Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Aus dem Vermittlungsausschuß nach Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes scheiden die ordentlichen Mitglieder Lothar de Maizière und Dr. Conrad Schroeder aus. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt als Nachfolger die Kollegen Johannes Nitsch und Dr. Paul Laufs vor. Sind Sie damit einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Damit sind die beiden Abgeordneten als ordentliche Mitglieder im Vermittlungsausschuß bestimmt.
Die in der 53. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zur Wirtschafts- und Währungsunion im Rahmen der Regierungskonferenz auf Drucksache 12/946 soll — wie seinerzeit vom Altestenrat vorgeschlagen — nunmehr dem Wirtschaftsausschuß zur federführenden Beratung, dem Finanzausschuß als 1. mitberatenden Ausschuß sowie dem Auswärtigen Ausschuß, dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, dem EG-Ausschuß und dem Haushaltsausschuß, jeweils zur Mitberatung, überwiesen werden. Sind Sie auch damit einverstanden? — Es erhebt sich ebenfalls kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Entlastung der Familien und zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze
— Drucksachen 12/1108, 12/1368, 12/1466 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 12/1506 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Dankward Buwitt
Manfred Hampel Hermann Rind Wilfried Seibel
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/1507 — Berichterstattung:
Abgeordnete Helmut Wieczorek
Adolf Roth
Dr. Wolfgang Weng
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses
zu dem Antrag der Abgeordneten Ingrid Matthäus-Maier, Dr. Rose Götte, Joachim Poß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Für einen verfassungsmäßigen und gerechten Familienlastenausgleich
zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof
Bericht des Bundesrechnungshofes gemäß § 99 BHO über Vorsteuererstattungen bei der Gründung von Familienpersonengesellschaften in der Land- und Forstwirtschaft
— Drucksachen 12/320, 12/1040, 12/1506 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Dankward Buwitt
Manfred Hampel Hermann Rind Wilfried Seibel
Zum Steueränderungsgesetz liegen je ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Gruppe PDS/Linke Liste sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache drei Stunden vorgesehen. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Abgeordneten Ingrid Matthäus-Maier das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine solide Finanzpolitik steht und fällt mit dem Vertrauen der
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4590 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991
Ingrid Matthäus-MaierBürger, dem Vertrauen, daß die Regierung den Menschen die Wahrheit sagt über die Staatsfinanzen, dem Vertrauen, daß die Regierung mit den Steuergeldern der Bürger sorgsam und sparsam umgeht, dem Vertrauen, daß die Steuerlasten gerecht verteilt werden, und schließlich dem Vertrauen, daß die Finanzpolitik das Land wirtschaftlich voranbringt und uns in eine gute Zukunft führt.
Dieses notwendige Vertrauen unserer Bürger in die Finanzpolitik ist leider durch die Politik dieser Bundesregierung in unserem Lande erschüttert.
Den Bürgern wird nämlich nicht die Wahrheit gesagt über die Staatsfinanzen; mit den Steuergeldern wird eben nicht sparsam umgegangen.
Die Bürger stöhnen unter dem größten Steuer- und Abgabenpaket, das es je in diesem Lande gab, und sie spüren sehr wohl, daß die Steuerlasten ungerecht verteilt werden: Belastung für die Kleinen und die Familien und Entlastung für die Großen. Und ökonomisch vernünftig ist Ihre Steuerpolitik leider auch nicht.
Statt sich um die drängenden Sachfragen, wie Abbau der Staatsverschuldung und Stabilität der D-Mark zu kümmern, wollen Sie die Vermögensteuer senken und die Gewerbekapitalsteuer abschaffen.
Das sind 7 Milliarden Mark jährlich für einige hunderttausend Großunternehmen und Besitzer großer Vermögen.
— Klassenkampf? Dies ist nicht Klassenkampf! Es gefällt Ihnen einfach nicht.Um diese Steuersenkungen in Milliardenhöhe für Großunternehmen und Besitzer großer Vermögen zu finanzieren, wollen Sie die Mehrwertsteuer erhöhen. Aber die Mehrwertsteuer belastet doch nun alle Bürger,
und zwar die Bezieher kleiner Einkommen und die Familien bekanntlich stärker
als die Bezieher großer Einkommen.
Das Ergebnis Ihrer Steuerpolitik ist also, daß die kleinen Leute und die Familien, die doch ohnehin schon besonders gebeutelt sind durch die Ergänzungsabgabe, die höhere Mineralölsteuer, die Tabaksteuer, die Versicherungssteuer, höhere Telefongebühren und höhere Arbeitslosenversicherungsbeiträge, nun auch noch die milliardenschweren Steuervergünstigungen für Besitzer großer Vermögen bezahlen sollen, meine Damen und Herren. Eine solche Politik ist sozial ungerecht,
sie geht zu Lasten der Familien,
sie verstößt gegen die Interessen der kleineren und mittleren Unternehmen, sie ist ökonomisch verfehlt, und deswegen werden wir Sozialdemokraten sie nicht mitmachen, meine Damen und Herren.
— Schauen Sie: Wir sind doch heut eine solche gemütliche kleine Runde. Da können Sie doch dann wenigstens das laute Zwischenrufen ein bißchen unterlassen.Ich sage für uns Sozialdemokraten sehr deutlich: Wir brauchen eine Reform der Unternehmensbesteuerung.
Die kleinen und mittleren Unternehmen werden heute im Wettbewerb mit den Großunternehmen steuerlich schlecht behandelt.
Deshalb fordern wir seit Jahren eine steuerfreie Investitionsrücklage für kleinere und mittlere Unternehmen. Es muß sich für Unternehmen mehr als bisher lohnen, zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen, statt Geld auf die hohe Kante zu legen.Sie erreichen mit Ihrem Gesetz heute das Gegenteil. Die Einschränkungen der Abschreibungsbedingungen bei den Gebäuden belasten steuerlich die Investitionen, und der bloße Kapitalbesitz wird steuerlich entlastet. Das ist doch ökonomisch widersinnig.
Angesichts der enormen Staatsverschuldung und angesichts der Tatsache, daß der Anteil der Unternehmenssteuern am gesamten Steueraufkommen seit Jahren rückläufig ist, muß nach unserer Ansicht eine solche Reform der Unternehmensbesteuerung aber aufkommensneutral gestaltet werden.Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren keinen Vorwand ausgelassen, um die angebliche Notwendigkeit einer generellen Steuersenkung für die Unternehmen zu begründen. Zuerst war es die schlechte Eigenkapitalausstattung, dann die man-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991 4591
Ingrid Matthäus-Maiergeinde internationale Wettbewerbsfähigkeit, dann ein angeblicher internationaler Steuersenkungswettlauf,
dann die Notwendigkeit, daß die Unternehmen in den neuen Bundesländern investieren. Immer, wenn ein Argument verschlissen war, wurde ein neues ausgepackt. Richtig wurde die Begründung darum trotzdem nicht, meine Damen und Herren.
Ich möchte diese ganze Diskussion hier nicht aufwärmen, etwa die Tatsache, daß bloße Steuersätze allein nichts über die tatsächliche Steuerbelastung sagen, weil man berücksichtigen muß, was die Unternehmen alles von ihrem Gewinn abziehen dürfen. Ich will auch gar nicht so weit gehen wie der Präsident des Bundesfinanzhofes, Herr Professor Klein, der am Montag dieser Woche auf dem Steuerberatertag in Hamburg von einem ihm bekannten deutschen Unternehmen berichtet hat, das nach amerikanischem Steuerrecht — so Klein — rund 50 To mehr Steuern zahlen müßte als nach deutschem Steuerrecht.
Zu denken geben sollte Ihnen diese Äußerung schon.Es trifft auch nicht zu, daß es einen internationalen Steuersenkungswettlauf gibt.
Die großen Reformen in den USA, in Schweden, in Österreich waren aufkommensneutral. Und daß nun Großbritannien, wo die Frau Thatcher in der Tat dauernd die Unternehmenssteuern gesenkt hat, ökonomisch besser dastünde als die Bundesrepublik Deutschland, das wollen Sie doch wohl nicht behaupten!
— Nein.Es ist auch falsch, aus statistisch relativ geringen Direktinvestitionen ausländischer Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland zu folgern, die Bundesrepublik Deutschland sei als Industriestandort nicht attraktiv. Die Bundesregierung hat doch selbst anläßlich der Strukturberichterstattung 1990 festgestellt, daß ein wesentlicher Grund für die Zurückhaltung ausländischer Unternehmen bei uns in der Wettbewerbsstärke deutscher Unternehmen liegt.
Wir kennen das doch: Wenn es bei uns irgendwo eine Nische zum Investieren gibt, dann sind die deutschen Unternehmen so gut und so schnell, daß sie in diese Nische selber hineingehen. Nein, ich bitte Sie wirklich: Hören Sie doch auf, mit falschen Argumenten falsche Steuersenkungen zu rechtfertigen.Mir ist ganz aktuell der Bericht des Wirtschaftsministeriums über deutsche Direktinvestitionen in anderen Ländern im ersten Halbjahr 1991 auf den Tisch gekommen. Siehe da, meine Damen und Herren: Kräftiger Abzug von Investitionen aus dem Lande Baden-Württemberg, kräftige Direktinvestitionen der Ausländer im Lande Nordrhein-Westfalen.
— Wollen Sie denn behaupten, daß die Vermögen-und die Gewerbekapitalsteuer in Baden-Württemberg höher als in Nordrhein-Westfalen sind?
Sie ersehen aus diesem Beispiel, daß eine simple Ableitung der Stärke unseres Produktionsstandortes aus Statistiken über Direktinvestitionen völlig unbrauchbar ist.
Ein Letztes zu diesem Thema: Es trifft auch nicht zu, daß es in anderen Ländern keine ertragsunabhängigen Steuern gäbe. Das einzige, was zutrifft, ist, daß diese Steuern in anderen Ländern andere Namen haben. Sie heißen z. B. Rohvermögensteuer, Einwohnersteuer, Grundsteuer oder, in Frankreich, Taxe professionelle. Nein, nach dem Motto „Klagen ist das Lied der Kaufleute" wird von Unternehmen und Verbänden natürlich über die Steuerlast geklagt. Das nehme ich denen auch gar nicht übel. Aber leider hat sich nun die Bundesregierung an die Spitze dieses Klagechors gestellt. Das führt natürlich dazu, daß auch seitens der Wirtschaft nun um so mehr und um so lauter geklagt wird. Ich fordere die Bundesregierung auf, endlich mit dein Herumnörgeln am Produktionsstandort Deutschland aufzuhören. Dieses Miesmachen führt uns doch nicht weiter.Stellen Sie doch die unbestreitbaren Vorteile unseres Produktionsstandortes klar heraus. Machen Sie deutlich, daß es sich lohnt, in Deutschland zu investieren. Machen sie deutlich, daß die Unternehmen in Deutschland für ihre in der Tat nicht niedrigen Steuern mehr und bessere öffentliche Leistungen als die Unternehmen in anderen Ländern erhalten. Eine gute öffentliche Infrastruktur, ein hervorragendes Ausbildungssystem, eine leistungsfähige öffentliche Verwaltung
und nicht zuletzt auch der soziale Friede, dies alles zusammen sind Punkte, die unserer Wirtschaft Vorteile und bares Geld bringen. Das hat auch etwas mit der Steuerlast zu tun.
Warum gehen Unternehmen ins Ausland? — Ein Beispiel bringt die „Bonner Rundschau" vor wenigen Tagen. Sie berichtet von einem großen Konzern, der im Raum Stuttgart für eine neue Fabrik 100 Fachar-
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4592 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991
Ingrid Matthäus-Maierbeiter gesucht und sie vor allem wegen der Wohnungsknappheit nicht gefunden hat.
Der Konzern hat es dann vorgezogen, nach Spanien zu gehen. Wohnungsnot mit über 2,5 Millionen fehlenden Wohnungen, nicht aber eine zu hohe Belastung mit Vermögen- und Gewerbekapitalsteuer, das ist doch die Lebenswirklichkeit in Deutschland!
Wie Sie es auch drehen und wenden, Mehrwertsteuer hoch und Vermögen- und Gewerbekapitalsteuer runter: Zu dieser Kombination sagt doch selbst der Herr Geißler, sie sei schlimmer als der Flugbenzinskandal. Wo Herr Geißler recht hat, hat er recht.
Die Bundesregierung sieht selber, daß diese Wahrheit unseren Bürgern nicht zumutbar ist. Deswegen versucht sie, den Zusammenhang zwischen Vermögensteuersenkung und Mehrwertsteueranhebung zu leugnen. Neuerdings heißt es, die neuen Steuervergünstigungen würden mit Subventionsabbau bezahlt.
Dies ist nun wirklich falsch, liegt doch inzwischen schwarz auf weiß auf dem Tisch, daß von dem groß angekündigten Abbau der Subventionen fast nichts außer Luftbuchungen und Zahlenakrobatik übriggeblieben ist.
Das, was erreicht wurde, wird allenfalls in späteren Jahren kassenwirksam. Wollen Sie ernsthaft behaupten, daß Sie, und zwar noch im ersten Jahr, 7 Milliarden DM hereinholen? — Das ist doch lächerlich. Außerdem hatten Sie doch verkündet, Sie wollten mit dem Subventionsabbau den Haushalt sanieren und nicht schon wieder neue Steuervergünstigungen bezahlen.
In den Zeitungen heißt es dazu: „Subventionsabbau im Nebel", „Möllemanns Milliarden-Flop" , „Keinen Sinn fürs Sparen" und,
besonders schön, „Möllemanns Schrumpfliste". Das ist nicht von mir; es ist von der „Wirtschaftswoche". Nein, da kann man nur sagen: Außer Spesen nichts gewesen!Oder nehmen Sie die FAZ. Dort heißt es: Die bürgerlich-liberale Koalition läßt keine Gelegenheit aus, Abgaben und Schulden in die Höhe zu treiben.
— Recht hat die FAZ, meine Damen und Herren! Sie hören das nicht gern, aber es ist trotzdem wahr. Sie sind eine Schuldenkoalition,
Sie sind eine Steuererhöhungskoalition;
nur eines sind Sie wahrlich nicht, meine Damen und Herren,
nämlich eine Sparkoalition.
Und warum — so fragen wir mit der „Süddeutschen Zeitung" — ist der Subventionsabbau so unzureichend?
Sie werden heute nicht ernsthaft behaupten können, daß Sie die 7 Milliarden DM Senkung von Vermögen-und Gewerbekapitalsteuer mit Subventionsabbau finanzieren. Machen Sie sich bitte nicht lächerlich.
Weil Sie nun nicht sparen und weil Ihr Subventionsabbau so kläglich ist, erhöhen Sie die Mehrwertsteuer.
Graf Lambsdorff geniert sich ja auch nicht, offen zu sagen, daß man die Mehrwertsteuer braucht, um die Unternehmensteuern zu senken. Aber, meine Damen und Herren von den Unionsparteien, was Graf Lambsdorff ungeniert sagen darf — ich glaube nicht, daß Sie als angebliche Volkspartei mit dieser Aussage vor Ihre Wähler hintreten können.
Schließlich: Zur Ehrlichkeit in der Finanzpolitik gehört auch, daß Sie sich mit der Mehrwertsteueranhebung nicht länger hinter Europa verstecken. Das wissen wir alle: Sie haben sich diesen Beschluß in Europa bestellt; es ist nun Ihre Aufgabe, nach Brüssel zu gehen und diesen Beschluß wieder umzutauschen. Noch ist es Zeit. Der EG-Beschluß ist eine reine Absichtserklärung, aber noch lange nicht europäisches Recht.Ihre Mehrwertsteuererhöhung ist auch ökonomisch verfehlt. Erinnern Sie sich an die Anhörung der ökonomischen Sachverständigen? Alle — und vorneweg die Deutsche Bundesbank — haben schwere ökonomische Bedenken geltend gemacht, denn die Mehrwertsteuererhöhung führt zu einem weiteren Anstieg der Inflationsrate und zu einer realen Entwertung der Ersparnisse. Für die Wirtschaft hat das vor allem zwei Auswirkungen:
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991 4593
Ingrid Matthäus-MaierErstens. Die Lohnkosten werden steigen. Jeder Unternehmer weiß doch, daß eine höhere Inflationsrate in die Tarifverhandlungen eingeht und daß damit die Mehrwertsteuererhöhung auf dem Verhandlungstisch der Tarifparteien landet.Die zweite Wirkung: Auch die Zinskosten der Wirtschaft werden höher sein. Die Bundesbank hat bereits deutlich zu erkennen gegeben, daß sie den durch die Mehrwertsteuererhöhung ausgelösten Inflationsruck nicht tatenlos hinnehmen wird.
Höhere Löhne und höhere Zinsen werden im Ergebnis unsere Wirtschaft auf der Kostenseite stärker belasten, als sie durch die Senkung der Vermögensteuer und die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer entlastet wird, meine Damen und Herren.
Schließlich: Entlastet werden durch Ihre Vorschläge vor allem die Großunternehmen, und die kräftig.
85 % der Betriebe — das sind die kleinen und mittleren Unternehmen —
haben von der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer nichts, weil sie durch die Freibeträge schon jetzt von der Gewerbekapitalsteuer freigestellt sind.
— Herr Uldall, das hat zu unseren Zeiten begonnen!
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glos?
Ja, bitte.
Frau Kollegin MatthäusMaier, da Sie so gut mit Zahlen umgehen können und anscheinend informiert sind: Könnten Sie uns, wenn Sie mit Prozentsätzen der Unternehmen arbeiten, die von unseren steuerlichen Maßnahmen begünstigt werden, gleichzeitig angeben, wieviel Prozent der Beschäftigten in der Bundesrepublik bei diesen Unternehmen arbeiten und wieviel Prozent der Beschäftigten bei dem von Ihnen genannten Rest?
Sie wissen sehr genau, Herr Kollege, daß der Anteil der Beschäftigen davon abhängt, wo ich das Ende von „Mittelstand" definiere.
Nur, eines ist klar:
Die große Mehrheit der Menschen ist im Mittelstand beschäftigt. Wir alle zusammen in diesem Hause sind doch immer darauf stolz gewesen, daß wir eine gemischte Wirtschaftsstruktur haben, eine gesunde Mischung von kleinen Unternehmen, Mittelstand — als dem starken Rückgrat unserer Wirtschaft — und Großunternehmen.
Aber ich frage Sie, Herr Kollege Glos: Was wollen Sie mit dieser Frage eigentlich bewirken?
Wollen Sie hiermit offiziell selber zugeben, daß Sie, um 15 % der Unternehmen, nämlich die Großunternehmen, zu entlasten, die kleinen und mittleren Unternehmen mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer striezen? Das greift doch schon Ihr Herr Pinger an.
— Sie sagen, es gehe Ihnen ausschließlich um die Arbeitsplätze. Aber glauben Sie denn, daß Arbeitsplätze sicherer werden, wenn Sie Abschreibungsbedingungen verschärfen und den Vermögens- und Kapitalbesitz steuerlich erleichtern? Diese komische Rechnung hat noch keiner aufgemacht.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Frau Kollegin?
Ja.
Frau Matthäus-Maier, wie viele Betriebe in absoluten Zahlen sind diese 15 % der gewerbesteuerpflichtigen Betriebe? Können Sie mir diese Zahl nennen?
Ihre Vermögensteuersenkung und Gewerbekapitalsteuerabschaffung betreffen mehrere hunderttausend Betriebe und große Firmen.
Die genaue Zahl können auch Sie gar nicht wissen, selbstverständlich nicht! Ich weiß gar nicht, was Sie wollen. Sie wissen doch gar nicht von jedem einzelnen Betrieb, wie hoch — —
— Wenn Sie von mir etwas hören wollen, dann lassen Sie mich auch antworten.
Sie wissen doch gar nicht von jedem einzelnen Betrieb, wie hoch im Einzelfall sein betriebliches Gewerbekapital ist. Nach der letzten Statistik haben Sie doch
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4594 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991
Ingrid Matthäus-Maiernur Globaizahlen. Sie entlasten — das ist das Wichtige, und das hat Ihr Herr Pinger sehr viel deutlicher als wir herausgearbeitet — wenige hunderttausend Großunternehmen und Besitzer großer Vermögen
durch die Mehrbelastung des Mittelstandes.
Frau Kollegin, der Kollege Rauen hätte noch eine Zwischenfrage.
Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Ja, bitte.
Frau Matthäus, eine Zusatzfrage. Diese 15 %, sind genau 270 000 Betriebe.
Geben Sie mir recht, daß es 0,8 % der gewerbesteuerpflichtigen Betriebe oder 14 000 Betriebe sind, die lediglich ein Gewerbekapital von über 5 Millionen DM oder einen Gewerbeertrag von über 1 Million DM haben? Das heißt, 260 000 Betriebe von den 15 %, die Sie nennen, sind durchaus mittlere Betriebe. Dies möchte ich feststellen.
Ihre Zahl 260 000 bezieht sich auf das Gewerbekapital. Wenn ich von mehreren hunderttausend sprach, habe ich selbstverständlich — darüber möchten Sie nicht gerne reden, aber ich — die Senkung der Vermögensteuer einbezogen.
Dann sind es selbstverständlich mehr.
Sie sagen, es handele sich nur um mehrere Millionen. Wir haben nach der letzten Statistik berechnet, daß die Großunternehmen bei der Vermögensteuer und auch bei der Gewerbekapitalsteuer im Durchschnitt jeweils um 7 Millionen DM entlastet werden. Wie können Sie den Menschen eigentlich erzählen, daß Sie, um Großunternehmen im Durchschnitt jeweils um 7 Millionen DM zu entlasten, den kleinen Leuten die Mehrwertsteuererhöhung aufbrummen?
Wenn Sie noch ein paar Zwischenfragen haben, die Ihre Steuerpolitik als das entlarven, was sie ist, nämlich Umverteilung von unten nach oben, dann nehme ich sie gerne entgegen, meine Damen und Herren.
Jedermann weiß außerdem, daß die Mehrwertsteuererhöhung die Schwarzarbeit verschärfen wird. Auch dies belastet in erster Linie kleine und mittlere Unternehmen.
Meine Damen und Herren, auch in der Familienbesteuerung haben wir Sozialdemokraten, wie allgemein anerkannt wird, eine bessere Alternative.
Beim Familienlastenausgleich sind die Unterschiede zwischen den zwei Vorstellungen sehr deutlich. Sie setzen in erster Linie auf den Kinderfreibetrag. Wir wollen eine Vereinheitlichung des Familienlastenausgleichs und dadurch eine kräftige Verbesserung des Kindergeldes vom ersten Kind an auf 230 DM im Monat sowie einen Zuschlag für kinderreiche Familien ab dem vierten Kind.
Stellen wir uns doch einmal vor, heute würde über folgenden Gesetzentwurf diskutiert: Überschrift: Entlastung der Familien mit Kindern. § 1: Familien mit niedrigem Einkommen erhalten für ihr Kind im Monat eine Entlastung von 65 DM. § 2: Familien mit einem Jahreseinkommen von mehr als 240 000 DM erhalten für ihr Kind eine monatliche Entlastung von 179 DM.
Wenn sich ein normaler Burger, der diesen Gesetzentwurf liest,
die Zahlen anschaut — nämlich für die kleinen Leute eine Entlastung von 65 DM, bei großem Einkommen eine Entlastung von 179 DM --, wird er denken: Die Parlamentarier haben in diesem Gesetzentwurf die Ziffern vertauscht; die kleinen Einkommen bekommen die große Entlastung, und die großen Einkommen bekommen die kleine Entlastung.
Nun, meine Damen und Herren, das, was ich Ihnen hier in dem fiktiven Gesetzentwurf vorgestellt habe, zeigt genau die Wirkung, die Ihr Kinderfreibetrag bei der Steuer hat: je höher das Einkommen der Eltern, um so höher die Entlastung durch den Kinderfreibetrag, nach dem Motto: Wer hat, dem wird gegeben.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gattermann? —Bitte.
Frau Kollegin, stimmen Sie mir zu, daß in Ihrem fiktiven Gesetzentwurf ein
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991 4595
Hans H. GattermannSprachfehler enthalten ist? Sie verwenden das Wort „erhalten", obwohl es heißen muß: „weniger wegnehmen" .
Herr Kollege, ich habe gesagt: Familien mit Kindern erhalten eine Entlastung.
Wenn ich also statt 100 DM Steuern 65 DM weniger, also 35 DM Steuern zahle, ist es dann nicht korrekt, wenn ich sage, sie erhalten eine Entlastung? — Das ist der erste Teil meiner Antwort.
Der zweite Teil meiner Antwort, Herr Kollege Gattermann: Wenn das einzige, was Sie an meinem fiktiven Gesetzentwurf stört, das Vokabular ist, aber nicht der skandalöse Zustand, daß bei Ihnen die Bezieher großer Einkommen für ihre Kinder im Monat 114 DM mehr bekommen als die kleinen Leute, dann tun Sie mir wirklich leid, Herr Gattermann.
Frau Kollegin, die Koalitionsfraktionen sind sehr lieb zu Ihnen. Es gibt den Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage, um Ihre Redezeit zu verlängern. — Bitte.
Frau Kollegin, könnten Sie uns dann für die beiden von Ihnen als Beispiel genannten Familien auch sagen, wie hoch die verbleibende Steuerschuld ist, die beide Familien zu entrichten haben? Denn es darf nicht nur die Entlastung genannt werden, sondern man muß auch sagen, wie hoch die Steuern absolut sind, die die beiden Familien abzuführen haben.
Herr Uldall, ich habe das Gefühl, das ist hier heute morgen — wie mein Fraktionsvorsitzender Vogel dazwischenruft — eine volksbildende Veranstaltung;
aber daran will ich mich gerne beteiligen. Wenn Sie darauf hinaus wollen
— das hatte ich doch — , daß die Eltern mit einem niederen Einkommen einen Steuersatz von 19 % haben,während die Eltern mit hohem Einkommen einenSteuersatz von 53 %, also einen sehr viel höheren, haben,
dann will ich Ihnen das gerne bestätigen. Das weiß man, und ich ging auch davon aus, daß Sie das wissen.
— Ich muß doch nicht etwas zugeben, was jeder im Einkommensteuergesetz nachlesen kann. Nein, es kommt doch auf folgendes an: Jedermann weiß doch, daß die Kinder von Hochverdienenden — ich sage einmal: von Abgeordneten, Freiberuflern, Unternehmern, Managern, Rechtsanwälten — es ohnehin leichter haben, durchs Leben zu kommen. Müssen wir ihnen denn zusätzlich dazu, daß sie es mit ihren Eltern zusammen ohnehin leichter haben, noch eine sehr viel höhere Entlastung geben als den kleinen Leuten, meine Damen und Herren?
Wie man es beim Familienlastenausgleich richtig macht, zeigt folgender Gesetzentwurf, aus dem ich jetzt zitiere. Das war ein richtiger Gesetzentwurf zur Vereinheitlichung des Familienlastenausgleichs. In diesem stand:Aus familien- und sozialpolitischen Gründen sollen die Kinderfreibeträge des Einkommensteuerrechts, das Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz und der besoldungsrechtliche Kinderzuschlag durch eine für alle Eltern gleiche, also einkommensunabhängige, vom ersten Kind an zu zahlende neue Leistung ersetzt werden.Nämlich durch ein einheitliches Kindergeld.Raten Sie mal, von wem dieser Gesetzentwurf stammte? Dies war ein Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU vom 10. Juli 1974.Was die Union damals gefordert hat, das war seinerzeit richtig und ist auch heute richtig. Ihre heutige Polemik zeigt nur in aller Deutlichkeit, wie weit sich die Union, mit dem Zusatz „christlich" in ihrem Namen, von ihrer familienpolitischen Tradition entfernt hat, meine Damen und Herren.
: Warum wollen Sie den Weihnachtsfreibetrag einführen? Führen Sie doch ein Weihnachtsgeld ein!)
Weil Sie den Familien dauernd zuviel Steuern abziehen, sind Sie vom Bundesverfassungsgericht zu einer Änderung verurteilt worden. Meine Damen und Herren, wollen Sie auch beim Grundfreibetrag warten, bis Sie von Karlsruhe zur Verbesserung gezwungen werden?Ich finde es schon schlimm: Zu einer unnötigen und ungerechten Senkung der Vermögensteuer sind Sie in der Lage; aber für die von der Verfassung gebotene
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4596 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991
Ingrid Matthäus-MaierErhöhung des Grundfreibetrages ist diese Bundesregierung nicht zu haben. Damit Sie es endlich klar begreifen: Für Einkommen ab 792 DM im Monat muß ein Arbeitnehmer heute bereits Lohn- und Einkommensteuer zahlen. Diese Summe ist offensichtlich niedriger als das Existenzminimum. Das verstößt gegen die Steuergerechtigkeit. Außerdem hat Ihnen das vor kurzem auch der Finanzhof vorgerechnet. Zusätzlich zu dieser Steuerlast muß nun bei einem Einkommen von 792 DM außerdem noch die Ergänzungsabgabe gezahlt werden. Die Ergänzungsabgabe auf diese Einkommen ist genauso verfassungswidrig wie die darauf erhobene Lohn- und Einkommensteuer, meine Damen und Herren.
Auch aus diesem Grunde wollten und wollen wir Sozialdemokraten die kleinen und mittleren Einkommen von der Ergänzungsabgabe befreien, diese in einen Zuschlag zur Lohn- und Einkommensteuer umgestalten, an dem auch Länder und Gemeinden beteiligt sind, und diese auf vier bis fünf Jahre befristen. Der Grundfreibetrag muß kräftig erhöht werden, damit die Steuer den Menschen nicht etwas wegnimmt, was sie als Existenzminimum brauchen.
Wie sehr diese Bundesregierung die Menschen in diesem Lande steuerlich belastet, wird in diesen Tagen besonders deutlich, in denen die Menschen ihr Weihnachtsgeld bekommen. Es war eben ein Fehler, daß Sie den Weihnachtsfreibetrag abgeschafft haben, meine Damen und Herren. Der Weihnachtsfreibetrag war auch keine Subvention, wie Sie immer gerne glauben machen wollen, sondern der Weihnachtsfreibetrag war der gerechte Ausgleich dafür, daß Arbeitnehmer gegenüber anderen Berufsgruppen durch den direkten, zeitnahen Abzug der Lohnsteuer und dadurch, daß sie weniger Gestaltungsmöglichkeiten haben als andere Berufsgruppen, benachteiligt sind. Ob Sie das heute zugeben, ja oder nein, Sie werden gar nicht daran vorbeikommen, den Weihnachtsfreibetrag wieder einzuführen.
Meine Damen und Herren, es gibt auch noch einiges zur Zinsbesteuerung zu sagen. Ich will das aber heute nur kurz tun, weil Sie sich offensichtlich noch nicht geeinigt haben und am Montag Ihr Konzept vorstellen.
Aber etwas lassen Sie mich sagen: Wenn Sie sich jetzt endlich dazu durchringen, die Sparerfreibeträge kräftig anzuheben, dann ist das gut so, und wir begrüßen das.
Wenn Sie aber zweitens die Quellensteuer wieder einführen wollen,
dann will ich Sie fragen: Warum haben Sie sie abgeschafft, wenn Sie dieses Monstrum in zwei- oder dreifacher Höhe wieder einführen wollen, meine Damen und Herren?
Das halten wir für einen Fehler.Da meine Kollegen Manfred Hampel, Otto Reschke und Ludwig Eich noch auf die Einzelheiten Ihres Steueränderungsgesetzes eingehen werden, will ich nur noch auf einen Punkt zu sprechen kommen, nämlich auf die Mitbestimmung. Wir finden es einfach empörend, daß am Schluß der Beratungen des Finanzausschusses quasi im Handstreich
neue Schutzvorschriften zugunsten der deutschen Mitbestimmung beseitigt worden sind.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ramsauer?
Ja. Ich nehme an, das bezieht sich noch auf das vorherige Thema, oder?
Ja. Frau Kollegin, Sie sind so schnell, daß man fast nicht zum Mikrophon kommt.
Frau Kollegin, in Ihrer Eile haben Sie etwas vergessen, was Sie sicherlich sagen wollten. Ich möchte Sie fragen, warum Sie, wenn Sie schon über die Quellensteuer sprechen, nicht so ehrlich sind und auch darauf hinweisen, daß Ihr Vorschlag ein Kontrollmitteilungsverfahren vorsieht, was im Gegensatz zu dem, was wir jetzt vorschlagen, eine wirkliche Zwangsjacke ist.
Herr Kollege, ich bin Ihnen wirklich dankbar für diese Zwischenfrage, gibt sie mir doch Gelegenheit, das klar zu wiederholen, was wir seit Jahren sagen: Wir sind gegen ein Kontrollmitteilungsverfahren.
Beispielsweise die Verhältnisse in den USA zeigen, zu welch enormer Bürokratie das führt. Wir sind aber sehr wohl für Stichprobenverfahren, wie andere Länder sie haben.
Die Erhebung von Stichproben hat mit einem Kontrollmitteilungsverfahren nichts zu tun, denn bei der Erhebung von Stichproben wird das Bankgeheimnis selbstverständlich gewahrt. Daran muß uns allen wegen der ansonsten bestehenden Gefahr von Kapitalflucht ja gelegen sein, meine Damen und Herren.
Sind Sie bereit, eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Ramsauer zu beantworten?
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991 4597
Frau Kollegin Matthäus-Maier, sind Sie bereit zuzugeben, daß vor etwa zwei Jahren im „Vorwärts", Ihrem damaligen Parteiorgan, zu lesen war, daß Ihre Partei ein Kontrollmitteilungsverfahren in Verbindung mit höheren Freibeträgen vorschlage? Dabei war nicht von einem Stichprobenverfahren die Rede, sondern expressis verbis von einem Kontrollmitteilungsverfahren. Falls Sie es nicht wissen, bin ich gerne bereit, Ihnen dieses Exemplar — es ist übrigens eines der letzten Exemplare — zur Verfügung zu stellen.
Ich muß Ihnen sagen, Herr Kollege: Daß Sie und z. B. nicht der Herr Uldall oder der Herr Faltlhauser diese Zwischenfrage stellen, hängt wohl damit zusammen, daß die beiden letztgenannten Herren etwas mehr als Sie auf dem laufenden Stand der SPD-Programmatik sind.
Seit drei Jahren, Herr Kollege, ist das offizieller Standpunkt der SPD-Programmatik. Wenn es da einen Artikel im „Vorwärts" gegeben hat, dann soll das gerne so sein. Wir sind eine diskussionsfreudige Partei.
Seit drei Jahren ist es offizielle Position der SPD — vor der Bundestagswahl und nach der Bundestagswahl; daran liegt mir, weil es bei Ihnen vor einer Bundestagswahl öfter anders klingt als danach —,
daß wir erstens eine kräftige Verbesserung des Sparerfreibetrages wollen, damit die Masse der kleinen Sparer endlich aus der Besteuerung und aus der Illegalität herauskommt, daß wir zweitens ein Stichprobenverfahren wünschen, um endlich an die großen Steuerhinterzieher heranzukommen,
und daß wir drittens — das ist eine Aufforderung an Herrn Waigel, wenn er es nicht schon getan haben sollte —, nachdem Luxemburg jetzt offensichtlich das einzige Land in der EG ist, in dem es noch keine Regelung gibt, zusammen mit den elf verbleibenden Mitgliedern der EG dafür sorgen müssen, daß Luxemburg selber etwas in Richtung auf eine gerechte Besteuerung der Zinseinkünfte tut. Dann würde auch eines der letzten Schlupflöcher für Kapitalflucht geschlossen.
— Herr Faltlhauser nickt. Ich freue mich, daß Sie am heutigen Morgen angesichts meiner Ausführungen einmal nicken.
Ich komme zum Schluß. Es darf nicht in Vergessenheit geraten, was Sie mit der Mitbestimmung gemacht haben.
Nach dem jetzigen Recht können Fusionen inländischer Firmen mit ausländischen Firmen — gegen das einstimmige Votum des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — selbst dann steuerlich begünstigt werden, wenn dies zu einem Verlust oder zu einer Verschlechterung der Mitbestimmungsrechte der deutschen Arbeitnehmer führt. Wir werden in der zweiten Lesung einen Antrag einbringen. Dann, meine Damen und Herren von den Sozialausschüssen, werden Sie Farbe bekennen müssen, ob Sie diesen Anschlag auf die deutsche Mitbestimmung mitmachen.
Ich fasse zusammen. Noch nie gab es eine Bundesregierung, die so unverhohlen eine Steuerpolitik gegen das Gerechtigkeitsempfinden und gegen die ökonomische Vernunft gemacht hat, gegen die Familien, den Mittelstand, die Arbeitnehmer und auch gegen Länder und Gemeinden. Wir fordern Sie auf: Verzichten Sie auf die Senkung der Vermögen- und die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer. Lassen Sie die Finger von der Erhöhung der Mehrwertsteuer. Verbessern Sie das Kindergeld auf 230 DM im Monat für jedes Kind, vom ersten Kind an. Gestalten Sie endlich Steuerpolitik. Warten Sie nicht immer, bis das Bundesverfassungsgericht Sie dazu verurteilt. Nehmen Sie endlich die Verbesserung des Grundfreibetrags in Angriff. Nur so kann das notwendige Vertrauen in die Finanzpolitik wiederhergestellt werden, meine Damen und Herren.
Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem Abgeordneten Gattermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frau Kollegin Matthäus-Maier hat eben gemeint, mich habe an ihrem fiktiven Gesetzentwurf lediglich die Wortwahl gestört. Nein. Es ist schon richtig: Ein Begriff muß beim Worte sein. Ein Begriff hat einen Inhalt. Ich will Ihnen deshalb sagen, was mich stört.
Der Begriff „Der Staat gewährt" oder „Der Staat gibt" beinhaltet, daß der Staat der alle Wohltaten verteilende Gewährer von Unterhalt für Kinder ist. Hingegen bedeutet der Begriff „Er nimmt weniger weg", daß es dem einzelnen Elternpaar überlassen bleibt, für seine Kinder zu sorgen, und der Staat bei dem, was er ihnen wegnimmt, die Kinderlast berücksichtigt.
Zur Replik Frau Matthäus-Maier.
Herr Kollege Gattermann, ich lege Wert darauf, daß ich weder von „geben" noch von „gewähren" gesprochen habe. In dem fiktiven Gesetzentwurf heißt es:... „erhalten für ihr Kind eine Entlastung". Das ist ein klassischer Wortgebrauch in der Steuerpolitik. Ich weise Sie weiter dar-
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4598 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991
Ingrid Matthäus-Maierauf hin — das ist Ihnen bekannt — , daß wir das Kindergeld von der Steuerschuld abziehen wollen, mit der Folge, daß die Familie mit Kindern weniger Steuern zahlt als die Familie ohne Kinder. Ich nenne ein Beispiel. Wenn bei Ford in Köln am Fließband nebeneinander zwei Arbeitnehmer stehen, der eine keine Kinder und der andere zwei Kinder hat, dann wird bei dem zweiten die Lohn- und Einkommensteuer, die der Arbeitgeber ans Finanzamt überweist, um 2 x 230 DM, gleich 460 DM, gesenkt. Das heißt, auch nach unseren Vorstellungen zahlt die Familie mit Kindern weniger Steuern. Allerdings — an diesem Dissens können Sie nicht vorbei — ist bei Ihnen die Entlastung bei Hochverdienenden fast dreimal so groß wie bei kleinen Leuten. Das wollen wir nicht.
Das Wort hat der Abgeordnete Dankwart Buwitt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Matthäus-Maier, wir hatten von Ihnen keine Zustimmung erwartet. Sie haben uns in dieser Beziehung auch nicht enttäuscht. Allerdings muß man schon mit Erstaunen feststellen, wie schnell Sie sich von Ihrer Vergangenheit verabschiedet haben. Ich meine jetzt die Vergangenheit der SPD, der Sie sich zur Zeit verschrieben haben.
Ich brauche Ihnen die Steuererhöhungen der 70er Jahre, die Sie durchgeführt haben, mit Sicherheit nicht aufzuzählen. — Nach Matthäus-Maier kann man beliebig reden. Mehr Frechheiten kann man sich gar nicht mehr einfallen lassen.
Der Kinderfreibetrag ist von Ihnen abgeschafft worden. Genau das ist vom Verfassungsgericht kritisiert worden. Das heißt, wir korrigieren heute die Fehler, die Sie damals gemacht haben.
Frau Matthäus-Maier, leider haben Sie an den Beratungen im Ausschuß fast nicht teilgenommen. Das, was wir uns heute anhören mußten, war das, was Sie immer machen. Sie arbeiten mit Unterstellungen. Sie wiederholen ständig die alten Schlagworte.
— Zum Beispiel das alte Schlagwort: Umverteilung von unten nach oben.Sie arbeiten mit dem Neidkomplex.
— Darüber können Sie nur lachen. Ich meine, — —
— Klassenkampf ist mehr ein Thema der SPD; der ist uns nicht auf den Leib geschrieben.Ich meine, wenn Sie beklagen, daß aus BadenWürttemberg mehr Investitionen abwandern als ausNordrhein-Westfalen, dann hat das einfach den Grund, daß nur aus einer starken Wirtschaftsregion etwas abwandern kann. Aus Nordrhein-Westfalen kann im Prinzip nichts mehr abwandern.
Wenn Sie sagen, wir sollten nicht alles mies machen, dann müßten Sie wahrscheinlich bei sich selbst anfangen. Das einzige, was Sie hier gesungen haben, ist das Hohe Lied des deutschen Standortes. Nun muß man fragen: Warum ist der deutsche Standort eigentlich so gut, wegen der Oppositionspolitik oder wegen der Politik der Regierung?
Meine Damen und Herren, der Entwurf eines Gesetzes, den wir heute hier besprechen, zur Entlastung der Familien und zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze enthält ein großes Bündel von Steueränderungen, die in aller-kürzester Zeit beraten und formuliert werden mußten. Insgesamt standen uns für die Beratungen nur fünf Wochen zur Verfügung. Die Beratungen, meine ich, stellen mit Sicherheit keine Glanzleistung im Gesetzgebungsverfahren dar. Der Verlauf ist nur mit einer leider notwendigen Eile zu entschuldigen. Art und Zeitablauf sind mit Sicherheit nicht x-beliebig wiederholbar bzw. sollten nach Möglichkeit der Vergangenheit angehören.Dank gebührt den Mitarbeitern der Verwaltung des Bundestages und der Ministerien, allen voran dem Finanzministerium, die bis an die Grenze ihrer Arbeitskapazität gegangen sind und die auch manche Nachtschicht einlegen mußten.
Dank gebührt aber auch dem Vorsitzenden des Ausschusses, den Abgeordneten und Mitarbeitern. Hier möchte ich ausdrücklich den Teil der Opposition miteinbeziehen, der sich an der Erarbeitung beteiligt hat, nämlich die Kollegen der SPD.Trotz der ungünstigen Bedingungen haben wir jetzt einen Gesetzentwurf vorliegen, der die gesteckten Ziele weitgehend erreicht. Der hier unter dem Arbeitstitel „Steueränderungsgesetz 1992" laufende Gesetzentwurf der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen beinhaltet entlastende Maßnahmen, die zum großen Teil den beiden Gebieten, Familienlastenausgleich und Sicherung von Arbeitsplätzen und Investitionen, zugute kommen.Das Gesetz basiert auf vier Schwerpunkten. Da ist erstens die Verbesserung der steuerlichen Situation der Familien mit Kindern, zweitens die maßvolle Anhebung des Regelsteuersatzes der Mehrwertsteuer unter Beibehaltung des ermäßigten Steuersatzes, drittens die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze und viertens der Abbau von steuerlichen Subventionen und die Einschränkung von steuerlichen Mißbrauchsmöglichkeiten. Auf Grund der gestiegenen nationalen und internationalen Verpflichtungen und Aufgaben der Bundesrepublik Deutschland war es nicht möglich, an die Entlastungen in der Größenordnung der Steuersen-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991 4599
Dankward Buwittkungsgesetze der 80er Jahre anzuknüpfen. Doch auch von diesem Gesetz mit nahezu aufkommensneutralen Änderungen sind starke expansive Effekte zu erwarten.Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen setzen mit diesem Gesetz ihre erfolgreiche Steuerpolitik für Wachstum, Beschäftigung und soziale Gerechtigkeit auch im wiedervereinten Deutschland fort. Hauptziel der die Unternehmen betreffenden Steueränderungen ist die Senkung der Belastung durch ertragsunabhängige Steuern, die besonders junge Betriebe und ertragsschwache Unternehmen der Krisenbranchen extrem treffen und wie jüngste Umfragen in den USA wieder gezeigt haben, die Attraktivität des Standorts Deutschland stark beeinträchtigen.Frau Matthäus-Maier, es geht um unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit, der wir uns in verstärktem Maße stellen müssen, auch im Hinblick auf die Veränderungen, die sich in Europa vollziehen. Um die Entlastung der Unternehmen zu erreichen — es geht, wie wir vorhin festgestellt haben, um viele Unternehmen und um sehr viele Arbeitsplätze — , soll ab 1993 auch in den alten Bundesländern die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft und die Besteuerung des betrieblichen Vermögens durch eine Verdoppelung des Bewertungsabschlags von 25 auf 50 % und eine Vervierfachung des Freibetrages auf 500 000 DM deutlich gesenkt werden. Auch die Staffelung der Gewerbeertragsteuer im unteren Bereich soll für die alten Bundesländer übernommen werden.Durch diese Maßnahmen, meine Damen und Herren, wird insbesondere — dieses ist vorhin im Gespräch zwischen der Rednerin und der CDU/CSUFraktion diskutiert worden — die steuerliche Belastung des Mittelstands gemildert. Die Finanzierung dieser Entlastung erfolgt allein über die Streichung von Steuervergünstigungen und die Verbesserung der Steuerstruktur — eine besonders hervorzuhebende Leistung dieses Gesetzentwurfs.Ebenso wichtig wie die Entlastung der Betriebe und die Sicherung von Arbeitsplätzen ist uns die Verbesserung des Familienlastenausgleichs. Dazu haben wir eine andere Position als die SPD. Ich möchte mich in meinen Ausführungen daher auf diesen wichtigen Eckpfeiler des Steueränderungsgesetzes konzentrieren.Der Gesetzentwurf bietet hier sicher noch nicht das absolute Optimum für eine familienfreundliche Politik, aber das Maximum des zur Zeit Machbaren. Die Finanzpolitiker der Koalitionsfraktionen sind sich einig, daß die in der Koalitionsvereinbarung vorgesehene weitere Erhöhung des Kinderfreibetrags noch in dieser Legislaturperiode durchgesetzt werden muß.
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4600 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991
(Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Die sind
wohl schon ins Wochenende gefahren!)
— Nein, es liegen gute Gründe vor. Ich bitte, die nicht anzuzweifeln.
Als nächstem erteile ich dem Kollegen Hermann Rind das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Schreiben meiner Rede habe ich den heutigen Vormittag falsch eingeschätzt. Ich habe hier stehen, es würde zu einer der großen Auseinandersetzungen in dieser Legislaturperiode kommen. — Davon ist — für mich überraschend — wenig zu merken.
Vielleicht ist es doch nicht überraschend, Frau Matthäus-Maier, weil die wahre Auseinandersetzung — das wissen auch Sie — nicht hier mit ihrer Bundestagsfraktion, sondern mit dem Bundesrat und mit den SPD-regierten Ländern stattfindet. Ich biete Ihnen schon heute gern eine Wette an, daß das Ergebnis des Vermittlungsverfahrens eine Mehrwertsteuererhöhung sein wird, die von den SPD-regierten Ländern mitgetragen wird.
Das ist vielleicht das, was diese Debatte heute doch nicht zu dem macht, was sie eigentlich sein müßte, nämlich zu der großen Diskussion über unterschiedliche finanzpolitische Konzeptionen.
Diese Konfrontation, die nicht stattfindet, hätte deutlich machen können, wohin unser Land steuern würde, wenn die SPD in die Regierungsverantwortung käme oder in der Regierungsverantwortung stünde.
*) Anlage 2Es geht zunächst um die Frage der Bestrafung der Leistungsträger und der Wirtschaft durch eine Sondersteuer, wie die SPD es fordert, oder um eine sozial verträglich gestaltete Besteuerung des Verbrauchs, nämlich eine Mehrwertsteuererhöhung unter Aussparung der Nahrungsmittel, wie die Koalition es vorsieht.Es geht weiter um die Frage, ob man den Familien das Existenzminimum für ihre Kinder steuerfrei beläßt und einen sozialen Ausgleich durch eine Erhöhung des Kindergeldes vornimmt, wie wir es vorhaben, oder ob man auch das Existenzminimum besteuert, um den Bürgern über ein höheres Kindergeld zurückzugeben,
was man ihnen vorher weggenommen hat, wie die SPD es will, Frau Matthäus-Maier.
Es geht ferner um die Frage, ob man den Betrieben, die Arbeitsplätze schaffen und sichern sollen, mehr Steuern auferlegt als allen anderen Einkunftsarten, die keine Arbeitsplätze schaffen, wie Sie es wollen, oder ob man den Unternehmen die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen durch einen Abbau überhöhter Besteuerung erleichtert, wie wir es wollen.Und es geht schließlich auch darum, ob man steuerliche Subventionen und Vergünstigungen beseitigt, wie die Koalition es vorsieht, oder ob man dem Bestreben der SPD folgt, den Subventionsabbau zwar — zumindest teilweise — mitzutragen, aber die Wirtschaft durch ein Festhalten an Sonderbelastungen, nämlich die betriebliche Vermögensteuer und die Gewerbekapitalsteuer unverändert zu lassen, zusätzlich zu belasten und noch eine Steuererhöhung durch Fortführung des Solidaritätszuschlags oben draufzusetzen.Nun hat die SPD schon einige Male signalisiert, daß sie im Bereich der Unternehmensbesteuerung sehr wohl Handlungsbedarf sieht.
Wie sie aber immer ausführt, soll das aufkommensneutral geschehen.Wir haben nun im vorliegenden Steueränderungsgesetz Erleichterungen bei der betrieblichen Vermögensteuer, die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und für kleinere und mittlere Unternehmen die Ermäßigung der G ewerbeertragsteuer vorgesehen. Diesen steuerlichen Erleichterungen stehen in ziemlich genau gleicher Höhe der die Unternehmen betreffende steuerliche Subventionsabbau und die Herabsetzung der degressiven Abschreibung für Beriebsgebäude gegenüber.In dieser ersten Stufe der Unternehmensteuerreform geht es also lediglich um eine Verbesserung der Steuerstruktur, die aufkommensneutral gestaltet ist, aber nicht, weil wir uns den Vorstellungen der SPD im Bereich der Unternehmensbesteuerung angenähert hätten. Im zweiten Teil der Unternehmensteuerreform müssen die dringend notwendigen Entlastungen kommen.Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991 4601Hermann RindAber bei diesem ersten Schritt sind die Vorstellungen der SPD zumindest insoweit erfüllt, als keine Belastung des Haushalts eintritt. Das ist neutral gestaltet. Genau hier, wo Sie Ihre Lippenbekenntnisse beschwören könnten oder müßten, kommt Ihr wahres Gesicht zum Vorschein. Sie wollen nicht nur alles beim alten belassen, also die hohe Steuerbelastung erhalten, sondern noch eines draufsatteln, also zwar steuerliche Subventionen abbauen und dadurch die Wirtschaft belasten, gleichzeitig aber den Solidaritätszuschlag gerade denen auf weitere Jahre als Zusatzsteuer abverlangen, die die Investitionen in Ost- und Westdeutschland erbringen sollen. Das ist der alte sozialdemokratische Test der Belastbarkeit der Wirtschaft, der dahintersteckt.
Beim Familienlastenausgleich geht die SPD einen steuersystematisch bedenklichen Weg. Ich will mir die Einzelheiten ersparen. Die Kurzintervention des Kollegen Gattermann hat es deutlich gemacht:
— Sie kommen nicht darum herum, die Feststellung hinzunehmen und zu ertragen: Sie wollen dem Steuerzahler Geld abknöpfen
und es dann in Form eines einheitlichen Kindergelds quer über alle streuen. Sie wollen — das müssen Sie sagen — ja auch dem Einkommensmillionär das Kindergeld geben.
Wo da Verteilungsgerechtigkeit ist, ist wirklich zu fragen
Wir halten an dem Grundsatz fest, daß die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit erfolgen muß. Dies hat zwangsläufig zur Folge, daß der Progressionswirkung auch beim Kinderlastenausgleich wie bei allen anderen Freibeträgen die Degressionswirkung gegenüberstehen muß, wenn das Steuersystem in sich stimmig bleiben soll.
— Den sozialen Ausgleich, Herr Kollege von Larcher— um Ihnen gleich auf Ihre nicht gerade neue und intelligente Äußerung zu antworten — , dessen Notwendigkeit wir nicht bestreiten, schaffen wir durch Erhöhung des Kindergelds und durch Gewährung von Transferleistungen immer dort, wo die soziale Situation der Familien dies erfordert. Das ist ein Konzept, das insgesamt sozial ausgewogen ist und der Systematik des Steuerrechts gerecht wird.
Den Verbesserungen beim Familienlastenausgleich und der Beendigung des Solidaritätszuschlags zum 30. Juni 1992 steht die Mehrwertsteuererhöhung gegenüber. Es gibt viele Gründe, die diese Mehrwertsteuererhöhung rechtfertigen. Ich nenne nur zwei: die notwendige Einigung mit den EG-Partnern und die Verbesserung der Steuerstruktur.In der Finanzwissenschaft ist unbestritten, daß die Belastung der Bürger mit direkten Steuern, also insbesondere Lohn- und Einkommensteuer, einerseits und indirekten Steuern, also Verbrauchsteuern, insbesondere der Mehrwertsteuer, andererseits etwa im Verhältnis 50 : 50 stehen soll. Wir haben in Deutschland immer noch eine Steuerstruktur, die bei etwa 60 % Belastung mit direkten Steuern und 40 % Belastung mit indirekten Steuern liegt. Dies ist leistungsfeindlich, wie jeder Arbeitnehmer mit mittlerem Verdienst an seiner Gehaltsabrechnung feststellen kann und wie es jeder Unternehmer ebenso bei den Vorauszahlungsterminen zur Einkommen- und Körperschaftsteuer immer wieder verspürt.Wir ermöglichen mit dieser Mehrwertsteuererhöhung die Finanzierung der Staatsaufgaben, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung der neuen Länder und die Ablösung des Solidaritätszuschlags, und verbessern ein klein wenig die Steuerstruktur. Dies ist die positive Seite der Erhöhung, die neben den unbestreitbar negativen Seiten genannt werden muß. Dies rechtfertigt neben vielen anderen Gründen diese Mehrwertsteuererhöhung, der auch wir natürlich die gesamtwirtschaftlichen Bedenken durchaus entgegenstellen. Aber man kann nicht immer wieder, wie es die Bundesbank tut — auch das muß hier gesagt werden —, sagen: Der Staat soll weniger Kredit am Geldmarkt aufnehmen, aber er soll auch nicht die Steuern erhöhen. — Irgendwo muß das Geld herkommen. Wenn wir auf der einen Seite Einsparpotentiale auszuschöpfen versuchen, wo immer dies möglich ist, und uns auf der anderen Seite wirklich bemühen, die Haushaltssteigerungen in sehr engen Grenzen zu halten — dies ist beim Bund der Fall, nicht unbedingt bei Ländern und Gemeinden — , muß es uns gestattet sein, diesen Weg der Ausgleichsmöglichkeit über Steuern zu gehen.
— Jetzt kommt die alte Platte wieder, Frau Matthäus-Maier.
— Wir senken die Steuern im Unternehmensbereich um etwas mehr als 6 Milliarden DM. Gleichzeitig haben wir auf der anderen Seite die Beseitigung steuerlicher Vergünstigungen um 5,308 Milliarden — um es ganz genau zu sagen, Herr Vogel. Davon betrifft der größte Teil die Unternehmen, einschließlich des Abbaus der degressiven Abschreibung. Ich glaube, das ist ein ausgewogenes Paket.
Stolz sind wir Liberalen — das werden Sie verstehen,damit komme ich zum Subventionsabbau — , daß dasZiel des Subventionsabbaus mit 5,308 Milliarden DM— ich wiederhole die Zahl gerne — erreicht worden ist.
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4602 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991
Hermann Rind— 10 Milliarden DM insgesamt, davon 5 Milliarden DM im steuerlichen Bereich und 5 Milliarden DM bei den Finanzhilfen. Wir Steuerpolitiker sind für die 5 Milliarden DM bei den Finanzhilfen zuständig. Wir haben unser Ziel erreicht, obwohl wir bereits im Rahmen des Reformgesetzes 1990 20 Milliarden DM Subventionen abgebaut haben, obwohl wir mit dem Steueränderungsgesetz 1991 die Zonenrandförderung und die Berlin-Förderung — auch Subventionstatbestände — abgebaut haben.
Wir haben jetzt noch einmal 5 Milliarden DM auf die Waage gebracht. Das war sehr schwer. Wir haben wirklich alle Phantasie aufwenden müssen, aber wir haben es geschafft. Darauf sind wir stolz.
— Das können Sie herunterreden, wie immer Sie wollen. Der Sachverhalt bleibt. Hier ist wirklich Subventionsabbau betrieben worden, der sich sehen lassen kann.
— Das glauben uns viele, vor allen Dingen diejenigen, die es spüren und von denen wir auch wollen, daß sie es spüren.
Ich will noch auf einen Punkt des steuerlichen Subventionsabbaus eingehen, der eigentlich behandelt werden sollte. Kollege Buwitt hat das schon getan; ich nehme an, andere Redner gehen auch noch auf einiges ein. Frau Schwaetzer wird zur Wohnungsbaupolitik und den einschlägigen steuerlichen Vorschriften etwas sagen.Ich glaube, auf längere Sicht ist es bedauerlich, daß die Umgestaltung der Förderung betrieblicher Mitarbeiterbeteiligungen am Ende aus dem Gesetz herausgenommen werden mußte, weil die Sozialversicherungsfreiheit nicht erreichbar war. Ich bin sicher, daß unser Vorhaben den Mitarbeiterbeteiligungen einen Aufschwung beschert hätte,
der gerade den Arbeitnehmern in den neuen Bundesländern hinsichtlich ihrer Beteiligung am Produktivvermögen zugute gekommen wäre. Ich kann nur sagen: schade.Das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz wird uns noch beschäftigen. Der Ausschuß hat — für viele relativ unbemerkt — die Förderung in den Jahren 1994 und 1995 aus dem Gesetz genommen. Ich will Ihnen auch sagen, aus welchem Grund. Wenn die Länder, wie sich das im Bundesrat angedeutet hat, den entsprechenden Ausgleichsmaßnahmen, die wir vorgesehen haben, nicht zustimmen, dann sehen wir auf der anderen Seite auch keine Veranlassung, die Zahlung der Mittel für die Jahre 1994 und 1995 auf freiwilliger Basis zu verlängern, die wir im Vermittlungsverfahren lediglich für den Zeitraum bis 1993 zugesagt haben. Ich glaube, daß wir darüber im Vermittlungsverfahren noch sprechen werden; denn dieses Thema ist uns zu wichtig — das sage ich auch imInteresse der Gemeinden hinsichtlich ihrer Verkehrsstruktur — , um es hier bei einem endgültigen Beschluß sein Bewenden haben zu lassen.Meine Damen und Herren, die rote Lampe blinkt. Ich will deswegen zum Abschluß sagen: Ich glaube, für jeden aufmerksamen Beobachter ist sehr deutlich, daß der Gegensatz in der Finanzpolitik zwischen der SPD und der Koalition wohl mit einer der tiefsten in allen Politikfeldern ist. Hier geht es um die Stabilität, die Solidität der Wirtschaftspolitik. Der Bereich Finanzpolitik und die Steuerpolitik haben eben eminente Auswirkungen auf die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen, haben eine große Bedeutung für die Sozialverträglichkeit und für all die Dinge, die noch mit der Finanz- und Steuerpolitik zusammenhängen. Deswegen ist der Gegensatz hier am fundamentalsten.Die Debatte hätte die Gelegenheit sein können, das deutlicher zu machen. Aber die Eingangsrede seitens der SPD war nicht dazu angetan; denn die alten Argumente, die wir seit fünf, sechs Jahren hören, wurden nur wiederholt.
Es kam kein neues Argument, auf das man hätte eingehen können, um so eine Debatte zu gestalten. Ich bedauere das.Ich glaube, wir sind mit unserem Programm und auch mit diesem Gesetz finanzpolitisch auf dem richtigen Weg.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Briefs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Machmal ehrt so ein bißchen Unruhe.
Die Wirtschafts- und Haushaltspolitik der Bundesregierung in dieser Zeit, in der Zeit der unmittelbaren Nachwende, zeigt auf, wohin es in der Zukunft folgerichtig weitergehen soll: in den allgemeinen Sozialabbau, in die konsequente weitere Umverteilung von unten nach oben,
in eine Gesellschaft der Reichen und Superreichen.
Das vorliegende Steuergesetz zeigt es in aller Klarheit. Denen mit mittlerem Einkommen und den Geringverdienenden, den Sozialhilfeempfängern, den Arbeitslosen, den mehr als 6 Millionen, die im reichen Westen unter der Armutsgrenze leben, werden über die Mehrwertsteuererhöhung weitere Opfer abverlangt, von den zusätzlichen Opfern der Menschen im Osten, die sich langsam daran gewöhnen müssen, daß sie einen hohen Preis — und diesen mehrfach — für den Anschluß der DDR zu zahlen haben werden, ganz zu schweigen. Die Reichen dagegen können heute bereits die Aufwendungen für ihre Dienstboten und
Dr. Ulrich Briefs
für die Privatschulen ihrer Kinder von der Steuer absetzen.
Im Zuge der Unternehmensteuersenkung werden nach diesem Steueränderungsgesetz bei Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ca. 500 Steuerpflichtigen mit einem Gewerbekapital von 100 Millionen DM und mehr im Jahre im Durchschnitt 2,3 Millionen DM geschenkt, 2,3 Millionen für diejenigen, die 100 Millionen und mehr an Gewerbekapital haben. Einem Kleinbetrieb mit bis zu 120 000 DM Gewerbekapital wird dagegen nichts geschenkt. Das ist Ihre Vorstellung von der Förderung kleiner und mittlerer Betriebe. Das trifft natürlich gerade auch die im Aufbau befindlichen Kleinbetriebe im Osten.
Oder sehen wir uns die geplante Senkung der Vermögensteuer an. 29 natürlichen Personen mit einem Vermögen von 200 Millionen DM und mehr werden im Durchschnitt pro Jahr 291 000 DM geschenkt. 97 juristischen Personen mit einem Vermögen von mehr als 500 Millionen DM werden jeweils 2,9 Millionen DM im Jahr geschenkt, 2,9 Millionen für diejenigen, die bereits 1 Milliarde und mehr besitzen. Unsozialer geht es derzeit wohl kaum mehr. Das Ganze auch noch zu Lasten der Gemeinden, die eh bei ihren Ausgaben z. B. für Sozialhilfe und für die Unterbringung von Flüchtlingen kaum mehr wissen, woher sie die Mittel nehmen sollen.
Auch um den lauthals angekündigten Subventionsabbau ist es trotz dessen, was wir gerade gehört haben, doch still geworden. Warum? Weil sich abzeichnet, daß es nicht weniger, sondern mehr Subventionen für die Unternehmen geben wird, jene Unternehmen, die in der Sozialen Marktwirtschaft heute bereits fast alle im Durchschnitt 40 000 DM Subvention im Jahr erhalten. Jedes Unternehmen in der Bundesrepublik erhält im Durchschnitt 40 000 DM Subventionen im Jahr.
So sozial ist also Ihre sogenannte Soziale Marktwirtschaft. Und was machen die von Ihnen so beschenkten Unternehmen mit den riesigen Mitteln, die ihnen von daher und auch ansonsten zufließen? Tätigen sie etwa Investitionen im Osten? Nein. Die eskalierende Arbeitslosigkeit im Osten belegt genau das Gegenteil. Sie modernisieren und erweitern ihre Kapazitäten im Westen zu Lasten der Industriestrukturentwicklung im Osten mit der Gefahr von zukünftigen weiteren erheblichen Überkapazitäten im Westen. Und alles das wird auf dem Rücken der Belegschaften im Westen wie im Osten ausgetragen werden. Aber da bauen Sie ja auch schon vor. Aus dem Subventionsabbau wird nichts; aber Sie wollen der IG Bergbau und Energie das Rückgrat brechen durch den geplanten Abbau von zigtausend Arbeitsplätzen im Steinkohlebergbau im Westen und — vergessen wir das nicht! —auch im Braunkohlebergbau im Osten. Es ist Ihr Pech, daß Sie sich mit der IG Bergbau und Energie ausgerechnet eine Industriegewerkschaft des DGB ausgesucht haben, die besonders die Sozialpartnerschaft und den sozialen Frieden fördert. Ich hoffe, die Kolleginnen und Kollegen in Hückelhoven, an der Ruhr, an der Saar, in Ibbenbüren und natürlich auch im Osten fangen an, ihre Erfahrungen mit der sogenannten Sozialen Marktwirtschaft zu überdenken.
Weitere angemessene betriebliche Unruhe wie in Hückelhoven — wir, die PDS/Linke Liste, solidarisieren uns voll und ganz mit den Aktionen der Bergarbeiter und ihrer Frauen in Hückelhoven — ist jetzt unerläßlich.
Herr Kollege, verzeihen Sie eine kleine Unterbrechung. — Ich will Sie nicht formell zur Sache rufen, nur darauf hinweisen, was der Tagesordnungspunkt ist. Das, worüber Sie jetzt reden, hatten wir gestern.
Das ist richtig. Aber das kann man nicht oft genug ansprechen.
— Nein, nein.Denn die Unverschämtheit, mit der diese Bundesregierung sich anschickt, in dieser Situation mit mehr als 5 Millionen Arbeitslosen im Osten und Westen weitere Arbeitsplätze abzubauen, muß man, denke ich, zum Dauerthema machen.Aber Ihre Wirtschafts- und Haushaltspolitik ist nur ein Element des geplanten weiteren Sozialabbaus, einer bewußt betriebenen sozial- und gesellschaftspolitischen Wende zurück in Zustände, die teilweise tatsächlich an die Frühzeit des Kapitalismus erinnern.Ihre Absichten gehen weiter. Sie haben die Gewerkschaften und ihre in der Nachkriegszeit erkämpften Rechte im Visier. Darum geht es. Dem gescheiterten Subventionsabbau und dem begonnenen Angriff auf die Gewerkschaften wird der Hauptangriff folgen. Wir warten auf den Tag, Herr Minister Möllemann und Herr Präsident, an dem Sie auf einer Pressekonferenz — Herr Minister Möllemann — die Deregulierungsoffensive vor allem gegen die Gewerkschaften, gegen die Arbeitsmarktpolitik, gegen die Tarifpolitik beginnen werden.Aber zurück zum durch und durch unsozialen Steueränderungsgesetz: Was werden wohl die von Ihnen so großzügig beschenken Unternehmen in der Zukunft machen? Im Osten investieren sie nicht. Das sehen wir ja täglich.
Der betriebliche Sozialabbau im Westen findet seit langem statt.
Ihren Beschäftigten im Westen lassen sie die geschenkten Mittel auch nicht zugute kommen. Nein,sie werden weiterhin wie wild Geld als vagabundie-
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4604 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991
Dr. Ulrich Briefsrendes Kapital an die internationalen Geld- und Kapitalmärkte bringen.
Sie werden noch mehr Investitionen im Ausland tätigen, übrigens nicht in Niedriglohnländern, nicht in der Dritten Welt, sondern vor allem in Europa, um die deutsche Vormachtstellung auszubauen. Darum geht es.
Herr Abgeordneter Dr. Briefs, ich muß Sie jetzt wirklich zur Sache rufen.
Nein, nein. Herr Präsident, Entschuldigung, aber das hat doch selbstverständlich mit dem hier angesprochenen Zusammenhang zu tun.
Ein großer Zusammenhang läßt sich in der Politik mit jedem Thema herstellen. Aber wir haben jetzt ein ganz bestimmtes Thema. Ich bitte Sie, dazu zu sprechen.
Das tue ich.
1988 wurden im ersten Halbjahr fast 7 Milliarden DM, 1989 über 7,5 Milliarden DM, 1990 fast 14 Milliarden DM und 1991 12,5 Milliarden DM an direkten Investitionen der deutschen Wirtschaft, die Sie mit diesem Steueränderungsgesetz weiter beschenken wollen, im Ausland getätigt.
Spitzenreiter unter den Anlageländern sind Irland, Belgien, Luxemburg, Großbritannien, die Schweiz.
Mit nur einem Teil dieser Mittel für direkte Auslandsinvestitionen hätten im Osten Deutschlands in mittelkapitalintensiven Fertigungsbereichen oder in neuen Beschäftigungsfeldern wie Alt- und Neubaumodernisierung, Wohnumfeldverbesserung, Stadtsanierung mehrere hunderttausend Arbeitsplätze geschaffen bzw. erhalten werden können.
Das macht aber die private Wirtschaft nicht mit, denn die Profitrate ist dort schlicht und einfach nicht hoch genug. Also muß der Staat das tun. Deshalb muß er die Unternehmensteuern erhöhen und nicht senken, wie Sie das mit dem Steueränderungsgesetz vorhaben. Dazu muß er vom überquellenden Reichtum der Wirtschaft den notwendigen Teil abschöpfen. Dazu muß er eine planvolle regionale und sektorale Industriestrukturpolitik im Osten entwickeln und betreiben.
Dazu muß er das plan- und konzeptionslose Gewurstel in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik und gerade auch der Treuhandanstalt aufgeben.
Dazu wiederum muß der finanzpolitische Schlingerkurs dieser Bundesregierung ein Ende haben. Sie sind mit Ihrem unsozialen Steueränderungsgesetz und mit der falschen Anlage Ihrer Wirtschafts- und Haushaltspolitik im Begriff,
die wirklich historische Stunde dieser Nachwendezeit nicht nur ungenutzt verstreichen zu lassen, sondern für die Zukunft des neuen Großdeutschland die Weichen in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik
und insbesondere in der Steuerpolitik auf Dauer völlig falsch zu stellen.
Verzichten Sie auf die Steuergeschenke für die hochliquide Wirtschaft. Verzichten Sie auf die Begünstigung der Reichen und Superreichen.
Sichern Sie die Mittel dort, wo heute und auch in der Zukunft der gesellschaftliche Reichtum sich in geradezu abenteuerlichem Ausmaß konzentriert. Übernehmen Sie unsere Vorstellungen: 10 % Ergänzungsabgabe auf Einkommen über 60 000 DM, 1 % nicht weniger, sondern mehr Vermögensteuer auf alle Vermögen über 500 000 DM. Verteilen Sie von oben nach unten, nicht von unten nach oben. Machen Sie Ernst mit dem Abbau von Unternehmersubventionen, und lassen Sie die Arbeitsplätze in Ruhe. Mit einem Wort: Machen Sie endlich eine soziale Steuerpolitik.
Herr Abgeordneter Briefs, ich habe Sie nicht ein weiteres Mal unterbrochen, weil sich Ihre Redezeit dem Ende näherte. Ich habe Sie auch nicht ermahnt, zum Schluß zu kommen, obwohl Sie schon ein gutes Stück über die Zeit waren. Ich sage das als Vorrede. Aber ich kündige Ihnen an: Wenn Sie ihre nächste Rede hier halten und ich hier den Vorsitz habe — ich nehme an, das gilt auch für meine Kollegen — und Sie zu etwas völlig anderem sprechen als dem, was auf der Tagesordnung steht, und der Präsident ermahnt Sie und Sie gehen nicht von Ihrem Redetext ab, wird Ihnen das Wort entzogen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen Dr. Theodor Waigel.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991 4605
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Angriff auf den Präsidenten weise ich mit Entrüstung zurück,
obwohl er das nicht notwendig hat und das Nötige selber in gewohnter Manier vorher bereits gesagt hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Ende der Bundestagsdebatte über das Steueränderungsgesetz 1992 — ich freue mich, daß wir uns einmal für ein so wichtiges Gesetzeswerk auch einige Stunden Zeit genommen haben — möchte ich allen Beteiligten am Gesetzgebungsverfahren, vor allem den Kolleginnen und Kollegen des Finanzausschusses und den Mitarbeitern im Finanzministerium, ganz herzlich für die geleistete Arbeit danken.
Das Steueränderungsgesetz 1992 ist nach dem Steueränderungsgesetz 1991, dem Solidaritätsgesetz und dem Haushaltsbegleitgesetz das vierte bedeutende Steuergesetzesvorhaben innerhalb eines Jahres. Ich weiß, wir haben die Leidensbereitschaft der Beteiligten auf eine harte Probe gestellt. Vor allem die kurzen Fristen haben das Gesetzgebungsverfahren stark belastet. Als Entschuldigung kann ich nur die Sondersituation im Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung vorbringen. Im Interesse aller Beteiligten wollen wir künftig wieder auf den normalen Weg der Gesetzesvorbereitung zurückkehren.
Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen halten an der steuerlichen Entlastung der Betriebe und der Arbeitsplätze sowie der Familien fest. Unsere Konzeption beschreibt den richtigen Weg zur Lösung der unaufschiebbaren steuerpolitischen Aufgaben. Was wir vor Beginn des Wiedervereinigungsprozesses entworfen hatten, ist heute genauso vordringlich.Die Alternative der SPD zu der von uns vorgesehenen sozial verträglichen Mehrwertsteuererhöhung ist die Umwandlung des Solidaritätszuschlages in einen längerfristig wirksamen Zuschlag zur Einkommen-und Körperschaftsteuer. Sie wollen, meine Damen und Herren von der SPD, die neue Abgabe auf die Bezieher höherer Einkommen beschränken. Wenn es später darum geht, diese neue Abgabe auslaufen zu lassen, werden Sie protestieren und behaupten: Das ist eine unerträgliche Steuerentlastung für die Besserverdienenden.
Meine Damen und Herren, auf ein solches Spiel lassen wir uns nicht noch einmal ein.
Denn Sie haben uns in den 70er Jahren einmal vorgeführt, daß Sie eine ursprünglich befristete Ergänzungsabgabe in den Einkommensteuertarif eingebauthaben. Wissen Sie, wer mich davor gewarnt hat und wer mir immer wieder gesagt hat: Lassen Sie sich darauf nicht ein; ich weiß, wie das gelaufen ist? — Niemand anders als Professor Karl Schiller. Er ist ein guter Kronzeuge in diesem Zusammenhang.Die von uns vorgesehene steuerliche Entlastung der Betriebe und Arbeitsplätze durch die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und die Senkung der betrieblichen Vermögensteuern bezeichnet die SPD — so der Kollege Poß im „Sozialdemokratischen Pressedienst WIRTSCHAFT" — als nicht vertretbare Steuersubvention. Das gibt dem bisher eher negativen Begriff der Subvention einen ganz neuen Klang. Wenn die Abschaffung von Steuern oder deren Senkung jetzt als Subvention eingeschätzt wird, dann bekenne ich mich gerne dazu, am größten Subventionsaufbau in der deutschen Finanzgeschichte, nämlich der Steuersenkung 1986 bis 1990 mit einem Gesamtvolumen von 50 Milliarden DM mitgewirkt zu haben.
Aber es ist natürlich eine völlige Verkehrung der Tatsachen, von Subventionen zu sprechen, wenn wir den Betrieben und den übrigen Steuerzahlern einen größeren Teil dessen belassen, was sie durch eigene Anstrengungen und Investitionen erworben haben.Im übrigen setzen wir mit den Steuerentlastungen im betrieblichen Bereich auf die gleichen wachstumsfördernden Instrumente, auf die auch die SPD in ihrer Regierungszeit zuweilen zurückgegriffen hat. In den 70er Jahren hat die sozialliberale Koalition die Freibeträge bei der Gewerbesteuer erhöht, die Vermögenssteuersätze gesenkt und die Lohnsummensteuer abgeschafft.Was damals richtig war, kann doch aus Ihrer Sicht heute nicht plötzlich das falsche Rezept sein. Die SPD hat sich übrigens selbst, so z. B. auf ihrem Parteitag in Münster 1988, für eine Reform der Unternehmensbesteuerung ausgesprochen.
Damals wurde beschlossen — ich zitiere — : „Die industriepolitische Erneuerung in der Bundesrepublik Deutschland macht auch eine Reform der Unternehmensbesteuerung notwendig." Herr Kollege Vogel hat sich noch 1989 für eine aufkommensneutrale Lösung nach dem Vorbild der US-Steuerreform eingesetzt.
— Entschuldigung, es genügt doch schon, wenn ich Herrn Vogel zitiere. Dann müssen Sie sich doch nicht unbedingt noch zwischen Vogel und meine Ausführungen dazwischenklemmen.
— Das ist ihr Recht. Jawohl, das akzeptiere ich. Aber der Kollege Vogel darf doch auch einmal alleine stehenbleiben. So ist es ja nicht.
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4606 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991
Bundesminister Dr. Theodor WaigelFür eine Kompensationslösung haben sich übrigens auch die Ministerpräsidenten einschließlich derjenigen aus den SPD-regierten Ländern auf ihrer Konferenz vom 28. Februar dieses Jahres ausgesprochen.Wenn die SPD unseren Argumenten nicht folgen will, dann ist das im Zusammenhang mit der Rollenverteilung zwischen Regierung und Opposition verständlich. Aber vielleicht glauben Sie der Industrie-und Handelskammer der Vereinigten Staaten in Deutschland; auf sie hat heute schon ein Kollege hingewiesen. Diese von der Regierung in keiner Weise abhängige Institution hat in einer in der letzten Woche veröffentlichten Umfrage ermittelt: Deutschland gilt aus der Sicht der befragten Investoren als Höchststeuerland unter den Industrienationen.Wir müssen es doch ganz nüchtern sehen: Natürlich haben wir ein Steuersystem, das auch seine großen Vorteile hat und das mit seinen Abschreibungen in manchen Dingen flexibler als die Steuersystematik in anderen Ländern ist. Aber bei den langfristig angelegten Investitionen und bei der langfristigen Verlagerung von Kapital zählen in der Welt in erster Linie die Steuersätze und die Höchststeuersätze; sie werden addiert. Wir werden es durch noch so starkes Darstellen unseres Steuersystems nicht schaffen, diesen Nachteil in der internationalen Darstellung auszugleichen. Darum muß unsere Zielsetzung dahin gehen, zu niedrigeren Steuersätzen und auch zu niedrigeren Höchststeuersätzen zu kommen.
Da helfen keine noch so ausgefeilten finanzwissenschaftlichen Untersuchungen. Hier helfen nur wirkliche Steuersenkungen, die wir mit dem Steueränderungsgesetz 1992 verwirklichen wollen.Mit der deutlichen Rückführung der Substanzsteuern wollen wir einen schwerwiegenden strukturellen Mangel der deutschen Unternehmensbesteuerung beseitigen, denn Vermögensteuer und Gewerbekapitalsteuer belasten das Risikokapital und damit die Grundlage für Investitionen und Arbeitsplätze. Mit dem, was wir uns vorgenommen haben, verwirklichen wir nicht mehr als das absolut Notwendige. Wir werden keinen Vorsprung im Verhältnis zu unseren Partnern im europäischen Markt erzielen, sondern uns lediglich dem Standard annähern, den andere bereits gesetzt haben. Wenn die SPD ihren Widerstand aufrechterhält, setzt sich Deutschland im internationalen Geleitzug der Steuersenkungspolitik an die letzte Position.Der Vorwurf, wir machten den Industriestandort Deutschland schlecht — das ist so ziemlich das letzte, was ich bisher in diesem Hause und anderswo gehört habe.
Wir haben die Glaubwürdigkeit der deutschen Finanzpolitik in den letzten acht Jahren überhaupt erst wieder hergestellt.
Sie marschieren durch die Lande, und während ich den Standort Deutschland finanzpolitisch, industriepolitisch und gesamtpolitisch vertrete, fallen Sie mir bisweilen in den Rücken und tragen damit dazu bei,
die internationale Glaubwürdigkeit Deutschlands nicht zu befördern, wobei ich sagen möchte, daß die Mitglieder Ihrer Delegation bei der Jahrestagung von IWF und Weltbank in einer ausgezeichneten Solidarität der gesamten Gruppe mitgearbeitet haben. Ich möchte mich bei den Mitgliedern der Delegation für diese Solidarität ausdrücklich bedanken. Sie steht im umgekehrt proportionalen Verhältnis zu dem, was der Kollege Roth und Sie schon ein paarmal gesagt haben.
Meine Damen und Herren, immer wieder wird fälschlich behauptet, wir könnten uns Steuersenkungen angesichts der gewaltigen Herausforderungen durch die Wiedervereinigung gar nicht leisten. Das Gegenteil ist richtig. Gerade angesichts der nationalen Herausforderungen dürfen wir uns nicht auf die Gestaltung von Transfermechanismen beschränken. Wir müssen vielmehr die Wachstumsgrundlagen stärken, wenn wir eine der größten Aufgaben unserer Geschichte lösen wollen.Wachstum ist keine Selbstverständlichkeit. Wir haben neun Jahre Wirtschaftsaufschwung nur erreicht, weil wir die Steuern in Struktur und Umfang immer wieder mit dem Ziel der Investitions- und Wachstumsförderung angepaßt haben.Die Wirtschaftsforschungsinstitute haben auf denkbare Konjunkturrisiken, die vor allem auch von der Weltwirtschaft ausgehen, hingewiesen. Nur wenn wir in der Steuerpolitik aktiv bleiben, schaffen wir Vorsorge gegen eine länger andauernde Wachstumsabschwächung. Es gibt keine andere Industrienation, die so wie wir neun Jahre hintereinander einen solchen Wachstumspfad erreicht hätte, keine andere Industrienation!
Meine Damen und Herren, wenn man sich einmal die Finanzdaten der G 7 ansieht, dann stellt man fest, daß wir in fast allen Punkten an zweiter, bisweilen an erster und mindestens an dritter Stelle stehen.
Das sind wir, obwohl wir im Augenblick eine Jahrhundertaufgabe für eine Nation bewältigen, Probleme, mit denen die anderen Industrienationen derzeit nichts zu tun haben.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991 4607
Bundesminister Dr. Theodor Waigel— Wieso man an dieser Stelle — — Entschuldigung, dieser Zuruf kam von der PDS; dann wundert es mich nicht. Wenn der Zwischenruf an dieser Stelle von der SPD gekommen wäre, dann hätte mich das gewundert, denn in dieser Frage sollten wir doch gemeinsamer Meinung sein. Von Ihnen aber erwarte ich wirklich nichts, aber auch gar nichts.
Wenn jemand, der den Untergang eines Teils unseres Vaterlandes im ökonomisch, ökologischen und sonstigen Bereich
so herbeigeführt hat wie Sie, so etwas sagt, dann ist das schon eine Unverschämtheit. Und diese Frechheiten muß man sich hier dann noch anhören!
Aber es gehört auch zur Demokratie, das ertragen zu können.
— Ihnen würde es zustehen, daß es Ihnen schlechter geht. Das kann ich Ihnen sagen.
Den anderen Menschen geht es Gott sei Dank besser.Meine Damen und Herren, vor allen Dingen für die neuen Bundesländer würde der Verzicht auf die Substanzsteuerentlastung erhebliche wirtschaftliche Nachteile mit sich bringen; denn ohne die Verabschiedung des Steueränderungsgesetzes würden dort ab 1993 Investoren erstmals durch Steuern auf das Betriebsvermögen belastet.Würden wir der SPD folgen, handelten wir wie ein Unternehmen, das in schwierigen Zeiten die modernen Produktionsmaschinen verkauft. Wir würden uns den Weg verbauen, unsere Aufgaben aus eigener Kraft zu lösen.
Ich wundere mich über die Unbelehrbarkeit, mit der die SPD die verlorenen Schlachten von gestern immer wieder aufs neue beginnt. Bei allen Steuerentlastungen in den 80er Jahren hat man uns vorgeworfen, wir würden die öffentlichen Kassen plündern.
Das Gegenteil ist eingetreten. Von 1983 bis 1990 stiegen die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden durch wesentlich verstärktes Wachstum um insgesamt 45 %.Meine Damen und Herren, es gibt zwei Phasen der deutschen Finanzpolitik: eine Phase von den 70er Jahren bis Anfang der 80er Jahre, wo man versucht hat, durch Steuererhöhungen die Probleme zu lösen. Das Ergebnis in den Jahren 1981/82 ist bekannt.
Seit 1982 versuchen wir Konsolidierung und Steuerentlastung gleichzeitig in einer vernünftigen Symbiose durchzuführen. Das Ergebnis ist bekannt: neun Jahre Wachstum, die höchste Beschäftigtenzahl, die es je gegeben hat, Millionen neuer Arbeitsplätze und die finanzpolitische Voraussetzung,
um die deutsche Einheit und um Demokratie und Marktwirtschaft in ganz Europa zu befördern. Das ist unsere Bilanz.
Diese Entwicklung findet einen exemplarischen Ausdruck in einer Überschrift der „Frankfurter Rundschau" vom 2. Oktober 1991. Es heißt dort wörtlich: „Steuerregen hilft Land bei den neuen Aufgaben". Im Text heißt es dann:Weil Hessen entsprechend der bundesweit angestellten Schätzung 1992 mit 7,8 Prozent Steuermehreinnahmen rechnen kann, bleibt der Etatentwurf trotz des deutlichen Zuwachses um rund 100 Millionen Mark unter der verfassungsmäßigen Verschuldensgrenze.Man hätte eigentlich schreiben müssen: Die erfolgreiche Steuerpolitik der Bundesregierung verhindert Verfassungsbruch in Hessen. Das wäre die richtige Überschrift gewesen.
Natürlich freue ich mich, wenn es uns gelingt, durch unsere Anstrengung die SPD an einem Verfassungsbruch zu hindern. Das freut mich natürlich, obwohl ich nicht auf die hessische Verfassung vereidigt bin.Meine Damen und Herren, neben die steuerliche Förderung der Betriebe, Investitionen und Arbeitsplätze stellen wir mit etwa gleichem Volumen die steuerliche Entlastung der Familien. Von sozialer Unausgewogenheit kann schon deshalb überhaupt keine Rede sein. Die steuerliche Freistellung der Unterhaltsleistungen für Kinder hat hohe Priorität.
— So ist es, genau. Wenn etwas Verfassungsgebot ist, dann darf es doch trotzdem hohe Priorität haben. Das widerspricht sich doch nicht.
— Ich lasse mir ja jeden Einwand gefallen; aber jeden dummen nicht.
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4608 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991
Bundesminister Dr. Theodor WaigelDas Kindergeld hat seine Funktion als Instrument des sozialen Ausgleichs. Aber es wäre völlig falsch, den Familien erst über eine viel zu hohe Steuerlast die Mittel für den Kindesunterhalt zu nehmen, um es ihnen dann als soziale Wohltat über ein umfassendes bürokratisches Kindergeldsystem wieder zurückzugeben.Die deutliche Anhebung des Kinderfreibetrages ist wie die Steuerentlastung der Betriebe und Arbeitsplätze eine Investition in die Zukunft. Wir haben immer großen Wert darauf gelegt, daß Familienpolitik und Wirtschaftspolitik keine Gegensätze sind. Beides bedingt sich. Wir verwirklichen mehr Steuergerechtigkeit, stärken die Familien und damit die Stabilität und Entwicklungsfähigkeit unserer Gesellschaft.Die Steuerentlastung der Familien ist nur finanzierbar, wenn der Bundesrat der Anhebung des Normalsatzes der Mehrwertsteuer um 1 % zustimmt. Ich verstehe im Grunde genommen immer noch nicht, warum die SPD bei der Mehrwertsteuer eine künstliche Abwehrfront aufgebaut hat. Die SPD-regierten Länder brauchen die Mehrwertsteuererhöhung mindestens ebenso dringend wie die übrigen Bundesländer und der Bund.Die SPD hatte übrigens in ihrer Regierungszeit überhaupt keine Bedenken gegen Verbrauchsteuererhöhungen und hat selber die Mehrwertsteuer zweimal erhöht. Bei wesentlich schwächer ausgeprägter sozialer Sensibilität haben Sie damals im Gegensatz zu der jetzt angestrebten Lösung auch den ermäßigten Steuersatz auf Güter des täglichen Bedarfs angehoben.An einer angeblichen negativen Umverteilungswirkung der Mehrwertsteuer ist nichts dran. Sowohl das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in einer Untersuchung von 1983 als auch andere wissenschaftliche Arbeiten haben eine weitgehend ausgeglichene Belastungswirkung festgestellt. Wir kommen um eine Umsatzsteuererhöhung nicht herum, weil im Rahmen der EG-Steuerharmonisierung eine Anpassung an den vorgesehenen Mindestsatz von 15 % ohnehin erforderlich ist.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, hören Sie doch endlich mit dem Märchen auf, wir hätten die Steuererhöhung in Europa durchgesetzt, um sie hier einzuführen. Durch Wiederholung wird das doch nicht wahrer. Ich nehme Sie gerne mit, damit Sie sich das einmal von Pierre Beregovoy und von anderen, von Sozialdemokraten oder sozialistischen Freunden in Europa, sagen lassen. Sie können das ja angreifen; aber behaupten Sie doch nicht etwas wirklich erkennbar Falsches! Ich nehme Sie gerne mit, damit Sie sich in einem direkten Gespräch einmal informieren.
— Also, dann nicht gerne, aber ich nehme Sie mit.
— Herr Präsident, ich beabsichtige noch ein paar Minuten zu sprechen und wäre Ihnen dankbar, wenn Siedie rote Lampe hier auf meinem Pult abschalten könnten.
Herr Bundesminister, der Parlamentarische Geschäftsführer Kraus hat soeben Redezeitverlängerung beantragt.
Also, die rote Lampe soll Sie nicht stören.
Ich bedanke mich, Herr Präsident, daß Sie mir so gewogen sind. — Sie leuchtet aber immer noch, Herr Präsident!
Die Bundesregierung gestaltet ihre Steuerpolitik nicht gegen die Steuerzahler. Auch im Bereich des problematischen Abbaus von steuerlichen Subventionen und Sondervergünstigungen haben wir die besondere Belastung einzelner Gruppen vermieden. Deshalb ist es der SPD trotz sicherlich intensiver Bemühungen nicht gelungen, Interessengruppen gegen unsere Abbauvorschläge zu mobilisieren. — Es leuchtet schon wieder, Herr Präsident!
Verzeihung, Herr Minister, es leuchtet noch immer, weil auf diese Weise die zusätzliche Redezeit gemessen wird; aber das braucht Sie nicht zu stören.
Wenn es wenigstens schwarz leuchten würde und nicht rot!
Wir haben von Anfang an das Gespräch mit den Betroffenen gesucht, um beim steuerlichen Subventionsabbau zu praxisgerechten Lösungen zu kommen. In einigen Punkten wurde der ursprüngliche Gesetzentwurf noch abgeändert, ohne das angekündigte Abbauziel von 5 Milliarden DM zu unterschreiten.Ich möchte mich bei den Kolleginnen und Kollegen der Arbeitsgruppe der Koalition für diese intensive, gelungene, schwierige und großartige Arbeit sehr herzlich bedanken.
Meine Damen und Herren, bei der im Gesetzentwurf vorgesehenen Absenkung der degressiven Abschreibung bei Betriebsgebäuden von 10 auf 7 % ist es geblieben. Die Gesamtabschreibungsdauer wird jedoch nicht verlängert, sondern bleibt bei 25 Jahren.Der Finanzausschuß hat die ursprünglich vorgesehene Änderung im Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz noch einmal modifiziert. So soll grundsätzlich die Programmkompetenz für den öffentlichen Personennahverkehr vom Bund auf die Länder übergehen. Der Bund soll seine Zuständigkeit für Projekte herausgehobener Bedeutung über 100 Millionen DM behalten.Meine Damen und Herren, zum Thema Wohnungsbauförderung ist hier vorher schon das Notwendige
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991 4609
Bundesminister Dr. Theodor Waigelgesagt worden. Auch die Kraft-Wärme-Kopplung wird gefördert.Das wichtige Anliegen, die Zukunftsvorsorge der Selbständigen steuerlich stärker zu berücksichtigen, konnte in das Steueränderungsgesetz 1992 noch nicht aufgenommen werden. Möglicherweise ergibt sich hierfür jedoch ein Anknüpfungspunkt bei der Neuformulierung der Zinsbesteuerung, über die wir am Montag und am Dienstag endgültig entscheiden wollen, bevor wir sie dann dem Parlament vorlegen.Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir werden heute nicht das letzte Mal über den vorliegenden Gesetzentwurf sprechen. Die SPD hat ihre Ablehnung im Bundesrat deutlich gemacht. Wir werden sehen, wo wir uns verständigen können. Kompromißlosigkeit ist keine Ausgangsbasis für Verhandlungen.Der Entwurf, der jetzt dem Bundestag zur abschließenden Beratung vorliegt, ist eine geschlossene Konzeption. Ich muß das Licht jetzt zuhalten, weil es immer noch rot leuchtet. — Der Entwurf enthält Steuerentlastungen ebenso wie Finanzierungsvorschläge. Er begünstigt die Betriebe und Arbeitsplätze ebenso wie die Familien mit Kindern und die Wohnungssuchenden. Er stärkt die Investitionskraft kleiner, mittlerer und großer Unternehmen, und er berücksichtigt die Interessen aller Gebietskörperschaften an einer angemessenen Finanzausstattung. Wir wollen das Gleichgewicht dieser Konzeption nicht zerstören.Was nun die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden anbelangt, ist es kein Schwarzes-PeterSpiel. Wir haben gerade auch beim Subventionsabbau darauf geachtet, daß auch Länder und Kommunen hierbei entsprechend berücksichtigt werden.Der Weg zu einem Kompromiß wird für beide Seiten leichter zu gehen sein, wenn wir auf eine platte Umverteilungsdemagogik verzichten. Was sozial verantwortliche Politik ist, läßt sich nicht allein aus dem Steuerrecht ablesen. Entscheidend sind die ökonomischen Erfolge, die Gewinne an Einkommen, Beschäftigung und sozialer Handlungsfähigkeit, die wir im Interesse der Menschen erzielen.Die auch heute wieder von manchen Rednern der SPD beschworene Aufteilung unserer Gesellschaft in oben und unten ist ein Zerrbild der Realität. Die Menschen lassen sich nicht in Klassen einteilen. Wir fühlen uns allen Menschen und nicht nur einer Klasse gegenüber verantwortlich.
Wir wollen weiterkommen, und wir wollen die Lebensverhältnisse in Ost und West verbessern und annähern. Das Ihnen vorliegende Steueränderungsgesetz 1992 wird uns auf diesem von uns eingeschlagenen Weg voranbringen. Ich bitte um Ihre Zustimmung.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat Herr Kollege Dr. Norbert Wieczorek.
Herr Finanzminister, Sie haben eben in Ihrer Rede um eines Redegags willen einem Land, das eine sehr verantwortliche Finanzpolitik macht, unterstellt, daß es einen Verfassungsbruch beabsichtigt habe.
Nehmen Sie erstens zur Kenntnis, daß genau dieses Land, nämlich mein Heimatland Hessen, das Land ist, das Ihren verfehlten Finanzausgleich, den Sie bisher nicht ordentlich hinbekommen haben, weswegen wir uns alle in Karlsruhe streiten, als Hauptlastträger zu tragen hat.
Nehmen Sie zweitens zur Kenntnis, daß alle Haushaltsplanungen des Landes Hessen — ich kenne sie alle aus diesem Jahr; wie es vorher war, als Sie einmal für vier Jahre als Zwischenspiel an der Regierung waren, weiß ich nicht — , immer davon ausgingen, daß die Verschuldungsgrenze in der Haushaltsplanung des Landes Hessen selbstverständlich eingehalten wird, unabhängig davon, ob sich jetzt die Steuereinnahmen als höher herausstellen, als Ihre eigenen Schätzungen auswiesen.
Herr Bundesminister Waigel zur Erwiderung.
Ich hätte es begrüßt, Herr Kollege Wieczorek, wenn Sie den Humor in meinen Ausführungen mitbekommen hätten.
Dann hätten Sie nämlich gemerkt, daß ich wie Sie darüber befriedigt bin, daß wegen der Finanz- und Steuerpolitik des Bundes Hessen keine Probleme mit der Verfassung in seiner Finanzpolitik des nächsten Jahres hat.
Ich erteile dem Abgeordneten Manfred Hampel das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bereits mit dem Steuer- und Abgabenpaket 1991 sind unsere Bürger durch die Heraufsetzung der Sozialversicherungsbeiträge und der Telefongebühr sowie der Erhöhung von Lohn-, Einkommen-, Körperschaft-, Mineralöl-, Tabak- und Versicherungssteuer erhöhten Belastungen ausgesetzt. Mit dem Steueränderungsgesetz 1992 wird durch die Erhöhung der Umsatzsteuer auf 15 % noch einmal kräftig zugelangt.
Damit kommen auf die Bürger nach Ermittlung des Karl-Bräuer-Instituts Mehrbelastungen von insgesamt ca. 31 Milliarden DM im Jahre 1991, ca. 41 Milliarden DM im Jahre 1992 und mindestens 50 Milliarden DM ab 1993 zu.Auch wenn es inzwischen monoton klingt: Nach den von mir genannten Zahlen muß auf die Absichtserklärungen der Bundesregierung hingewiesen werden, die bis zur Bundestagswahl 1991 immer wieder erklärte, Finanzierungsprobleme im Bundeshaushalt durch strenge Ausgabendisziplin und Sparsamkeit zu lösen. Von letzterem, Herr Waigel, war nicht viel zu
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4610 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991
Manfred Hampelerkennen, um so mehr von der bis dato verneinten Steuer- und Abgabenerhöhung.Sie haben Frau Matthäus-Maier und der Opposition soeben vorgeworfen, sie würden Ihnen durch ihre Kritik in den Rücken fallen. Ich möchte Ihnen dazu sagen: Erstens ist es Aufgabe der Opposition, eine falsche Steuer- und Finanzpolitik zu kritisieren, und zweitens sind Sie ja wohl von Ihnen nahestehenden Verbänden, der Bundesbank sowie der OECD noch nie so stark kritisiert worden, wie gerade diesmal.
Vertrauen in die D-Mark ist sicher ein wesentlicher Punkt, wenn man bedenkt, daß 20 % der Weltwährungsreserven in D-Mark gehalten werden.Ich möchte jetzt aber ein bißchen auf das Verfahren zu dem vorliegenden Steueränderungsgesetz eingehen. Als Neuer im Bundestag und im Finanzausschuß ist das Steueränderungsgesetz 1992 für mich das zweite Gesetzgebungsverfahren, an dem ich mitarbeiten konnte. Bisher glaubte ich immer: Gesetze werden ordentlich vorbereitet, die betroffenen Gruppen erhalten ausreichend Zeit, um Stellung zu nehmen,
und die Parlamentarier können sich in einer nur durch Sorgfalt bestimmten Arbeitsweise mit dem Gesetzestext befassen. Um es vorwegzunehmen: Das Verfahren zum vorliegenden Steueränderungsgesetz entsprach diesen Anforderungen in keiner Weise. Hektisch und chaotisch sind wohl noch die mildesten Attribute.
Eine Entschuldigung kann auch nicht immer mit Hinweis auf die deutsche Einheit gegeben werden. Bisher mußte sie für alles herhalten. Wir müßten wirklich einmal zu einer ordentlichen und konzeptionell durchdachten Arbeitsweise kommen.Eine ordentliche Arbeit ist einfach nicht möglich, wenn Abgeordnete einen Tag vor der Beratung im Finanzausschuß einen Stapel von mehr als 130 Umdrucken in einem Umfang von ca. 250 Schreibmaschinenseiten erhalten,
die zum Teil eine komplette Überarbeitung des Gesetzestextes sind. Diese Umdrucke wurden zum Teil noch unmittelbar vor oder auch während der Ausschußsitzung durch Neufassungen ausgetauscht oder ergänzt.Vorgestern war das Chaos gegen Ende der abschließenden Sitzung komplett. Wir Sozialdemokraten haben uns zum Schluß folgerichtig nicht mehr an den Abstimmungen beteiligt. Es wäre schon eine Überlegung wert, ob die Regierung Kohl das nächste Steueränderungsgesetz nicht besser von Poeten schreiben lassen sollte.
— Poeten! —
Vielleicht hätten wir dann wenigstens Vergnügen an schönen Formulierungen.
Jeder Geflügelzüchterverein wendet für die Erarbeitung seines Status mehr Sorgfalt auf als die Bundesregierung für einen Gesetzentwurf, von dem zig Millionen Menschen direkt betroffen sind. Die ernsthafte Frage muß in diesem Zusammenhang erlaubt sein, inwieweit noch Regierungskompetenz gegeben ist, wenn ein Gesetz in dieser Form entsteht.An dieser Stelle möchte ich einen Dank an das Sekretariat des Finanzausschusses aussprechen.
Sie haben unter dem Chaos wahrscheinlich mehr gelitten als die Abgeordneten, trotz allem eine hervorragende Arbeit geleistet und maßgeblich dazu beigetragen, daß wir Parlamentarier nicht die Übersicht verloren haben. Künftig werden wir keiner Verkürzung der Vorlagefristen mehr zustimmen, einfach um das Sekretariat zu schützen. Zum Beispiel lag der gedruckte Bericht zu der heutigen Gesetzesvorlage erst zwanzig Minuten vor Beginn der Beratung vor.
Mit der Mehrwertsteuererhöhung blieb die Bundesregierung stur, trotz aller eindringlichen Warnungen, die in der Anhörung zum Gesetzentwurf am 9. Oktober von der versammelten Fachkompetenz aus Wissenschaft, Wirtschaft und Banken vorgebracht wurden. Warum schlägt die Bundesregierung alle Warnungen hinsichtlich der Risiken für Beschäftigung, Wirtschaftsentwicklung und Geldwertstabilität in den Wind? Glauben Sie wirklich, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, daß Sie einer der großen Herausforderungen in diesem Jahrhundert, der Umwandlung einer administrativen Planwirtschaft in eine soziale Marktwirtschaft, mit den bisher praktizierten Mitteln tatsächlich gewachsen sind?Für die neuen Bundesländer ist die Umsatzsteuererhöhung in besonderem Maße problematisch. Einmal sind durch die geringen Einkommen der Bürger in den neuen Bundesländern die Belastungen sozial besonders ungerecht. Daran ändert auch die Beibehaltung des ermäßigten Steuersatzes nicht viel. Zum anderen besteht sowohl in den Ländern und den Kommunen als auch in den privaten Haushalten ein enormer Nachholbedarf an Investitionen, Handwerksleistungen und Einrichtung. Für die Gemeinden bedeutet das: Was die eine — öffentliche — Hand einnimmt, gibt die andere — öffentliche — Hand wieder aus. Im privaten Bereich wächst die Gefahr, in Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft auszuweichen. Was das für die im Aufbau befindlichen Handwerksbetriebe bedeutet, ist leicht nachzuvollziehen. Für Unternehmen in den neuen Bundesländern ergeben sich zusätzliche Wettbewerbsnachteile. Auf Grund der geringen Wett-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991 4611
Manfred Hampelbewerbsfähigkeit ist es für viele ostdeutsche Unternehmen schwieriger als für westdeutsche,
die erhöhte Mehrwertsteuer auf die Preise abzuwälzen. Dadurch werden diese Unternehmen in ihrer Produktions- und Investitionstätigkeit weiter gehemmt.
Viel besser wäre es, diese Mittel in die neuen Bundesländer zu investieren, damit endlich ein Aufschwung zustande kommt, der sich selbst trägt. Eine Unternehmensteuerreform, bei der das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit besser zu tragen kommen, kann wohl erst dann durchgeführt werden, wenn beim Aufbau der neuen Bundesländer das Gröbste geschafft ist.
Aber diese Reform muß wohlüberlegt erfolgen, alle Komponenten der Unternehmensbesteuerung umfassen und die Interessen der Länder und Kommunen besser berücksichtigen, als das beim vorliegenden Gesetzentwurf der Fall ist.Der großspurig angekündigte Abbau von Steuersubventionen in Höhe von 5 Milliarden DM hat sich inzwischen endgültig als ein einziger Schlag ins Wasser erwiesen. Die Bundesregierung und die Koalitionsparteien haben hier auf der ganzen Linie versagt. Bereits in dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf waren von den angekündigten 5 Milliarden DM, wie der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Joachim Grünewald bestätigt hat, ganze 883 Millionen DM, davon 222 Millionen beim Bund, für das Jahr 1992 übriggeblieben.
In den parlamentarischen Beratungen im Finanzausschuß sind die Koalitionsfraktionen beim Subventionsabbau endgültig eingeknickt. Im Ergebnis werden jetzt die Steuersubventionen im Sinne des Subventionsberichts durch das Steueränderungsgesetz 1992 nicht abgebaut, sondern sogar noch angehoben.
— Ich komme noch dazu.Um das ganze Ausmaß der Pleite vor der Öffentlichkeit zu verbergen, wurden die Schätzungen des Bundesfinanzministeriums an verschiedenen Stellen willkürlich erhöht, um doch noch zu Mehreinnahmen zu kommen. Hier gebe ich Herrn Rind völlig recht: Die Phantasie, die Sie da entwickelten, war wirklich sehr gut, z. B. bei der Besteuerung überdotierter Unterstützungskassen, bei der Anhebung des Lohnsteuerpauschsatzes für bestimmte Zukunftssicherungsleistungen und bei der Zugriffsbesteuerung ausländischer Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter.
Völlig zu Recht spricht deshalb die „Wirtschaftswoche" in ihrer heutigen Ausgabe von einem beschämenden Ergebnis und einem großangelegten Etikettenschwindel. Das können Sie nachlesen; ich habe die Zeitung mit.
Zur Wohneigentumsförderung und zum wohnungspolitischen Programm hatten wir am 17. Oktober im Ausschuß die Expertenanhörung. Glücklicherweise haben wir sogar das wohnungspolitische Konzept der Bundesregierung noch ein paar Stunden vor der Anhörung bekommen.Das Verwirrspiel von Pressemeldungen der Bundesbauministerin und tatsächlichen Ausschußvorlagen hatte einen kaum zu übertreffenden Höhepunkt. Einen Mangel möchte ich an dieser Stelle feststellen, der nicht nur für diese, sondern auch für alle anderen Anhörungen vor dem Finanzausschuß gilt.Die spezifischen Interessen der neuen Bundesländer wurden von den Experten kaum wahrgenommen. Es muß überlegt werden, wie die besondere Interessenlage, die noch für ein paar Jahre bestehen wird, besser in das Gesetzgebungsverfahren einfließt.Mein Kollege Otto Reschke wird über die Wohnungspolitik reden. Deshalb will ich mich nur auf ein paar kurze Bemerkungen im Hinblick auf die neuen Bundesländer beschränken.Die Maßnahmen sind durch die Beibehaltung des alten Systems der progressionsabhängigen Forderung nicht dazu angetan, geringere und mittlere Einkommensbezieher, wie sie in den neuen Bundesländern überwiegen, zur Bildung von Wohneigentum zu mobilisieren. Privates Kapital wird deshalb kaum für die Schaffung von Wohneigentum freigesetzt. Die schon jetzt katastrophale Wohnraumsituation wird weiter verschärft. Eine Systemumstellung in eine progressionsunabhängige Förderung mit Auszahlung einer Negativsteuer oder aber eine direkte Zulage, die auch mittlere und kleinere Einkommensbezieher in die Lage versetzt, Wohneigentum zu schaffen, bleibt nach wie vor eine Hauptforderung der Sozialdemokraten.Ein Flop waren wohl auch die Motorbootbesteuerung und die Einführung der Einzelbesteuerung von Anhängern. Nach der Schnellschußmethode sollte mit der Motorbootbesteuerung die Kraftfahrzeugsteuer ausgedehnt werden, ohne daß zuvor deren Sinnhaftigkeit in Aufwand und Ergebnis ausreichend geprüft worden ist. Aus umweltpolitischen Gesichtspunkten ist es sicher erforderlich, den Motorbootverkehr auf unseren Binnengewässern einzuschränken; das ist unbestritten. Aber mit dem Ordnungsrecht ist das sicher viel einfacher möglich als mit dem Steuerrecht.
Warum sollen, um es mit Herrn Gattermann zu sagen, auf unseren Gewässern nur noch ein paar Reiche herumdüsen dürfen, die sich eine solche Steuer leisten können?
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4612 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991
Manfred HampelDie Einzelbesteuerung von Anhängern hat wenig mit Subventionsabbau zu tun. Die Wettbewerbssituation des deutschen Güterfernverkehrs hätte sich in Europa weiter verschlechtert. Die Aufhebung der von der Regierung Schmidt eingeführten Anhängerregelung wäre aus verkehrs-, wirtschafts- und steuerpolitischen Erwägungen nicht vertretbar.
Zum Schluß möchte ich noch auf den Art. 18 eingehen, der ein sehr spezielles, nur die neuen Bundesländer betreffendes Problem behandelt, nämlich die Änderung des Steuerberatungsgesetzes. Bisher wird die Steuerberatung von den Bürgern in den neuen Bundesländern eher als nebensächlich betrachtet. Das ist nicht weiter verwunderlich. In der Vergangenheit gab es bei uns nur die Lohnsteuer nach Tabelle, für bestimmte Lohnsteuerbestandteile die 5-%-Steuer oder die Steuerbefreiung. Bei bestimmten Voraussetzungen bekam man noch einen Freibetrag in unterschiedlicher Höhe. Und das war es dann.Der Arbeitnehmer — auch wenn es diesen Begriff aus ideologischen Gründen bei uns damals nicht gab, verwende ich hier der Einfachheit halber — , hatte sich um nichts weiter zu kümmern. Spätestens mit der im nächsten Jahr abzugebenden Steuererklärung für das Jahr 1991 wird sich das ändern und der Beratungsbedarf drastisch ansteigen. Die Vorschriften in Art. 18 bauen Hindernisse auf, die nicht dazu angetan sind, die jetzt schon vorhandene Schere zwischen Beratungsbedarf und -angebot zu schließen. Bei einem Bedarf von 10 000 Steuerberatern sind bisher 2 500 vorläufig bestellte Steuerberater oder Bevollmächtigte tätig. Statt daß die Zahl der Steuerberater in den neuen Bundesländern steigt, sind eher rückläufige Zahlen zu vermelden.Unser Antrag, den Art. 18 im Steueränderungsgesetz zu streichen und notwendige Regelungen in die Sechste Novelle des Steuerberatungsgesetzes aufzunehmen, damit mehr Zeit zur Beratung mit den Kammern und den Berufsverbänden bleibt, wurde aus für mich nicht nachvollziehbaren Gründen abgelehnt.Den vorliegenden Entwurf des Steueränderungsgesetzes 1992 lehnen wir deshalb aus den dargelegten und aus anderen Gründen, die wegen der Kürze meiner Redezeit nicht dargelegt werden konnten, ab.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Faltlhauser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich in aller Kürze zu einzelnen Punkten einige Anmerkungen machen, und zwar zunächst zu den Ausführungen von Herrn Hampel und Frau Matthäus-Maier zum Abbau steuerlicher Subventionen.
Wir sind in die Beratung dieses Steueränderungsgesetzes 1992 mit der Vorgabe hineingegangen, steuerliche Subventionen in Höhe von 5,5 Milliarden DM abzubauen. Heute können wir nach intensiven Beratungen mit einem Abbauvolumen von 5,3 Milliarden
DM vor dieses Plenum treten. Das ist ein außergewöhnlicher Erfolg, wenn man berücksichtigt, welche Widerstände es beim Subventionsabbau üblicherweise gibt.
Wenn ich hinzurechne, daß wir die Abschreibungsmöglichkeiten um 1,6 Milliarden DM gekürzt haben, komme ich, wenn ich präzise rechne, Frau Kollegin, auf 6,9 Milliarden DM. Damit ist die Unternehmenssteuerreform in diesem Gesetzeswerk in vollem Umfang finanziert, und man braucht eben nicht, wie Sie fälschlicherweise immer behaupten, dazu irgendwelche Volumina aus der Mehrwertsteuer.
Herr Abgeordneter Faltlhauser, das veranlaßt die Kollegin Matthäus-Maier zu der Bitte um eine Zwischenfrage.
Bitte schön, wenn Sie mir das nicht von der Redezeit abziehen.
Selbstverständlich tue ich das nicht.
Abgesehen davon, daß man sehr wohl die Frage stellen kann, ob z. B. bei der Besteuerung des Versicherungsbereichs das angestrebte Volumen wirklich zusammenkommt
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991 4613
Meine Herren, überlassen Sie die Antwort doch bitte dem Abgeordneten Dr. Faltlhauser.
Frau Kollegin, es gibt in der Anlage zu diesem Gesetz ein vielseitiges kompliziertes Zahlenwerk. Wenn Sie dieses Zahlenwerk genauer lesen, werden Sie ihm diese Zahl entnehmen können. Dabei werden Sie feststellen können, daß wir in dem ersten Jahr der Steuerentlastung, nämlich 1993, weitgehend hinkommen, 1994 im vollen Umfang. Ich glaube, daß es bei derart komplexen Maßnahmen anders gar nicht machbar ist. Wenn Sie Pfennigfuchserei nach dem Komma betreiben wollen, bleibt dies Ihnen überlassen. Ich glaube, wir sollten hier seriös debattieren.Und ich füge etwas hinzu, Frau Kollegin, auch wenn Sie sich jetzt schon wieder zurückgezogen haben: Ihre Vorschläge zum Subventionsabbau im steuerlichen Bereich haben wir schmerzlich vermißt; sie waren nicht vorhanden.
Im Gegenteil: Wir haben immer nur festgestellt, daßdas, was Sie in den letzten 15 Monaten gefordert haben, von Mal zu Mal, von Posten zu Posten, Subventionen nicht abgebaut hat, sondern ein Volumen von20 Milliarden DM — ich wiederhole: 20 MilliardenDM — zusätzlicher Subventionen bedeutet hätte. Wir bauen Subventionen ab, und Sie bauen sie auf. Das ist die Arbeitsteilung in diesem Hause.Lassen Sie mich eine Anmerkung zu Art. 14 dieses Gesetzeswerks, nämlich zu § 25 des Umwandlungssteuergesetzes machen. Frau Matthäus-Maier hat mit etwas schrillem Ton
von einem Handstreich gegen die Mitbestimmung gesprochen. Ich kann sie beruhigen und will erläutern, um was es geht. Es geht hier um Maßnahmen zur Vorbereitung des Binnenmarktes. Es geht um Vorgaben der Fusionsrichtlinie und deren Umsetzung in nationales Recht.Fusionen haben eine zwingende und eine mögliche Folge. Die zwingende Folge ist die, daß bei der Fusion stille Reserven offengelegt werden. Eine weitere — mögliche — Folge ist, daß Mitbestimmungsregelungen nach Fusionen nicht mehr gelten, weil neue Unternehmensverbände gebildet werden. Es kann ein Unternehmensteil oder ein Unternehmen etwa aus der Montanmitbestimmung oder aus der Mitbestimmungsregelung von 1976 herausf allen.Wenn nun beides zusammenfällt — auf der einen Seite die Offenlegung von stillen Reserven, auf der anderen Seite eine Änderung der Mitbestimmungsregelungen — , dann ist der Rechtszustand in Deutschland der, daß die Mitbestimmungsverschlechterung, wenn ich sie einmal so nennen darf, ertragsteuerlich nicht sanktioniert wird. Die stillen Reserven, die aufgedeckt werden, müssen also nicht versteuert werden. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung war vorgesehen, daß bei grenzüberschreitenden Fusionen gewissermaßen eine steuerliche Strafe dadurch ausgelöst wird, daß die stillen Reserven ertragsteuerlich in vollem Umfang erfaßt werden.Die Kollegen der Koalition im Finanzausschuß waren übereinstimmend der Auffassung, daß dieses Gesetz und das Steuerrecht überhaupt unter dem Gesichtspunkt der Systematik nicht der richtige Ort, nicht der richtige Rahmen sind, Mitbestimmungsregelungen aufrechtzuerhalten. Aber wir waren uns in dem Ziel völlig einig: Die Mitbestimmungsregelungen sollten unbedingt erhalten bleiben. Sie sind eine große deutsche Errungenschaft, die wir nicht schwächen und dem Binnenmarkt nicht opfern wollen.
Aber wir wollen das an anderer Stelle geregelt wissen.
Zur Verdeutlichung — und dann sind Sie sicherlich wieder beruhigt — haben wir Ihnen auf Drucksache 12/1510 einen Entschließungsantrag vorgelegt, in dem wir dies ausdrücklich bekräftigen. Im zweiten Spiegelstrich heißt es: Der Deutsche Bundestag „ist der Auffassung, daß die Erhaltung der Mitbestimmungsrechte besser und wirksamer im Mitbestimmungsrecht selbst geregelt werden kann". Weiter
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4614 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991
Dr. Kurt Faltlhauserheißt es: Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, unverzüglich — das unterstreiche ich ausdrücklich; wenn möglich, noch vor dem Verfahren im Vermittlungsausschuß — klarzustellen, auf welche Weise das geschehen kann.Inhaltlich halten wir also an den Mitbestimmungsregelungen fest. Nur wollen wir den Weg dorthin methodisch verbessern.Lassen Sie mich eine vorletzte Bemerkung machen: Wir haben auch über einige Mittelstandskomponenten diskutiert, die wir noch einbauen wollten. Aber das Gesetzeswerk wäre durch eine entsprechende Vorlage, die in Eile hätte erarbeitet werden müssen, überfrachtet worden. Deshalb waren wir der Meinung, daß wir das außerhalb dieses Gesetzeswerks machen sollten.Im Mittelpunkt stand dabei insbesondere die Altersversorgung der Selbständigen. Der Selbständige, der seine Altersversorgung aus seinen Einkünften allein bestreiten mull, ist gegenüber dem Unselbständigen, bei dem der Arbeitgeber die Hälfte der Aufwendungen trägt, steuerlich erheblich benachteiligt; das ist bekannt. Hier wollen wir sehr schnell — voraussichtlich schon in der nächsten Woche — entsprechende Eckpunkte beschließen. Die Mittelstandskomponente steht dann für diejenigen, die es betrifft, bereits in diesem Jahr fest.Vielleicht darf ich noch eine Schlußbemerkung machen, Herr Präsident: Das Gesetzeswerk ist lang und kompliziert. Wir haben im Ausschuß etwa 150 Änderungen beraten, die außerordentlich komplex und kompliziert sind. Einige dieser Regelungen sind entschieden zu kompliziert geraten.Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, in der Zukunft das Steuerrecht kontinuierlich einfacher zu gestalten. Das scheint mir für den Rest dieses Jahrhunderts eine große Aufgabe zu sein.Ich bedanke mich.
Ich erteile dem Abgeordneten Eich das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ende 1991 geht es genauso wie Ende 1990 um die finanzpolitisch entscheidende Frage: Kann unser Land auf Dauer diese Finanzbelastung tragen oder nicht?Als Tatsache verdient festgehalten zu werden: Die Schuldenbelastung war noch nie so groß wie heute. Ende 1990 betrug sie 1,3 Billionen DM; nach den Zahlen des Ministers kommt bis Ende 1995 1 Billion DM dazu. Das sind 2,3 Billionen DM. Die Zinsbelastung der öffentlichen Haushalte war noch nie so groß wie heute. Sie beträgt täglich mehr als 300 Millionen DM. Herr Minister, Sie vergessen bei Ihren Rekordhinweisen immer, diese leider negativen Rekorde hinzuzufügen.Tatsache ist weiter: Wir brauchen noch wesentlich mehr Geld. Wir brauchen mehr Geld für den Aufbau in den fünf neuen Ländern. Wir brauchen Geld für die Beseitigung der Wohnungsnot. Wir brauchen Geld für die Tilgung der Schulden der Treuhand. Wir brauchen Geld für die Folgen des Truppenabbaus. Und wir brauchen Geld für die Überwindung der Not im eigenen Land und besonders der Not der Menschen in den osteuropäischen Ländern. Fest steht also: Der Finanzbedarf wird weiter steigen.Als die Regierungsparteien begriffen hatten, daß ihre Versprechungen im Wahlkampf vor dem Hintergrund dieser bedrohlichen Finanzentwicklung nicht haltbar waren, haben sie die höchste Steuererhöhung durchgeführt, die wir in diesem Land kennen. Sie haben die Einkommen- und die Lohnsteuer erhöht. Sie haben die Mineralölsteuer erhöht, die Versicherungssteuer, die Tabaksteuer, die Telefongebühren. Und sie haben die Sozialabgaben erhöht. Sie haben insgesamt eine Erhöhung von über 40 Milliarden DM durchgeführt.Das war die erste Runde der Steuererhöhung. Ihre ideologischen Opfer waren völlig klar. Es waren die Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen.Nun geht es in der zweiten Runde um weitere Opfer Ihrer Politik. Man kann sagen: Durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer wird die Umverteilungspolitik fortgesetzt.
Ganz neu ist: Sie machen auch diesmal Steuergeschenke. Die Frage ist nur, für wen. Sie beschenken die Großunternehmen dieses Landes
mit einer Entlastung von 6 bis 7 Milliarden DM. Dies hat Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit. Dies hat schlimme Auswirkungen auch — das ist mein Thema — auf die Kommunen, aber auch auf die Länder.Opfer Ihrer Steuerpolitik ist nicht nur — so traurig dies ist — die Masse der Bevölkerung, sondern es sind auch Länder und Kommunen. In der ersten Phase war Ihr Ziel die Verbesserung der Einnahmen des Bundes. Sie haben die Länder im wesentlichen außen vor gelassen, haben aber damit schon damals auch die Kommunen getroffen. In dieser zweiten Runde belasten Sie die Kommunen aufs neue in unerträglicher Weise.Dies hat Folgen. Man muß einmal überlegen, in welcher finanzpolitischen Situation sich die Kommunen unseres Landes befinden. Zunächst ist völlig klar: Niemand bezweifelt, daß das eine oder andere Projekt unserer Kommunen zurückgestellt werden muß, weil in den fünf neuen Ländern investiert werden muß, damit dort der Aufbau gelingt. Aber ist alles aufschiebbar — das ist hier die große Frage — , z. B. im Bereich der Wohnungsnot oder — was ich aus Rheinland-Pfalz kenne — die Probleme im Zusammenhang mit dem Truppenabbau? Hier sind auch die Kommunen gefordert.Und ist eigentlich das Thema völlig vergessen, das zu tun hat mit der Altlastsanierung, mit der Bewälti-
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Ludwig Eichgung der Altlasten in unseren Kommunen? Glaubt denn jemand, daß das möglich sein wird, ohne daß auch hier die Kommunen eine Eigenleistung werden aufbringen müssen?
Jeder, der morgens nach Bonn fährt, muß es doch begreifen: Im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs müssen entscheidende Dinge geschehen. Wer will denn bezweifeln, daß bei der Bewältigung dieses großen Problems gerade die Kommunen wieder in die Pflicht genommen werden? Nein, die Finanzprobleme der Kommunen werden dank Ihrer Steuerpolitik größer werden, weil ihre Einnahmen zurückgehen werden und weil sie Probleme bewältigen müssen, deren Lösung unabweisbar ist.Worin besteht nun die konkrete Belastung der Kommunen? Sie reduzieren die Einnahmen aus der Gewerbesteuer, und Sie erhöhen die Mehrwertsteuer. Auch das belastet die Kommunen. Auch das, worüber unter dem nächsten Tagesordnungspunkt in diesem Hause diskutiert wird, daß nämlich die Strukturhilfe auslaufen soll, gehört zu diesem Thema. Auch hiermit belasten Sie die Kommunen und verletzen die Grundsätze des Vertrauensschutzes.Sie sagen, Sie kompensierten die finanziellen Belastungen der Kommunen, und weisen darauf hin, daß die Gewerbesteuerumlage um 40 % gesenkt werden soll. Glaubt denn wirklich irgend jemand, daß diese Mindereinnahmen der Länder nicht auch zu Lasten der Kommunen gehen werden,
wenn Sie so in den Kreislauf des Finanzausgleichs eingreifen?Dann sagen Sie, Sie erhöhen den Plafond im Bereich des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes. Das ist sehr erstaunlich; denn eigentlich hatten Sie gesagt, das sei die Kompensation dafür, daß die Kommunen nicht an der Mineralölsteuererhöhung beteiligt seien.
Aber hier vollzieht der Minister etwas ganz Erstaunliches: Wie die Kollegin Matthäus-Maier sagt, gibt er nicht nur jede Mark zweimal aus, sondern er versucht auch, für eine Wohltat gleich zweimal gelobt zu werden. Das ist keine solide Politik. Hier gibt es keine Kompensation für die Gemeinden.Noch ein Hinweis auf die Folgen, die die Kommunen auf Grund des Eingriffs in diesen Kreislauf ebenfalls ertragen müssen, indem eine wesentliche Grundlage ihrer Finanzkraft weggenommen wird. Wenn wir davon ausgehen, daß die Gewerbesteuersenkung je nach Struktur etwa 20 % betragen wird, dann heißt das: In allen Umlagehaushalten der kommunalen Gebietskörperschaften wird diese Grundlage fehlen. Das Resultat wird sein, daß sich Gebietskörperschaften, die sich aus Umlagehaushalten finanzieren, eben wieder an den Gemeinden und Städten schadlos halten.Hier zeigt sich auch, wie Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, handwerklich vorgehen. Sie greifen in einen Kreislauf der Kommunen, der Gebietskörperschaften und Länder ein, ohne zu berücksichtigen, welche Folgen das im einzelnen haben wird. Ich hatte diese Frage in den Ausschußberatungen an das Ministerium gerichtet. Bis jetzt liegt keine Antwort vor.Meine Damen und Herren, ich glaube, was sich im Bereich der Belastungen der Kommunen vollzieht, beschädigt die kommunale Selbstverwaltung und auch Grundsätze unserer Finanzverfassung.
Die Steuerpolitik oder, besser gesagt: die Geldbeschaffungspolitik dieser Regierung verletzt ein bewährtes System und führt zu einem finanzpolitischen Verschiebebahnhof, von dem ich vermute, daß am Ende die Kommunen unter die Räder geraten. Das sind die zweiten Opfer Ihrer Politik.Herzlichen Dank.
Ich erteile dem Abgeordneten Hans Hermann Gattermann das Wort.
Verehrter Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Der Kollege Buwitt hat es angesprochen, Herr Kollege Hampel hat es angesprochen. Von den drei bis vier Bemerkungen, die ich machen möchte, bezieht sich eine auf den prozeduralen Ablauf dieses Gesetzgebungsverfahrens.In der Tat, wenn über hundert Änderungsanträge, konzeptionelle Neuordnungen bis zur letzten Nacht vor der endgültigen, abschließenden Beratung, ja, bis zu den letzten Minuten vor den einzelnen Abstimmungen vorgelegt werden, dann hat man die Grenze überschritten, bei der man selbst noch das Gefühl hat, seriöse Arbeit zu leisten.
Es besteht natürlich auch die dringende Gefahr, daß die Qualität der Gesetzesarbeit darunter leidet, insbesondere dann, wenn man sich in einer Rechtsmaterie bewegt, in der die vorgelegten Texte an sich und aus sich heraus unlesbar sind und ihr Sinn sich überhaupt erst erschließt, wenn man sie in den Gesamtzusammenhang des Gesetzes einordnet und einbettet und dazu dann die Zeit fehlt.Meine Damen und Herren, ich würde aus meiner beruflichen Sphäre des Notars heraus mal sagen: Parteien, die diesbezüglich bei einem Beurkundungstermin agieren, schicke ich nach Hause und beurkunde zu einem späteren Zeitpunkt. Genauso — das verspreche ich jetzt - werde ich darauf hinwirken, daß in meinem Ausschuß so verfahren wird, wenn sich ein solches Verfahren wiederholen sollte.
— Ja, das dürfen Sie, Herr Kollege.
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Hans H. GattermannIch möchte an dieser Stelle auch für die bis zum letzten Augenblick loyale Mitarbeit der SPD-Fraktion ausdrücklich danken.
Vor allen Dingen aber möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschußsekretariats danken, repräsentiert durch Herrn Ministerialrat Dr. Beichelt.
Und ich möchte den Damen und Herren des Ministeriums ausdrücklich danken. Hier will ich stellvertretend den federführenden Koordinator Regierungsdirektor Kessler nennen.Meine Damen und Herren, bei dieser Gelegenheit noch eine Bemerkung. Ich stelle zu meinem Entsetzen ein Ausbluten der Steuerabteilung des Bundesministeriums der Finanzen fest. Personalprobleme an dieser Stelle wären für die weitere Gesetzgebungsarbeit außerordentlich schädlich.
Ich will nicht untersuchen, woran das liegt, ob es die attraktiven steuerfreien Zulagen für den Dienst in den neuen Bundesländern sind oder ob es die Bonn-Berlin-Entscheidung ist, die die Zukunftsperspektive für Nachwuchs belastet. Jedenfalls muß man sich hier intelligenterweise irgend etwas einfallen lassen.Ich will das Prozedurale an einem innerlichen Thema aufhängen, nämlich dem Außensteuerrecht, einer ausgesprochen komplexen und schwierigen Materie, bei der sich in diesem kurzen Gesetzgebungsverfahren vom 4. September bis zum 8. November nun gesetzestechnisch auch noch eine völlig neue konzeptionelle Lösung des anstehenden Problems herausgebildet hat.
— Auch das noch. — Überdies handelt es sich dann noch um eine Materie, bei der man eine Gratwanderung unternimmt zwischen der Einhaltung internationaler, völkerrechtlicher Verpflichtungen und dem berechtigten Wunsch, fiskalisch möglichst erfolgreich zu sein. Da wird es in einem so schnellen Verfahren ausgesprochen schwierig, dann zu handeln. Ich hoffe jedenfalls, daß wir keine gravierenden Fehler gemacht haben; aber mehr als eine Hoffnung — ich sage das ausdrücklich — ist es im Augenblick nicht.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich kurz einen zweiten Punkt ansprechen, der hier heute morgen auch schon eine Rolle gespielt hat, das ist die Frage der Sicherung der Mitbestimmung. Es ist sicherlich richtig, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland überwiegend positive Erfahrungen mit der Mitbestimmung gemacht haben.
Es ist von daher auch aus der nationalen Brille unseres Landes ein vernünftiges Anliegen, zu versuchen, diese guten Erfahrungen in Europa einzubringen; aber diese guten Erfahrungen fehlen überwiegend bei unseren Partnern. Deshalb muß man dieses Thema separat erörtern. Man darf das Steuerrecht,daß wir ständig mit allem möglichen überfrachten, nicht auch noch damit belasten, daß unsere Finanzbeamten vor Ort darüber entscheiden müssen, ob und wie irgendwelche Fusionen die Mitbestimmungslage verändern. Das ist der Grund, warum wir das aus diesem Gesetz herausgeschrieben haben. Wer immer sich seit vielen Jahren in Brüssel bemüht hat, diese deutsche Option offenzuhalten, hat es an der falschen Stelle getan.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine Bemerkung zur Unternehmensteuerreform machen, vor allen Dingen auch im Hinblick auf das ja unvermeidliche Vermittlungsverfahren. Ich sage mit allem Ernst: Aus diesem Vermittlungsverfahren muß ein glaubhaftes unternehmensteuerpolitisches Reformsignal herauskommen. In dieser Aufgabenstellung, uns im Binnenmarkt und global wettbewerbsfähig, fit zu halten, ist die Perspektive von übermorgen noch wichtiger als die aktuelle Entlastung von morgen.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, in der Tat ist die Standortdebatte in der Bundesrepublik Deutschland zu Beginn nicht sonderlich seriös gewesen; aber inzwischen ist sie seriös.
In der Tat ist ein ganzer Rahmenkranz von Daten entscheidend dafür, wie die Wettbewerbssituation, sei es im Standort- oder im Waren- oder im Dienstleistungswettbewerb, ist. In diesem Kranz ist die steuerliche Belastung ein ganz wesentliches Datum. Das ist unbestritten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
gute Infrastruktur, stabile politische Verhältnisse, überwiegend qualifizierte Mitarbeiter. Aber auf der anderen Seite des Abwägungsprozesses stehen neben der hohen Steuerbelastung weitere negativ eingeschätzte Faktoren — ob sie es sind, wage ich gar nicht zu beurteilen. Zum Beispiel die kurzen Arbeitszeiten, z. B. die starke Stellung der Gewerkschaften werden von investierenden Ausländern als Negativfaktor gesehen. Darum braucht man nicht herumzureden. Dies ist so.Was wir brauchen — auch aus dem Vermittlungsausschuß herauskommend — , ist ein Signal, ein glaubhaftes, überzeugendes unternehmensteuerpolitisches Reformsignal. Da kann man sich einiges denken.Ich sage noch einmal, was Kollegen hier vorher schon gesagt haben: Das, was hier vorgeschlagen worden ist, ist ein bescheidener Einstieg. Mit der großen Umverteilungsarie wird man diesem Thema nun
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Hans H. Gattermannwirklich nicht gerecht. Dieses Vorhaben ist überwiegend aufkommensneutral finanziert. Es ist finanziert; Herr Kollege Faltlhauser hat es Ihnen vorgerechnet.
— Doch, er hat. — Sie können das noch ein bißchen weiter fortsetzen und aus der von ihm ermittelten Finanzierung in Höhe von 7 Milliarden DM einige Subventionsabbautatbestände herausrechnen, die nicht die Wirtschaft selbst bezahlt. Dann kommen Sie auf einen Wert, der knapp unter 6 Milliarden DM liegt. Dann haben Sie fast einen Spitzenausgleich. Da bleibt nur noch ein kleiner Rest von ein paar hundert Millionen DM maximal, der dann auch noch mit in das Mehraufkommen durch die Mehrwertsteuererhöhung hineinfällt.
Meine Damen und Herren, ich hoffe jedenfalls, daß im Bundesrat, in der ruhigen Atmosphäre dortselbst, die ökonomische und die fiskalische Vernunft Triumphe feiern wird und wir rechtzeitig zum Anfang des nächsten Jahres ein vernünftiges Steueränderungsgesetz 1992 im Gesetzblatt haben können.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Seibel.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Wirtschafts-und Finanzpolitik der Bundesrepublik Deutschland muß in den 90er Jahren neuen Herausforderungen und sich rasch ändernden Rahmenbedingungen gerecht werden. Ich nenne dafür die Stichworte deutsche Einigung, die fortschreitende Integration Westeuropas, die notwendige Zusammenarbeit mit den Staaten Mittel- und Osteuropas zur Sicherung der demokratischen Entwicklung und zum Aufbau leistungsfähiger Volkswirtschaften und nicht zuletzt den Aufbau neuer Sicherheitspartnerschaften.
Zur Bewältigung dieser Herausforderungen sind alle Kräfte der Gesellschaft gefordert. Wir brauchen das Engagement der Menschen in allen Bereichen unseres Landes, nicht nur in der Wirtschaft; wir brauchen die ungebrochene Leistungskraft der Bundesrepublik Deutschland insgesamt. Wir brauchen die Mitwirkung der Banken. Wir brauchen eine Tarifpolitik mit Augenmaß, und wir brauchen vor allem ein staatliches Handeln, das in unserem System der Sozialen Marktwirtschaft einen verläßlichen ordnungspolitischen Rahmen für alle Bemühungen setzt.
Der Staat kann diese Herausforderungen nicht allein bewältigen, aber er soll initiativ sein und auf mittlere Sicht berechenbar. Diesen großen Herausforderungen können wir nur mit einem wachsenden Maß an Verantwortungsbereitschaft für die Bürger im eigenen Lande und für die Bürger in unseren Nachbarländern gerecht werden.
Mit dem heute zu verabschiedenden Steueränderungsgesetz legen die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien ihren Entwurf für ein Paket unterschiedlicher Maßnahmen vor, um dieser Aufgabenstellung gerecht zu werden. Die Eckwerte — das ist durch Vorredner schon näher ausgeführt worden — sind die Begrenzung der staatlichen Kreditaufnahme für 1992 auf 50 Milliarden DM, der Abbau von Subventionen in einer Größenordnung von 10 Milliarden DM, der Abbau der steuerlichen Belastung für Unternehmen, die Erhöhung der Einnahmen durch die Anhebung der Mehrwertsteuer um einen Punkt und deutliche Verbesserungen des Familienlastenausgleichs und der Wohnungsbauförderung, um die höheren Lasten sozial verträglich auszugestalten.
Für die Angleichung der Lebensbedingungen im größer gewordenen Deutschland sind spürbare Erfolge des wirtschaftlichen Aufschwungs und der Verbesserung der Situation der Menschen nicht wegzudiskutieren. Gleichwohl kann in den Anstrengungen nicht nachgelassen werden. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist bedrückend und fordert uns alle in erheblicher Weise. Wir müssen auch von staatlicher Seite nach wie vor große Anstrengungen unternehmen, um das ehrgeizige Ziel zu erreichen, die Lebensverhältnisse anzugleichen. Aber diese Aufgabe ist nicht auf den Bund beschränkt. Wir müssen massiv einfordern, daß Länder und Gemeinden in ihrem fiskalischen Verhalten den neuen Bedingungen Rechnung tragen. Gelegentlich kann man den Eindruck gewinnen, als würde in einigen Ländern das staatliche Handeln völlig unbeeindruckt von den großen Veränderungen im alten Trott weitergeführt und über höhere Verschuldung der öffentlichen Hände die Sollbruchstelle für die Grenzen der Belastbarkeit geprobt werden.
Der Finanzausschuß des Bundestages hat zu den beschlossenen Einsparungen von 10 Milliarden DM seinen Teil mit 5,3 Milliarden DM Streichungen von Subventionen beigetragen.
Die an der Beratung Beteiligten in allen Parteien haben erfahren müssen, wie schwer es in unserem Staat, in unserer Gesellschaft geworden ist, einmal gewährte Vergünstigungen des Staates wieder aufheben zu wollen oder aufheben zu müssen.
Es wird nichts nützen: Wir werden auf diesem Wege weitergehen müssen.
Und Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, können es sich nicht so leicht machen, wie Frau Kollegin Matthäus-Maier es soeben getan hat. Sie fordert, es müßte viel konsequenter und viel härter eingespart werden; gleichzeitig hat sie aber nicht einen einzigen Vorschlag dafür zu unterbreiten, wie denn und wo denn gespart werden soll — wohl wissend,
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Wilfried Seibel
daß man damit nicht nur populär, sondern auch unpopulär werden kann. Solange Sie nicht mit konkreten Vorschlägen überkommen und nicht den Mut haben, genaue Punkte für das Streichen zu benennen, bleibt Ihre Kritik an unseren Einsparungen eine hohle Phrase.
Das hier vorgelegte Steueränderungsgesetz erfüllt in zwei wesentlichen Kernbereichen
die Ansprüche an eine erweiterte Verantwortung für die Integration — —
Herr Abgeordneter Uldall und Frau Abgeordnete Matthäus-Maier, diesen Dialog haben Sie schon so oft geführt. Können wir nicht dem Redner zuhören? — Danke schön.
Das hier vorgelegte Steueränderungsgesetz erfüllt auch in zwei wesentlichen Kernbereichen die Ansprüche an eine erweiterte Verantwortung für die Integration Europas. Der Abbau von Handelshemmnissen durch Streichung von Subventionen im gemeinsamen Binnenmarkt und die Harmonisierung der Mehrwertsteuer sowie die Unternehmensbesteuerung sind ein wesentlicher Beitrag. Wenn wir in den laufenden Verhandlungen z. B. einem Land wie Dänemark zumuten, sich von seinem Mehrwertsteuersatz von 22 % auf ein mittleres Maß hin zu bewegen, so heißt das doch nichts anderes, als daß wir von diesem Land erwarten, nahezu ein Drittel seiner bisherigen Staatseinnahmen neu zu strukturieren oder die Belastungen neu zu verteilen — mit all den entsprechenden Folgen. Die Skala der Steuersätze reicht in Europa von 12 % an der unteren bis zu 22 % an der oberen Schwelle. Mit der Erhöhung um einen Punkt, von 14 % auf 15 %, bewegen wir uns auf das mittlere Maß zu, daß bei ca. 16 % liegen kann, und handeln somit im Sinne der Harmonisierung.Beide Herausforderungen, die der deutschen Wiedervereinigung und die der europäischen Integration, verblassen vor den Herausforderungen, vor denen die Länder Mittel- und Osteuropas, insbesondere die sowjetischen Republiken und die dortige Zentralregierung, stehen. Der Neuaufbau der Wirtschaft und der staatlichen Ordnung braucht unsere Hilfe. Sicherlich werden die entscheidenden Weichen in diesen Ländern selbst zu stellen sein. Aber auch wir können uns vor dieser Verantwortung nicht drücken und sollten klar zu unserer Bereitschaft stehen, diesen Prozeß ideell, aber auch materiell zu unterstützen.
Das verlangt von unserer Bevölkerung, von der Wirtschaft und auch von unserem Staat höhere Ausgaben. Wir von der CDU/CSU sind bereit, uns dieser Verantwortung zu stellen, und wollen ganz entschlossen unseren Beitrag dazu leisten. Eine derart entschlossene Politik wird auch von den Bürgern unseres Landes verstanden und auf breitester Basis unterstützt.Der Zerfall der alten Ordnungen im Osten Europas hat nicht nur neue Gestaltungsaufgaben für Wirtschaften und Gesellschaften mit sich gebracht; er ist auch begleitet von einem Zerfall der militärischen Sicherheitssysteme. Gerade in diesem Zerfall liegen erhebliche Risikopotentiale. Wer geglaubt hatte, aus dem Fortfall der Anstrengungen für Verteidigung und Sicherheit nötige Reserven für die finanziellen Aufbauleistungen in großem Maße herausholen zu können, dem stockt bei den Entwicklungen des aufkeimenden Nationalismus und der damit einhergehenden Gewalt durch Waffen der Atem. Jedermann wird erschreckend klar, daß die Sicherheitspolitik in Europa neue Strukturen braucht. Jugoslawien ist ein beredtes Beispiel dafür.Wir von der CDU/CSU wollen diesen Weg in West-und Osteuropa und im eigenen Lande gehen, und wir sind der Bereitschaft unserer Bürgerinnen und Bürger, uns mit diesen Einsichten bei der Bewältigung der Aufgaben zu unterstützen, ganz sicher.Staatliche Einnahmen werden durch die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und der arbeitenden Menschen erzielt. Deshalb muß oberstes Ziel unseres Handelns sein, die Stabilität der Währung, die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen und ein verläßliches ordnungspolitisches Handeln des Staates auf mittlere Sicht zu organisieren.Wir hätten darüber, wie ich meine, in den letzten Wochen einen Wettstreit der Ideen und der Vorschläge über Alternativen dieses Handelns im Rahmen der Finanz- und Wirtschaftspolitik gebrauchen können. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben sich dieser Aufgabenstellung verweigert und Ihren Beitrag insbesondere dadurch geleistet, daß aus den unterschiedlichsten Ecken Ihrer Partei und den Länderregierungen immer neue finanzielle Forderungen in beträchtlicher Höhe aufgestellt wurden.Ich war — und das will ich hier ganz persönlich anmerken, sehr geehrte Frau Matthäus-Maier — auf Ihre heutige Rede gespannt, weil ich denke, daß jedermann, auch wenn er sich krampfhaft bemüht, die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen, den neuen Realitäten in seinem Handeln Rechnung tragen muß. Doch ich will auch nicht verhehlen: Sie, verehrte Frau Matthäus-Maier, haben mich fürchterlich enttäuscht. Sie haben es sich zu. leicht gemacht. Sie haben die alte Platte, deren Melodie Sie hier schon zweimal vorgespielt haben, noch einmal aufgelegt,
weil Sie sich schon sicher glauben, damit den Beifall in den eigenen Reihen am leichtesten gewinnen zu können. Sie scheinen fest davon überzeugt zu sein, daß Sie die Stimmungslage in der Bevölkerung mit Ihrer Argumentation, hier würden die Schwachen ge-
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Wilfried Seibelschröpft, damit den Reichen etwas zugeschoben werden kann,
am besten treffen und so große Zustimmung ernten können.Sie machen es sich zu leicht. Sie drücken sich vor der Übernahme größerer Verantwortung.
Sie haben keine Konzepte. Sie haben Forderungen, die hohl im Raum stehen und nicht konkret ausgefüllt sind. Sind Ihnen denn eigentlich die Ideen ausgegangen? Sie schimpfen und drohen. Sie provozieren den Sozialneid und belasten den sozialen Frieden, den wir brauchen.
Ich bin fest davon überzeugt, mit dieser Rhetorik
— meine auch! —, mit Ihren Schimpfkanonaden werden Sie das Verständnis der Bevölkerung nicht haben. Wenn Sie tatsächlich mit den Menschen in den Betrieben, in den Verwaltungen oder an anderen produktiven Stellen in unserem Staat reden, werden Sie feststellen, daß die Bevölkerung dieses Landes sehr wohl nüchterne Einsichten in die Lage hat
— abwarten! — und im ganz überwiegenden Teil bereit ist, ihre persönliche Leistung und die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft und Gesellschaft in den Dienst der europäischen Aufgaben zu stellen. Die Menschen in diesem Lande wissen, daß wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Stabilität der Währung und gesicherte freiheitliche Demokratie der Weg sind, auf dem diese Schwierigkeiten überwunden werden können.Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, diese Einsicht und diese Erkenntnis nicht erlangen können, dann empfehle ich Ihnen dringend: Reisen Sie! Fahren Sie in die Länder Osteuropas und Mitteleuropas! Fahren Sie in die Sowjetunion! Fahren Sie in die EFTA-Länder! Fahren Sie ins entfernteste Ausland!
— Sie dürfen dabei sogar arbeiten. — Sprechen Sie dort mit den Verantwortlichen und lassen Sie sich von denen sagen, wie sie unsere Lage und unsere Chancen beurteilen! Ich bin sicher, Sie werden dann zu einer neuen Nachdenklichkeit kommen.
Eine nüchterne Analyse kann keine andere Politik hervorbringen. Sie schimpfen hier im Plenum nur deshalb so laut, weil Sie dahinter Ihre eigene Konzeptionslosigkeit verstecken wollen.
Ich meine, mehr Fleiß im Detail, mehr Disput in der Sache, mehr Aufbietung von Alternativen würde den gewandelten Verhältnissen eher Rechnung tragen als Diffamierung, Beschimpfung und Polemisierung, wie sie hier von der SPD wieder vorgebracht worden sind.
Wir alle — Regierungskoalition und Opposition — werden daran gemessen, ob wir fähig und bereit sind, die Herausforderungen als unsere eigenen Herausforderungen anzunehmen.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir haben im Finanzausschuß unsere Arbeit getan. Das vorgelegte Steueränderungsgesetz wird den gewandelten Verhältnissen und der gestiegenen Verantwortung gerecht. Ich möchte Sie bitten, diesem Gesetz Ihre Zustimmung zu geben. Ich bin sicher, daß sich auch die Beratungen im Vermittlungsausschuß am Ende so ausgestalten werden, daß das Ziel auf dem eingeschlagenen Wege erreicht wird.
Meine Damen und Herren, ich bin selbstverständlich weit davon entfernt, die Inhalte der Reden einzelner Redner zu bewerten. Aber zur Vermeidung einer Antragsflut möchte ich doch darauf hinweisen, daß die Reisemittel des Bundestages weit ausgeschöpft sind.
Jetzt erteile ich dem Abgeordneten Reschke das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Steueränderungsgesetz soll wieder einmal der Wohnungsbau angekurbelt werden. Es hat deshalb keinen Zweck, weiter darüber zu streiten, wieviele Wohnungen eigentlich in Deutschland fehlen, wenn schon — und das ist sicherlich einmalig in der Geschichte — der Hausund Grundeigentümerverein auffordert, endlich Wohnungen zu bauen.Feststeht: Das Defizit erreicht Mitte dieses Jahrzehnts eine Größenordnung von drei Millionen fehlenden Wohnungen, wenn die Rahmenbedingungen so, wie Sie sie gesetzt haben, bestehen bleiben. Bei 2,5 Millionen fehlenden Wohnungen sind wir angelangt; das schätzen die Experten. Die Zahl wächst dramatisch, das Defizit steigt ständig an.Es ist nicht nur eine Wohnungsnot, die wir haben, sondern wir müssen offen bekennen — das sollte auch die Koalition endlich einmal zugeben — : Auf dem Wohnungsmarkt ist ein sozialer Notstand zu verzeichnen. Betriebe, Handwerk und Handel sprechen offen von der Wohnraumversorgung als von einem „Investitionshemmnis Nr. 1 der 90er Jahre". Die Fer-
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Otto Reschketigstellungen von Wohnungen werden nach den Zahlen für die ersten drei Quartale im Jahre 1991 kaum 280 000 betragen. Die Fertigstellungsquote im Osten geht dramatisch zurück. Die Bauwirtschaft sagt: Dies ist nicht nur ein Zwischentief, sondern hat langfristig größere Wirkungen.Wir haben weder einen sozialen Wohnungsbau noch eine zielgerichtete Eigentumsförderung, noch eine Wirtschafts- und Finanzpolitik, die die Rahmenbedingungen für Wohnungsbauinvestitionen schaffen. Die Rahmenbedingungen sind bekannt — ich brauche sie nicht zum -zigsten Male zu wiederholen — : unbezahlbare Baukosten, hohe Zinsen, unattraktive Förderung und weit über 60 Milliarden DM Aufwendungen des Staates, die in die falschen Kanäle fließen.Zum viertenmal in den letzten drei Jahren bringen Sie ein sogenanntes Sonderprogramm ein, erneut mit einem Bündel von Maßnahmen, an deren Wirkung kaum einer mehr glaubt — außer natürlich die Regierung und diese Koalition. Mit jedem Programm wurde ein Bauboom vorausgesagt. Jetzt fordert selbst der CDU/CSU-Fraktionskollege Dr. Kansy Kurskorrekturen, weil der Fehlbestand trotz aller Programme zunehme.Im September kam dann der große Wunschkatalog der Bauministerin. Ich will nicht verlesen, was alles darin gestanden hat; aber was daraus jetzt im November mit diesem Gesetz geworden ist, ist wirklich eine Katastrophe. Nach den Verhandlungen mit dem Finanzminister ist das Ergebnis: 7 bis 8 Milliarden DM Finanzvolumen von zweifelhaftem Effekt für den Wohnungsmarkt, sozial ungerecht und zu teuer, weil Wohnungsneubau kaum stattfindet, schon gar kein sozialer.Die Wirtschaftsinstitute warnen davor, daß das Wohnungsbauprogramm die Verschuldung des Staates weiter hochtreibt. Das Deutsche Institut für Wirtschaft gibt der Bundesministerin die Note sechs— nicht etwa wie beim Eislaufen die Höchstnote, sondern ungenügend — für dieses Programm.
— Entschuldigen Sie, lesen Sie doch selbst nach, was in den Äußerungen des DIW steht.Zur Verfügung stellen Sie schlicht und einfach 700 Millionen DM für den Wohnungsneubau in Ballungsgebieten mit hohen Mieten — wie Sie sagen, Mieten in Marktnähe — und Sozialbindungen, die nach wenigen Jahren auslaufen. Es werden also Sozialwohnungen mit Selbstvernichtungssprengsatz gebaut, eine unmögliche Situation bei den sozialen Bedrängnissen vor Ort.
Auch bei der Änderung der steuerlichen Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums hat in der Regierungskoalition die Umverteilungsideologie über den eigentlichen Förderzweck, nämlich mehr Wohnungen zu bauen, gesiegt. Gegen den gesamten Sachverstand wohnungspolitischer Experten will diese Bundesregierung das System des § 10e weiter ausbauen, das nicht nur sozial ungerecht ist, sondern noch dazu mit viel Geld wenig auf dem Wohnungsmarkt bewirkt.Mit der Einschränkung der Förderung für Spitzenverdiener mit einem zu versteuernden Einkommen von mehr als 240 000 DM im Jahr wird zwar ein Schritt in die richtige Richtung getan. Aber der große Schritt, das große Geld geht bei dieser Novellierung in die falsche Richtung.Mit der Neufassung des § 10 e unter Einführung eines Schuldzinsenabzugs wird nämlich ein Ehepaar mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von z. B. 220 000 DM in den ersten drei Förderjahren jährlich 15 000 DM an steuerlicher Entlastung bekommen, mehr als doppelt so viel wie nach der heutigen Förderung.Ein Ehepaar mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 60 000 DM wird aber nach dem Willen der Bundesregierung in den ersten drei Jahren lediglich 7 400 DM pro Jahr erhalten, also nicht einmal halb soviel wie der Hochverdiener.Da stellt sich doch die Frage: Wer braucht die staatliche Förderung eigentlich dringender? Die Anhörung hat ja gezeigt, daß gerade diejenigen im Schwellenbereich zwischen 60 000 und 90 000 DM Einkommen diesen § 10e dringend brauchen.Wenn Sie schon auf uns nicht hören, so hören Sie doch wenigstens auf den Familienbund der Deutschen Katholiken, die Ihre steuerliche Wohnungsbauförderung als ungerecht und familienfeindlich kritisiert! Hören Sie auf die Bausparkassen und die Bauwirtschaft, die Ihre Steuerpolitik ablehnen und für eine Umstellung der Eigenheimförderung auf einen offenen Zuschuß zugunsten der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen eintreten, wie wir Sozialdemokraten ihn übrigens vorgeschlagen haben!Wir schlagen vor, § 10e auf einen Eigenheimabzugsbetrag von der Steuerschuld umzustellen und ein erhöhtes, verlängertes Baukindergeld auf zehn Jahre von 1 200 DM je Kind und Jahr einzuführen. Übersteigt der Abzugsbetrag oder das Baukindergeld die Steuerschuld, wird der Betrag erstattet.Beim Regierungsvorschlag, so wie er in diesem Gesetzentwurf vorliegt, erhält ein Ehepaar mit zwei Kindern bei 60 000 DM Einkommen 59 000 DM und bei 80 000 DM Einkommen 64 000 DM Förderung in acht Jahren. Bei unserem Vorschlag erhalten die gleichen Ehepaare 75 500 DM Förderung in acht Jahren bei sanftem Auslaufen der Förderung durch das Baukindergeld über zehn Jahre.Unser Vorschlag ist zielgerecht und trifft die Einkommenslage derer, die bauen wollen und die bauen sollen. Werfen Sie doch endlich Ihre ideologischen Scheuklappen ab, und übernehmen Sie unseren Vorschlag! Dann können mit dem gleichen Geld mehr Wohnungen gebaut werden, die wir dringend brauchen.Ich will noch zu einem anderen Punkt kommen, zum sogenannten § 10h. Die Ausdehnung der Eigenheimförderung auf den Tatbestand der seltsamen Wohnungsvermehrung in vorhandenen Gebäuden nach dem neuen § 10h wird sich als günstige Modernisierungsförderung von Jugendstilvillen und Mehrfami-
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Otto Reschkelienhäusern zu selbstgenutzten Wohneinheiten herausstellen. Wir werden das im nächsten Jahr noch sehen.Eigentlich ist diese neue Förderart ein absurder Höhepunkt uneinsichtiger Politik. Zum einen wird ein bisher gefördertes Wohneigentum durch Teilung in zwei Wohnungen und großzügige Modernisierung nochmals gefördert. Zum anderen wird ein abgeschriebenes Drei- oder Mehrfamilienhaus in Zukunft zu zwei selbstgenutzten Wohnungen modernisiert, natürlich mit voller staatlicher Förderung nach § 10 e für die eine und mit dem gleichen maximalen Förderbetrag nach § 10h für die zweite Wohnung. Unerträglich ist dieser Zustand, Subventionstatbestände eröffnen sich, und Sie behaupten, Sie hätten für andere Fördermodelle kein Geld.Noch ein Wort zum Schuldzinsenabzug, an dem sich in aller Deutlichkeit zeigt, wie diese Regierungskoalition immer weiter in eine Sackgasse läuft: Der steuerliche Schuldzinsenabzug für drei Jahre ist eigentlich Ihre Antwort darauf, daß sich viele ein Eigenheim nicht mehr leisten können, weil die Zinsen zu hoch sind und die Baukosten zu stark gestiegen sind. Statt aber die Ursache zu bekämpfen und eine Politik für niedrigere Zinsen zu betreiben, nämlich durch eine sparsame Haushaltspolitik, durch eine Verringerung der Neuverschuldung,
durch einen Verzicht auf die Mehrwertsteuererhöhung, zäumen Sie das Pferd vom Schwanze her auf und führen eine neue Subvention ein, mit der Sie wiederum die Geldpolitik der Bundesbank konterkarieren und weitere Zinserhöhungen provozieren, die dann wieder neue Subventionen erforderlich machen — und so weiter, und so weiter. Sie erzeugen damit einen ökonomischen Teufelskreis für die Wohnungspolitik, für die Wohnungsnot, die wir haben.
Ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik ist immer mehr nur noch damit beschäftigt, Probleme zu lösen, die Sie selber verursacht haben. Ihre Politik, Ihre falschen wohnungspolitischen Programme haben zu einer schweren Krise auf dem Wohnungsmarkt geführt. Mit Ihren alten Rezepten geht es nun mal nicht weiter. Deswegen sollten Sie neue Wege gehen.Wir brauchen neue, langfristig kalkulierbare Rahmenbedingungen für den notwendigen Bau neuer Wohnungen, Revision der Förderinstrumentarien, Festschreibung der Bundesfinanzhilfe für den sozialen Wohnungsbau für eine längere Zeit auf jährlich 5 bis 6 Milliarden DM, damit preiswerter Wohnraum entsteht, Umstellung der sozial ungerechten und ineffizienten Förderung des Eigenheimbaus, Gewinnung privaten Kapitals für Investitionen in den Wohnungsbau durch angemessene Rentabilität, begleitet durch ein neues, qualifiziertes Wohngeld, ein Baulandprogramm, das u. a. eine gerechte Besteuerung des baureifen Baulandes und die Abschöpfung von Wertsteigerungen und Spekulationsgewinnen zuläßt. Wer den Gemeinden Mitte der 80er Jahre das Vorkaufsrecht bei Grundstücken wegnimmt, kann sie heute nicht prügeln, wenn sie keine Grundstücke mehr für den Bau von Wohnungen zur Verfügung stellen können.
Schließlich brauchen wir eine Neuorientierung der Wohnungspolitik in den neuen Bundesländern, mit der dann die dort am Boden liegende Wohnungsbaukonjunktur angekurbelt werden kann.Ich komme zum Schluß: Zu diesen Punkten trägt dieses Steueränderungsgesetz nichts bei. Im Gegenteil, wir prophezeien Ihnen — und sind da keine Schwarzmaler — : Die Lage am Wohnungsmarkt wird sich weiter verschärfen. Ihr Programm wird wirkungslos sein, außer daß Subventionen verlorengehen.Schönen Dank.
Das Wort hat die Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Dr. Irmgard Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit 1989 die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket zur Verbesserung des Wohnungsbaus beschlossen hat, geht der Neubau endlich wieder nach oben. Die Fertigstellungszahl lag im Jahre 1990 bei knapp 260 000; für das Jahr 1991 gehen wir nach wie vor von einer Fertigstellungszahl von etwa 300 000 Einheiten aus. Das ist natürlich nicht das Ende; damit können wir nicht zufrieden sein. Wir wissen selbstverständlich, daß die sprunghaft gestiegene Nachfrage der letzten Jahre schrittweise abgebaut werden muß.Für die Nachfrage gibt es gute Gründe: Infolge von Zuwanderungen seit 1988 aus mittel- und osteuropäischen Staaten gibt es 2,5 Millionen Menschen, die hier Arbeit und Wohnung gesucht haben. Die Anzahl der 1-Personen-Haushalte hat sich in der gleichen Zeit ebenfalls um 2,5 Millionen vermehrt. Das bedeutet, daß zusätzlicher Wohnraum nachgefragt wird. Darüber hinaus steigen unsere Ansprüche an die Größe unserer Wohnung Jahr für Jahr weiter an. In den letzten Jahren war das pro Person ein halber Quadratmeter Wohnfläche zusätzlich. Daß dies große Mühe bedeutet, mit dem Bauen nachzukommen, ist, so denke ich, wohl klar; denn Wohnungen lassen sich nicht aus dem Boden stampfen, sondern sie müssen vorbereitet werden.Herr Reschke, Sie haben in Ihrer Rede die Widersprüche der Kritik ganz getreu aufgenommen, ohne allerdings den Ansatz zu zeigen, wie Sie diese Widersprüche auflösen möchten. Die einen werfen mir ja vor, die Bundesregierung unternehme zu wenig, weil der Bedarf so hoch sei. Das heißt, die Mittel, die wir zur Verfügung stellen, würden nicht ausreichen. Die Sozialdemokraten haben sich dem im wesentlichen angeschlossen; denn die Vorschläge, die Sie im Ausschuß
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Bundesministerin Dr. Irmgard Schwaetzergemacht haben, bedeuten schlicht mehr Staatsausgaben für den Wohnungsbau.Die anderen — das sind die sehr theoretisch und auch sehr vernünftig an die Finanzmärkte und an die Wohnungsbaudiskussion aus dieser Perspektive Herangehenden — werfen der Bundesregierung vor, dies sei alles sowieso schon zuviel, weil die Baukapazitäten ausgelastet seien und damit die Gefahr der Preissteigerungen und der Inflation gegeben sei.Dieser Gefahr sind wir uns bewußt. Nur: Die Konsequenz aus den beiden Vorwürfen müßte ja eigentlich sein: Wir legen die Hände in den Schoß und machen nichts. Das kann es ja wohl nicht sein. Insofern, denke ich, ist eine Theoriediskussion zwar sehr schön. Aber ich bin bei dieser widersprüchlichen Kritik fest davon überzeugt, daß das, was die Bundesregierung beschlossen und auf den Weg gebracht hat, was das Parlament abgeändert hat und heute mit dem Steueränderungsgesetz 1992 verabschiedet, angemessen ist für die schrittweise Bewältigung der Wohnungsengpässe in der Bundesrepublik Deutschland.Wir haben schnell gehandelt. Denn wir wissen: Wer schnell handelt, gibt doppelt. Wir haben dabei die Problemzonen besonders berücksichtigt: die Eigenheimförderung zum einen und den sozialen Wohnungsbau zum anderen.Ich warte im übrigen noch auf eine positive Reaktion vor allen Dingen der sozialdemokratisch regierten Länder auf das Angebot der Bundesregierung, ein Sonderprogramm für Ballungszentren in Höhe von 700 Millionen DM pro Jahr für drei Jahre aufzunehmen, das natürlich von den Ländern entsprechend mitfinanziert werden müßte.
Ich hoffe, daß wir uns noch einigen können. Aber dafür bedarf es auch noch eines Schrittes der Länder.Heute sprechen wir über die Verbesserung der Eigenheimförderung, die notwendig ist, weil hier die Zahl der Baugenehmigungen im ersten Halbjahr 1991 um 18 % rückläufig war. Das sind die Auswirkungen der gestiegenen Baukosten, der gestiegenen Baulandpreise und der gestiegenen Zinsen.Was wir vorschlagen und was im Steueränderungsgesetz umgesetzt wird, sind ganz genau und ganz gezielt positive Effekte für die Einkommensgruppen, die gerne ihren Wunsch nach einem Eigenheim verwirklichen möchten, aber wegen der gestiegenen Kosten der letzten zwei Jahre das gerade nicht tun können. Sie können dies deshalb nicht schaffen, weil sie an der Schwelle sind, aber diese Schwelle nicht überschreiten können.
Genau diesen Einkommensgruppen wird mit den Vorschlägen, die jetzt im Steueränderungsgesetz verwirklicht werden, geholfen. Weil es uns darum geht, die Nachfrage bei denen zu stärken, die im Moment mit den Kosten pro Monat gerade überfordert sind, ist es auch akzeptabel, daß wir Einkommensgrenzen bei der Eigenheimförderung im § 10e EStG einfügen.Dies wirkt sich nämlich nach unserer Einschätzung nicht negativ auf die Nachfrage aus. Allerdings war es für uns wichtig sicherzustellen, daß die Familien, die einmal in die Förderung hineingekommen sind, bei einer Erhöhung ihres Einkommens nicht aus der Förderung herauswachsen. Das heißt, wer einmal eine Eigenheimförderung in Anspruch genommen hat, bekommt die Förderung für den gesamten Förderzeitraum seiner Maßnahme.Ich darf betonen: Das Zusammenwirken der unterschiedlichen Maßnahmen ist wichtig: der Schuldzinsenabzug, die Verbesserung der Abschreibungsbedingungen zu Beginn, also in der Anfangszeit, in der die Belastung hoch ist, die Ausnutzung der Abschreibungsmöglichkeiten über den gesamten Förderzeitraum, die volle Nutzung des Baukindergeldes und der wiederaufgenommene Fördertatbestand des Ausbaus eines Ein- zu einem Zweifamilienhaus.Demgegenüber, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind die Vorschläge, die die Sozialdemokraten im Ausschuß zur Abstimmung gestellt haben und die den Vorschlägen ähnlich sind, die auch der Bundesrat in seinem ersten Durchgang gemacht hat, nicht geeignet, die Nachfrage zu verbessern.
Die Umstellung auf den Abzug von der Steuerschuld, wenn er denn für den Personenkreis, von dem ich eben gesprochen habe, d. h. für diejenigen, die heute nicht bauen, aber an der Schwelle zu einer solchen Entscheidung stehen, überhaupt interessant sein soll, würde nach den Vorstellungen der Sozialdemokraten nicht nur nicht zu einer besseren Förderung, sondern zum Teil sogar noch zu einer Schlechterstellung gegenüber der heutigen Situation führen.
Das kann in der jetzigen Situation nicht der Stein des Weisen sein. Ein Abzugssatz von 2 % — nur damit würde die Förderung, die dieser Personenkreis heute hat, in etwa aufrechterhalten — würde zusätzliche Mehrausgaben pro Förderjahrgang von 3,5 Milliarden DM gegenüber dem, was jetzt die Mehrheit des Bundestages im Ausschuß vorgeschlagen hat, bewirken.
Ich denke, von daher wird schon klar, daß diese Umstellung in Zeiten einer angespannten Finanzsituation nicht nur nicht zielgerichtet wirkt, sondern den Zielen einer Nachfrageverbesserung geradezu entgegensteht. Darüber hinaus reicht diese Umstellung auch in den Bereichen, in denen die Sozialdemokraten speziell fördern wollen, nicht aus, um den betroffenen Familien tatsächlich zu helfen.Die 74 000 DM Gesamtförderung, Herr Reschke, die Sie für eine Familie mit einem Einkommen von 40 000 DM ausgerechnet haben, sind weit weniger, als diese Familien heute insgesamt an Eigenheimförderung bekommen. Sie bekommen heute steuerliche
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Bundesministerin Dr. Irmgard SchwaetzerFörderung, Direktförderung nach dem Wohngeldgesetz als Lastenzuschuß und Direktförderung im sozialen Wohnungsbau. Das summiert sich zu Förderbeträgen zwischen 100 000 DM und 120 000 DM. Das heißt: Trotz dieser Umstellung reicht es bei dem Personenkreis nicht einmal aus.Meine Damen und Herren, deshalb appelliere ich an Sie: Seien Sie pragmatisch! Wir werden in den nächsten Jahren eine Instrumentendiskussion führen. Diese Diskussion kann aber nicht übers Knie gebrochen werden; sie braucht viel Zeit. Jetzt gilt es, pragmatisch zu handeln. Deswegen appelliere ich auch an den Bundesrat, die heute zu beschließenden Maßnahmen im Vermittlungsausschuß passieren zu lassen, denn ganz sicher helfen wir am besten, wenn wir schnell helfen. Das bedeutet, daß wir den Personenkreis gezielt fördern müssen, der hier angesprochen ist. Wir können in der Zukunft noch über vieles reden, aber jetzt geht es darum, mit dem bestehenden Instrumentarium zielgerichtet und genau zu fördern.Das gewährleistet der vorliegende Entwurf. Deshalb bitte ich Sie, ihm in der vorliegenden Fassung zuzustimmen.Ich danke Ihnen.
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Reschke das Wort.
Frau Bauministerin, sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, daß unser Modell mit 2,08 % Durchschnittsförderung im Jahr nicht teurer ist als das Modell der Regierung? Die im Finanzausschuß vorgelegten Zahlen zweifeln wir sehr stark an, und zwar deshalb, weil Sie 1 bis 2 Milliarden DM verschwiegen haben, die ein sogenanntes Werbungskostensurrogat jährlich kosten wird und das Ihren Modellen hinzuzurechnen ist.
Sie rechnen sich reich. § 10h, wonach in Zukunft nicht etwa nur Ausbauten einer zweiten Wohnung in vorhandenen Wohnungen in einem Umfang von 30 000, 40 000, 50 000 oder 60 000 DM gefördert werden, sieht eine Förderung durch Abzug vom zu versteuernden Einkommen in einer Größenordnung von über 19 000 DM vor. Sie müssen davon ausgehen, daß diese Subvention, wenn der vorhandene Rahmen voll ausgeschöpft wird, ähnliche Dimensionen erreicht, wie sie mit dem derzeit geltenden § 10 e erreicht werden. Insofern ist das Zahlenwerk unseriös, und die Zielrichtung falsch.
Letzte Anmerkung. Der Bauausschuß des Deutschen Bundestages hat beschlossen, daß mit dem vorgelegten Steueränderungsgesetz die Reform des § 10e, die der Bundestag am 14. Mai in Berlin beschlossen hat, nicht erledigt ist.
Zur Erwiderung gebe ich der Bundesbauministerin das Wort.
Herr Abgeordneter Reschke, ich bin natürlich gerne bereit, alles Mögliche zur Kenntnis zu nehmen, aber ich werde mich nie auf den Weg begeben, den Sie gerade eingeschlagen hat, nämlich Äpfel und Birnen zusammenzuzählen. In Ihrem Rechenmodell sind ein paar Dinge zusammengerechnet, die einfach nicht gegenübergestellt werden dürfen.
Herr Abgeordneter Reschke, jetzt hat die Ministerin das Wort!
Ich habe Sie soeben auch nicht unterbrochen. —
Sie müssen vielmehr die reine Förderung im Eigenheimbau — ohne den Ausbau eines Einfamilienhauses zu einem Zweifamilienhaus; ich meine die reine Eigenheimförderung — dem Modell des Bundesrats bzw. Ihrem Modell gegenüberstellen. Dabei gelangen Sie — das ist übrigens unbestritten — zu Mehrkosten Ihres Modells pro Förderjahrgang von 3,5 Milliarden DM.
Übrigens, die Finanzminister im Bundesrat waren schon sehr viel zögerlicher. Sie haben einen Umstellungssatz von 2 % erst gar nicht befürwortet, sondern sind auf 1,5 % zurückgegangen. Wenn Sie das allerdings tun, dann schneiden Sie bei dem Personenkreis, der heute noch baut, drastisch in die Förderung ein, d. h. Sie verschlechtern die Förderungsbedingungen so drastisch, daß zusätzlich ein Wegbrechen dieses Personenkreises zu befürchten ist.
Insofern bitte ich Sie noch einmal: Gehen Sie pragmatisch an die ganze Geschichte heran! Lassen Sie uns jetzt nicht um Zahlen streiten! Darauf werden wir uns schon einigen. Über zwei Dinge sollten wir uns aber verständigen: Erstens. Apfel und Birnen werden nicht zusammengezählt, sondern es wird verglichen, was vergleichbar ist. Zweitens. Ich sage noch einmal: Die Instrumentendiskussion wird kommen. Daran haben wir alle überhaupt keine Zweifel. Das ist auch vernünftig. Aber jetzt muß das getan werden, was möglich ist und was besonders zielgenau ist. Da sind die Vorschläge, die die Mehrheit hier im Hause gemacht hat, genau die richtigen.
Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Rauen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In diesem Steueränderungsgesetz werden auch die Gemeindeverkehrsfinanzen völlig neu geregelt. Ich finde, daß hier den Verkehrspolitikern ein sehr gutes Gesetz gelungen ist.
Man sollte für die Öffentlichkeit hervorheben — weilvieles hier ansonsten im Dissens erscheint — , daßdiese Regelung bei den Verkehrspolitikern über alle
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4624 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991
Peter Harald RauenFraktionen hinweg getroffen wurde. Nicht nur sind die Mittel für die Gemeindeverkehrsfinanzierung um 1,5 Milliarden DM in 1992 und 3 Milliarden DM in 1993 angehoben worden, den Ländern werden auch weit mehr Kompetenzen gegeben. Sie können 80 % der Mittel für den kommunalen Straßenbau und für den öffentlichen Personennahverkehr nach ihrer freien Entscheidung verbauen. Nur der Rest von 20 % wird vom Bund kontrolliert in großen Schienenbaumaßnahmen verbaut.Daß der Finanzausschuß die Mittel ab 1993 noch herausgenommen hat, hat nichts damit zu tun, daß die verkehrspolitische Bedeutung in Frage gestellt wird, sondern einfach damit, daß die 3 Milliarden DM, die der Bund mehr gibt — es ist fast eine Verdoppelung der bisherigen Finanzmittel —, in die Länderfinanzbeziehungen eingebracht werden müssen.Zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze sollen zukünftig die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft, eine Staffelung bei der Gewerbeertragssteuer eingeführt und die betrieblichen Vermögenssteuern verringert werden. Die Kosten hierfür betragen 6 Milliarden DM. Über 90 % sind durch den Abbau von Steuersubventionen gegenfinanziert. Hinzu kommen noch rund 2,5 Milliarden DM — Kollege Faltlhauser hat die Zahl schon genannt — durch Abbau bei den Abschreibungen für Betriebsgebäude.Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund, daß die deutschen Direktinvestitionen im Ausland 1990 um 40 % oder 8,5 Milliarden DM Netto-Transferleistungen zugenommen haben, andererseits aber die ausländischen Direktinvestitionen netto um 5 Milliarden DM oder 63 % bei uns abgenommen haben, wird es höchste Zeit, daß die im internationalen Vergleich zu hohen Unternehmensteuern bei uns gesenkt werden.
In knapp vierzehn Monaten ist der europäische Binnenmarkt Wirklichkeit. Dann können Menschen, Waren, Dienstleistungen und Kapital innerhalb der EGStaaten frei verkehren. Investitionen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze werden dort getätigt, wo sich das eingesetzte Kapital rechnet. Die deutschen Direktinvestitionen in Staaten der Europäischen Gemeinschaft sind im letzten Jahr um 53 % auf 20,4 Milliarden DM gestiegen. Wenn ich mir in diesem Zusammenhang die Diskussionsbeiträge der Sozialdemokraten zur Unternehmensteuerreform anhöre, die auch heute wieder gekommen sind, wird mir deutlich, daß die Sozialdemokraten entweder das alles nicht wissen oder Europa 1993 nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Der Neid wird geschürt, das Märchen von der Umverteilung von unten nach oben erzählt.
Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und die Senkung der Vermögensteuer werden als sozial ungerecht gebrandmarkt.
Meine Damen und Herren, wer so Menschen verhetzt,handelt mit Blick auf die Arbeitsplätze von morgenund mit Blick auf den europäischen Binnenmarkt unverantwortlich und zeigt, daß er die Materie nicht verstanden hat.
Sowohl die betriebliche Vermögensteuer als auch die Gewerbekapitalsteuer haben als wesentliche Bemessungsgrundlage den Einheitswert des Betriebes. Das heißt im Umkehrschluß: Ein Unternehmer, der investiert, um Arbeitsplätze zu schaffen oder zu sichern, wird anschließend mit diesen beiden Steuerarten für sein ansonsten löbliches Tun bestraft.
Aber nicht nur das, er muß diese Steuer auch noch zahlen, wenn er keine Gewinne macht, d. h. diese Steuern zehren die Substanz des Betriebes auf, möglicherweise kompromißlos bis zum Bankrott des Unternehmens und dem Verlust der Arbeitsplätze.
Die betriebliche Vermögensteuer hätte viel richtiger den Namen „Strafsteuer auf getätigte Investitionen " verdient
und die Gewerbekapitalsteuer den Namen „Arbeitsplatzsteuer".
— Frau Matthäus-Maier, hören Sie mal gut zu: Die Behauptung, daß betriebliche Vermögensteuer und die Gewerbekapitalsteuer nur Großbetriebe belasten, stimmt einfach nicht. Ich selbst bin seit 25 Jahren persönlich dafür verantwortlich, daß zwischen 10 und 100 Mitarbeiter Arbeit haben und diese monatlich pünktlich entlohnt werden. Ich weiß, daß diese substanzverzehrenden Steuern gerade in ertragsschwachen Jahren über diese 25 Jahre hinweg meinen Betrieb am meisten belastet haben, weil sie halt die Substanz besteuern.
— Herr Minister, regen Sie sich doch nicht auf! Sie hat das Glück, von keiner praktischen Erfahrung getrübt zu sein, und deshalb kann sie einen solchen Quatsch reden.
Die SPD will die-Untenehmensteuerreform im Bundesrat scheitern lassen. Ich sage an die Adresse der Opposition in aller Ruhe, aber um so deutlicher: Wer diese Steuerarten vor dem Hintergrund des Europäischen Binnenmarktes nicht abschaffen will, muß auch die Verantwortung für die Arbeitsplätze übernehmen,
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Peter Harald Rauendie bei uns morgen weggehen oder nicht mehr neu geschaffen werden.Sowohl die betriebliche Vermögensteuer als auch die Gewerbekapitalsteuer passen nicht in die europäische Landschaft. In einem Wahlkreis mit 150 km Grenze zu Belgien und Luxemburg — nach Frankreich sind es gerade 30 km — ist ein Stück europäische Wirklichkeit von morgen bereits heute sehr deutlich zu erleben. Der deutsche Arbeitnehmer in Luxemburg hat bei 3 500 DM brutto dort 500 DM netto mehr in der Tasche als bei uns.
Spediteure flaggen mit ihren Lkw aus, weil sie pro Zug und Fahrer beim Standort Luxemburg 20 000 DM jährlich sparen.
Man tankt natürlich in Luxemburg; die Tankstellen auf deutscher Seite können dichtmachen.Meine Damen und Herren, dies hat alles mit unterschiedlichen Steuern, Abgaben und Lohnnebenkosten zu tun.
Machen wir uns nichts vor: Bei offenen Grenzen in Europa wäre es für jede Firma mit Blick auf Wettbewerbsfähigkeit und Erhalt der Arbeitsplätze nahezu leichtfertig, den jetzigen Standort unter dem Gesichtspunkt von Steuern und Sozialabgaben nicht sorgfältig zu überprüfen. Mit dem, was an Herausforderungen vor der Tür steht, fällt die Unternehmensteuerreform nach meiner festen Überzeugung viel zu knapp aus.
Es gibt eine große Gruppe in unserer Fraktion, den „Diskussionskreis Mittelstand", der meint, daß jetzt bereits für kleine und mittlere Betriebe noch einiges zusätzlich geschehen muß.
Kollege Kurt Faltlhauser hat dankenswerterweise erwähnt, daß möglicherweise schon in der nächsten Woche ein Eckbeschluß gefaßt wird, daß endlich Selbständige für ihre Altersvorsorge mehr von unversteuertem Geld aufwenden können.
Damit wird eine große Ungerechtigkeit beseitigt. Das muß getan werden. Und ich hoffe, daß bei der Gewerbeertragsteuer im Rahmen der Verhandlungen im Vermittlungsausschuß der Freibetrag verdoppelt wird, von 36 000 DM auf 72 000 DM, oder daß bei der Staffelung statt 12 000 dann 24 000 DM erreicht werden.Mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit in Europa sowie Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen bei uns halte ich weitergehende Entlastungen bei den Unternehmensteuern für unumgänglich.
Über eines bin ich mir sicher: Je näher wir dem Januar 1993 kommen, desto eher wird man bereit sein, dies einzusehen — ich hoffe, auch bei der Opposition.
Herr Kollege Rauen, der Ausdruck „verhetzen" ist sicher nicht gentlemanlike. Ich persönlich halte ihn auch für unparlamentarisch und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie ihn in Zukunft vermeiden könnten.
Nun erteile ich der Abgeordneten Frau Ingrid Matthäus-Maier das Wort.
Danke, Herr Präsident! Herr Rauen hat mehrfach einen derartigen Zusammenhang dargestellt: Wenn man gegen die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und gegen die Senkung der Vermögensteuer sei, dann vernichte man Arbeitsplätze. Es gab ein kurzes Wortspiel zwischen dem Finanzminister und mir über die Bänke hinweg, bei dem Herr Waigel sagte, das, was ich gesagt habe, sei dummes Geschwätz.
Meine Damen und Herren, ich weise das zurück. Es gibt nach meiner Kenntnis — wenn es nicht stimmt, stellen Sie sich hier hin und beweisen Sie das Gegenteil! — keinen einzigen Betrieb in der Bundesrepublik Deutschland, der deswegen ins Schleudern geraten wäre oder gar in Konkurs gegangen wäre, weil das Finanzamt darauf beharrt hätte, daß das Unternehmen trotz seiner Liquiditätsprobleme die ertragsunabhängigen Steuern zahlt.
Finanzämter treiben in diesem Lande, soweit mir bekannt ist, Unternehmen nicht in den Konkurs. Es gibt bereits heute Stundungsmöglichkeiten, die von den Unternehmen genutzt werden. Dies ist auch völlig richtig. Alles andere wäre idiotisch.
Aber unterlassen Sie es bitte, hier den Eindruck zu erwecken, als würde die Zahlung der Gewerbekapitalsteuer und der Vermögensteuer die Unternehmen in den Konkurs treiben!
Nun eine Kurzintervention des Abgeordneten Waigel.
— Das Wort hat der Abgeordnete Waigel.
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4626 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991
Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich lege Wert auf die Tatsache: Mein Zwischenruf Ihnen gegenüber bezog sich auf Ihren Zwischenruf. Als der Kollege Rauen darauf hinwies, daß ihm während seiner unternehmerischen Tätigkeit als Mittelständler über Jahrzehnte hinweg diese Steuer in ertragsschwachen Jahren am meisten zu schaffen gemacht hat, haben Sie den Zwischenruf gemacht: „Es gibt Sie ja noch! " Diesen Zwischenruf empfinde ich als zynisch und empörend. Darauf bezog sich mein Zwischenruf Ihnen gegenüber.
Auf eine Kurzintervention kann nicht mit einer Kurzintervention geantwortet werden.
Was den Ausdruck „idiotisch" anlangt, sage ich das gleiche, nur nicht „gentlemanlike", sondern „ladylike".
Ich möchte nunmehr die Debatte beenden und zur Abstimmung kommen.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 1992 auf den Drucksachen 12/1108, 12/1368, 12/1466 und 12/1506.
Ich rufe Art. 1 — Änderung des Einkommensteuergesetzes — auf.
Hierzu liegt auf Drucksache 12/1508 ein Änderungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe PDS/ Linke Liste auf Drucksache 12/1508? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Für diesen Änderungsantrag ist eine Stimme abgegeben worden, der Rest des Hauses hat dagegen gestimmt.
Wer stimmt für Art. 1 in der Ausschußfassung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Dann ist dieser Artikel mit den Stimmen der Mehrheitsfraktionen CDU/CSU und FDP angenommen.
Ich rufe nunmehr die Art. 1 a bis 13 in der Ausschußfassung auf. Diejenigen, die den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünschen, bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Mit der gleichen Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 14 — Änderung des Gesetzes über steuerliche Maßnahmen bei der Änderung der Unternehmensform — auf.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 12/1509 vor. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der SPD-Fraktion abgelehnt worden.
Ich kann nun über Art. 14 in der Ausschußfassung abstimmen lassen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung des Abgeordneten Pfeffermann aus der CDU/CSU-Fraktion mit der Mehrheit der Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Ich rufe die Art. 15 bis 26, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer diesen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
— Wir sind zwar in der Abstimmung, aber bitte.
Manfred Hampel Hinsichtlich der aufgerufenen Artikel haben wir in der SPD ein unterschiedliches Abstimmungsverhalten. Wenn Sie sie insgesamt zur Abstimmung stellen, müssen wir sie ablehnen.
Dann möchte ich Sie bitten, sich geschäftsordnungsmäßig zu verhalten. Sie müßten mir also sagen, über welchen Artikel die SPD-Fraktion getrennt abzustimmen wünscht.
Mit dieser allgemeinen Bemerkung kann ich bedauerlicherweise nichts machen, auch bei gutem Willen nicht. Über welchen Artikel der Art. 15 bis 26 soll Ihrer Meinung nach getrennt abgestimmt werden?
Ich würde Sie bitten, die Art. 15 bis 26 getrennt zur Abstimmung zu bringen.
Jeden einzelnen?
Jeden einzelnen.
Diesem geschäftsordnungsmäßigen Begehren der SPD-Fraktion werde ich natürlich Rechnung tragen.Wer ist für Art. 15 in der Ausschußfassung? — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der SPD-Fraktion und gegen die Stimmen der Gruppe der PDS/Linke Liste mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.Art. 16. Wer ist dafür? — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Bei den gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen.Art. 17. Wer ist dafür? — Wer ist dagegen? — Art. 17 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses — mit Ausnahme der Stimme des Abgeordneten Briefs — angenommen.Wir kommen nunmehr zu Art. 18. Wer für Art. 18 in der Ausschußfassung ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.Art. 19. Wer ist dafür? — Wer ist dagegen? — Art. 19 ist mit der gleichen Mehrheit angenommen.Wir kommen zu Art. 20. Wer ist dafür? — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Mit der gleichen Mehrheit angenommen.Art. 21. Wer ist dafür? — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Keine. Mit der gleichen Mehrheit angenommen.
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Vizepräsident Dieter-Julius CronenbergArt. 22. Wer ist dafür? — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Art. 22 ist angenommen.Art. 23: Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Dieser Artikel ist mit allen Stimmen des Hauses mit Ausnahme der des Abgeordneten Briefs angenommen.Art. 24: Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen?— Enthaltungen? — Bei Enthaltung der SPD-Fraktion gegen die Stimme des Abgeordneten Briefs mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP angenommen.Art. 25: Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen?— Enthaltungen? — Bei Enthaltung der SPD-Fraktion gegen die Stimme des Abgeordneten Briefs mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.Art. 26, Einleitung und Überschrift: Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen den Rest des Hauses angenommen.Ich habe offensichtlich versäumt — auch ich kann mich irren — , über den Art. 17 a abstimmen zu lassen. Das muß ich wohl nachholen.Der Abgeordnete Rind hat sich zur Geschäftsordnung gemeldet. Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Hinter Art. 24 soll eine ganze Reihe von Artikeln eingefügt werden, nämlich Art. 24 a bis Art. 24 f. Da Einzelabstimmung beantragt wurde, müssen wir über diese ganze Latte einzelner Artikel noch abstimmen.
Das Begehren der SPD-Fraktion habe ich nicht so verstanden, daß bei den Artikeln auch noch nach Buchstaben differenziert werden sollte. Das trifft offensichtlich für alles andere auch zu
und findet Zustimmung, so daß wir darüber jetzt nicht mehr abzustimmen brauchen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Gattermann.
Habe ich das hohe Präsidium richtig verstanden, daß mit der Abstimmung über den Art. 24 auch die Abstimmung über die Art. 24 a bis Art. 24 f erledigt ist?
Dies ist die Interpretation des Präsidenten.
Ich bedanke mich sehr herzlich dafür.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Keine. Das Gesetz ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP gegen die Stimmen der Fraktion der SPD und des Abgeordneten Briefs angenommen.
Der Finanzausschuß empfiehlt in Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/320 abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Wer stimmt dagegen? — Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Weiter empfiehlt der Finanzausschuß in Nr. 3 seiner Beschlußempfehlung, den Bericht des Bundesrechnungshofs auf Drucksache 12/1040 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Bei Enthaltung der Fraktion der SPD
und des Abgeordneten Briefs mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 12/1510. Wer stimmt für diesen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung des Abgeordneten Briefs vom ganzen Haus angenommen.
Wir stimmen über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/1472 ab. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung des Abgeordneten Briefs ist dieser Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Nun sind wir wirklich am Ende dieses Tagesordnungspunktes. Ich bedanke mich für Ihre Mitarbeit.
Ich nehme an, daß wir vor dem Aufruf des nächsten Tagesordnungspunkts den Wechsel im Präsidium vornehmen können.
Meine Damen und Herren, ich bitte diejenigen, die der folgenden Debatte zuhören wollen, Platz zu nehmen, und alle übrigen Kolleginnen und Kollegen, den Saal zu verlassen.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Strukturhilfegesetzes und zur Aufstockung des Fonds „Deutsche Einheit"— Drucksachen 12/1227, 12/1374 —Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses
— Drucksache 12/1494 —
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Vizepräsident Helmuth BeckerBerichterstattung:Abgeordnete Adolf Roth Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Helmut Wieczorek (Duisburg)
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich höre und sehe keinen Widerspruch. — Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Joachim Grünewald das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Entwurf der Bundesregierung zur Aufhebung des Strukturhilfegesetzes und zur Aufstockung des Fonds „Deutsche Einheit" werden die allein richtigen Konsequenzen aus dem glücklichen Prozeß der Wiedervereinigung gezogen.
Er enthält eine angemessene Antwort aus strukturpolitischer, aus wirtschaftspolitischer, aus finanzpolitischer und nicht zuletzt auch aus verfassungsrechtlicher Sicht.Die Strukturhilfen, wie sie jetzt gewährt werden, lassen sich heute einfach nicht mehr einleuchtend begründen; denn den neuen Ländern geht es unvergleichlich viel schlechter als den alten. Wenn ich nämlich einen Vergleich anstelle zwischen den strukturschwächsten Regionen bei uns — im Hunsrück, im Bayerischen Wald oder bei mir im Sauerland — und der reichsten Region im Beitrittsgebiet, dann stelle ich fest, daß die ärmste Region bei uns immer noch unvergleichlich viel reicher ist als die reichste Region im Beitrittsgebiet.
Daraus erhellt, daß die Geschäftsgrundlage für dieses Gesetz entfallen ist und daß wir uns der Lösung dieser völlig neuen Strukturprobleme nicht mit alten, sondern mit neuen Mitteln zuwenden müssen.Nun werden wir gleich das Argument des Vertrauensschutzes hören. Das ist schon im Bundesrat vorgetragen worden und wird immer wieder gebracht. Einmal ganz abgesehen davon, daß dieser Rechtsgedanke hier überhaupt nicht zum Tragen kommt, enthält das geltende Strukturhilfegesetz eine Revisionsklausel. Es baut wie alle haushaltswirksamen Gesetze auf dem Jährlichkeitsprinzip auf.Im übrigen sind zwei Klagen beim Verfassungsgericht in Karlsruhe anhängig. Es ist interessant zu sehen, daß das Land Hessen — schade, daß der Kollege Wieczorek nicht mehr da ist — in Karlsruhe auf Aufhebung des Strukturhilfegesetzes klagt, aber im Bundesrat gegen die Aufhebung eben dieses Gesetzes stimmt. Ein solches nahezu schizophrenes Verhalten müßte doch einmal erklärt werden.Außerdem sind auch die Befürchtungen, die damals zum Strukturhilfegesetz geführt haben, entfallen. Wir haben heute Gott sei Dank eine viel bessere Arbeitsmarktlage. Wir haben dank der Steuerreform auch beachtliche Steuermehreinnahmen der Länder und auch der Gemeinden. Vor allen Dingen lassen die einigungsbedingten Einnahmezuwächse der Länder das Ganze in einem anderen Licht erscheinen als zum Zeitpunkt der Verabschiedung dieses Gesetzes.Die Weitergewährung der Strukturhilfe wäre darüber hinaus auch gesamtwirtschaftlich verfehlt; denn sie würde die Nachfrage nach Infrastruktur unnötig aufpuschen. Das fände sich dann wieder in höheren Preisen, in Mehrbelastungen der Länderhaushalte, aber auch als Negativum in einer Verzögerung des wirtschaftlichen Aufbaus in den neuen Ländern.Dann wird gesagt, die Umlenkung sei den alten Ländern nicht zumutbar. Sie ist ihnen sehr wohl zumutbar; denn sie führt zu keinerlei Entzug an Haushaltsdeckungsmitteln, weil die Strukturhilfen ja investitionsprojektgebunden sind. Im übrigen haben sich verantwortungsbewußte Länder auch schon lange auf den Fortfall der Strukturhilfen eingestellt und ein Finanzpolster zur Ausfinanzierung begonnener oder bewilligter Maßnahmen geschaffen.
Wir kommen den Ländern auch entgegen, indem wir Überbrückungshilfen in Höhe von 600 Millionen DM vorsehen, die wir noch in diesem Jahr zur Auszahlung bringen wollen.Auch die in besonderer Weise unter einer Haushaltsnotlage leidenden Länder Saarland und Bremen werden bedacht; bei diesen Ländern wirkt sich der Fortfall der Strukturhilfe naturgemäß besonders nachteilig aus. Wir haben die Zahlung der sogenannten Haushaltshilfevorabbeträge zeitlich nicht nur verlängert — sie würde ja auslaufen —, sondern die Beträge auch noch verdoppelt.Bei dem dynamisierten Aufkommen der Bundesergänzungszuweisungen können die alten Länder das auch bezahlen, ohne daß sie unter das Niveau ihrer Hilfen aus dem Strukturhilfegesetz des Jahres 1991 zurückgefahren werden.Im übrigen sind diese Bundesergänzungszuweisungen in dieser Form ein Fremdkörper in unseren BundLänder-Finanzbeziehungen, weil sie eine gröbliche Verletzung des verfassungsrechtlich geschützten Nivellierungsverbots darstellen. Das Bundesverfassungsgericht wird uns in den nächsten Wochen oder Monaten dazu Entsprechendes sagen.Ich darf noch darauf hinweisen, daß wir als Bund neben diesen so eingesparten umzulenkenden 2,45 Milliarden zusätzlich noch einmal 3,45 Milliarden hinzulegen. Das sind also insgesamt 5,9 Milliarden. Es ist schon so, wie es im Bundesrat von dem Kollegen Kühbacher gesagt wurde: An diesem Gesetz entscheidet sich wirklich in einer Nagelprobe, ob wir die Solidarität mit den neuen Ländern ernst nehmen oder ob das alles nur Gerede ist.
— Sie waren ja im Bundesrat gar nicht dabei. — Wenn demgegenüber der Bundesrat und die Länder nun das sogenannte berühmte Geschäft zu Lasten Dritter machen wollen und von uns bis 1995 zusätzlich 65 Milli-
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Parl. Staatssekretär Dr. Joachim Grünewaldarden verlangen, dann kann ich nur sagen: Das ist ganz schlicht und einfach nicht finanzierbar. Eine solche Forderung entbehrt jeder realistischen Grundlage.
Es ist schon interessant zu sehen — ich will es vorsichtig formulieren —, wie sehr doch die westlichen Länder aus Egoismus, was mit Föderalismus nun wirklich nichts mehr zu tun hat, jedwede Einsicht vermissen lassen. Sie berufen sich immer wieder auf das bündische Prinzip des Einstehens füreinander, was die gesamten Finanzbeziehungen zwischen den Ländern untereinander, aber auch zwischen Bund und Ländern angeht. Nur, sie lassen dieses bündische Prinzip des Einstehens füreinander nun nicht entsprechend der veränderten Rechtslage für alle 16 Länder gelten, sondern nehmen es, als wenn es den glücklichen Prozeß der Wiedervereinigung nicht gegeben hätte, nur für die alten elf Länder, also für sich, in Anspruch.Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Detlev von Larcher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon in der ersten Lesung am 17. Oktober hat unser Sprecher, der Kollege Hans Georg Wagner, klargemacht, daß die SPD den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Aufhebung des Strukturhilfegesetzes ablehnt. Der Finanzminister des Landes Brandenburg hat in der gleichen Debatte darauf hingewiesen, daß im Titel des Gesetzentwurfs eine glatte Wortverdrehung vorkommt. Es wird von Aufstockung gesprochen, und ein Abbau wird vorgenommen.
— Sie bauen ab! Sie stocken nicht auf, sondern bauen mit den Jahren die Zuweisungen ab.
— 1990 gibt es 35 Milliarden, 1992 33,9 Milliarden und 1994 15,9 Milliarden. Ist das ein Aufbau oder ein Abbau?
Die Bundesregierung und die Koalitionsparteien sind in ihrem Euphemismus unübertroffen. Sie nennen jede neue Belastung der Bürgerinnen und Bürger eine Wohltat. Das Steueränderungsgesetz, über das wir gerade beraten haben, zeigt das auch wieder.
Herr Kollege von Larcher, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Herr Kollege Uldall, bitte sehr.
Herr Kollege, stimmen Sie mir zu, daß es, wenn man zu einer bestimmten Menge — egal, ob es Äpfel oder Pflaumen oder auch Milliarden sind — 2,45 hinzulegt und noch einmal 3,45 hinzulegt, dann insgesamt 5,9 mehr sind, nicht weniger?
Ich habe Ihnen doch die Zahlen genannt und gesagt, daß das, was dieses Jahr fällig wird, nächstes Jahr weniger wird; aber Sie reden von Aufstockung.
Das ist keine Aufstockung, und das können Sie nicht widerlegen.Das Strukturhilfegesetz wurde am 17. Oktober 1988 verabschiedet. Ihm ging eine heftige Auseinandersetzung der Länder mit der Bundesregierung voraus.Wir erinnern uns: Es ging um die Frage, wie die strukturschwachen Länder mit den immens gestiegenen Kosten der Sozialhilfe fertigwerden könnten. Die Forderung der Länder war eine Beteiligung des Bundes an den Sozialhilfekosten. Die Begründung war das unheimliche Ansteigen der Sozialhilfekosten durch die verfehlte Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung, die zu einem sprunghaften Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit geführt hatte.Der Kompromiß war das Strukturhilfegesetz. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie die CDU in Niedersachsen diesen Kompromiß unter dem Stichwort „Albrecht-Millionen" gefeiert hat und wie sie daraus parteipolitisch Kapital zu schlagen versuchte.In der Begründung der Bundesregierung zu diesem Gesetz war davon die Rede, Länder und Gemeinden in den beteiligten Gebieten sollten für zehn Jahre, also bis 1998, Sicherheit haben, Sicherheit für langfristige Maßnahmen, für Investitionen und strukturelle Verbesserungen.Die Länder und vor allen Dingen die Kommunen haben diesen Willen der Bundesregierung aufgegriffen. Sie sind in die Planung langfristiger Maßnahmen eingetreten und haben mit den Maßnahmen begonnen. Nun sagt man den Gemeinden: April, April; was gehen uns unsere Zusagen von gestern heute noch an?Es handelte sich aber nicht nur um mündliche Zusagen oder um Goodwill-Erklärungen, sondern um ein Bundesgesetz. Wenigstens auf Bundesgesetze sollten sich Gemeinden und Bürgerinnen und Bürger selbst bei dieser Bundesregierung doch verlassen können. Aber es zeigt sich, daß man sich nicht nur auf Wahlversprechen der Koalitionsparteien besser nicht verläßt; nein, auch Gesetze werden von den Koalitionsparteien von heute auf morgen aufgehoben. Auf der Strecke bleiben die Gemeinden mit ihren begonnenen strukturverbessernden Maßnahmen.
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4630 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. November 1991
Detlev von LarcherWorum es dabei konkret geht, will ich Ihnen an Hand einiger Beispiele aus meinem Wahlkreis sagen. Diese Liste ließe sich endlos verlängern, wenn man die Wahlkreise einzeln durchginge.In der Stadt Diepholz werden z. B. 1,7 Millionen DM für die Klärwerkserweiterung fehlen. Insgesamt wird Diepholz in den nächsten beiden Jahren, 1992 und 1993, mit einem Einnahmeausfall von 1,8 Millionen DM rechnen müssen.
In der Stadt Syke werden notwendige Schmutzwasserkanäle nicht gebaut werden können, weil die Stadt über 5 Millionen DM nicht bekommt, mit denen sie rechnen durfte.
— Ich komme dazu noch, warten Sie es ab.Die notwendigen Stadtsanierungen in Twistringen und in Lemförde bleiben auf halber Strecke stehen. Nicht anders ergeht es der Samtgemeinde Bruchhausen-Vilsen. Über 2 Millionen DM werden der Stadt Bassum fehlen; 5 Millionen DM sind es bei der Stadt Sulingen bis 1994. Die Maßnahmen der Stadtkernsanierung haben aber angefangen. Den Gemeinden Wagenfeld und Barnstorf geht es nicht anders.Ich frage Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, die Sie doch alle auch in einer Kommune wohnen: Was raten Sie den Gemeinden angesichts der finanziellen Schwierigkeiten, in die Sie sie jetzt bringen?
— Reden Sie doch keinen solchen Unsinn!
Ihr Trost mit der Überbrückungshilfe von 600 Millionen DM ist angesichts der Zahlen allein aus meinem Wahlkreis jedenfalls ein sehr schwacher Trost. Ich persönlich empfinde es als Hohn und Spott, wenn der Ausschuß für Bauwesen, Raumordnung und Städtebau in seiner Stellungnahme sagt: Der abrupte Wegfall der Finanzmittel aus dem Strukturhilfegesetz ist für die alten Länder und ihre Gemeinden nicht zu verkraften. Eine Vielzahl bereits in Angriff genommener regionaler Projekte ist gefährdet. Deswegen kann die Strukturhilfe nur schrittweise bis 1994 abgebaut werden, wie auch der Vorschlag der A-Länder das vorsieht.Nun kommt von Ihnen der Einwand, den neuen Ländern gehe es noch schlechter, und deswegen müsse man den alten Ländern diese Strukturhilfe wegnehmen.
Ich halte es für infam, die alten und die neuen strukturschwachen Länder so gegeneinander auszuspielen.
In der ersten Lesung haben die Kollegen Hans Georg Wagner, Werner Schulz und auch Finanzminister Kühbacher dazu die richtigen Worte gesagt. Die können Sie nachlesen.
Der Vorschlag der A-Länder ist für die alten Länder und ihre Gemeinden verträglich, er hilft aber auch den neuen Ländern letztlich wesentlich mehr als Ihr Gesetz. Mein Kollege Hans Georg Wagner hat auch dazu in der ersten Lesung das Richtige gesagt. Ich brauche das hier nicht zu wiederholen.Im Haushaltsausschuß hat die SPD beantragt, die bis 1993 in § 11 Abs. 1 Satz 1 des Finanzausgleichsgesetzes festgesetzten Bundesergänzungszuweisungen um jährlich 300 Millionen DM zugunsten der Länder Bremen und Saarland aufzustocken. Auch das lehnen Sie ab, obwohl Sie wie wir wissen, daß der von Ihnen vorgesehene Haushaltsnotlagenbetrag nicht ausreicht.Im Finanzausschuß bestand Übereinstimmung, daß die Mittelverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden grundsätzlich neu geregelt werden muß, um vor allem die Gemeinden von der Abhängigkeit von den darüber liegenden Verwaltungseinheiten zu befreien. Der Unterschied zwischen uns, der SPD, und den Koalitionsfraktionen
besteht jedoch darin, daß Sie vorher Ländern und Gemeinden große Mittel wegnehmen und sie so erst recht in eine Bittstellerrolle drängen. Dazu sagen wir Sozialdemokraten ein klares Nein.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt dem Abgeordneten Gunnar Uldall das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die einfachste Regel der Betriebswirtschaftslehre heißt: Die knappen Mittel müssen dort eingesetzt werden, wo sie den größten Ertrag bringen.
Von dieser Regel sollten auch wir als Parlamentarier uns leiten lassen. Kein Unternehmer und kein Arbeitnehmervertreter in einem Aufsichtsrat würde einen Investitionsplan akzeptieren, der zwar Schönheitsoperationen in einem Büro vorsieht, aber die dringend notwendige Reparatur an den Produktionsanlagen vernachlässigt.
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Gunnar UldallAus dem Bundeshaushalt werden jedes Jahr 2,45 Milliarden DM den Ländern zum Ausgleich struktureller Schwächen zur Verfügung gestellt. Sehen wir uns jetzt einmal an, ob diese Mittel tatsächlich so ausgegeben werden, wie es der Grundregel der Betriebswirtschaft entspricht.Erstes Beispiel: Im Hamburger Hafen werden 1,5 Millionen DM aus dem Strukturhilfefonds ausgegeben, um neue Liegeplätze für Sportschiffe zu errichten. In einer anderen norddeutschen Stadt, in Rostock, sind dringend Investitionen erforderlich, um den Frachtumschlag zu organisieren. Gibt es irgendeinen hier im Haus, der bestreiten würde, daß die Sanierung des Rostocker Frachtschiffhafens wichtiger ist als die Sanierung eines Hamburger Freizeithafens?
Zweitens: Für die Hamburger Berufsschulen — ich bleibe in meiner Vaterstadt, weil ich da die Verhältnisse am besten kenne — sollen technische Lehrmittel für über 6 Millionen DM angeschafft werden. In der Hamburger Patenstadt Dresden muß ein Berufsschulwesen erst noch richtig aufgebaut werden, das dem westdeutschen Stand entspricht. Gibt es irgendeinen hier im Haus, der bestreiten würde, daß die Anschaffung von Grundlehrmitteln in Dresden förderungswürdiger ist als die Anschaffung von hochgestochenen technischen Geräten in Hamburg?
Drittes Beispiel: In Lübeck, bekannt für seine wunderschönen Kirchen, in denen seit langem auch Konzertveranstaltungen durchgeführt werden, soll die Kultur durch den Bau einer neuen Musikhalle gefördert werden. Finanziert werden soll die Musikhalle natürlich aus dem Strukturhilfefonds. In Wismar, einer alten Hansestadt wie Lübeck, 50 Kilometer weiter nach Osten, stehen ebenfalls wunderschöne Kirchen. Bei diesen Kirchen regnet es allerdings durch, und es werden unersetzliche Kunstschätze in diesen Kirchen zerstört. Gibt es irgendeinen, der bestreiten würde, daß es zur Förderung der Kultur sinnvoller ist, zunächst den Zerfall der alten Kirchen in Wismar zu stoppen, bevor eine neue Halle in Lübeck gebaut wird?
Auch die Beispiele von Herrn Larcher aus seinem Wahlkreis Diepholz zeigen doch: Die Sanierung der Abwässer in den ostdeutschen Städten bringt einen viel größeren umweltpolitischen Effekt als die Sanierung der Abwässeranlagen in Diepholz.
Meine Damen und Herren, die Antwort kann nur heißen: Umlenken der Strukturhilfefonds-Mittel aus den westlichen in die östlichen Bundesländer. Natürlich gönne ich den Hamburger Freizeitschippern einen neuen Liegeplatz, und ich gönne den Berufsschülern neue technische Geräte und den Lübeckern eine neue Halle. Aber können diese Maßnahmen angesichts des Nachholbedarfs in Ostdeutschland nicht noch etwas warten? Durch Einsatz der Mittel im Osten statt im Westen erreichen wir eine Vervielfachung des angestrebten Erfolgs. Die Beispiele, die wir eben gehört haben, zeigen: Die Strukturhilfe wird nicht immer nur sachgerecht in Westdeutschland eingesetzt.Bei der Einführung des Strukturhilfegesetzes wurde von den Ministerpräsidenten der Länder als Begründung angeführt, daß eine ungleiche Entwicklung in den Ländern vermieden werden müsse. Diese Forderung ist sicherlich richtig. Aber man könnte natürlich darüber streiten, ob der Bund für dieses Programm aufkommen muß.Da aber dieses Gesetz vor drei Jahren verabschiedet worden ist, müssen sich die Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder natürlich an der Begründung messen lassen, die sie damals gegeben haben. Das bedeutet: Die strukturschwächsten Gebiete Deutschlands im Osten müssen diese Mittel erhalten, weil sie eben schwächer als diejenigen im Westen sind.Meine Damen und meine Herren, ich habe bisher nicht erkennen können, daß die Länder oder Gemeinden finanzielle Konsequenzen aus der Wiedervereinigung in der Weise gezogen hätten, daß man auf nicht ganz so dringend erforderliche Maßnahmen verzichtet hätte.
Morgen ist es exakt zwei Jahre her, daß uns hier im Parlament — das war ebenfalls während einer finanzpolitischen Debatte — die freudige Nachricht überraschte, daß die Mauer in Berlin geöffnet wurde.
Der Prozeß, der uns in so rascher Folge dann zur Wiedervereinigung führte, begann damals, morgen vor zwei Jahren. Wir sollten heute mit der Annahme dieses Gesetzes zeigen, daß die Solidaritätsbekenntnisse in den vergangenen zwei Jahren keine Lippenbekenntnisse gewesen sind.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt dem Abgeordneten Dr. Ulrich Briefs das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetzesvorhaben, über das wir jetzt diskutieren, ist ein weiterer Bestandteil der unsozialen Wirtschafts- und Haushaltspolitik dieser Bundesregierung.
— Sie sind dünnhäugig geworden; ich merke das.
Es ist zudem auch vom finanzpolitischem Schlingerkurs dieser Bundesregierung und der Koalitionsparteien geprägt.
Sie versuchen, Löcher zu schließen, indem Sie an anderer Stelle Löcher aufreißen.
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Dr. Ulrich Briefs
Konkret: Sie wollen mehr Mittel für den Osten. Einverstanden, das wollen wir auch. Aber warum nehmen Sie den Ländern und Gemeinden Mittel weg, die diese, vor allem die Gemeinden, dringend brauchen? Warum erschließen Sie für die notwendigen Investitionen im Osten die Mittel nicht dort, wo sie im Überfluß vorhanden sind,
in der Wirtschaft,
in den prallvollen Kassen vor allem großer Konzerne?
— Ihre Phantasielosigkeit ist inzwischen wirklich grenzenlos geworden.
Die Forderung des Bundesrats nach einer ausreichenden Übergangsregelung bei der Umschichtung der Strukturhilfe-Mittel von den alten Bundesländern in die neuen Bundesländer ist voll berechtigt. In der Tat muß der Bund spätestens ab 1995 zu 50 % an den Aufwendungen für die Sozialhilfe beteiligt werden.
Wir schlagen Ihnen vor: Kürzen Sie 1995 den Rüstungsetat entsprechend, um die dafür nach derzeitigen Berechnungen benötigten 22,77 Milliarden DM aufzubringen. Zusätzliche Sozialhilfeempfänger werden Sie damit mit Sicherheit nicht schaffen. Die Angehörigen der schimmernden Wehr, insbesondere die Offiziere, werden bekanntlich nach aller Erfahrung, unter besonders günstigen Bedingungen in den Ruhestand geschickt.
Am besten nehmen Sie auch schon 1992 und 1993 10 Milliarden DM aus dem Rüstungsetat und stocken damit den Fonds „Deutsche Einheit" auf. Damit ließen sich im Bereich kleinerer und mittlerer Unternehmen im Osten grob geschätzt ca. 200 000 Arbeitsplätze schaffen, weitaus mehr als mit der sowieso völlig unzureichenden Erhöhung des Fonds „Deutsche Einheit" durch das jetzt zur Entscheidung anstehende Gesetz. Was Sie machen, ist also kaum mehr als Augenwischerei. Wir lehnen dieses Gesetz daher ab.
Danke schön, Herr Präsident.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Werner Schulz, Bündnis 90/ DIE GRÜNEN, möchte seine Rede zu Protokoll geben.
Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.*)
Nunmehr erteile ich unserem Kollegen Dr. Wolfgang Weng das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fakten zum vorliegenden Gesetz sind dargestellt worden; ich brauche sie nur in aller Kürze zu wiederholen: Nach der Herstellung der deutschen Einheit ist die Strukturhilfe in ihrer ursprünglich beschlossenen Form und ist die Verteilung der Finanzmittel unter den alten Bundesländern nicht mehr verfassungskonform. Die anhängige Klage beim Bundesverfassungsgericht signalisiert ja ohnehin die Frage, ob das Gesetz nicht von Anfang an außerhalb der Verfassungsnormen gestanden hat.Da jetzt das ärmste Bundesland im Westen in seiner Struktur immer noch wesentlich besser gestellt ist als die neuen Bundesländer, müßten im Rahmen der ohnehin vorgesehenen Revision des Gesetzes zur Strukturhilfe — der Sprecher der SPD hat diese Tatsache bei seinem Vortrag natürlich erneut vergessen — alle Finanzmittel in den Osten umgeleitet werden. Damit wird die Überlegung der Bundesregierung, das Gesetz aufzuheben und zusätzlich einen weiteren hohen Geldbetrag von 3,45 Milliarden DM — also insgesamt 5,9 Milliarden DM — dem Fonds Deutsche Einheit zuzuführen, richtig. Sowohl rechtsformal als auch menschlich logisch geht die verantwortliche und veranwortungsbewulite Mehrheit des deutschen Bundestages mit ihrer Entscheidung den richtigen Weg.Lassen Sie mich kurz ein paar Worte zur Haltung der Opposition in dieser Frage sagen. Ich habe immer Verständnis dafür — wer hätte das bei Haushältern nicht? — , daß nach dem Motto „nicht bei mir" Einsparungen bestmöglich abgelehnt werden, daß jeder versucht, die eigene Kasse vor dem Zugriff anderer zu retten. Aber die deutsche Einheit stellt uns vor neue Aufgaben, und wir alle haben doch — auch von diesem Platz aus — immer wieder darauf hingewiesen, daß es unser gemeinsames Ziel ist, entsprechend dem Verfassungsauftrag einheitliche Lebensbedingungen in ganz Deutschland so schnell wie irgend möglich zu schaffen. Hier haben wir nun die fast ideale Möglichkeit, den Anspruch „Teilung durch Teilen überwinden" zu dokumentieren.
Dieses Strukturhilfegesetz, bei dessen Verabschiedung die Lage ja noch so ganz anders war, als sie sich jetzt nach der deutschen Einigung darstellt, muß zugunsten des neuen Teils des Landes, zugunsten der neuen Bundesländer abgelöst werden. Der Gipfel an Schäbigkeit, den sich die SPD leistet, ist allerdings der Hinweis, die ablehnende Haltung der westlichen Bundesländer müsse begrüßt werden, weil diese ab 1995 zum Verzicht auf Leistungen nach dem Strukturhilfegesetz bereit seien. Meine Damen und Herren, das klingt in meinen Ohren so, als werde einem Verdurstenden in der Wüste die Wasserflasche vorenthal-*) Anlage 3
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Dr. Wolfgang Weng
ten, ihm zugleich aber erklärt, man komme in 14 Tagen wieder vorbei.
Den schwierigsten Problemen, die westlichen Bundesländern aus der Aufhebung des Gesetzes entstehen können, trägt der Bundesgesetzgeber mit seiner Überbrückungsregelung Rechnung. Für die besonders finanzschwachen Länder Saarland und Bremen wird eine Sonderregelung bei den Bundesergänzungszuweisungen vorgesehen. Damit trägt das Gesetz rundum allen Erfordernissen Rechnung.
Meine Damen und Herren, nach diesen Ausführungen werden Sie nicht überrascht sein, daß die FDPFraktion im Deutschen Bundestag diesem notwendigen Gesetz auch in zweiter und dritter Lesung zustimmt.Ich danke.
Meine Damen und Herren, nach § 27 der Geschäftsordnung erteile ich dem Kollegen Eike Ebert das Wort zu einer Zwischenbemerkung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich gemeldet, nachdem Herr Staatssekretär Dr. Grünewald dem Land Hessen Schizophrenie vorgeworfen hat. Sie sehen es mir hoffentlich nach, Herr Dr. Grünewald, daß ich als hessischer Abgeordneter das bevorstehende Wochenende doch nicht verbringen möchte, ohne zu wissen, daß dies hier richtiggestellt worden ist.
Ich denke, Sie haben diesen Ihren Vorwurf aus rhetorischen Gründen erhoben, denn Sie wissen natürlich, daß die Klage in Karlsruhe vom Land Hessen deshalb unterstützt wird, weil das Land Hessen mit den haushaltsmäßigen Auswirkungen auf seinen Etat nicht einverstanden sein kann. Das schließt aber nicht aus, daß man das Gesetz insgesamt durchaus für vernünftig hält und sich deshalb im Bundesrat dagegen ausspricht, daß es abgeschafft wird.
— Das ist nicht das Motto, Herr Dr. Weng.
Ich habe die Gelegenheit, an den Eindruck anzuschließen, den Herr Uldall hier zu erwecken versucht hat. Es ist doch Unsinn, wenn Sie hier versuchen, der SPD zuzuweisen, daß sie etwas dagegen hätte, daß für die Menschen in den Beitrittsgebieten mehr getan wird.
Das ist unsere Position. Das ist exakt unsere Position.
Es soll exakt jetzt etwas getan werden; denn wir sind
der Auffassung, wie Sie wissen, daß der gleiche Betrag auf den Fonds Deutsche Einheit gesetzt werden muß. Nur, wir sind der Auffassung, er muß von demjenigen aufgebracht werden, der sich durch zwei steuerliche Maßnahmen die Taschen inzwischen vollgestopft hat. Das ist nämlich der Bund.
Insofern geht es nicht um eine Umverteilung der Gelder aus den Ländern in das Beitrittsgebiet, sondern darum, daß der Bund Mittel aufbringen muß, um die Maßnahmen, die Sie zu Recht fordern und die wir auch unterstützen, dort leisten zu können.
Meine Damen und Herren, ich glaube, das sollten wir vor dem Wochenende noch richtigstellen und in dieser richtiggestellten Form mit nach Hause nehmen.
Danke schön.
Ich erteile das Wort Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Grünewald.
Verehrter Herr Kollege, im Grunde genommen haben Sie das untermauert, was ich soeben gesagt habe:
Ich klage in Karlsruhe auf Aufhebung des Strukturhilfegesetzes, lasse die Klage anhängig und stimme jetzt im Bundesrat gegen die von uns vorgeschlagene Aufhebung desselben Gesetzes. Ich bleibe dabei: Das ist schlicht und einfach schizophren.
Zu Ihrer Bemerkung, was Kollegen Uldall anlangt: Wir wollen etwas tun; aber wir wollen nicht zahlen. Diese Haltung kann doch wohl nicht richtig sein.
Die Wiedervereinigung ist eine gesamtstaatliche Aufgabe, die Bund, Länder und Gemeinden in gleicher Weise betrifft. Da es die Kuh, die im Himmel geweidet wird, um auf Erden gemolken zu werden, ganz einfach nicht gibt, müssen wir diese Maßnahmen in Solidarität mit den neuen Ländern gemeinsam tragen.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich kann Ihnen das Wort nur erteilen, wenn Sie Herrn Staatssekretär Grünewald direkt ansprechen wollen.
Ja. Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte sehr.
Er hat gesagt: Was gemacht werden soll, muß auch bezahlt werden. Herr Grünewald, wir wissen alle aus leidvoller Erfahrung, daß das so ist. Da haben Sie völlig recht. Hier geht es aber darum, wer zahlt. Bund, Länder oder Gemeinden?
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Ingrid Matthäus-Maier— Ich weiß gar nicht, warum Sie so aufgeregt sind.Ich darf Sie daran erinnern, daß mit dem größten— jetzt fangen Sie bestimmt wieder an zu schimpfen — Steuer- und Abgabenerhöhungspaket, das wir je hatten, vom Sommer ausschließlich in die Kassen des Bundes Mehreinnahmen geflossen sind.
Ich finde, da Sie jetzt außerdem noch vorhaben, eine Ländersteuer zu halbieren und eine Gemeindesteuer— mit leichten Korrekturen — abzuschaffen, ist es verständlich, daß die Länder ja zu dem Aufbau der neuen Bundesländer, ja zu der Unterstützung für die Investitionen dort sagen, aber hinzufügen: Der soll zahlen, der sich das Geld in die Taschen geholt hat, nämlich der Bund.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 12/1227 und 12/1374. Der Haushaltsausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/1494, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? —
Bei Gegenstimmen der SPD und PDS/Linke Liste und einer Stimmenthaltung sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? —
Bei den gleichen Stimmverhältnissen ist der Gesetzentwurf angenommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich wünsche Ihnen nicht ein geruhsames, aber ein möglichst ruhiges Wochenende. Kommen Sie rechtzeitig zu allen geplanten Veranstaltungen!
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 13. November, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.