Rede von
Dr.
Theodor
Waigel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CSU ist eine Partei,
die nur in Bayern kandidiert, in ganz Deutschland Verantwortung hat
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
und seit der deutschen Einheit mit mehr Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten ist als zuvor. Und sie ist eine Partei,
die insgesamt - mit ihrem Vorsitzenden - für die Einheit eingetreten ist: auf Punkt und Komma, mit vollem Einsatz -
im Gegensatz zu Ihrem sehr zögerlichen Eintreten für die Einheit, Herr Lafontaine, wenn ich Ihnen das mal sehr zurückhaltend vorhalten darf.
Die CSU ist eine Partei, die mit Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher damals durchgesetzt hat, daß heute ganz Deutschland in der NATO ist, während Sie das als Hirngespinst und illusionär bezeichnet haben. Das unterscheidet uns von Ihnen!
Meine Damen und Herren, das also war ein neuer Vorsitzender mit alten Ladenhütern,
ein Redner, der plötzlich auf die neuen Arbeitsplätze in den Vereinigten Staaten hinweist.
Lieber Herr Lafontaine, wollen Sie solche Arbeitsplätze in Deutschland, obwohl Sie wissen, daß die Löhne zum Teil unter dem Sozialhilfeniveau in Deutschland liegen? Wollen Sie das?
Das müssen Sie zum Ausdruck bringen. Wenn Sie dafür sind, dann müssen Sie bereit sein, das Lohnabstandsgebot, die Reform des Arbeitslosenhilferechts und die Reform des Sozialhilferechts mit uns durchzusetzen und nicht als Blockierer im Bundesrat in Erscheinung zu treten.
Sie sprechen über Jugendarbeitslosigkeit. Das ist in der Tat eines der bedrängendsten Probleme in der Welt. Aber dann müssen Sie von diesem Platz aus auch sagen, daß die Jugendarbeitslosigkeitsrate in Deutschland die geringste in Europa und in der Welt ist und damit ein Erfolg unserer Wirtschafts-, unserer Sozialpolitik.
Sie haben gefordert, Helmut Kohl solle sich bei Helmut Schmidt entschuldigen.
Wenn es in diesem Hohen Hause jemanden gibt, der sich bei Helmut Schmidt entschuldigen sollte, und zwar hier, dann sind Sie es, Herr Ministerpräsident Lafontaine.
Ich habe Verständnis dafür, daß Helmut Schmidt, als er auf der Autobahn erfuhr, daß Sie zum Vorsitzenden der SPD gewählt worden waren, die Bremse angezogen, kehrtgemacht hat und wieder nach Hause gefahren ist. Dafür habe ich volles Verständnis!
1983 bis 1989 sind in Deutschland durch unsere Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik 3 Millionen Arbeitsplätze zusätzlich entstanden. Sie wissen ganz genau, daß wir eine völlig andere Arbeitsmarktsituation hätten, wenn nicht im gleichen Zeitraum 3 Millionen Menschen von außerhalb Deutschlands hierher gekommen wären, die integriert werden mußten. Das ist doch die Herausforderung, das ist die ehrliche Bilanz.
Sie vermissen in unserem Programm Aussagen zum Umweltschutz. Nehmen Sie einmal zur Kenntnis, daß wir zum Beispiel die Mittel der KfW für das CO2-Reduzierungsprogramm von 2 Milliarden DM auf 4 Milliarden DM erhöhen werden und damit einen ganz wichtigen Beitrag zum Umweltschutz leisten.
Wer für feste Wechselkurse sein will, Herr Ministerpräsident,
der muß für die Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion in Deutschland eintreten;
denn nur dann gibt es feste Wechselkurse. Wer daran aber Zweifel läßt, der muß natürlich wissen, daß, wenn die Konvergenz in den anderen Ländern und bei uns nicht konsequent weitergeht, Irritationen auf den Devisenmärkten entstehen. Es gibt keine Macht der Welt - nicht einmal die der Staatskanzlei in Saarbrücken -, die dann feste Wechselkurse garantieren könnte. Ich nehme an, daß Ihnen das zwischenzeitlich vielleicht irgend jemand erzählt hat.
Und langfristige Zinsen, Herr Lafontaine, bilden sich am Kapitalmarkt. Sie bilden sich auf Grund des Vertrauens in die Finanz-, in die Währungs- und in die Geldpolitik. Wenn wir im Augenblick die niedrigsten langfristigen Zinsen seit vielen Jahren haben, dann ist das die beste Voraussetzung, um gerade
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
jetzt die Investitionskonjunktur beschleunigen zu können.
Herr Ministerpräsident Lafontaine, ich hätte Ihnen wirklich einen besseren Einstieg gewünscht - aber das war's wohl nicht.
Da sind uns - das muß ich ehrlich sagen - doch wieder wehmütige Erinnerungen an Scharping gekommen. So ändern sich die Zeiten!
Das wirtschafts- und finanzpolitische Problem der nächsten Jahre ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Dazu brauchen wir Kreativität und Phantasie, aber auch Stetigkeit und Verläßlichkeit in der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik. Dem entsprechen das „Bündnis für Arbeit und Standortsicherung" vom 23. Januar und das „Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze".
Die deutsche Finanzpolitik hat die Pflicht, mit ihren Möglichkeiten zur Lösung dieser Aufgabe beizutragen und die beschlossenen Maßnahmen zu flankieren. Die Basis für den Erhalt der bestehenden und für die Schaffung neuer Arbeitsplätze ist ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum. Ohne gesunde Staatsfinanzen, ohne eine verläßliche und solide Finanzpolitik kann diese Basis nicht gesichert werden.
National und international hat sich die Erkenntnis durchgesetzt: Die Konsolidierung der Staatsfinanzen ist kein Widerspruch zur Schaffung von Arbeitsplätzen, sondern die Voraussetzung dafür. Der Internationale Währungsfonds, die G 7, die Europäische Union, die Kommission - alle sagen, daß nur auf der Basis der Konsolidierung, nur dann, wenn der Staat den Kapitalmarkt nicht zu stark in Anspruch nimmt, wenn genügend Ersparnisbildung für private Investitionen zur Verfügung steht, ein verläßliches, dauerhaftes, inflationsfreies Wachstum entstehen kann. Schuldenfinanzierte Beschäftigungsprogramme kommen nicht in Frage.
Sie, Herr Lafontaine, haben diesen alten Ladenhüter in den letzten Wochen wieder aufgegriffen und mußten sich dann von Frau Matthäus-Maier, von Herrn Bürgermeister Voscherau und von anderen zurückpfeifen lassen, weil Sie offensichtlich seit den 70er Jahren wirtschaftspolitisch nichts, aber auch gar nichts dazugelernt haben.
Diese „Politik der Strohfeuer" hat nur Schulden, Inflation und Stagnation hinterlassen. Das war die Bilanz der 70er Jahre. Genau diese Bilanz ist durch die Finanzpolitik unter Helmut Kohl und Gerhard Stoltenberg verändert worden: zu einem dauerhaften
Wachstum, zu Konsolidierung und zur Schaffung von 3 Millionen zusätzlichen Arbeitsplätzen.
Meine Damen und Herren, die Arbeitslosigkeit - das wird niemand bestreiten - ist heute vor allem strukturell bedingt. Mit dem Vorschlag eines „Bündnisses für Arbeit" haben die Gewerkschaften die Ursachen anerkannt und ihren Beitrag zu ihrer Behebung geleistet.
- Über unseren wird eben debattiert. - Zu den Ursachen gehören starre Lohn- und Arbeitszeitsysteme, Überlastungen der sozialen Sicherungssysteme und - als Folge - zu hohe Lohnnebenkosten, zuviel Bürokratie und Regulierung, überhöhte Lohnabschlüsse, aber auch Technik- und Fortschrittsfeindlichkeit, Marktzutrittsbarrieren für junge, innovative Unternehmen und einiges mehr. Dazu gehört auch eine in den letzten Jahren durch die Kosten der Einheit zwangsläufig angestiegene Steuer- und Abgabenlast sowie die Existenz einer „Arbeitsplatzvernichtungssteuer" wie der Gewerbekapitalsteuer.
Herr Lafontaine und meine Damen und Herren von der SPD, wenn Sie wirklich einen Beitrag dazu leisten wollen, daß wir sehr schnell - und nicht mit der durch Sie verschuldeten Verzögerung von einem Jahr - in der Steuerpolitik vorankommen, dann stimmen Sie der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, der Reduzierung der Gewerbeertragsteuer, dem Wegfall der Vermögensteuer, einer vernünftigen Reform der Erbschaftsteuer und einer Reduzierung des Solidaritätszuschlages zu.
Das ist ein entscheidender Beitrag für Konjunktur, für Wachstum und für mehr Arbeitsplätze.
Allein eine Zinssenkung - oder umgekehrt eine Zinserhöhung - von 1 Prozent belastet oder entlastet die Betriebe um netto 6 bis 7 Milliarden DM. Um voranzukommen, müssen wir entschlossen sparen, Wachstum sichern und die Bürger entlasten.
Der Bund wird mit den Gebietskörperschaften über einen Nationalen Stabilitätspakt beraten. Von „Kaputtsparen" kann überhaupt keine Rede sein. Immerhin bringt das Jahressteuergesetz 1996 eine Nettoentlastung von rund 19 Milliarden DM, und der Wegfall des Kohlepfennigs bedeutet für die Bürger eine weitere Entlastung von etwa 7 Milliarden DM.
Mit seinem Defizit von 60 Milliarden DM liegt der Bund auch über dem Niveau des Jahres 1995. Hier gibt es also konjunkturell expansive Impulse in einem vertretbaren Umfang. Ein stetiger Konsolidierungskurs wirkt nach aller Erfahrung der 80er Jahre eher expansiv.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Bei den Sozialversicherungen muß das Ziel der Beitragsstabilität und -begrenzung sichergestellt werden. Wir wollen den Sozialversicherungsgesamtbeitrag mittelfristig von jetzt 41 auf unter 40 Prozent zurückführen.
Aus dem Bundeshaushalt werden in beträchtlichem Umfang Leistungen für die Sozialversicherung erbracht: Von 1991 bis 1995 waren es 257 Milliarden DM für die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten. Noch beachtlicher ist der Zuschuß des Bundes zur knappschaftlichen Rentenversicherung. Mit 64 Milliarden DM in den Jahren 1991 bis 1995 trug der Bund fast drei Viertel der Ausgaben. Und nicht zuletzt sind von 1991 bis 1995 Bundeszuschüsse von 57 Milliarden DM an die Bundesanstalt für Arbeit geflossen.
Wir wissen: Es ist ein struktureller Umbau notwendig, um die Konsolidierung des Sozialsystems herbeizuführen und es finanzierbar zu behalten. Was der Bund im Bereich der Sozialpolitik tut, zeigt auch ein Blick in den Haushalt: Der Anteil der Sozialausgaben an den Bundesausgaben stieg von 27,2 Prozent in 1990 auf 36,7 Prozent im Jahr 1995.
Ich rate dem Vorsitzenden der SPD und allen Kolleginnen und Kollegen der SPD einen Blick über unsere Grenzen, vor allen Dingen dorthin in Europa, wo Sozialdemokraten regieren.
Seit 1990 ist in Schweden der überbordende Wohlfahrtsstaat radikal zurückgeschnitten worden. Soeben wurden in einem weiteren Schritt die Lohnfortzahlung, das Kindergeld und bestimmte Rentenbestandteile gesenkt; der Eigenanteil an der Krankenversicherung wurde erhöht. Das Arbeitslosengeld für Arbeitslose unter 20 Jahren wurde gestrichen, die Wohnungsmietbeihilfe für Rentner gekürzt.
In den Niederlanden ist die Eigenbeteiligung im Gesundheitswesen deutlich erhöht worden. Die Anspruchskriterien für Arbeitsunfähigkeitsrenten wurden verschärft, Sozialleistungen und die Versorgungsbezüge von der Lohnentwicklung abgekoppelt. Die Leistungen beim Kindergeld und bei der Arbeitslosenversicherung wurden eingeschränkt; die Studienförderung wurde reduziert.
In Schweden, in den Niederlanden und auch in anderen Ländern waren solch radikale Schritte möglich. Diese Einsicht und diesen Konsens wünsche ich mir auch in Deutschland, wenn wir über notwendige Strukturreformen bei den sozialen Sicherungssystemen reden.
Meine Damen und Herren, jetzt bin ich gerne bereit, etwas zum Solidaritätszuschlag zu sagen.
Herr Ministerpräsident Lafontaine, Sie sind auf die Vorgeschichte, auf die Umstände bzw. die Zahlen leider nur sehr kursiv eingegangen. Der Solidaritätszuschlag soll am 1. Juli 1997 von 7,5 auf 5,5 Prozent sinken - ohne zusätzliche Schulden, ohne eine Beeinträchtigung der Finanztransfers des Bundes in die neuen Länder.
Ein entscheidender Finanzbeitrag für die Rückführung des Solidaritätszuschlags muß von den Ländern kommen. Die Mehrwertsteueranteile, die den Bundesländern für den Finanzausgleich zur Verfügung gestellt wurden, müssen in dem Maße zurückgeführt werden, in dem sie zur Vorabauffüllung im Länderfinanzausgleich nicht mehr benötigt werden. Jetzt zeigt sich, ob klare Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern und eigene Zusagen eingehalten werden.
Die Bundesregierung hat immer auf die Mitverantwortung der Länder bei der Rückführung des Solidaritätszuschlags hingewiesen. Dies findet seine Berechtigung in Inhalt und Ablauf der Solidarpaktgespräche im März des Jahres 1993. Damals wurde eine große, gemeinsame Anstrengung unternommen, um die neuen Bundesländer ab 1995 als vollwertige Mitglieder in den Kreis der Länder der Bundesrepublik einzubeziehen. Der Bund hat damals unter Inkaufnahme großer eigener Belastungen eine Vereinbarung mit den Ländern getroffen, um eine schnelle Lösung zu erreichen und eine krisenhafte Zuspitzung für den Föderalismus zu vermeiden.
Vor dem Hintergrund konjunktureller Schwierigkeiten mußte damals eine auf Dauer angelegte tragfähige Basis für die Finanzpolitik in Deutschland geschaffen werden. Für den Bund stand dabei im Vordergrund, die neuen Länder zu funktionsfähigen Organisationen mit eigenständiger Finanzierungsbasis auszustatten und sie von der Alimentation durch den Fonds Deutsche Einheit zu befreien. Daneben mußte ein Konzept für die Bewältigung der Erblast der ehemaligen DDR gefunden werden.
Damals wurde die Solidarpaktvereinbarung von den neuen und alten Ländern als eine angemessene Antwort auf die Herausforderungen der gesamtdeutschen Zukunft gewertet.
So erklärte Ministerpräsident Biedenkopf am 16. März 1993: „Die Tür nach Bonn ist zu." Politiker aus den alten Ländern, auch aus SPD-geführten, zeigten sich über die Neuregelung des Finanzausgleichs erleichtert.
Der Solidaritätszuschlag ist in seiner Entstehung unmittelbar mit den damals anstehenden Problemstellungen verbunden. Der Bund war seinerzeit mit einer Lastenteilung zwischen Bund und Westländern im Verhältnis von 43 Milliarden DM Bund zu 28 Milliarden DM Westländer in die Gespräche gegangen. Dabei hatte er als Teilfinanzierungsinstrument einen Solidaritätszuschlag in Höhe von 3,5 Prozent vorgeschlagen. Nach dem Stand vom 16. März 1993 ergab sich eine Belastung für den Bund in Höhe von 51 Milliarden DM und für die Westländer in Höhe von 5 Milliarden DM. Die alten Länder wollten ihre eigene Belastung möglichst
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
gering halten. Von ihnen kam der Vorschlag, den Solidaritätszuschlag auf 7,5 Prozent festzusetzen.
Von einem öffentlichen Finanztransfer für Ostdeutschland in Höhe von rund 1 Billion DM im Zeitraum von 1991 bis 1996 trägt der Bund einen Anteil von rund 70 Prozent - auf die Länder entfallen gut 5 Prozent.
Der Bund hatte für die Sicherstellung der Finanzausstattung der neuen Länder ein System mit einer Lastenteilung zwischen Bund und Ländern vorgeschlagen, bei dem sich ein finanzieller Minderbedarf in den neuen Ländern auf Grund ihrer absehbaren überproportionalen Steuerzuwächse automatisch als Entlastung bei Bund und Westländern ausgewirkt hätte. Die Länder haben demgegenüber eine Vorabanhebung der Steuerkraft der neuen Länder durch Bundesmittel verlangt, um ihre Lasten im horizontalen Finanzausgleich zu begrenzen. Dafür hat der Bund den Ländern sieben zusätzliche Umsatzsteuerpunkte überlassen, die im horizontalen Finanzausgleich an die neuen Länder weitergereicht werden sollten.
Den Ländern war bekannt: Ein Minderbedarf bei der Vorwegauffüllung der Finanzkraft der neuen Länder mindert automatisch die notwendigen Transfers der alten Länder. Im Bundesratsbeschluß vom 26. März 1993 - Bundesrats-Drucksache Nr. 163/93 - heißt es dazu wörtlich:
Ändert sich in den Folgejahren die Steuerkraft der Ländergesamtheit aufgrund der tatsächlichen Entwicklung in den neuen Ländern, ist die Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländern gemäß Artikel 106 Absatz 4 Grundgesetz anzupassen.
Ich will Sie, Herr Ministerpräsident, weil Sie vom Kollegen Struck etwas davon abgehalten worden sind
- selbstverständlich -, aufmerksam zuzuhören, nochmals an die Bundesrats-Drucksache vom 26. März 1993 erinnern, die eine für den Bundesrat und die Ländermehrheit bindende institutionelle, parlamentarisch-politische Verpflichtung darstellt. Dort heißt es:
Ändert sich in den Folgejahren die Steuerkraft der Ländergesamtheit aufgrund der tatsächlichen Entwicklung in den neuen Ländern, ist die Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländern gemäß Artikel 106 Absatz 4 Grundgesetz anzupassen.
Genau daran hält sich die Koalitionsvereinbarung, und genau daran orientiert sich unser Koalitionsbeschluß.
Mit dem Bundesratsbeschluß ist dokumentiert: Die Länder haben einen Zusammenhang zwischen der Übertragung von Umsatzsteuerpunkten durch den Bund und den Anforderungen des Finanzausgleichsystems zugunsten der neuen Länder von Anfang an gesehen und anerkannt. Heute müssen sie sich an den damals von ihnen selbst gesetzten Konsequenzen festhalten lassen. Dies war und ist eine parlamentarisch verbindliche, politische Zusage, deren Einhaltung gegenüber Bundesrat, Bundestag und Bürgern jetzt ansteht.
Die Länder konnten die ihnen abgetretenen sieben Umsatzsteuerpunkte nicht als ihren dauerhaften Besitzstand betrachten. Es ging bei den Solidarpaktverhandlungen nicht um eine Stärkung der Finanzkraft der alten Länder, sondern ausschließlich um die Sicherstellung einer hinreichenden Finanzausstattung für die neuen Länder.
Dem muß sich die Verteilungsfrage bei den im Zeitablauf veränderten Finanzstrukturen zwischen alten und neuen Ländern anpassen. Ein Blick auf die finanzielle Ausgangssituation des Jahres 1993 mit höchst unterschiedlichen Defizit- und Zinslastquoten beim Bund und bei den Westländern beweist dies. Die Defizitquote des Bundes betrug 1993 14,6 Prozent, die der alten Länder ohne Berlin 6,3 Prozent. Die Zinsausgabenquote des Bundes lag bei 10 vom Hundert und die der alten Länder bei 8,1 vom Hundert.
Meine Damen und Herren, das wird auch von einem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen vom Dezember 1995 klar und eindeutig bestätigt. Dieses Gutachten wurde von 25 namhaften Professoren der Wirtschaftswissenschaften und des Verfassungsrechts erstellt. Der Beirat schreibt:
Dem Bund sind infolge der Wahrnehmung seiner Aufgaben in den neuen Bundesländern in erheblichem Umfang zusätzliche Ausgaben erwachsen. Was er zusätzlich an Steuern aus den neuen Bundesländern erhalten hat, ist hingegen vergleichsweise gering. Er ist in der Höhe der Differenz seiner Ausgaben in den neuen Bundesländern und seiner dort eingehenden Steuern belastet - von 1990 bis 1994 schon mit nahezu 280 Milliarden DM. Soweit die Ausgaben kreditär finanziert worden sind, ist diese Last auch dauerhaft.
Die finanzielle Lage des Bundes ist 1995 - trotz Erhebung des Solidaritätszuschlages und erheblicher Konsolidierungserfolge - auch durch Übernahme der Annuitäten für den Erblastentilgungsfonds weiterhin angespannter als die in den alten Ländern. Die Defizitquote des Bundes beträgt im Soll 10,4 vom Hundert, die der alten Länder 6,9 vom Hundert. Die entsprechenden Zinsquoten betragen: Bund - unter Berücksichtigung des Erblastentilgungsfonds - rund 19 vom Hundert, Länder 8,1 vom Hundert.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Nach den Solidarpaktvereinbarungen hat der Bund 1995 folgende Lasten übernommen: Übertragung von sieben Umsatzsteuerpunkten mit einem Nettovolumen von 14,5 Milliarden DM. Daneben zahlt der Bund im Rahmen des Länderfinanzausgleichs Fehlbetrags-Bundesergänzungszuweisungen in Höhe von rund 5 Milliarden DM, Bundesergänzungszuweisungen für die politische Führung in kleineren Ländern in Höhe von 1,5 Milliarden DM, Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen an die neuen Länder in Höhe von 14 Milliarden DM für 10 Jahre sowie Finanzhilfen für die neuen Länder zur Stärkung ihrer Investitionskraft in Höhe von 6,6 Milliarden DM ebenfalls für 10 Jahre.
Meine Damen und Herren, wo hat sich Solidarität wirklich noch bemerkbar gemacht? Eigentlich wäre der Ausgleich einer Notstandshaushaltslage im Saarland und in Bremen eine Angelegenheit von Bund und alten Ländern gewesen. Der Bund hat Sanierungshilfen allein für das Saarland und für Bremen in Höhe von jährlich insgesamt 3,4 Milliarden DM für eine Dauer von 5 Jahren übernommen.
Herr Ministerpräsident Lafontaine, wenn es in der Politik politischen Anstand gibt, dann hätten Sie hier einmal ein Dankeschön an den Bund aussprechen müssen dafür, daß Sie im Saarland überhaupt weiterregieren können.
Sie holen jedes Jahr über 2 Milliarden DM vom Bund ab; ein Drittel Ihres Haushalts wird durch Bundesmittel finanziert. Dann stellen Sie sich hin und werfen uns die Schulden vor; das ist eine politische und menschliche Unverfrorenheit.
Damit wird klar: Der Solidaritätszuschlag dient nur der Teilfinanzierung der Gesamtbelastungen des Bundes. Es ist nicht akzeptabel, die Rückführung des Solidaritätszuschlags dem Bund zu überlassen, während Ersparnisse der Westländer unangetastet bleiben sollen. Heute ist nach internen Schätzungen des Bundesfinanzministeriums erkennbar: Die an die Länder übertragenen sieben Umsatzsteuerpunkte entsprechen 1997 einem Betrag von 19 Milliarden DM. Nach Abzug von 2,5 Milliarden DM für den Fonds Deutsche Einheit stehen damit den Ländern 16,5 Milliarden DM zur Verfügung.
Der West-Ost-Transfer beläuft sich demgegenüber auf nur 13,5 Milliarden DM. Damit bekommen die alten Länder 3 Milliarden DM mehr, als sie an die neuen Länder weitergeben müssen.
Ich sage ohne Vorwurf - ganz ruhig, ganz sachlich -: Die Länder haben kein Recht, sich jetzt von der damaligen Zusage und aus dem damaligen Zusammenhang zu lösen und diesen Überschuß zurückzuhalten.
Die Bürger haben Anspruch darauf, daß diese Mittel für die baldmögliche Zurückführung des Solidaritätszuschlags eingesetzt werden. Der Bund hat sich bereit erklärt, zu diesen 3 Milliarden DM eine weitere Milliarde durch Einsparungen hinzuzufügen und damit den Solidaritätszuschlag ab Mitte 1997 zu senken. Niemand braucht zu befürchten, daß die neuen Bundesländer durch die Rückübertragung benachteiligt werden. Es bleibt bei einer überproportional steigenden Steuerkraft in den neuen Ländern. Sie verfügen über rund 110 Prozent der Pro-KopfEinnahmen der Westländer und sind auf Grund ihrer Einnahmensituation und ihrer Ausgabenstruktur zu Investitionen auf einem Niveau von etwa 200 Prozent desjenigen der Westländer in der Lage.
Der Bund steht zu seiner Verantwortung für die neuen Länder. Insgesamt flossen an öffentlichen Finanztransfers zwischen 1991 und 1995 820 Milliarden DM brutto in die neuen Länder. 1996 kommen noch einmal 180 Milliarden DM hinzu. Etwa zwei Drittel des Bruttotransfers hat allein der Bund übernommen.
Die finanzielle Unterstützung des wirtschaftlichen Auf- und Ausbauprozesses in Ostdeutschland wird den Bundeshaushalt auch 1997 und in den Folgejahren maßgebend prägen. Dabei entfällt weiterhin ein hoher Anteil auf die Investitionsausgaben: auf das Investitionsförderungsgesetz, die Gemeinschaftsaufgabe „Wirtschaftsförderung Ost" und die Verkehrsinvestitionen. Von den gesamten Bruttotransfers in Höhe von 820 Milliarden DM entfällt rund ein Fünftel auf beitragsfinanzierte Sozialtransfers. Der Rest ist direkt oder indirekt steuerfinanziert.
Meine Damen und Herren, neben dem Abbau des Solidaritätszuschlags müssen weitere Schritte der Entlastung bei den Steuern folgen. Eine dauerhaft überhöhte Belastung der Leistungsträger und der Betriebe beeinträchtigt die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland. Alle diejenigen, die in Sonntagsreden von einer Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Standort Deutschland sprechen, sind jetzt aufgefordert, mit uns zu handeln.
- Gemach, gemach. Ich komme gleich auf Sie zurück.
In der Pressemitteilung der SPD vom 6. November 1995 wird von einer Arbeitsgruppe der SPD unter der Leitung von Ministerpräsident Lafontaine ein Vorschlag für einen Initiativantrag unter dem Titel „Arbeitsplätze für Deutschland" vorgestellt.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Beteiligt waren unter anderem Frau Matthäus-Maier, Finanzminister Schleußer, Ministerpräsident Schröder, Ministerpräsidentin Simonis, der Erste Bürgermeister der Freien Hansestadt Hamburg und jetzige Koordinator der SPD für Finanzpolitik, Henning Voscherau. In dem Vorschlag ist wörtlich nachzulesen:
Die jetzige Rekordbelastung bestraft die berufliche Leistung, nimmt den Anreiz für Weiterbildung und Aufstieg und fördert den Marsch in die Schattenwirtschaft.
Unser Ziel ist eine schrittweise Rückführung der Steuer- und Abgabenbelastung auf der Grundlage solider Staatsfinanzen.
Es kommt noch besser: Das wiederholt Ministerpräsident Lafontaine im „Handelsblatt" am 29. Dezember 1995. In der „Zeit" vom 12. Januar 1996 sagt Henning Voscherau:
Wir Sozialdemokraten sollten uns daher vornehmen, die Rolle einer Steuergerechtigkeits- und Steuersenkungspartei einzunehmen.
- Herr Scharping, Sie klatschen zu früh. Sie kommen auch noch dran. Sie können sich beklatschen, wenn ich Sie zitiere.
Und schließlich Rudolf Scharping in der „Welt" vom 30. Januar 1995:
Der Solidaritätszuschlag muß weg, je schneller, desto besser.
Das war übrigens auch die Zeit, zu der der hessische Ministerpräsident Hans Eichel eine Bundesratsinitiative zum Abbau des Solidaritätszuschlages angekündigt hatte. Jetzt können Sie Ihren Worten endlich Taten folgen lassen. Unterstützen Sie uns!
Sie wissen ganz genau, Herr Ministerpräsident Lafontaine, daß wir den Gemeinden zugesagt haben, der Wegfall der Gewerbekapitalsteuer werde voll ausgeglichen, und keine Stadt und keine Gemeinde werde benachteiligt, in der Übergangszeit und danach. Sie wissen auch ganz genau, daß die Beteiligung an der Umsatzsteuer für die Kommunen eine echte qualitative Verbesserung ihrer Finanzausstattung darstellt und besser ist, als an der konjunkturabhängigen Gewerbesteuer in dem bisherigen Maße
beteiligt und von ihr abhängig zu sein. Das wissen Sie sehr wohl.
Wenn Sie eine Entlastung für die Gemeinden wollen, dann blockieren Sie nicht das Asylbewerberleistungsgesetz, dann blockieren Sie nicht das Sozialhilferecht, das notwendig ist, um eine Entlastung für die Gemeinden herbeizuführen.
Auch ich habe mir, Herr Lafontaine, einen Nobelpreisträger ausgesucht, nämlich Robert Lucas, den Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaft. Er hat gesagt:
Es ist die wichtigste Aufgabe der Geld- und Fiskalpolitik, der Wirtschaft eine stabile und vorhersehbare Umgebung zu schaffen.
Dies ist nicht nur das Credo eines Nobelpreisträgers, sondern auch der Kern unserer finanzpolitischen Philosophie.
Wir setzen auch in Zukunft auf die Kräfte des Marktes. Wir wollen dem Bürger und der Wirtschaft Luft zum Atmen zurückgeben und den Staat auf den Kern seiner Aufgaben reduzieren.
Unternehmergeist und Eigeninitiative schaffen produktive Arbeitsplätze. Sie lassen sich nicht durch Verwaltungsakte herbeiverordnen. Der Bund kann nicht so handeln wie das Saarland, nämlich dann, wenn er pleite ist, nach einer anderen Organisation rufen und sich von daher das Geld geben lassen.
Wir brauchen Freiheit für unternehmerisches Handeln innerhalb eines stabilen rechts-, sozial-, wirtschafts- und finanzpolitischen Rahmens. Diese Freiheit müssen wir durch einen neuen gesellschaftspolitischen Konsens zurückgewinnen. Wir haben die Verantwortung und die Pflicht, diese Chance zu nutzen und damit die Zukunft zu gestalten.
Ich danke Ihnen.