Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat mitgeteilt, daß sich das Kabinett u. a. befaßt hat mit der Änderung der Neunten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und dem Bericht der Bundesregierung über die Verschärfung der Kontrolle des Exports von zivil und militärisch verwendbaren Gütern.
Das Wort für den einleitenden Bericht hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Klaus Töpfer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Novelle zur Neunten Durchführungsverordnung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, die das Kabinett heute verabschiedet hat, schließt eine wichtige Lücke im Gebäude der innerstaatlichen Umsetzung der Europäischen Richtlinie zur Umweltverträglichkeitsprüfung. Mit dem Inkrafttreten dieser Verordnung werden auch Großvorhaben aus Industrie und Gewerbe, für die ein immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren erforderlich ist, in die Pflicht zur Vorab-Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung einbezogen.Dieses Rechtsetzungsverfahren für die Neufassung der Neunten Verordnung hat sicherlich viel Zeit in Anspruch genommen. Dies zeigt die Komplexität der Materie. Wir sind auch dadurch bestätigt worden, daß der Bundesrat dieser Novelle eine ganz besonders intensive Beratung angedeihen ließ. Wir sind erfreut, daß die Maßgaben des Bundesrates dazu von uns akzeptiert werden konnten.Ich meine, daß sich der Aufwand insgesamt, auch von der Zeit her, sehr gelohnt hat. Die Verordnung verwirklicht eine sachgerechte, in sich geschlossene und auf die Bedürfnisse des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens zugeschnittene Konzeption zur Durchsetzung dieser Umweltverträglichkeitsprüfung.Wo liegen die Schwerpunkte dieser Novelle?Im Vordergrund steht eindeutig die Festlegung von Anforderungen, die im Genehmigungsverfahren für Anlagen an die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu stellen sind, deren Errichtung und Betrieb bedeutsame Auswirkungen auf die Umwelt haben können. Die Verordnung wird durch detaillierte Regelungen sicherstellen, daß die Antragsteller alle Unterlagen vorlegen können, um eine die einzelnen Umweltbereiche übergreifende Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der Auswirkungen einer Anlage auf die Umwelt möglich zu machen. Die Mitprüfung der Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege ist dabei insbesondere beachtet worden.Zum zweiten werden Behörden, Sachverständige und betroffene Dritte sehr frühzeitig in die Verfahrensschritte der Umweltverträglichkeitsprüfung eingebunden, etwa bei der Abstimmung des Untersuchungsrahmens.Besonders möchte ich darauf aufmerksam machen, daß ein Schwerpunkt dieser neuen Verordnung in Regelungen liegt, die das Genehmigungsverfahren beschleunigen und effektiver gestalten sollen und die Beteiligungsrechte der Bürger schärfer herausarbeiten. Das Verfahren der Antragstellung und der Behördenbeteiligung wird gestrafft und präzisiert. Regelungen über die Beteiligung der Öffentlichkeit und die Bekanntgabe der Genehmigungsentscheidungen werden ergänzt. Diese neue Verordnung kann und will einen Beitrag zur Erfüllung der Forderung nach Beschleunigung und wirksamer Umsetzung bei Anlagenzulassungsverfahren leisten, die gegenwärtig, insbesondere im Lichte der Situation in den neuen Bundesländern überall erhoben wird.Ich möchte in besonderer Weise, Frau Präsidentin, unterstreichen: Die Besorgnisse, daß mit der Umsetzung der Umweltverträglichkeitsprüfung die ohnedies zu langen Genehmigungsverfahren noch weiter verlängert werden, wollen wir gerade durch diese Vorlage entkräften.In einzelnen Punkten nimmt die Verordnung verschiedene Handlungsempfehlungen der Umweltministerkonferenz mit Blick auf die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren vorweg und fördert ihre Umsetzung. Ich darf noch einmal unterstreichen, daß
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Bundesminister Dr. Klaus Töpferder Bundesrat nach intensiver Diskussion dieser Verordnung zugestimmt hat.Ich kann zusammenfassen: Durch diese Novelle zur Neunten Verordnung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz wird gewährleistet, daß nur solche Anlagen errichtet und betrieben werden können, die sich einer umfassenden Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen haben, einer Prüfung, die den nationalen, vor allen Dingen aber auch den EG-rechtlichen Anforderungen gerecht wird. Daß gleichzeitig den hohen materiellen Umweltschutzanforderungen des deutschen Umweltrechts Genüge getan werden muß, ist selbstverständlich. Das schon bisher hohe Schutz- und Verfahrensniveau des immissionsschutzrechtlichen Instrumentariums wird mit der Einführung der Umweltverträglichkeitsprüfung im Genehmigungsverfahren entscheidend verbessert. Deswegen leistet die neue Verordnung einen wichtigen Beitrag, um Genehmigungsverfahren wirksamer und nach Beendigung der Anlaufschwierigkeiten mit dieser Prüfung auch zügiger und effektiver durchführen zu können. Die Regelungen der Novelle werden nicht zuletzt dazu dienen, in den neuen Bundesländern Betriebe schnell und doch unter Prüfung aller Auswirkungen auf die Umwelt zu errichten und zu modernisieren. Die neue Verordnung bringt Chancen, die Akzeptanz umweltrechtlicher Entscheidungen in der Bevölkerung zu festigen und zu erhöhen, ohne damit die ohnedies zu langen Genehmigungsfristen noch weiter zu verlängern.Vielen Dank.
Herzlichen Dank, Herr Minister. Fragen zu diesem ersten Komplex? — Herr Schäfer.
Herr Minister, warum hat die Bundesregierung darauf verzichtet, neben den Genehmigungsbehörden die nach § 29 Naturschutzgesetz anerkannten Umweltverbände bei der Festlegung des Untersuchungsrahmens für die Umweltverträglichkeitsprüfung zu beteiligen? Das wäre eine gute Chance gewesen, Bürgerbeteiligungen und Transparenz bei der Umsetzung der Umweltverträglichkeitsprüfung unter Beweis zu stellen.
Herr Kollege Schäfer, ich glaube, Sie verwechseln im Augenblick die Neunte Verordnung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz mit der Verwaltungsvorschrift, die wir zur Ausarbeitung des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes ohnedies in Arbeit haben, wo diese Frage insbesondere für parallele Zulassungsverfahren geprüft wird. Ergänzend kann ich Ihnen dazu sagen, daß wir bei der Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes über die Frage der Beteiligung von anerkannten Verbänden nach § 29 ergänzend zu entscheiden haben. Ich bin ganz sicher, daß dort die bessere Möglichkeit ist als hier in einer Verordnung, die bei Genehmigungsverfahren Platz greift.
Zusatzfrage?
Ihre Mitarbeiter werden Ihnen bestätigen, daß von meiner Seite
keine Verwechslung vorliegt, sondern eine Fehlinformation bei Ihnen. Es war Gegenstand eines Antrags im Bundesrat. Er hat dort leider keine Mehrheit gefunden. Aber das kann ja passieren.
Ich möchte eine andere Frage stellen: Ihr Haus hat gestern behauptet, seit Einführung des Dualen Systems sei der Anteil der Mehrwegverpackungen von 71 auf 75 % gestiegen. Würden Sie bitte bestätigen, daß die hier in der Fragestunde des Deutschen Bundestages gemachte Aussage — was das Anwachsen der Mehrweganteile angeht —, sich auf einen Zeitraum bezieht, der vor dem Inkrafttreten des Dualen Systems und der Verpackungsverordnung liegt?
Herr Kollege Schäfer, zunächst einmal stelle ich fest, daß diese Frage mit vielen Dingen zu tun hat, aber mit der Neunten Verordnung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz ganz sicher nicht.
Ich freue mich natürlich, daß ich die Frage beantworten kann. Ich kann zuerst einmal sagen, daß das Duale System, von dem Sie sprechen, sich auf die Verkaufsverpackungen bezieht, und daß die Verpackungsverordnung das Inkrafttreten bezüglich der Verkaufsverpackungen zum 1. Januar 1993 umfaßt. Insofern können die Zahlen, die wir gegenwärtig gemacht haben, immer nur auf eine Zeit vor dem 1. Januar 1993 bezogen sein. Das ist eine Selbstverständlichkeit, die Sie gefragt haben.
Zum zweiten darf ich Ihnen ganz deutlich sagen, daß bei allen anderen Bereichen, die schon in Kraft getreten sind oder in wenigen Tagen in Kraft treten, die Verpackungsverordnung bereits sehr wohl hervorragend gewirkt hat. Denn daß die Umverpackung, die ab 1. April 1992 nach dem Bezahlen an der Kasse zurückgelassen werden kann, deutlich zurückgeht, bestätigt Ihnen jeder, der im Einzelhandel Entscheidungen zu treffen hat. Ich bin also bisher außerordentlich bestätigt worden durch die Wirksamkeit dieser Verordnung.
Herr Bundesminister, Sie hatten recht mit der zweiten Frage. Da aber überhaupt keine weiteren Fragen zu dieser Neunten Verordnung im Augenblick vorliegen, ist sie zugelassen.
Entschuldigung, ich wollte Sie auch nicht irgendwo kritisiert haben, Frau Präsidentin.
Nein, Sie haben ja recht.
In der Frage wollte ich Sie darauf hinweisen, ob Ihnen bewußt ist, daß in der Regierungsbefragung auch andere Themen Gegenstand der Befragung sein können, als im Kabinett zur Entscheidung anstanden.Zum zweiten will ich Ihnen ausgesprochen danken,daß Sie mit Ihrer Aussage eben eine entsprechende
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Harald B. Schäfer
Mitteilung Ihres Hauses von gestern zurechtgerückt haben. Ich bin froh, daß sich das Instrument der Regierungsbefragung auch als ein Instrument der Selbstkorrektur der Regierung erweist.Vielen Dank.
Da Sie Ihren ersten Teil als Frage formuliert haben, darf ich Sie zumindest beantworten. Weil Sie das zweite als Feststellung dargestellt haben, darf ich diese Feststellung korrigieren. Zum ersten: Es ist mir sehr wohl bekannt, daß wir in dieser Fragestunde mehr als nur die angemeldeten Themen zu erörtern haben. Ich bestätige Ihnen nochmals: Ich freue mich über jede Frage, die Sie zur Verpackungsverordnung ergänzend stellen, weil mir dies die Möglichkeit gibt, die von Ihnen in der gestrigen oder vorgestrigen Pressekonferenz vorgestellten Aussagen zu korrigieren.
Zum zweiten kann ich Ihnen noch einmal sagen:
Mein Haus hat nicht irgendwo etwas anderes verlautbart. Wir haben vielmehr deutlich gemacht, daß die Besorgnisse, es gebe so etwas wie Ankündigungseffekte, daß der Mehrweganteil sinke, nicht zutreffend sind, sondern daß dieser Mehrweganteil nach den üblichen Verfahren der Ermittlung der Mehrweganteile angestiegen ist. Dies ist, so glaube ich, eine ganz wichtige Information, die für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland von hoher Bedeutung ist.
Herr Schäfer, mehr Fragen stehen Ihnen nicht zu. — Ich stelle noch einmal fest: Die Komplexe sind so aufgeteilt, daß zunächst zu den berichteten Teilen Fragen gestellt werden können — dies können ein oder zwei Teile sein , und dann kommen die freien Fragen. Jetzt haben wir die Regeln wieder klargestellt.
Gibt es zu diesem Komplex noch Fragen? Da dies nicht der Fall ist, möchte ich Herrn Staatssekretär Beckmann bitten, uns eine kurze Einführung zum zweiten Komplex zu geben.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.Meine sehr verehrten Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das Kabinett hat sich heute mit dem Bericht der Bundesregierung über die bereits erfolgten und künftigen Maßnahmen auf dem Gebiet der Exportkontrollen beschäftigt. Ich will es kurz machen, Frau Präsidentin.Dieser Bericht hat drei Teile. Im ersten Teil wird die Verschärfung der rechtlichen Rahmenbedingungen des Exports dargestellt. Damit hat sich dieses Haus in seinen Ausschüssen und auch hier im Plenum in den vergangenen Monaten verschiedene Male beschäftigt, so daß ich das, auch im Hinblick auf die Zeitknappheit, nicht im einzelnen auszuführen brauche.Im zweiten Teil des Berichts wird die Verstärkung des administrativen Kontrollapparates dargestellt. Ich nenne hier nur die Stichworte Bundesamt für Wirtschaft und Ausbau der Außenwirtschaftsprüfung, was einen entsprechenden Personalapparat erfordert.Der dritte Teil dieses Berichts widmet sich der Verstärkung der internationalen Kooperation. Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Angelegenheit. Wir, die Bundesregierung, haben die internationalen Kontakte im Bereich der Exportkontrolle sowohl bilateral wie auch im Rahmen der internationalen Nichtverbreitungsregime stark ausgebaut. Wir haben zahlreiche Anstöße für einen besseren internationalen Rahmen für die Kontrolle der zivil und militärisch verwendbaren Güter in den vorhandenen Regimen und in der Europäischen Gemeinschaft gegeben. Ich erwähne hier die Verhandlungen über eine bessere internationale Kontrolle mit Waren für primär nichtnukleare, teilweise aber auch nukleare Verwendungsmöglichkeiten. Sie sind intensiviert worden.Das Trägertechnologieregime zur Verhinderung der Verbreitung von Technologie für nuklearfähige Raketen wurde durch die Aufnahme neuer Mitglieder und eine Überarbeitung der Kontrollisten gestärkt. Im Bereich der Chemiewaffen konnte die australische Gruppe ausgebaut werden. Die Zahl der für die Kontrolle oder Selbstkontrolle der Industrie empfohlenen Vorprodukte insbesondere für chemische Kampfstoffe wurde erheblich erhöht. Ich will unterstreichen, daß sich diese Gruppe auf Initiative der Bundesregierung jetzt mit der Kontrolle von Anlagen befaßt, mit denen Chemie- und Biologiewaffen produziert werden können.Die Bundesregierung auch das wird dargestellt — hat nach dem Weltwirtschaftsgipfel in London 1991 die Initiative ergriffen, um im Kreis der G 7 eine Harmonisierung der Exportkontrollen zu erreichen. Bei einem der Treffen der Sherpas in der letzten Woche wurde beschlossen, eine Untergruppe für Exportkontrollfragen einzurichten. Diese Arbeitsgruppe wird sich zunächst unter deutschem Vorsitz mit der Harmonisierung der Kontrollisten, dem Kreis der zu kontrollierenden Länder und den notwendigen Verfahren der Exportkontrolle beschäftigen. Der Gipfel soll dann diese schon angelaufenen Arbeiten zur Kenntnis nehmen.Es hat also seit unserem — leider erfolglosen — Vorstoß beim Londoner Gipfel bei unseren Partnern, nicht zuletzt auch wegen der Entdeckungen im Irak, ein Umdenken gegeben. Ich glaube, auch das ist ein Erfolg der Politik der Bundesregierung.Wir unterstützen im übrigen auch die Vorschläge, die die Europäische Kommission in Brüssel für den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Binnenmarkts am 1. Januar 1993 vorgelegt hat. Sie schlägt nämlich vor, unverzüglich Verhandlungen aufzunehmen über eine gemeinsame Liste von Erzeugnissen und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck, also das „dual use" -Problem, die der Kontrolle unterliegen. Es soll auch ein gemeinsames Verzeichnis der kontrollierten Bestimmungsländer erstellt werden. Die Kommission regt weiterhin Kriterien für die Erteilung von Genehmigungen für Ausfuhren in Drittländer an.Der Bericht, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, soll weit gestreut werden. Wir wollen ihn national, aber auch international publizieren. Das Bundespresseamt wird entsprechende Initiativen unternehmen. Wir wollen insbesondere den befreundeten Staaten, hier wiederum ganz besonders den Ver-
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Parl. Staatssekretär Klaus Beckmanneinigten Staaten von Amerika, den Bericht auf diplomatischem Wege übermitteln, um zu verdeutlichen, daß wir mit der Reform der deutschen Exportkontrolle aus den Erfahrungen der Vergangenheit gelernt haben.Vielen Dank.
Vielen Dank. — Als erster Herr Bachmaier.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie vorhin richtig verstanden, daß der Bericht Auskunft sowohl über eingeleitete und in Gang gesetzte Maßnahmen gegen den illegalen Rüstungsexport als auch über künftige und beabsichtigte Maßnahmen geben soll? Wenn ich Sie richtig verstanden habe: An welche Maßnahmen denkt die Bundesregierung bezüglich der künftigen Maßnahmen?
Herr Staatssekretär.
Wir haben in den vergangenen Monaten, Herr Kollege Bachmaier — auch Sie waren maßgeblich und sehr konstruktiv daran beteiligt —, die nationale Gesetz- und Verordnungsgebung in diesem Bereich abgeschlossen. Ich denke, daß wir mit der Verabschiedung des Kriegswaffenkontrollgesetzes und der dazu gehörenden Verordnungen doch ein ganzes Stückchen weiter gekommen sind. Wir konzentrieren uns jetzt auf eine — ich will es einmal so ausdrücken — Harmonisierung der Bemühungen im internationalen Bereich.
Wir haben im Wirtschaftsausschuß mehrfach insbesondere darüber diskutiert, wie wichtig es ist, daß sich z, B. auch die Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen entsprechenden Bemühungen unterziehen, eine Ausweitung der Kriegswaffenexporte zu verhindern, und gleichzeitig ihre eigenen Exportbemühungen in diesem Bereich reduzieren. Hierauf zielen alle internationalen Verhandlungen, Bemühungen und Anregungen in den Gremien, in denen die Bundesregierung die Möglichkeit hat, dies zu tun, hin.
Zweite Zusatzfrage, Herr Bachmaier.
Herr Staatssekretär, an welche Art der parlamentarischen Behandlung dieses Berichtes, der uns noch nicht zugegangen ist und der heute verabschiedet worden ist, denkt die Bundesregierung? In welchem Zeitraum ist damit zu rechnen, daß wir diesen Bericht in den parlamentarischen Gremien beraten und möglicherweise daraus Konsequenzen ziehen können?
Die Bundesregierung wird diesen Bericht dem Parlament auf dem üblichen Wege zur Verfügung stellen. Er ist ja kein Gesetzesvorschlag, auch keine Verordnung, so daß es den Fraktionen des Deutschen Bundestages anheimgestellt ist, ihn in die parlamentarischen Beratungen dieses Hauses mit einzubeziehen.
Bitte, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, enthält der Bericht auch Aussagen darüber, in welchem Zeitraum die Ankündigungen des Bundeswirtschaftsministers bezüglich weiterer rüstungsexportbeschränkender Maßnahmen umgesetzt werden? Ich denke z. B. an den Ausbau des Zollkriminalinstitutes zu einer Bundesoberbehörde, oder ich denke an die zugesagte Übernahme der Strafvorschriften gegen den illegalen Rüstungsexport in das Kernstrafrecht und ähnliches.
Abschließende Zusatzfrage hierzu: Denkt die Bundesregierung auch daran, den legalen Rüstungsexport einzuschränken, oder will man hier weiterhin nach den bisherigen Kriterien verfahren, zumal wir es für angezeigt halten, daß aus den inzwischen umfassend zu Kenntnis gekommenen illegalen Rüstungsexporten in den Irak weitergehendere Konsequenzen gezogen werden müssen, als dies bisher der Fall gewesen ist?
Herr Kollege Bachmaier, die Bundesregierung arbeitet zur Zeit an dem Zeitplan zur Realisierung dessen, was wir neulich als Gesetz verabschiedet haben. Wir haben dies nicht expressis verbis mit Zahlen, Daten und Fakten in den Bericht, der international gestreut wird, aufgenommen, um uns auch hier keiner Bindung zu unterwerfen.
Auf der anderen Seite ist es unsere Intention, im internationalen Bereich jetzt maßgeblich darauf hinzuwirken, daß sich die Hauptwaffenexportländer dieser Welt, zu denen bekanntlich die Bundesrepublik Deutschland nicht gehört, ähnlichen Anstrengungen unterziehen, wie wir es unter großen Schmerzen in unserem Land tun.
Sie alle wissen, daß wir als einer der Hauptexporteure insbesondere von Werkzeugmaschinen und ähnlichen Exportgütern in der Welt eine große Belastung der Unternehmen und ihrer Arbeitnehmer in diesem Bereich erfahren. Tagtäglich erleben wir die damit verbundenen Wettbewerbsbeschränkungen auf dem Weltmarkt.
Deswegen ist es unser Bemühen, auch die anderen Nationen in dieses Werk mit einzubeziehen, um insgesamt zu einer Eindämmung des Kriegswaffenexportes in dieser Welt zu kommen.
Frau Skarpelis-Sperk.
Herr Staatssekretär, die Fragen meines Kollegen Bachmaier betrafen den Bereich der legalen Exporte. Meine Fragen betreffen nun die illegalen Exporte. Wenn man der Äußerung des Chefs des Bundesnachrichtendienstes, Konrad Porzner, glaubt, der im Oktober vergangenen Jahres darauf hingewiesen hat, daß Deutschland bei den Beschaffungsbemühungen islamischer Staaten einen Schwerpunkt darstellt, möchte ich Sie fragen, was die Regierung konkret tut — oder die ihr nachgeordneten Behörden , wenn sie Verdachtsmomente entdeckt, die auch in der Presse diskutiert werden, um die Justizbehörden auf diese Fälle aufmerksam zu machen.
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Dr. Sigrid Skarpelis-SperkIch frage aus gegebenem Anlaß: Im Fall einer Firma, die schon des häufigeren in der Presse stand, nämlich der Firma Rhein-Bayern-Fahrzeugbau — es gibt auch noch einige andere , hat die Bayerische Staatsregierung und die bayerische Justiz auf Anfrage zu Pressemeldungen, die bereits im Stern am 10. Dezember 1987 über Verwicklungen dieser Firma erschienen sind, geantwortet, sie nehme bloße Pressemeldungen nicht ernst.Nimmt wenigstens die Bundesregierung solche Pressemeldungen regelmäßig ernst, und was unternimmt sie konkret, um in solchen Fällen illegalen Exporten nachzugehen?
Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Dr. Skarpelis-Sperk, die Bundesregierung geht allen Hinweisen, sobald sie ihr zugänglich sind, nach und übermittelt
sie für den Fall, daß sie sich konkretisiert haben, sofort den zuständig en Ermittlungs- und Untersuchungsbehörden. So war es auch im Falle der von Ihnen genannten Firma. Über Ergebnisse kann ich Ihnen wegen des laufenden Verfahrens aus rechtsstaatlichen Gründen leider nichts sagen.
Auf der anderen Seite haben wir ein Frühwarnsystem eingebaut, mit dem wir die Unternehmen über die Firmenverbände, über die Branchenverbände darüber informieren, daß es gewisse Staaten in dem Bereich gibt, den Sie angesprochen haben, die verstärkt Beschaffungsbemühungen bei den Hochtechnologieländern, zu denen auch die Bundesrepublik Deutschland gehört, unternehmen. Wir haben diesen Fall ganz konkret im Auge und weisen die Unternehmen, die hier in Betracht kommen, mit Nachdruck auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik hin. Wir fordern sie auf, hier das nötige Augenmaß und die nötige Zurückhaltung zu bewahren, und bitten um entsprechende Vorsicht. Das gleiche gilt natürlich auch für allfällige Exportgenehmigungen, falls sie beantragt werden sollten.
Herr Staatssekretär, dies ist sicherlich ein Verfahren, das man im Falle, ich will einmal sagen, der „Schafe" durchaus anwenden kann. Ich habe hier aber ausdrücklich einige „Böcke" von Firmen angesprochen, die wiederholt in der Presse als Lieferanten angemerkt waren und die schon in diversesten Fällen — ich drücke es einmal höflich aus — in Grenzfälle verwickelt waren.
Hier geht es darum, daß es in der Öffentlichkeit und auch in der Presse deutliche Hinweise gibt, daß wiederholt solche Firmen, ich sage einmal: im Gespräch waren und daß es jetzt erst — immerhin 41/2 Jahre nach den ersten Gerüchten in der Presse — zu Untersuchungen gekommen ist, die illegale Exporte nachgewiesen haben.
Mir geht es jetzt nicht allein um den Einzelfall — wobei ich Ihnen, Herr Staatssekretär, einen Brief übersenden werde mit der Bitte um schriftliche Beantwortung, wann die Bundesregierung derartige Verdachtsmomente zur Kenntnis genommen, wann sie sie für substantiiert erachtet hat und wann sie sie an die
entsprechenden Behörden weitergegeben hat —, sondern mir geht es wirklich um das Verfahren, wie im Falle, wie gesagt, nicht der Schafe — das haben Sie ja gut dargestellt —, sondern der Böcke vorgegangen wird und welche Vorkehrungen Sie treffen, daß Firmen, die trotz wiederholter Darstellung in der Presse seit Jahren ihre Geschäfte weitertreiben, sich wenigstens nicht so ganz sicher fühlen können — um es zurückhaltend zu formulieren.
Herr Staatssekretär.
Verehrte Frau Kollegin, die Bundesregierung geht jedem einigermaßen belastbaren Hinweis nach, erfolge er aus den öffentlich zugänglichen Publikationen oder sei er aus sonstigen nachrichtendienstlichen Quellen erhaltbar, und übermittelt diesen Hinweis, wie ich eben schon sagte, dann den zuständigen Ermittlungs- bzw. Untersuchungsbehörden, wie es in den Gesetzen vorgesehen ist. Zu diesem Zeitpunkt ist natürlich die Mitwirkungsmöglichkeit der Bundesregierung für diesen konkreten Tatbestand nicht mehr gegeben, weil andere, von der Verfassung vorgesehene Untersuchungs- und Justizorgane eingeschaltet worden sind.
Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich zu dem von Ihnen genannten „Bock" jetzt hier keine konkreten Angaben machen kann.
Die letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, die Staatsanwaltschaften, befragt, warum denn die Verfahren so lange dauern, geben u. a. an, daß sie sich sowohl durch die englischen Texte als auch durch die komplizierte Materie überfordert fühlen. Sah sich die Bundesregierung bisher in der Lage oder sieht sie sich künftig in der Lage, derartige Hinweise zu übersetzen und den Staatsanwaltschaften in diesem Punkt beratend zur Seite zu stehen, damit es nicht zu immerhin eineinhalb Jahren Untersuchungszeiten wegen Übersetzungsproblemen kommen kann?
Das ist eine wirklich sehr wichtige Frage. Frau Kollegin, das Bundesamt für Wirtschaft versucht in der Regel, eine Übersetzung mitzuliefern, wenn es solche Hinweise weitergibt.
Im übrigen weisen wir immer wieder auch die für die Staatsanwaltschaften zuständigen Landesregierungen an, die entsprechenden Organe so auszustatten, daß sie ihrem gesetzlichen Auftrag nachkommen können.
Herr Schwanhold.
Herr Staatssekretär, lassen Sie mich die Eingangsbemerkung machen, daß mir sehr viel wohler bei ihrem PR-Bericht — dies ist ja in Ihrem letzten Satz deutlich geworden —, der eine Wirkung auch nach außen hin haben soll, wäre, wenn mir klar wäre, daß uns die nächsten Inspektionsreisen nicht wieder neue Überraschungen ins Haus lieferten
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Ernst Schwanholdoder daß nicht über den Irak hinaus wieder Fragen des Iran, Lybiens oder anderer Länder ins Haus stünden.Daraus leite ich zunächst einmal meine erste Frage ab: Gibt es neben dem PR-Bericht auch einen Defizitbericht hinsichtlich der noch nicht ausreichenden Gesetzgebung u. a. in dem Fall, daß wir immer über „dual use"-Güter reden, die dann aber keine „dual use" -Güter mehr sind, wenn Techniker aus den Häusern mitfahren und genaue Kenntnis über Anwendung und Ausführung der Anlagen und somit auch Kenntnis über den Verwendungszweck haben? Ich kann durch eine Antwort Ihres Hauses belegen, daß es zumindest im Falle der Irak Ankündigungen und Informationen an Staatsanwaltschaften von seiten der rückkehrenden Geiseln gegeben hat, daß dort offensichtlich verdächtige Personen dabeigewesen sind.
Herr Kollege Schwanhold, ich kann das jetzt für den konkreten Fall nicht bestätigen. Aber ich gehe davon aus, daß Sie der Bundesregierung belastbares Material zur Verfügung stellen. In diesem Falle gehen wir der Sache selbstverständlich pflichtgemäß nach.
Ich will aber zum Inhalt Ihrer Frage gerne sagen, daß eine Ausdehnung der Irak-Regelung über den § 5 c erfolgt ist. Er erfaßt ja jetzt alle militärischen Verwendungen in allen H-Ländern. Wir haben gleichzeitig durch die neue gesetzliche Regelung jetzt auch die Möglichkeit, Einzeleingriffe nach dem Außenwirtschaftsgesetz vorzunehmen, so daß insofern die Handlungsmöglichkeiten der Bundesregierung doch erheblich optimiert worden sind.
Einen konkreten Regelungsbedarf sehen wir nach Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens vor wenigen Wochen zur Zeit nicht. Wir wollen jetzt erst einmal die beschlossenen und eingeleiteten Maßnahmen greifen lassen und uns, wie ich eingangs sagte, darum bemühen, auch im internationalen Bereich zu entsprechenden Regelungen zu kommen.
Ihre zweite Frage.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie nun den PR-Bericht vorgelegt haben, der ja auch manches für sich hat, weil er zeigt, daß wir in weiten Teilen zu Unrecht am Pranger stehen — denn andere sind bei Rüstungsexporten sehr viel generöser —, will ich Sie fragen, ob Sie Ihrer Verpflichtung nachkommen, was zwischenzeitlich mehrfach von uns angemahnt worden ist, dem Parlament oder zumindest dem zuständigen Ausschuß doch eine Fortschreibung des VS-Berichtes zur Kenntnis zu geben, und zwar angesichts des Tatbestandes, daß täglich neue Meldungen hinsichtlich weiterer Verhaftungen, neuer Verdachtsmomente auf Grund der UN-Inspektionen oder IAEO-Inspektionen durch die Presse bekannt werden.
Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Schwanhold, wir haben im Ausschuß für Wirtschaft in den vergangenen Monaten regelmäßig über neu auftauchende Verdachtsmomente berichtet. Wir bereiten im Augenblick die Fortschreibung des VS-Berichtes vor. Wir werden ihn dem Parlament dann auch offenlegen.
Zusatzfrage.
Ich darf noch eine letzte Frage stellen. Herr Staatssekretär, Sie haben von den europäischen Bemühungen gesprochen, was den Dual-use-Bereich angeht. Das ist ja auch richtig so. Ich darf Sie ganz konkret fragen, inwieweit Sie Fortschritte bei den europäischen Partnerstaaten erzielt haben, etwa dahin gehend, das COBRA-System über die Zollämter der Bundesrepublik hinaus auszudehnen, denn dies kann ja ein wichtiges Instrumentarium des Frühwarnsystems werden.
Herr Staatssekretär.
Der zuletzt genannte Punkt konnte in den Verhandlungen mit den Partnerländern in der Europäischen Gemeinschaft noch nicht so konkretisiert werden, daß ich Ihnen eine zufriedenstellende Antwort auf Ihre Frage geben könnte. Wir arbeiten daran. Wir sind mit unseren EG-Partnern darum bemüht, zu einer Lösung zu kommen, die auch in unserem Sinne ist. Sie wissen, daß wir bei vielen Gesprächen eine — vorsichtig ausgedrückt — restriktive Haltung unserer Partner feststellen müssen. Diese Haltung aufzuweichen, sie argumentativ zu unterfüttern im Sinne einer Umkehr ist das politische Ziel der Bundesregierung.
Ich glaube, daß die Untersuchungsergebnisse der VN-Kommission im Irak, wie eingangs dargestellt, auch zu einem Umdenken bei unseren Partnerländern führen können, so daß wir dann von einer Waffengleichheit, wenn man in diesem Zusammenhang davon sprechen darf,
im internationalen Wettbewerb ausgehen können.
Zu einer freien Frage hat als erster Herr Penner das Wort.
Die Bundesrepublik Deutschland hat mit Österreich, der Tschechoslowakei und Polen eine gemeinsame Grenze von ca. 2 000 km Länge. Diese Grenzen sind offen. 90 aller Asylbewerber — 70 % davon sind Osteuropäer — reisen über diese Grenzen ein. Beabsichtigt die Bundesregierung, die Grenzen im Hinblick auf diese Entwicklung zu schließen?
Darf ich fragen, wer für die Bundesregierung antwortet? — Herr Staatssekretär Lintner.
Die Bundesregierung erwägt nicht, die Grenzen deshalb zu schließen. Allerdings
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1992 6675
Parl. Staatssekretär Eduard Lintnersollen effektive Kontrollen durchgeführt werden, beispielsweise auch entlang der grünen Grenze.
Wie will die Bundesregierung angesichts der Erfahrungen, die an der amerikanisch-mexikanischen Grenze in einer Länge von 30 bis 40 km gemacht worden sind, sicherstellen, daß das an einer Grenze mit einer Länge von mehr als 2 000 km funktionieren kann, und wie will die Bundesregierung ferner sicherstellen, daß, wenn dann abgeschoben wird, die Abschiebung in dem Sinne funktioniert, daß die Menschen nicht mehr zurückkehren, da die Grenzen doch offen sind?
Herr Kollege Penner, wir sind uns darüber im klaren, daß es eine absolute Abschottung nicht gibt, übrigens auch nicht an der amerikanischmexikanischen Grenze. Aber wie die Erfahrungen des vorigen Jahres zeigen, ist beispielsweise der massive Einsatz von BGS-Einheiten durchaus geeignet, das Eindringen über die grüne Grenze deutlich zu behindern bzw. auf ein Minimum zu begrenzen.
Frau Weyel.
Darf ich noch einmal nachfragen, was Sie außer dem Einsatz des Bundesgrenzschutzes, von dem Sie soeben gesprochen haben, unter effektiven Maßnahmen verstehen.
Diese habe ich insbesondere damit gemeint. Im übrigen ist natürlich auch daran zu denken, daß im Hinterland Kontrollen stattfinden. Es ist nicht ausgeschlossen, daß eingedrungene Flüchtlinge auch noch in weiterer Entfernung von der Grenze gestellt werden.
Zweite Frage.
Gibt es bei Ihnen konkrete Vorstellungen, wie hoch realistischerweise der Personaleinsatz — der Einsatz von Beamten oder Mitarbeitern des Bundesgrenzschutzes — in diesem Abschnitt sein könnte?
Der Schwerpunkt des Einsatzes liegt jeweils dort, wo das Eindringen schwerpunktartig festgestellt wird. Dazu kann ich jetzt keine genauere Zahl nennen.
— Uns stehen im Bereich des Bundesgrenzschutzes in den Verbänden beispielsweise rund 20 000 Kräfte zur Verfügung. Ein Teil davon kann für diese Aufgaben verwendet werden, sicher nicht alle, d. h. einige Tausend, aber sicher nicht beispielsweise 20 000.
Letzte Frage, Herr Roth. Herr Hirsch, ich entschuldige mich. Wir können die Befragung der Bundesregierung wegen der Aktuellen Stunde heute, nicht verlängern. Diese Zeit ginge von der Fragestunde ab.
Sie haben gesagt, Sie seien der Überzeugung, daß das Eindringen durch die Aktion auf ein Minimum verringert werden könne. Was würden Sie zahlenmäßig angeben, was noch über die grüne Grenze kommt?
Herr Kollege Roth, die Frage nach der Zahl kann ich seriös jetzt nicht beantworten. Es geht sicher noch in die Hunderte. Aber es sind nicht mehr Tausende wie in der Vergangenheit.
Damit beende ich die Regierungsbefragung.
Wir leiten dann gleich über zur Fragestunde.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache 12/2197 —
Die Frage 1 des Abgeordneten Martin Göttsching aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Frauen und Jugend ist zurückgezogen.
Die Frage 2 der Abgeordneten Gabriele Wiechatzek aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 3 des Abgeordneten Horst Jungmann aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie ist zurückgezogen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung steht uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Johannes Singer auf:
Kann der Bundesminister des Innern als zuständiger Sportminister Presseveröffentlichungen bestätigen, daß bereits im Sommer 1991 im Sportmedizinischen Institut der Deutschen Sporthochschule in Köln Dopingproben namentlich der Sportlerinnen Katrin Krabbe und Grit Breuer entdeckt wurden, bei denen Manipulationsverdacht bestand, und haben der Bundesminister des Innern bzw. nachgeordnete Behörden von diesem Manipulationsverdacht Kenntnis gehabt?
Herr Kollege Singer, die Antwort lautet: Seit 1974 hat der Leiter des Instituts für Biochemie an der Deutschen Sporthochschule in Köln die Wahrnehmung der Aufgaben eines Beauftragten für Dopinganalytik des Bundesinstituts für Sportwissenschaft übernommen. Ihm obliegt insbesondere die Durchführung der Dopinganalysen. In diesem Aufgabenbereich ist der Beauftragte für Dopinganalytik unabhängig. Es besteht keine Mitteilungspflicht im Hinblick auf die Ergebnisse der Analysen gegenüber dem Bundesminister des Innern oder dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft.Den von Ihnen genannten Manipulationsverdachtkann der Bundesminister des Innern nicht bestätigen.Weder der Bundesminister des Innern noch eine
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Parl. Staatssekretär Eduard Lintnernachgeordnete Behörde hatte davon vor den diesbezüglichen Presseveröffentlichungen Kenntnis.
Zusatzfrage, Herr Kollege Singer.
Herr Staatssekretär, hat der Bundesminister des Innern nach den entsprechenden Veröffentlichungen Anlaß gesehen, sofort in Köln nachzufragen?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Wir sind der Sache selbstverständlich nachgegangen. Der Sachverhalt hat sich so herausgestellt, wie ich ihn geschildert habe.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 12 des Abgeordneten Johannes Singer auf:
f lat der Bundesminister des Innern oder eine nachgeordnete Behörde die Suspendierung der Sportlerinnen Krabbe, Breuer und Möller beim Deutschen Leichtathletik-Verband eingefordert oder den Eindruck erweckt, die Suspendierung einzufordern, und dabei als Druckmittel Bundeszuschüsse an den DLV eingeführt?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Im Hinblick auf bekanntgewordene Dopingpraktiken in Deutschland hat der Bundesminister des Innern die Sportorganisationen wiederholt darauf hingewiesen, daß der deutsche Sport energisch und wirksam gegen Doping im Sport vorgehen müsse. Er ist der Auffassung, daß die Bewältigung des Doping eine Angelegenheit des Sports ist, die dieser im Rahmen der von ihm in Anspruch genommenen Autonomie selbst zu regeln hat.
Der Bundesminister des Innern hat in diesem Zusammenhang allerdings die weitere Förderbereitschaft der Bundesregierung von der Regelung dieser Frage durch den Sport abhängig gemacht. Eine Einwirkung auf den Deutschen Leichtathletik-Verband im Zusammenhang mit dem Manipulationsverdacht bezüglich der Sportlerinnen Krabbe, Breuer und Möller ist nicht erfolgt. Der Bundesminister des Innern hat lediglich der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß eine gründliche und rasche Aufklärung des Sachverhalts erfolgt. An Vorverurteilungen hat sich der Bundesminister des Innern nicht beteiligt.
Zusatzfrage, Herr Kollege Singer.
Hat der Bundesminister des Innern im Hinblick darauf, daß der Leistungssport mit erheblichen öffentlichen Mitteln gefördert wird, wenigstens Erwartungen auch inhaltlicher oder zeitlicher Art ausgesprochen, bis wann die Klärungen erfolgt sein sollten?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Singer, zunächst ein allgemeiner Hinweis: In den Leistungsbescheiden, die erteilt werden, findet sich jeweils die Klausel, daß jedwedes Doping zu unterlassen ist. Entsprechende Forderungen bestehen auch im Hinblick auf die Gestaltung der einzelnen Klauseln in Verträgen beispielsweise mit Trainern. Im konkreten Fall Krabbe beobachten wir sehr genau, in welcher Art
und Weise sich der deutsche Sport mit diesem Fall befaßt und ob der ernsthafte Wille zum Ausdruck kommt, für einen dopingfreien Sport zu sorgen. Wir haben eigentlich bisher keinen Zweifel daran, daß dieser ernsthafte Wille auch in den von Ihnen genannten Fällen tatsächlich vorhanden ist.
Die zweite Zusatzfrage.
Meine erste Zusatzfrage ist noch nicht vollständig beantwortet. Ich hatte auch danach gefragt, ob das Bundesministerium des Innern bestimmte zeitliche Erwartungen geäußert hat, in welchem Rahmen die Aufklärung zu erfolgen hat.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Ja, unverzüglich, soweit die Erkenntnisse vorliegen und soweit Fristen, etwa sportinterner Art, maßgeblich sind.
Gerade diese Fristen interessieren mich. Die deutsche Öffentlichkeit erwartet doch, daß ihr gesagt wird: Bis dann und dann können wir etwas sagen, oder bis dann und dann ist zu erwarten, daß etwas auf dem Tisch liegt.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Mir sind die genauen Fristen in den jeweiligen Satzungen des Sports nicht gegenwärtig. Aber ich glaube mich zu erinnern, daß es sich um Fristen von insgesamt etwa drei Monaten handelt.
Weitere Zusatzfragen dazu? — Das ist nicht der Fall.Ich rufe die Frage 13 auf, gestellt von dem Kollegen Dr. Burkhard Hirsch:Wie viele der rund 11 000 Klagen, die der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten seit 1985 gegen die Anerkennung politischer Flüchtlinge erhoben hat, sind inzwischen rechtskräftig abgeschlossen worden und mit welchem Ergebnis?1-lerr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, die Antwort lautet: Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat in dem Zeitraum von 1985 bis 1991 insgesamt 10 349 Anfechtungsklagen gegen Bescheide des Bundesamts erhoben. Diese verteilen sich auf die einzelnen Jahre wie folgt: 1985: 3 358, 1986: 1 575, 1987: 1 975, 1988: 831, 1989: 570, 1990: 921, 1991: 1 119.Eine Aussage darüber, wie viele dieser Klagen mit welchem Ergebnis inzwischen rechtskräftig abgeschlossen sind, ist nicht möglich, da entsprechende Statistiken nicht geführt werden.Eine Feststellung, welche dieser Klagen in der ersten Instanz oder durch Weiterbetreiben des Verfahrens seitens des Ausländers oder des Bundesbeauftragten in der Berufungs- oder der Revisionsinstanz mit welchem Ergebnis geendet hat, würde eine Durchsicht sämtlicher Klageakten erfordern. Ich gehe davon aus, daß Sie Verständnis dafür haben, daß dies gegenwärtig nicht möglich ist.Mit Einführung des IT-Systems beim Bundesamt soll diese Möglichkeit geschaffen werden, wobei ein Termin noch nicht genannt werden kann.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1992 6677
Parl. Staatssekretär Eduard LintnerEine Mitte Januar 1992 im Zusammenhang mit der Novellierung des Asylverfahrensrechts durchgeführte Erhebung über das Ergebnis der vom Bundesbeauftragten in den Jahren 1987 bis 1991 eingelegten Klagen in der ersten Instanz ergab folgendes Bild. Erhobene Klagen: 5 416, Stattgabe durch das Verwaltungsgericht: 1 591, Zurückweisung: 1 092, Verfahrenseinstellung: 356, noch nicht entschieden: 2 377. Ich bin gern bereit, Ihnen die Ergebnisse dieser Erhebung, aufgeschlüsselt nach den einzelnen Jahren 1987 bis 1991 und unterteilt nach Klagen, Berufungen und Revisionen, nach Erstellung zuzuleiten.
Herr Kollege Hirsch, die erste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, die Zahlen, die Sie für die Jahre aufgelistet haben und bei denen Ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen sein wird, daß ich sie selber schon aus einer Antwort, die die Bundesregierung vor einiger Zeit gegeben hatte, addiert habe, so daß ich danach gar nicht gefragt habe, zeigen, daß der Bundesbeauftragte in 11 000 Fällen Klage gegen Bescheide erhoben hat, in denen Asylbewerbern Asyl in der Bundesrepublik Deutschland gewährt worden war.
Wenn es so ist, daß es sich um 11 000 Fälle handelt, die über Jahre in Unsicherheit gebracht werden, müssen Sie doch eine Aussage darüber machen können, ob diese Tätigkeit des Bundesbeauftragten sinnvoll ist, also von Erfolg gekrönt war, oder ob es unsinnig ist, 11 000 Menschen jahrelang in Unsicherheit zu halten.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hirsch, diese Tätigkeit ist schon deshalb nicht unsinnig, weil der Bundesbeauftragte nur nach bestimmten Kriterien Klage erhebt, beispielsweise, weil er sicherstellen will, daß eine einheitliche Rechtspraxis durchgesetzt wird, oder weil er feststellt, daß von obergerichtlichen Urteilen oder Sprüchen abgewichen worden ist. So gesehen, handelt es sich ohnehin nicht um eine generalisierende Klageerhebung, sondern bereits um eine Entscheidung, wenn Sie so sagen wollen, im Einzelfall.
Des weiteren muß ich dazu sagen, daß der Bundesbeauftragte bislang keine durchgehende Statistik erstellt, sondern eine solche nur für die jeweiligen Instanzen angelegt hat, so daß es ihm heute nicht möglich ist, den genauen Ablauf des einzelnen Falls bis zur Rechtskraft zu schildern. Hier handelt es sich um eine Praxis, die eben so gehandhabt worden ist. Ich kann deshalb nichts daran ändern, daß ich Ihnen die Zahlen, die Sie von mir verlangen, nicht geben kann.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich kann gar nicht glauben, was Sie hier sagen.
— Ich stelle die Frage ja. — Es ist doch so, daß die gesetzliche Aufgabenstellung des Bundesbeauftragten — oder täusche ich mich da? — darin besteht, Rechtsgleichheit zu erreichen. Ist es denn so, daß das
Bundesamt für die Anerkennung von Flüchtlingen die Entscheidungen, die der Bundesbeauftragte streitig erzielt, nach Ihren Erfahrungen nicht beachtet, so daß Sie tatsächlich in 11 000 Fällen klagen müssen?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Die 11 000 Klagen richten sich gegen Entscheidungen des Bundesamtes;
das ist in der Tat so. Die Entscheider sind in ihren Entscheidungen, wie Sie wissen, unabhängig, so daß es durchaus passieren kann, daß angesichts der Vielzahl der Entscheidungen Abweichungen festgestellt werden. Der Bundesbeauftragte hat dann — das ist seine Pflicht — geradezu die Aufgabe, in solchen Fällen den Klageweg zu beschreiten.
Vielleicht sagt Ihnen folgende Prozentzahl etwas: Im Schnitt sind zwischen 15 und 23 % der Fälle mit
Klagen angegangen worden. Daraus mögen Sie ersehen, daß die von Ihnen verlangle Konzentration auf
problematische Fälle ohnehin schon erfolgt ist.
Eine weitere Zusatzfrage dazu hat der Abgeordnete Dr. Ludwig Stiegler.
Danke, Herr Präsident, daß Sie mich promoviert haben, aber soweit ist es noch nicht.
— Praesidentis causa, okay.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, Sie seien nicht in der Lage, die einzelnen Vorgänge auszuwerten und die Fälle aufzuarbeiten. Sähen Sie sich denn in der Lage, diese Akten der Rechtstatsachenforschung zugänglich zu machen und z. B. ein oder mehrere Gutachten zu vergeben, damit die Fälle aufgearbeitet und die Erkenntnisse bei der weiteren Behandlung in Ihrem Hause, aber auch im Parlament berücksichtigt werden können?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stiegler, das wird nicht nötig sein. Denn zum einen sind viele dieser Fälle noch gar nicht abgeschlossen,
also bei weitem noch nicht rechtskräftig erledigt. Zum anderen ist es so, daß diese Statistik mit Einführung einer neuen technischen Möglichkeit ohnehin erstellt werden soll.
Herr Kollege Freimut Duve, bitte.
Ich bin auf diesem Feld, das wir jetzt auf Grund der Frage von Herrn Hirsch erörtern, Neuling. Dennoch meine Frage: Nach welchen Kriterien erhebt der Bundesbeauftragte Klage, und nach welchen Kriterien erhebt er keine Klage? Gibt es einen Kriterienkatalog der Bundesregierung, der ihm vorgegeben ist? Woraus schöpft er sein Mißtrauen
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Freimut Duvehinsichtlich der falschen oder richtigen Entscheidung dieses Amtes?Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Duve, die Antwort hierauf ist genau die Beantwortung der Frage 14. Erlauben Sie deshalb, daß ich diese Frage jetzt beantworte. Vielleicht ist dann damit auch Ihre Zusatzfrage erledigt.
— Dann darf ich die Beantwortung der Frage 14 indirekt mit einbeziehen: Die Klageerhebung erfolgt gegen Bescheide des weisungsunabhängigen Einzelentscheiders des Bundesamtes. Hauptaufgabe des Bundesbeauftragten ist, ein Auseinanderlaufen der Entscheidungspraxis dieser weisungsungebundenen Entscheider in diesem Bereich zu verhindern. Es ist im Interesse aller Asylsuchenden, daß dafür Sorge getragen wird, daß sich alle Entscheider des Bundesamtes bei ihren Entscheidungen an die obergerichtliche Rechtsprechung halten und daß eine möglichst gleichartige Entscheidungspraxis gewährleistet ist. Hiermit wäre nicht vereinbar, beispielsweise nur in bestimmten Musterfällen Klage zu erheben.Insoweit besteht nur die allgemeine Weisung, über neu auftretende Fragen grundsätzlicher Art zu berichten und entsprechend zu handeln.
Herr Abgeordneter Dr. Willfried Penner hat das Wort zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten ist ja nicht nur eine Person, sondern auch eine Organisation mit Mitarbeitern. Jetzt frage ich Sic: Wie viele Klagen bearbeitet denn jeder einzelne Mitarbeiter, bzw. was sieht der Pensenschlüssel — eine Bezeichnung aus der Justiz — vor, was diese Mitarbeiter jährlich an Klagen bearbeiten müßten?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Penner, diese detaillierte Statistik liegt mir im Moment nicht vor; ich muß sie Ihnen nachliefern.
Das wäre mir sehr lieb. Das würde sicherlich — —
Kein Kommentar, Herr Kollege Penner.
Ich rufe Frage 14 des Abgeordneten Dr. Burkhard Hirsch auf:
Welche Weisungen hat der Bundesbeauftragte vom Bundesminister des Innern bekommen, damit er seine Klagen auf Musterfälle begrenzt?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, weil ich die Frage bereits im Zusammenhang mit der Zusatzfrage des Kollegen Duve beantwortet habe, darf ich auf das verweisen, was ich gerade vorgetragen habe. Das ist zugleich auch die Antwort auf die Frage 14.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wollen Sie wirklich keine Konsequenzen daraus ziehen, daß ich Ihrem Hause hanebüchene Fälle vorgelegt habe, die zeigen, daß die Herren dieses Bundesbeauftragten in Einzelfällen jahrelang Prozesse geführt haben, die sie nur mit einem Schriftsatz von 13 Zeilen bereichert haben? Sie haben dabei den Umstand genutzt, daß die in diesen Fällen zuständige Kammer Sachen auf drei oder vier Jahre im voraus terminiert hat; daher diese irre langen Wartezeiten. Glauben Sie, daß das ein Verfahren ist, mit dem Sie, wie Sie behaupten, zur Rechtsvereinheitlichung von Entscheidungen von Einzelentscheidern beitragen können, oder halten Sie das für eine eklatante Fehlentwicklung?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, zu den Einzelfällen, die Sie unserem Haus vorgetragen haben, ist Ihnen ja Rede und Antwort gestanden worden bzw. haben Sie schriftliche Auskünfte erhalten
oder werden Sie demnächst erhalten. Insofern stimmen wir auch nicht mit Ihrer Wertung im einzelnen überein.
Ich kann dem von Ihnen geäußerten Verdacht, daß es sich hier um eine Verschleppungstaktik überflüssiger Art des Bundesbeauftragten handelt, nicht zustimmen.
Herr Kollege Hirsch, bevor ich Ihnen das Wort zur nächsten Frage gebe, muß ich wieder einmal die kurze Bemerkung machen, daß in der Fragestunde Fragen gestellt, keine Wertungen getroffen und keine Kommentare abgegeben werden sollten. Je kürzer und präziser die Fragen, desto leichter wird auch die Regierung in den Stand gesetzt, kurz und präzise zu antworten.
Bitte, Herr Kollege Hirsch, zur zweiten Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn in einem Rechtsstreit die Verhältnisse so ungleich sind, daß die eine Seite ohne jedes persönliche Risiko über Jahre hinweg einen Prozeß führen und verschleppen kann, während auf der anderen Seite Menschen stehen, deren ganz persönliches Schicksal von dem Ausgang des Prozesses abhängt, wäre es dann nicht angemessen und entspräche es nicht dem Rang des Asylrechts in unserer Verfassung, sich darum zu bemühen, Zweifelsfälle durch einen Musterprozeß zu erledigen, auf den sich dann beide Seiten einstellen, und wäre es nicht wirklich die dringende Aufgabe des Bundesinnenministers, vor der Lösung dieses Problems nicht zu kneifen?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hirsch, die Wertung „kneifen" weise ich in dem Zusammenhang wirklich zurück. Der Bundesinnenminister ist sich keines Versäumnisses bewußt.Ich habe die Kriterien, die gelten, wenn Klage erhoben werden soll oder Berufungsverfahren durchgeführt werden sollen, ja vorhin dargelegt. Ich glaube, sie sind sachlich gerechtfertigt und auch juristisch
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Parl. Staatssekretär Eduard Lintnervertretbar, Ob im Einzelfall davon abgewichen werden kann, kann ich nicht vorhersagen. Einzelfälle sind bekanntermaßen immer ganz besonders oder anders gelagert als der nächste Fall.Generell meine ich aber, daß zur Durchführung von Musterfällen natürlich immer zwei gehören, nämlich auch das Gericht, das mit dem Ruhen der Verfahren in den anderen Fällen einverstanden ist.
— Ich gehe davon aus, daß der Bundesbeauftragte auch das versucht; denn er ist ein auch prozessual versierter Partner des Gerichts.
Daß das, Herr Kollege Hirsch, nicht immer durchgeführt werden kann, liegt somit nicht allein am Bundesbeauftragten, sondern häufig auch an der fehlenden Mitwirkung des jeweiligen Gerichts.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Stiegler.
Herr Staatssekretär, Sie kennen die Strukturanalyse der Rechtspflege, die die Bundesregierung zur Zeit durchführen läßt. Sehen Sie eine Möglichkeit, die Asylverfahrenspraxis Ihres Hauses zum Anlaß zu nehmen, ein Gutachten in Auftrag zu geben und eine Analyse der Asylverfahrenspraxis im allgemeinen und der Praxis Ihres Hauses im besonderen anstellen zu lassen?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stiegler, zu dieser Analyse sind wir durchaus selber fähig; dazu brauchen wir also keine fremden Gutachter. Ich habe Ihnen bereits gesagt, welche statistischen Möglichkeiten zur Zeit gegeben sind und welche statistischen Möglichkeiten wir anstreben. Daraus können Sie entnehmen, daß auch wir die Aussagekraft des statistischen Materials, das uns gegenwärtig vorliegt, nicht für ausreichend halten.
Weitere Zusatzfragen dazu? — Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich Frage 15 des Abgeordneten Freimut Duve auf:
Liegen der Bundesregierung Informationen darüber vor, daß sich führende Vertreter des ,,Sendero Luminoso" in Europa aufhalten, um von hier aus Unterstützung für ihre terroristischen Aktivitäten in Peru zu organisieren , und wie reagiert die Bundesregierung ggf. darauf?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Duve, die Sicherheitsbehörden gehen allen Hinweisen über entsprechende Unterstützungs- bzw. Vorbereitungsaktivitäten nach. Es gibt, abgesehen von einzelnen Flugblättern und Versammlungshinweisen, keine Erkenntnisse. Der Bundesregierung liegen insbesondere keine Informationen vor, daß peruanische extremistische Organisationen in Europa Guerillaaktivitäten entfaltet hätten. Die von den Tätern bei Anschlägen gegen peruanische Einrichtungen benutzten Aktionsnamen lassen lediglich eine Verbindung der Anschläge zur peruanischen extremistischen Szene vermuten. Selbstbezichtigungen, auch zu den Anschlägen auf die peruanischen Botschaften in Bonn und Wien im Jahre 1987, gab es nicht.
Herr Kollege Duve, eine Zusatzfrage?
— Dann rufe ich Frage 16 des Abgeordneten Freimut Duve auf:
Hat die Bundesregierung Informationen darüber, ob sich der sogenannte Sprecher des ,,Sendero Luminoso' , Luis Arce Borja, im Herbst vergangenen Jahres in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Hier lautet die Antwort schlicht und einfach: Nein.
Bitte, Herr Duve. Freimut Duve : War der Bundesregielung denn bekannt, daß sich Arce Borja in Europa aufhält, und liegt gegen ihn ein Interpol-Ersuchen vor?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Uns ist nicht bekannt, daß er sich in dem von Ihnen erfragten Zeitraum in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten habe. Es gibt lediglich Hinweise darauf, daß dies früher einmal der Fall gewesen sein könnte.
Bitte, Herr Duve.
Ich habe mich ja auf zwei Pressemitteilungen bezogen, zum einen auf die einer peruanischen Zeitung, zum anderen auf den „Spiegel", der ein ganzes Interview mit diesem Herrn gebracht hat. Wie ist es in solchen Fällen, wenn sich jemand als Vertreter einer in dieser Weise in einem anderen Land massiv tätigen terroristischen Organisation ausgibt und dann, während er sich in Europa aufhält, hier ein Interview gibt? Reagiert dann die Bundesregierung im allgemeinen, und sucht sie den Kontakt zu anderen europäischen Staaten?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: In dem Fall hat sich das Bundeskriminalamt der Sache durchaus angenommen und hat seine Erkenntnisse über den besagten Herrn noch einmal überprüft. Ob in diesem Zusammenhang Kontakte zu Einrichtungen in anderen europäischen Staaten aufgenommen worden sind, kann ich Ihnen auf Grund der mir vorliegenden Unterlagen jetzt nicht sagen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Penner.
Herr Staatssekretär, wird dieser Mann denn international gesucht, und wenn, mit welchem Vorwurf?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, Herr Kollege Penner. Ich werde aber veranlassen, daß die Auskunft Ihnen noch schriftlich erteilt wird.
Weitere Zusatzfragen zu diesem Komplex? — Das ist nicht der Fall.
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6680 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1992
Vizepräsident Hans KleinDie Fragen 17 und 18 der Abgeordneten Ingrid Walz sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.Herr Staatssekretär, ich bedanke mich bei Ihnen für die Beantwortung der Fragen.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen ist der Parlamentarische Staatssekretär Rainer Funke erschienen.Ich rufe Frage 19 des Kollegen Hubert Hüppe auf:Angesichts der laut Pressemeldungen in der ehemaligen DDR früher üblichen Verfahrensweise, Frühgeborene Kinder in einem Wassereimer zu ertränken, wenn sie entweder Atmung oder Nerzschlag aufwiesen, aber ein Geburtsgewicht von 1 000 Gramm unterschritten, frage ich die Bundesregierung, ob nach geltendem Recht in Deutschland der Arzt bzw. die Ärztin verpflichtet ist, jedes neugeborene Kind, das Lebenszeichen von sich gegeben hat, auch am Leben zu erhalten und macht er bzw. sie sich bei Verletzung dieser Pflicht strafbar?Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Hüppe, lassen Sie mich Ihre Fragen wegen ihres inneren Zusammenhangs gemeinsam beantworten.
Herr Kollege Hüppe, stimmen Sie dem zu?
Ja, aber dann habe ich nur zwei Zusatzfragen oder doch vier?
Natürlich haben Sie vier Zusatzfragen.
Gut, okay!
Ich rufe also zusätzlich Frage 20 des Abgeordneten Hubert Hüppe auf:
Ändert sich an dieser Rechtslage etwas, wenn es sich um ein behindertes bzw. schwerbehindertes Kind handelt oder wenn das Kind nach einer Abtreibung im Spätstadium der Schwang erschaft lebend zur Welt kommt?
Bitte sehr.
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Dabei will ich allerdings nicht verhehlen, daß die Problematik in ihrer Vielschichtigkeit einer Erörterung in einem wenige Minuten umfassenden Frage- und Antwortspiel eigentlich nicht zugänglich ist. Der Respekt vor der Gewissensentscheidung einzelner und die menschliche Tragik der hier Betroffenen sollten eigentlich einer kurzen Antwort entgegenstehen. Unter diesem Vorbehalt will ich versuchen, Ihnen auf Ihre zwei Fragen eine Antwort zu geben.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß es nicht zuletzt auch nach seinem Berufsbild Aufgabe des Arztes ist, menschliches Leben zu erhalten. Soweit sich ein neugeborenes Kind in der Obhut eines Artzes befindet, ist dieser grundsätzlich auch verpflichtet, das zur Erhaltung des Lebens des Säuglings Erforderliche zu tun. Verletzt der Arzt seine Verpflichtung, so kommt gegebenenfalls eine Bestrafung wegen eines Unterlassungsdelikts, im Einzelfall auch wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts in Betracht.
Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn das Neugeborene behindert oder schwerbehindert ist. Lediglich in extremen Situationen wird es dem Arzt nicht zuzumuten sein, die ihm zur Verfügung stehenden technischen Mittel zu einer weiteren Lebenserhaltung des Neugeborenen einzusetzen. So wird man dem Arzt entsprechend den Grundsätzen bei der passiven Sterbehilfe nicht zumuten können, besondere lebenserhaltende Maßnahmen zu ergreifen, nur um das verlöschende Leben eines feststellbar nicht lebensfähigen Neugeborenen unter Umständen sogar qualvoll für kurze Zeit zu verlängern.
Auch wenn hier eine Strafbarkeit des Arztes schon deshalb entfällt, weil ihm in diesen Fällen ein letztlich inhumanes Tätigwerden nicht zugemutet werden kann, wird man sich des Ausnahmecharakters eines derartigen Falles bewußt sein müssen.
Als Grundsatz ist jedenfalls festzuhalten, daß der Arzt zur Erhaltung menschlichen Lebens — und das heißt auch: behinderten menschlichen Lebens — verpflichtet ist. Es darf vor allem nicht dazu kommen, daß einzelne sich die Entscheidung darüber anmaßen, ob menschliches Leben lebenswert oder lebensunwert ist.
Auch kann es für die Beurteilung des Verhaltens des Arztes — und damit komme ich zu Ihrer zweiten Frage — nicht darauf ankommen, ob das Kind nach einem auf Schwangerschaftsabbruch gerichteten Eingriff lebend zur Welt gekommen ist. Wollte der Arzt im Spätstadium der Schwangerschaft deren Abbruch vornehmen, haben aber seine Maßnahmen zur Lebendgeburt eines Kindes geführt, so ist er nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen aus vorangegangenem Tun verpflichtet, nunmehr für die Erhaltung des lebend geborenen Kindes Sorge zu tragen.
Der Umstand, daß möglicherweise eine medizinische Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch im Spätstadium der Schwangerschaft gegeben gewesen war, kann es keinesfalls rechtfertigen, auf lebenserhaltende Maßnahmen für das Kind zu verzichten.
Zusatzfrage, Herr Kollege Hüppe.
Wenn Sie eben sagten, daß in gewissen Fällen auch eine Garantenstellung des Arztes vorhanden ist, stellt sich für mich die Frage: Wie kommt sie nach Ihrer Meinung unter der Voraussetzung, daß nach § 218 StGB beispielsweise wegen einer eugenischen Indikation eine Abtreibung durchgeführt wurde, angesichts der Tatsache zustande, daß der Vertrag des Arztes mit der Mutter auf die Tötung des Kindes gerichtet ist?Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Diese Frage ist unter den gleichen Voraussetzungen wie bei der kindlichen Indikation zu beantworten. § 218a Abs. 2 Nr. 1 StGB regelt die Voraussetzungen für den Schwangerschaftsabbruch aus kindlicher Indikation. Grund für die Anerkennung dieser Indikation ist allein die Rücksichtnahme auf die Konfliktsituation der Schwangeren, nicht jedoch die Vermeidung der Geburt eines behinderten Kindes.Auch das Bundesverfassungsgericht ist in seiner Entscheidung vom 25. Februar 1975 zum Schwanger-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1992 6681
Parl. Staatssekretär Rainer Funkeschaftsabbruch davon ausgegangen, daß im Zusammenhang mit schweren gesundheitlichen Schäden des Kindes unzumutbare Belastungen der Schwangeren entstehen können, bei denen trotz des anerkannten Lebensrechts des Ungeborenen auf dessen strafrechtlichen Schutz verzichtet werden kann. Daß mit dem Verzicht auf strafrechtlichen Schutz in Fällen der Indikation keine Mißachtung des Lebensrechtes verbunden ist, zeigt sich deutlich an der gemäß § 218b StGB auch bei Vorliegen der Voraussetzung einer kindlichen Indikation vorgesehenen ärztlichen und sozialen Beratung, die ja dem Lebensschutz dienen soll.
Zweite Zusatzfrage.
Welche Kriterien für die Lebensfähigkeit muß der Arzt feststellen bzw. welche müssen gegeben sein?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Das sind Voraussetzungen, die der Arzt selber festlegen muß, die sich strafrechtlichen Begriffen entziehen.
Von einer Lebendgeburt spricht man nach einer WHO-Definition von 1974 dann, wenn der Fötus 500 g und mehr wiegt, nach der Scheidung vom Mutterleib entweder das Herz geschlagen oder die Nabelschnur pulsiert oder die natürliche Lungenatmung eingesetzt hat.
Dritte Zusatzfrage.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß laut Pressemitteilungen auch Kinder unter 500 g lebensfähig zur Welt gekommen sind? Zum Beispiel liegt mir eine Meldung des „GeneralAnzeigers" vor, daß ein Kind mit 425 g und ein Kind mit 283 g lebensfähig waren. Wenn dies der Fall ist, meint die Bundesregierung nicht, daß diese starre Grenze insgesamt veraltet ist und andere Kriterien zur Lebensfähigkeit aufgestellt werden müßten?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Diese Presseaussagen wird man zunächst einmal genauer zu untersuchen haben.
Zweitens ist eine starre Regelung natürlich nicht geeignet, dieser Frage in vernünftiger Weise zu begegnen. Diese WHO-Definition von 1974 ist ja kein Gesetz, keine Verordnung oder Richtlinie, sondern lediglich eine Definition. Wenn eine Lebendgeburt vorliegt, muß der Arzt natürlich alles zur Lebenserhaltung Notwendige tun.
Letzte Zusatzfrage.
Habe ich Sie eben richtig verstanden, daß die Definition der Lebendgeburt völlig in die subjektive Beurteilung des Arztes gelegt ist?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Das richtet sich nach ärztlichem Können.
Ich möchte aber darauf hinweisen, daß der BGH — Strafsachen, 10. Band, glaube ich — definiert hat: Eine Leibesfrucht kann auch dann, wenn sie vorzeitig zur Welt kommt, ein Mensch im Sinne des § 212 StGB
sein. Ob sie es ist, hängt davon ab, ob sie unabhängig vom Leben der Mutter in menschlicher Weise lebt, sei es auch nur kurze Zeit. — Das ist auch die Fortsetzung der reichsgerichtlichen Rechtsprechung.
Werden zu diesem Themenbereich weitere Zusatzfragen gestellt? — Nein.Dann rufe ich die Frage 21 des Abgeordneten Ulrich Junghanns auf:Unter welchen Umständen und Voraussetzungen ist es möglich, nach der geltenden gesamtdeutschen Gesetzgebung, vor allem angesichts bestehender Restitutionsansprüche, die Interessenlage jener Bürger zu berücksichtigen, die nach damals geltendem DDR-Recht ein Grundstück erworben haben — ausgenommen selbstverständlich amtsmißbräuchliche Verfahren?Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das Vermögensgesetz ist gekennzeichnet von dem Bemühen um eine sozialverträgliche Lösung deroffenen Vermögensfragen. Es muß ein Ausgleichgefunden werden zwischen den gegensätzlichen Interessen der Alteigentümer, also dem Restitutionsinteresse, einerseits und dem Interesse der derzeitigen Nutzer — ich will es Bestandsinteresse nennenandererseits.Diesem Interessenausgleich dient zunächst der Ausschlußtatbestand des redlichen Erwerbs gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 Vermögensgesetz. Das heißt, jeder, der nach den üblichen, für jedermann geltenden Regelungen der DDR Eigentum oder dingliche Nutzungsrechte erworben hat, wird in seinen Rechten geschützt und hat Rechtsverluste nicht zu befürchten. In diesen Fällen findet keine Restitution statt. Der Alteigentümer hat dann nur einen Anspruch auf Entschädigung. Im übrigen sind die Interessen der derzeitigen Mieter und Nutzer, die weder Eigentum noch dingliche Nutzungsrechte erworben haben und deshalb nicht unter § 4 Abs. 2 Satz 1 fallen, im Vermögensgesetz ebenfalls berücksichtigt. Gemäß § 17 Vermögensgesetz werden durch die Rückübertragung von Grundstücken und Gebäuden oder die Aufhebung der staatlichen Verwaltung bestehende Miet- oder Nutzungsrechtsverhältnisse grundsätzlich nicht berührt.Dem Ziel einer sozialverträglichen Lösung der offenen Vermögensfragen dient aber auch die Stichtagsregelung des § 4 Abs. 2 Satz 2. Das Restitutionsinteresse der Alteigentümer verdient Vorrang gegenüber dem Bestandsschutzinteresse derjenigen, die im Angesicht der sich bereits abzeichnenden Restitutionslösung noch Eigentum an einem künftigen, schon dem Alteigentümer zugedachten Restitutionsobjekt erworben haben. Daran ist nach Auffassung der Bundesregierung festzuhalten.Über den Anwendungsbereich der Stichtagsregelung bestehen aber Unklarheiten, die bei den Betroffenen zur Verunsicherung führen und daher im Rahmen des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes beseitigt werden sollen. Schon nach der geltenden Regelung sind von der Stichtagsregelung nämlich nicht erfaßt:a) Die sogenannten Häusle- Bauer-Nutzungsrechte, also diejenigen dinglichen Nutzungsrechte, die zur Errichtung von Eigenheimen eingeräumt wurden,
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6682 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1992
Parl. Staatssekretär Rainer Funkesowie b) die sogenannten Komplettierungsfälle, also der Hinzuerwerb von volkseigenem Grund und Boden nach dem sogenannten Verkaufsgesetz durch Eigenheimer, die zuvor in redlicher Weise dingliche Nutzungsrechte erworben haben.
Zusatzfrage, Herr Kollege Junghanns. — Nein.
Dann rufe ich, falls keine weiteren Fragen dazu gestellt werden, die Frage 22 auf, ebenfalls gestellt vom Kollegen Junghanns:
Wie ist die Auffassung der Bundesregierung zu einer Veränderung der in solchen Fällen bisher angewandten Stichtagsregelung?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, im Zusammenhang mit dem Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz, das ich gerade erwähnt habe, soll auch eine Modifizierung der Stichtagsregelung vorgenommen werden, um nichtgewollte Härten zu vermeiden. Ziel ist es, die Interessen derjenigen zu wahren, die sich schon vor dem Stichtag um den Erwerb des Eigentums bemüht haben, deren Rechtserwerb selbst aber erst nach dem Stichtag erfolgte.
Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Präsident, eine Zusatzfrage. Für die Bewertung oder Ausgestaltung der modifizierten Regelung im 2. Änderungsgesetz ist es nach meiner Ansicht wichtig, den Umfang der zur Entscheidung anstehenden Verträge zu bewerten. Deshalb meine Frage dazu: Hat die Bundesregierung eine Übersicht, wie viele Verträge nach den übergangsrechtlichen Regelungen nach dem 18. Oktober 1989 abgeschlossen worden sind?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Nein, darüber haben wir natürlich keine Übersicht, denn es gibt keine staatlichen Stellen, die dieses im einzelnen zu genehmigen hatten. Mit dieser Härteregelung sollen Fälle erfaßt werden, in denen entsprechende Anträge vor dem 18. Oktober 1989 gestellt wurden, diese Fälle aber, auch unter normalen Abläufen der Verwaltung, noch nicht bearbeitet werden konnten. Aus diesem Grunde sind diese Härten entstanden. Hier wollen wir helfend eingreifen. Um wie viele Fälle es sich handelt, können wir qua Bundesregierung schwer sagen, da es sich hier in der Regel um kommunale Vorgänge handelt.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Junghanns.
Die Rechtsgeschäfte nach dem 18. Oktober 1990 sind mitunter nach den Kommunalwahlen am 6. Mai 1991 abgeschlossen worden. Insofern ist die Partnerschaft der betroffenen Bürger mit durch die ersten freien Kommunalwahlen gewählten Stadtparlamenten bzw. Stadtverwaltungen jetzt gegeben. Inwieweit sehen Sie für die angedeutete Modifizierung des Gesetzes Handlungszwang hinsichtlich des Vertrauensschutzes der Bürger gegenüber diesen Stadtverwaltungen bzw. Vertretungen?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Gewählt worden sind durch die Kommunalwahlen die Mitglieder der jeweiligen parlamentarischen Kommunalorgane. Gehakt hat es bei den Kommunalverwaltungen, die häufig noch nicht hinreichend besetzt gewesen sind und demgemäß auch noch nicht voll einer vernünftigen parlamentarischen Kontrolle unterliegen konnten.
Wollen zu diesem Punkt noch andere Kollegen etwas fragen? — Das ist nicht der Fall.
Für die Fragen 23 bis 26 ist um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Jürgen Augustinowitz auf:
Gegen wie viele Mitarbeiter der Staalssicherheit der ehemaligen DDR sind staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, und wie lauten die Ermittlungsgründe?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der für die Verfolgung von Straftaten des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit zuständige Generalbundesanwalt hat wegen dieser Taten im Jahre 1989 insgesamt 311, 1990 insgesamt 601 und 1991 insgesamt 1 229 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Nach Schätzungen betreffen die im Jahre 1989 eingeleiteten Verfahren nur zu einem geringen Teil hauptamtliche oder inoffizielle Angehörige bzw. Mitarbeiter der ehemaligen DDR-Nachrichtendienste. Im Jahre 1990 dürften diese Verfahren schon die Hälfte ausgemacht haben. Die im Jahre 1991 eingeleiteten Verfahren richteten sich weit überwiegend gegen diese Beschuldigten.
Eine nähere Aufschlüsselung ist nicht möglich, da die Verfahren gegen die hauptamtlichen oder inoffiziellen Angehörigen der DDR-Nachrichtendienste nicht eigens statistisch erfaßt werden. Nach den derzeitigen Erkenntnissen wird die Zahl der Verfahren im Jahre 1992, jedenfalls voraussichtlich, nicht geringer ausfallen. Die Zahl der von den Staatsanwaltschaften der Länder wegen anderer Straftaten eingeleiteten Verfahren ist der Bundesregierung nicht bekannt. Eine Umfrage bei den Ländern ist wegen der Kürze der Beantwortungszeit leider nicht möglich; dafür haben Sie sicherlich Verständnis.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, zunächst vielen Dank für die Beantwortung der Frage. Wären Sie bereit, mir nach Nachfrage vor allem bei den neuen Bundesländern schriftlich nachzureichen, wie viele Ermittlungsverfahren in den neuen Bundesländern in den letzten Jahren gegen Hauptamtliche und Inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit in den letzten Jahren stattfanden bzw. jetzt laufen, und zwar nicht so sehr wie bei uns — wegen Spionageangelegenheiten, sondern vor allem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Ja.
Dann stelle ich die Frage, ob zu diesem Komplex jemand eine Zusatzfrage stellen will. — Das ist nicht der Fall.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1992 6683
Vizepräsident Hans KleinIch rufe die Frage 28 auf, die ebenfalls der Kollege Augustinowitz gestellt hat:Welche Auswirkungen hat das Festhalten der Bundesrepublik Deutschland am Alleinvertretungsanspruch für alle Deutschen für die juristische Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit?Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die in den 50er und 60er Jahren vertretene politische These vom Alleinvertretungsrecht bzw. vom, wie Sie es formuliert haben, Alleinvertretungsanspruch hat keinen Bezug zu der notwendigen rechtlichen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. Bei der Aufarbeitung der strafrechtlichen DDR-Vergangenheit ist davon auszugehen, daß Bundesrepublik Deutschland und DDR zwei Staaten waren.Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Urteil vom 23. April 1991 zu Fragen im Zusammenhang mit Enteignungsmaßnahmen ausgeführt:Die Bundesrepublik hat sich zwar seit jeher im Sinne der Präambel des Grundgesetzes für das ganze Deutschland verantwortlich gefühlt [...]. Ihre Staatsgewalt beschränkt sich aber nicht nur tatsächlich, sondern auch staatsrechtlich auf das damalige Gebiet der Bundesrepublik.Hinsichtlich des bei der juristischen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit anzuwendenden Rechts ist zu beachten, daß nach den Regelungen des Einigungsvertrages Bundesrecht im Beitrittsgebiet gemäß den besonderen Bestimmungen des Einigungsvertrages mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 in Kraft getreten ist. Für Taten, die vor dem 3. Oktober 1990 in der ehemaligen DDR begangen wurden, ist grundsätzlich von dem zur Tatzeit am Tatort geltenden Recht der ehemaligen DDR auszugehen. Das durch den Einigungsvertrag in diesem Gebiet später in Kraft gesetzte bundesdeutsche Recht ist anzuwenden, wenn es milder ist.Zu der in diesem Zusammenhang interessierenden Frage der Verjährung möchte ich noch folgendes bemerken: Mit Rücksicht auf den Umbruch in der Justiz nach der Wiedervereinigung bestimmt der Einigungsvertrag, daß die Verjährung für solche Delikte, die am 3. Oktober 1990 nach dem Recht der DDR noch nicht abgelaufen war, an diesem Tag als unterbrochen gilt und damit von neuem läuft. Soweit eine Straftat zum Zeitpunkt des Beitritts bereits verjährt war, wäre ein rückwirkendes Wiederaufleben und Wiederauflebenlassen der Verjährung aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich.Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Verjährung für Taten, die in der ehemaligen DDR auf Veranlassung oder mit Billigung der ehemaligen Machthaber der DDR verübt oder unter Mißachtung rechtsstaatlicher Maßstäbe nicht verfolgt wurden, während der Zeit der Herrschaft des SED-Regimes geruht hat, eine Verjährung für solche Taten, z. B. die Schüsse an der Mauer, also nicht eingetreten ist. Die Kriterien, die durch das Bundesverfassungsgericht und den Bundesgerichtshof zur Verjährung von nationalsozialistischen Gewalttaten entwickelt wurden, können für die strafrechtliche Beurteilung von SED-Unrechtstaten entsprechend herangezogen werden.Die Justizminister und -senatoren der Länder haben auf ihrer Herbstkonferenz am 5. und 6. November1991 in Berlin zum Thema Verfolgungsverjährung von Unrechtstaten des ehemaligen SED-Regimes einen entsprechenden Beschluß gefaßt und ihn — das lassen Sie mich hinzufügen — ihren Justizverwaltungen mitgeteilt.Die Frage, ob trotz der Annahme des Ruhens der Verjährung für SED-Unrechtstaten und der bereits im Einigungsvertrag getroffenen Verlängerung noch laufender Verjährungsfristen weitere gesetzgeberische Maßnahmen erforderlich sind, die sicherstellen, daß Straftaten nicht wegen Verfolgungsverjährung ungesühnt bleiben, wird am kommenden Freitag im Bundesrat zu erörtern sein.Damit ist meine Antwort beendet.
Herr Kollege Augustinowitz, erste Zusatzfrage.
Zunächst vielen Dank für die umfangreiche Beantwortung der Frage.
Ich habe aber noch zwei Zusatzfragen.
Erstens. Wie wirkt sich die Bestimmung im Strafgesetzbuch aus, daß Bewohner der Ex-DDR, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 Deutsche im Sinne des Grundgesetzes waren und sind, durch Gerichte der Bundesrepublik Deutschland für in der DDR begangene Straftaten unter Anwendung der Bestimmungen des Strafgesetzbuches der Bundesrepublik abgeurteilt werden können — Stichwort „Salzgitter"?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Dabei handelt es sich ja um Straftaten — das gilt z. B. auch für die Mauerschützen —, die auch in der damaligen DDR zu bestrafen waren; Mord und Totschlag gab es auch im StGB der DDR.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, auch auf Grund dessen, was Sie eben gesagt haben, meine Frage: Liegen in den Bestimmungen des Einigungsvertrages im Bereich der Justiz die eigentlichen Hinderungsgründe, warum die nunmehr gesamtdeutsche Justiz Schwierigkeiten mit der juristischen Aufarbeitung des DDR-Unrechtsstaates hat?
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär: Nein. Ich sehe da überhaupt keinen Zusammenhang. Ich glaube, daß wir in diesem Bereich sicherlich einige Schwierigkeiten haben, aber die liegen mehr in den tatsächlichen Verhältnissen, den Schwierigkeiten beim Aufbau des Rechtsstaates in den neuen Bundesländern.
Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Dann bedanke ich mich, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen.Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Joachim Grünewald zur Verfügung.Ich rufe als erstes die Frage 29 des Kollegen Dr. Jürgen Meyer auf:
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Vizepräsident Hans KleinWelche Informationen hat die Bundesregierung über die Personalentwicklung in den Finanzämtern der alten und neuen Bundesländer, insbesondere im Bereich der Betriebsprüfung, im Jahre 1991?
Herr Kollege Meyer, Ihre Frage betrifft Organisations- und Personalangelegenheiten der Steuerverwaltung, die nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes in der Verantwortung der Länder stehen.
Die Länder übermitteln dem BMF auf freiwilliger Grundlage jährlich Übersichten zur Personallage der Steuerverwaltung im abgelaufenen Haushaltsjahr sowie — im Rahmen der Betriebsprüfungsstatistik — Angaben zur Zahl der im Berichtszeitraum eingesetzten Prüfer. Diese Daten liegen dem BMF erfahrungsgemäß frühestens im Juli des folgenden Jahres vor.
Haben Sie bitte Verständnis, daß ich Ihre Frage zur Zeit nicht beantworten kann. Ihr freundliches Einverständnis unterstellt, werden wir nach Vorlage der Daten — sie wurden bereits im November vergangenen Jahres angefordert — die erbetenen Unterlagen Ihnen schriftlich nachreichen.
Zusatzfrage.
Ich bedanke mich für die angekündigte schriftliche Antwort und stelle folgende Zusatzfrage. Vom Finanzamt meines Wahlkreises in Ulm ist mir bekannt, daß dort eine größere Zahl freier Stellen nicht besetzt werden kann. Ist dies nach Ihrer Kenntnis eine allgemeine Erscheinung in den westlichen und östlichen Bundesländern?
Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Ja, ich muß das leider bestätigen. Wir sind ganz generell in der Finanzverwaltung in einer großen Personalenge.
Zweite Zusatzfrage.
Meine zweite Zusatzfrage zur Kompetenz des Bundes: Sind Sie mit mir der Auffassung, daß diese Misere an der fehlenden Attraktivität der Stellen in den Finanzämtern liegt, und meinen Sie, daß über die Veränderung der Besoldungsstruktur mit Hilfe des Bundes-Beamtenrechtsrahmengesetzes Abhilfe geschaffen werden könnte?
Dr. Joachim Grünewald, Pari. Staatssekretär: Daß strukturelle Fragen hereinspielen, Herr Kollege Meyer, will ich gerne bestätigen. Generell von einer mangelnden Attraktivität zu sprechen, halte ich nicht für richtig; denn das muß man perspektivisch für eine ganze Beamtenlaufbahn sehen.
Faktum ist aber, daß die hochqualifiziert ausgebildeten Finanzbeamten gerade in dieser Situation einem besonders offenen Markt, sei es bei den steuerberatenden Berufen oder auch in der freien Wirtschaft, ausgesetzt sind und daß wir deswegen in der Finanzverwaltung leider viele Abgänge zu verzeichnen haben.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht.
Dann rufe ich die Frage 30 auf, die ebenfalls der Kollege Meyer gestellt hat:
In welchem Umfang hat im selben Jahr die Zahl der in den steuerberatenden Berufen Tätigen zugenommen?
Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Dem Bundesfinanzministerium liegen keine amtlichen Zahlen über die in den steuerberatenden Berufen Tätigen vor. Nach Auskunft der Bundessteuerberaterkammer stieg die Zahl der Berufsangehörigen, also der Steuerberater, Steuerbevollmächtigten und der Steuerberatungsgesellschaften, von 49 998 Ende 1990 auf 53 357 ultimo 1991 an.
Anzumerken ist, daß 1991 die Berufsangehörigen aus den neuen Bundesländern, etwa 2 800, statistisch erstmals erfaßt wurden, obwohl sie zum weitaus größten Teil schon in 1990 einen steuerberatenden Beruf aufgenommen hatten.
Zusatzfrage.
Beruht diese von Ihnen skizzierte Entwicklung auch darauf, daß eine größere Zahl von Ausgebildeten die Finanzämter verläßt, sobald sie ihre Ausbildung abgeschlossen haben, weil sie in der freien Wirtschaft erheblich mehr verdienen können?
Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Ich durfte eben in anderem Zusammenhang schon andeuten: Die freie Wirtschaft liegt in der Vergütung bei den steuerberatenden Berufen über dem Niveau der gesetzlichen Möglichkeiten im öffentlichen Dienst.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Meyer.
Da es auch ein elementares Interesse des Bundes daran gibt, die Steuereinnahmen im Rahmen der Gesetze so hoch zu halten, wie wir uns das gemeinsam wünschen,
frage ich noch einmal: Sehen Sie keinen Handlungsbedarf über das Beamtenrechtrahmengesetz oder andere Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes?
Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Im fiskalischen Interesse einer ordnungsgemäß besetzten Finanzverwaltung stimmen Sie natürlich mit mir — wen wundert das? — uneingeschränkt überein. Auch wir sehen Handlungsbedarf, den Beruf des Finanzbeamten auf allen Ebenen noch attraktiver zu gestalten, um mit den Personalengpässen fertigwerden zu können.
Gibt es dazu weitere Zusatzfragen? — Das ist nicht der Fall.Dann rufe ich die Frage 31 des Abgeordneten Dr. Ingomar Hauchler auf:Beabsichtigt die Bundesregierung, in Zukunft die steuerliche Absetzbarkeit von Bestechungs- und Schmiergeldern an ausländische Beamte bzw. Staatsbedienstete abzuschaffen?Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hauchler, ich durfte Ihnen auf Ihre schriftliche Anfrage im Monat Januar schon darstellen, daß bei der steuerlichen Beurteilung von Bestechungs- und
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Parl. Staatssekretär Dr. Joachim Grünewald Schmiergeldern danach unterschieden werden muß, ob diese Zahlungen mit einem ganz konkreten Geschäftsabschluß in Zusammenhang gebracht werden können oder ob es sich um Zahlungen handelt, die ganz allgemein zur Pflege geschäftlicher Beziehungen aufgewandt werden. Nur wenn der Steuerpflichtige nachweist, daß die Zahlung der Bestechungsoder Schmiergelder einen Geschäftsabschluß herbeiführen konnte oder ein anderer bestimmter betrieblicher Zweck gefördert werden konnte, dürfen die Aufwendung en als Betriebsausgaben abgezogen werden.Darüber hinaus ist der Unternehmer verpflichtet, den Empfänger der Zahlung zu benennen. Andernfalls wird der Betriebsausgabenabzug nicht anerkannt.
Eine Zusatzfrage?
Ich habe keine Zusatzfrage. Aber meine Frage ist überhaupt nicht beantwortet worden. Sie haben jetzt genau das abgelesen, was Sie mir bereits vor einer Woche schriftlich geantwortet haben. Ich habe gefragt, ob die Bundesregierung beabsichtigt, diese Regelung abzuschaffen.
Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Ich hatte ja auf meine schriftliche Antwort eingangs bewußt hingewiesen. Dann möchte ich Ihnen vorschlagen, daß ich die Frage 32 mitbeantworten darf, Herr Präsident. Dann komme ich detailliert auf mögliche Absichten oder Nicht-Absichten der Bundesregierung zurück, wenn Sie einverstanden sind.
Wenn der Fragesteller zustimmt.
Wenn ich dann noch vier Zusatzfragen habe, ja.
Dann rufe ich die Frage 32 des Abgeordneten Dr. Ingomar Hauchler auf:
Wenn nein, wie beurteilt die Bundesregierung eine solche steuerliche Begünstigung im Hinblick auf das Ziel, im Bereich der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit die Qualität von Lieferungen und Leistungen und die Minimierung ihrer Kosten sicherzustellen?
Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Im Besteuerungsverfahren werden auch die Erträge erfaßt, die ein Steuerpflichtiger erzielt hat, weil er einen Geschäftsabschluß nur durch Zahlung von Schmiergeldern erreichen konnte. Würden die Erträge aus solchen, möglicherweise als sittenwidrig anzusehenden Geschäften steuerlich nicht berücksichtigt, so würden die Steuerpflichtigen privilegiert, die sich derartiger Geschäftspraktiken bedienen. Deshalb kommt es für Zwecke des Besteuerungsverfahrens nicht darauf an, ob dem Steuerpflichtigen ein sittenwidriges oder gar strafbares Handeln vorgeworfen werden kann. So hat der Bundesfinanzhof in einem erst kürzlich veröffentlichten Urteil entschieden, daß ein leitender Bankangestellter, der sich unter Ausnutzung seiner Vertrauensstellung der fortgesetzten Untreue zu Lasten der Bank strafbar macht, Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt. Solange die Einnahmen aus solchen Geschäften zur Besteuerung
herangezogen werden, obwohl das Verhalten der Geschäftspartner gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt, müssen auch die damit im Zusammenhang stehenden Ausgaben zum Abzug zugelassen werden. Sonst würde im Ergebnis nicht das Einkommen, sondern würden die Einnahmen besteuert.
Die Regelung der Frage, ob die Zahlung von Bestechungs- und Schmiergeldern im öffentlichen oder im privaten Bereich zu bestrafen ist und ob im Rahmen strafrechtlicher Sanktionen auch der wirtschaftliche Vorteil aus dem Geschäft abzuschöpfen ist, muß dem Strafrecht des betreffenden Staates überlassen bleiben.
Damit ist dann auch Ihre erste Zusatzfrage beantwortet. Die Bundesregierung beabsichtigt insoweit nicht, einer Änderung näherzutreten.
Eigentlich ist die für die Fragestunde vorgesehene Zeit in einer Minute abgelaufen. n ber ich bin dafür, daß wir jetzt noch die Zusatzfragen abwickeln. Bitte!
Vielen Dank, Herr Präsident.
Herr Staatssekretär, geben Sie mir recht, wenn ich sage, daß die Bundesregierung Fälle von aktiver Bestechung als Korruption bezeichnet, und wie verträgt sich eine solche Bewertung von Bestechung als Teil der Korruption damit, daß die Bundesregierung in den Entwicklungsländern den Kampf gegen die Korruption zu einem der wesentlichen Kriterien für die Gewährung von Entwicklungshilfe macht?
Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Daß sich die Bundesregierung im Kampf gegen Korruption überall in der Welt und auch auf nationaler Ebene bemüht, ist eine Selbstverständlichkeit. Nur, Herr Kollege Hauchler, das ist keine steuerrechtliche, sondern letztlich eine strafrechtliche Frage. Das Steuerrecht beurteilt den Bürger nur nach seiner finanziellen Leistungsfähigkeit, losgelöst davon, welche Einkommensvorgänge dem zugrunde liegen. Dies ist ausschließlich eine Frage des Strafrechts.
Zweite Zusatzfrage.
Wenn Bestechungsfälle dieser Art steuerlich begünstigt werden, dann heißt das doch, daß der Staat das Verhalten dessen, der besticht, akzeptiert. Mein Problem war ja gar nicht die strafrechtliche Verfolgung im Ausland, sondern mein Problem war, daß der deutsche Staat ein solches aktives Bestechungsverhalten steuerlich begünstigt, und ich frage Sie, ob das nicht in Widerspruch zum Kampf der Bundesrepublik in den Entwicklungsländern gegen Korruption steht.Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Hauchler.
Das ist eine steuersystematische Frage. Wer auf Grundeines übereinstimmend als verwerflich zu beurteilenden Verhaltens Einkommen erzielt, muß dieses Ein-
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Parl. Staatssekretär Dr. Joachim Grünewaldkommen besteuern. Wenn ich das auf der Einnahmeseite mache, muß ich auch die dafür vorgesehenen Aufwendungen als Abzüge anerkennen. Wenn das nicht der Fall wäre, dann würde das Steuerrecht allerdings dazu führen, daß gerade solche verwerfliche Handlungen im Vergleich zu redlich erworbenen Einkommen sogar noch begünstigt würden.
Dritte Zusatzfrage.
Muß ein Entwicklungsland, wenn es weiß, daß die Bundesrepublik solche Bestechungen aktiv dadurch begünstigt, daß sich diese Gelder steuerlich in Abzug bringen lassen, nicht der Meinung sein, daß die Konditionierung von Entwicklungshilfe an Nicht-Korruption nicht glaubwürdig ist? Es ist ja dieselbe Regierung, die das tut.
Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Lieber Herr Kollege Hauchler, den ausdrücklich ausgesprochenen Vorwurf, die Bundesregierung unterstütze solche Vorgänge im Rahmen der Entwicklungshilfe im weitesten Sinne aktiv, muß ich für die Bundesregierung nachhaltig zurückweisen. Es ist in bezug auf die Aufträge, die im Rahmen der Entwicklungshilfe erteilt werden, nun einmal so, daß zunächst einmal die Entwicklungsländer selber die Auftraggeber sind — wir sind ja allenfalls nur Mitfinanziers — und daß neben der Bundesregierung in aller Regel auch noch dritte Mitfinanziers da sind. Schon von daher ist es steuersystematisch überhaupt nicht möglich, diese Leistungen aus solchen Geschäften zu differenzieren.
Letzte Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung bereit, eine Erhebung zu machen, welchen Umfang diese Art von Steuerbegünstigung ausmacht, d. h. wie hoch die finanzielle Belastung des Bundes dadurch ist?
Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Ich habe große Sorge, daß wir Ihrem berechtigten Wunsch aus rein sachlichen Gründen nicht werden entsprechen können; denn es handelt sich natürlich ganz überwiegend um Geschäfte, die in finsteren Räucherkammern getätigt werden und die sich nicht vor den Augen der Öffentlichkeit vollziehen.
Gleichwohl, Herr Hauchler, sage ich: In ausdrücklicher Anerkennung Ihres Gedankens, der dahintersteht, werde ich mich darum bemühen und auf die Angelegenheit zurückkommen. Ich möchte nur nicht, daß Ihr Erwartungshorizont allzu hoch ist.
Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Die Fragestunde ist beendet.
Ich rufe den Zusatzpunkt der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde
Die Freigabe des Drogenkonsums als Antwort auf über 2000 Drogentote im Jahre 1991
Die Fraktion der CDU/CSU hat eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema verlangt.
Als erstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Roland Sauer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Durch eine Drogenfreigabe würde der Staat zum Drogendealer verkommen und seinen im Grundgesetz verankerten Auftrag zur Gesundheitsfürsorge und zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit dem einzelnen Bürger gegenüber verleugnen.
Die resignative Flucht in die Legalisierung wird daher von uns entschieden abgelehnt.Die Folge einer Drogenfreigabe wäre das Sinken der Probier- und Hemmschwelle. Schon die Auswirkungen der Diskussion über die Freigabe sogenannter weicher Drogen sind verheerend. Viele Menschen, besonders junge Menschen, glauben dadurch, diese Suchtmittel seien gar nicht so gefährlich, man könne sie also ausprobieren. Der Begriff „weiche Drogen" ist an sich schon verharmlosend, da Haschisch und Marihuana Schlüsseldrogen, Überstülpsdrogen sind. Zwei Drittel der regelmäßigen Haschischkonsumenten zeigten die Bereitschaft, auf harte Drogen umzusteigen; so eine wissenschaftliche Studie aus dem Jahre 1988. In Verbindung mit Alkohol und Nikotin stehen diese weichen Drogen am Anfang von Drogenkarrieren, die schließlich zu harten Drogen und ihren verheerenden Konsequenzen bis zum Tode führen.Gerade auch weiche Drogen sind nicht ungefährlich. Sie führen bei Langzeitgebrauch zu schweren psychischen und physischen Schäden. Sie erzeugen vielfach drogeninduzierte Psychosen.Für uns stellt die Legalisierung von Haschisch und Marihuana eine Verharmlosung dieser Suchtmittel dar. Sie würde die gesamte bisherige Drogenpolitik und speziell die so wichtige Suchtprävention und Suchtprophylaxe völlig unglaubwürdig erscheinen lassen. Wie soll denn gerade die junge Generation für ein Leben ohne Drogen gewonnen werden, wenn es zu einer staatlichen Freigabe von Drogen kommt?Das Ergebnis einer Drogenfreigabe wäre weiterhin eine explosionsartige Steigerung der Zahl der Drogenabhängigen und der Drogentoten. Auch würden die strafbaren Handlungen immens zunehmen. Denken Sie nur an die Verkehrsunfälle und die Gewalttaten unter Drogeneinfluß.In diesem Zusammenhang möchte ich Professor Kreuzer, einen der führenden deutschen Kriminologen, zitieren. Er wies im Fernsehen auf die viel längere Zeit hin, die zum Abbau von Haschisch gegenüber Alkohol nötig ist, und warnte gleichzeitig vor dem Irrglauben, durch eine Freigabe von weichen Drogen würden Beschaffungskriminalität und Prostitution zurückgehen. Genau das Gegenteil ist der Fall.
In der Schweiz und in den Niederlanden sei genau das Gegenteil festzustellen. So sei gerade in Amsterdam die Beschaffungskriminalität durch die Freigabe von weichen Drogen und durch umfassende Methadon-Programme nicht zurückgegangen. Das hängt mit der
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Roland Sauer
vielfach festzustellenden Mehrfachabhängigkeit der Drogensüchtigen zusammen.Durch die Freigabe weicher Drogen — für viele linke Politiker ist das nur der erste Schritt zur Freigabe harter Drogen —
würden wir neben den Niederlanden zum Anziehungspunkt europäischer Drogenabhängiger werden. Eine große Sogwirkung würde entstehen. Ein Drogentourismus nach Deutschland würde entstehen. Wollen wir die Mißstände vom Züricher Platzspitz und von Amsterdam in Deutschland? Nein, mit uns wird es das nicht geben!
Wir werden weder die Fehler der Holländer, welche die größte Dealerdichte Europas haben, noch die der Schweizer, die den höchsten Anteil an Drogentoten, gemessen an der Bevölkerung, haben, wiederholen.Angesichts von 2 126 Drogentoten und über 100 000 Abhängigen von harten Drogen im Jahre 1991 muß unsere Devise lauten: nicht verantwortungslose Freigabe von Drogen, sondern noch konsequenter und systematischer den Kampf gegen die Drogen, gegen die Drogenbosse und die Drogenkartelle führen. Dabei geht es, wie es auch im Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplan formuliert ist, um drei gleichwertige Schwerpunkte:Erstens. Die Suchtprävention muß entscheidend verbessert werden. Wir müssen in einer großen Antidrogenaktion die Bevölkerung sensibilisieren und besonders unsere junge Generation für ein Leben ohne Drogen gewinnen. Diese Aktion muß aber bei den legalen Drogen Alkohol und Nikotin beginnen.Zweitens. Hilfe vor Strafe muß in Deutschland noch mehr praktizierte Wirklichkeit werden.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme zum letzten Satz. Nicht zuletzt müssen die vorliegenden repressiven Gesetzesvorhaben gegen die Drogenkartelle noch vor der Sommerpause verabschiedet werden.
Die Geldwäsche von Einkünften aus dem Drogenhandel —
Herr Kollege, kein neues Thema!
— darf in Deutschland nicht länger geduldet werden.
Herzlichen Dank.
In der Aktuellen Stunde sind fünf Minuten pro Redner vorgesehen. Wenn jeder nur ein kleines bißchen überschreitet, kommen wir bei der großen Zahl der Redner aus dem Tritt. Ich bitte also, sich an die Redezeit zu halten.
Ich erteile der Frau Kollegin Gudrun Schaich-Walch das Wort.
Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Sauer, es wäre sehr viel besser gewesen, Sie hätten hier sehr konkret gesagt, was Sie tun wollen, statt nur zu sagen, was einfach nicht getan werden darf.
Sie haben bereits seit einigen Monaten einen Änderungsantrag zum Betäubungsmittelgesetz vorliegen, der sich sehr wohl inhaltlich mit einigen Bereichen des Drogenproblems auseinandersetzt. Aber Sie sind bis heute nicht in der Lage, dazu Stellung zu beziehen, sondern begeben sich auf einen Weg, von dem ich nur sagen kann, daß dieser Schlagabtausch hier mit FünfMinuten-Diskussionsbeiträgen in einer Stunde für die Aufarbeitung und die Lösung des Drogenproblems in unserem Land überhaupt nicht hilfreich ist.
Das einzige, was Sie hier tun, ist: Sie leisten einen Beitrag im Rahmen von Wahlkampf. Worauf Sie überhaupt nicht achten, ist die Tatsache, daß Sie es hier mit Ängsten, Verunsicherung und Sorgen von Menschen zu tun haben, von Männern und Frauen, die drogenabhängig sind, von deren Freunden, von deren Eltern und auch von deren Kindern. Darauf gehen Sie in Ihrer Art und Weise überhaupt nicht angemessen ein.
Es ist wichtig und sehr sinnvoll, dieses Thema mit der nötigen Sensibilität und dem nötigen Sachverstand zu behandeln und mit derselben Sensibilität Lösungsvorschläge zu erarbeiten.Wir haben Ihnen einige Vorschläge unterbreitet. Zu dem einen Bereich haben wir — entgegen Ihrer Behauptung — gesagt: Wir wollen keine Legalisierung; wir wollen eine Entkriminalisierung der Drogengebraucherinnen und -gebraucher. Das ist ganz einfach etwas anderes. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß die Strafjustiz in den letzten Jahren nichts bewirkt hat. Der Gesundheitszustand dieser Menschen ist grauenhaft; auch ihr sozialer Zustand ist grauenhaft.Wenn Sie hier Modelle aus anderen Ländern diskreditieren, ohne eine eigene Lösung anzubieten, bringt auch dies nicht sehr viel.
[CDU/CSU]: Wir
haben doch Vorstellungen entwickelt!)— Sie haben keine Lösung. Seit 20 Jahren gucken Sie dem zunehmenden Drogenelend zu und bewegen überhaupt nichts. Das ist Tatsache.
Sie sind nicht bereit, eine wirklich differenzierende Diskussion zu führen.
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Gudrun Schaich-WalchSie ist sehr wohl möglich und könnte darin bestehen, daß man sagt: Wir betrachten die unterschiedlichen Drogen ganz genau und machen nicht permanent den Quark, den Sie hier abliefern, indem Sie sagen, es gebe keinen Unterschied zwischen Haschisch und Heroin. Dann müßten Sie auf derselben Basis zugeben: Kaffee und Alkohol setzt kein Mensch gleich.
Sie sollten nicht nur zwischen legalen Drogen und illegalen Drogen differenzieren, sondern auch nach dem ganz unterschiedlichen Gefährdungspotential der einzelnen Drogen.
— Jetzt rede ich, nicht Sie! — An dieser Differenzierung sollten Sie sich abarbeiten. Das wäre eine sehr vernünftige, sehr, sehr logische und nach meiner Einschätzung sehr gute und mögliche Drogenpolitik, die Sie betreiben könnten.
Wenn Sie die Gefährdung, die sozialen und die gesundheitlichen Auswirkungen nicht differenziert betrachten,
werden Sie weiterhin sämtliche Ansätze zu einer vernünftigen Politik, und zwar nicht Drogenpolitik, sondern Suchtpolitik
in diesem Land schlicht und einfach verspielen.
— Gescheitert ist in der Sache gar nichts. Gescheitert sind Sie mit Ihren 20 Jahren Drogenpolitik. Für viele Menschen könnte es eine Erleichterung ihres Loses geben,
Wenn Sie mit dem Problem schlicht und einfach etwas differenzierter umgingen. Sie gucken der Sache die ganze Zeit zu, und im Prinzip fällt Ihnen nichts anderes ein, als Plakate mit dem Text „Keine Macht den Drogen" zu kleben, die Sie zudem mit Sportlern besetzen, zu denen man sagen muß, daß es sehr differenziert zu betrachten ist, was für Leitbilder diese Menschen bei uns heutzutage geben.
Ich erteile der Abgeordneten Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink das Wort.
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Um es vorweg zu sagen: Die F.D.P. lehnt die Freigabe von weichen und harten Drogen ab,
tritt aber für eine vorsichtige Entkriminalisierung der Abhängigen im Sinne von „Therapie statt Strafe" ein.
Haschisch ist nicht wie Schokolade. Aber andererseits ist es ein Mythos, daß jede „Drogenkarriere" bei Haschisch beginne und bei Heroin ende. Sucht beginnt viel früher. Illegalen Drogen voraus geht immer legaler Mißbrauch von Nikotin und Alkohol.
Wir müssen endlich eine angemessene Einordnung vornehmen, nämlich 5 Millionen Nikotin-, 2,5 Millionen Alkohol-, 800 000 Medikamenten- und 100 000 Drogenabhängige. Diese Gesamtgruppe sollten wir im Auge haben!Die isolierte Betrachtung der illegalen Drogen reduziert die Erörterung nur auf das Problem des Stoffes. Das ist ein falscher Ansatzpunkt; denn er verkennt die Ursachen von Sucht. Sucht — aus der Wortfamilie „siechen", nicht „suchen" — bedeutet zwanghafte Abhängigkeit, die zum Verzicht auf ein selbstbestimmtes, freiheitliches Leben führt. Sucht ist ein sozialpsychologisches Problem.Warum genießen die von illegalen Drogen Abhängigen eigentlich so viel Aufmerksamkeit? — Wahrscheinlich weil es sich um die junge Generation — also um „unsere Kinder" — handelt, die mit den illegalen Drogen zu scheitern droht. Vielleicht werden hier gerade auch unsere eigenen Ängste und Schuldgefühle mobilisiert. Geben wir uns keinem Irrtum hin: Jede, aber auch jede Droge, Alkohol wie auch Schnüffelstoff, ist eine potentielle Einstiegsdroge für gefährdete Jugendliche und Erwachsene.
Es ist zynisch, zu verlangen, daß unsere Jugendlichen nun auch noch das gleiche Recht auf die gefährlichen Cannabis-Produkte haben sollen, nachdem die Schäden, die durch Alkohol und Nikotin entstehen, bekannt sind.
Es geht heute vor allem um drei Fragen: teilweise Freigabe, ärztliche Drogenversorgung und Methadon-Programme, die kontrovers diskutiert werden. Würde eine liberale Drogenpolitik das Elend der Abhängigen und die Zahl der Toten wirklich verringern? Angesichts der zahlreichen Ursachen von Suchtkrankheiten wird niemand eine Prognose wagen. Nach ersten Erfahrungen im Ausland ist es
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Dr. Margret Funke-Schmitt-Rinkwahrscheinlich, daß die Beschaffungskriminalität wie die Gesundheitsrisiken für Abhängige abnehmen würden. Aber ebenso würde die Zahl der Abhängigen mit einer Legalisierung drastisch zunehmen; ob nur vorübergehend, ist fraglich. Die Freigabe würde den schon Abhängigen helfen, aber die noch nicht Süchtigen ungeheuer gefährden.Über eines müssen wir uns klar sein: Ob wir unser Strafrecht ändern oder nicht, es wird keine Lösung des Drogenproblems geben, sondern immer nur eine mehr oder weniger gelungene Eindämmung. Es gibt keinen „Königsweg" aus dem Drogenelend. Auch die Gegner einer Freigabe müssen sich auf Grund ihres Verantwortungsgefühls immer wieder fragen, ob der eingeschlagene Weg, nämlich die Krankheit „Sucht" mit den Mitteln des Strafrechts zu heilen, wirklich angemessen ist.
Die jetzige Diskussion lenkt leider von eigentlichenZiel, nämlich der Bekämpfung von Vertrieb, Besitz und Konsum harter Drogen, ab. Noch zu viele Defizite sind bei der Umsetzung des nationalen Rauschgiftbekämpfungsplans von 1990 festzustellen.
Hier ist nachzulesen, was wirklich not tut: mehr Prävention, mehr Therapieplätze, mehr Nachsorgeeinrichtungen. Das sind die drei Säulen unserer Anti-Drogenpolitik.Lassen Sie mich zum Schluß noch auf ein Problem hinweisen, das Suchtprävention so sehr erschwert: Warum bleibt die Entwicklung von Drogenabhängigkeit, die meist über Jahre verläuft, so oft unerkannt? Eltern, Erzieher — eben die Erwachsenen — merken fast immer zu spät, was mit den Jugendlichen über Jahre passiert ist. Sie gucken weg oder sind selbst so beschäftigt, daß die Entwicklung ihrer Kinder aus ihrem Blickpunkt gerät. In bezug auf Suchtpräventionsforschung sind wir ein Entwicklungsland.Fazit: Drogenabhängigkeit, meine Herren, meine Damen, hat sicher auch gesellschaftliche Ursachen. Stichworte: Entfremdung, Anonymität, Moden, Abenteuerlust, zu geringe Frustrationstoleranz, Mythos der permanenten Leistungsfähigkeit. Aber es sind auch individuelle Probleme, die unerkannt bleiben und dann schließlich über eine lange Zeit zu einer Drogenkarriere führen. Drogen sind austauschbar. Wer durch übermäßigen Drogenkonsum gefährdet ist, gibt Signale.Wir haben in den letzten zehn Jahren gelernt, daß Aufklärung durch Abschreckung nicht funktioniert. Suchtprävention muß an den Problemen der Jugendlichen ansetzen, an ihren Problemen, sich in unserer Gesellschaft zurechtzufinden und für sich eine Perspektive, eben Sinn zu finden. Jugendarbeit muß Suchtprävention sein.Danke.
Das Wort hat der Bundesminister des Innern, Rudolf Seiters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will einige grundsätzliche Feststellungen treffen, auf die Gesamtzusammenhänge verweisen und darauf, daß die Bekämpfung oder Freigabe sogenannter weicher Drogen nur im Rahmen der gesamten Rauschgiftbekämpfung beurteilt werden kann.Erstens. Das Drogenproblem hat sich weltweit verschärft. Abhängigkeit, Drogennachfrage und der verbrecherische Rauschgifthandel breiten sich sowohl in den Entwicklungsländern als auch in den Industrieländern aus. Das Rauschgiftproblem ist zu keiner Zeit so ernst gewesen wie heute. Einzelne Menschen und Familien wie auch das Gefüge der Gesellschaft unterliegen einer Gefährdung, die an Intensität in den letzten Jahren dramatisch zugenommen hat.Die Zahlen der Erstkonsumenten des vergangenen Jahres sind bekannt. Die Zahl der Drogentoten betrug im vergangenen Jahr über 2 000 — eine Höchstzahl. Die Zahlen steigen weiter: im Januar und Februar 1992 307 Rauschgifttote im Vergleich zu 237 im Januar und Februar 1991.Ich teile die Auffassung, daß wir für eine wirksame Bekämpfung der Drogenproblematik eine Zusammenarbeit aller gesellschaftlichen Kräfte brauchen, insbesondere bei der Vorbeugung, der Aufklärung, der Beratung, der Rehabilitation und der Schaffung von erheblich mehr Therapieplätzen in Ländern und Gemeinden.
Die Bundesregierung hat die Bemühungen der Länder durch Förderung zahlreicher Modellvorhaben nach Kräften unterstützt. Wir werden diesen Weg gemeinsam mit den Ländern auch in Zukunft konsequent fortsetzen.Zweitens. Zum nationalen Rauschgiftbekämpfungsplan der Bundesregierung gehören auch die verstärkte polizeiliche und strafrechtliche Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität hierzulande und eine enge internationale Zusammenarbeit. Die Sicherstellungszahlen machen deutlich, daß der Zufuhrdruck der Rauschgiftkartelle auf den europäischen Markt unvermindert anhält. Sie belegen aber gleichzeitig, daß die polizeilichen Konzepte Wirkung zeigen.Ich möchte, daß das Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität im Parlament schnell verabschiedet wird. Ich appelliere an alle Fraktionen dieses Hauses.
Ich werde den Entwurf eines Gewinnaufspürungsgesetzes in Kürze vorlegen.Dem Bundeskriminalamt sind zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität 389 Stellen bewilligt worden, die zügig besetzt werden sollen. In der internationalen Zusammenarbeit ist es gelungen, die übrigen Partner von der Notwendigkeit einer Einrichtung einer europäischen kriminalpolizeilichen Zentralstelle — EUROPOL — zu überzeugen.Mit Ungarn, der CSFR, mit Polen haben wir Abkommen über die polizeiliche Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Rauschgiftbekämpfung geschlossen. Seit
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6690 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1992
Bundesminister Rudolf SeitersMitte des letzten Jahres wurden allein an der deutschtschechoslowakischen Grenze in 17 bedeutenden Fällen insgesamt rund 740 kg Heroin beschlagnahmt.36 Rauschgiftverbindungsbeamte in 25 Staaten sind ein wichtiges Mittel zum schnellen Informationsaustausch bei konkreten Ermittlungsverfahren und gemeinsamen Operationen. Gerade dieser Bereich ist wichtig. Wir werden diese umfassenden Maßnahmen zielstrebig und energisch ausbauen.Drittens. Zur wirksamen Vorbeugung gegen Drogenmißbrauch gehört aber vor allem, die Größe des Drogenproblems und die davon ausgehende Gefahr für jeden einzelnen nicht zu verharmlosen. Dieser Verantwortung muß sich jeder bewußt sein, der öffentlich dem freizügigen Einsatz von Drogen das Wort redet. Ich lehne diesen Weg ganz entschieden ab.
Ich wiederhole, was hier gesagt worden ist: Schon die Forderung nach Freigabe von weichen Drogen ist geeignet, die Gefahren des Drogenkonsums zu verharmlosen, die Hemmschwelle bei potentiellen Drogenkonsumenten herabzusetzen und unsere gesamte Prävention unglaubwürdig werden zu lassen.
Jeder Verharmlosung des Rauschgiftmißbrauchs müssen wir entgegentreten. Ich zitiere nur am Rande Heike Henkel, die eine Vorbildfunktion im Sport ausübt und gesagt hat: Wenn Haschisch erlaubt wird, kann man Doping eigentlich nicht mehr verbieten. Genau dahin würden wir kommen.
Ich denke auch, wir sollten uns einig sein, daß schon weiche Drogen gefährlich sind. Auch Cannabis-Produkte enthalten gesundheitsschädigende Substanzen, die zu psychotischen Erscheinungen mit gravierenden Nebenwirkungen führen bis hin zu psychischen Abhängigkeiten bei Langzeitgebrauch und körperlichen Schäden. Eine Freigabe von Cannabis-Produkten würde fälschlicherweise den Eindruck erwecken, diese Substanzen wären ungefährlich, und die Bemühungen zunichte machen, die Bevölkerung über die Gefahren des Drogenkonsums aufzuklären.Eine Freigabe von sogenannten weichen Drogen würde — davon bin auch ich tief überzeugt — zu einer Konsumsteigerung bei den harten Drogen führen — darauf wurde bereits hingewiesen —, die leichte Verfügbarkeit von Drogen zwangsläufig zu einem „Drogentourismus" in der Bundesrepublik Deutschland, begleitet von einem erheblichen Anstieg negativer Folgen. Auch in den Niederlanden ist dies bereits erkannt und öffentlich kritisiert worden.
Bei Freigabe weicher Drogen muß mit einer steigenden Anzahl Drogenabhängiger gerechnet werden. Die Beschaffungskriminalität wie auch die Folgekriminalität wird nicht zurückgehen, sondern eher ansteigen.Schließlich würde bei einer Freigabe die notwendige Beschränkung der Abgabe von Rauschgiften an Kinder und Jugendliche zum Herausbilden neuer Schwarzmärkte und illegaler Handelsstrukturen führen.Viertens. Zu den internationalen Implikationen will ich darauf hinweisen, daß der „International Narcotics Control Board" der Vereinten Nationen in seinem Jahresbericht für 1991 nochmals mit Nachdruck betont, daß er alle Bestrebungen zur Legalisierung von Rauschgiftbesitz oder -gebrauch mit Nachdruck ablehnt.Mit einer Drogenfreigabe würde die Bundesrepublik Deutschland auch gegen internationale Abkommen verstoßen. Das Verbot von Besitz, Gebrauch und Handel mit Drogen ist eine Verpflichtung nach den Konventionen der Vereinten Nationen. Auch das Schengener Zusatzübereinkommen verpflichtet die Mitgliedstaaten zu strafrechtlichen Sanktionen gegen Rauschgiftbesitz, -handel und -gebrauch, insbesondere — ausdrücklich hervorgehoben — auch bezüglich Cannabis-Produkten.Aus all diesen Gründen will ich feststellen, daß die Freigabe von Drogen, auch der sogenannten weichen, eine Kapitulation vor dem Rauschgift darstellen würde. Sie wäre nicht zu verantworten.
Sie würde den Bürgern signalisieren, daß der Staat im Kampf gegen das organisierte Verbrechen partiell resigniert habe und seine Schutzpflichten nicht mehr erfülle.Ich sage das jetzt ganz ruhig, aber es ist meine feste Überzeugung: Das Argument, jeder habe ein Recht auf Rauschgiftkonsum, ist im Ergebnis zynisch und menschenverachtend.
Es widerspricht den grundlegenden Schutzpflichten des Staates, für Leben und Gesundheit seiner Bürger Sorge zu tragen.Für uns gemeinsam, für unseren Staat muß es darauf ankommen, im Verbund mit der internationalen Staatengemeinschaft entschlossen der organisierten Kriminalität und Rauschgiftkriminalität entgegenzutreten und alle Möglichkeiten der Ausweitung des Drogenproblems von Anfang an zu verhindern. Eine Freigabe weicher Drogen bedeutet freien Zugang zum Rauschgiftmarkt. Freier Zugang zum Rauschgiftmarkt bedeutet freies Wachstum der Rauschgiftkriminalität. Deshalb sage ich: Der Rauschgiftkonsum muß in allen seinen Formen geächtet werden. Wir müssen bei dem Ziel bleiben: ein Leben ohne Drogen.Eine Freigabe weicher Drogen lehne ich aus meiner ganz persönlichen Verantwortung und Überzeugung mit aller Entschiedenheit ab.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1992 6691
Das Wort hat die Abgeordnete Christina Schenk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU hat in schönstem SED-Deutsch diese Aktuelle Stunde mit der Überschrift „Die Freigabe des Drogenkonsums als Antwort auf über 2 000 Drogentote im Jahre 1991 " versehen.
Dieser Titel enthält zwei Unterstellungen, die sich aus der Sachdebatte zum Thema nur mit Böswilligkeit herleiten lassen, und da das offensichtlich nicht genügt, wird auch gleich noch eine grundsätzliche Denunziation jedes Kritikers und jeder Kritikerin der gegenwärtigen Rechtslage eingebaut.Die Freigabe, besser gesagt, die Entillegalisierung des Erwerbs, des Besitzes und des Konsums von Drogen verschiedendster Art bedeutet nicht — das scheint eben die kognitiven und mentalen Möglichkeiten der Fraktion der CDU/CSU zu überschreiten —die Bejahung des Drogenmißbrauchs oder auch nur die Bejahung der Werbung für ihren Konsum. Erwerb, Besitz und Gebrauch von Drogen sollen nicht deshalb von Strafandrohung befreit werden, weil dies bei Alkohol und Nikotin bereits der Fall ist. Wer einen derartig simplen Gedankengang unterstellt, diskreditiert absichtlich oder aus Naivität jeden Versuch, die Probleme, die sich auf dem hier diskutierten Sektor inzwischen angestaut haben, zu entschärfen; und diese Probleme sind beträchtlich. 40 000 Menschen sterben jährlich an den Folgen des Alkoholmißbrauchs; zudem sind ca. 2 000 Tote pro Jahr zu beklagen, die andere Drogen konsumiert haben. Das erschreckende Ausmaß an Beschaffungskriminalität sollte zum Handeln zwingen. Wir haben ja auch eine zunehmende Verwahrlosung der in dieser Szene gefangenen Menschen zu verzeichnen.Ich meine, die gegenwärtige Rechtslage bietet keinen Ansatz bezüglich des Umgangs mit diesen Problemen. Solange selbst Erwerb, Besitz und Konsum von Cannabis verboten sind, welches — da bin ich anderer Meinung — im Vergleich zu Alkohol nachgerade harmlos ist, sind die Polizei, die Staatsanwaltschaft, die Gerichte usw. in steuerfressende Scheingefechte verwickelt. 60 bis 80 % der Verfahren beziehen sich auf Konsumdelikte, so daß ein Zugriff auf Großdealer und Profiteure nicht mehr in dem notwendigen Maß geleistet werden kann.Eine szenennahe Sozialarbeit wird wegen der Strafandrohung und -verfolgung erheblich behindert. Der Ausstieg aus der Szene wird sinnlos erschwert. Ein Teil der quantitativ völlig unzureichenden Therapieangebote wird zweckentfremdet, denn bei der gegenwärtigen Handhabung werden auch solche Menschen in die Therapie gezwungen, die nicht ernsthaft zu dieser bereit sind. Dementsprechend muß zwangsläufig die Abbruch- und Rückfallquote bei 80 bis 90 % liegen. So einfach, meine Damen und Herren, ist dieses Problem nicht zu lösen.Es gibt nun viele, die aus ideologischen Gründen weiter nach einem Ausbau des klassischen repressiven ordnungspolitischen Instrumentariums rufen, ohne sich einer nüchternen Kosten-Nutzen-Analyse zu stellen. Telefonleitungen sollen angezapft werden dürfen, verdeckte Ermittler sollen verstärkt zum Einsatz kommen und darüber hinaus die Erlaubnis erhalten, Straftaten zu begehen. Die Situation in den USA zeigt aber sehr plastisch, daß der „Krieg gegen Drogen" in die Sackgasse führt. Abrüstung zugunsten der Betroffenen ist hingegen die zwingende Konsequenz aus der jetzigen Situation.Wie die Erfahrungen anderer Länder, z. B. der Niederlande, zeigen, bringt die Entillegalisierung von Erwerb, Besitz und Konsum von Drogen deutliche Vorteile,
und zwar in vielfacher Hinsicht: Sie führt zu einer Entlastung der individuellen Situation der Betroffenen, sie mindert die Begleitumstände des illegalen Handels, sie trägt zur Senkung der Beschaffungskriminalität bei.
Die Möglichkeiten für szenennahe Sozialarbeit und auch für Prävention generell verbessern sich deutlich. Die drastische Senkung des Leerlaufs für die Strafverfolgungsbehörden ist ein weiteres wesentliches Argument für die Aufhebung der Illegalisierung.Entillegalisierung von Erwerb und Besitz von Drogen jeglicher Art zum eigenen Gebrauch heißt nicht, daß dies von einer permissiven Propaganda begleitet werden sollte. Im Gegenteil: Es sollten alle Anstrengungen unternommen werden, die Nutzung aller Drogen unattraktiv zu machen. Das ließe sich zum Teil über den Preis, aber auch über ein grundsätzliches Werbungsverbot bewerkstelligen.Zuweilen wird mit der Behauptung gegen die Entillegalisierung argumentiert, der Gebrauch von sogenannten leichten Drogen erleichtere den Einstieg in den Konsum sogenannter harter Drogen. Nun ist das mit der Statistik so eine Sache; sie ist grundsätzlich nicht geeignet, Kausalitäten zu beweisen. Mit der gleichen Berechtigung könnte man aus der Statistik ableiten, der frühkindliche Kakaogenuß führe mit einer signifikanten Wahrscheinlichkeit in späteren Jahren zur Abhängigkeit von Heroin.Auch die Vermutung, daß die Entillegalisierung des Erwerbs und des Konsums von Drogen zum eigenen Gebrauch zu einem Anstieg des Verbrauchs, zu einem Anstieg der Zahl der Süchtigen, zu einem Anstieg der Zahl der Toten führen wird, hat sich nicht beweisen lassen. Erfahrungen in Ländern mit liberaler Regelung zeigen, daß der Konsum unter solchen Bedingungen nicht zu-, sondern eher abnimmt. Ein wesentlicher Grund hierfür ist, daß der Reiz des Verbotenen wegfällt.Ich meine, die Bundesrepublik steuert mit der Fortsetzung ihrer heutigen Politik auf Zustände hin, wie sie in den USA bereits existieren. Ich meine auch, die Bundesrepublik hätte die Chance und die Möglichkeit, zu einer deutlichen Entspannung und zu einer wesentlichen Verbesserung der Situation zu kommen, wie sie etwa in den Niederlanden existiert.
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6692 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1992
Christina SchenkDie Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN wird in Kürze einen entsprechenden Antrag in den Bundestag einbringen. Ich hoffe, daß die Vernunft doch noch zu ihrem Recht kommt und eine problemadäquate Diskussion zu diesem tatsächlich sehr vielschichtigen Thema ohne Rückgriff auf Stil und Vokabular der Denunziation und der Demagogie möglich sein wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Erwin Marschewski.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich ist es eine Weisheit, nicht auf alles zu antworten. Ich will mich danach richten. Das bezieht sich auf den letzten Beitrag.
Darüber hinaus möchte ich sagen: Die Zahlen, die Bundesminister Seiters nannte, sind bedrückend. Wir müssen handeln. Diese Regierung handelt auch. Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wir sagen ja zur Drogenberatung, wir sagen ja zur Drogenhilfe. Wir sagen ja zu einer Therapie. Wir sagen auch ja zu einer neuen — meinetwegen auch alten — Sinngebung des Lebens. Ich glaube, meine christlich-demokratische Partei hat eine solche Sinngebung des Lebens anzubieten.
— Herr Kollege Singer, wir vertagen gar nichts. Sie können sich darauf verlassen, daß das Gesetz über organisierte Kriminalität
beschlossen wird. In ihm sind gute Dinge enthalten, beispielsweise die Vermögensstrafe, der erweiterte Verfall, die Vorschrift über das Waschen von Gewinnen. Diese Dinge wollen wir regeln. Minister Seiters hat darauf hingewiesen, daß wir ein Gewinnaufspürungsgesetz einbringen werden — ein komischer Name! Aber dieses Gesetz verpflichtet die Banken, zu sagen, wer Bargeld einzahlt, um zu verhindern, daß Bargeld, das aus Rauschgiftdelikten stammt, letzten Endes gewaschen wird. Das ist das Problem, meine Damen und Herren.
Meine Kolleginnen der SPD-Fraktion, als ich Ihren Ausführungen zugehört habe, habe ich mir gedacht: So redet eigentlich eine Schuldbewußte zur eigenen Verteidigung — ja, zur eigenen Verteidigung —;
denn wer wie Leute von Ihnen die Aufhebung derStrafbarkeit des Rauschgiftkonsums fordert, leistetdoch im Ergebnis einen Beitrag zur organisierten Kriminalität.
— Natürlich! Herr Singer, Herr Professor Meyer, Sie kennen doch die Fakten. Sie wissen doch genau, wie es um die Problematik bestellt ist.
Meine Damen und Herren, ich will ein wenig auf die rechtlichen Aspekte eingehen. Sie haben ausgeführt, daß die Gefahr besteht, daß die jungen Leute bestraft werden. Sie wissen doch, wir haben schon jetzt die Möglichkeit, sowohl von einer Anklage als auch von einer Bestrafung abzusehen. Ich weiß, daß die Richter dies zum großen Teil tun. Ich denke, diese Gesetze müssen da sein, um den Weg von den Rauschgiftbossen zu den kleinen Verzehrern hin zu unterbrechen. Sie wissen doch, wie das in der Praxis geht, meine Kolleginnen der SPD: Da ist der Anbieter mit einer kleinen Menge Eigenverbrauch. Da ist derjenige, der das Zeug nehmen will. Da ist der nächste, der das Geld kassiert. Da ist der nächste, der ihn zu einem Rauschgiftplatz bringt. Da ist wieder der nächste, der die Mittel liefert. Und da ist vielleicht der sechste, der kassiert. Das ist die Problematik. Wir haben nicht mehr die Möglichkeit, den kleinen Eigenbesitzer zu bestrafen, wenn wir jegliche Strafbarkeit abschaffen.
Meine Damen und Herren — und ich meine das sehr ernst —, das Erheben der Forderung nach Aufhebung der Strafbarkeit des Konsums dient insbesondere der Verharmlosung. Ich darf dies noch einmal sagen. Eine solche Forderung würde als Signal empfunden, daß der Staat den Kampf gegen das organisierte Verbrechen aufgegeben hat und seine Schutzpflichten gegenüber den Bürgern nicht mehr erfüllt.
Nein, meine Damen und Herren, der Staat darf nicht zur Maxime erheben, daß die Bürger, insbesondere die jungen Menschen, die Freiheit haben, ihr Leben mit Drogen zu ruinieren. Das wollen wir nicht.
— Sie können ja in der eigenen Partei aufräumen, meine Damen und Herren. — Ein solches Denken widerspricht zutiefst der Wertordnung und den Grundprinzipien unseres Grundgesetzes.Meine Damen und Herren der SPD, zum Schluß: Falls Sie noch die Kraft haben, das Führungsdurcheinander Ihrer Partei in den Griff zu bekommen
— leugnen Sie nicht, Sie wissen doch, was Sache ist —: Lösen Sie sich von den schändlichen, rechtswidrigen und absurden Ideen, die von Ihrer Partei vertreten werden! Die CDU ist Ihr Gegner, in diesem Punkt Ihr totaler politischer Gegner. Dies gilt auch für die Bürgerschaft; denn in diesen Fragen — Sie kennen doch die Praxis — distanziert sich die Bürgerschaft
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1992 6693
Erwin Marschewskiimmer mehr von Ihnen, und dies zu Recht, meine Damen und Herren.
Meine Damen und Herren, dies ist ein Thema, das nicht emotionsfrei debattiert werden kann. Ich habe den besonderen Ehrgeiz entwickelt, auf diesem Stuhl möglichst keine Ordnungsrufe zu erteilen. Bisher ist mir das gelungen. Herr Kollege Marschewski, vielleicht sollten Sie von sich aus überlegen, wie Sie die Unterstellung gegenüber der Kollegin Schaich-Walch, wer soundso argumentiere, leiste einen Beitrag zur organisierten Kriminalität, aus der Welt schaffen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn das wirklich zu diesen Irrtümern geführt hat, nehme ich das zurück und bitte um Entschuldigung.
Vielen Dank. Ich finde, so etwas wird am besten sofort ausgeräumt, wenn es zwischen den Betroffenen geklärt ist.
Jetzt habe ich noch etwas Angenehmes zu sagen: Die Kollegin Antje-Marie Steen, der ich als nächster das Wort erteile, hat heute Geburtstag. Ich gratuliere Ihnen im Namen des Hauses.
Das ist ja nicht so schwer bei diesem schwach besetzten Haus, Herr Dr. Olderog.
Herr Marschewski, ich möchte auf eine Ihrer Äußerungen gleich am Anfang eingehen. Bereits heute ist der Gebrauch von Drogen nicht strafbar, sondern nur der Besitz. Nur zu Ihrer Aufklärung.
— Nein, das haben Sie nicht gesagt.Das, was Sie hier zur Zeit machen — ich habe lange überlegt, ob ich dieses Wort gebrauchen kann —, ist wirklich ein Menetekel, von einer im großen Maße durch Drogen gefährdeten Bevölkerung, von Jugendlichen, die nur noch von Drogen leben — so kann man beinahe sagen —, das Sie hier an die Wand malen. Allerdings muß man dann einmal fragen, welche Hilfen Sie denn zur Abwendung dieser Gefahr anbieten, wie groß Ihr Engagement für Hilfe vor Strafe ist. Da, meine Damen und Herren der CDU/CSU-Fraktion, gibt es auf Ihrer Seite doch erhebliche Defizite festzustellen.
Ich frage Sie: ist die Bundesregierung bereit, den Einsatz von Substitutionsprogrammen, vor allem unter dem Aspekt des desolaten Gesundheitszustandes der Opfer, zu erleichtern?
Mit der NUB-Richtlinie ist leider nur ein kleiner Anfang gemacht worden, der es einem sehr begrenzten Teilnehmerkreis ermöglicht, an einer Substitution mit Methadon teilzunehmen.
Nur wenigen und besonders geschulten Ärzten ist die Erlaubnis erteilt, höchstens 10 Probanden zu behandeln.
— Sie werden sich an dem messen lassen müssen, was Sie hier sagen. — Die Indikationen, die eine Teilnahme an der Methadon-Vergabe erlauben, sind auf nur wenige Kranke anwendbar.
Warum aber — dann frage ich Sie das, Herr Sauer — soll ein HIV-Erkrankter erst bei fortgeschrittener, manifestierter Erkrankung die Chance erhalten, aus der Abhängigkeit auszusteigen? Das muß eher erfolgen. Das muß mehr Menschen möglich sein.
Ich bin hier in einer Aktuellen Stunde, und ich antworte auf Ihre Fragen dann, Herr Dr. Olderog, wenn ich mit meinem Konzept zu Ende bin. Vor allem muß der Zwang, schnell und dann für alle Zeiten clean zu werden, als Voraussetzung, die Sie hier immer hochziehen, für die Teilnahme an einem Programm endlich verschwinden. Wir haben zu begreifen, daß es eine drogenfreie Gesellschaft nicht gibt, daß aber für abhängige Menschen Voraussetzungen geschaffen werden müssen, die es ihnen ermöglichen, in vielen lange drogenfreien Lebensabschnitten zu leben. Das Miteinander der aufsuchenden Drogenarbeit in der Verknüpfung mit niederschwelligen Beratungsmöglichkeiten und in Behandlungsräumen ist nach wie vor nur die Ausnahme. Die soziale, gesundheitliche und berufliche Nachsorge spielt eine große Rolle bei der Frage, ob der Ausstieg aus der Verelendung gelingt. Deshalb muß sich die Bundesregierung fragen lassen, warum sie z. B. das Modellprogramm des Bundes für aufsuchende Sozialarbeit für langjährig Abhängige nicht verlängert. Durch das Auslaufen dieser niederschwelligen, von den Betroffenen sehr nachgefragten Möglichkeit sind die Kontaktaufnahme zwischen Betreuern und Drogenabhängigen — ein ganz wichtiges Moment auch für die Akzeptanz einer anderen
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6694 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1992
Antje-Marie SteenTherapie und die sich daraus entwickelnden Vertrauensverhältnisse aufgehoben worden.Gehen Sie endlich den gemeinsamen Weg mit uns in ein gesundheitspolitisches Konzept, das Prävention, umfassende Angebote ambulanter und stationärer Therapie ohne Zwang zum sofortigen Ausstieg und die Stabilisierung der Abhängigen umfaßt! Ändern Sie gemeinsam mit uns z. B. den § 29 Abs. 1 Nr. 10, damit legalisiert ein Spritzenaustausch erfolgen kann, Aufenthaltsmöglichkeiten ohne Ausforschung durch Strafverfolgungsbehörden eingerichtet und die Rechtssicherheit für die dort arbeitenden Betreuer endlich gewährleistet werden! Eine repressionsfreie Drogenpolitik fordert klare und erleichterte Möglichkeiten des Zugangs zur Substitutionsbehandlung, niederschwellige Angebote ambulanter und stationärer Therapie, psychosoziale Begleitung während und nach der Therapie, Schaffung von Wohn- und Ausbildungssituationen.Angesichts des engen Zusammenhangs zwischen Drogenkonsum und dem Risiko einer HIV-Infektion brauche ich Ihnen nicht zu erklären, wie groß dort die Dramatik ist. Allerdings muß sich die Bundesgesundheitsministerin gerade hier fragen lassen, warum sie nicht Maßnahmen ergreift, um eine Zunahme der Zahl der HIV-infizierten Drogenabhängigen zu verhindern. Hier sei auf die besonders bedrückende hohe Zahl der HIV-infizierten Abhängigen hingewiesen, die erst durch den Aufenthalt in einer Strafanstalt, bedingt durch den Mehrfachgebrauch von Spritzen unter den Strafgefangenen, ihre Infektion erhielten. Hier muß endlich eine legale Lösung für den Spritzentausch geschaffen werden.Ich meine, ich darf mich auch auf Äußerungen von Frau Professor Süssmuth zurückziehen, die gesagt hat: Es gibt keine Entwarnung beim Zusammenhang von AIDS-Prävention und Drogenabhängigkeit, und es müssen neue Wege der Finanzierung gefunden werden. Den Weg, den sie aufzeigt, finde ich hier sehr gut.
Frau Kollegin, Sie haben schon einen ordentlichen Geburtstagszuschlag erhalten. Sie sind weit über Ihre Redezeit.
Ich möchte noch einmal ganz klar sagen: Wir wollen keine Freigabe der Drogen. Wir wollen eine Entkriminalisierung der Abhängigen.
Es gilt, den Süchtigen Perspektiven zu eröffnen, damit sie lernen, verantwortungsbewußt mit ihrer Krankheit umzugehen.
Ich erteile dem Kollegen Dr. Burkhard Hirsch das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ausgangspunkt der Debatte ist die Auffassung der Lübecker Richter, daß jederMensch ein Recht auf Rausch habe. So weit können wir folgen.
Die Auffassung aber, es sei verfassungswidrig, daß Cannabis-Produkte verboten sind, der Gebrauch von Alkohol aber erlaubt, kann nicht richtig sein; denn der verfassungsrechtliche Grundsatz der Gleichbehandlung verbietet nur die willkürliche Differenzierung gleicher Tatbestände, und das hier sind keine gleichen Tatbestände.
Es macht einen Unterschied, daß in unserer Gesellschaft Alkohol nicht nur ein Rauschmittel ist, sondern seit Jahrtausenden ein Genußmittel, ein Mittel, das im gesellschaftlichen Umgang der Menschen von erheblicher Bedeutung ist, für das es soziale Regeln und Verhaltensweisen gibt, denen man im einzelnen zustimmen kann oder nicht. Tatsache ist, daß es sie gibt. All das kann man für Haschisch und Cannabis nicht sagen. Ich zweifle sehr, ob wir z. B. darauf eingerichtet wären, daß am Markt Haschisch- oder Marihuana-Zigaretten erscheinen und daß Personen, die solche Zigaretten geraucht haben, dann am Straßenverkehr teilnehmen.
Die Frage, ob diese Produkte freigegeben werden können, ist keine Verfassungsfrage. Wir sind entschieden gegen die Freigabe. Aber es ist richtig, daß wir 2,5 Millionen Alkoholabhängige und 20 000 Alkoholtote im Jahr haben. Nur ist es unerfindlich, daß diese Tatsache dazu führen soll, Cannabis-Produkte freizustellen. Es gibt unterschiedliche Bewertungen von Sachverständigen darüber, wie die Wirkungen von langjährigem oder intensivem Mißbrauch sind, welche physischen und psychischen Folgen von diesen Drogen ausgehen. Es ist auch kriminologisch durchaus nicht ausgemacht, daß es keine Einstiegsdrogen seien. Ich bin eher pessimistisch als bereit, sie von diesem Vorwurf freizusprechen.Allerdings muß man erkennen, daß die Debatte über die Freigabe nicht nur von den Lübecker Richtern geführt wird, sondern auch von Medizinern und Kriminologen, wobei ich es für verheerend halte, daß der Baden-Württembergische Innenminister nichts Besseres weiß, als dem Stuttgarter Polizeipräsidenten den Mund zu verbieten, der völlig berechtigt eine kritische Überprüfung der Drogenpolitik verlangt. Wer immer noch die Vorstellung hat, man könne allein mit polizeilichen oder strafrechtlichen Mitteln eine Art Krieg gegen Drogen führen, der wird kläglich versagen.
Er wird die Rechtsordnung zerstören, aber nicht das Rauschgift.Die F.D.P. ist für angemessene polizeiliche und strafrechtliche Mittel, um den Drogenmißbrauch und die Hintermänner zu treffen, die aus Gewinnsucht Menschen in Abhängigkeit bringen wollen.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1992 6695
Dr. Burkhard HirschAber den Kern jeder erfolgreichen Drogenpolitik müssen andere Maßnahmen bilden. Wir sehen mit großer Sorge, daß die eigentlich notwendigen Maßnahmen wie intensive Aufklärungskampagnen für Erwachsene und Jugendliche, Stärkung des allgemeinen Gesundheitsbewußtseins, Bereitstellung eines ausreichenden Angebots an Therapieplätzen für Entzugswillige, konsequentes Herauslösen Therapiewilliger aus der Beschaffungskriminalität, medizinische Forschungsprogramme für wirksame Entzugstherapien, wirtschaftliche Maßnahmen in den Anbauländern unterbleiben, weil sie teuer sind
und weil sie sich politisch nicht so schön und eindrucksvoll vermarkten lassen wie ein markiger Krieg gegen Drogen.
Man muß offen und deutlich sagen, daß die bisherige Verwirklichung des sogenannten nationalen Antidrogenprogramms durch die Bundesregierung zu wünschen übrig läßt. Wir wären sehr dankbar, wenn die gegenwärtige Aktuelle Stunde einen Beitrag dazu liefern würde, das Bewußtsein im ganzen Hause und bei allen Mitgliedern der Bundesregierung zu wecken, daß wir uns in dieser Frage in den sogenannten Begleitmaßnahmen, die den eigentlichen Kern einer wirksamen Drogenpolitik darstellen, keine Vernachlässigungen erlauben dürfen.
Frau Kollegin Barbara Höll, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die wichtigste Meldung der letzten Wochen aus der Fülle alter und ältester wiedergekäuter Argumente beim Für und Wider einer Freigabe von Haschisch und Marihuana stammt aus Frankfurt. Der Frankfurter Arbeitskreis Strafrecht fordert dort die Aufhebung des Betäubungsmittelgesetzes. Das geltende Recht ist — ich zitiere — „nicht hilfreich, sondern kontraproduktiv" .Ausgelöst wurde die jüngste Debatte durch die Entscheidung eines Lübecker Richters, beim Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen, ob die strafrechtliche Verfolgung von Haschisch- und Marihuanakonsumentinnen und -konsumenten verfassungswidrig sei. Damit ist nur ein Randproblem der Drogenpolitik angesprochen. Betroffen davon sind immerhin Zehntausende von Strafverfahren. Und: Die Entscheidung des Gerichts hat immerhin als Provokation gewirkt. Daß dabei allerdings eine Wende in der Drogenpolitik herbeigeführt werden wird, darf ange- sichts der Reaktionen aus den Regierungsparteien bezweifelt werden. Aufgewärmt werden Uraltlegenden von Hasch als Einstiegsdroge, Verführung der Jugend zum Drogenkonsum durch diese Debatte und dem Absinken der Probierschwelle. Dagegen ist endlich eine neue Drogenpolitik zu fordern, die nicht von Enthaltsamkeit und einer drogenfreien Gesellschaftausgeht, sondern die Konsumentinnen und Konsumenten und die Sucht entkriminalisiert.Was die bisherige Drogenpolitik in den letzten 20 Jahren angerichtet hat, ist nachprüfbar. Da hilft auch nicht, auf immer neue Mafiosi zu verweisen. Die Polizeikapazitäten auf diesem Gebiet wurden in den letzten 20 Jahren verdreißigfacht, im BKA, das sich mit Terrorismus und Rauschgift zu einer Sonderbehörde aufbaute, versiebzigfacht.
Zum Vergleich: Das Therapieangebot hat sich seit 1970, d. h. in demselben Zeitraum, nicht einmal verdoppelt.Provokativ gewirkt hat die Entscheidung aus Lübeck auch deshalb, weil dadurch erneut darauf hingewiesen wurde, daß die eigentliche Einstiegsdroge Alkohol ist und daß im Gegensatz zum Naschkonsum die gesundheitlichen Folgen des Alkoholmißbrauchs unübersehbar und nachweisbar sind.„Überfällig" nennt denn auch die Neue Richtervereinigung die Entscheidung aus Lübeck und erklärt weiter, daß sich die Strafjustiz nicht weiter für eine „gescheiterte Drogenpolitik mißbrauchen lassen wolle".Neue Gesetzesentwürfe, wie z. B. der zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, zeigen allerdings, daß der bisherige Weg allen Drogenexperten und dem wachsenden Elend zum Trotz hochgerüstet fortgesetzt werden soll. So wurde bei der Sachverständigenanhörung sehr plastisch gezeigt, daß die Drogenabhängigen geradezu vergessen worden sind. Der absehbare Erfolg wird sein, daß Abhängige und Kleindealer weiter mit dem ganzen Arsenal neuer polizeilicher Mittel kriminalisiert werden. Zu dem ganz großen Hit der neuen Gesetzgebung, den Vermögenstrafen, dem Entwurf eines Gesetzes zur Geld-aufspürung und gegen die Geldwäsche, meinte der Sachverständige Körner aus Frankfurt — Zitat —:Die Rücksicht gegen Banken und Industrie ist augenfällig. Die kleinen Dealer und Abhängigen werden drakonisch angegangen.Meine Damen und Herren, selbstverständlich sollten Haschisch und Marihuana endlich freigegeben werden und der Konsum harter Drogen entkriminalisiert werden. Das heißt, daß man in bestimmten Bereichen um legale Angebote nicht herumkommen wird.Professor Hurrelmann von der Uni Bielefeld wies im Dezember 1991 während der Drogentagung in Wiesbaden zu Recht darauf hin, daß die Verbreitungs- und Eingewöhnungsgeschichte fast aller Drogen nach dem gleichen Muster ablief:Für alle Drogen, auch für Kaffee, für Tabak und für Alkohol, gab es den Versuch des Totalverbotes, der sich über kurz oder lang als untauglich erwiesen hat. Wollen wir unbedingt in die nächste Runde dieses aussichtslosen Kampfes einsteigen?
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6696 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1992
Dr. Barbara HöllIch danke Ihnen.
Das Wort hat die Bundesministerin für Gesundheit, Gerda Hasselfeldt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Freigabe des Drogenkonsums ist keine Antwort auf den Drogentod. Sie ist eine gesellschaftliche Bankrotterklärung.
Sie ist zynisch gegenüber den Opfern, sie täuscht die Drogensüchtigen, und sie versetzt Eltern in Angst und Schrecken — wie sehr, das werden mindestens diejenigen von uns verspüren und verstehen, die selber Kinder haben.Wer den Drogenkonsum freigeben will, der hat den Kampf gegen die Drogen verloren, und der muß sich den Vorwurf gefallen lassen, diesen Kampf nicht einmal ernsthaft begonnen zu haben.
— Der Besitz! — Angesichts des Elends der Drogensüchtigen, der Sorgen und der Qualen ihrer Familien — dies alles muß im Vordergrund unserer Überlegungen stehen —
ist diese Forderung nach Freigabe der Drogen über alle Maßen verantwortungslos. Solange es unbestritten ist — und es ist unbestritten —, daß auch sogenannte weiche Drogen Einstiegsdrogen sind,
kann es, darf es keine Freigabe geben.Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes bereits 1969 überprüft, und es hat sie für rechtens erklärt. Bis heute gibt es keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die eine Entwarnung oder gar Aufhebung der Strafvorschriften für Cannabis-Produkte rechtfertigen.
Im Gegenteil: Es liegen Untersuchungen vor, die für den Cannabis-Konsum gefährliche Langzeitwirkungen festgestellt haben.
Sie gehen davon aus, daß jeder neue Rausch die bereits im Körper gespeicherten Wirkstoffe verstärkt und noch lange nach dem Konsum auftreten kann. Daß Haschisch tatsächlich alles andere als harmlos ist,beweist eine Untersuchung des Bayerischen Landeskriminalamtes.
Danach haben 60 % der Rauschgifttoten in Bayern mit Cannabis angefangen.
Solange auch weiche Drogen gesundheitliche Schäden verursachen, solange sie das Erwerbsleben und die gesellschaftlichen Umgangsformen einschränken, solange sie im Zeitablauf nicht nur den Drogenausstieg erschweren, sondern schließlich auch zum Umstieg auf harte Drogen und die damit verbundenen Gefahren führen, solange Drogen, welcher Art auch immer, diesen Weg vorzeichnen, so lange müssen sie ausnahmslos verboten und muß auch ihr Besitz bestraft werden.
Das ist kein willkürlicher Kriminalisierungsakt, sondern es ist ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Drogenbekämpfungsstrategie. Dabei geht es nicht darum, Eigenverbraucher, schon gar nicht Kinder und Jugendliche, grundsätzlich und immer zu bestrafen. Dies wird schon in dem Grundsatz, in dem Prinzip „Therapie vor Strafe" deutlich, das für jeden Einzelfall gilt.Aber es muß gerade auch jungen Menschen grundsätzlich klar sein, daß der Drogenkonsum keine Bagatelle ist. Die Strafvorschriften sind notwendig, um unsere Kinder, um die Jugendlichen, um letztlich alle Bürger vor den Gefahren der Drogensucht und vor allem vor dem aggressiven Vorgehen der Drogenmafia zu schützen. Diesen Auftrag darf der Gesetzgeber nicht preisgeben. Ich bin mir sicher, daß die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung unserer Meinung ist, daß der einzelne und die Gesellschaft nur so vor dem Drogenterror geschützt werden können.Die Drogenfreigabe ist keine Antwort auf den Drogentod, sondern eine gefährliche Verharmlosung der Drogensucht. Dies wurde in mehreren Debattenbeiträgen aus den Koalitionsfraktionen deutlich. Sie provoziert ohne Not die Zunahme der Erst- und Gelegenheitskonsumenten und damit die Zunahme der schließlich ausweglosen Drogensucht. Ich bin nicht bereit, mich an diesem letztlich staatlich sanktionierten Selbstmord auf Raten durch eine derartige Freigabe zu beteiligen.
Im übrigen ist die Forderung nach einem sogenannten freien, grenzenlosen Recht auf Rausch auch ein gesundheitspolitischer Aberwitz. Sie unterläuft unsere Aufklärungsarbeit über die Gefahren der illegalen und der legalen Drogen.
Wenn wir alle miteinander im gleichen Tenor vonPrävention und von der Notwendigkeit der Aufklärung reden, dann darf sich dieses Gerede nicht darin
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Bundesministerin Gerda Hasselfeldterschöpfen, daß wir ständig nur mehr Geld fordern. Vielmehr sollten wir auch in die Inhalte dieser Präventions- und Aufklärungsarbeit gehen.
Wir wissen um die schweren gesundheitlichen Folgen des Tabakkonsums und des Alkoholmißbrauchs. Die meisten von Ihnen und die meisten von uns unterstützen auch die Aufklärungsarbeit darüber. Ich frage mich aber: Welche Vision treibt diejenigen, die in dieser Situation das gesundheitsschädigende Rauschpotential auch noch vergrößern wollen? Diese Antwort, meine Damen und Herren von der Opposition, bleiben Sie uns schuldig.
Wer Kinder und Jugendliche vor den Drogengefahren schützen will, wer den Drogensüchtigen helfen will, wer die Beschaffungskriminalität abbauen will, der muß andere Wege als den der Freigabe und damit der Verharmlosung von Drogen gehen. Die geeigneten Wege sind im Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplan vorgezeichnet. Es sind dies Aufklärung und Vorbeugung; es sind dies Hilfe und medizinische Behandlung für die Betroffenen, und es ist dies Forschung und Bekämpfung von Anbau, Produktion und Handel mit allen verfügbaren Mitteln. Hier ist nicht nur der Bund mit seinen Aufklärungsmaßnahmen gefordert, die in den letzten Jahren permanent Jahr für Jahr gestiegen sind; hier ist nicht nur der Bund mit Modellprojekten gefordert, sondern hier, meine Damen und Herren, sind wir alle gefordert, sind Bund, Länder und Kommunen gefordert, sind alle Beteiligten in unserer Gesellschaft gefordert.
Die wichtigste Aufgabe ist es, alles zu tun, damit unsere junge Generation für ein Leben ohne Suchtstoffe gewonnen werden kann. Dies ist nur möglich, wenn der Drogenkonsum geächtet wird, und dies ist nur möglich, wenn nicht nur immer gesagt wird „Tun Sie doch etwas", sondern wenn wir gemeinsam an die Arbeit gehen und gemeinsam, jeder in seiner Verantwortung, unsere Hausaufgaben machen.
Der Bund tut dies im Bereich Aufklärung und Modellmaßnahmen und im Bereich Forschung intensiver als alle Jahre vorher. Wir werden in diesem Bemühen auch nicht nachlassen.Gleichzeitig brauchen die Drogenabhängigen aber auch Hilfe; sie brauchen medizinische Behandlung; sie brauchen Rehabilitation. Sie können heute erfolgreich behandelt werden; sie können rehabilitiert werden. Aber, meine Damen und Herren, für diese Aufgabe brauchen wir Therapieplätze. Dabei hilft es auch nichts, wenn man den Königsweg in der Methadonbehandlung sieht; denn dies ist kein Ausstieg aus der Drogensucht, sondern lediglich ein Umstieg undmacht die Probleme auf breiter Front nur noch größer.
Wir brauchen Therapieplätze. Deshalb würde ich Sie ganz herzlich bitten, überall dort, wo Sie Einfluß auf die dafür zuständigen Länderregierungen haben, auch dafür zu sorgen, daß dort die Hausaufgaben gemacht werden.
Meine Damen und Herren, die Aufklärung, die Vorbeugung, die Hilfe für die Betroffenen und die Bekämpfung des Drogenhandels sind unsere Antwort auf den Drogentod. Wir kämpfen nicht für ein Recht auf Rausch, sondern wir kämpfen für ein Recht auf Gesundheit, für ein Leben ohne Drogen.
Herr Abgeordneter Dr. Rolf Olderog, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Deutschland gibt es — Sie haben es gehört — über 100 000 Drogenabhängige. In meiner schleswig-holsteinischen Heimat sind es rund 2 000. 1991 starben 2 126 Menschen den Drogentod. Im kleinen Land SchleswigHolstein gab es 43 Drogentote.Jetzt einige Zitate aus der Entscheidung des Lübekker Landgerichts zur Straffreiheit von Haschisch laut Pressemeldung:Das Recht auf Rausch ist durch das Grundgesetz geschützt. Jeder ist selbst dafür verantwortlich, welche Rauschmittel er zu sich nimmt.Weiter heißt es:Der Rausch gehört, wie Essen, Trinken und Sex, zu den fundamentalen Bedürfnissen des Menschen. Er ist ein Mittel, gesellschaftlichen Zwängen zu entrinnen.Welch eine skandalöse Verharmlosung, meine Damen und Herren!Ich habe noch nie als Abgeordneter die Entscheidung eines Gerichts öffentlich kritisiert. Aber die Sprache des Lübecker Richters ist angesichts des auch mit dem Hasch verbundenen Drogenelends unverantwortlich.
Ich gehe in meiner Kritik noch einen Schritt weiter. Die Art und Weise, wie der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft schleswig-holsteinischer SPD-Juristen, Wolfgang Neskovic, zugleich Richter am Lübecker Landgericht, Politik und Recht miteinander vermengt, ist ebenfalls nicht akzeptabel.
Der sozialdemokratische Politiker setzt sich wie keinanderer in Schleswig-Holstein in scharfer und oft
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Dr. Rolf Olderogspektakulärer Form immer wieder für die Straffreiheit des Haschisch-Erwerbs und -Besitzes für den Eigenkonsum ein. Derselbe Neskovic zelebriert jetzt in Lübeck als Vorsitzender der Kammer mit zwei Laienrichtern einen Vorlagebeschluß nach Art. 100 des Grundgesetzes beim Bundesverfassungsgericht, weil die Strafvorschrift gegen Erwerb und Besitz von Haschisch verfassungswidrig sein soll. Ich sage bewußt: Er zelebriert diese Entscheidung vor der Öffentlichkeit, nicht in der einem Gericht zukommenden nüchternen Form, sondern in Form einer flammenden und an einseitiger Betrachtungsweise kaum zu überbietenden Streitschrift wirbt er für das Recht auf Rausch, für den angeblich absolut risikolosen und zugleich besonders beglückenden Genuß von Haschisch.Wie sollen unbefangene Bürger glauben, daß sie es hier noch mit einer von der Parteipolitik unabhängigen Justiz zu tun haben? Wer so ein exponiertes sozialdemokratisches Parteiamt und sein Richteramt miteinander vermengt, der muß sich den Vorwurf des Mißbrauchs seines richterlichen Amtes für politische Zwecke gefallen lassen.
1969 — das ist gesagt worden — hat das Bundesverfassungsgericht dazu bereits eine Entscheidung getroffen. Das sagt etwas über die juristische Qualität der Lübecker Entscheidung aus.Meine Damen und Herren, die geltenden Vorschriften — darauf ist hingewiesen worden — bieten durchaus die Möglichkeit, dem Einzelfall gerecht zu werden. Es geht uns doch im Kern überhaupt nicht darum, den Haschkonsum bedauernswerter kranker Menschen zu bestrafen. Es geht um den Zugriff auf Dealer, ihrer Helfershelfer und ihrer Hintermänner. Mit der Straffreigabe des Haschischerwerbs und -besitzes würde man weitgehend auch die organisierte Kriminalität schützen.Wie läuft dieser Handel in der Praxis ab? Ich schildere es Ihnen, so wie uns Fachleute das Zusammenspiel der verschiedenen Täter beschreiben. Einer knüpft die Verhandlungen an, ein anderer ist im Besitz einer kleinen Vorzeigemenge von Betäubungsmitteln, ein dritter kassiert, ein vierter führt zum Übergabeplatz, ein fünfter holt die Betäubungsmittel aus dem Depot, die er an den vierten übergibt, der sie wiederum an den Konsumenten übergibt. Der Boß bleibt bei all dem im Hintergrund. Wird das Bandenmitglied mit der Vorzeigemenge erwischt — dem Schlepper und dem Kassierer wird nichts nachzuweisen sein —, so wird er sich auf den Besitz von Eigenkonsum berufen, was schwer zu widerlegen ist, insbesondere wenn er selbst ebenfalls drogenabhängig ist.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen weiter nach neuen Wegen und Methoden suchen, um den Drogenmißbrauch zu bekämpfen und Menschenleben zu retten, aber eine Straffreigabe von Haschischbesitz und -erwerb gehört nicht dazu. Zu waghalsigen und nicht zu verantwortenden Experimenten sagen wir ein klares Nein.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Jürgen Meyer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer über Drogenpolitik redet, sollte sich bewußt sein, daß er über das Elend und die Not Tausender Drogenabhängiger und ihrer Familien redet, und er sollte sich nicht darin versuchen, die parteipolitische Keule zu schwingen.
Ich will deshalb in aller Zurückhaltung drei Bemerkungen zu unserem Thema machen:Erste Bemerkung: Unsere Diskussion und auch das Urteil, über das mein Vorredner gesprochen hat, sind eine Folge des Scheiterns der Drogenpolitik in unserem Land.
Wir stellen fest, daß es eine wachsende Zahl von Drogentoten gibt. Wir stellen fest, daß immer mehr — vor allem junge — Menschen drogenabhängig werden. In dieser Situation kann es kein Denk- und kein Redeverbot — weder für einen Polizeipräsidenten in Stuttgart noch für einen Vorsitzenden Richter in Schleswig-Holstein — geben.
Wir stellen weiter fest — ich denke, zu dieser Erkenntnis sind auch Sie gekommen , daß es schlicht ungerecht ist, auf der einen Seite Drogenabhängige polizeilich zu verfolgen, während auf der anderen Seite seit Jahren nichts unternommen wird, um zu verhindern, daß Menschen in unserem Land, die Millionenbeträge in ihren Kreditbetrieben waschen helfen, straflos davonkommen. Das ist zutiefst ungerecht; das wollen wir ändern.
Deshalb bedauern wir, verehrter Kollege Marschewski, daß Sie unseren Gesetzentwurf, den wir schon in der letzten Legislaturperiode eingebracht haben, immer wieder auf die lange Bank geschoben haben, und das tun Sie auch heute noch. Wir wollen, daß die Geldwäsche strafbar wird. Wir wollen dieses Vorhaben vorziehen. Sie haben das heute wieder im Rechtsausschuß abgelehnt.Die Schieflage, die dadurch entstanden ist, unterscheidet sich von der Rechtslage in fast allen anderen westeuropäischen Ländern. Es gab bisher eine Gemeinsamkeit darin, daß man die Kleinen, die Konsumenten und die Konsumenten-Dealer, flexibel behandelt, daß man sie nicht mit der ganzen Schärfe des Strafrechts verfolgt, und daß man bei den Großen hart zupackt. Das ist bei uns im Unterschied zu unseren Nachbarländern leider nicht der Fall. Wir wollen das ändern. Helfen Sie uns dabei.
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Dr. Jürgen Meyer
Meine zweite Bemerkung. Ich will ganz klar feststellen: Die Streichung von Straftatbeständen halten wir für ein falsches Signal.
Wir sind der Auffassung, daß es um die Ächtung des Mißbrauchs von Drogen besonders durch Jugendliche gehen sollte.
Wir stellen doch wohl gemeinsam fest, daß es etwa 40 000 Alkoholtote gibt und mehr als 2 000 Drogentote. Man muß also beides sehen. Wenn man über die Ächtung von Drogen und ihren Mißbrauch redet, muß man auch über Alkohol und Nikotin reden.
Es geht also nicht darum, die Schleusen zu öffnen und, wenn man in einem Bereich sehr liberal ist, das auch im anderen Bereich zu sein. Wir müssen vielmehr darüber nachdenken, ob das geltende Recht in Sachen Jugendschutz wirklich angewandt wird, ob die Werbung für Alkohol und Nikotin so bleiben darf wie jetzt. Darüber sollten wir uns verständigen.
Die letzte Bemerkung. Ich habe den Eindruck, Sie von der Regierungsbank kennen unsere Gesetzentwürfe nicht. Aber es mag ja sein, wenn man keine eigenen macht, liest man auch die der Gegenseite nicht. Unsere Konzeption ist die — übrigens teilweise in Übereinstimmung mit der des Bundesrates —, daß wir flexibel reagieren wollen, daß wir die Polizei nicht unter den Zwang des Legalitätsprinzips setzen wollen, wenn es um den Besitz kleinerer Mengen von Drogen geht. Wir wollen das Opportunitätsprinzip in Übereinstimmung mit der Mehrheit des Bundesrates erweitern. Ich bin der Auffassung, schon nach geltendem Recht hätte der Lübecker Fall nicht so laufen müssen, wie es vorhin berichtet wurde. Wenn Gericht und Staatsanwaltschaft vernünftig gewesen wären, hätte es wegen der Übergabe einer kleinen Menge Haschisch durch die Ehefrau an den in U-Haft sitzenden Ehemann eine Einstellung des Verfahrens geben können. Das Verfahren mußte wohl nicht so laufen.
Aber andererseits sagen wir: Einen Dealer, der ein Kilogramm Haschisch in 50 kleine Portionen aufteilt und dann vor Schulen oder in Jugendcafés anbietet und den Jugendlichen andient, wollen wir bestrafen können. Darum sind wir gegen die Streichung der betreffenden Strafvorschrift.
Lassen Sie uns gemeinsam Ernst machen mit der Politik „Hilfe statt Strafe"! Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, daß es mehr Therapieplätze gibt! Wir haben heute fast nur über Strafrecht gesprochen. Ich1 denke — auch darin können wir wohl übereinstimmen —, wenn wir Hilfe statt Strafe verlangen, ist das Thema Strafrecht, das wir heute zum Gegenstand der Debatte gemacht haben, ein Randthema.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Georg Brunnhuber.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn es derzeit einen Wettbewerb für politische Parteien über beidbeiniges Fettnäpfchenspringen gäbe, würde die SPD als großer Sieger dastehen.Wer geglaubt hat, daß nach dem totalen Durcheinander in der SPD zum Steueränderungsgesetz und der riesigen Schlappe, die sich die SPD durch diese wirre Haltung selbst einhandelte, jetzt Ruhe einkehre, der hat sich kräftig getäuscht. Denn kaum ist diese Schlappe etwas abgeklungen, zieht die SPD zielsicher in ein neues Fettnäpfchen zum Thema „Straffreiheit für Rauschgiftkonsum und -besitz"
und steht damit wieder in einer Zerreißprobe.
In Baden-Württemberg können wir uns darüber freuen, denn Sie schaffen mit Ihrer Forderung nach Drogenfreigabe,
daß die baden-württembergische SPD am 5. April mit Sicherheit unter 30 % rutschen wird,
zumal die baden-württembergische SPD, weil sie im Wahlkampf merkt, woher der Wind weht, sich der Position der CDU anschließt und damit wiederum beweist, daß in der SPD niemand mehr weiß, was eigentlich Sache ist.
Denn auch bei diesem Thema geht es Ihnen wie beim Asyl: Sie diskutieren und politisieren an der eigenen Basis und letztendlich auch an der Bevölkerung völlig vorbei.
Gehen Sie doch heute einmal hinaus und reden Sie mit Eltern und Lehrern, welche Wirkung allein schon Ihre jetzige Diskussion in den Gymnasien und in den Schulen ausgelöst hat! Wir alle sind aufgerufen, Rauschgift und Drogen zu ächten. Schon durch die
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Georg BrunnhuberFreigabediskussion schwächen Sie jedoch diese Abwehrhaltung. Was soll der Einsatz der FußballNationalmannschaft für „Keine Macht den Drogen" denn noch bewirken,
wenn führende SPD-Politiker landauf, landab den Eindruck erwecken, daß das Rauchen einer Haschzigarette doch nicht so schlimm ist und daß es viel vernünftiger ist, so etwas offiziell zu erlauben.Wenn dann auch noch ein Gericht, Herr Kollege Olderog,
unter der Überschrift „Recht auf Rausch" eine Freigabe von Drogenkonsum als geboten ansieht; dann fragen sich Millionen von Staatsbürgern, ob ein solches Gericht nicht in dem vorhin genannten Zustand verharrte, als es urteilte.
Alles in allem sieht man, daß diese Gespensterdiskussion über die Legalisierung von Drogen nur Schaden anrichtet und einen tödlichen Irrweg aufzeigt.Der Vizepräsident des Bundeskriminalamts Gerhard Köhler hat unlängst klargestellt, daß die Legalisierung von Drogen selbstverständlich zwangsläufig zu steigendem Konsum führen würde, was nach allen Erfahrungen des Bundeskriminalamtes zwangsläufig auch zu höherer und stärkerer Kriminalität führt.
Wer vom Gegenteil ausgehe, so Vizepräsident Köhler, ignoriere die Fakten und irre gründlich. So hat auch der Herr Haas in Stuttgart gründlich geirrt.Damit ist klar, daß eine wirksame Bekämpfung des Drogenhandels und der Drogenkriminalität nur mit einer deutlichen Verschärfung der Gesetze und einer Verbesserung der Handlungsmöglichkeiten von Polizei und Justiz möglich ist.Wir müssen deshalb so rasch wie möglich den Gesetzentwurf zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität im Deutschen Bundestag verabschieden.
Herr Hirsch, auch wir von der CDU/CSU sind für Therapie; aber wir wären sehr dankbar, wenn Sie von der F.D.P. uns auch hier im Hinblick auf eine Gesetzgebung zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität einen Schritt entgegenkämen.
Nur durch wirksame Vermögensstrafen und den Straftatbestand der Geldwäsche können wir das organisierte Verbrechen an seiner empfindlichsten Stelle, nämlich am Geld, angreifen.Gleichzeitig muß jedoch in der gesamten Gesellschaft weiterhin eine klare Ächtung von Drogen erfolgen, damit wir das moralische Bewußtsein junger Menschen so festigen, daß Drogen bei ihnen keine Chance haben.
Der Abgeordnete Johannes Singer hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Brunnhuber, im Bundestagshandbuch habe ich mich soeben schlaugemacht: Sie sind Ehrenelferrat der Narrenzunft Oberkochen.
Wenn man ein solches Ehrenamt hat, sollte man im Deutschen Bundestag mit einem etwas größeren Abstand zum Aschermittwoch reden; sonst geraten die Reden zu karnevalistisch.
Da die Drogenpolitik der Koalition in den vergangenen zehn Jahren angeblich so erfolgreich war, frage ich mich, warum wir uns heute über 2 126 Drogentote pro Jahr, über Tausende und Abertausende von Erstkonsumenten und über tonnenweise sichergestelltes Rauschgift — Kokain, Heroin und dergleichen — beklagen müssen, warum also die Drogenpolitik in dieser Form so versagt hat.Ich halte Ihnen sogleich das niederländische Beispiel entgegen. Dazu zitiere ich aus der „Welt" vom 25. Januar 1992, die sicher keine sozialdemokratische Zeitung ist:Die Niederlande haben es geschafft, mit ihrer Entkriminalisierungspolitik im kleinen Bereich die Zahl der Drogentoten von 1984 bis 1989 allein in Amsterdam von 79 auf 34 zu senken
und die Zahl der Konsumenten stabil, nämlich stagnierend zu halten.Bei uns dagegen steigen die Zahlen in jedem Bereich dramatisch. Ich kann nur sagen: Wenn ich die Politik der beiden Länder miteinander vergleiche, stelle ich hierzulande das Versagen der offiziellen Drogenpolitik fest. Ich kann nur empfehlen, nach Holland zu fahren, wie es die von mir geleitete Arbeitsgruppe „Drogenpolitik" getan hat.
Unterhalten Sie sich unbefangen auch mit Parteifreunden Ihrer Couleur! Die werden Ihnen etwas ganz
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Johannes Singeranderes erzählen. Die Holländer sind in der Bekämpfung der internationalen Kartelle, der mafiosen Organisationen auch im eigenen Land nicht weniger unnachsichtig und erfolgreich als wir. Die einschlägigen Sicherstellungszahlen, die heute in der Zeitung stehen, beweisen das eindeutig. Alles das, was bei uns strafbar ist, ist auch in den Niederlanden strafbar. Nur verplempern Polizei und Justiz dort nicht ihre Zeit und ihre Kraft damit, jedem kleinen Fixer und Junkie nachzujagen, ihn erst richtig in die Kriminalität hineinzutreiben, ihn an der schmutzigen Nadel zu halten — mit all den Unannehmlichkeiten, Schwierigkeiten und gesundheitlichen Gefährdungen, die mit dieser Art von Politik verbunden sind.
Nun verlangen Sie hier vollmundig politische Aktionen, gesetzgeberische Aktivitäten. Ich stelle fest: Zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, insbesondere des Rauschgifthandels, gibt es Gesetzentwürfe des Bundesrates und der SPD; von der CDU/CSU gibt es da bis heute nichts. Sie haben nichts auf den Tisch gelegt. Ich habe Sie schon vor der letzten Bundestagswahl von diesem Platz hier inständig gebeten — Herr Hörster war damals Berichterstatter der CDU —, daß wir uns doch wenigstens auf die Verabschiedung der Teile der Gesetzentwürfe verständigen, die unstreitig sind, z. B. die Geldwäsche. Mit einer Strafbarkeit der Geldwäsche könnte man denen, die am Drogentod verdienen, die Millionen und Milliarden von US-Dollar einstecken, die inzwischen eine Industrie aufgebaut haben, die mehr umsetzt als die gesamte Ölindustrie der Welt, das Handwerk legen oder zumindest erheblich erschweren. Aber die Geldwäsche ist in Deutschland bis heute nicht strafbar. Wir haben die Gesetzentwürfe heute morgen im Innenausschuß wieder vertagt. Sie ist im Rechtsausschuß vertagt worden, sie ist im Gesundheitsausschuß vertagt worden. Wir sind abstimmungsbereit, meine Damen und Herren. Mit uns kann die Geldwäsche spätestens in 14 Tagen strafbar sein. Aber von Ihnen kommt da bisher nichts. Wir reden zwar seit anderthalb Jahren darüber, aber ohne Erfolg.
Das gilt auch für andere Bereiche, z. B. für die Vermögensstrafe, für den Verfall.
Die Vermögensstrafe halten wir für verfassungswidrig. Aber wir haben die Gewinnabschöpfung vorgeschlagen, ein wesentlich wirksameres Mittel, um den Großhändlern ans Fell zu gehen. Ich zähle diese Beispiele — unsere eigenen Gesetzentwürfe: Gewinnabschöpfung, Geldwäsche — auf, um deutlich zu machen, daß Sie jederzeit mit unserer Hilfe rechnen können, wenn es gegen den internationalen Drogenhandel geht, wenn man das Geschäft mit der Droge wirksam und unnachsichtig bekämpfen will.
Aber ich halte überhaupt nichts davon, sich mit den kleinen Junkies, Konsumenten usw. abzugeben. Es ist eben falsch, daß man die organisierte Kriminalität, Herr Olderog, damit begünstigt.
Holland ist das klassische Gegenbeispiel dafür. Die Holländer sind mit ihrer Drogenpolitik erfolgreicher als wir, nachweislich erfolgreicher.
Wir sollten alles tun, uns ein Beispiel daran zu nehmen.
— Das ist doch kein Beweis gegen die Wirksamkeit der niederländischen Drogenpolitik, mit der es gelungen ist, die Zahl der Drogentoten zu senken.
Ist das denn nichts? — Und bei uns nimmt alles zu, auch die Zahl der Konsumenten. In Sachen Suchtforschung und -prävention passiert hier überhaupt nichts.
Ihre Redezeit ist beendet.
Da hat Frau Hasselfeldt ihre Aufgaben noch lange nicht gemacht. Der Nationale Drogenbekämpfungsplan war bisher nur ein Lippenbekenntnis. Umgesetzt worden ist im Präventionsbereich eben nichts. Da muß erheblich mehr kommen!
Herr Kollege Singer!
Ich weiß, meine Redezeit ist leider zu Ende. Fünf Minuten sind eine kurze Zeit. Ich danke trotzdem für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Kollegin Cornelia Yzer, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts von 2 000 überwiegend jungen Menschen, die der Drogenkonsum im Jahre 1991 in den Tod getrieben hat, kann es nur als zynisch bezeichnet werden, die Freigabe des Tötungsmittels zu fordern.
Diese Forderung ist ebenso zynisch wie die Aussage, jeder habe das Recht auf Rauschgiftkonsum oder — noch verkürzter — ein Recht auf Rausch.
Und ich ergänze, Herr Kollege Singer: Ich halte es auch für zynisch, hier Leitbilder von Nachbarstaaten hochzuziehen, die keine Leitbilder sein können. Sie haben hier die Situation der Niederlande geschildert
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Cornelia Yzerund ihr Vorbildfunktion beigemessen. Davon kann nicht die Rede sein. Ich verweise hier auf einen Artikel in der „Kölnischen Rundschau" vom 3. März 1992, in dem klargestellt wird, daß die von Ihnen hochgelobten Coffee-shops in den Niederlanden, in denen Drogen zu erwerben sind, zu einem Treffpunkt der Banden- und internationalen Kriminalität geworden sind,
wo das organisierte Verbrechen Fuß faßt, wo Brutalität Raum gegriffen hat, so daß niederländische Politiker darüber nachdenken, ob sie — ebenso wie in der Bundesrepublik — nicht auch den Kleinhandel wieder ahnden sollen.
Das ist die Praxis, vor der man die Augen nicht verschließen darf.
Unser Staat hat Schutzpflichten für Leben und Gesundheit seiner Bürger. Drogenfreigabe bedeutet nicht Problembewältigung, sondern Problemverdrängung und kann daher kein Mittel sozialstaatlicher Politik sein.
Drogenabhängige brauchen unsere Hilfe. Man darf sie nicht sich selbst überlassen. Wer die Freigabe sogenannter weicher Drogen fordert, nimmt Konsumsteigerung bei harten Drogen in Kauf. Das zu verschweigen, halte ich für unzulässig.
— Herr Kollege, ich sage dazu etwas, wozu ich etwas sagen möchte, und nicht dazu, wozu Sie mich anweisen möchten.
Unser Ziel muß die weltweite Ächtung der Drogen sein, nicht deren Legalisierung. Wir müssen uns an die internationalen Konventionen der Vereinten Nationen und an das Schengener Zusatzübereinkommen, das strafrechtliche Sanktionen fordert, halten. Beides wurde schon erwähnt.
Liberalisierungstendenzen haben sich überall in der Welt als kontraproduktiv erwiesen. Wer nunmehr eine Freigabe von Cannabis-Produkten fordert, f ordert zugleich einen einzigartigen deutschen Sonderweg. Auch das, Herr Kollege Singer, sollten Sie nicht verschweigen.
— In den Niederlanden existiert keine generelle Drogenfreigabe. Das Opportunitätsprinzip gilt.
— Herr Kollege Meyer, ich glaube, ich kenne genauso viele Artikel zur Drogenproblematik wie Sie auch.
— Herr Kollege Meyer, Sie können mir das ja gerne einmal zur Verfügung stellen. Ich würde Ihnen dann Quellen zur Verfügung stellen, die meine Aussagen belegen und Sie möglicherweise überzeugen.
Weiche und harte Drogenszene lassen sich nicht trennen. Der Drogenhandel ist weltweit in der Hand des organisierten Verbrechens. Dieses einträgliche Geschäft wird die organisierte Kriminalität auch nicht aus der Hand geben wollen und nicht aus der Hand geben im Falle einer Liberalisierung. Sie wird sich vielmehr neue Abnehmergruppen suchen. Das sind Kinder und Jugendliche. Es werden sich neue illegale Handelsstrukturen bilden. Das organisierte Verbrechen würde lediglich ein verändertes Tätigkeitsfeld belegen.Es wurde schon erwähnt: Im Rauschgifthandel findet der Straßenvertrieb von Drogen bereits heute mit verteilten Rollen statt.
Deshalb würde sich künftig ein mit der Vorzeigemenge Ergriffener auf den Besitz zum Eigenkonsum berufen, was schwer zu widerlegen wäre. Wer den Kampf gegen die Drogen will, der muß den Kampf gegen die organisierte Kriminalität aufnehmen
und das unterstützen, was derzeit als Gesetzentwurf, getragen von der CDU/CSU-Fraktion, vorliegt — auch mit dem Ziel, Fahndungsmethoden zu ermöglichen, die wirksame Mittel gegen die organisierte Kriminalität sind. Wer hier den Strafverfolgungsbehörden zu hohe Hürden setzt, betreibt Täterschutz.
— Wie er von der CDU/CSU-Fraktion unterstützt wird. Machen Sie sich doch sachkundig, meine Herren!Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Damit sind wir auch am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, Donnerstag, 12. März 1992, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.