen. Insbesondere in strukturschwachen Regionen - ich selbst kenne dies von dem Beispiel Ostfriesland her nur zu gut - ist der Fremdenverkehr eine nicht wegzudenkende Einnahmequelle.
Diese Zahlen dürfen aber über eines nicht hinwegtäuschen: Die Arbeitsplatz- und Ausbildungssituation verschlechtert sich zunehmend. Die Zahl der Ausbildungsaussteiger nimmt ebenfalls zu. Immer mehr Arbeitsstellen werden zu Arbeitsplätzen mit
einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis oder zu Teilzeitarbeitsplätzen.
Die wirtschaftliche Weiterentwicklung im Bereich des Fremdenverkehrs und der Touristik sowie der zu beobachtende Strukturwandel dürfen nicht zu Lasten der in diesem Bereich Beschäftigten gehen.
Nein, hierauf wird die SPD achten. Wir Sozialdemokraten haben insbesondere dort wache Augen, wo die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beeinträchtigt werden.
Hier ist politische Hilfe nötig. Herr Dr. Feldmann und Herr Dr. Olderog, ich gebe Ihnen ja recht. Ich denke, da sind wir Kolleginnen und Kollegen vom Fremdenverkehrsausschuß uns alle einig.
Lassen Sie mich bitte eines vorweg sagen. Es ist eindeutig klar, daß die betreffenden Vereinbarungen zu den Arbeitsplätzen und zu den Ausbildungsplätzen im Fremdenverkehr im Bereich der Tarifautonomie liegen. Das muß man mir als Gewerkschaftler nicht sagen. Aber der Deutsche Bundestag kann sehr wohl wichtige Rahmenbedingungen schaffen, um die Tarifpartner in ihren Bemühungen zu unterstützen und Verbesserungen zu erreichen. Hier sehen wir unsere Aufgabe.
Ein Beispiel hierfür ist die Systemgastronomie. Hier haben sich NGG und DEHOGA auf die Schaffung eines eigenständigen Ausbildungsganges verständigt. Nach aktuellem Kenntnisstand hat der DEHOGA um das notwendige Antragsgespräch im Bundeswirtschaftsministerium gebeten. Die Anträge liegen uns bereits seit heute vor.
Mit der diesjährigen Einführung einer Ausbildung zur Fachfrau oder zum Fachmann für Systemgastronomie wird eine Lücke geschlossen, die sich mit dem Wachstum dieses Bereiches in den vergangenen Jahren aufgetan hat. Diese Lückenschließung ist zu begrüßen, denn damit wird der zunehmenden Bedeutung der Systemgastronomie Rechnung getragen.
Wir reden hier nämlich über etwa 5 100 Betriebe mit knapp 100 000 Vollzeitarbeitsplätzen und einem Nettoerlös von über 10 Milliarden DM.
Es bleibt weiterhin wünschenswert und zu hoffen, daß die Branche der Systemgastronomie der Verantwortung für junge Menschen, die die Ausbildung mit
Jann-Peter Janssen
sich bringt, gerecht wird. Mindeststandards in der Ausbildung müssen gewahrt bleiben.
Parallel zu der neuen Ausbildung sollte deshalb ein Katalog mit den Anforderungen an die einzelnen Ausbildungsstätten erstellt werden, dessen Einhaltung natürlich überwacht werden muß. Ich denke, daß das Haus hierin Einigkeit herstellen kann.
Ich komme nun zu der Berufsausbildung. Die Berufsausbildung im Hotel- und Gaststättengewerbe verliert an Stellenwert. Ein Phänomen ist: Die Anzahl der neubegonnenen Ausbildungsverhältnisse steigt stetig. Aber gleichzeitig sinkt die Gesamtzahl der Auszubildenden. Immer mehr Betriebe decken ihren Personalbedarf mit ungelernten Arbeitnehmern. Die Vorteile der Ungelernten: flexible Arbeitszeiten, kurze Einarbeitung, geringe Ansprüche, leicht zu kündigen, niedrige Löhne.
Nur durch eine verbesserte Ausbildung kann die hohe Abbrechquote bei der Ausbildung im Gaststättengewerbe gesenkt werden.
Es muß ganz eindeutig zu denken geben, wenn mehr als 40 Prozent der Auszubildenden vor einem Abschluß den Ausbildungsplatz wechseln. Diese Zahl schadet dem Image der Branche sehr. Das Gewerbe muß hier im eigenen Interesse dem Bild - ich sage es einmal ganz deutlich - der Ausbeutung und des Mißbrauchs des Nachwuchses energisch entgegentreten.
Auszubildende dürfen kein billiges Personal sein. Die Ausbildungsrichtlinien müssen stärker überwacht werden. Denn Investitionen in die Berufsausbildung sind und bleiben Zukunftsinvestitionen und ein sicherer Weg in eine erfolgreiche gastgewerbliche Zukunft.
Es ist auch schwierig, die ausgebildeten Nachwuchskräfte im Gewerbe zu halten. Neben Saisonarbeitsverträgen, schlechter Bezahlung und ungünstigen und langen Arbeitszeiten sind rein betrieblich orientierte Dienstpläne, sich kurzfristig ändernde Dienstzeiten, nicht bezahlbare Überstunden und Wochenendarbeit weitere Gründe dafür. Deshalb ist nicht nur die Neuordnung der Ausbildung dringend notwendig; darüber hinaus müssen sich auch die Rahmenbedingungen im Gastgewerbe positiv ändern. Eine neue Ausbildungsordnung ist nur dann Garant für eine gute Ausbildung, wenn sie auch umgesetzt wird. Sicherlich findet dies breite Zustimmung bei uns im Fremdenverkehrsausschuß.
Ein Grundproblem der beruflichen Ausbildung ist die einzelbetriebliche Finanzierung der Ausbildung. Gewerkschaften fordern seit langem die Einführung einer Umlagefinanzierung für die duale Ausbildung unter Beteiligung aller Betriebe und Verwaltungen
ähnlich der branchenorientierten Umlagefinanzierung in der Bauwirtschaft. Ausbildungsstarke Bildungszentren von Betrieben oder Bildungsträgern können sich mit Betrieben, die bislang nicht ausgebildet haben, zusammenschließen. Die Ausweitung der Berufsschulzeit auf zwölf Stunden ist zu begrüßen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu dem Thema Arbeitsplatzsituation: Das Fremdenverkehrsgewerbe ist an die Saison gebunden. Das hat zur Folge, daß ein großer Teil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Teilzeit- oder Zeitarbeitsverträge abschließt. Dennoch wird in der Hauptsaison von den Beschäftigten erwartet, überlang und auch außerhalb der normalen Arbeitszeit Dienst zu tun.
Wir Sozialdemokraten wissen um die Probleme, die in begrenzten Arbeitsverhältnissen liegen. Es ist klar, daß gerade der Mißbrauch der Geringfügigkeitsgrenze in der Sozialversicherung bekämpft werden muß.
Die Zahl der Personen in ungeschützten Arbeitsverhältnissen ist auf 4,5 Millionen angestiegen. Die geringfügige Beschäftigung, also der 580-DM-Job,
wird auch mißbräuchlich genutzt und ist weit über das gesunde Maß hinaus gewachsen. Das wurde heute morgen bereits von allen Fraktionen angedeutet.
Aber, gerade wir Touristikpolitiker wissen ebenso um die speziellen Verhältnisse in der Fremdenverkehrswirtschaft, die ich gerade angesprochen habe. Es besteht hier also eindeutig ein weiterer Diskussions-
und Handlungsbedarf.
Hauptprobleme für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Fremdenverkehr sind unterdurchschnittliche Entlohnung und ungünstige Arbeitszeiten. Zu der Arbeit am Wochenende sowie in den späten Abendstunden besteht zwar vielfach keine Alternative; aber die Rahmenbedingungen können durch Arbeitszeitpläne, durch die Kooperation mehrerer Betriebe oder attraktive Löhne arbeitnehmerfreundlicher ausgestaltet werden.
Die Vorstellungen und Forderungen der SPD bleiben: Schaffung von Dauerarbeitsplätzen zum Beispiel durch Saisonerweiterung und durch Auslegung der Vertragsgestaltung auf Jahresarbeitszeit, die Verbesserung von Entlohnung, Vertrags- und Arbeitszeitgestaltung durch Tarifverträge oder Einzelregelungen sowie Schaffung eines moderneren Arbeitsschutzrechtes.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluß meiner Ausführungen möchte ich nochmals den Wunsch der SPD-Bundestagsfraktion betonen, die politischen Maßnahmen für die sicherlich notwendigen Verbesserungen in der Arbeitsplatz- und der Ausbildungssituation in der Fremdenverkehrswirtschaft auf eine breite Basis zu stellen. Aus diesem Grunde bitte ich um Ihre Zustimmung zu unserem
Jann-Peter Janssen
vorliegenden Antrag und bedanke mich kollegial für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.
Vielen Dank.
Nun erteile ich dem Abgeordneten Jochen Fuchtel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer die Überschrift liest, der erwartet einen Elefanten. Aber wenn man dann Herrn Janssen gehört hat, dann merkt man: Da kommt nur ein Mäuslein heraus.
Ich möchte Ihnen das an einigen Beispielen erläutern und anschließend etwas zu den wirklichen Problemen sagen.
Beispiel eins: Das Berufsbild für Systemgastronomie ist bereits auf dem Weg. Die Regierung hat ihre Unterstützung zugesagt. Die Regierungsfraktionen haben sich positiv geäußert. Wir freuen uns, daß auch Sie das jetzt tun.
Bei vielem von dem, was Sie dann angeschlossen haben, muß man sich schon fragen: Wie halten Sie es mit der Zuständigkeit für Berufsausbildung und Weiterbildung?
Nach unserer Auffassung ist dies Sache der Verbände und der Kammern. Das ist ihre ureigenste Aufgabe. Wir sollten alles tun, um das dort zu belassen, und nicht meinen, durch solche Ausführungen wie vorhin hier hineinregieren zu können. Wenn Sie das nicht wollen, hätten Sie sich lieber mehr zurückgehalten, Herr Kollege.
Zweites Beispiel. Wir stimmen Ihnen zu: Auszubildende sind keine billigen Arbeitskräfte.
In Ihrem Antrag fehlt aber ein sehr wichtiger Hinweis: In den letzten Jahren hat sich hier sehr viel zum Guten bewegt. Dies wird von Ihnen nicht gesagt.
Sie lamentieren hier nur über die schlechten Dinge.
Daß es überall schwarze Schafe gibt, ist uns bekannt. Aber das, was Sie hier veranstalten, verjagt natürlich alle Ausbildungswilligen in diesem Bereich vollends. Wir sollten auch die Kräfte loben, die in den letzten Jahren als Verbände die Qualität der Ausbildung
sehr stark nach vorne gebracht und großes Engagement auf diesem Gebiet gezeigt haben.
Drittes Thema: Weiterbildung. Die Möglichkeiten des AFG sind bekannt. Sie gelten genauso für diesen Bereich. Wir gehen davon aus, daß es in erster Linie Aufgabe der Betriebe ist, hier ihren Beitrag zu leisten. Dort liegt die Priorität.
Als jemand aus dem Schwarzwald, der auch über die Befähigung zur Führung einer Gaststätte verfügt,
darf ich Ihnen sagen, daß seit Jahren Servierkurse angeboten werden und daß diese oftmals deswegen nicht stattfinden konnten, weil es an der Nachfrage gefehlt hat und nicht am Angebot. So haben wir zur Zeit im Arbeitsamtsbezirk Nagold - ganz aktuell - nur 35 Teilnehmer, die angelernt werden, um in dem Bereich tätig zu sein. Wenn das Problem so wäre, wie Sie es in Ihrem Antrag beschrieben haben, dann müßte das natürlich ganz andere Dimensionen haben.
Ich möchte auf noch etwas aufmerksam machen - auch in diesem Punkt sind wir schneller, als Sie das in Ihrem Antrag formulieren konnten -: Es geht um die Frage, daß man etwas modellhaft ausprobiert. Wir haben das Programm „Neue Wege in der Arbeitsmarktpolitik". Im Rahmen dieses Programms gibt es an 20 Arbeitsämtern die Möglichkeit, daß man Problematiken besonderer Art spezifisch angeht, zum Beispiel auch im DEHOGA-Gewerbe. Das wird auch getan. Sie bieten also auch hier nichts Neues. Ich zähle das alles nur auf, um zu schauen, wo etwas kommt, was uns aufhorchen läßt.
Dann die Forderung nach einem Berufsbild Fremdenverkehrsamtsleiter. Sie fügen natürlich noch hinzu: BAT, öffentlicher Dienst. Ich denke, von solchen Dingen sollten wir uns verabschieden. Wir wissen alle, daß wir in den Strukturen viel flexibler werden müssen und daß es viel wichtiger ist, auch in diesem Bereich zu privatisieren, statt hinzugehen und in entscheidendem Maße zu administrieren. Deswegen bin ich der Meinung: Wenn wir hier Handlungsbedarf hätten, dann doch in der Weise, daß man den Gemeinden, die Privatisierungsmodelle fahren, Unterstützung gibt und hier vielleicht Modelle macht. Da könnte man mit Sicherheit mit uns sprechen.
Ich gönne jedem Fachhochschulabsolventen, daß er Fremdenverkehrsamtsleiter wird. Aber das ist eine typische Aufgabe, die spezifisch auf den Ort zugeschnitten ist. Ich frage Sie: Wenn Sie den BAT anwenden möchten, was ist dann eigentlich die Bemessungsgrundlage: Ist das die Zahl der Gäste, sind das die Einwohner, oder wie wird dann so ein Mann bezahlt? Das würde mich einmal interessieren. Ich denke, es ist ein sehr schwieriges Unterfangen, hier tätig zu sein.
Herr Kollege Fuchtel, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Natürlich.
Herr Kollege Kubatschka, bitte.
Herr Kollege Fuchtel, Sie beschreiben das jetzt in rosaroten Farben.
Wenn Sie die Unterlagen anschauen würden, die wir kürzlich bekommen haben, könnten Sie folgendes lesen - ich zitiere -:
Der Bundesverband der Kur- und Tourismusfachleute unterstützt den Antrag der SPD-Bundestagsfraktion, in dem die Bundesregierung auf gefordert wird, die Arbeitsplatz- und Ausbildungssituation in der Fremdenverkehrswirtschaft zu verbessern. Dies betrifft insbesondere die Schaffung eines eigenständigen Berufsbildes für die Leiter von Fremdenverkehrsstellen. Dies fordert der VDKF seit vielen Jahren gegenüber der Politik und den Sozialpartnern.
Wie können Sie diese Stellungnahme mit Ihrem rosaroten Bild erklären?
Zunächst finde ich es sehr interessant, daß Sie von einem rosaroten Bild sprechen, obwohl hier ein Schwarzer steht.
Zur Sache: Wir wissen, daß viele Verbände viel fordern und daß es deswegen noch längst nicht das Vernünftigste sein muß.
Ich möchte hier unterstreichen: Die Forderung ist nicht ohne Grund schon Jahre alt. Wäre sie so wunderbar, hätten man wahrscheinlich sehr schnell darauf gehört und reagiert.
Ich möchte das noch einmal vertiefen: Es verändern sich zur Zeit die gesamten beruflichen Tätigkeiten. Die Ausbildungsgänge werden neu geformt; es sind ständig Veränderungen im Gange. Das soll bis 1997 abgeschlossen sein. Mir scheint das die Grundlage dafür zu sein, daß darauf aufbauend im Wege der Fortbildung solche Tätigkeitsbilder entstehen. Man sollte sie aber nicht bereits als Ausgangsbild wahrnehmen. Meine Damen und Herren, das, was Sie hier an Forderungen aufstellen, geht mir ein bißchen zu weit.
Ich möchte dann zum Thema Trinkgeld noch etwas sagen; da haben Sie in Ihrer Rede gekniffen. In dem Antrag steht, daß man die Steuerfreistellung
erweitern sollte. Ich möchte einmal auf die Debatte verweisen, die wir vor einigen Jahren geführt haben. Da hieß es doch: Wir wollen alle Sachverhalte gleichstellen.
Damals gab es zum einen eine Steuerfreistellung des Trinkgelds in Höhe von 1 200 DM. Dies haben wir auf 2 400 DM erweitert, also um 100 Prozent, so würde es Norbert Blüm sagen. Es gab auch den Fall des Jahreswagens. Da hat man kräftig gekürzt.
Jetzt hat man versucht, alle Arbeitnehmer gleichzubehandeln, indem man auch Gleichheit als Steuerzahler herstellt.
Um genau das geht es. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man hier eine isolierte Regelung trifft.
Sie schreiben, die gute Serviceleistung Freundlichkeit sollte auch belohnt werden. Ich möchte Sie einmal fragen: Was machen Sie mit der Küchenfrau, die nicht hinter dem Tresen steht, sondern in der Küche und mit großer Liebe den Teller schmückt? Was bekommt sie?
Sie bekommt einen feuchten Händedruck, während Sie dem, der den Teller auf den Tisch stellt, ein Trinkgeld geben. Hierdurch wird Ungleichheit geschaffen, die wir nicht akzeptieren können. Deswegen ist das kein Weg, die Situation zu verbessern.
Meine Damen und Herren, was mir Sorge bereitet, ist ganz klar die Systemgastronomie, auch insofern, als sie viele Gaststätten verdrängt. Hier stellt sich schon die Frage: Wie können wir erreichen, daß so mancher Angriff auf die deutsche Eßkultur vielleicht etwas eingeschränkt werden kann?
Ich persönlich denke, man sollte vor allem darüber reden, ob man nicht den unerfahrenen Startern in Franchise-Arbeitsverhältnissen eine Möglichkeit geben könnte, etwas schneller aus dem Vertrag herauszukommen. Dies halte ich für einen wichtigen Punkt.
Dann zum Thema Bewirtschaftungskosten. Hierüber haben Sie immer polemisiert. Wir haben das zurückgenommen; jetzt ist eine eingeschränkte Regelung gültig. Trotzdem polemisiert Frau Matthäus-Maier in jeder Haushaltsdebatte von neuem darüber.
Meine Damen und Herren, Sie hätten heute einen Wurf gelandet, wenn Sie diese Diskussion für beendet erklärt hätten. Für jeden Insider ist doch klar, daß viele Betriebe nur dann überleben können, wenn sie dieses Potential haben. Wenn das fehlt, dann haben Sie keine ausgeglichene Bewirtschaftungsstruktur
Hans-Joachim Fuchtel
mehr. Gehen Sie einmal in sich! Vielleicht können wir dann miteinander einen Weg finden, so daß Sie Frau Matthäus-Maier bei einer anderen Debatte ein bißchen den Mund zuhalten, wenn sie darauf zu sprechen kommt.
Meine Damen und Herren, noch ein Thema; die 580-Mark-Beschäftigungsverhältnisse.
- Oder 590.
Wer der Gastronomie diese Möglichkeit nimmt, der gefährdet ebenfalls viele Betriebe in ihrer Existenz.
Kein Betriebszweig ist von dieser flexiblen Form des Arbeitsverhältnisses mehr abhängig als eben die Gastronomie. Auch da wäre es hilfreich, wenn Sie in sich gehen und diese Besorgnis wegnehmen würden. Denn das sind echte Probleme, die die Branche hat, auf die sie von uns eine Antwort will und für die wir tatsächlich auch zuständig sind.
Noch ein kurzes Wort zum Thema Saisonarbeitsverhältnisse. Es ist schon außerordentlich interessant, daß wir nach wie vor eine so hohe Zahl von Menschen außerhalb der Europäischen Union brauchen, die hier zu Saisonarbeiten kommen. Es ist noch interessanter, daß wir in den neuen Bundesländern diese Situation kaum antreffen.
Was lehrt uns das? Das lehrt uns in entscheidendem Maße, daß es offensichtlich dort, wo die Arbeitslosigkeit höher ist, eine verstärkte Bereitschaft gibt, Arbeiten anzunehmen, die man, wenn die Arbeitslosigkeit niedriger ist, nicht zu tun bereit ist.
Herr Kollege Fuchtel, achten Sie bitte auf die Zeit.
Was lehrt uns das dann wieder? Es lehrt uns eindeutig, daß wir auch einmal über das Thema „soziale Hängematte" miteinander sprechen sollten.
Wir sollten nicht auf der einen Seite die 4 Millionen Arbeitslosen beschwören, wenn wir auf der anderen Seite 150 000 Saisonarbeiter brauchen.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Meine Damen und Herren, das paßt nicht zusammen.
Das Wort hat die Kollegin Halo Saibold, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Neue Berufsbilder schaffen neue Chancen für qualifizierte Arbeitsplätze, aber natürlich noch keine Arbeitsplätze.
Neue Berufsbilder für den Tourismus- und Freizeitbereich sind längst überfällig. Ich stelle fest, daß die in der Diskussion befindlichen Berufsbilder sehr auf die Wirtschaft zugeschnitten sind. Der öffentliche Bereich ist ziemlich unterbelichtet. Die Bundesregierung hat für den dem Ausschuß vorgelegten Bericht über Berufsbilder im Tourismus nicht einmal den Verband der Deutschen Kur- und Tourismusfachleute befragt. Daran läßt sich die politische Wertschätzung bereits klar ablesen. Nach Ansicht von Herrn Fuchtel sind sie ohnehin schon längst abgeschrieben.
Wenn wirklich den klein- und mittelständischen Betrieben Unterstützung zukommen soll, dann müssen die kommunalen und regionalen Tourismusverbände qualifiziertes Personal erhalten. Da sind wir dann beim Problem: Es gibt keine entsprechende Eingliederung in den BAT, obwohl seit über 20 Jahren darum gekämpft wird. Seit über 20 Jahren gibt es auch schon die Klagen über dieses Problem.
Dies hat also zur Folge, daß die Akzeptanz und auch die Anerkennung insbesondere von den Arbeitgebern weitgehend fehlt. Immer noch werden Verwaltungsfachleute zu Marketingmanagern ernannt. Dies kann auf keinen Fall so weitergehen. Da hilft kein Jammern über unprofessionelles Arbeiten; die Rahmenbedingungen müssen einfach verändert werden.
Leider fehlt auch die Ausbildungsbereitschaft der öffentlichen Hand. In ganz Ostbayern gibt es höchstens 10 Auszubildende. Selbst die Fortbildung wird nicht gerade großgeschrieben. Noch immer herrscht die Meinung vor, Tourismus könne mit der linken Hand betrieben werden. Dies trifft gerade bei diesem so komplexen Wirkungsfeld in keiner Weise mehr zu.
Deshalb müssen auch die bestehenden Ausbildungsverordnungen verändert werden. Ökologie muß in allen Berufsfeldern als wesentlicher Bestandteil aufgenommen werden, genauso wie die Vermittlung von praxisbezogenen Fähigkeiten - ich betone: praxisbezogenen Fähigkeiten! - für Informations-und Kommunikationstechnologien.
In der gastronomischen Ausbildung darf nicht mehr das immerwährende Tischdecken nach Schema F oder das Hantieren mit Geschirr im Vordergrund stehen, sondern der „Umgang mit dem Gast" muß Pflichtfach werden. Dafür sind auch psychologische Kenntnisse erforderlich, um die Befindlichkeiten und die Bedürfnisse des jeweiligen Gastes schnell erkennen und flexibel und sensibel darauf eingehen zu können. Das Gefühl zu vermitteln, der und die einzelne sind wichtig und stehen im Mittelpunkt, wird in der Zukunft entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg sein, nicht etwa eine künstlich angelernte Freundlichkeit.
Halo Saibold
Unter vielen Themen möchte ich eines aufgreifen. Nationalparke und andere Schutzgebiete haben sich zu touristischen Magneten entwickelt. Gleichzeitig soll der eigentliche Zweck des Schutzes gewährleistet werden. Für dieses Kunststück, ohne Zeigefinger und ohne Verbote die gewünschten Ergebnisse im Verhalten der Besucher zu erzielen, bedarf es einer besonderen Schulung und Ausbildung.
Neben dem Fachwissen werden hier Fähigkeiten benötigt, wie Verständnis und Toleranzbereitschaft, Wissensvermittlung, Vorbildfunktion, Kommunikation und Selbstverantwortung zu stärken. Diese Fähigkeiten fehlen aber in unserer gesamten Gesellschaft. Es kann also auch nicht davon ausgegangen werden, daß engagierte Leute, die sich für solche Berufe melden, dies automatisch mit sich bringen. Die Erfahrungen aus den USA sind lange genug bekannt, und trotzdem gibt es bei uns ein jahrelanges Tauziehen. Das Berufsbild für die „Ranger" muß endlich abgeschlossen werden.
Das Problem stellt sich dann jedoch wieder bei der Bezahlung. Sowohl die Höhe als auch der Geldgeber sind die Streitpunkte in diesem Bereich. Die Bundesregierung muß gerade bei den Nationalparken ihrer Verantwortung für das ganze Land gerecht werden und sich auch finanziell daran beteiligen und darf nicht nur den Nationalparkverwaltungen das Problem zuschieben. Sie können es alleine nicht schaffen. Dann könnten viele neue und vor allen Dingen auch sinnvolle Arbeitsplätze geschaffen werden.
Die besten Ausbildungsvorschriften und Umschulungsmaßnahmen nützen wenig, wenn es keine entsprechenden Arbeitsplätze gibt. Das zeigt sich mittlerweile nicht nur im Osten, sondern auch bei uns.
In der Gastronomie gibt es übrigens eine besondere Entwicklung. Neue Formen der „Selbständigkeit" oder von „Existenzgründungen" mehren sich. Es gibt Kellner, die dem Wirt an der Theke bestellte Speisen und Getränke abkaufen, auf eigene Rechnung an Gäste weitergeben, die an vom Wirt gepachteten und vom Kellner selbständig bewirtschafteten Tischen sitzen. Solche Scheinselbständigkeiten können zwar die hohen Lohnnebenkosten umgehen und schönen auch die Bilanzen und Statistiken, aber sie sind natürlich in keiner Weise eine Lösung, sondern ein sozialer Sprengstoff für die Zukunft. Eigentlich müßte der DEHOGA, das ganze Gastgewerbe einer der eifrigsten Befürworter der Öko-Steuerreform sein, denn dann kann man diese Probleme auch lösen.
- Eben, aber das haben die DEHOGA und manch andere noch nicht erkannt.
- Ich bin mehr für die weibliche Form, Herr Feldmann, das wissen Sie ja schon.
Zum Schluß möchte ich noch einen wichtigen Punkt ansprechen: In Ostbayern gingen die touristischen Umsatzzahlen im letzten Jahr um ungefähr 100 Millionen DM zurück. Das bedeutet gleichzeitig einen Verlust von etwa 700 Arbeitsplätzen. Da es sich hier natürlich nicht um ein einzelnes Unternehmen handelt, gibt es also auch kein lautes Geschrei, und niemand nimmt davon Kenntnis. Das viel beschworene „Bündnis für Arbeit" erfordert meiner Meinung nach auch Maßnahmen zum Erhalt von Arbeitsplätzen, insbesondere in strukturschwachen Regionen. Mit wenigen Mitteln könnte die Bundesregierung Mittelstandsförderung oder Wirtschaftsförderung betreiben, wenn sie sich endlich zu der von uns beantragten Imagekampagne für Urlaub im Inland durchringen könnte.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Olaf Feldmann, F.D.P.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch von der SPD! Die F.D.P. begrüßt, daß wir uns heute im Deutschen Bundestag wieder mit einem tourismuspolitischen Thema befassen. Der Tourismus ist zwar kein Problembereich, im Gegenteil, er ist ein expansiver Wirtschaftszweig. Trotzdem verdient er die volle Aufmerksamkeit der Politik; denn der Tourismus schafft Arbeitsplätze.
Mit zwei Millionen liegt der Tourismus, wie der Kollege Janssen schon richtig ausgeführt hat, noch I vor der Schlüsselbranche Automobilindustrie. Aber anders als die Industrie hat das überwiegend mittelständisch orientierte Tourismusgewerbe keine Chance, in das Ausland abzuwandern, wenn die Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen. Das Gastgewerbe ist ortsgebunden und muß seine arbeitsplatzintensive Dienstleistung im Hochlohnland Deutschland erbringen.
Natürlich kann die Politik keine Arbeitsplätze schaffen, aber sie muß für gute Rahmenbedingungen sorgen, damit die Tourismusbranche Leistungen erbringen und Arbeitsplätze schaffen und erhalten kann. Zum Beispiel würde sich die Besteuerung von Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschlägen
sehr negativ auf das Gastgewerbe auswirken und seine Flexibilität gefährden. Also Hände weg von der Strafsteuer für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit! - Ich erwarte Beifall des ganzen Hauses,
aber er ist etwas spärlich. - Im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer und der Wettbewerbsfähigkeit der Branche muß diese Steuerfreiheit erhalten bleiben.
Auch die Neuregelung des Reisekostenrechts verschlechtert die Rahmenbedingungen des Gastgewerbes. Wenn schon eine großzügige Pauschalregelung nicht mehr möglich ist, dann sollte im Interesse der
Dr. Olaf Feldmann
betroffenen Außendienstmitarbeiter eine Einzelabrechnung der Verpflegungsmehraufwendungen für diese möglich sein.
Die Trinkgeldbesteuerung muß abgeschafft werden.
Ich will das so deutlich sagen. In diesem Punkt stimme ich den Antragstellern voll zu. Trinkgeld als Anerkennung trägt einen sehr persönlichen Charakter und darf nicht wie Lohn besteuert werden.
Auch wenn Sie, Frau Kastner, in Ihrem Antrag nichts Positives zu den geringfügig Beschäftigten sagen, darf ich für die F.D.P. feststellen: Die 590-DMVerträge müssen erhalten bleiben, denn das liegt auch im Interesse der Arbeitnehmer.
Natürlich wollen auch wir keinen Mißbrauch. Der Mißbrauch muß bekämpft werden; da sind wir uns einig. Aber das dienstleistungsintensive Gastgewerbe muß auch weiter mit der Geringverdienerlösung arbeiten können; denn es muß sehr flexibel auf saison- und witterungsabhängiges Stoßgeschäft reagieren können.
Der Wandel im Gastgewerbe erfordert auch eine Anpassung der Ausbildungsgänge und gegebenenfalls die Schaffung neuer Berufsbilder. Die F.D.P. begrüßt daher die Initiative des DEHOGA zur Neuordnung der Berufsausbildung im Gastgewerbe. Herr Janssen, wir unterstützen die Forderung nach einem neuen Berufsbild „Fachmann/-frau für Systemgastronomie". Immerhin hat die Systemgastronomie im Gastgewerbe einen Marktanteil von fast 20 Prozent erreicht.
Herr Kubatschka und Herr Kollege Fuchtel, ich unterstütze auch die Forderung des VDKF, Tätigkeitsmerkmale für die im Fremdenverkehrsbereich im öffentlichen Dienst Beschäftigten - die meisten sind ja im öffentlichen Dienst - festzuschreiben und eine Eingruppierung der Vergütung analog BAT zu ermöglichen.
- Vielen Dank für den Beifall, Frau Irber. - Das betrifft auch das Berufsbild und die Vergütung der Verkehrsamtsleiter.
Aber die F.D.P. wendet sich mit Nachdruck gegen eine besondere Kompetenz der Europäischen Union für den Tourismus. Dies widerspricht dem Subsidiaritätsprinzip.
Die von der SPD geforderten einheitlichen Arbeitsbedingungen scheinen mir angesichts der Vielfalt der europäischen Tourismuswirtschaft und der Fremdenverkehrsregionen kein wünschenswertes Ziel zu sein. Jedoch ist die gegenseitige Anerkennung der Ausbildungsabschlüsse wichtig.
Abschließend darf ich feststellen: Die von Ihnen aufgestellte Behauptung, Herr Kollege Janssen, die Ausbildungssituation im Gastgewerbe verschlechtere sich, ist falsch. Nach Auskunft des DEHOGA werden, wie Sie richtig zitiert haben, derzeit über 60 000 junge Menschen in dieser Branche ausgebildet.
Das ist gegenüber dem Vorjahr ein Zuwachs von 6,3 Prozent, und das ist ein Mehr an Ausbildung und nicht ein Weniger.
Deswegen verdient das Gastgewerbe Lob, denn es leistet einen wertvollen Beitrag für Arbeit und Ausbildung in Deutschland.
Vielen Dank, auch vielen Dank für die Zurufe von der Opposition.
Das Wort hat die Kollegin Christina Schenk, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD stellt in ihrem Antrag fest, daß der Anteil von Frauen in der Fremdenverkehrswirtschaft 60 Prozent beträgt. Bei den Bereichen wie Zimmerservice sowie Bedienung in Gaststätten und Restaurants sind fast ausschließlich Frauen beschäftigt, so daß dort ihr Anteil noch weit höher liegt.
Somit läßt sich also feststellen, daß von den Arbeits- und Ausbildungsbedingungen in der Fremdenverkehrswirtschaft, über die wir ja hier diskutieren, in erster Linie Frauen betroffen sind.
In den neuen Bundesländern kommt noch ein zusätzliches Problem hinzu, nämlich die hohe Erwerbslosigkeit von Frauen, insbesondere im ländlichen Raum. Seit 1989 wurden auf dem Lande zirka 700 000 Stellen abgebaut; davon waren zirka 75 Prozent von Frauen besetzt. Diese Frauen haben jetzt fast keine Chance, einen neuen Erwerbsarbeitsplatz zu finden.
Verantwortlich dafür - das dürfte allgemein bekannt sein - sind die Auflösung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und der kulturellen Einrichtungen, das Schließen der Kindertagesstätten und die Einstellung bzw. die Reduzierung des öffentlichen Nahverkehrs sowie die Aufgabe vieler Verkaufsstellen vor Ort.
Christina Schenk
Auf Frauen haben diese Strukturveränderungen eine doppelte Wirkung: Zum einen verlieren sie ihre Erwerbsarbeitsplätze, und zum anderen führt beispielsweise die Einschränkung von öffentlichen Verkehrsmitteln und die Reduzierung von Plätzen in Kinderbetreuungseinrichtungen zu Behinderungen bei der Suche nach neuen Perspektiven. Was nützt den Frauen eine Stelle, die 20 bis 25 Kilometer weit weg ist, wenn sie diesen entfernten Arbeitsplatz nicht erreichen können?
Genau diese mangelnde Infrastruktur behindert und verhindert auch die Entwicklung des Tourismus. Denn solche Dörfer sind auch bei sehr schöner Umgebung, die es in Ostdeutschland ja sehr viel gibt, weder für die Bewohnerinnen und Bewohner noch für die Touristinnen und Touristen attraktiv.
Die Förderung der Fremdenverkehrswirtschaft, wie sie im Osten durch AB-Maßnahmen begonnen wurde, muß daher unserer Meinung nach ausgebaut werden. Um den Tourismus zu fördern und Arbeitsplätze zu schaffen, muß eine kulturell, sozial und ökologisch sinnvolle Infrastruktur geschaffen werden.
Die von der SPD geforderte Verlängerung der AB-Maßnahmen ist aus unserer Sicht ein richtiger Schritt, der aber nicht ausreichend ist. Die PDS fordert einen öffentlichen Beschäftigungssektor, der zum Beispiel den Aufbau von Heimatkundemuseen ermöglichen würde, den öffentlichen Nahverkehr verbessern würde, Theateraufführungen, Konzerte und vieles andere mehr anbieten könnte, was im klassischen Sinne nicht profitabel ist.
Das Ende vieler AB-Maßnahmen Ende 1994 und Ende 1995 hat einer Vielzahl von begonnenen touristischen Projekten in den neuen Bundesländern das vorzeitige Aus beschert. Die Entwicklung im Tourismus in den neuen Ländern wurde so aus unserer Sicht wieder zurückgeworfen. Gerade diese Projekte haben sehr oft versucht, neue Wege zu beschreiten und aus den Fehlern, die im Westen gemacht wurden, zu lernen.
Die Forderung der SPD nach einem eigenständigen Berufsbild der Fremdenverkehrsamtsleiterin bzw. des Fremdenverkehrsamtsleiters ist zu begrüßen. Allerdings müßte dabei die Ausgestaltung der Ausbildung im einzelnen noch kritisch angesehen werden.
Außerdem muß nach unserer Meinung auch die Reiseleiterin, die Gästeführerin und die Animateurin bzw. Freizeitberaterin als Beruf und IHK-Abschluß anerkannt werden. In diesen Bereichen arbeiten zirka 80 Prozent Frauen; deshalb habe ich mich hier auf die weibliche Form beschränkt. Auch arbeitslose Erzieherinnen könnten hier eine neue Perspektive erhalten.
Ich sehe aber vor allem im Gastgewerbe ein großes Problem für geringfügig Beschäftigte, für Beschäftigte mit Zeitverträgen und für auszubildende ausländische Arbeitskräfte, Ältere und Arbeitslose, die oft als billige Arbeitskräfte ausgenutzt werden. Diese prekären Arbeitsverhältnisse, von denen in besonders hohem Maße wiederum Frauen betroffen sind,
müssen, wie wir meinen, auch in allen anderen Bereichen in sozial abgesicherte und angemessen bezahlte Arbeitsplätze umgewandelt werden.
In den neuen Bundesländern müssen außerdem Existenzgründungen im touristischen Bereich vor allem für Frauen unterstützt und erleichtert werden. Genauso meinen wir, daß die Vergabe öffentlicher Mittel an eine Besetzung der Erwerbsarbeitsplätze mit mindestens 50 Prozent Frauen gebunden werden sollte.
Die Fremdenverkehrswirtschaft könnte bei den entsprechenden Rahmenbedingungen eine Perspektive für Frauen im ländlichen Raum sein. Allerdings ist der Tourismus, wenn die Forderungen nach sozialer Absicherung, angemessener Bezahlung und Qualifizierung sowie Ausbau der Infrastruktur nicht erfüllt werden, nur ein weiterer Bereich, in dem Frauen zu unzumutbaren Bedingungen arbeiten werden, vorausgesetzt, daß sich die Fremdenverkehrswirtschaft unter solchen Bedingungen überhaupt erfolgreich entwickeln kann. Das ist dann ja die Frage. „Erfolgreich" heißt in diesem Zusammenhang sozial, kulturell und ökologisch sinnvoll für Mensch und Umwelt.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Werner Kuhn, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn man diese Debatte hier verfolgt, könnte man glauben, daß es im Deutschen Bundestag überhaupt keine engagierten und vollblutigen Fremdenverkehrspolitiker gibt.
Zu dem letzten Redebeitrag kann ich nur sagen: Frau Schenk, Sie wollen, daß die Fehler im Westen im Osten nicht begangen werden. Sie sollten erst einmal darüber reden, wie der Fremdenverkehr, der Tourismus im Osten abgewirtschaftet worden ist und wie die Städte und Gemeinden in ihrer Infrastruktur in 40 Jahren sozialistischer Planwirtschaft verfallen sind,
so daß wir jetzt die Fremdenverkehrswirtschaft im Osten sukzessive wieder aufbauen müssen.
Vor zehn Jahren, als Elmar Gunsch im ZDF - wir hatten vielleicht ein schlechtes Bild - gesagt hat: „Deutschland ist schön", da haben wir uns die Nase am Fernseher breit gedrückt und haben gedacht: Wenn wir da wohl einmal hinkommen könnten! Jetzt haben wir die Chance; seit fünf Jahren ist Deutschland wiedervereinigt.
Werner Kuhn
- Es ist nach wie vor schön. Wir sollten das auch rüberbringen und davon reden, daß wir herrliche Seen, Wälder, hügelige Landschaften, Hochgebirge und weite Meere haben.
Herr Kollege Kuhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte mich jetzt erst einmal in das Thema einarbeiten, und dann werde ich auch eine Zwischenfrage der Kollegin Schenk beantworten.
Es ist ein sehr großes Stück, Herr Kubatschka, an Naturressourcen und an landschaftlichen Schönheiten durch die Wiedervereinigung dazugekommen. Das ist eine Riesenchance, die Fremdenverkehrswirtschaft deutschlandweit nach vorn zu bringen und ihr einen Impuls zu geben. Denn Ostdeutschland ist nicht nur ein Mitwettbewerber, sondern wir haben auch 17 Millionen potentielle Urlauber.
Sie haben letztendlich im gegenseitigen Geben und Nehmen auch diesen großen Wirtschaftsbereich in Deutschland durch einen enormen Umsatz in seiner Wirtschaftlichkeit ein Stück nach vorn gebracht. Das sind Tatsachen.
Herr Kollege Kuhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Saibold?
Einen kleinen Moment noch, Frau Saibold; ich möchte ganz kurz noch zur wirtschaftlichen Entwicklung und natürlich auch zur Arbeitsplatzsituation und zur Ausbildungsplatzsituation in den neuen Ländern sprechen, weil das natürlich das Thema des heutigen Tages ist.
Es ist eine Tatsache, daß wir 1,4 Millionen Beschäftigte in Deutschland in der Fremdenverkehrswirtschaft haben. Wir haben in Ostdeutschland 230 000 direkt in der Fremdenverkehrswirtschaft Beschäftigte. Das sind, wenn man die ganzen Maurerbrigaden, die ganze Verwaltung, die Parteisekretäre und die Brandschutzbeauftragten aus dem ehemaligen FDGB-Feriendienst abrechnet,
heutzutage sogar 15 bis 20 Prozent mehr Beschäftigte, denen wir hier Arbeit, Lohn und Brot geben können. Das muß man auch einmal erwähnen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei der Ausbildungssituation sieht es natürlich noch schwierig aus. Wir hatten in Ostdeutschland 1991, als das Statistische Bundesamt angefangen hat, auch die Gebiete, die östlich der Elbe liegen, in seine Rechnungen einzubeziehen, 3 800 Fremdenverkehrsbetriebe mit 220 000 Übernachtungen. Im Jahr 1994 waren es bereits 6 300 mit 360 000 Übernachtungen. Ich möchte an dieser Stelle all denen - egal, ob es ein sozialistischer Leiter ist, der einen alten Betrieb übernommen hat und der dort seine ganze Habe, die Habe seiner ganzen Familie und sein Haus und Grundstück als Sicherheit gegeben hat und diese Firmen aufgebaut hat, oder ein Existenzgründer, der es genauso getan hat - danken und sagen: Ohne sie hätte es die Möglichkeit, die ostdeutsche Wirtschaft überhaupt wieder anzukurbeln, nicht gegeben. Das muß man hier auch einmal feststellen.
Das Risiko der Firmen ist, weil die Kapitaldecke sehr gering ist, nach wie vor sehr hoch. Ihre wirtschaftliche Stabilität ist nicht nur eine Frage der Unterstützung der Existenzgründung; vielmehr müssen wir Bestandspflege betreiben. Das sollte in der Form geschehen, daß dann, wenn jene Aspekte des Eigenkapitalhilfeprogramms zum Tragen kommen, daß erste Zahlungen nicht nur in bezug auf die Zinsen, sondern auch in bezug auf die Tilgung zu leisten sind, durch die Bundesregierung - das ist bereits durch das Wirtschaftsministerium signalisiert worden - wirtschaftlich gesunden Unternehmen, die vorübergehend in Schwierigkeiten geraten sind, auch eine entsprechende Hilfe geleistet wird.
- Nein, wir haben jetzt alle Möglichkeiten, um die Beherbergung in vernünftiger Qualität sicherzustellen. Wir haben allerdings ein Manko in der Form, daß der Tourismus leider nur zwischen 100 und 150 Tagen im Jahr effektiv funktioniert. Da fehlt die Infrastruktur; da fehlt natürlich auch noch eine Saisonverlängerung im Freizeitbereich. Der 24. Rahmenplan gibt uns hier Möglichkeiten, um gerade auch mit Privatinvestitionen die Infrastruktur und den Freizeitbereich zu fördern. Ich halte das für sehr, sehr wichtig.
Sie müssen sich einmal vorstellen, daß wir in den neuen Ländern, in den Gemeinden die Infrastruktur, angefangen vom Kanal über die Straße bis hin zur Parkbank und zur Beleuchtung, komplett neu errichten mußten.
Das konnte nicht nur mit Zuschüssen geschehen; vielmehr benötigte man auch Kredite. Die Kredite belasten die Gemeinden jetzt dermaßen, daß sie nicht weiter ins Obligo gehen können und für diesen Bereich noch höhere Kredite aufnehmen können. Deshalb sollten zum Beispiel Kurmittelhäuser - was im 24. Rahmenplan festgeschrieben ist - in privatwirtschaftliche Initiative gegeben werden, die dann
Werner Kuhn
entsprechende Förderung erlangt und auch wirtschaftlich betrieben wird. Da ist der Gemeinde geholfen, da hat die Infrastruktur des jeweiligen Bades oder Kurortes enorm dazugewonnen.
Ich kann die Saisonverlängerung bringen, und dann kann ich auch weitere Arbeitsplätze schaffen.
Nur so ist es möglich,
daß wir von der Saisonarbeit, wie Sie es vorhin gesagt haben, abkommen und dann natürlich Vollzeitbeschäftigung haben und auch Ausbildungsplätze in den unterschiedlichen Unternehmen schaffen können.
- Ja, zuerst müssen Sie einen Betrieb haben.
Ich sage noch eines dazu: Wir haben seinerzeit als Kreise - neben Investitionen mit europäischen Mitteln und solchen des Bundes - mit Eigeninvestitionen von 10 Millionen DM ein Bildungszentrum gebaut, das eine Vollzeitausbildung gerade für junge Leute gewährleistet. Denn es ist unser Anliegen, in aller erster Linie der Union, daß wir auch unseren jungen Menschen im Osten eine Perspektive geben.
Der Beruf des Kochs bzw. der Köchin ist in den alten Ländern sehr stark gefragt. Hier gab es 1994 32 000 offene Stellen, deutschlandweit aber nur 30 000 Bewerber. Ich sage Ihnen ganz offen: Mir ist es lieber, ein junger Mensch vom Fischland, aus Darß, Zingst oder von Rügen geht für zwei oder drei Jahre in die alten Länder, bekommt dort eine vernünftige Ausbildung und kann nachher im elterlichen Betrieb oder in einer größeren Firma bei sich zu Hause wieder einsteigen; denn die Heimatverbundenheit ist da.
Da zahle ich ihm lieber eine Aufwandsentschädigung - und er kommt gut ausgebildet wieder zurück -, als daß ich einem relativ wackeligen Unternehmen noch die Bürde aufdrücke, 5 Prozent Lehrlinge aufzuweisen, damit es eine öffentliche Förderung bekommt.
Wenn ich auf der anderen Seite feststelle, daß wirtschaftliche Gewinne erzielt werden, würde ich, wenn nicht 5 Prozent der Beschäftigten im Ausbildungsbereich sind, ganz rigoros von den Möglichkeiten des Wirtschaftsministeriums Gebrauch machen und 5 000 oder 8 000 DM je Erstauszubildenden streichen. Da würde ich eine eindeutige Grenze setzen. Das ist für die neuen Länder für meine Begriffe auch notwendig.
Ich halte es schlichtweg für eine Beleidigung derer, die im Fremdenverkehrs-, Gaststätten- und Hotelleriegewerbe arbeiten, daß sie als Auszubildende als Billigarbeitskräfte bezeichnet werden und gesagt wird, der Unternehmer wolle sie quasi um ihre Arbeitskraft betrügen. Das ist für meine Begriffe eine Diffamierung. Das schreckt junge Leute auch ab, in diesen Ausbildungsbereich zu gehen.
Hier muß man ganz vorsichtig sein.
Ich möchte nun das ansprechen, was zur Bekämpfung des immer wieder starken Trends nach Auslandsreisen unbedingt beachtet werden muß.
Beachten müssen Sie auch die Zeit, bitte.
Oh, ja. - Es ist unbedingt notwendig, wie der Vorsitzende des Fremdenverkehrsausschusses des Deutschen Städte- und Gemeindetages, der Bürgermeister von Plön, Herr Uwe-Jens Hansen, uns ans Herz gelegt hat - die Schleswig-Holsteiner mögen aufhorchen, Herr Dr. Olderog -, den PR-Bereich in Deutschland zwischen DZT und DFA zu koordinieren, damit wir tatsächlich unsere schöne Heimat für den Freizeitbereich allen Menschen hier in Deutschland als interessantes Ferienziel vermitteln können.
Danke.
Das Wort hat die Kollegin Susanne Kastner, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Im Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus wird es sicher eine interessante Debatte geben: Wenn man sich den Kollegen Fuchtel im Gespann mit dem Kollegen Feldmann angehört hat, hat man feststellen können, daß es zu diesem Thema völlig unterschiedliche Meinungen gibt.
Es stellt sich also die spannende Frage, Herr Kollege Feldmann, wie Sie im Ausschuß abstimmen werden.
Ich habe wieder die Vermutung, daß Sie bei dieser Abstimmung flott - auch im Hinblick auf das Wirtschaftsministerium - umfallen werden.
Susanne Kastner
Herr Kollege Fuchtel, wenn Sie sich auf Ihre Rede schon nicht richtig vorbereiten,
wenn Sie sich in diese Thematik schon nicht einlesen, dann möchte ich Sie doch bitten, bei der Rede meines Kollegen Jann-Peter Janssen demnächst mal vernünftig zuzuhören. Mein Kollege Jann-Peter Janssen hat nämlich nicht davon gesprochen, daß die Zahl der Ausbildungsplätze zurückgeht. Vielmehr hat er davon gesprochen, daß die Zahl der Aussteiger in diesem Bereich zunimmt. Das ist eine Problematik für sich.
Da muß man sich doch mal überlegen: Wenn ein Betrieb ausbildet, will er den Berufsstand üblicherweise erhalten. Er will Wissen, er will Erfahrung vermitteln. Wer aber nur ausbildet, um billige Arbeitskräfte in seinem Betrieb zu haben,
der will mit dieser ichbezogenen Haltung auch nichts mit anderen Betrieben gemein haben. Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist der Problempunkt unseres Tourismusbereiches überhaupt. Eine Branche kann nach außen hin nur so wirken, wie sie sich in ihrem Inneren verhält. Deshalb ist die Tourismusbranche nach außen hin auch nicht homogen, tritt sie nicht als Ganzes auf.
Ich sage noch einen Satz, Herr Kollege Fuchtel, zu den 590-DM-Verträgen: Wir brauchen sie in diesem Antrag nicht zu formulieren; wir haben unsere Zielsetzung in Anträgen im Arbeits- und Sozialausschuß zigmal formuliert. Doppelt moppeln müssen wir in der Frage nicht. Das Schlimme an der Diskussion ist, Herr Kollege Fuchtel, daß die DEHOGA sehr viel weiter denkt als Sie. Die sind nämlich schon auf dem Trip, einen Weg zu suchen, diese Leute wenigstens in die Versicherungspflicht hineinzunehmen. Das begrüßen wir.
Damit komme ich zur Trinkgeldbesteuerung: Wie wir wissen - so sagt auch der Hotel- und Gaststättenverband -, eine Bagatellsteuer. In Fachkreisen wird dagegengehalten, Trinkgelder seien Bestandteil des Arbeitslohns und müßten deshalb versteuert werden. - Wenn es so wäre, daß die Trinkgelder ein Bestandteil des Arbeitslohns wären, dann müßten auch Sozialversicherungsbeträge abgeführt werden. Die Trinkgelder erhöhen aber weder die Rentenbezüge noch ein mögliches Arbeitslosengeld für die Betroffenen.
Der Sondercharakter dieser Zuwendungen ist sehr wohl anerkannt; das wissen Sie. Dies wird auch in einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts von Juni 1995 festgestellt. Da heißt es nämlich: Trinkgelder gehören nicht zum Arbeitslohn.
Wie sieht die Situation der Trinkgeldbesteuerung in den Nachbarländern aus? In der Schweiz gibt es
keine Besteuerung; in Italien gibt es keine Besteuerung; in Österreich gibt es keine Besteuerung. Die österreichische Lösung könnte für uns Modellcharakter haben. In Österreich können sich die Betroffenen mit einer monatlichen Zahlung von 80 Schillingen in die Sozialversicherungskasse eine verbesserte Versicherungsleistung sichern. Die Renten- und Arbeitslosenbezüge berücksichtigen dort, daß die Arbeitnehmer auch von den Trinkgeldern gelebt haben.
Aber bei uns ist es so - und das ist bedenklich -, daß die Finanzämter etwas zur Ermittlung der ihrer Meinung nach korrekten Besteuerung von Trinkgeldern unternehmen müssen. Im Regelfall wird von den Finanzämtern geschätzt. Diese Schätzpraxis ist jedoch verwerflich. Das wissen auch Sie. Mir sind Fälle bekannt, in denen das Personal eines renommierten Restaurants vom zuständigen Finanzamt für fünf Jahre nachveranlagt wurde, und zwar nur deshalb, weil der zuständige Sachbearbeiter des Finanzamts dort einmal gegessen hat und glaubt, die Gäste an den umliegenden Tischen hätten ein weitaus höheres Trinkgeld gezahlt, als es von dem Personal gegenüber dem Finanzamt angezeigt wurde.
Dieses Beispiel ist überhaupt nicht abwegig, sondern oft vorgefundene Praxis. Diese Praxis ist schlichtweg Quatsch. In einfachen Lokalen und Pubs wird oftmals mehr Trinkgeld gegeben als in Gourmetlokalen. Das wissen Sie auch, Herr Kollege Fuchtel. Meine Mutter hat mir beigebracht: Von den Reichen kann man das Sparen lernen.
Für geschätzte 67 Millionen DM Steuereinnahmen des Bundes pro Jahr aus der Trinkgeldbesteuerung wird ein ganzer Berufsstand pauschal verdächtigt, und das ist nicht in Ordnung. Unsere Steuerbeamten können ja eigentlich überhaupt nichts dafür. Sie müssen die Angaben des Hotel- und Gaststättenpersonals halt überprüfen und haben dazu überhaupt keine ausreichenden Anhaltspunkte. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist da Handlungsbedarf einfach gegeben.
- Herr Kollege Feldmann, tun Sie das bitte auch im Ausschuß!
Nun komme ich zu dem Berufsbild der Tourismuspolitiker. Die Praxis zeigt, daß ausgebildete und qualifizierte Fremdenverkehrsspezialisten in den Fremdenverkehrsämtern der Kommunen zu Arbeitsbedingungen tätig sind, unter denen ansonsten die berühmte Putzfrau arbeitet - ohne diesen Berufsstand beleidigen zu wollen. Sie sind nämlich dem Finanzetat der Kommune ausgesetzt, und darüber, wie die Finanzsituation der Kommunen aussieht, haben wir heute lange genug gesprochen.
Susanne Kastner
Es ist für uns völlig unverständlich, Warum es seit vielen Jahren einfach nicht möglich sein soll, dieses eigenständige Berufsbild für die Fremdenverkehrsamtsleiterinnen und -leiter tariflich zu verankern und festzuschreiben.
Die Argumente, die auch den Personalausschuß des Bayerischen Städtetages veranlaßt haben, diese Forderung abzulehnen, kann ich aus finanziellen Gründen zwar verstehen - Herr Kollege Fuchtel, hören Sie auf, sich die Haare zu raufen! -, aber qualifizierte und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bringen durch ihre Arbeit den Kommunen eben auch Geld in die Kasse.
Heute ist von meinem Kollegen Kubatschka schon einmal darauf hingewiesen worden, daß der Verband Deutscher Kur- und Tourismusfachleute seit Jahren vergeblich versucht, eine angemessene Einstufung und Bezahlung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in öffentlichen Fremdenverkehrsstellen zu erwirken. Die Ursache hat auch wieder etwas mit dem fehlenden Wir-Gefühl der Branche zu tun, was ich eingangs schon angedeutet habe.
Stellen Sie sich einmal dieselbe Situation in der Automobilindustrie vor. Die Marketing- und PR-Abteilungen - und genau das sind unsere Fremdenverkehrsämter - hätten dort weder ein festes Berufsbild noch eine angemessene Anerkennung ihrer Arbeit. Der Stern - und damit meine ich nicht eine Autofirma - in dieser Branche würde ganz rasch sinken.
Deshalb hilft es überhaupt nicht weiter, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister den Fremdenverkehrsverbänden eine gewisse „Schläfrigkeit" vorwirft; das macht er ja zu gerne. Wir sollten vielmehr dafür sorgen, Herr Kolb, daß diese gute Arbeit auch gut bezahlt wird.
Wir hoffen, daß durch die Aufmerksamkeit und den Stellenwert, den der Deutsche Bundestag durch Annahme des von uns vorgelegten Antrags zum Ausdruck bringen wird, in diese festgefahrene, für manche Leute existentielle Situation endlich Bewegung kommt.
Angesichts der nun endlich feststellbaren Trendumkehr in der deutschen Tourismusbranche - und wir alle freuen uns darüber, daß es eine Trendwende zum Reisen in Deutschland gibt - sollten wir alles tun, diesen neuen Trend zu unterstützen.
Was wir in unserem Land brauchen, sind freundliche, gut geschulte und motivierte Fachleute in der Fremdenverkehrswirtschaft. Wir wollen mit unserem Antrag den nötigen politischen Beitrag leisten.
Danke schön.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Heinrich Kolb.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Tourismuswirtschaft zählt mit rund 200 Milliarden DM Umsatz und knapp 2 Millionen Beschäftigten zu den größten und wichtigsten Wirtschaftsbereichen. Sie bietet nach wie vor gute Wachstumschancen, zusätzliche Beschäftigungsaussichten und hat auch eine wichtige regionalpolitische Bedeutung.
Die Position Deutschlands als Reiseland im internationalen Wettbewerb hat sich zwar in den letzten Jahren stabilisiert, aber die Potentiale dieses Wirtschaftszweiges für mehr Wachstum und insbesondere auch Beschäftigung können und müssen aus der Sicht der Bundesregierung noch stärker entwikkelt werden. Wir werden deshalb auch den intensiven Dialog mit der Tourismuswirtschaft und den Verbänden fortsetzen.
Der vorliegende Antrag geht ausführlich auf die Ausbildungssituation in der Fremdenverkehrswirtschaft ein. Allerdings kann ich die rückläufige Anzahl der Ausbildungsverhältnisse sowie eine zunehmende Verschlechterung der Ausbildungssituation nicht feststellen. Die Zahl der neu begonnenen gastgewerblichen Ausbildungsverhältnisse stieg 1994 im Vergleich zu 1993 um 6,3 Prozent.
- Das kann man gar nicht oft genug hören, Frau Kastner, weil diese Entwicklung sehr erfreulich ist. - In 1995 hat sich die Zahl der Ausbildungsplätze auf dem hohen Niveau stabilisiert.
Qualifizierung ist ein wichtiger Wettbewerbsfaktor. Ich möchte deshalb auch auf die Aus- und Weiterbildung eingehen. Die Bandbreite der touristischen Tätigkeiten ist groß und umfaßt ja beileibe nicht nur den Reiseverkehrskaufmann bzw. die Reiseverkehrskauffrau, sondern reicht über den Luftverkehrskaufmann bis zu den Hotelfachleuten und Köchen. Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer Tätigkeiten, deren Ausbildung bisher nicht geregelt ist, etwa die Reiseleitung oder auch die Flugbegleitung.
Veränderte Arbeitsabläufe, verstärkter Technologieeinsatz sowie die Anpassung an sich wandelnde Markterfordernisse mit den damit geänderten Anforderungen an die Mitarbeiter haben die Bundesregierung und die Sozialpartner zu einer Überarbeitung der von 1979 stammenden Verordnung über die Ausbildung zum Reiseverkehrskaufmann bzw. zur Reiseverkehrskauffrau veranlaßt. Das Inkrafttreten der neuen Verordnung ist für den 1. August 1997 vorge-
Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
sehen. In ihr wird auch der Umgang mit Reservierungs- und Buchungssystemen berücksichtigt -
für die zukünftige Entwicklung sicherlich sehr bedeutsam.
- Das ist richtig, aber hier geht es ja um Ausbildung, Kollegin Irber.
Ich will auch darauf hinweisen, daß die Ausbildungsvorschriften bewußt technikneutral gehalten sind, um den ausbildenden Betrieben die Möglichkeit zu geben, sich den technischen Entwicklungen flexibel anzupassen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung ist aufgeschlossen für die neuen Vorschläge für staatlich anerkannte Berufe wie etwa den Reiseleiter bzw. die Reiseleiterin, den Tagungskaufmann bzw. die Tagungskauffrau oder den Fachmann bzw. die Fachfrau in der Systemgastronomie. Hiermit kann sicherlich die Attraktivität der Tourismusbranche auf dem Arbeitsmarkt gesteigert werden.
- Ich sage es Ihnen: Die Vorschläge sollen bis Ende März 1996 von den Sozialpartnern - die sind ja zunächst einmal gefordert - auf ihre Eignung und Realisierbarkeit geprüft werden.
Die sich dann daraus ergebende Neuordnung muß zügig umgesetzt werden - wir haben dies vor -, damit in den neuen Berufen möglicherweise schon 1997 ausgebildet werden kann.
Auch die Anpassungsfortbildung und die Weiterbildung im Tourismusbereich, die im Antrag hervorgehoben wird, werden von der Bundesregierung gefördert, zum Beispiel im Rahmen des Darlehenprogramms zur Förderung der beruflichen Fortbildung oder des Deutschen Seminars für Fremdenverkehr. Schließlich wird die Fortbildung im Bereich Tourismus/Fremdenverkehr/Freizeit auch in die neue, von der Bundesregierung initiierte Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung einbezogen.
Das Bundesinstitut für Berufsbildung untersucht derzeit Tätigkeiten im Bereich des Umweltschutzes und der Landschaftspflege, um zu klären, ob der notwendige Qualifikationsbedarf eigene Berufsbilder rechtfertigt oder möglicherweise über Zusatzqualifikationen abgedeckt werden kann.
Im vorliegenden Antrag werden auch Weiterbildungsmaßnahmen für ungelernte oder niedrig qualifizierte Saisonbeschäftigte im Hotel- und Gaststättenbereich gefordert. Ich halte dies für durchaus sinnvoll. Das Arbeitsförderungsgesetz steht auch
Arbeitnehmern ohne Berufsabschluß offen, und die Teilnahme an Weiterbildungsveranstaltungen außerhalb der Saisonzeiten ist grundsätzlich möglich. Ich muß aber leider sagen, daß erfahrungsgemäß viele Saisonkräfte zu Beginn der neuen Saison wieder ihre Beschäftigung aufnehmen, ohne daß eine zusätzliche Qualifizierung zwischengeschaltet worden wäre. Ich glaube, hier sollten wir die staatlichen Förderangebote noch mehr verdeutlichen.
Zur Frage der Trinkgelder möchte ich nur kurz folgendes sagen.
- Herr Kollege Feldmann, da sind wir wahrscheinlich nicht ganz einer Meinung.
Der Steuerfreibetrag für Trinkgelder wurde erst 1990 auf 2 400 DM verdoppelt. Dieser Freibetrag entspricht damit der Höhe nach dem Rabattfreibetrag, den auch die Empfänger von Belegschaftsrabatten in Anspruch nehmen können. Ich meine, aus steuerrechtlicher Sicht ist hier eine adäquate Regelung erreicht.
In dem Antrag werden auch die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in den neuen Bundesländern angesprochen. Diese haben dazu beigetragen, den Anpassungsprozeß in der Fremdenverkehrswirtschaft sozialverträglich abzufedern und ihn zeitlich zu strecken. Aber daraus darf keine Dauersubventionierung durch die Bundesanstalt für Arbeit entstehen. Es ist deshalb richtig, ABM in der Regel auf ein Jahr zu befristen. Eine verlängerte Förderdauer bei ABM von zwei Jahren statt eines Jahres ist nach geltendem Recht - ich betone das - in Ausnahmefällen möglich.
Die von der Bundesregierung eingeleiteten Maßnahmen zur Sicherung und Verbesserung der Arbeitsplatz- und Ausbildungssituation in der Fremdenverkehrswirtschaft tragen der Bedeutung dieses Wirtschaftszweiges Rechnung. Ich versichere Ihnen, daß dieses Thema auch zukünftig mit der notwendigen Aufmerksamkeit behandelt wird, um den Tourismusstandort Deutschland im internationalen Wettbewerb zu stärken.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/2981 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Metadaten/Kopzeile:
7362 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Februar 1996
Vizepräsident Hans-Ulrich KloseIch rufe Tagesordnungspunkt 11 sowie Zusatzpunkt 6 auf:11. Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika Beer und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNENAusweitung des Minenexportmoratoriums der Bundesrepublik Deutschland- Drucksache 13/3524 —Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für WirtschaftVerteidigungsausschußZP6 Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann, Dr. Irmgard Schwaetzer, Roland Kohn und der Fraktion der F.D.P.Bekämpfung des internationalen Landminenproblems- Drucksache 13/3611 —Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuß VerteidigungsausschußIch eröffne die Aussprache und teile Ihnen mit, daß alle Reden zu Protokoll gegeben werden').Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/3524 und 13/3611 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es darüber Einverständnis? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf:14.a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Barbara Höll und der Gruppe der PDSEntkriminalisierung des Gebrauchs bislang illegaler Rauschmittel, Legalisierung von Cannabisprodukten, kontrollierte Abgabe sogenannter harter Drogen- Drucksache 13/1357 —Überweisungsvorschlag:RechtsausschußAusschuß für Gesundheit
InnenausschußAusschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugendb) Erste Beratung des von den Abgeordneten Kerstin Müller , Volker Beck (Köln), Manfred Such und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes (BtMGÄndG) - Rückzugsräume - - Drucksache 13/3017 -Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Gesundheit
InnenausschußRechtsausschußAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und ForstenAusschuß für Familien, Senioren, Frauen und Jugend*) Anlage 2
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe der PDS fünf Minuten erhalten soll. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von uns vorgelegte Antrag hat zwei Punkte zum Gegenstand: erstens die Entkriminalisierung des Gebrauchs von Cannabisprodukten. Besitz und Erwerb zum Eigenkonsum müssen straflos sein.
Zweitens fordert die PDS die ärztlich kontrollierte Abgabe auch sogenannter harter Drogen, um auch hier einen Entkriminalisierungsprozeß vorzunehmen.
Ich weiß, daß diese Debatte seit vielen Jahren geführt wird. Ich selber führe sie seit über zehn Jahren. Auch in der letzten Legislaturperiode haben wir sie geführt. Ich bin dennoch der Meinung, daß sich in diesem Bereich, insbesondere auf konservativer Seite, nichts bewegt hat. Ganz im Gegenteil: Es wird weiterhin mit Ängsten und gezielter Angstmacherei ein Fortschritt in diesem Bereich verhindert.
Ich will deswegen noch einmal nüchtern die wichtigsten Punkte aufzeigen und darlegen, warum unser Antrag wichtig ist. Viele Bürger und Bürgerinnen sind mit den Folgeerscheinungen der herrschenden Drogenpolitik konfrontiert, sei es als Abhängige oder als deren Angehörige, sei es als Betroffene der grassierenden Beschaffungskriminalität.
Beschaffungskriminalität und Prostitution sind die logische Folge der Illegalisierung. Die polizeiliche Praxis bestätigt, daß ein großer - wenn nicht der größte - Teil dessen, was unter Alltagskriminalität gefaßt wird, mit Sucht bzw. Beschaffungskriminalität zusammenhängt.
Die Drogenpolitik der Bundesregierung ist nach Auffassung vieler Fachleute komplett gescheitert. Die gegenwärtige Drogenpolitik produziert in erheblichem Maße die Probleme, die sie zu bekämpfen vorgibt, indem ein verhängnisvoller Kreislauf zwischen Illegalisierung, Kriminalisierung und Abhängigkeit aufrechterhalten wird.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Ihre Drogenpolitik setzt nach wie vor auf Mittel der Repression, obwohl von Fachleuten nachgewiesen worden ist, daß das Strafrecht diesbezüglich ein untaugliches Mittel ist. Auch der Gebrauch von sogenannten harten Drogen muß straflos sein. Drogenabhängigkeit ist nämlich kein strafrechtliches, sondern ein soziales und medizinisches Problem.
Aus unserer Sicht kommt es entscheidend darauf an: Wenn der Verlust des Arbeitsplatzes oder der Arbeitsfähigkeit droht, eine abhängige Person also Gefahr läuft, aus sozialen Strukturen zu fallen bzw. in die Beschaffungskriminalität abzurutschen, muß dieser Person spätestens dann ermöglicht werden, die benötigten harten Drogen unter ärztlicher Kontrolle zu beziehen.
Ulla Jelpke
Im Hinblick auf die Nachfrage nach Drogen wirkt das Strafrecht überhaupt nicht abschreckend. Die Kriminalisierung des Drogenkonsums ist Grundlage dafür, daß Drogenhändler unverhältnismäßig hohe Handelsprofite einstreichen können. Wenn sogenannte harte Drogen für den Eigenkonsum ärztlich kontrolliert erhältlich sind, wird dieser Extraprofit ausbleiben.
Tun Sie doch bitte nicht so, als ob der Ruf nach einer kontrollierten Abgabe harter Drogen nur von Spinnern käme! Erst diese Woche hat der Kölner Polizeipräsident Roters angekündigt, daß die Domstadt Heroin an schwerstabhängige Konsumentinnen und Konsumenten abgeben wolle. Keiner von uns hat vor, Drogen im Supermarkt verkaufen zu lassen. Im Gegenteil: Wir wollen, daß diese Abgabe von einer psychosozialen Betreuung begleitet wird bzw. danach soziale Eingliederungshilfen gegeben werden.
Entkriminalisierung harter Drogen sorgt nicht für eine Überflutung der Angebotsseite. Im Gegenteil, wir wollen den illegalen Markt austrocknen. Das nicht wegzuleugnende Konsumentenpotential soll vor den Folgen Ihrer auf Kriminalisierung setzenden Politik geschützt werden, meine Damen und Herren der Regierungskoalition: Schutz vor Drogen, die zur Steigerung des privaten Profits verunreinigt werden; Schutz vor dem Zwang zur Beschaffungskriminalität wie auch zur erbärmlichen Straßenprostitution.
Zum Schluß noch ein Wort zu dem Antrag der Bündnisgrünen. Wir halten Fixerstuben ebenso notwendig, wie Sie das in Ihrem Antrag beschreiben. Sie bieten die Chance, sich in sanitär geordneter Umgebung den benötigten Stoff zu verabreichen. Derartige Einrichtungen bieten Informationen über die gesundheitlichen Risiken und Fehlerquellen bei der täglichen Drogeneinnahme an. Nicht zuletzt bieten Fixerstuben auch die Möglichkeit, die abhängigen Menschen aus ihrer sozialen, privaten Isolation ein Stück weit herauszuholen.
Ich danke.
Das Wort hat der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Guten Abend, meine Damen und Herren! Zu solch später Stunde ein so wichtiges Thema. - Die Drogenpolitik der Bundesregierung ist gescheitert. Mit dem Drogenhandel werden auch in diesem Land Milliarden verdient. Es gibt 120 000 Gebraucher harter Drogen, 500 000 Gebraucher weicher Drogen; zirka 1 500 Drogentote gab es im letzten Jahr. Das ist fürwahr keine Erfolgsbilanz, sondern ein Offenbarungseid der repressiven Drogenpolitik.
Wenn wir über Drogenpolitik sprechen, hat das immer zwei Dimensionen: Es geht einmal um ein gesundheits- und sozialpolitisches Thema, zum anderen um ein innen- und rechtspolitisches Problem. Unter beiden Gesichtspunkten können wir nur
feststellen: Wir brauchen eine radikale Wende in der deutschen Drogenpolitik.
Der repressive Weg ist gescheitert, weil er scheitern mußte. Ein weiteres Schrauben an der Strafrechtsspirale wird das Drogenproblem nicht beseitigen, aber die freiheitlichen Grundlagen unserer Gesellschaft beschädigen und gefährden. Dort, wo Alternativen zur Repression praktiziert werden, gehen das Elend der Drogenabhängigen, die Zahl der Drogentoten sowie die Infektionen mit HIV und Hepatitis zurück.
Ein Beispiel: In Frankfurt am Main gab es 1991 140 Drogentote, 1995 zirka 35. Allein die Druckräume in Frankfurt halbierten die Zahl der Drogentoten, und bundesweit haben wir einen leichten Rückgang zu verzeichnen. Das ist im wesentlichen der Auflegung von Methadon-Programmen für Schwerstdrogenabhängige zu verdanken. Ansonsten wären die Zahlen noch viel höher. Wären die Einstiegsvoraussetzungen für viele dieser Programme nicht so bitterlich hart, könnten wir die Zahl der Drogentoten erheblich absenken.
Rückzugsräume für Schwerstabhängige - das zeigen die Frankfurter Zahlen - haben sich also bei der sozialen Stabilisierung von IV-Drogenabhängigen bewährt. Unser Gesetzentwurf schafft hier die notwendige Rechtssicherheit. Er enthält die erforderliche Klarstellung, daß das Betäubungsmittelgesetz solchen Maßnahmen nicht entgegensteht.
Auch wird das Umfeld des Drogenabhängigen aus der Strafbarkeit herausgenommen. Es ist doch absurd, daß Lebenspartner oder die Familie eines Drogensüchtigen sich der Gefahr der Strafbarkeit aussetzen, wenn sie es dulden, daß sich der Drogenabhängige in ihrer Wohnung die Droge spritzt. Dies gilt als Verschaffen von Gelegenheit. So etwas darf man nicht weiter bestrafen, weil die Gefahr von Infektionen und die Gefahr für die Gesundheit des Betroffenen viel geringer ist, wenn der Konsum in geschlossenen und geschützten Räumen stattfindet.
Ich gebe zu, unser Gesetzentwurf ist ein immanenter Vorschlag, und deshalb ist er auch ein Angebot an Sie für eine Humanisierung der Drogenpolitik, die auch unter repressiven Vorzeichen möglich wäre. Dies wäre ein Schritt, den Sie bei allen grundsätzlichen Differenzen mit uns gemeinsam gehen sollten. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Bündnis 90/Die Grünen wollen eine andere Drogenpolitik; denn mit solchen Maßnahmen, wie wir sie heute vorgeschlagen haben, kann man das Elend nur eindämmen, aber nicht beseitigen.
Wir wollen eine ärztlich kontrollierte Abgabe von harten Drogen: Heroin auf Krankenschein. Das ist auch sachgerecht, weil Süchtige keine Kriminellen sind. Sucht ist eine Krankheit, und deshalb ist das Strafrecht die falsche Antwort. Wir wollen auch die Abgabe von Haschisch und Marihuana nach den Vorschriften, die für Alkohol gelten, und wir wollen Methadonprogramme niedrigschwellig ausbauen, um Menschen einen Ausstieg und eine soziale Integration zu ermöglichen.
Volker Beck
Eine solche Politik senkt Neueinstiegsraten und bekämpft auch das Anfixen durch Dealer - einer der widerlichsten Aspekte in unserem Umgang mit Drogen: Junge Menschen werden allein deshalb angefixt, weil sich der Dealer durch deren Abhängigkeit für die Zukunft Profit verspricht. Dies kann man einfach abstellen, indem man garantiert, daß Süchtige vom Arzt Ersatzstoffe oder Originalstoffe bekommen. Dann haben wir das Problem in einer humanen Art und Weise gelöst und auch die marktwirtschaftlich adäquate Antwort auf die Organisierung unseres Drogenmarktes gefunden.
Ihre repressive Drogenpolitik ist ein einziges ABM- Programm für organisierte Kriminalität. Wir meinen, man muß die Dealerringe marktwirtschaftlich bekämpfen. Mit einer Legalisierung trifft man diese Organisationen in ihrem Mark. Die Kriminalisierung der Drogen garantiert dagegen Gewinnspannen von enormer Höhe auf dem Schwarzmarkt. Ich sage Ihnen in diesem Zusammenhang: Ende mit dieser falschen Unternehmerfreundlichkeit gegenüber diesen Ringen!
Die Beschaffungskriminalität insgesamt ist in der innen- und rechtspolitischen Debatte eines unserer besonderen Probleme. Jeder zweite Diebstahl im Kfz-Bereich, jeder dritte Einbruch, jeder fünfte Raub hängen damit zusammen, daß Menschen sich das Geld für den nächsten Schuß besorgen müssen. Deshalb werden sie straffällig. Hier könnten wir mit einer anderen Drogenpolitik tatsächlich die Ursachen von Kriminalität bekämpfen und wichtige soziale Probleme lösen.
Eine drogenfreie Gesellschaft läßt sich damit allerdings nicht schaffen. Eine drogenfreie Gesellschaft, wie sie der Politik der Bundesregierung zugrunde liegt, ist als Zielvorstellung auch eine gefährliche, weil nicht erreichbare Illusion. Ich fordere Sie auf: Beenden Sie endlich Ihre drogenpolitischen Donquichotterien, und arbeiten Sie mit uns an einer vernünftigen Lösung der Probleme der Menschen und damit auch an einem vernünftigen Konzept zur Bekämpfung von Verbrechen und Kriminalität in unserer Gesellschaft.
Das Wort hat der Kollege Hubert Hüppe, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst müßte man sich eigentlich freuen, daß wir heute wieder über das Thema Drogen und Sucht sprechen, weil es wirklich eines der wichtigsten sozialmedizinischen Themen in Deutschland ist. Doch wenn ich die Anträge lese, die von der PDS und von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorgelegt werden, dann muß ich sagen: Es gibt keine neuen Politikansätze, sondern nur alte Hüte. Frau Jelpke, das wird auch nicht besser, wenn Sie Ihre Forderungen zehn Jahre lang vortragen. Es bleiben immer noch die falschen Wege.
Aber eine Besonderheit gibt es diesmal dennoch. In keinem Antrag wurde bisher im Deutschen Bundestag so deutlich wie in dem der PDS die Abgabe von Heroin und anderen harten Drogen gefordert. Das ist das Schlimme an der Debatte. Es wird wieder einmal ein Anlaß gesucht, weiche wie auch harte Drogen zu verharmlosen. Auch dieses Mal besteht die Gefahr, daß gerade Jugendliche den Eindruck gewinnen, illegale Drogen könnten doch gar nicht so schlimm sein.
Daß diese Befürchtung nicht unbegründet ist, beweisen die Zahlen. Seit Beginn der Legalisierungsdiskussion, die vor allem von der Opposition immer wieder angefacht wird, ist die Zahl der jugendlichen Neueinsteiger gestiegen. Ist dieser Einstieg eigentlich verwunderlich, wenn die Abgeordnete der Grünen, Frau Knoche, die heute leider nicht anwesend ist, noch in der letzten Drogendebatte am 18. Mai 1995 gesagt hat:
Mit Heroin, reinem guten Heroin, kann man relativ gesund alt werden.?
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß solche Sätze sehr gefährlich für die Jugendlichen in Deutschland sind und daß Sie uns damit keinen Gefallen tun und schon gar nicht denjenigen, die gefährdet sind, in diesen Kreis abzurutschen.
- Sehr richtig.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?
Ja.
Würden Sie mir zugestehen, daß es, wenn reines Heroin erhältlich wäre und von Ärzten oder von geschultem Personal kompetent an Süchtige verabreicht würde, weder das Problem der Überdosierung noch das Problem der Vergiftung durch falsche Beimischung gäbe, daß der Drogenkonsum insofern weniger gesundheitsschädlich wäre und daß Menschen durch solche Maßnahmen die Möglichkeit hätten, sich sozial so zu stabilisieren, daß sie es sich vielleicht überlegen, eine Therapie anzufangen, und daß sie vielleicht die Kraft finden, durch die Wiedereingliederung in die Gesellschaft aus der Abhängigkeit, die zugestandenermaßen ein Problem ist, auszusteigen?
Herr Beck, das ist aber etwas anderes als das, was Frau Knoche gesagt hat. Es ist schon richtig, daß eine vermischte Drogeneinnahme schlimmer ist als eine reine Drogeneinnahme. Aber wir wollen, daß die Menschen überhaupt keine
Hubert Hüppe
Drogen mehr nehmen. Wir wollen sie davon wegbekommen. Das bleibt unser Ziel.
- Herr Beck, entschuldigen Sie, Sie können gleich noch einmal fragen, wenn Sie dazu Lust haben. - Wir wollen eben, daß die Leute aussteigen. Wir wollen ihnen Hilfe bieten. Die Hilfe sehen wir nicht darin, daß sie weiterhin krank bleiben, sondern darin, daß wir sie aus der Krankheit herausholen.
Wenn Sie selber sagen, Herr Beck, die Drogenkonsumenten seien Kranke - das haben Sie eben gesagt, ich habe das genau verfolgt -, dann ist doch der Krankheitserreger die Droge. Dann kann es doch nicht besser werden, wenn ich diesen Erreger weiter zuführe, sondern nur dann, wenn ich den Erreger wegnehme und die Menschen gesund mache. Natürlich brauchen wir Hilfe. Wir brauchen auch niederschwellige Hilfe und Überlebenshilfe. Aber wir verbessern nichts, wenn wir den Leuten die Drogen geben, sondern machen die Situation nur schlimmer.
Wenn immer wieder davon gesprochen wird - gerade war es ja auch der Fall -, die Bundesregierung sei für die Zahl der Drogentoten verantwortlich, dann muß ich einmal fragen, ob PDS und Grüne wirklich soviel Selbstkritik besitzen, einmal ihre eigenen Vorschläge zu hinterfragen. Jetzt komme ich zu den wirklichen drogenpolitischen Zielen der Anträge. Hier sind wir nämlich an einem ganz wichtigen Punkt. Je länger wir über die Legalisierung sprechen, um so schwieriger wird es, die kulturelle und die soziale Abwehrfähigkeit gegenüber illegalen Drogen aufrechtzuerhalten. Mit Recht sagen Sie: Wir haben sie bei den legalen Drogen inzwischen verloren. - Aber es wäre doch der größte Fehler, wenn wir jetzt versuchen, das auch noch bei den illegalen Drogen zu machen. Wir müssen den genau gegenteiligen Weg gehen.
Frau Jelpke, ich verstehe ja, daß Sie, weil Sie aus Hamburg kommen, die neuen Länder vielleicht noch nicht so kennen, wo die PDS sonst immer glaubt, sie würde die Interessen dieser Länder und der Menschen, die dort leben, wahrnehmen. Gerade in diesen Ländern haben wir noch diese Abwehrkraft der Menschen. Es gibt dort noch ganz geringe Drogentotenzahlen, Gott sei Dank, und es gibt dort auch wesentlich weniger Konsumenten. Bitte machen Sie das mit solchem Gerede und mit solchen Anträgen nicht kaputt. Denn das wäre gerade nicht im Interesse der Menschen, die Sie angeblich hier im Deutschen Bundestag vertreten wollen.
Aber, meine Damen und Herren, es ist richtig, daß wir heute die beiden Anträge der Grünen und der PDS zusammen diskutieren. Denn sie haben nicht nur teilweise die gleiche Argumentation; das ist auch eben wieder deutlich geworden. Vielmehr formuliert der PDS-Antrag nur das, was die Grünen noch fein
verpacken und verschleiern, aber in Wirklichkeit wollen.
So wird in dem Antrag der Grünen der Gesetzentwurf ehrlicherweise - das ist eine der wenigen ehrlichen Stellen - nur als erster Schritt zur Umsetzung ihres Gesamtkonzeptes bezeichnet. In Wirklichkeit fängt die Verschleierung eigentlich schon bei der Überschrift an. Als Ziel des Antrages wird die Schaffung von Rückzugsräumen genannt. Tatsächlich will man aber den § 4 des BtMG dahin gehend verändern, daß Leiterinnen und Leiter sogenannter Krisen- und Kontaktzentren grundsätzlich keine Erlaubnis zum Verkehr mit Betäubungsmitteln benötigen. Dies geht also wesentlich weiter, Herr Beck, als das, was zum Beispiel in Frankfurt in den Fixerräumen geschieht.
Auch bei der zweiten Änderung des BtMG, nämlich beim § 29, gehen Sie wesentlich weiter. Mit dieser Regelung - das bitte ich wirklich zu überlegen - würde in Zukunft jeder jedem Drogensüchtigen oder auch Nichtsüchtigen straffreie Räume zur Verfügung stellen können, wo er dann illegale Drogen konsumieren kann. Eine Unterscheidung zwischen Abhängigen, Schwerstabhängigen und überhaupt noch nicht Abhängigen wird dabei gar nicht erst gemacht.
Nach dem vorliegenden Entwurf wird auch nicht zwischen Cannabis, Heroin und möglicherweise sogar Crack unterschieden.
- Sie stellen grundsätzlich Räume zur Verfügung. Das ist ja die Unehrlichkeit. Sie begründen zwar Druckräume, sagen aber: Jeder darf jede Droge konsumieren. Wenn Sie Ihren eigenen Antrag nicht gelesen haben, dann sollten Sie lieber schweigen.
- In Ihrem Antrag steht gar nichts von Druckräumen. Lesen Sie doch einmal den Artikel zur Änderung des BtMG. Das steht nicht darin. Wenn das nicht darin- steht, dann gilt das für alle Drogen. Dann gilt das zum Beispiel auch für Crack. Wenn Sie Gelegenheit zum Konsum von Crack verschaffen wollen, dann sollten Sie das offen sagen und nicht irgend etwas anderes vorgeben.
Jetzt noch das Märchen von der analytischen Kontrolle. Es ist interessant, daß Sie auf das, was Sie wirklich wollen, nämlich daß die Leiter zum Beispiel auch Drogen in Verkehr bringen dürfen, weder in der Begründung noch im Vorspann und auch nicht im Gesetzesantrag eingehen, weil Sie ganz genau wissen, daß die Mehrheit der Bevölkerung das nicht mitträgt.
Hubert Huppe
Dann argumentieren Sie nämlich so: Es gehe Ihnen eigentlich nur um die analytische Kontrolle, damit die Süchtigen reinen Stoff bekommen. Das gibt doch keinen Sinn. Sie haben ja gleich die Möglichkeit, noch einmal zu antworten.
Erstens. Wenn Sie wirklich eine vernünftige analytische Kontrolle machen wollen, wenn jemand zu einem Fixerraum kommt, dann brauchen Sie ein sehr aufwendiges Verfahren, das zum Teil Tage dauert, das sehr teuer ist und das Sie in Laboren durchführen müssen. Wenn Sie zum Beispiel Spuren von Fentanyl, einem Gift, das noch tausendmal stärker ist als Heroin, wirklich feststellen wollen, brauchen Sie ganz genaue Analysen. Schon von daher ist das nicht praktikabel.
Zweitens. Wenn Sie einen längeren Zeitraum brauchen, dann wird der Drogensüchtige dieses ganze Verfahren einfach nicht mitmachen. Er kommt ja nicht dahin und bringt seine Droge dorthin, wenn man ihm sagt: Komm in drei Tagen wieder, dann kannst du bei uns drücken.
Drittens. Schließlich hat die Analyse nur dann einen Sinn - das bezieht sich übrigens auf die Frage, die Sie eben gestellt haben -, wenn der Drogenkonsument vor jeder Drogeneinnahme eingehend ärztlich untersucht wird. Da aber die Räume, in die der Drogensüchtige kommt, für jedermann zugänglich sind - da gibt es auch in Frankfurt keine Kriterien - und vielleicht auch jemand kommt, der seine Therapie oder eine Entgiftung gerade abgebrochen oder hinter sich hat, können Sie überhaupt nicht genau sagen, ob die Dosis nicht vielleicht sogar eine Oberdosis darstellt. Das ist das Gefährliche.
Meine Damen und Herren, leider ist meine Redezeit gleich zu Ende. Geben Sie doch bitte auch einmal Ihre Fehler zu. Wenn Frau Knoche am 18. Mai 1995 gesagt hat, es sei noch keiner an der Substitution gestorben, dann kann ich Ihnen nur sagen: Das ist einfach unwahr. Wir wissen, daß allein in Düsseldorf im letzten Jahr zehn Leute, die in einer Methadon-Behandlung waren, umgekommen sind. Geben Sie doch bitte einmal zu, daß auch Ihre Drogenpolitik Fehler haben kann, denn auch das kostet Menschenleben. Ich meine - das soll der letzte Satz sein -, wir können diese Problematik nur in den Griff bekommen, wenn wir hier gemeinsam an einem Strang ziehen und gegen die Drogen kämpfen und sie nicht verharmlosen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Johannes Singer, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist heute natürlich eine besondere Gelegenheit, sich in einer so sensiblen und heiklen Frage mit den Fundamentalisten von links und rechts auseinandersetzen zu müssen. Ich bin über eine Tatsache froh: Die bisherigen Ausführungen zeigen mir, daß die Vorredner allesamt mit dem Ablauf in der tatsächlichen Drogenszene und mit Drogenberatern vor Ort Gott sei Dank sehr wenig zu tun haben. Wahrscheinlich haben sie auch so gut wie keine eigenen Erfahrungen mit Drogen.
Ich will zwei Punkte vorab anführen, um die Position der SPD noch einmal deutlich zu machen, obwohl ich das hier schon oft genug getan habe. Wir sind dafür, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen, das klipp und klar festgestellt hat, daß der Besitz eines Wochenvorrats zum Eigenverbrauch - da wurde nicht zwischen harten und weichen Drogen unterschieden; diesen Unterschied halte ich auch für Quatsch; es gibt nur harte und weiche Konsummuster - straffrei sein soll, das heißt, daß die Strafverfolgung in diesem Bereich unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig sei. Daraus müssen wir Konsequenzen ziehen. Ich glaube immer noch, daß der Deutsche Bundestag dem Verfassungsgericht einen gewissen Respekt schuldet, der sich auch darin zeigen sollte, wie er dessen Auffassungen umsetzt. Das ist das erste.
Das zweite. Ich habe hier den Antrag von Hamburg, Schwerstabhängige, denen man anders nicht mehr helfen kann, denen als Alternative nur der frühe Drogentod oder die soziale Verelendung bleibt, auch mit Heroin zu versorgen, und zwar unter ärztlicher Kontrolle mit psychosozialer Begleitung. Das ist keine Freigabe, keine Legalisierung, sondern eine rein humanitäre Maßnahme, zu der man verpflichtet ist, wenn man Menschen nicht sehenden Auges vor die Hunde gehen lassen will.
Das sind die beiden Punkte. Was die Gesundheitsräume angeht, Herr Kollege, also eine Möglichkeit des hygienisch einwandfreieren Konsums auch von harten Drogen, so wird das inzwischen auch von der CDU in Hamburg geteilt. Es gibt eine Boulevardzeitungsmeldung, die ein oder zwei Tage alt ist, wonach sich die Hamburger Bürgerschaft einstimmig für solche Gesundheitsräume ausgesprochen hat. Ab und zu sollte man auch einmal gucken, wie die eigenen Parteifreunde, die vor Ort näher mit dem Problem zu tun haben, entscheiden.
An dem Grünen-Antrag ist mir die Forderung sympathisch, diese sogenannten Gesundheitsräume von der Notwendigkeit freizustellen, daß dort strafrechtliche Ermittlungen stattfinden. Die polizeilichen Razzien, die dort stattgefunden haben, zu denen die Polizei auf Grund unseres Legalitätsprinzips verpflichtet war, waren kontraproduktiv und haben nichts geholfen. Das sollten wir beseitigen. Deswegen hatten wir als SPD seinerzeit beantragt - wir werden das sicherlich im Laufe der Legislaturperiode wiederholen -, die Nr. 10 des Abs. 1 des § 29 BtMG, also das Verschaffen von Gelegenheit, zu streichen.
Alles, was Sie darüber hinaus vortragen und verlangen, Herr Beck, halten wir rechtlich für bedenk-
Johannes Singer
lich, weil es haftungsrechtliche Probleme gibt, die Sie offensichtlich noch nicht durchdacht haben. Vielleicht haben wir im Ausschuß Gelegenheit, das im Detail näher zu erörtern. Ich möchte die knappe Zeit jetzt nicht damit zubringen, mich mit diesen rechtlichen Filigranfragen zu befassen. Ich glaube auch, daß ich damit das Auditorium zu sehr langweilen würde.
Jetzt zum Antrag der PDS. Man kann sich auf den Standpunkt stellen - es gibt diesbezüglich immerhin einige Stimmen, die ich für seriös halte -, daß Haschisch nicht wesentlich gefährlicher und schädlicher sei als Alkohol. Ich bin nicht dieser Meinung. Wir haben in der SPD-Fraktion eine Anhörung zur Frage der Trennung der Märkte durchgeführt und die führenden Pharmakologen Deutschlands dagehabt. Keiner von denen hat diese ähnliche Gefährlichkeit von Haschisch und Alkohol bestätigt. Sie haben auch nicht gesagt, Haschisch sei gefährlicher. Sie haben gesagt, mangels entsprechender Forschung gebe es weder für das eine noch für das andere den Nachweis. Man kann aber das Risiko der Freigabe nicht eingehen.
Wenn man an die Zulassung von Haschisch ähnliche Maßstäbe anlegte, wie es das Bundesgesundheitsamt bei der Zulassung von Arzneimitteln macht, bekäme Haschisch nie eine Zulassung, hat uns Professor Kovar erklärt. Selbst wenn ich mich aber auf diesen Standpunkt stelle und sage, Haschisch sei in seiner Gefährlichkeit dem Alkohol vergleichbar, halte ich viel davon, zu sagen: Für den, der nur sich selber schädigt und seinen Wochenvorrat hat, wollen wir die Gesetzeslage so machen, wie es in der Praxis längst läuft.
Daß Cannabiskonsumenten das Zeug an jeder Ecke für einen Apfel und ein Ei kriegen, ohne der Beschaffungskriminalität erliegen zu müssen, ist gesellschaftliche Realität. Da sollten wir uns nichts vormachen. Wir haben in Deutschland 4 Millionen Haschischkonsumenten. Das sind nicht alles Abhängige und Leute, die später einmal zu harten Drogen greifen. Das ist Realität; das müssen wir so hinnehmen. Daraus müssen wir den Schluß ziehen, daß dies nicht die Einstiegsdroge ist.
Daraus sollte man aber nicht folgern - das machen auch die Niederländer nicht -, den Verkauf für straffrei erklären zu können. Die sogenannte Griffnähe, also die Schwierigkeit, an das Zeug heranzukommen, sollte so erhalten bleiben, wie sie ist. Denselben Weg gehen auch die Niederländer.
Auch bei denen ist der Handel, der Vertrieb illegal. Wie man damit in der Praxis umgeht, ist eine andere Frage. Wir sollten aber nicht unbedingt Fehler wiederholen, die in anderen Ländern, in Spanien, Italien und Schweden, gemacht und korrigiert worden sind.
Schweden hat langjährige Erfahrungen mit einem sehr liberalen Umgang gemacht und eine Kehrtwende vollzogen. Das gleiche gilt für Italien und Spanien. Es wäre vielleicht einmal eine sinnvolle
Dienstreise für den einen oder anderen, dort hinzufahren.
Ich kann das nur empfehlen; ich habe diese Reisen gemacht. Sie sollten auch einmal mit Kollegen aus den eigenen Parteien reden. Der PDS empfehle ich ihre Namensvetterin in Italien. Diese vertritt eine Drogenpolitik, die noch wesentlich restriktiver ist als meine Position. Sie sollten sich mit deren Vertretern unterhalten. Vielleicht würde sich dann der eine oder andere Sinneswandel ergeben.
Um die Beschaffungskriminalität zu bekämpfen, muß man - verzeihen Sie mir die mangelnde Logik in der Argumentation - bezüglich der Konsumenten von harten Drogen - denn nur dort findet Beschaffungskriminalität statt - die Wege gehen, die Hamburg vorgeschlagen hat. Einer Legalisierung von Cannabis, einer Freigabe, bedarf es nicht, wenn man damit nur das Ziel der Bekämpfung der Beschaffungskriminalität verfolgt. Beschaffungskriminalität findet bei Cannabis nicht statt. Dafür sind die Preise zu niedrig und die jetzige Erreichbarkeit schon zu leicht.
250 DM - das ist der übliche Preis - braucht der Junkie, der an Heroin herankommen muß. Er fühlt sich gezwungen, der Oma die Handtasche wegzunehmen, den Wohnungseinbruch zu begehen oder das Auto aufzubrechen. In dem Bereich muß man tatsächlich über Druckmittel und, wenn sie sich nicht anders helfen können, über die Vergabe einwirken.
Bei Cannabis braucht man das nicht zu tun. Lassen Sie hier bitte die Rechtssituation so, wie sie ist. Beschränken Sie die zukünftige Gesetzgebungspolitik auf die Ausführung der Empfehlungen des Bundesverfassungsgerichts. Und tun Sie bitte eines - dafür plädiere ich jetzt seit sechs Jahren -: Tun Sie endlich etwas für die Prävention. Da haben die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien gravierend versagt. Sie haben ohnehin schon wenig Geld für die Gesundheitsprävention im allgemeinen bereitgestellt. In der Suchtprävention haben Sie total versagt.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Lintner hat mir in der Fragestunde vor einigen Wochen erklärt, man habe bei Universitäten herumgefragt, ob Bereitschaft zur Einrichtung eines Lehrstuhls für Suchtforschung bestünde, und nur negative Antworten bekommen. Mir liegen schriftliche Angebote der Professoren Hurrelmann aus Bielefeld und Reuband aus Dresden vor. Sie wären in der Lage, einen solchen Lehrstuhl einzurichten; beide sind ausgewiesene Fachleute.
Sicherlich ist es nicht in unbeträchtlichem Maße Ländersache, hier mitzuhelfen. Der Bund sollte aber seine Anstoßmöglichkeiten nutzen und etwas tun. Mit Prävention, mit sinnvollen Aufklärungskampagnen und mit Prophylaxe, die sehr früh, schon im Kindergartenalter, anfängt, würden wir weit mehr erreichen, als wenn wir immer nur die Planstellen im Bundeskriminalamt vermehren.
Johannes Singer
Insofern muß ich ausnahmsweise den Vorrednern von PDS und Grünen recht geben: Die Repression wird nie ganz verzichtbar sein, auch wenn man sich mit den internationalen Drogenkartellen und den Räuberbanden aus Kolumbien oder sonstwo auseinandersetzt. Verstärkt auf die Repression zu setzen ist ein Fehler. Das hat die Bundesregierung getan; das kann ich an Hand der Zahlen im Haushaltsplan nachweisen. Sie haben im Bereich BKA sehr viel getan; Sie haben die Rauschgiftabteilung stark aufgebläht. Ich war ja dafür, daß wir die Rauschgiftverbindungsbeamten in alle Welt geschickt haben. Aber wie Wiesbaden jetzt im Inland ausgestattet ist - da fehlt es an nichts, da ist alles vorhanden.
In der Prävention haben Sie versagt. Da haben Sie gespart; da haben Sie eingeschränkt; da haben Sie nichts getan. Da fehlt Ihnen noch einiges. Da könnten Sie einiges nachholen und sozusagen Buße und Abbitte tun. Herr Hüppe - Sie sind ein sehr frommer Mensch, wie ich weiß -, dann würde für Sie sicher eine Kerze im Kölner Dom aufgestellt werden, wenn ich das nächste Mal nach Hause fahre.
Schönen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Volker Beck.
Werter Kollege Singer, diese Lyrik über Prävention kam mir gerade vor wie das Pfeifen im Walde. Ich habe den großen Unterschied zu den etwas illusionären Ausführungen von Herrn Hüppe nicht erkennen können. Ich glaube nicht, daß man Drogengebrauch in dieser Gesellschaft mit einem Lehrstuhl an einer Universität effektiv bekämpfen kann. Forschung in einem gewissen Rahmen gibt es auch so. Die Forderung macht durchaus Sinn, aber sie wird das Problem nicht lösen.
Aber auf Herrn Hüppe wollte ich etwas entgegnen, was mich zu der Intervention provoziert hat. Ich finde es unehrenhaft, die Methadonprogramme damit zu diffamieren, daß man sagt, es gäbe über Beigebrauch auch Drogentote. - Das ist richtig. Das gibt es aber nur deshalb, weil das Methadonprogramm die einzige Substitutionsmöglichkeit für Drogengebraucher ist.
Anders wäre es, wenn es - was es in anderen Ländern gibt - Originalstoffsubstitution gäbe, das heißt eine eng durch Ärzte kontrollierte Abgabe an Abhängige, die sich nicht für Methadon entscheiden, wofür es gute Gründe gibt. Wir bekommen nicht alle Leute in diese Methadonprogramme, die sagen, daß sie Methadon mit der Perspektive nehmen wollen, weniger zu nehmen und irgendwann drogenfrei zu werden. Manche sind noch nicht soweit. Denen müssen wir ein Angebot machen. Geben wir ihnen nur Methadon, haben sie immer das Problem von Beikonsum. Lassen Sie uns deshalb legal Möglichkeiten dafür schaffen, daß die beiden Wege möglich sind. Dann haben wir auch in den Methadonprogrammen keine Toten mehr und in den Heroinoriginalstoffsubstitutionsprogrammen ebenfalls keine Drogentoten.
Ich habe noch eine weitere Frage, die ich an Sie richten möchte, die Sie nicht beantwortet haben, was Sie hätten tun müssen, wenn Sie sich mit unserem Gesetzentwurf auseinandergesetzt hätten. In Frankfurt wird dieses Modell der Rückzugsräume auch von Ihrer CDU-Bürgermeisterin Frau Roth unterstützt. Die Industrie- und Handelskammer unterstützt es, weil es in der Stadt das Klima verändert hat und weil das soziale Elend der Drogenabhängigen vermindert werden konnte. Die Akzeptanz in der Bevölkerung und in der Öffentlichkeit ist also bis in Ihre Partei hinein vorhanden.
Warum wollen Sie nicht wenigstens diesen Schritt, der ja in Ihr Konzept paßt, zu tun versuchen. Wir geben dadurch weder harte noch weiche Drogen frei. Sie können dann weiter ideologisch das erzählen, was Sie uns hier die ganze Zeit erzählt haben. Aber wir hätten wenigstens einigen Menschen helfen können. Das sollte man ernsthafter diskutieren, gerade auch im Hinblick auf HIV-Infektionen, weil wir wissen, daß 25 % der Drogengebraucher HIV-infiziert sind. Das ist ein weiter, ein wichtiger Infektionsweg auf Grund der Repression, die in diesem Bereich besteht.
Herr Kollege Hüppe.
Herr Beck, ich bin gern bereit, auch gleich noch einmal mit Ihnen persönlich darüber zu reden - und nicht nur heute.
Ich möchte folgendes aber doch einmal sagen: Ich finde es gut, daß Sie sagen, daß es beim Methadon das Problem des Beigebrauchs gibt. Aber Sie müssen mir einmal erklären, wie Sie mit dem Begriff Originalsubstitution umgehen wollen. Dabei habe ich schon ein ungutes Gefühl, denn Sie substituieren nichts, sondern Sie geben Heroin für Heroin. Das ist schon wieder eine Wortwahl wie bei Gesundheitsräumen - als ob Sie dort etwas Gesundes tun! Sie geben dort auch Gift ab. Schon das ist etwas komisch, aber ich will es dennoch einmal so nehmen.
Wie wollen Sie eigentlich ausschließen, daß es keinen Beigebrauch gibt? Sie wissen ganz genau, daß es den reinen Heroinabhängigen überhaupt nicht mehr gibt. Auch die Indero-Studie für Frankfurt, die nun wirklich nicht von uns, sondern von dort aus angefertigt wurde, sagt, daß alle, die dort sind, Beigebrauch von anderen Stoffen haben, von Kokain bis Crack. Fast die Hälfte der Befragten hat sogar schon einmal Crack genommen. Auch dort können Sie also den Beigebrauch überhaupt nicht ausschließen.
Dann frage ich Sie wirklich, wie Sie das verantworten wollen, wo Sie doch vor Jahren immer gesagt haben, Methadon wäre ein viel besseres Mittel - was zum Teil auch stimmt, weil es eine längere Haltbarkeitszeit hat und weil es die Möglichkeit bietet, Leute besser zu halten und sie wieder in ein soziales Leben zu integrieren.
Hubert Hüppe
Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist nur, daß wir die Leute nicht ruhighalten wollen, sondern Ihnen eine neue Perspektive hin zur Drogenabstinenz geben wollen.
Das unterscheidet uns. Das gebe ich zu.
Ein letztes. Da sind Leute, auch Geschäftsleute - übrigens zum Beispiel in Zürich -, die solche Programme sowie die Originalabgabe von Stoffen und Fixerräumen finanzieren, damit das soziale Elend nicht mehr vor ihrer Haustür ist. Ich habe Angst - und ich bitte, das mit zu bedenken, wenn wir uns gemeinsam an einen Tisch setzen - vor einer Politik, die dieses Problem nur verwaltet, die Leute ruhigstellt, Kostenanalysen macht, was billiger ist, um nämlich den Leuten das Zeug zu geben, oder sie aus dem Teufelskreis herauszuholen. Das halte ich für eine viel schlimmere Politik.
Das Wort hat der Kollege Heinz Lanfermann, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch kurz auf zwei Punkte eingehen, die der Kollege Singer angebracht hat.
Zum einen, Herr Kollege Singer - er wird es schon mitbekommen -, ist die Prävention in erster Linie Ländersache. Es hat keinen Zweck, hier mit lauter Stimme auf die Bundesregierung zu schimpfen, wenn die Fehler überwiegend in den Ländern gemacht werden. Wir sind ja gemeinsam für Prävention und dafür daß insgesamt mehr geschehen muß.
Es gibt aber immer eine unheilige Tendenz, den Bund nachher zu schelten, wenn er als Hilfe, als Anschub irgendwelche Programme auf den Weg bringt - ich sage noch einmal das Stichwort: Verbraucherberatung und ähnliches -, und wenn die Zeit abgelaufen ist und wenn die Länder endlich ihre Verantwortung übernehmen müssen, dann wird auf Bonn gezeigt und gesagt: Die Bundesregierung tut nicht genug. Es wird darüber hinweggespielt, wer eigentlich welche Aufgaben zu erfüllen hat.
Zum zweiten. Ich meine, mich eigentlich recht gut erinnern zu können. Wir wollen uns jetzt nicht darüber streiten, aber das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes bezog sich in der Tat auf Cannabis-Produkte und sonst nichts. Die Aufgabe ist es natürlich, eine einheitliche Regelung zu finden. Da hat es im übrigen Vorschläge gegeben, auch von Frau Leutheusser-Schnarrenberger und von Herrn Lintner. Das Problem ist, daß es hier wiederum die Ländler sind, die dauernd zusammenkommen, auch in Konferenzen der zuständigen Minister, und sich nicht zu einer einheitlichen Regelung durchringen können. Das muß dann auch an der richtigen Stelle angemahnt werden. Am Bund hat es auch hier nicht gelegen und wird es im übrigen auch nicht liegen.
Ich halte die Methodik der beiden Anträge, die heute vorliegen, in einer Hinsicht für problematisch. Es wird in der Drogenpolitik kein Gesamtzusammenhang dargestellt. Es wird nicht auf die gegenseitigen Abhängigkeiten hingewiesen, die entstehen, wenn sie, was legitim ist, Menschen helfen wollen, Kranken helfen wollen, vielleicht auch im Wege der sogenannten Überlebenshilfe daran denken, in Einzelfällen kontrolliert auch Drogen zu verabreichen, um damit von einer verelendenden Situation zum Beispiel die Menschen in eine Therapiemöglichkeit, -fähigkeit, in einen Willen hineinzuführen, damit sie diese Chance haben.
Nur besteht das Problem darin: Wenn es denn dann nach irgendeiner Zeit geschafft ist, auch über eine solche Abgabe, über die man wirklich nachdenken kann, und wenn es dann keine Therapieplätze gibt, um den Menschen zu helfen, weil es - auch da kann ich wieder auf die Länder verweisen - an Therapieplätzen mangelt, wenn wir also im Grunde genommen erkennen, daß Anträge, wie sie auch das Land Hamburg gestellt hat, den Eindruck erwecken - ich drücke mich einmal ganz vorsichtig aus -, sie würden eine Lösung anbieten, von der wir aber erkennen, daß sie durch Therapie gar nicht richtig fortgeführt werden können, dann läuft es auf die vom Kollegen Hüppe gefürchtete Verwaltung des Übelstandes hinaus, weil das Problem einfach nur dadurch beseitigt wird, daß man den Kampf aufgibt und sagt: Dann gebt den Leuten doch ihren Stoff, Hauptsache - und das war in Zürich in der Tat ein Motiv - sie liegen nicht mehr vor dem feinen Schaufenster und verärgern die Kundschaft auf der Bahnhofstraße.
Wenn man das sieht, dann ist das meiner Ansicht nach nicht der richtige Weg, sondern dann muß man eine Drogenpolitik konzipieren, was wirklich schwierig ist, die aber dann aus einem Guß ist und die sowohl die Prävention als auch die Hilfe für die Schwerstabhängigen sieht.
Wenn ich aber die Hilfe für die Schwerstabhängigen so organisiere, doch ein bißchen blauäugig und mit der Methode der Grünen, die dann auf die Idee kommen, rechtsfreie Räume in Deutschland zu schaffen, in denen dann plötzlich unser gesamtes normales Rechtssystem und das Strafrecht nicht mehr gelten, wenn das der Weg sein soll, dann glaube ich nicht, daß es zum Erfolg führt, weil Sie nämlich durch die Art der Behandlung dieser Fragen bei den Jugendlichen den Eindruck erwecken, das sei etwas Normales, da sei nichts Schlimmes dran, wenn man Drogen nimmt, das komme ja in Ordnung, und das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, daß man das Mittel dann eben halt vom Staat bekommt, und das möglichst noch umsonst. Und wo soll denn das Problem liegen, wenn man in eine Abhängigkeit gerät? - Das ist das Problem, das ich sehe.
Dann muß ich auch noch ein letztes sagen, um auch auf Herrn Singer noch einmal zurückzukommen. Ihr Hinweis auf die sinnvollen Dienstreisen war ja vollkommen richtig, und ich bin in meiner früheren Tätigkeit als Landtagsabgeordneter auch in Schweden gewesen. Wir haben uns in der Tat als
Heinz Lanfermann
Gesundheitsausschuß einmal angehört, was dort abgelaufen ist.
In den Ländern, die alles das versucht haben, was Grüne und PDS hier fordern, ist die Diskussion immer weitergegangen. Dort wird sie jetzt ganz anders geführt. Man ist sich dort zwar auch nicht sicher, ob man es jetzt richtig macht, aber man hat gesehen, daß auch der andere Weg in die Sackgasse führte und den Menschen, um die es uns gehen muß, keineswegs geholfen hat.
Schauen Sie sich wirklich einmal an, was die Holländer im Augenblick machen. Auch da läuft die Diskussion wieder in eine andere Bahn. Das sollte Ihnen zu denken geben. Anstatt daß Sie die Träume von 1968 hier verspätet in den Bundestag einbringen, sollten Sie sich lieber mit der Realität von heute beschäftigen.
Vielen Dank.
Das, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, war die letzte Rede des heutigen Tages und die wohl vorerst letzte
Rede unseres Kollegen Lanfermann, dem ich für seine Arbeit in diesem Hause sehr danke.
Die Parlamentarische Staatssekretärin Sabine Bergmann-Pohl hat ihre Rede zu Protokoll gegeben. ) Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/1357 und 13/3017 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung für den Antrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/1357 soll beim Ausschuß für Gesundheit liegen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 2. Februar 1995, 9.00 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.