Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 202. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte die Frau Schriftführerin, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Entschuldigt sind die Abgeordneten Dr. Pferdmenges, Dr. Kreyssig, Bauereisen, Segitz, Dr. Jaeger, Dr. Dr. Nöll von der Nahmer, Dr. Dr. Müller , Dr. Hammer, Funcke, Dirscherl, Dr. Bleiß, Löfflad, Paul (Düsseldorf), Müller (Frankfurt), Marx, Frau Dr. Maxsein, Lemmer, Determann, Dr. Luchtenberg, Bausch, Nickl und Dr. Preller.
Meine Damen und Herren, obwohl beide Herren im Augenblick nicht hier sind, darf ich Herrn Abgeordneten Dr. Pferdmenges zu seinem 27. Geburtstag
— 72. Geburtstag, — ja, meine Damen und Herren, bei der Frische unserer alten Herren irrt man sich manchmal über das Alter —
und Herrn Abgeordneten Ollenhauer zu seinem
51. Geburtstag unsere Glückwünsche aussprechen.
Zur heutigen Tagesordnung darf ich sagen, daß nach einer Vereinbarung im Ältestenrat Punkt 2 der Tagesordnung, betreffend den Deutschen Verteidigungsbeitrag, entfällt, weil er im Zusammenhang mit anderen Punkten auf die Tagesordnung der nächsten Woche gesetzt worden ist.
1 Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden wie üblich ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll aufgenommen:
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 24. März 1952 die Anfrage Nr. 214 der Fraktion des Zentrums betreffend Steuererklärungen zur Einkommensteuer und Heranziehung zur Körperschaftsteuer abschließend beantwortet. Die Antwort wird als Drucksache Nr. 3243 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat am 15. März 1952 gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages in seiner 155. Sitzung seinen fünften Bericht über die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes für die Zeit vom 1. Dezember 1951 bis 31. Januar 1952. vorgelegt. Der Bericht wird als Drucksache Nr. 3244 vervielfältigt.
Ich rufe zunächst auf Punkt 1 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Fraktion der KPD betreffend Großer Knechtsand (Nrn. 3162, 2970 der Drucksachen).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Hasemann.—Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Höchstaussprachezeit von 90 Minuten vor. — Das Haus ist damit einverstanden. — Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 7. Januar 1952 legte die Fraktion der KPD mit Drucksache Nr. 2970 einen Antrag vor, durch den der Bundesregierung untersagt werden sollte, den britischen Militärbehörden an Stelle der Insel Helgoland den sogenannten Großen Knechtsand oder ein anderes deutsches Gelände als Bombenziel zur Verfügung zu stellen. In der 187. Sitzung des Bundestages am 23. Januar 1952 wurde dieser Antrag dem Auswärtigen Ausschuß als federführendem Ausschuß und zur Mitberatung dem Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung überwiesen. Der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung hat sich in seiner 39. Sitzung am
6. Februar 1952 mit diesem Antrag befaßt und schlägt vor, ihn als erledigt zu betrachten. Der Auswärtige Ausschuß hat sich in seiner 72. Sitzung am 13. Februar 1952 und in seiner 74. Sitzung am 28. Februar 1952 sehr eingehend mit dem Antrag beschäftigt.
Meine Damen und Herren, da ich es für einigermaßen wichtig halte, sei es mir gestattet, zunächst einiges zur Vorgeschichte dieses Antrags auszuführen. Ich darf daran erinnern, daß bereits am 1. Dezember 1949 der Bundestag einen Antrag angenommen hatte, der folgendes beinhaltete:
Die Bundesregierung wird ersucht, bei der Alliierten Hohen Kammission vorstellig zu werden, daß der Bevölkerung Helgolands die baldige Rückkehr auf ihre Heimatinsel und der Wiederaufbau ihrer Wohnstätten gestattet wird.
Dieser Beschluß wurde mit entsprechendem Ersuchen am 16. Januar 1950 der Alliierten Hohen Kommission zugeleitet. Ohne daß eine Antwort erfolgte, wurde am 9. Mai 1950 der Hohen Kommission ein Beschluß der bremischen Bürgerschaft zugeleitet, wonach den in Seenot geratenen deutschen Seefahrzeugen gestattet werden sollte, Helgoland zu ihrem eigenen Schutz anzulaufen. Am 31. Mai 1950 wurden beide Anträge von der Alliierten Hohen Kommission aus militärischen Gründen abgelehnt.
Am 12. Januar 1951 ergriff die Bundesregierung mit der Überreichung eines Aide-mémoire eine neue Initiative. Auf Grund dieses neuen Schrittes und wohl auch auf Grund einer Anfrage, die der konservative Abgeordnete Professor Savory am
7. Februar 1951 im Unterhaus an die britische Regierung richtete, teilte der britische Hohe Kommissar am 26. Februar 1951 mit, daß die britische Besatzungsmacht bereit sei, die Insel Helgoland sofort freizugeben, sobald ein anderes geeignetes Bombenziel zur Verfügung gestellt werden könnte; spätestens jedoch sollte die Räumung zum 1. März 1952 erfolgen.
Die Bundesregierung nahm diesen Vorschlag prinzipiell an, und es fanden nun ein weiterer Briefwechsel und eine Reihe von Konferenzen statt. Die Engländer schlugen nach Prüfung von fünf Objekten zunächst zwei Bombenziele vor, und zwar den Großen Knechtsand und Sandbänke, die an der Westküste Schleswig-Holsteins liegen. Im Juni 1951 fand eine Besprechung der Bundesregierung mit den Vertretern der Länder Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen statt, auf der die vorgeschlagenen Ziele hinsichtlich ihrer Eignung überprüft wurden. Im Anschluß hieran bot die Bundesregierung den Alliierten ein Ersatzziel in Form eines schwimmenden Bombenzieles an, das nördlich von Helgoland verankert werden sollte. Dieses Angebot wurde als ungeeignet abgelehnt, wie auch ein weiteres Angebot abgelehnt wurde, das darauf hinausging, bei der Wahl des Knechtsands das vorgesehene Ziel wenigstens um 10 km nordwestlich zu verlagern.
Da nun die deutschen Stellen ihrerseits aus Gründen der Verkehrssicherheit für die Inseln Amrum, Föhr und Dagebüll und wegen der Deichbauten auf den Inseln Pellworm und Hooge die Sandbänke an der Westküste Schleswig-Holsteins als ungeeignet ablehnen mußten, wurde eine Sachverständigenkonferenz vereinbart, die alle Einzelheiten bezüglich einer eventuellen Wahl des Knechtsands nochmals überprüfen sollte. Diese Besprechung, an der neben Vertretern der Alliierten von deutscher Seite Vertreter der Dienststelle Blank, des Verkehrsministeriums, des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie Vertreter der Länder Niedersachsen und Bremen teilnahmen, fand im Oktober 1951 statt. Die gemischte Kommission erreichte ein Übereinkommen über die Lage des Bombenzieles auf dem Knechtsand und insbesondere auch über die zu ergreifenden Sicherheitsmaßnahmen.
Das Protokoll dieser gemeinsamen deutsch-alliierten Besprechung wurde vom Bundeskanzleramt noch einmal mit der Bitte um Stellungnahme dem Minister für Verkehr, dem Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, dem Minister des Innern und den Ländern Niedersachsen, Hamburg und Bremen zugestellt. Erst nach den Rückäußerungen der angeschriebenen Dienststellen erklärte sich der Bundeskanzler am 13. November 1951 durch Schreiben an den britischen Hohen Kommissar bereit, der vorgeschlagenen Regelung hinsichtlich des Knechtsands zuzustimmen, wobei allerdings eine Kündigung der Vereinbarung bzw. eine Änderung bei Vorliegen besonderer Umstände vereinbart/ werden sollte.
Meine Damen und Herren, ich habe es für meine Pflicht gehalten, Ihnen einen Überblick über die Entwicklung der Angelegenheit Knechtsand zu geben, damit klar wird, daß in dieser sicherlich sehr ernsten Frage nicht etwa leichtfertig oder oberflächlich verfahren wurde, sondern mit allem Ernst und aller Gründlichkeit, die geboten war.
Das Resultat der Verhandlungen ist nun, daß
den alliierten Streitkräften für Bombenzielübungen auf dem Großen Knechtsand— der Große Knechtsand ist eine Sandbank zwischen den Schiffahrtswegen der Weser und der Elbe, also zwischen Bremerhaven und Cuxhaven — ein bestimmtes Gebiet zur Verfügung gestellt werden soll. Das eigentliche Ziel liegt etwas mehr als 7 km von der Küste entfernt, der Radius der Gefahrenzone beträgt etwa 7 km, so daß der Kreis der Gefahrenzone an einem Punkt fast die Küste erreicht. Das Zielgebiet soll mit Zielmarkierungsbomben und mit scharfen Bomben beworfen werden, deren Kaliber aber nicht mehr als 1000 lbs, also etwa 450 kg betragen darf. Nachtübungen mit nicht mehr als 50 Flugzeugen sollen höchstens zweimal im Monat stattfinden und in 30 Minuten abgeschlossen sein. Tagesübungen sollen nur von Zeit zu Zeit mit Höchstverbänden bis zu 45 Flugzeugen durchgeführt werden, und diese Angriffe sollten innerhalb von 20 Minuten abgewickelt werden.
Wie Ihnen allen bekannt ist, hat' die Veröffentlichung der Pläne bezüglich des Großen Knechtsands eine außerordentlich starke Reaktion der betroffenen Bevölkerungskreise an der deutschen Nordseeküste hervorgerufen. Diese Reaktion zeigte sich in einer ganzen Fülle von Eingaben an Bundesregierung und Parlament, Eingaben, die gezeichnet waren sowohl von den beteiligten Gemeinden und der Kreisverwaltung wie insbesondere aber auch von der unmittelbar betroffenen
Bevölkerung. Diese Eingaben erhoben im wesentlichen Einspruch aus Gründen materieller Art und aus Gründen der Existenzgefährdung, teilweise aber auch aus Gründen psychologischer und politischer Natur. Bereits in der ersten Debatte des Antrags im Plenum wurde der größte Teil der Argumente gegen die zur Zurverfügungstellung des Knechtsands eingehend dargelegt und erläutert.
Der Auswärtige Ausschuß hat sich die Sache nicht leicht gemacht und ist allen vorgebrachten Gründen mit der gebotenen Sorgfalt nachgegangen. Ich darf die Hauptargumente noch einmal kurz zusammenfassen, die gegen die Zurverfiigungstellung des Knechtsands sprachen. Es sind 7 Punkte: erstens die Gefährung der Krabbenfischerei, zweitens Gefahr und Belästigung für die Krankenhäuser und Kinderheime des Küstengebiets, insbesondere in Nordholz und Wusterheide, drittens Auswirkung auf die Seebäder des Cuxhavener Gebietes, viertens Befürchtungen wegen der Entwässerung des Festlandes infolge Versandung der Entwässerungstiefen und Priele, fünftens Gefährdung für die Wattendurchfahrt der Kleinschiffahrt zwischen Cuxhaven und Bremerhaven, sechstens Gefährdung der großen Schiffahrtswege der Elbe und Weser und siebentens die Verhinderung der geplanten Erdölbohrungen im Gebiet des Knechtsands.
Alle Einwendungen und Befürchtungen hat der Auswärtige Ausschuß eingehend behandelt, wobei auch den betroffenen Kreisen Gelegenheit zu persönlichem Vortrag vor dem Ausschuß gegeben wurde. Es wurden z. B. gehört: Herr Oberkreisdirektor Kleemeyer vom Landkreis Wesermünde, Herr Deichgräfe Lüps aus Pardingbüttel, Herr Hausburg von der Fischereigenossenschaft Dorumertief und Herr Kapitän Spreen. Da sich aber der Ausschuß nach Anhörung der beteiligten Kreise noch kein abschließendes Urteil bilden konnte, wurden zur nächsten Sitzung noch zwei Sachverständige geladen, und zwar Herr Wasserstraßendirektor Dr. Plathe, Bremen, und Herr Oberbaurat Lüders, Hannover. Erst nach längeren Debatten über die Ansichten und Aussagen der gehörten Interessenten und Sachverständigen traf der Ausschuß seine Entscheidung.
Wesentlich wurden dabei auch die Sicherheitsmaßnahmen und die finanziellen Bestimmungen über etwaige Schäden berücksichtigt, die in dem Abkommen mit den Alliierten vorgesehen sind. Diese Sicherheitsmaßnahmen sind in einer Aufzeichnung festgelegt, die zwischen den Alliierten und deutschen Stellen vereinbart worden ist. Es sind eine Reihe von Punkten; ich darf sie Ihnen ganz kurz zur Beleuchtung der ganzen Angelegenheit vortragen.
1. Übungen bei Tage finden nur von Zeit zu Zeit statt. Samstags und sonntags finden keine Übungen statt.
2. Bei unsichtigem Wetter, wenn das Zielgebiet von den rund 7 km entfernten Kontrolltürmen aus nicht klar zu übersehen ist, fallen alle Abwurfübungen aus.
3. An den Abwurftagen werden während jeweils einer Tide im Zeitraum von drei Stunden vor Hochwasser bis drei Stunden nach Hochwasser keine Abwürfe erfolgen.
4. Die Gefahrenzone wird durch deutlich sichtbare See- und Landzeichen gekennzeichnet.
5. Der Küstenschiffahrtsweg von der Elbe zur Weser wird durch die Postierung je eines Wach-
bootes an beiden Zugängen des Übungsgebietes
gesichert. Ein Wachboot wird vor Beginn der
Übungen den Küstenschiffahrtsweg durchfahren.
Es folgt eine Reihe weiterer Sicherheitsmaßnahmen, die Ihnen zeigen sollen, daß sich sowohl die alliierte wie auch die deutsche Seite darüber klar war, daß jede Art von Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden mußte, um etwaige Schäden durch die Bombardierung auszuschließen.
Der Ausschuß war sich in seiner Gesamtheit darüber einig, daß die Zurverfügungstellung des Großen Knechtsands zweifellos, wenn auch keine unmittelbare Gefahr, so doch immerhin gewisse Belästigungen für die Bevölkerung des dortigen Küstengebietes und insbesondere für die dortigen Krankenhäuser mit sich bringt und daß weiterhin auch materielle Schäden für die Dorumer Fischer durch das Absinken ihrer Fangergebnisse entstehen können. Die Befürchtungen, die wegen der Entwässerung des Festlandes und wegen der Wattendurchfahrt geäußert wurden, sind durch die gehörten Sachverständigen weitgehend zerstreut worden. Eine Gefährdung für die Großschiffahrtswege, die immerhin etwa acht Seemeilen entfernt sind, und Belästigungen für das Cuxhavener Seebad, das immerhin zehn Seemeilen entfernt liegt, schienen für die Mehrheit des Ausschusses nicht gegeben. Bezüglich der geplanten Erdölbohrungen wurde mitgeteilt, daß diese Bohrungen erst für eine spätere Zeit vorgesehen sind und daß besondere Abreden darüber ausdrücklich im Vertrag vorgesehen sind.
Trotz noch verbleibender erheblicher Bedenken hat sich die Mehrheit des Auswärtigen Ausschusses dafür entschieden, den Antrag der KPD abzulehnen. Maßgebend und entscheidend für diesen Beschluß war die Überlegung, daß die vorgesehenen Übungen wesentlich auch im Rahmen der Schutzmaßnahmen für die deutsche Bundesrepublik durchgeführt werden. Um aber die Sicherheit zu haben, daß die Schädigungen und Belästigungen in dem unumgänglich notwendigen und sehr eng gezogenen Rahmen verbleiben, und um sicherzustellen, daß die Rechte der durch die Bombenwürfe auch nur indirekt Geschädigten gewahrt werden, hat der Auswärtige Ausschuß beschlossen, die Bundesregierung zu bestimmten Maßnahmen aufzufordern, die Sie in der Drucksache Nr. 3162 unter den Ziffern 2 a bis 2 d finden.
Ich habe die Aufgabe, Sie im Namen des Auswärtigen Ausschusses zu bitten, dem Beschluß des Ausschusses gemäß Drucksache Nr. 3162 Ihre Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das, Wort' hat der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amtes.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, den Bericht des Herrn Berichterstatters noch durch einige Mitteilungen über die Schritte ergänzen zu dürfen, die das Auswärtige Amt in Kenntnis des Beschlusses des Auswärtigen Ausschusses inzwischen getan hat. Wir haben am 28. Februar einen neuen Entwurf eines Abkommens über das Luftwaffenübungsziel bei Cuxhaven von der britischen Hohen Kommission überreicht bekommen. Wir haben diese Gelegenheit benutzt, um einige Änderungsvorschläge zu machen, die im
Sinne des Beschlusses des Auswärtigen Ausschusses liegen.
Eine Antwort auf diese Änderungsvorschläge steht noch aus.
Im einzelnen stellen sich demnach die Sach- und die Verhandlungslage im Augenblick folgendermaßen dar. Ich darf mich dabei an die Reihenfolge der Fragen halten, die in dem Antrag des Auswärtigen Ausschusses befolgt worden ist.
Zu Punkt 2 a, in dem eine zeitliche Begrenzung des in Aussicht genommenen Abkommens gefordert wird: Nach unserem letzten Änderungsvorschlag wäre ein neuer Art. 18 einzufügen. Unser Vorschlag in dieser Richtung hat den Wortlaut:
Dieses Abkommen gilt für die Zeit von zwei
Jahren. Es kann nach dieser Zeit im gegenseitigen Einvernehmen für einen weiteren Zeitraum verlängert werden.
Zu 2 b: Dort wird gefordert, eine enge Begrenzung der Zeiten für die Bombenwürfe zu erwirken. Darf ich dazu auf folgendes hinweisen. Eine solche Begrenzung der Zeiten ergibt sich schon aus der Fassung des bisher vorliegenden Entwurfs, nämlich den Artikeln 4, 5 und 11 des Abkommens. Danach gilt: Tagsüber, d. h. in der Zeit von einer Stunde vor Sonnenaufgang bis eine Stunde nach Sonnenuntergang, wird das Zielgebiet grundsätzlich der Fischerei und der Schiffahrt zur Verfügung stehen. Abwurfübungen bei Tage müssen in jedem einzelnen Fall spätestens 24 Stunden vorher angekündigt werden. Auch an Übungstagen müssen mindestens sechs Stunden für Schiffahrt und Fischerei frei sein, so daß die Boote ungehindert zu ihren Fangplätzen auslaufen oder in die Häfen zurückkehren können. An Samstagen und Sonntagen werden überhaupt keine Tagesübungen stattfinden.
Zu 2 c, „in Verhandlungen ... zu erwirken, daß bei scharfen Übungswürfen das Gewicht der Bomben begrenzt wird und" — wie es dann weiter heißt — „in möglichst weitem Umfange nur Zielmarkierungsbomben Verwendung finden" ist zu sagen, daß es nach unserem letzteren Änderungsvorschlag in Art. 3 des Abkommens heißen würde:
Das Bombenziel wird für den Abwurf von
Übungsbomen und Explosivbomben mit
einem Höchstgewicht von 1000 lbs benützt. Es ist von uns den Engländern nahegelegt worden, in der ersten Zeit ausschließlich und auch später vorwiegend Übungsbomben zu verwenden. Ich darf bemerken, daß der Passus in dem Antrag des Auswärtigen Ausschusses, der „Zielmarkierungsbomben" betrifft, auf einem Mißverständnis beruht. Zielmarkierungsbomben werden nicht zur Übung benutzt, sondern nur zur Orientierung der abwerfenden Flugzeuge.
Was Punkt 2 d des Antrags des Auswärtigen Ausschusses anlangt, so schweben zur Zeit zwischen den Ressorts Verhandlungen in der Entschädigungsfrage. Dabei ist vom Auswärtigen Amt auch der Gedanke in die Debatte geworfen worden, ob es nicht möglich sein werde, einem Teil der Fischer von Dorum und Cappel die Umsiedlung nach Helgoland zu gestatten.
Ich eröffne die Aussprache im Rahmen der Redezeit von 90 Minuten.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller-Hermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU-Fraktion wird dem Bericht des Auswärtigen Ausschusses zustimmen. Wir tun das durchaus nicht etwa aus Begeisterung für die vorgeschlagene Regelung, sondern weil wir uns nach Abwägung aller Gesichtspunkte und Interessen davon überzeugt haben, daß es einen andern Weg zur Lösung dieser Frage im Augenblick nicht gibt. Wir wissen aus dem Urteil von Fachleuten — und das ist für uns ganz besonders wesentlich —, daß durch Bombenabwürfe auf den Knechtsand die Großschiffahrtswege zur Weser und zur Elbe nicht gefährdet werden, desgleichen nicht der Küstenschiffahrtsweg zwischen Cuxhaven und Bremerhaven, und daß auch die Besorgnisse über eine Beeinträchtigung des natürlichen Schutzes, den der Knechtsand für die Küste darstellt, nicht zu Recht bestehen.
Tatsächliche Bedenken bestehen unseres Erachtens lediglich hinsichtlich der Berufsausübung durch eine größere Zahl von Krabbenfischern. Gegenüber der etwas aufgebauschten Zahl, die in der Diskussion häufig genannt wird, ist es vielleicht nötig, festzustellen, daß es sich praktisch um 40 Kutter handelt, die in Dorum und in Spieka beheimatet sind, für die schwerlich eine Ausweichmöglichkeit zu finden sein wird. Wir haben uns insbesondere dieser Fischer wegen um einwandfreie Sicherungsmaßnahmen und um eine angemessene und faire Entschädigung für etwa eintretende Fangausfälle bemüht.
Wir haben darüber hinaus neben einer Revisionsklausel in dem Vertrag für den Fall, daß sich durch die Bombenabwürfe unvorhergesehene Unzuträglichkeiten ergeben sollten, eine zeitliche Befristung des Vertrags verlangt. Aus dem Munde des Herrn Staatssekretärs haben wir gehört, daß die Bundesregierung entsprechende Vorschläge gemacht hat. Wir wünschen, daß der gesamte Fragenkomplex eines Bombenabwurfziels auf deutschem Boden noch einmal grundsätzlich überprüft werden möge, wenn die Bundesregierung wieder im Besitze ihrer vollen Souveränität ist.
Meine Damen und Herren, wenn wir der Zurverfügungstellung des Knechtsands unter den angegebenen Vorbehalten unsere Zustimmung geben, so lassen wir uns besonders von zwei Überlegungen leiten.
Erstens: Seit Jahren hat die öffentliche Meinung in Deutschland die Freigabe der Insel Helgoland verlangt. Entsprechende Vorstellungen der Bundesregierung wurden schließlich von der englischen Regierung zustimmend beantwortet. Diese Zustimmung war jedoch an die Voraussetzung geknüpft, daß ein Ersatzziel zur Verfügung gestellt würde. Zunächst handelte es sich sogar um zwei Ersatzziele; inzwischen sind sie auf eins reduziert worden. Da ein künstliches Ziel aus rein technischen Gründen außerhalb der Diskussion stehen muß, hat die Bundesregierung eine Sandbank an der deutschen Nordseeküste, nämlich den Großen Knechtsand angeboten. Nun erheben sich viele Stimmen in der öffentlichen Meinung, die sagen, Helgoland ist seinerzeit von den Engländern wider alles Recht mit Beschlag belegt worden, die Freigabe der Insel ist also lediglich ein Akt der Wiedergutmachung begangenen Unrechts, und es ist nicht zu verantworten, daß jetzt die Bundesregierung in einem Vertrag ein Ersatzziel anbietet und damit de facto das Unrecht an Helgoland sanktioniert.
Ich glaube, daß es sinnlos und unfruchtbar wäre, sich in eine solche Diskussion einzulassen,
einfach deshalb, weil es keinen Zweifel darüber geben dürfte, daß wir zur Zeit eben noch nicht im Besitze unserer vollen Handlungsfreiheit sind und vor allem zu dem Zeitpunkt, als die Verhandlungen über die Freigabe der Insel Helgoland aufgenommen worden sind, noch weniger im Besitze der Handlungsfreiheit gewesen sind. Es ist seinerzeit auf Wunsch der öffentlichen Meinung in Deutschland ein Angebot von der deutschen Regierung gemacht worden, das jetzt als ein Gentleman's Agreement auch von uns eingehalten werden müßte.
Dann vergessen Sie bitte nicht, daß zu der Zeit, als die deutsche Bundesregierung ein Angebot machte, das die englische Regierung entsprechend beantwortete, die Besatzungsmächte zweifellos zumindest theoretisch die Möglichkeit gehabt hätten, sich die Freiheit zu nehmen, ein Ziel zu suchen, das ihnen allein angemessen und angebracht erschienen wäre.
Meine Damen und Herren, die Erfahrungen, die wir in den letzten Jahren auf außenpolitischem Gebiet gemacht haben,
sollten uns auch in diesem Fall leiten und zu der Überlegung veranlassen, daß es keinen Zweck hat, mit Sentiments Politik zu machen oder mit dem Kopf durch die Wand zu wollen, sondern daß wir auf die Dauer und aufs Ganze gesehen mit Anpassungsfähigkeit und mit einem vernünftigen Ausgleich der Standpunkte
der gesamten deutschen Politik und den deutschen
Interessen am besten zu dienen in der Lage sind.
Es bleibt also auch in diesem Fall kaum etwas anderes übrig, als eine sorgfältige Abwägung der Gesichtspunkte pro und kontra Helgoland und pro und kontra Knechtsand als Bombenziel vorzunehmen. Eine solche Prüfung muß notwendigerweise zu dem Schluß kommen, daß die Benutzung Helgolands als Schutzhafen, als Stützpunkt des Fischfangs, als Forschungs- und als Erholungsstätte bedeutsamer ist als die zweifellos sehr bedauerliche Behinderung der Berufsausübung einer Reihe von Krabbenfischern.
Zweitens: Es wird häufig der Einwand erhoben: Wenn die Engländer oder die Westmächte ein Bombenabwurfsziel brauchen, warum benutzen sie dann nicht eine der -vielen kleinen englischen Inseln,
die doch nicht weniger als Helgoland oder Knechtsand für solche Zwecke geeignet sein dürften? Auch diese Frage ist im Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten sorgfältig geprüft worden. Vielleicht ist es für die Öffentlichkeit gut zu wissen, daß mehr als 30 englische Plätze und Inseln für Übungszwecke als Bombenziele benutzt werden
und daß eine ganze Reihe von Gründen dafür
sprechen, auch ein Übungsziel im östlichen Nordseeraum zur Verfügung zu stellen, damit die
Übungsflüge nach allen Richtungen durchgeführt werden können und Anflugmöglichkeiten nach allen Richtungen bestehen.
Eine Debatte über die Verteidigungsmaßnahmen des Westens ist wohl nicht der Sinn dieses Tagesordnungspunkts. Ich möchte aber trotzdem hier feststellen, daß die Bereitschaft, eine Sandbank der deutschen Nordseeküste für Zielübungen zur Verfügung zu stellen, auch als ein deutscher Beitrag zur Sicherung des Westens und zur Sicherung unserer eigenen Heimat bewertet werden muß. Ich darf mich hier vielleicht sogar auf eine Äußerung von Herrn Professor Schmid in der großen Wehrdebatte berufen, in der er selbst angeregt hat, daß man, wenn man schon einen Verteidigungsbeitrag liefern sollte, das auch tun könnte, indem man ein Gebiet für solche Zwecke zur Verfügung stellt.
Meine Damen und Herren! Ich habe volles Verständnis für die Sorgen der Krabbenfischer, die ihre Existenz und die Existenz ihrer Familien bedroht und gefährdet sehen. Wir machen diese Besorgnisse mit dem festen Willen, zu helfen, voll und ganz zu den unsrigen. Wir wenden uns aber mit aller Entschiedenheit dagegen, daß heute von bestimmter Seite der Versuch gemacht wird, die Diskussion um den Knechtsand in überlauter Weise und mit sehr krassen politischen Zielsetzungen für Zwecke zu benutzen, die mit den verständlichen Besorgnissen der Krabbenfischer nicht das geringste mehr zu tun haben. Vor allem sind es die Extremen von rechts und links, die aus der Aufputschung nationaler Sentiments politisches Kapital zu schlagen bemüht sind. Es sind bezeichnenderweise die gleichen Elemente, die, als sie seinerzeit die Macht in Deutschland besaßen und die da, wo
sie heute noch in Deutschland die Macht besitzen, sich rücksichtslos über die Sorgen und Nöte der ihnen politisch unbedeutsam erscheinenden Personenkreise hinwegsetzten. Ich glaube, es ist notwendig, festzustellen, daß wir uns als Volksvertreter im Bundestag davor hüten sollten, uns von diesen Leuten unsere Politik vorschreiben und bestimmen zu lassen.
Meine Damen und Herren! Die CDU-Fraktion wünscht, daß die Bundesregierung auf dem Boden der vom Auswärtigen Ausschuß gemachten Vorschläge mit den Westmächten und besonders mit den Engländern verhandelt, um eine vernünftige Regelung dieses Fragenkomplexes zu erreichen.
Das Wort hat der Abgeordnete Mertins.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion ist von dem Bericht des Ausschusses und auch von der Erklärung des Herrn Staatssekretärs keineswegs befriedigt. Die sozialdemokratische Fraktion hat sich absichtlich von allen Ressentiments ferngehalten und seinerzeit durch mich am 23. Januar von der Regierung einen sachlichen Bericht über den Umfang der Schäden, die durch die Bombardierung von Knechtsand entstehen könnten, für den Bundestag oder den Ausschuß gefordert. Vor der Erhebung dieser Forderung hatte der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten bereits am 4. Dezember vorigen Jahres einstimmig die Regierung ersucht, über den Umfang der wirtschaftlichen Schädigung durch die Bombardierung von Knechtsand Bericht zu erstatten. Beides ist nicht geschehen.
Die Ausführungen der Regierung im Auswärtigen
Ausschuß gingen absolut an diesen Fragen vorbei,
und was der Herr Staatssekretär, der doch sonst viel redefreudiger ist, heute dazu geäußert hat, war nach der Auffassung meiner Freunde mehr als dürftig. Die SPD kann die Bagatellisierung dieser wirtschaftlichen Schäden nicht ohne Protest hinnehmen. Es geht hier um Millionenwerte, es geht um das Schicksal nicht, wie der Herr Vorredner behauptete, von 40, sondern von tatsächlich 130 Kutterbesatzungen mit ihren Familien,
um das Schicksal von mehreren tausend Menschen der Fischindustrie, um das Schicksal von zwei großen Krankenanstalten, acht Kinderheimen des Badeorts Cuxhaven, evtl. der Elbe- und Weserschiffahrt und des reichen Wurster Landes überhaupt. Die Bagatellisierung dieser wirtschaftlichen Schäden bedeutet bewußte oder fahrlässige Mißachtung wirtschaftlicher Werte von noch nicht übersehbarer Größe, die wir uns im Deutschland der Nachkriegszeit überhaupt nicht leisten können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Wissen um diese Tatsache ist in diesem Hause auch auf seiten der Koalitionsparteien vorhanden. Was fehlt, ist der Mut zum Aussprechen dessen, was ist, und der Mut zu Schlußfolgerungen.
Wer ist denn nun eigentlich mit der Bombardierung von Knechtsand zufrieden? Die Betroffenen sicher nicht; das wäre auch ein unbilliges Verlangen. Aber auch Sie, die Sie den Koalitionsparteien angehören, sind nicht restlos zufrieden. Das hat der Berichterstatter zum Ausdruck gebracht, das hat auch der Kollege MüllerHermann hier gesagt. Sie haben sogar einen Beweis für Ihre Unzufriedenheit gegeben, indem Sie in Ihrem Bericht und in Ihrer Entschließung der Regierung gewissermaßen einige Auflagen, einige Forderungen unterbreitet haben. Diese Forderungen können höchstens Ihr Unbehagen in dieser Sache verdecken, aber das Unheil nicht abwenden. Schließlich ist es völlig gleichgültig, ob Knechtsand e i n Jahr oder zehn Jahre bombardiert wird, ob die Zeiten der Bombardements begrenzt werden oder nicht, ob Übungs- oder Sprengbomben, ob schwerste oder nur schwere Bomben verwandt werden. Wenn bombardiert wird, dann ist eine dauernde wirtschaftliche Schädigung durch die völlige Vernichtung der Krabbenfischerei, durch die Uribenutzbarkeit der Kuranstalten, durch die Gefährdung des Wurster Landes und die Bedrohung der Schiffahrt gegeben.
Es ist hier von Sachverständigen gesprochen worden. Ich habe durch das Entgegenkommen des Herrn Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses an diesen Sitzungen teilnehmen können und die Gutachten der Sachverständigen gehört. Sie gingen an unseren Fragen auch vorbei. Auch sie haben die Größe der wirtschaftlichen Schädigung nicht festgestellt. Ich habe aber noch einige andere Sachverständigengutachten hier und will mit der gütigen Erlaubnis des Herrn Präsidenten Ihnen einiges aus diesen Gutachten zitieren. Es handelt sich zunächst um das Gutachten des bekannten Professors
Dr. Friedrich, des Direktors des Instituts für
Meeresforschung, Bremerhaven. Er sagt dort: Das Gebiet um den Knechtsand ist das umfangreichste Krabbenfanggebiet der deutschen Nordseeküste. Die Krabben sammeln sich hier auf den reichen Nahrungsgründen und bilden damit die Grundlage für die Ausübung der Fischerei. Es steht zu erwarten, daß durch die starken Erschütterungen
- daher ganz gleich, wie lange bombardiert wird —
bei Bombardierung die Tiere auch aus den nicht unmittelbar in der Gefahrenzone gelegenen Gebieten vertrieben werden, und es kann nicht vorausgesagt werden, ob sie sich in anderen Bezirken wieder ansiedeln.
Die flachen Küstengebiete sind außerdem Aufwuchsgebiete für Nutzfische, insbesondere für Plattfische. Auch hier ist zu befürchten, daß die Erschütterungen zu Schädigungen im Nachwuchs führen, so daß dadurch der an sich schon gefährdete Bestand noch mehr reduziert werden könnte. Es ist weiterhin bekannt, daß die im Fahrwasser der Elbemündung zur Sedimentation kommenden Sandmassen zu einem erheblichen Teil aus den westlich der Elbemündung gelegenen Gebieten mit der Strömung herantransportiert werden. Findet nun westlich der Elbmündung durch Bombardierung eine häufige und nachhaltige Aufwirbelung der Sände statt, so muß mit einem verstärkten Transport in die Elbemündung hinein gerechnet werden.
Er kommt zum Schluß:
Unter diesen Gesichtspunkten erscheint das
Gebiet des Knechtsandes als Bombenabwurfgebiet als besonders ungeeignet, da nicht nur momentane Beeinträchtigungen der Fischerei und Schiffahrt stattfinden, sondern auch mit nachhaltigen und weiträumigen Auswirkungen zu rechnen ist.
Ich glaube, man soll dieses Gutachten doch ernst nehmen. Aber ich kann Ihnen noch mehr solche Tatsachen hier vor Augen führen. Ich möchte Ihnen den Spruch des Seeamtes vom 2. Dezember 1949 mit der Erlaubnis des Herrn Präsidenten hier auszugsweise vorlesen. Es heißt hier zu einem Seeunfall der Hochseekutter „Berta" und „Hertha" folgendermaßen:
Die Beweisaufnahme hat indessen ergeben, daß sich die Beteiligten zur Zeit des Unfalls außerhalb des Warngebiets
— von Helgoland damals —
befunden haben. Das Seeamt folgte insoweit den glaubwürdigen eidlichen Aussagen der Kapitäne Ewerlin und Hoppe. Ihnen war die Warnzone aus den „Nachrichten für Seefahrer" bekannt. Sie hielten sich daher im angemessenen Abstande und fischten etwa eine Seemeile nordöstlich der Position „P 15". Es handelt sich dabei nach der Seekarte um einen Schiffsort, der etwa sechs Seemeilen von der Warnzone der Insel Helgoland entfernt ist. Die Richtigkeit dieser Positionsangabe wird erhärtet durch die Auskunft des Kapitäns des amerikanischen Frachters „Nora", der am Unfalltage laut Tagebuch „P 15" um 13 Uhr deutscher Sommerzeit mit einem T-Kurse von 306 Grad auf „P 11" zu passierte und wonach um 15 Uhr zwischen „P 14" und „P 13" eine Explosion gehört und an Steuerbord achtern in etwa fünf Seemeilen Entfernung eine Wasserfontäne beobachtet worden war. In der Nähe von „P 15" wurden in nördlicher Richtung viele Fischerfahrzeuge gesehen, als „P 15" nahebei war.
Aus diesem Spruch des Seeamtes geht hervor, daß die Ziel- und Treffsicherheit der Royal Air Force keineswegs so genau ist, wie es im Ausschuß und auch hier dargestellt worden ist.
Oder hören Sie z. B. das Zeugnis des Vertreters der Landwirtschaftskammer Kiel:
Bei der Insel Sylt war den Alliierten ein Übungsziel nur für Zementbomben gegeben worden. Selbst bei diesen geringen Höhen wurde. das Ziel verfehlt. Ein Vertreter der Landwirtschaftskammer Kiel sagte aus, daß bei Keitum Zementbomben auf den Deich fielen und ihn beschädigten.
Oder hören wir ein anderes Urteil:
Der Fischdampfer „Albert Puhs", der nördlich von Helgoland, weit außerhalb der Gefahrenzone dampfte, mit Kapitän Otto Schumacher und Steuermann Berghorn auf der Brücke, sahen, wie alliierte Flieger Fehlabwürfe machten. Sie selbst blieben unverletzt; daher fand keine Seeamtsverhandlung statt.
Meine Damen und Herren, ein weiterer Beweis für die Unsicherheit in den Reihen der Koalitionsparteien ist auch der mir berichtete Versuch des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann, die SPD mit verantwortlich für diesen Ausschußbericht zu machen. Ich stelle deshalb hier eindeutig fest, daß die SPD diesem Ausschußbericht ihre Zustimmung nicht gegeben hat. Man vertritt eine schlechte Sache, wenn man solche Mittel benötigt, um sie zu verteidigen.
Aber auch die Briten sind durchaus nicht von diesem Bombenziel befriedigt. Lassen Sie mich - ich glaube, der Herr Präsident wird es mir gestatten — auch eine englische Stimme zitieren, und zwar ist das nicht irgendein Engländer, sondern es ist der verantwortliche Korrespondent Charles Gardener, der im Radio-News Reel am 2. März dieses Jahres, also in jüngster Zeit, folgendes über das Ziel Knechtsand gesagt hat:
Das neue Ziel umfaßt ein Sicherheitsgebiet von 7000 Yards und liegt auf einer großen flachen Sandbank. Die Tatsache, daß die Sandbank bei Flut unter Wasser gesetzt wird. verursacht gewisse Bedingungen für die Flugzeuge, und die RAF und die amerikanischen Bomber haben gewisse Einschränkungen angeordnet. So z. B. werden sie als größte Bombe die Tausendpfunder nehmen und keine Splitterbomben anwenden. Außerdem werden die Explosionsgeräusche der Bomben eingeschränkt werden. Also,
— sagt er —
wie Sie sehen, ist auch die Cuxhavener Sandbank noch nicht ganz das Richtige.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Soviel zu der wirtschaftlichen Seite der Angelegenheit. Wie sieht es aber nun mit der psychologischen, der ideellen Seite aus? Helgoland war auf Grund des Diktats der Siegermächte Bombenziel geworden; und wir kennen die Reaktion der Bevölkerung auf dieses Diktat. Knechtsand soll jetzt Bombenziel werden unter Mitwirkung der deutschen Bundesregierung und der Mehrheit dieses Bundestages. Können und wollen Sie dazu Ihre Hand bieten?
Die Betroffenen sind zum Äußersten entschlossen. Wollen Sie, meine Damen und Herren, sieben Jahre nach Kriegsende von neuem Menschen entwurzeln, Existenzen vernichten, Kranke an ihrer Heilung hindern?
— Doch, es ist so, bagatellisieren Sie die Dinge nicht!
Es gibt nur eine Tbc-Stätte Nordholz, und die Verlagerung dieser Tbc-Stätte ist nicht so einfach, wie Sie sich das vorstellen.
Meine Damen und Herren! Wir sind in dieser ganzen Angelegenheit so sachlich wie irgend möglich gewesen. Wir befürchten auch keine Radikalisierung im Sinne der kommunistischen Partei.
Die Anhänger der kommunistischen Partei als Gefolgsleute einer fremden Macht handeln nach der Methode der Diebe: „Haltet den Dieb!" Wer im Osten die Ostseeküste der ausländischen Macht zur Verfügung stellt, dort Küstenbefestigungen errichten läßt, Evakuierung ganzer Dörfer gutheißt, wer die Oder-Neiße-Linie anerkennt, der hat sicher kein Recht, hier zu protestieren. Die Kommunistische Partei ist uns in ihrem heutigen Wesen bekannt, und wir nehmen ihr die Volksfreundlichkeit, die angeblich aus diesem Antrag sprechen soll, deshalb nicht ab.
Wir Sozialdemokraten fürchten, daß diese Bombardierung von Knechtsand unter Billigung und Duldung der Bundesregierung und der Mehrheit
dieses Hauses einen schweren Schlag gegen den Europagedanken darstellt, daß diese Bombardierung nicht nur die Betroffenen, sondern eine große Anzahl gerecht denkender Menschen in Deutschland den Glauben an die demokratischen Grundrechte, an das Recht auf Heimat, das Recht auf Erwerb und das Recht auf Menschenwürde verlieren läßt. Wir fürchten ferner die Rückwirkungen auf die Gefühle und die Gedanken der deutschen Jugend. Gestatten Sie mir, hier nur einen Absatz aus dem Memorandum zu zitieren, das der „Bund Europäischer Jugend", Kreisverband Bremerhaven, an den Herrn Bundespräsidenten gerichtet hat. Dort schreibt diese Jugend, die im übrigen sehr besonnen zu diesen Dingen Stellung genommen hat:
Jedes Land des freien Europas wird bereit sein, für den Aufbau einer wahren, europäischen Verteidigungsgemeinschaft Opfer zu bringen. Den besten Dienst können wir den unterdrückten Völkern jenseits des „Eisernen Vorhanges" jedoch erweisen, indem wir diese Probleme ohne Streit und Hader gemeinsam lösen.
Für das hohe Ziel der Vereinigten Staaten von Europa wollen wir unsere ganze Kraft einsetzen, um damit auch den Europäern hinter dem „Eisernen Vorhang" die Freiheit wiederzugeben.
Die Jugend bittet in diesem Schreiben den Herrn Bundespräsidenten um die Verhinderung der Bombardierung von Knechtsand.
Sie sagen, meine Damen und Herren, Deutschland müsse ein Opfer für die Gleichberechtigung in Europa bringen. Wir haben auch hierbei Zweifel.
Lassen Sie mich noch einmal ein paar Sätze von Charles Gardener aus seiner Rundfunkansprache vom 2. März zitieren. Er sagt dort unter anderem folgendes:
Wenn die Deutschen nächste Woche ihre Zustimmung hierzu
— zur Bombardierung von Knechtsand —
geben, dann werden die Arbeiten an diesem Ziel — die Arbeiten und Kosten sind von den Deutschen zu tragen — sofort beginnen, und sie werden ca. zweieinhalb Monate in Anspruch nehmen.
Sagen Sie selbst, welch einem NATO-Staat oder welch einem Staat der europäischen Verteidigungsgemeinschaft mutet man das zu, daß er die Kosten trägt für Dinge, die die anderen wünschen?
Die Gleichberechtigung wird zum Hohn, wenn ein Partner dem Zwang der Kostendeckung für Zwecke der anderen unterliegt.
— Für ihre eigene Luftwaffe! Wir haben seinerzeit für unsere eigene Luftwaffe ja auch eigene Ziele gehabt, Herr Euler.
Sie behaupten, die Bombardierung ist nötig im Kampf um die Freiheit. Ich sage Ihnen: der Kampf um die Erhaltung der Freiheit und diese selbst werden sinnlos, wenn man die Menschen vergißt, die diese Freiheit genießen sollen!
Menschen, deren Existenz vernichtet ist, sind keine geeigneten Freiheitskämpfer. Sie, die Regierung und die Alliierten — ich nehme keinen aus —, gefährden den Freiheitswillen, wenn Sie von NichtGleichberechtigten Opfer für andere und von Menschen, denen Sie Freiheit versprechen, Aufgabe der Existenz verlangen.
Ich stelle fest: die Regierung hat unsere Fragen über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Bombardierung von Knechtsand nicht beantwortet. Die Regierung hat sich nicht über die Möglichkeit weiterer Verhandlungen mit dem Ziele der Freigabe von Knechtsand geäußert. Die Regierung hat auch nicht sachkundig und verantwortlich zu der Frage eines künstlichen Zieles als Ersatz für Knechtsand Stellung genommen. Die SPD-Fraktion lehnt daher den Ausschußbericht ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hasemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche jetzt nicht in meiner Eigenschaft als Berichterstatter, sondern ich spreche für meine Fraktion. Ich möchte mich doch etwas mit den Argumenten meines Vorredners auseinandersetzen. Es ist ganz sicherlich nicht so - und alle, die an den Beratungen des Auswärtigen Ausschusses teilgenommen haben, wissen es —, daß wir sehr leichtfertig über die Dinge hinweggegangen sind. Alle Argumente sind sorgfältig geprüft worden. Auch für meine Fraktion war es eine sehr ernste Frage, die wir zu entscheiden hatten. Wir haben auch nicht versucht, die Dinge zu bagatellisieren. Aber ich muß mich
doch dagegen wehren, daß man versucht, die Dinge zu dramatisieren.
Herr Kollege Mertins, ich glaube — nehmen Sie mir das bitte nicht übel —, daß die beteiligten Kreise — ich habe hier ein Dokument mit einer ganzen Reihe von Unterschriften, angefangen vom Oberkreisdirektor des Kreises Wesermünde, dann der Fischereigenossenschaft, der Krankenhäuser, die betroffen sind, usw. — in dieses Frage ein wenig sachverständiger sind als Sie. Deswegen muß ich mich dagegen verwahren und es richtigstellen, wenn hier gesagt wird, daß 130 Kutter ihre Fanggründe verlieren. Das ist nicht der Fall. Insgesamt handelt es sich nur um 95 Kutter
- Pardon, darf ich das eben zu Ende ausführen —, von denen aber nur 40 durch die Bombardierung dieser Fanggründe betroffen werden.
Es heißt hier nämlich, während den Fischern aus Cuxhaven und den Orten an der oldenburgischen Küste Ausweichmöglichkeiten zur Verfügung stünden, sei den Fischern der Orte Dorum und Spieka mit rund 40 Kuttern jede Umstellungsmöglichkeit verbaut. Meine Damen und Herren, das soll kein Bagatellisierungsversuch sein. Uns liegt auch das Schicksal von 40 Kutterbesatzungen sehr am Herzen.
— Frau Thiele, auf Sie komme ich gleich noch zu sprechen.
Für uns ist das eine Herzensangelegenheit. Wir werden mit Sorge darüber wachen, daß die Schäden, die ganz zweifellos auftreten werden — ob in dem Umfang, daß die Existenzen völlig vernichtet werden, oder so, daß nur die Fangergebnisse nachlassen —, beseitigt werden. Es ist auch unsere Sache als Parlament, darüber zu wachen, daß die Regierung — ich bin allerdings davon überzeugt, daß die Regierung es tun wird —, wie ich in meinem Ausschußbericht gesagt habe, dafür sorgt, daß nicht nur die Schäden durch unmittelbare Bombentreffer, sondern auch die indirekten Schäden hinreichend vergütet werden.
— Liebe Frau Thiele, es ist ja merkwürdig, daß Sie sich ausgerechnet in dieser Frage so zum Sprecher gemacht haben. Das ging aus einer gestrigen Einstellung — ich betone ausdrücklich, gestrigen Einstellung — Ihrer Fraktion zu all dem hervor, was irgendwie mit militärischen Dingen zu tun hat. Ich freue mich jetzt schon auf den Eiertanz, den Herr Kollege Renner noch einmal aufzuführen haben wird, wenn wir uns hier zwangsläufig einmal mit der Nationalarmee auseinanderzusetzen haben.
Ich freue mich schon, wie das aussieht, wenn Sie Ihre 180-Grad-Schwenkung machen.
— Herr Renner, daß Ihnen da die Sorgen nicht am Herzen liegen, sondern daß Sie politisches Kapital aus dieser Sache schlagen wollen, ist nicht nur dem
Hause, sondern auch dem deutschen Volk und den
beteiligten Fischereikreisen hinreichend bekannt.
Es ist nicht nur der materielle Schaden, sondern
die Leute hängen an ihrem Beruf, sie hängen an
ihrer Heimat; dafür haben wir volles Verständnis.
— Ihre Argumente werden durch Lautstärke nicht überzeugender, Herr Renner. Und — das hat ja Herr Kollege Mertins schon gesagt — wenn Sie schon aus grundsätzlichen Erwägungen gegen so etwas sind, vielleicht wäre es dann zweckmäßiger gewesen, wenn auch Ihre Freunde im Osten gleichlautende Anträge in der Volkskammer eingebracht hätten, damit z. B. die Angelegenheit Peenemünde und die Zurverfügungstellung der ganzen Ostseeküste als Bombenziel zur Sprache kommt und damit das erst einmal verhindert wird!
Wir möchten doch gerne einmal von Ihrer Seite ein gutes Beispiel sehen. Wir möchten nicht nur immer Vorhaltungen, was zu tun wäre; leben Sie uns einmal ein wenig das vor, was Sie uns immer als Tugend predigen wollen.
Weiter, Herr Renner und die Freunde von Ihrer Fraktion, wir sind uns doch alle darüber klar, daß diese ganze Problematik gar nicht aufgeworfen wäre, wenn wir uns nicht immer mit Verteidigungsfragen auseinanderzusetzen hätten. Warum werden diese Dinge fortgesetzt an uns herangetragen? Sind es denn die Kräfte des Westens, die diese Frage immer akut werden lassen? Es sind doch Ihre Freunde, die die Unruhe in die Welt hineintragen!
Wir sind überzeugt — ich spreche da für meine Fraktion —, daß diese Bombardierungen aus strategischen Gründen notwendig sind.
Wir sind davon überzeugt, daß das auch weitgehend im deutschen Interesse geschieht.
Wir sind leider nicht in der Lage, uns gegen Eroberungslüsterne zu wehren. Wir sind auf die Hilfe anderer angewiesen. Wir wollen dankbar sein, wenn wir solche noch irgendwo in der Welt finden.
Es ist nun einmal tragisch für die betroffenen Kreise, daß überall da, wo Militär gespielt wird, auch irgendwie und irgendwo Gelände für diese Dinge zur Verfügung gestellt werden muß. In aller Bescheidenheit darf ich daran erinnern: wir haben gerade jetzt im Auswärtigen Ausschuß — ich habe auch da das zweifelhafte Vergnügen — so eine Akte mit Protesten gegen Beschlagnahmen bei Anlagen von Flugplätzen, bei Anlagen von Kasernen. Das bringen die Dinge nun einmal mit sich. Nicht nur bei uns hier in Deutschland, in allen Ländern der Welt ist es so, daß militärische Dinge auch Raum und Gelände fordern.
Man muß auch einmal ein wenig an die Leute denken, die hier auf dem Festland ihre Heimstätten verlieren müssen, weil aus militärischen oder strategischen Notwendigkeiten irgendwelche Bauten angelegt werden müssen.
Wir können hier wie dort nur zu helfen versuchen, Härten mindern und Unrecht beseitigen, wie und wo wir es können. Darum werden wir eifrig besorgt sein, daß die Regierung in dieser Beziehung nichts unterläßt.
Noch einmal zu Ihren Ausführungen, Herr Kollege Mertins. Sie wissen doch ganz genau, daß alle militärischen Dinge Gelände brauchen. Wie stellen Sie sich denn das beispielsweise bei Ihrem Ruf nach amerikanischen Divisionen, nach einer unerhört großen Zahl amerikanischer Divisionen vor? Ginge das denn alles ohne Beschlagnahme von Gelände und dergleichen Dingen ab?
Ich habe Verständnis dafür, bei Ihnen liegen besondere lokale Interessen vor. Ich bin auch Niedersachse; mir liegt das Wohl und Wehe meiner niedersächsischen Heimat auch am Herzen. Aber man darf die großen Dinge und die großen Zusammenhänge dabei nicht übersehen. Herr Mertins hat uns eine Vorlesung über die Treffsicherheit von Bombenwürfen gehalten. Ich bin kein Militärexperte, ich bin kein Luftwaffenbordschütze oder dergleichen., Ich kann mich nur auf die Angaben von militärischer Seite stützen, nicht nur von alliierter Seite, sondern wir haben uns die Mühe gemacht, deutsche Sachverständige zu hören. Ich gebe die Zahlen natürlich mit allem Vorbehalt wieder. Man hat uns verbindlich erklärt, daß einmal durch ganz hochwertige Ziel- und Abwurfvorrichtungen und zweitens durch die eingebauten Sicherheitsmaßnahmen das eigentliche enge Einwurfziel mit einem erheblichen Sicherheitsradius umgeben ist und daß die Treffsicherheit etwa 10 000 zu i sein wird.
Im Zusammenhang damit — ich lege ganz besonderen Wert auf diese Feststellung — wurde gesagt, daß die Bombardierungen eingestellt würden, wenn auch nur eine einzige Bombe außerhalb dieses Sicherheitsbereichs fiele. Herr Staatssekretär, ich möchte ausdrücklich darum bitten, zu prüfen, ob es nicht möglich ist, diesen Punkt sogar zu einem Bestandteil der Abmachungen zu machen, daß, wenn also tatsächlich die gegebenen Zusicherungen hinsichtlich der Treffsicherheit vielleicht überschritten werden und Fehlwürfe vorkommen, dann tatsächlich die Bombardements restlos abgebaut werden.
Es bleibt natürlich noch eine Fülle von Argumenten, die gegen die Zurverfügungstellung des Knechtsands sprechen. Man muß aber die Gewichte richtig verteilen. Man muß die Werte gegeneinander abmessen. Die Situation ist auch nicht so, daß es sich hier um ein Diktat handelt, daß es heißt: „Die Besatzungsmacht muß", sondern hier ist auch ein wenig unsere Einsicht vorhanden, die Einsicht, daß es auch um unseren Kopf und Kragen geht. Deswegen müssen wir, wenn wir die Werte und Gewichte gegeneinander abwägen, doch zu der Überzeugung kommen, daß trotz der sicherlich vorhandenen großen Bedenken dem Ausschußbericht zugestimmt werden kann. Jedenfalls wird meine Fraktion diesem Bericht zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Stegner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche hier nicht im Namen meiner Fraktion, sondern als niedersächsischer Abgeordneter, dem das Wohl der Küste und der Küstenbevölkerung besonders am Herzen liegt.
— Sie können ruhig sehen, immer mit der Ruhe!
Ich werde dem Antrag des Auswärtigen Ausschusses meine Zustimmung nicht geben,
und zwar aus folgender Erwägung. Ich bin mit vielen Kollegen, mit dem Herrn Berichterstatter als solchem und als Sprecher meiner Fraktion in vielen Dingen absolut einig. Ich stehe auch auf dem Standpunkt, daß vieles getan werden muß, um die europäische Verteidigung zu sichern. Ich stehe aber auch auf dem Standpunkt, daß dann auch die Verteidigungsbereitschaft der Bevölkerung geschaffen werden muß, und ich habe für die Stimmung der Küstenbevölkerung volles Verständnis, die in der Bombardierung von Knechtsand nicht ein Aufeinanderzukommen der europäischen Völker sieht, sondern genau das Gegenteil.
Dieses Hohe Haus kennt vielleicht nicht die Situation dort oben. Diese Menschen haben den ganzen Krieg über die Bomber über die Deutsche Bucht fliegen hören. Sie haben im Anschluß daran unentwegt die Bombardierung Helgolands gehört — und Helgoland ist für die Küste doch etwas Besonderes — und sie werden nun in Zukunft die Bombardierung von Knechtsand hören. Die Menschen dort haben die besonderen Schwierigkeiten für das Land an der niedersächsischen Küste erlebt: das Aufhören der Reichsmarine, das Aufhören der Betriebe, der Arsenale, der Ausrüstungshäfen, der Werften, mit anderen Worten die Arbeitslosigkeit. Sie haben die Schiffahrts- und Hochseefischereibeschränkungen der Jahre nach dem Zusammenbruch erlebt, die Riesenarbeitslosigkeit und das Elend. Dieser Bevölkerung von heute auf morgen klar zu machen, daß die Bomben auf Helgoland etwas anderes waren, als die Bomben auf Knechtsand sein sollen, ist unmöglich, das geht so schnell nicht. Wie überall werden wir für diese Dinge zeitliche Entwicklungen brauchen. Ich persönlich glaube, daß die Bomben, die jetzt auf Knechtsand geworfen werden, den Weg nach Europa nicht bereiten, sondern eher verbauen. Deswegen fühle ich mich verpflichtet, dem Antrag des Auswärtigen Ausschusses nicht zuzustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Thiele.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Herr Kollege Hasemann, ich habe Sie gewiß nicht beneidet; denn wer einen Eiertanz aufgeführt hat, ich denke, das waren bestimmt Sie.
Sie haben sich wirklich hier gewunden, wie Sie es begreiflich machen können, daß die Mehrheit des Ausschusses trotz der Bedenken, die sie anerkennen mußte, freiwillig bereit ist, deutsches
Land, den Großen Knechtsand, für Bombenabwürfe freizugeben.
Ich frage die Mehrheit des Ausschusses: Warum verlangen Sie nicht mit der Bevölkerung der Küste und des ganzen betroffenen Gebietes dort oben, daß der Knechtsand nicht bombardiert wird? Warum haben Sie nicht soviel nationale Ehre und Würde,
daß Sie einmal sagen können und wollen: wir wollen nicht zugeben, daß deutsches Land sieben Jahre nach Beendigung des Krieges noch bombardiert wird.
Wie stark die Stimmung der Bevölkerung gegen Ihre Regierung ist, das kommt doch in dem Protest der gesamten Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung zum Ausdruck, unter der sich auch Ihre eigenen Parteifreunde als Abgeordnete befinden.
Wer deutsche Interessen vertritt, muß mit uns die sofortige Freigabe aller beschlagnahmten Ländereien auch auf
dem Festland fordern, auf dem heute auswärtige Besatzungstruppen ausgebildet werden für die von Dr. Adenauer geplante „Neuordnung Europas" und auch für die von Dr. Hallstein angekündigte „Befreiung" Europas bis zum Ural.
Gestern haben wir von den von der Bundesregierung ausgearbeiteten Gesetzentwürfen über die Landenteignung und über Sachleistungen für Zwecke der sogenannten Verteidigung Kenntnis erhalten. Diese Gesetzentwürfe stehen in unmittelbarem Zusammenhang auch mit dem Problem, das heute behandelt wird. Die Adenauer-Regierung muß nach diesen Gesetzen von jetzt ab die Landbeschlagnahme und Enteignung für Zwecke der Europaarmee und der Atlantikpaktstreitkräfte auf deutschem Boden selbst durchführen. Sie können sich danach nicht mehr hinter dem Rücken der Besatzungsmächte verschanzen. Von der vorherigen Annahme dieses Gesetzes machen die drei Westmächte das Inkrafttreten des General-Kriegs-Vertrages abhängig. Ich bitte Sie zu beachten, daß das eine ungeheure Bedeutung für den Bundestag und für die gesamte spätere Planung hat. Das ist nämlich das erste Wehrgesetz. Das ist die Vorwegnahme der Entscheidung des Bundestags über den General-Kriegs-Vertrag und das Wehrgesetz. So weit sind wir also heute schon: Dr. Adenauer unterstützt tatkräftig alle Pläne und Maßnahmen zur Vorbereitung des geplanten Angriffskrieges.
Er hat ja auch auf der Siegener Konferenz bestätigt, daß er die „Neuordnung Ost-Europas" im Sinne der Ausführungen des Herrn Professor Hallstein unterstützt. Das muß unser Volk und das müssen auch die Opfer vom Knechtsand wissen: von Dr. Adenauer, von dieser Regierung und von der Mehrheit dieses Hauses erhalten sie keine Hilfe.
Das wird bestätigt durch diesen Antrag des Ausschusses. Dabei sind die sogenannten „Sicherheitsforderungen" völlig lächerlich. Denn ob zeitliche Begrenzungen, welches Bomben-Kaliber usw. — Bomben werden fallen und werden genau so wie auf Helgoland ein deutsches Gebiet verwüsten, daß es einfach eine Schande ist.
Dabei ist es ebenfalls empörend, wenn Sie diese Bombardierungen, diese Zurverfügungstellung des Knechtsandes noch mit Schutzmaßnahmen begründen wollen. Wir brauchen keine Schutzmaßnahmen, die unser Land zerstören. Wir brauchen Schutzmaßnahmen vor den Kriegstreibern.
Darum muß das deutsche Volk selbst den Kriegstreibern in die Arme fallen. Es muß endlich alle Mittel zur Anwendung bringen, daß wir zum Abschluß eines Friedensvertrages kommen.
Es muß endlich in einem noch verstärkten Maße selbst seine Interessen wahrnehmen, so wie es in Freudenstadt deutsche Politiker taten, so wie es in Göppingen die Bevölkerung auch tut. Darum möchte ich Sie auffordern: Fordern Sie mit uns gemeinsam — das entspricht deutscher Ehre —,
daß kein Fußbreit deutschen Bodens als Bombenziel preisgegeben wird. Junge deutsche Menschen waren es, die zusammen mit den Helgoländern und dem ganzen deutschen Volk die Insel Helgoland frei bekommen haben, die die Besatzungsmächte zum Rückzug gezwungen haben. Auch jetzt wird mit der Hilfe des ganzen deutschen Volkes und auch mit Ihrer Hilfe, meine Herren und Damen, wenn Sie diesen Anträgen jetzt nicht Ihre Zustimmung geben, der Große Knechtsand vor weiteren Bombenabwürfen bewahrt bleiben.
Darum möchte ich anschließend an die Forderung der „Gemeinschaft der deutschen Küste", von der Sie alle auch eine Abschrift erhalten haben, empfehlen, daß der Bundestag zu diesem Antrag nicht so wie die Mehrheit des Ausschusses Stellung nimmt, sondern so, wie die Gemeinschaft zum Schutz der deutschen Küste es fordert. Flammend sei unser Protest gegen nationales Unrecht und Kriegsgefahr!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tobaben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf auf diesen Punkt der Tagesordnung ohne jede Leidenschaft — denn ich glaube, diese Frage eignet sich nicht zu parteipolitischer Agitation — noch einmal ganz kurz eingehen und dabei auf die erste Beratung zurückgreifen, die in diesem Hause am 24. Januar 1952 stattgefunden hat. Damals sind an dieser Stelle nicht nur von mir, sondern von allen Sprechern erhebliche Bedenken gegen die Zurverfügungstellung des Großen Knechtsands als Ersatzbombenziel für Helgoland ins Feld geführt worden. Diese Bedenken sind heute hier zum Teil wiederholt und ergänzt worden. Ich kann es mir daher wirklich sparen, auf die gleichen Dinge noch einmal einzugehen. Die Bedenken sind durch die Berichterstattung des Ausschusses nach meiner Auffassung nicht wider-
legt worden. Wir haben damals die Angelegenheit dem Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten überwiesen, damit die hier vorgetragenen Bedenken ernsthaft nachgeprüft werden. Ich bedaure, daß man der Anregung meines Freundes Dr. von Merkatz, diese Dinge soweit wie möglich an Ort und Stelle nachzuprüfen, nicht nachgekommen ist. Ich halte es für bedauerlich, daß der Ausschuß sich nicht mindestens durch eine Abordnung an Ort und Stelle über die tatsächlichen Verhältnisse orientiert hat. Der jetzt vorliegende Beschluß kommt trotz der eingebauten Einschränkung der Freigabe des Großen Knechtsands gleich. Wie die Rücksichtnahme bei solchen Übungen und Bombenwürfen aussieht, davon können unsere Bauern aus der Lüneburger Heide ebenso wie die Schiffer, die diese Dinge in der Gegend von Helgoland erlebt haben, glaube ich, ein Lied nach eigener Melodie singen.
Bei der ersten Beratung am 24. Januar 1952 ist auch der Vorschlag gemacht und dem Ausschuß zur Berücksichtigung empfohlen worden, ein markiertes Bombenziel als Ersatz für Helgoland anzubieten, welches so weit von der Küste entfernt ist, daß die erwähnten Schäden vermieden werden können. Es sind Gründe dagegen hier ins Feld geführt worden. Man hat erklärt, man habe das nachgeprüft Die Gegengründe, die ich bisher gehört habe, sind nach meiner Meinung nicht stichhaltig. Wenn man ein Ziel anfliegen und Übungszielflüge machen will, ist es meines Erachtens gleichgültig, ob man ein markiertes Bombenziel—angestrichene Teertonnen, die man meinetwegen nachts erleuchten kann — weit draußen auf See legt, so daß die Küste, die Schiffahrt und die Interessen der dortigen Bevölkerung und Wirtschaft nicht gefährdet
sind, oder ob ein Sandhaufen, der Knechtsand, als Ziel genommen wird. Wenn man die Verhältnisse gesehen hat, wird man mir recht geben, daß auf einem Sandhaufen, der alle fünf bis sechs Stunden von der Flut überschwemmt wird, eine Markierung und eine Prüfung der Wirkung der Bomben ebensowenig möglich ist. Unsere deutschen Flieger haben draußen Bomben in gleicher Weise abgeworfen, wie wir das hier vorschlagen.
Ich habe schon bei der ersten Beratung darauf hingewiesen, daß die Diskussion über die Frage der Zurverfügungstellung von Knechtsand — das ist uns soeben noch einmal durch meine Vorrednerin bestätigt worden — Wasser auf die Mühlen der Radikalisten ist. Die Erregung der Bevölkerung in der Stadt und im Kreis Wesermünde, insbesondere der Jugend, deren Zustimmung zur Integration Europas wir nicht entbehren möchten, verlangt von uns, daß wir auf ihre sachlichen und ernsten Erwägungen eingehen.
Demgemäß stelle ich zu dem Vorschlag des Ausschusses einen Abänderungsantrag, der dahin lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht,
bei der britischen Hohen Kommission zu erwirken, daß von der Inanspruchnahme des Großen Knechtsands als Bombenabwurfersatzziel für Helgoland Abstand genommen wird und dafür, falls nicht zu umgehen, ein markiertes Ziel so weit in die offene See verlegt wird, daß eine Gefährdung des Uferschutzes und der sonstigen wirtschaftlichen Interessen der Küstenbevölkerung einschließlich der Seeschiffahrt vermieden wird.
Ich bin mit dem Herrn Kollegen Müller-Hermann der Auffassung, daß die Bevölkerung in der Stadt und im Kreise Wesermünde und insbesondere die Jugend von uns eine vernünftige Lösung erwarten. Diese vernünftige Lösung kann aber nur in dem Sinne erfolgen, wie es unser Abänderungsantrag vorschlägt, den ich hiermit dem Herrn Präsidenten überreiche.
Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz wünscht, noch kurz das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Begründung unseres Abänderungsantrages, mit einem markierten Ziel den Übungszwecken zu dienen, ist nur noch kurz folgendes nachzutragen. Soweit wir unterrichtet sind, ist bei schlechter Wetterlage, die in den Küstengebieten sehr häufig gegeben ist, das in Aussicht genommene Ziel auf dem Knechtsand oft vom Wasser überspült. Das Argument, daß man diese Sände zur Feststellung der Treffer und zur Vermessung brauche, ist damit nach unserer Ansicht hinfällig geworden. Man könnte also durchaus mit einem markierten Ziel auf hoher See auskommen. Dazu kommt die Gefährdung, die bei den noch immer nicht absolut zuverlässigen Zielverfahren und Geräten für die Schiffahrt gegeben ist, und schließlich die Gefahr der fließenden Sände, die unter Umständen einen ganz erheblichen Kostenaufwand für die Küstenbefestigung erforderlich machen.
— Wir haben uns in unserer Fraktion von den beruhigenden Argumenten der Sachverständigen nicht überzeugen können. Das hat uns zu unserem Änderungsantrag veranlaßt, auf die Auswahl und Schaffung eines markierten Ziels auf hoher See hinzuwirken. Wir bitten Sie um Annahme dieses Änderungsantrags.
Als letzter hat sich zum Wort gemeldet Herr Abgeordneter Müller-Hermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe volles Verständnis dafür, daß die Herren Kollegen Tobaben und Mertins als Vertreter ihrer Wahlkreise hier die Bedenken vorgetragen haben. Ich bin an dem Gebiet auch durch meinen Wahlkreis interessiert. Aber ich bin der Meinung, wir müssen unsere Aufgabe im Bundestag in der Form wahrnehmen, daß wir allgemeinen Gesichtspunkten den Vorrang vor rein lokal bedingten Gesichtspunkten geben.
Daß die KPD die Frage des Bombenabwurfziels zu einer Bombensache für ihre Propaganda macht, ist mir vollkommen klar.
Ich glaube, wir müssen es uns verbitten, uns gerade von Ihnen Vorschriften machen zu lassen über nationale Würde und deutsche Ehre.
Die Gedanken, die die Herren Tobaben und Mertins hier noch einmal aufgeworfen haben, sind doch von den Sachverständigen im auswärtigen Ausschuß sorgfältig geprüft worden. Bei den Bombenabwürfen geht es darum, daß sie vom Festland vermessen werden können, um die Zielsicherheit der Bombenabwürfe festzustellen; das ist bei künstlichen Zielen nicht möglich. Nach Lage der Dinge stehen wir doch heute, wenn wir uns dem Vorschlag des auswärtigen Ausschusses nicht anschließen, vor der Entscheidung: Wollen wir die erfolgte Freigabe der Insel Helgoland aufs neue gefährden?
Es besteht eine Zusage, durch Zurverfügungstellung eines Ersatzziels die Insel Helgoland freizubekommen. Diese Aktion ist inzwischen durchgeführt worden. Ich glaube, daß wir auch unter diesem Gesichtspunkt den Bericht des auswärtigen Ausschusses prüfen sollten und von uns aus keine Schwierigkeiten machen dürfen, um die Verhandlungen auf dem vom auswärtigen Ausschuß angeregten Wege fortzusetzen.
Zur Geschäftsordnung hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Mende.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Hinblick auf die gerade bei den letzten Sprechern aufgetretenen sachlichen Meinungsverschiedenheiten beantrage ich, gleichzeitig im Namen der CDU-Fraktion, Rückverweisung an den Ausschuß.
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung.
Es ist zunächst beantragt, den Bericht des Ausschusses für Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten an den Ausschuß zurückzuverweisen. Ich bitte die Damen und Herren, die der Zurückverweisung an den Ausschuß zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. — Das ist ohne Frage die Mehrheit des Hauses. Die Zurückverweisung ist erfolgt. Damit ist auch der Antrag der Fraktion der Deutschen Partei erledigt.
— Herr Abgeordneter Renner, Sie haben wiederholt moniert, wenn ich ausdrücklich festgestellt habe, wieviel Mitglieder Ihrer Fraktion in welcher Weise abgestimmt haben.
— Da Sie das laut und deutlich gesagt haben und unsere Stenographen ja alles aufnehmen, steht es ja im Protokoll fest.
Meine Damen und Herren, zu einer tatsächlichen Erklärung möchte Herr Abgeordneter Höfler das Wort nehmen. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um der Raschheit halber, eine Materie vor das Haus zu bringen, muß ich mich der tatsächlichen Erklärung bedienen.
Dieses Hohe Haus hat sich wiederholt, zum Teil in feierlicher Weise, an die alliierten Mächte gewandt mit der Bitte, um der Menschlichkeit und der gemeinsamen Zukunft Europas willen Todesurteile gegen deutsche Staatsangehörige, die sich in ihrem Gewahrsam befinden, nicht mehr zu vollstrecken.
Bedauerlicherweise ist wiederum ein Fall zu vermelden, in dem dieser wohlbegründeten Bitte leider nicht entsprochen wurde: Am 21. März 1952, morgens 7.10 Uhr, hat die holländische Regierung das Todesurteil gegen den deutschen Staatsangehörigen Wilhelm Arthur Albrecht durch Erschießen vollstrecken lassen.
Albrecht war während der deutschen Besatzungszeit als Kriminalkommissar Leiter eines Außenpostens der Sicherheitspolizei. Er hatte in mehreren Fällen holländische Staatsangehörige ohne Gerichtsverfahren erschießen lassen und war deswegen in zwei Instanzen zum Tode verurteilt worden. Das Todesurteil war seit dem 27. April 1950 rechtskräftig. An dem Urteil selbst sei an dieser Stelle keine Kritik geübt. Es handelt sich auch nicht um eine Glorifizierung des Hingerichteten. Aber selbst für jene, die die Todestrafe für Taten, wie sie von Albrecht begangen wurden, als berechtigt empfinden, muß es fragwürdig bleiben, ob ein Todesurteil, das so lange nach der Tat heute noch vollstreckt wird, den Strafzweck erfüllt. Die Vollstreckung des Urteils gegen Albrecht sieben Jahre nach der Kapitulation wird auf alle Fälle in weiten Kreisen unseres Volkes als ungewöhnlich hart empfunden. Es scheint mir, daß die Justiz in diesem Falle wie in früheren ähnlichen Fällen ihr Ziel verfehlt hat und nur Anlaß zu neuem Haß, zu neuer Verbitterung und, was nicht ganz unwichtig ist, auch zu neuem Unverstand der ewig Unverständigen gibt.
Gleichzeitig mit der Hinrichtung Albrechts wurden drei weitere zum Tode verurteile Deutsche in Holland begnadigt. Dies läßt Raum für eine schwache Hoffnung, daß die Exekution Albrechts wirklich einen Schlußstrich unter die Vergangenheit bedeutet. Freilich kann nicht verhehlt werden, daß die Gnadenpraxis in Holland seit etwa einem Jahr als durchaus unbefriedigend empfunden werden muß, vor allem im Vergleich mit der Gnadenpraxis aller anderen Alliierten.
Zunächst für mich persönlich möchte ich die Erklärung wagen, daß die Handhabung der judiziären Praxis in Holland gegenüber den dort einsitzenden Deutschen schlecht geeignet ist, der von uns allen so sehr erstrebten Normalisierung der deutschholländischen Beziehungen auf politischem und auch auf volkswirtschaftlichem Gebiet zu dienen. Ein Ergebnis wie das in der gegenwärtigen Erklärung von mir beklagte hat auf die Verständigen immer wieder eine erschreckende, auf die Unverständigen eine radikalisierende und aufreizende Wirkung. Es kann unmöglich am Blut oder Tod eines einzelnen liegen, ob Sühne geleistet und Gerechtigkeit wiederhergestellt ist. Fiat justitia pereat mundus ist oftmals eine Devise, die nicht zum Ziele führt.
Es ist bekanntgeworden, daß sich die Bundesregierung im Falle Albrecht bis zuletzt energisch
bemüht hat, die Exekution unter Hinweis auf Gesichtspunkte, die mit dem hier Angeführten verwandt sind, zu verhindern.
Albrecht ist gefaßt gestorben. Er hat vor seinem Tode zum Ausdruck gebracht, daß er ohne Haßgefühl sterbe und hoffe, der letzte in der unheilvollen Kette jener gewesen zu sein, die ihre Taten mit dem Tode büßen mußten. Möge es wirklich so sein! Es ist genug Blut geflossen.
Sie haben die tatsächliche Erklärung des Herrn Abgeordneten Höfler zur Kenntnis genommen.
Meine Damen und Herren, der Herr Wirtschaftsminister steht noch nicht zur Verfügung. Er hat darum gebeten, den Punkt 3 der Tagesordnung etwas zurückzustellen.
Dann darf ich zunächst Punkt 4 unserer Tagesordnung aufrufen:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung eines Bundesamtes für Auswanderung ;
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Neu-
mayer. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen. - Der
Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf eine Aussprache
zu verzichten. — Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die staatliche Fürsorge für das Auswanderungswesen geht bereits bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts zurück. Die Weimarer Republik hat im Jahre 1919 das Reichsamt für Rückwanderung und Auswanderung ins Leben gerufen, das im Jahre 1924 in die Reichsstelle für das Auswanderungswesen umgewandelt wurde. Diese Stelle hat bis zum Jahre 1945 bestanden.
Nach dem Zusammenbruch haben die Alliierten zunächst jegliche Auswanderung verboten und unter Strafe gestellt. Als diese Bestimmungen eine Auflockerung erfuhren, traten auf Initiative der Hansestädte Bremen und Hamburg die Ländervertreter zusammen um dem Auswanderungswesen staatliche Fürsorge angedeihen zu lassen. Im Frühjahr 1946 wurde sodann ein sogenannter Ausschuß der Regierungsvertreter gebildet. Dieser Ausschuß umfaßte nur die Länder der damaligen Bizone; die französische Zone war noch nicht vertreten. Vertreter der französischen Zone, also Regierungsvertreter der Länder der französischen Zone haben erst seit dem Jahre 1949 den Sitzungen des Ausschusses als Gäste beigewohnt. Dieser Ausschuß wurde im Jahre 1947 in ein Ständiges Sekretariat für das Auswanderungswesen mit dem Sitz in Bremen umgewandelt, das im Jahre 1950, also nach Gründung der Bundesrepublik, als Bundesstelle für das Auswanderungswesen vom Bund übernommen worden ist.
Die Aufgabe zunächst des Ständigen Sekretariats und nachher der Bundesstelle besteht im wesentlichen darin, daß alle Auswanderungsfragen laufend bearbeitet werden, daß Material gesammelt wird und daß insbesondere auch geeignete Vorschläge gemacht werden. Eine weitere, sehr
wesentliche Aufgabe ist die Bekämpfung gewisser Mißstände, vor allem des sogenannten Auswanderungsschwindels. Die Öffentlichkeit sollte aufgeklärt werden. Amtlich zugelassene Beratungsstellen wurden ins Leben gerufen und mit geeignetem Material versehen. Von vornherein hat sich die Stelle nicht auf reine Behördenarbeit beschränkt, sondern sie hat stets enge Verbindung mit zahlreichen gemeinnützigen Organisationen angestrebt und auch gefunden. Insbesondere hat sie Fühlung aufgenommen mit wissenschaftlichen Instituten, so dem Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart.
Die dem Hohen Hause heute unterbreitete Gesetzesvorlage sucht nun diesem Zustand die rechtliche Grundlage zu geben. Diese Rechtsgrundlage findet sich in Art. '73 Ziffer 3 in Verbindung mit Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes. Es handelt sich um ein reines Organisationsgesetz. Materiell-rechtliche Regelungen sieht die Gesetzesvorlage nicht vor. Das Bundesamt für Auswanderung, das also mit diesem Gesetz ins Leben gerufen werden soll, ist eine Bundesoberbehörde und soll dem Innenministerium nachgeordnet sein. Es tritt an die Stelle der Bundesstelle für das Auswanderungswesen. Der Sitz dieses Bundesamtes soll nach Bonn verlegt werden, weil sich eine ständige Fühlungnahme mit den ausländischen Missionschefs als dringend erforderlich erwiesen hat.
Die Fassung des Entwurfs ist mit dem Auswärtigen Amt abgestimmt worden, das nach § 1 in besonderen Fällen ein gewisses Weisungsrecht haben soll, ein Weisungsrecht, das sowohl historisch als auch sachlich begründet ist.
Der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung hat nun in seiner Sitzung vom 16. November 1951 einen Unterausschuß gebildet, der sich zusammen mit Mitgliedern der Ausschüsse für Heimatvertriebene und für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten mit der Vorberatung des Entwurfs befassen sollte. Am 22. November 1951 ist dieser gemeinsame Unterausschuß zusammengetreten. Seine Beschlüsse haben dem Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung vorgelegen und dessen Zustimmung gefunden.
Der Ausschuß hat folgende Änderungen an der Gesetzesvorlage vorgenommen. Zu § 2 Abs. 1 ist der Vorschlag des Bundesrates angenommen worden, das Wort „durchzuführen" durch die Worte „zu treffen" zu ersetzen. Der Absatz lautet nunmehr:
Das Bundesamt für Auswanderung hat alle Maßnahmen, die der Vorbereitung der Auswanderung und der Fürsorge für die Auswanderer dienen, zu treffen.
In Abs. 2 des § 2, der die Aufgaben des Bundesamtes umreißt, soll durch Einfügung der Worte „in Zusammenarbeit mit den beteiligten Stellen" hervorgehoben werden, daß je nach Bedarf die in Frage kommenden Stellen herangezogen werden sollen. Zum Beispiel bei Fragen, die Fachkräfte betreffen, könnte das Arbeitsministerium, bei Flüchtlingsfragen das Flüchtlingsministerium zur Beratung zugezogen werden.
Die Streichung der Worte „sowie der Auswanderungswilligen" in § 2 Abs. 2 Ziffer 2 ist darauf zurückzuführen, daß der ganze Entwurf nicht eine individuelle Beratung einschließt, sondern daß es sich hier nur um die Sammlung und Sichtung von Material sowie um die Beratung von amtlich zugelassenen Auswanderungssteilen handelt, dagegen
nicht um eine individuelle Beratung von Auswanderungswilligen. Es soll also keine Propaganda für die Auswanderung gemacht werden — das ist nicht Aufgabe dieses Amtes —, sondern die Aufgabe des Amtes läßt sich dadurch umreißen, daß Vorbereitungen für Verträge mit dem Ausland, deren Abschluß dann allerdings der Bundesregierung vorbehalten bleiben muß, getroffen werden sollen, daß Mißstände — auch bei gewerblichen Beratungsstellen — bekämpft und im übrigen alle sich auf das Auswanderungswesen beziehenden Unterlagen gesammelt werden. Es ist insbesondere auch Aufgabe dieses Amtes, die Bevölkerung vor falschen Hoffnungen zu bewahren, die j a häufig durch Ausschreibungen in Zeitungen oder sonstwie bei Auswanderungswilligen geweckt werden.
Schließlich hat der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung in § 3 a die Berlin-Klausel in der üblichen Form eingefügt.
Ich habe namens des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung die Ehre, dem Hohen Hause die Annahme der Regierungsvorlage in der Fassung der Drucksache Nr. 2994 zu empfehlen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren, ich rufe zur Einzelbesprechung der zweiten Beratung auf: §1, — § 2, — § 3, — § 3 a, — § 4, — Einleitung und Überschrift. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich bitte die Damen und Herren, die den §§ 1 bis 4, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen an
genommen.
Eine allgemeine Aussprache der
dritten Beratung
soll nach den Vereinbarungen im Ältestenrat nicht stattfinden. Die Einzelbesprechung der dritten Beratung entfällt, da Änderungsanträge nicht vorliegen. Ich komme zur Schlußabstimmung über das Gesetz über die Errichtung eines Bundesamtes für Auswanderung. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz in seiner Gesamtheit zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. — Enthaltungen bitte? — Bei einigen Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Darf ich Herrn Abgeordneten Ritzel als Berichterstatter zu Punkt 5 bitten:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Freiherrn von Aretin gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 24. März 1952 (Nr. 3233 der Drucksachen).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Oberstaatsanwalt in Bonn hat durch Vermittlung des Generalstaatsanwalts, durch Vermittlung des Justizministers des Landes Nordrhein-Westfalen und des Bundesjustizministeriums an das Hohe Haus das Ersuchen gerichtet, eine Entscheidung darüber herbeizuführen, ob die Genehmigung für ein neues Strafverfahren gegen den Abgeordneten Freiherrn von Aretin erteilt wird. Ich darf Ihnen aus der Mitteilung des Oberstaatsanwalts in Bonn vom 10. März 1952 folgendes bekanntgeben:
Anläßlich einer Rücksprache mit dem Betriebsprüfer Feyerabend von der Zollfahndungsstelle München wurde in Erfahrung gebracht, daß sich in dem bei der Staatsanwaltschaft München I schwebenden Ermittlungsverfahren gegen die von Gelmini u. a. wegen Steuerhinterziehung pp. Anhaltspunkte für strafbare Handlungen des Bundestagsabgeordneten Freiherrn Anton von Aretin ergeben haben. Da die in der Person des Bundestagsabgeordneten Freiherrn von Aretin festgestellten Verdachtsmomente von Bedeutung sein könnten für die Bearbeitung des gegen ihn bei der Staatsanwaltschaft Bonn betriebenen Ermittlungsverfahrens wegen Eidesverletzung, Unterschlagung, Untreue und Steuervergehens, ist von der Staatsanwaltschaft München I .... Bericht angefordert worden.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts darf ich auf die Ausführungen in dem angezogenen Bericht nebst Anlagen, der zur Einleitung dieses Ermittlungsverfahrens aus dem Gesichtspunkt des § 13 StPO geführt hat, Bezug nehmen. Danach besteht der dringende Tatverdacht, daß sich Freiherr von Aretin entsprechend der rechtlichen Würdigung des Berichts eines Verstoßes gegen MRG Nr. 53, der Steuerhinterziehung, des Devisenvergehens, des Betrugs und der Nötigung strafbar gemacht hat.
Es wird gebeten, eine Entscheidung des Bundestages über die Frage der Aufhebung der Immunität .... herbeizuführen.
Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hat sich in seiner letzten Sitzung mit diesem Fall befaßt. Er empfiehlt dem Bundestag:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Freiherrn von Aretin wird erteilt.
Das Verfahren wird offensichtlich — mindestens technisch — mit dem Verfahren in Zusammenhang gebracht, das zur Zeit als Ergebnis der Ermittlungen des bekannten Untersuchungsausschusses, den das Hohe Haus seinerzeit eingesetzt hatte, die Staatsanwaltschaft Bonn beschäftigt. Es handelt sich um Beschuldigungen, die sich aus der Abwicklung einer Erbschaft ergeben, die die Mutter des Abgeordneten Freiherrn von Aretin in Österreich und zum Teil in Italien gemacht hatte. Hieraus sollen Tatbestände erwachsen sein, die erhebliche Verstöße gegen die bestehende Gesetzgebung bedeuten.
Ich kann nur — ich glaube, das auch im Namen des Ausschusses sagen zu dürfen — dem tiefen Bedauern darüber Ausdruck geben, daß wir erneut Veranlassung haben — auch erneut in bezug auf dieses Mitglied des Hohen Hauses —, einen solchen Antrag dem Hohen Hause unterbreiten zu müssen. Aber ich darf Sie bitten, im Interesse der Aufklärung des Sachverhalts dem Antrag des Ausschusses Ihre Zustimmung nicht zu versagen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort wird offenbar nicht gewünscht. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Ausschusses, den der Herr Berichterstatter vorgetragen hat, zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit des Hauses. Damit ist der Antrag angenommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Umsiedlung .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von 15 Minuten und eine Aussprachezeit von 90 Minuten vor.
Zur Begründung hat das Wort der Abgeordnete Odenthal.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Mit der Drucksache Nr. 3026 legt Ihnen die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei folgenden Antrag vor:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird beauftragt, dem Deutschen Bundestag bis zum 1. April 1952
— geändert „1. Mai 1952" —
den Entwurf eines Gesetzes, das die Umsiedlung der Flüchtlinge und Evakuierten in Verbindung mit der Schaffung von Dauerarbeitsplätzen und dem Wohnungsneubau im Jahre 1952 in möglichst großem Ausmaße sicherstellen soll, vorzulegen.
Dieses Gesetz soll über die für die Flüchtlingsumsiedlung, den sozialen Wohnungsbau und die Existenzbeschaffung im Haushalt vorgesehenen Mittel hinaus weitere 500 Millionen DM für den Wohnungsbau und weitere 500 Millionen DM für die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen bereitstellen.
Die Bereitstellung und die Aufbringung der
Mittel denken wir uns so, daß zum Wohnungsbau und zur Teilfinanzierung des Neuwohnungsbaus eine Abgabe vom Überstundenentgelt durch die Arbeitgeber aufzubringen ist und daß zur Schaffung von Dauerarbeitsplätzen die Reserven der Arbeitsverwaltung in Anspruch genommen werden sollen, soweit sie über die Liquidität der kommenden Bundesanstalt hinausgehen.
Die letzte Debatte zur Frage der Umsiedlung der Heimatvertriebenen im November 1951 hat alle Parteien dieses Hauses einig darin gesehen, daß die Umsiedlung mit den bisherigen Mitteln unzulänglich geworden ist. Ich will hier kein Wort der Kritik an der Tätigkeit des Herrn Ministers für das Vertriebenenproblem üben. Ich bin fest davon überzeugt, daß er alles getan hat, was er tun konnte, alles getan hat, was ihm möglich war innerhalb der Grenzen, die ihm durch die Richtlinien der Bundespolitik gezogen sind. Eines darf ich aber feststellen. Die gelenkte Umsiedlung war zweifelsfrei richtig in der Zeit bis Mitte 1951. Seit Juni 1951 hat sie sich tatsächlich totgelaufen.
Nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 sind die Flüchtlinge ungelenkt in die Räume der britischen und der amerikanischen Zone geströmt. Der Massenstrom gestattete an sich schon keine Ordnung nach den Notwendigkeiten der Wohnorientierung und der Arbeitsorientierung. Die Zerstörungen des Krieges haben besonders die Zentren der Großstädte, der Industriestandorte erfaßt. Darum haben selbst die Bewohner dieser Städte nach dem Verlust ihrer Wohnungen das offene Land aufsuchen müssen, und sie warten heute noch in großen Massen darauf, wieder in ihre Heimatstadt, ihre Heimatgemeinde zurückkehren zu können. Auch für sie fehlt, wenn schon die Arbeitsstätte bestehen und damit der Arbeitsplatz erhalten geblieben ist, die Wohnmöglichkeit in der Heimatstadt. Sie wohnen auch heute noch zum großen Teil auf dem offenen Land, wo für sie eine Arbeitsmöglichkeit nicht besteht. und auch gar nicht entstehen kann. Zu diesen Evakuierten sind dann die Massen der Heimatvertriebenen gestoßen. Sie tragen heute mit den Evakuierten eine gemeinsame Not.
Wir zählen im Jahresdurchschnitt in der Bundesrepublik 1,2 Millionen Arbeitslose. In dieser Zahl einbegriffen sind 600 000 arbeitsfähige, arbeitswillige Menschen, die in den Zentren der Heimatvertriebenen wohnen. Alle Versuche des Bundes, alle Versuche der Länder, die Arbeit in diesen Zentren zum Arbeitnehmer zu bringen, haben entweder keinen Erfolg gezeitigt oder sind in den Anfängen steckengeblieben. In diesen Bezirken fehlen einfach die primitivsten Voraussetzungen zur wirtschaftlichen Erschließung. Außerdem fehlen die Verkehrsmittel und die Möglichkeiten für eine ausreichende Versorgung mit Strom, Gas und Wasser. Der größte Teil aller jugendlichen Arbeitslosen befindet sich in diesen Notgebieten und wartet dort auf Lehrstellen und Arbeitsplätze. Die Jungens und Mädels von heute sind aber die Arbeitsuchenden und die Lehrstellensuchenden von morgen.
Die französische Zone dagegen wurde damals für die Zuwanderung der Flüchtlinge gesperrt. Während also die Bevölkerung der britischen und der amerikanischen Zone anstieg und den Friedensstand weit übertraf, blieb die Bevölkerung in den Ländern der französischen Zone zum Teil weit unter dem Friedensstand. Die Länder der französischen Zone haben sich schon vor Jahren zur Aufnahme von Heimatvertriebenen bereit erklärt, obwohl auch sie in ihren Grenzgebieten besonders große Zerstörungen, nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Lande aufweisen. Wir haben aber damals bereits die Auffassung vertreten, daß wir Deutschen gemeinsam den Krieg verloren und auch seine Lasten gemeinsam zu tragen haben. Ein gütiges Geschick hat es uns erspart, den Weg zu gehen, den die Heimatvertriebenen gegangen sind. Wir sollten diesem Geschick nicht nur dankbar sein, sondern sollten darin auch eine Verpflichtung erkennen. Wir meinen aber auch, daß die Aufnahme von Flüchtlingen in unseren westlichen Ländern nicht nur eine Belastung sein muß, sondern ein Gewinn für diese Länder sein kann. Wenn die Länder bei uns im Westen ihren Friedenswohlstand wieder einmal erreichen wollen, dann muß die Zahl arbeitender Menschen wieder vorhanden sein, damit das Volumen der Friedenserzeugung wieder erreicht wird. Wir haben aber damals auch darauf hingewiesen, daß das Problem der Heimatvertriebenen nicht mit der Polizei und auch nicht durch das Wohnungsamt zu lösen ist. Die Bevölkerung in den einzelnen Ländern hat getan, was sie konnte. Sie ist zusammengerückt und hat Platz gemacht für die, die eine neue Heimat suchten. Die Länder und die Gemeinden haben auch gebaut; aber ihre Mittel reichten nicht aus, um ausreichenden Wohnraum außer für ihre Ausgebombten auch noch für die Heimatvertriebenen zu schaffen. Die vom Bund und der Soforthilfe gegebenen Mittel waren nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Was in Zukunft gegeben werden soll, wird bestimmt nicht ausreichen, um auch nur den dringendsten Bedarf zu decken.
So wurden die Flüchtlinge größtenteils nicht dort untergebracht, wo Arbeitsmöglichkeiten bestanden
oder entstanden, sondern gerade dort, wo sie in den Dörfern und Weilern der Länder nunmehr weit von jeder Arbeitsmöglichkeit, auch weit abgeschnitten von jeder Verkehrsmöglichkeit sitzen. Hier entsteht durch weitere Umsiedlung ein neues Elendsgebiet nach dem andern. In allen Ländern muß darüber hinaus auch die innere Umsiedlung der arbeitsfähigen Flüchtlinge vom Dorf in die Stadt weiter getrieben werden. Viel Geld ist mit einer falsch gesehenen und falsch angewandten Umsiedlung nutzlos vertan worden, und der Erfolg ist Verbitterung der von dieser Umsiedlung betroffenen Menschen.
Die Möglichkeiten einer Umsiedlung mit den alten Methoden sind erschöpft. Im Jahre 1951 hat nur noch das Land Rheinland-Pfalz sein Soll erfüllen können, weil es von Anfang an von der Arbeits- und Wohnorientierung her an die Umsiedlung herangegangen ist und weil es den Wohnungsbau und die Erstellung von Arbeitskräften mit allen verfügbaren Mitteln in den Standorten der Industrie gefördert hat. Das war in anderen Ländern mit besserer wirtschaftlicher Kraft zweifellos leichter; aber auch dort sind heute die Möglichkeiten zur Aufnahme weiterer Flüchtlinge erschöpft, wenn nicht das Problem grundsätzlich und entscheidend von der anderen Seite angefaßt wird. Inzwischen hat sich nämlich eine Binnenwanderung gezeigt, die zwar die gelenkte Umsiedlung ersetzen könnte, wenn ihr von der Seite der Arbeitsorientierung und der Wohnungsmöglichkeiten her ein richtiges Ziel gesetzt würde. Aber ein Treck, der Zehntausende von Menschen ins Ungewisse wandern läßt, kann nie zum Arbeitsplatz und nie zur Wohnung führen, sondern kann nur in der Verzweiflung enden. Verzweifelte Menschen aber verzweifeln nicht nur an dieser falsch gesehenen Lösung, sondern sie verzweifeln an einer Demokratie schlechthin, die ihnen nicht zu helfen vermag.
Während wir aber auf der einen Seite 600 000 arbeitswillige, arbeitsfähige Heimatvertriebene in den Zentren der Arbeitslosigkeit sehen, während Hunderttausende von Jugendlichen darauf warten, eine Lehrstelle zu bekommen, besteht auf der anderen Seite, wie wir doch feststellen können, trotz der großen Arbeitslosigkeit ein echter Kräftebedarf in den Industriestandorten der westlichen Städte. Auch der Bericht der Bundesregierung zum Jahre 1951 erwähnt mit Bedauern, daß die Überstundenleistung ein Ausmaß angenommen hat, das hunderttausenden Menschen, hundertausenden Arbeitslosen den Arbeitsplatz verwehrt. Tatsächlich muß damit gerechnet werden, daß, umgerechnet aus den Zahlen der Überstundenentgelte im Verhältnis zu den Gesamtentgelten in der deutschen Bundesrepublik, arbeitstäglich etwa 6 Millionen Überstunden geleistet werden, 6 Millionen Überstunden in einer Zeit, in der wir 1 700 000 Arbeitslose zählen. In dieser Zahl von Überstunden verbirgt sich eine Arbeitsmöglichkeit für 7- bis 800 000 Menschen mit dem Achtstundenarbeitstag.
Wir wissen zwar, daß in manchen Industrien und in vielerlei Berufszweigen Überstundenleistungen einfach nicht zu entbehren sind, daß sie geleistet werden müssen. Wir wissen aber auch, daß die Entwicklung der Wirtschaft zwangsläufig eine weitere Steigerung der Überstundenleistung mit sich bringen wird, wenn die Überstundenleistung nicht durch die Schaffung neuer Dauerarbeitsplätze ersetzt wird.
Wir sind wohl in diesem Hause einig darin, daß wir die Überstundenleistung allgemein als unerwünscht bezeichnen, denn diese Leistung dient nach den Erfahrungen infolge der Ausbeutung der Arbeitskraft bei schlechter Ernährung und geringen Löhnen nicht der Volksgesundheit. Sie erhöht auch die Arbeitslosigkeit und die Sozialbelastung. Auch die Arbeitgeber wissen zweifellos, daß die Arbeitsleistung in der neunten, in der zehnten, in der elften Arbeitsstunde abfällt
und nur einem Bruchteil der Leistung einer Normalarbeitsstunde entspricht. Wir wissen aber auch — und das wissen auch die Arbeitgeber, die rechnen —, daß die Ersparungen an Soziallasten und die kürzere Abschreibungsfrist für Maschinen den Leistungsabfall nicht ausgleichen.
Wir wissen aber alle, daß die Unterbringung der Heimatvertriebenen und Evakuierten in Dauerarbeitsplätzen und Wohnungen das Problem Nr. 1 unserer Zeit ist. Aus den Erfahrungen der Vergangenheit wissen wir ferner, daß dieses Problem in kürzester Zeit gelöst werden muß und daß es nur dann gelöst werden kann, wenn die Teilfinanzierung von Wohn- und Arbeitsplätzen in den an sich gegebenen Räumen unverzüglich und ausreichend durchgeführt wird. Deshalb beantragen wir die Bereitstellung von 500 Millionen DM aus dem Aufkommen einer Abgabe vom Überstundenentgelt, die von den Arbeitgebern entrichtet werden soll. Wir rechnen damit, daß etwa 15 bis 25 v. H. der Überstundenentgelte dieses Aufkommen erbringen. Die Höhe wird davon abhängig sein, welche Befreiungen oder Erleichterungen bestimmten Berufs- oder Industriezweigen zugestanden werden sollen.
Meine Damen und Herren, die Abgabe muß nicht über den Preis gehen, denn sie soll vom Überstundenentgelt erhoben werden. Die Abgabe vom Gesamtentgelt der Arbeitnehmer ist sehr gering und die durch die Abgabe entstehende Erhöhung des Lohnanteils an der Produktion kaum noch meßbar. Wir sind auch der Meinung und können das belegen, daß in den Gewinnen der deutschen Industrie solche Reserven enthalten sind, die zweifellos diese und vielleicht auch andere Leistungen gestatten. Ich glaube aber, daß eine solche Abgabe viele Arbeitgebers veranlassen wird, zur Einsparung der Abgabe von sich aus neue Arbeitsplätze anzulegen. Der Erfolg ist auch dann der von uns, und zwar zweifellos von uns allen, gewünschte. Wenn aber der Arbeitgeber bereit ist, neue Arbeitsplätze anzulegen, es aber nicht tun kann, weil die Finanzierungsmöglichkeit fehlt — es gibt auch solche Fälle —, dann — so haben wir in unserem Vorschlag vorgesehen — soll er eine Finanzierungsbeihilfe bekommen. Während die Überstundenentgeltabgabe die Teilfinanzierung des Wohnungsbaus ermöglichen soll, soll die zweite Lösung der Teilfinanzierung von Dauerarbeitsplätzen dienen.
Die Mittel aus der Überstundenentgeltabgabe sollten in den Ländern aufgeteilt werden, in denen sie aufkommen, und in die gleichen Bezirke sollten die Mittel zur Schaffung der Arbeitsplätze fließen. Wir erwarten von dieser Lösung eine aus den wirtschaftlichen Verhältnissen organisch entwickelte Verbesserung des Wohnungs- und Arbeitsmarktes und daraus wieder eine ohne Zwang gelenkte Binnenwanderung der Heimatvertriebenen und Evakuierten; sie bedarf dann nur der Beratung
durch die Arbeitsämter in bezug auf den zwischenbezirklichen Ausgleich.
Wenn wir vorschlagen, daß auch die Reserven der kommenden Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in Anspruch genommen werden, dann haben wir dazu schwerwiegende Gründe. Wir wollen mit beiden Vorschlägen die Sozialbelastung mindern und die Produktionskraft steigern, ohne den Verbraucher mit Preiserhöhungen zu belasten. Die Reserven der Arbeitsverwaltung liegen heute bei über einer Milliarde DM. Wenn sie auch zum Teil durch den Wohnungsbau gebunden sind, so ist doch die Bundesanstalt mit mehr als 300 Millionen DM in ihrer Liquidität gesichert. Im vergangenen Jahr betrug der monatliche Überschuß im Jahresdurchschnitt etwa 40 Millionen DM. Wir dürfen wohl damit rechnen, daß sich die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr nicht erhöht, sondern vermindert, so daß wenigstens die gleiche Summe aus der Reserve zur Verfügung stehen wird.
Wir sind der Auffassung, daß die Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit am besten nicht in Arbeitslosenunterstützung, sondern in der Arbeitsbeschaffung angelegt sind und der wirtschaftlichen Betätigung der Arbeitslosen dienen sollen. Nur darin, meine Damen und Herren, sehen wir die Berechtigung eines Versicherungsbeitrages für Arbeitslosenversicherung, der über den echten Bedarf hinausgeht. Solange wir noch Dauerbeschäftigung bieten können, sollte unsere Aufgabe nicht darin bestehen, statt dessen Unterstützungen zu zahlen.
Wir möchten unseren Vorschlag gern als ein Ganzes betrachtet wissen und sind der Meinung, daß man den Antrag in die Ausschüsse für Wirtschaftspolitik und für Heimatvertriebene verweisen könnte; aber wir leiden unter Zeitnot. Den Heimatvertriebenen kann nicht gesagt werden, daß wir zunächst monatelang in Ausschüssen beraten müssen. Wir sollten uns heute im Hause darüber einig sein und beschließen, die Regierung zu beauftragen, diese Vorlage, die unsere Gesichtspunkte berücksichtigt, schnellstens dem Hause vorzulegen. Diesen Vorschlag möchte ich Ihnen unterbreiten.
Ich eröffne die Besprechung.
Das Wort hat der Abgeordnete Kuntscher im Rahmen der Redezeit von 90 Minuten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon die Interpellation Drucksache Nr. 2746 hat in diesem Hohen Hause vor einigen Monaten eine große Aussprache über das Umsiedlungsproblem ausgelöst. Es fielen damals sehr, sehr harte Worte, die vielfach die gesamte Schuld an dem Fehlschlagen der Umsiedlungsaktion im vergangenen Jahr dem Vertriebenenminister aufluden. Die Ursachen waren verschiedener Art. Ich freue mich, daß heute in dem Antrag der SPD und von meinem Herrn Vorredner die Ursachen des Versagens im vergangenen Jahr im allgemeinen sachlich und richtig beurteilt wurden. Die ganze Umsiedlungsaktion ist nämlich nicht allein eine Angelegenheit des guten Willens der Aufnahmeländer, sondern hängt auch davon ab, wieviele Mittel für die Umsiedlungsaktion zur Verfügung gestellt werden können und ob das auch zeitgerecht geschieht.
Zweitens. In den letzten Monaten haben die einzelnen Länder — wohl ausgelöst durch die Diskussion, die seinerzeit hier im Hohen Hause stattgefunden hat — zu den erhobenen Vorwürfen Stellung genommen, daß sie in der Frage der Aufnahme von Umsiedlern keinen guten Willen bekundet hätten. Hier ist ein Bericht des Landes Nordrhein-Westfalen ganz interessant, der sich mit dem ganzen Umsiedlungsproblem beschäftigt und an Hand von Zahlen aufzeigt, was das Land Nordrhein-Westfalen, das die meisten Umsiedler aufnehmen soll, in der Zeit von zweieinhalb Jahren, und zwar vom 1. April 1949 bis zum 31.Oktober 1952, an Wanderungsgewinn zu verzeichnen hat. Diese Zahlen zeigen uns am treffendsten, daß die Umsiedlung, wenn sie unseren beschlossenen Gesetzen entspräche, als nur gelenkte Umsiedlung von Erfolg wäre, daß wir dann aber der freizügigen Wanderungsbewegung irgendwie eine Beschränkung auferlegen müßten. Und das wollen wir nicht. Diese Zahlen für Nordrhein-Westfalen sagen uns folgendes. In diesen zweieinhalb Jahren beträgt der Wanderungsgewinn für Nordrhein-Westfalen 790 750 Personen. Der Anteil der Vertriebenen an diesen 790 000 Personen als Wanderungsgewinn beträgt 280 335. Wenn wir nun diejenigen aus dieser Zahl der Vertriebenen auslesen, die als Umsiedler anzurechnen sind, d. h. die als Vertriebene aus den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern kommen, so kommen wir auf lediglich 79 193 Umsiedler, dies in einer Zeit von zweieinhalb Jahren bei einem gesamten Wanderungsgewinn von 790 750 Personen. Also kaum 10 °Io des Wanderungszuflusses von Nordrhein-Westfalen sind Umsiedler.
Von dem gesamten zugewanderten Flüchtlingsanteil waren, in Prozenten ausgedrückt, also nur 30% Umsiedler. In der gleichen Zeit hat aber Nordrhein-Westfalen 40 000 neu Ausgewiesene aus Polen, der Tschechoslowakei oder den Südoststaaten und zur gleichen Zeit 12 000 Personen, die durch das Notaufnahmeverfahren nach Nordrhein-Westfalen eingewiesen wurden, aufgenommen und 24 000 Familienzusammenführungen vorgenommen.
Das nicht abreißende Ost-West-Gefälle ist die Ursache, daß die programmatische Abwicklung unserer Umsiedlungsgesetze nicht durchgeführt werden konnte. Es ist auch vielleicht für das Hohe Haus und damit für die Öffentlichkeit sehr interessant, daß der heutige Zuwachs an Menschen, die aus der Ostzone nach dem Westen kommen, im Monatsdurchschnitt noch 12 000 Personen beträgt. Diese Tatsachen dürfen wir nicht übersehen, denn das sind ja die Ursachen, die uns die Kanäle verstopfen, die für eine geordnete Umsiedlung geöffnet waren.
An diesen Tatsachen ändern auch Offene Briefe nichts. Offene Briefe, die wohl in Vertriebenenkreisen recht aufreizend wirken können, die aber wohl verschweigen, warum eigentlich diese Umsiedlung Schiffbruch erlitten hat. Wenn ich hier von Offenen Briefen spreche, so meine ich den Offenen Brief, den der Sozialminister von Schleswig-Holstein an den Vertriebenenminister Lukaschek, allerdings als Landtagsabgeordneter von Schleswig-Holstein, gerichtet hat. Wer den Inhalt dieses Offenen Briefes kennt, wird sagen, daß man dem Landtagsabgeordneten Asbach von Schleswig-Holstein wohl die Irrtümer, die in diesem Offenen Brief in bezug auf die Umsiedlung enthalten sind, verzeihen wird, daß aber der Landtagsabgeordnete Asbach die Möglichkeit gehabt hätte, beim Sozialminister Asbach in Schleswig-Holstein Rückfrage
zu halten, und dort hätte er vom Sozialminister, der auch gleichzeitig Flüchtlingsminister ist, die Tatsachen erfahren, warum — eben durch dieses Ost-West-Gefälle, durch die zu späte Bereitstellung von Mitteln — die Umsiedlung nicht restlos durchgeführt werden konnte.
Interessant ist auch eine Aussprache im Landtag von Südwürttemberg-Hohenzollern in der Angelegenheit der Vorwürfe, die diesem Aufnahmeland gemacht wurden. Diese Aussprache fand am 19. Februar dieses Jahres auf Grund einer Großen Anfrage unseres Kollegen Pfender statt. Diese Anfrage wurde vom Innenminister Renner beantwortet. In der Großen Anfrage wurde unter anderem die Frage aufgeworfen, ob tatsächlich durch eine Nichterfassung noch vorhandenen Altwohnraums die Umsiedlung nur teilweise durchgeführt werden konnte. In der Beantwortung führte der Innenminister Renner wörtlich aus, daß der Landesverband der Vertriebenen in SüdwürttembergHohenzollern erklärte:
Der Verband der Heimatvertriebenen in Württemberg-Hohenzollern — das kann uns eigentlich beruhigen — stellt sich auf den Standpunkt, daß eine weitere Umsiedlung nur noch insoweit zu verantworten sei, als Neubauwohnraum hierfür erstellt werden könne.
Das muß uns als Vertriebene auch gewissermaßen beruhigen, wenn der legitimierte und berufene Landesverband der Heimatvertriebenen feststellt, daß nur durch die Erstellung von ,neuem Wohnraum die zügige Weiterführung der Umsiedlung in diesem Aufnahmeland erfolgen könne und daß damit auch der Nachweis erbracht ist, daß nur die
Bereitstellung von Mitteln zur Beschaffung von Wohnraum die gelenkte Umsiedlung gewährleistet.
Aus diesem Grunde begrüßen meine Freunde und ich grundsätzlich den Antrag der SPD, der ganz konkret Wege aufweist, die zur Bereitstellung dieser Mittel führen könnten. Allerdings möchte ich — trotz dieser grundsätzlichen Erklärung — das eine sagen, daß meine Freunde und ich es viel lieber sehen würden, wenn nicht zweimal 500 Millionen, sondern zweimal 600 oder zweimal 700 Millionen zur Verfügung gestellt werden könnten,
wenn wir die Möglichkeit hätten oder die Regierungsstellen die Möglichkeit sähen, mit dem zuständigen Ressort, dem Finanzminister, diese Mittel auch aufzubringen. Wir werden es nur begrüßen, und wir werden bei der Verwirklichung dieses Antrags ehrlich und aufrichtig unsere Mitarbeit zur Verfügung stellen, daß sehr viele Mittel und so schnell wie möglich bereitgestellt werden, um das Werk der Umsiedlung zügig und schnell durchführen zu können.
Bezüglich des zweiten Teils dieses Antrages, der sich also mit der Aufbringung der Mittel beschäftigt, will ich zu der Position A), nach welcher eine Abgabe vom Entgelt von Überstundenleistungen die entsprechenden Mittel schaffen soll, nicht Stellung nehmen. Dies will nachher der Kollege Sabel tun. Aber zur Position B) möchte ich meiner Freude Ausdruck geben, daß der Antrag in der Form gestellt wird, daß Mittel aus dem Arbeitslosenstock dazu verwendet werden sollen, um Dauerarbeitsplätze zu schaffen. Diese Antrag und diese Erkenntnis bedeuten immerhin eine ganz bedeutende Wendung in der Einstellung der SPD zu der Bereitstellung von Mitteln aus dem Arbeitslosenstock,
wenn ich daran denke, wie wir uns im Ausschuß für Arbeit erst vor einigen Wochen in vielstündigen Sitzungen um die Grundsatzfrage herumgeschlagen haben, als es darum ging, die ersten 200 Millionen für Arbeitsbeschaffung aus diesem Titel der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, und wie man damals von zweckentfremdeter Verwendung sprach.
Ich begrüße dies, und ich glaube auch, daß dieser Vorwurf, der damals gemacht wurde. daß damit die Selbstverwaltung der neu zu schaffenden Bundesanstalt verletzt würde, bei der Erörterung dieses Antrages dann nicht mehr so stark aufrecht-. erhalten werden wird und daß es uns durch gemeinsames Nachdenken und gemeinsame Arbeit gelingt, die Mittel zu beschaffen, die wir für eine Umsiedlung benötigen.
Ich beantrage, daß dieser Antrag an die zuständigen Ausschüsse — zunächst einmal an den Vertriebenenausschuß als den federführenden, an den Haushaltsausschuß und vielleicht an den Ausschuß für Wirtschaft und Arbeit — überwiesen wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur ganz kurze Bemerkungen zu dem Problem der Finanzierung machen, weil es mir doch etwas bedenklich scheint, die Mittel auf diese Art und Weise zu beschaffen. Gemäß „A) Wohnungsbau" sollen die Mittel durch eine Abgabe vom Entgelt für Überstundenleistungen beschafft werden. Ich glaube, wir müssen uns die Situation einmal vergegenwärtigen. Zweifellos sind zeitweilig in beachtlichem Maße Überstunden gemacht worden. Nach der Industriestatistik konnten wir in der Industrie feststellen, daß die DurchschnittsWochenarbeitsstunden bis auf 51 angewachsen waren. Aber es ist nicht zu verkennen, daß sich die Situation inzwischen in beachtlichem Maße geändert hat. Selbst wenn wir annähmen, daß heute noch im Durchschnitt pro Arbeiter in der Industrie eine Überstunde in der Woche gemacht wird, und wenn wir davon ausgingen, daß man diese Überstunden meinetwegen mit einer Abgabe von 10 % belasten könnte, dann würde das im günstigsten Falle 50 bis 60 Millionen im Jahre ergeben. So sieht die Situation aus. Wir dürfen also nicht mehr von einer Überstundenleistung ausgehen, wie wir sie zweifellos im vorigen Sommer' hatten. Ich stimme dem Kollegen Odenthal insoweit zu, daß wir uns wirklich ernstlich überlegen müssen, wie wir zu einer Einschränkung nicht notwendiger Überstunden kommen. Aber diese Frage liegt auf einem anderen Gebiet. Ich bin mit ihm einig, daß zweifellos noch Möglichkeiten offen sind, um zusätzliche Arbeitsgelegenheiten zu schaffen. Ich möchte nur vor einer utopischen Betrachtung dieser Angelegenheit warnen, vor der Utopie, daß aus der Besteuerung von Überstunden eine solche Summe beschafft werden könnte.
Aber nun zu dem Punkt B). Da ist verlangt, daß aus den Mitteln der Arbeitslosenversicherung 500 Millionen DM gegeben werden. Ich darf hier an das anschließen, was mein Freund Kuntscher eben gesagt hat. Ich freue mich an sich darüber, daß man nun die Dinge etwas anders sieht; aber jetzt schießt man wieder über das Ziel hinaus:
Bitte, als wir uns vor wenigen Monaten darüber unterhalten haben, ob aus den Mitteln der Arbeitslosenversicherung 200 Millionen DM für Zwecke der Arbeitsbeschaffung gegeben werden könnten, da wurde von Ihrer Seite der Einwand erhoben: Erstens sind diese 200 Millionen DM nicht verfügbar, zweitens bedeutet es einen Eingriff in die Selbstverwaltung, den wir nicht vertreten können, drittens handelt es sich hier um Mittel, die zweckgebunden sind, über die das Parlament nicht verfügen kann.
Das war damals die Stellungnahme, als es um 200 Millionen DM ging. Wir haben dann die 200 Millionen DM doch bewilligt. Über einen größeren Teil des Betrags ist bereits verfügt. Der Verwaltungsrat, die Verwaltungsorgane der geschaffenen Bundesanstalt werden über den Rest verfügen können.
Nun ist die Situation so: Wir werden noch ein Vermögen der Bundesanstalt von etwa 1 Milliarde DM haben. Es ist hier von der Regierung durch Zahlen belegt worden, daß diese Mittel in den Ländern weitgehend festgelegt sind. Es ist so, daß die flüssigen Mittel nur einen bescheidenen Teil des Gesamtvermögens darstellen. Wir würden also hier ein Loch aufreißen. Wir müßten, sobald das möglich wäre, festgelegte Mittel flüssig machen, würden da allerdings zweifellos weitere Schwierigkeiten schaffen. Auf diese Bedenken möchte ich doch hingewiesen haben.
Im übrigen ist es so: jetzt ist die Bundesanstalt geschaffen. Die Bundesanstalt wird am 1. Mai mit ihrer Funktion beginnen. Ich glaube, es muß ihre Aufgabe sein, jetzt zu prüfen, inwieweit sie ihre Mittel für Zwecke der Arbeitsbeschaffung verwenden kann. Soweit das möglich ist, muß es geschehen. Insoweit bin ich mit dem Kollegen Odenthal einig. Ich bin allerdings der Meinung, jetzt, nachdem die Bundesanstalt geschaffen worden ist, wäre ein berechtigter Grund vorhanden, von einem Eingriff in die Selbstverwaltung und davon zu reden, daß man nun plötzlich noch vor Toresschluß die Verfügungsgewalt der Organe der Bundesanstalt einschränkt.
Ich möchte abschließend darum bitten, daß man diesen gesamten Antrag insbesondere wegen der Finanzierungsfrage dem Ausschuß für Arbeit überweist. Denn die Frage, die sowohl zu A) als zu B) angeschnitten worden ist, greift in den Arbeitsbereich dieses Ausschusses ein. Ich halte es für notwendig, den Ausschuß für Arbeit mitzubeschäftigen, damit ernstlich geprüft werden kann, inwieweit von den gebotenen und hier vorgetragenen Möglichkeiten überhaupt Gebrauch gemacht werden kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffmann .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der 177. Sitzung vom 23. November 1951 wurde in mehrstündiger Debatte die Umsiedlungsfrage eingehend erörtert und ihre Problematik in aller Ausführlichkeit dargestellt. Alle Parteien dieses Hohen Hauses sind sich über die Größe und die Bedeutung dieses Komplexes einig. Übereinstimmung besteht auch bei allen darüber, daß in absehbarer Zeit auf diesem Gebiet etwas zu geschehen hat.
Dem Antrag der SPD-Fraktion , auf Drucksache Nr. 3026 entnehme ich nun, daß sie den Ausführungen meines leider zu früh verstorbenen Parteifreundes Wildermuth zustimmt, daß nämlich eine erfolgreiche Durchführung der Umsiedlungsaktion nur möglich ist, wenn in den Aufnahmeländern auch der erforderliche Wohnraum für die umzusiedelnden Heimatvertriebenen zur Verfügung gestellt werden kann. Sie beantragt deshalb, im Jahre 1952 weitere 500 Millionen DM für den Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen.
Das ist nun sehr gut und ganz schön. Denn je mehr Geld für den Wohnungsbau bereitgestellt wird, desto mehr Wohnungen können gebaut werden und desto früher werden die Abgabeländer von dem auf ihnen lastenden Bevölkerungsüberdruck befreit. Die Frage ist nur, ob der von der antragstellenden Fraktion vorgeschlagene Weg gangbar ist und auch zu dem erstrebten Ziele führt. Nach dem Antrag soll eine halbe Milliarde DM durch Abgabe vom Entgelt für Überstundenleistungen aufgebracht werden. Sie soll vom Arbeitgeber entrichtet werden. Das bedeutet meines Erachtens — und hier befinde ich mich im Gegensatz zu dem Herrn Vertreter der antragstellenden Fraktion — eine Verteuerung der Überstundenarbeit, die sich naturgemäß auf den Preis der Ware auswirken muß und damit also zu einer Preiserhöhung für den Endverbraucher führt. Es würde damit also letzten Endes nur eine neue Preiswelle ausgelöst werden.
Zu bedenken ist weiter, daß eine Belastung der Arbeitgeber mit einer Abgabe von einer halben Milliarde DM auch dazu führen kann, daß der Arbeitgeber keine Überstunden mehr ableisten läßt, weil sie eben zu teuer werden. Allerdings entstünde dann für ihn die Notwendigkeit, weitere Arbeitnehmer einzustellen, eine Folge, die im Interesse der Entlastung des Arbeitsmarktes natürlich zu begrüßen wäre. Zu einem solchen Schritt wird der Arbeitgeber um so mehr geneigt sein. als ihm nach dem zweiten Teil des Antrags der SPD-Fraktion Gelder für die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen zur Verfügung gestellt werden sollen. Damit muß dann aber auch logischerweise das Aufkommen aus der zugunsten des Wohnungsneubaus vorgeschlagenen Besteuerung der Überstundengelder zurückgehen. Der beabsichtigte Zweck würde also gefährdet werden. Denn es handelt sich doch um ein neues Steuergesetz, das genaue Angaben über die Höhe und die Art der Erhebung sowie die Zweckbestimmung für die aufzubringenden Gelder enthalten müßte. Es ist also notwendig, daß dieser Teil des Antrags einer genauen Überprüfung unterzogen wird.
Was nun den zweiten Teil des Antrags auf Drucksache Nr. 3026 angeht, so ist mir der damit verfolgte Zweck eigentlich nicht recht klargeworden. Soweit ich unterrichtet bin, sind in der Landwirtschaft zur Zeit rund 200 000 Arbeitsplätze unbesetzt. Dies liegt aber nicht darin begründet, daß keine Mittel für die Bezahlung der Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, sonder darin, daß sich nicht genügend Arbeitskräfte finden, die gewillt sind, in der Landwirtschaft zu arbeiten. Es ist weiter zu berücksichtigen, daß auch in der Bauwirtschaft Arbeitsplätze zur Verfügung stehen werden, sobald die Bautätigkeit in vollem Umfang wieder aufgenommen sein wird. Deshalb sollte meines Erachtens geprüft werden, ob die Reserven der Arbeitsverwaltung für den im Antrag der SPD-Fraktion genannten Zweck herangezogen werden sollen oder ob es nicht zweckmäßiger ist, diese Gelder direkt
zusätzlich für den Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen.
Die Umsiedlungsdebatte in der 177. Sitzung hat klar gezeigt, daß es keinen Zweck hat, Gesetze zu beschließen, für deren Durchführung nur eine kurze Zeitspanne zur Verfügung steht und für deren beabsichtigten Zweck die notwendigen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Deshalb sollte bei der Behandlung dieses Antrags der Fehler vermieden werden, der bei der Beratung des Flüchtlingsumsiedlungsgesetzes vom 22. Mai 1951 unbestrittenermaßen gemacht wurde. Ich will damit sagen, daß eine so wichtige und schwierige Materie gesetzlich nicht unter Festlegung einer Frist geregelt werden sollte, deren Innehaltung sich bei der praktischen Durchführung als unmöglich erweist. Nicht immer gibt doppelt, wer schnell gibt. Häufig erweist sich eine eingehende Überprüfung, ein leidenschaftsloses Abwägen des Für und Wider als segensreicher und beständiger als ein übereiltes Handeln.
In der Sitzung vom 23. November hat der verstorbene Wohnungsbauminister darauf hingewiesen, daß die Finanzierung des Wohnungsbaues in einem solchen Ausmaß gesichert ist, daß bis zum Spätsommer dieses Jahres 200 000 Heimatvertriebene umgesiedelt sein werden. Wenn dieses Ziel erreicht wird, werden wir einen großen Erfolg verbuchen können. Diese Überlegung sollte uns veranlassen, Maßnahmen für die kommende Zeit eingehend und genau zu überprüfen und nicht übereilt zu handeln. Deshalb werden meine Freunde und ich der Überweisung an die Ausschüsse zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Willenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Sabel hat Bedenken geäußert, daß wir aus dem Fonds der Arbeitslosenhilfe Mittel zur Verfügung stellen, um den Heimatvertriebenen Arbeitsmöglichkeiten zu geben.
— 50 Millionen. Ich kenne die Bedenken, und trotzdem: wenn man die Not dieser verzweifelnden Menschen kennt und sieht, in welchen Gegenden sie untergebracht sind, Menschen, die arbeiten wollen, 600 000 arbeitslose Heimatvertriebene, die nur den Gedanken haben, ihrer Familie wieder ein glückliches Heim und vernünftige Verhältnisse zu schaffen, dann glaube ich, daß wir es nicht verantworten können, diese Menschen weiterhin ihrem Schicksal zu überlassen.
— Ich bin der Auffassung, Kollege Sabel, trotz aller Bedenken sollten wir uns doch überlegen, ob es nicht möglich ist, aus den Mitteln der Arbeitslosenversicherung so viel Geld zur Verfügung zu stellen, daß wir damit die größten Schwierigkeiten beseitigen können.
— Ja, ich weiß, Sie haben ja damals auch einmal 200 Millionen DM dafür erübrigen können.
Auf der andern Seite verstehen es ja nun die heimatvertriebenen Arbeitslosen nicht, daß wir in den Industrien-- wie vorhin schon bekanntgegeben wurde - 6 Millionen Überstunden haben. Ich verstehe es auch nicht, daß z. B. an der Ruhr — das wird auch anderwärts der Fall sein — die Leute weit über die achtstündige Schichtzeit hinaus beschäftigt werden und daß sonntags noch gearbeitet werden muß. Auf der andern Seite haben wir Hunderttausende von Menschen, die uns doch schließlich auch noch Geld kosten. Diesen Menschen müssen wir eine Möglichkeit geben, in Arbeit zu kommen, und wenn es nicht anders geht, ist zu überlegen, ob wir diejenigen Arbeitgeber, die fortlaufend Überstunden verrichten lassen und des Sonntags arbeiten lassen, nicht verpflichten können, arbeitslose Heimatvertriebene ,zu beschäftigen.
Damit komme ich zu einem andern Punkt. Wir haben sicher in der vergangenen Zeit alles mögliche getan und manche Versuche angestellt, um die Heimatvertriebenen aus ihrem Elend herauszubekommen. Nun ist in verschiedenen Revieren folgendes geschehen - das wird mir z. B. aus dem Aachener Bergbaurevier berichtet —: Dort wurden Wohnungen für die heimatvertriebenen Bergleute erstellt; die Menschen kamen, um zu arbeiten, und sie fanden auch eine Wohnung. Sie haben aber durchaus nichts, keinen Tisch, keinen Stuhl, kein Bett, gar nichts. Ich glaube, es wäre eine dankbare Aufgabe für die Bundesregierung, diesen arbeitswilligen Menschen, die nun endlich einmal eine Existenz bekommen haben, schleunigst Mittel zur Verfügung zu stellen, damit wenigstens das Allernotwendigste angeschafft werden kann und diese Menschen nicht von einer Verzweiflung in die andere hineingeraten.
Ich habe noch eine andere Feststellung zu machen. In einem Stadtteil Essens werden 3Q bis 40 Wohnungen für Heimatvertriebene gebaut. Ein Teil der Wohnungen ist schon halbwegs - so möchte ich mich ausdrücken — winterfest seit Mitte Oktober, und seit Mitte Oktober wird dort nicht weitergearbeitet. Ich habe über die Sache Erkundigungen eingezogen, und es wurde mir mitgeteilt, daß sich zwei Banken darüber streiten, wer den notwendigen Kredit zur Verfügung zu stellen hat. 40 Wohnungen, die planmäßig am 15. Dezember fertig sein sollten, stehen heute noch unfertig da, und es wird bis zur Fertigstellung Hochsommer werden, wenn das Tempo nicht beschleunigt wird. Ich bitte die Bundesregierung, auch nach der Richtung hin ein wachsames Auge zu haben und nicht im bürokratischen Sinn das, was wir dort aufbauen wollen, noch zu hemmen.
Die Heimatvertriebenen haben noch eine andere Bitte bei der Umsiedlung, daß nämlich wenigstens dann auch die konfessionellen Wünsche berücksichtigt werden. Wir bekommen immer und immer wieder Klagen, daß in rein katholischen Gegenden evangelische Umsiedler angesiedelt werden. Damit tut man diesen Heimatvertriebenen sicherlich keinen Gefallen. Ich kann mir auch vorstellen, daß bei der Umsiedlung nach dieser Richtung hin den Wünschen der konfessionell eingestellten Umsiedler Rechnung getragen wird, und ich glaube, wenn das geschieht, tragen wir dazu bei, den Frieden dieser Heimatvertriebenen in bestimmter Beziehung mit zu sichern.
Das Wort hat der Abgeordnete Ewers.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der SPD zieht die Folgerungen — oder versucht wenigstens, die Folgerungen zu ziehen — aus den Lehren der letzten vielstündigen Umsiedlungsdebatte. Das Haus ist darüber einig, daß das Programm der Umsiedlung von den überlasteten zu den noch nicht genügend belasteten Ländern nur so stockend und so im Nachzuge gegenüber den Zeitplanungen durchgeführt werden kann, auch im einzelnen so wenig befriedigende Ergebnisse hat, daß die Lehre gezogen werden muß: Umsiedlung ohne Vorkehrungen für Wohnung und ohne Arbeitsplatzbeschaffung ist — wenn sie planmäßig erfolgen soll - eine Unmöglichkeit. Daß aber eine Umsiedlung mit Wohnungs- und Arbeitsplatzbeschaffung besondere staatliche Vorkehrungen voraussetzt, liegt am Tage. Da nun aber die überlasteten Länder sich mit Recht darüber beschweren müssen, daß bisher nicht das Hinreichende erfolgt ist, ist jede Anregung, die versucht, hier die Dinge voranzutreiben, grundsätzlich zu begrüßen. Die SPD, die ja sonst in der Vorlage von druckreifen Gesetzen nicht gerade bescheiden ist, hat es mit ihren Kräften — was ich verstehe — nicht fertiggebracht, uns hier eine Gesetzesvorlage zu unterbreiten — denn in der Tat sind bei der Vorlage dermaßen viele Dinge zu beachten und zu berücksichtigen, daß die Kräfte einer einzelnen Fraktion dazu kaum ausreichen können —, und hat nur einige Programmpunkte umschrieben, die zweifellos durchdacht sind, insofern nämlich, als gesagt ist, daß man eine gewisse Summe — geschätzt ist je eine halbe Milliarde für Wohnbauten und für Arbeitsplätze — benötigt.
Nun soll die eine Hälfte, wie ja schon längere
Zeit projektiert war, aus dem Vermögensbestand der Arbeitslosenversicherung genommen werden. Das mag möglich sein; in dieser Beziehung sind wir ia nicht ohne jede Erfabrung. Die für die zweite Hälfte vorgesehene Verbindung der Arbeitsplatzbeschaffung mit einer für Überstunden zu zahlenden Abgabe liegt bei rein schematischer Betrachtung nahe; denn es ergibt sich, daß — Immer schematisch gesehen — bei geleisteten Überstunden noch Arbeitskraftbedarf, Einstellungsbedarf, also Arbeitsplatz vorhanden sein sollte. Die große Frage ist, ob nicht diese schematische Betrachtung — wie alles, was man schematisiert — direkt ins Unglück führt. Es wäre zu untersuchen: Wo sind denn eigentlich die Hauptüberstundengebiete? Wo fallen die Überstunden an, möge ihre Zahl nun drei, möge sie zwei oder auch nur eine pro Woche und Arbeiter betragen?
Nach dem, was die Wirtschaft berichtet, fallen Überstunden vornehmlich auf zwei Sektoren an, einmal bei der Kohle, also in der Bergbauwirtschaft, und zum anderen bei der Exportwirtschaft. Die Bergbauwirtschaft ist so barmittelarm, daß wir hier ein Milliardengesetz zur Investitionshilfe für sie beschlossen haben. Es wäre geradezu unsinnig, den Arbeitgeber im Bergbau noch mit Abgaben zu belasten, was dazu führen würde, daß er noch weniger investieren könnte und mit der einen Hand ausgeben müßte, was er mit der anderen einnimmt. Bei der Exportwirtschaft handelt es sich in aller Regel um einen Stoßverkehr, der saisonmäßig und vielleicht auch wochenmäßig bedingt ist. Die Einstellung besonderer Arbeitskräfte, die immer angelernt sein müßten, wenn sie nicht geradezu gelernt sein müßten, ist dadurch, wenn überhaupt möglich, sehr erschwert. Im übrigen sind
sowohl Export wie Kohle ortsgebunden und lassen sich nicht etwa in die Aufnahmeländer Rheinland-Pfalz oder Baden usw. verlagern.
So ist also wohl der Kerngedanke dieses Vorschlages der SPD richtig, die Durchführung aber wird auf schwerste Hindernisse stoßen. Meine Herren Vorredner haben schon darauf hingewiesen: Soll das ein Prohibitivgesetz werden, bringt es nichts; bringt es etwas, ist es eine Steuer, die wir der Wirtschaft, jedenfalls in den von mir genannten Zweigen, schwerlich werden zumuten können.
Was mich aber an diesen Vorschlägen wundert, ist eines: Haben wir hierbei eigentlich ganz vergessen, daß wir ja im Lastenausgleich, er mag im einzelnen ausfallen wie er will, Dauerarbeitsplätze für Flüchtlingsunterbringung als Entschädigung vorsehen, daß daran gedacht ist, durch eine wirksame Lastenausgleichshilfe dem Flüchtling die Schaffung einer neuen Existenz zu ermöglichen? Natürlich müssen diese Mittel von vornherein sachgemäß, zweckmäßig und im Programm der Umsiedlung angelegt und angewandt werden. Schon dieser eine Hinweis auf den Lastenausgleich, den wir ja hoffentlich im Laufe der ersten Hälfte des Mai endgültig verabschieden werden, zeigt, daß man diese Probleme doch nur in einem wesentlich größeren Zusammenhang sehen kann und daß vielleicht bei solcher Zusammenschau sich Möglichkeiten der Zusammenschaltung ergeben, die den in den letzten drei Jahren stockenden und unbefriedigenden Ablauf der Umsiedlung in das Gegenteil verkehren könnten.
Ich gebe meinen Herren Vorrednern recht: es ist zwar bei solcher Schwierigkeit nicht die dringendste Eile geboten, weil man die Dinge durchdenken muß; aber es ist so, daß nicht nur die Geduld der Flüchtlinge, sondern auch die Geduld des Bundestages in dieser Beziehung demnächst erschöpft sein dürfte.
Das Wort hat der Abgeordnete Reitzner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag meiner politischen Freunde betreffend Umsiedlung bezweckt, möglichst rasch von der theoretischen Anerkennung der Notlage der Heimatvertriebenen zur praktischen Hilfe zu kommen, ohne daß wir den Versuch unternehmen, Verpflichtungen auf einen kommenden Lastenausgleich zu delegieren. Wir wünschen eine sofortige Hilfe; diese tut not. Ohne Zweifel ist es zu begrüßen, daß wir nicht mehr in den alten starren Formen denken, daß wir auch nicht das frühere Spiel vom Schwarzen Peter fortsetzen und versuchen, diesem Land oder jener Körperschaft die Schuld in die Schuhe zu schieben, sondern daß wir uns darüber einig sind — ich glaube, das Hohe Haus stimmt mit mir darin überein —, daß die Problematik über die früheren Themen hinausgeht und daß ein wirtschaftspolitisches Problem, das Problem der Arbeitsbeschaffung und der Wohnraumbeschaffung, vor uns liegt. Gleichzeitig können wir nicht verschweigen, daß der in dem Umsiedlungsgesetz vom Mai 1951 kundgegebene Wille nicht durchgeführt wurde und daß es eine Verpflichtung der Regierung und des Hauses ist, jetzt raschestens Hilfe zu schaffen.
Der Antrag der SPD zeigt die praktischen Mittel. Dem Herrn Kollegen Sabel möchte ich sagen, daß seine Bedenken zu zerstreuen sind. Auf der einen Seite haben wir es, was die Vorschläge unter A) des Antrages betrifft, in Westdeutschland mit der Situation einer verschärften Kurzarbeit, auf der anderen Seite mit Überstunden bis zu 60 Stunden in der Woche zu tun. Vor mir liegt ein Bericht der „Neuen Zeitung" vom 27. März 1952. Darin wird im Zusammenhang mit diesem Problem gesagt:
Eine Rundfrage des „Beirats für Jugendfragen"
in Hessen ergab. daß nur bei 15 % der Lehrlinge
die vorgeschriebene Arbeitszeit in der Woche
eingehalten wird. 36,9 % dagegen müssen bis
zu 54 Stunden, 22,7% bis zu 60 Stunden und
der Rest zwischen 66 und 90 Stunden arbeiten.
In Württemberg wurde festgestellt, daß im Holz-, Maler- und im Nahrungsgewerbe weniger als 40 % der Lehrlinge den ihnen zustehenden Urlaub bekommen; in den LederFriseur- und Nahrungsmittelbetrieben bekamen mehr als 70 % nicht ihre gesetzlich vorgeschriebene Erziehungsbeihilfe.
Ich glaube, der Kollege Sabel hat den Buchstaben B) unseres Vorschlages falsch ausgedeutet. Wir wollen keinen Eingriff in das Vermögen, sondern wir wollen aus den anzuhäufenden Reserven die Mittel für die Beschaffung von Dauerarbeitsplätzen bereitstellen.
Ich habe gesagt, daß wir nicht mehr in den alten starren Formen: Aufnahmeländer und Abgabeländer, denken dürfen. Trotzdem darf ich in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß zwar der Anteil der Heimatvertriebenen im Bundesmaßstab nur 18,5 % beträgt, ihr Anteil an der Bevölkerung in Schleswig-Holstein aber immer noch 38,4 %, in Niedersachsen immer noch 34 % und in Bayern immer noch 25 % beträgt. Noch eindringlicher ist das Bild auf dem Gebiet der Arbeitslosigkeit. Auf Grund der Erfahrungen erhebt sich die berechtigte Forderung, Arbeitsplätze zu schaffen, indem man entweder den Flüchtling zum Standort der Arbeit bringt oder indem man die Arbeit zum Flüchtling bringt. Das Problem erschöpft sich nicht dadurch, daß man den Bevölkerungsaustausch nach außen hin durchführt, sondern man muß auch eine innere Umsiedlung durchführen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang — und ich glaube, ich befinde mich da in Übereinstimmung mit der überwiegenden Mehrheit des Hauses — die Aufmerksamkeit des Hauses nicht nur auf die menschliche, sondern auch auf die politische Seite dieses Problems lenken. Wem bewußt ist — und ich glaube, allen unter uns ist es bewußt —, wieviel Leid und Not mit allen seelischen und physischen Folgen noch heute in den Lagerghettos und in den überbesiedelten Gebieten der Oberpfalz, des Bayerischen Waldes und auch von Niedersachsen aufgestapelt ist, der wird dafür sorgen wollen und müssen, daß eine rasche Hilfe erfolgt. Das ist eine verpflichtende Aufgabe, der wir uns nicht entziehen wollen. Es liegt an uns und an der Regierung, diese verpflichtende Aufgabe rasch zu erfüllen. Es geht doch um die Notwendigkeit, der fortschreitenden Entrechtung des Menschen ein Ende zu setzen. Das ist das menschliche Problem. Was die politischen Folgen betrifft, so wissen wir alle, daß eine demonstrative Selbsthilfeaktion in Form von Trecks keine Lösung bedeutet. Aber die Frage ist, wie lange man den Betroffenen noch zumuten kann, zu warten. Die Frage ist, wie lange die physische und seelische Widerstandskraft dieser Menschen überhaupt noch reicht. Es handelt sich nicht allein um die Diskreditierung der Regierung, des Vertriebenenministers oder des Bundestags. Wenn wir dieses Problem nicht lösen, wird gleichzeitig das demokratische System unserer neuen Bundesrepublik diskreditiert. Das sollten wir alle verhindern.
Deswegen bitte ich das Hohe Haus im Namen meiner Freunde, dem Initiativantrag grundsätzlich zuzustimmen und zuzustimmen, daß er an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik und an den Ausschuß für Heimatvertriebene zur ehesten Behandlung übermittelt wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Harig.
Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir wenige Worte zu diesem Problem. Am Anfang möchte ich gleich sagen, es ist schon bezeichnend für die soziale Haltung dieser Regierung, daß überhaupt ein solcher Antrag hier gestellt werden muß. Sie hatte in den 21/2 Jahren Gelegenheit genug gehabt, solche Gesetze vorzubereiten oder Maßnahmen einzuleiten und durchzuführen, um eine Umsiedlung vorzunehmen. Der sogenannte Plan der „gelenkten Umsiedlung" mußte ja ein Fiasko erleiden,
weil hinter diesem Plan nicht der ernstliche Wille der Regierung stand.
Der Wille der Regierung war eben auf andere Dinge gerichtet. Man hat die Umsiedler seitens dieser Regierung an der Nase herumgeführt wie schon so oft. Das muß man hier immer wieder sagen.
Nun zu dem Antrag selber. Meine lieben Freunde von der Sozialdemokratie,
ich frage Sie: wo sollen denn diese Arbeitsplätze geschaffen werden?
Sie sollen im Ruhrgebiet geschaffen werden,
um die geforderten 20 Millionen Tonnen Rohstahl für die Rüstung sicherzustellen.
Oder haben Sie vielleicht vor, diese Arbeitsplätze in Wilhelmshaven, in Hamburg, in Wolfsburg zu schaffen? Haben Sie vor, diese Arbeitsplätze in Watenstedt-Salzgitter oder im Bayerischen Wald zu schaffen? Ich denke, das haben Sie nicht vor. Sonst müßten Sie alle eine andere Politik einschlagen.
Ebenso verhält es sich mit der Beschaffung von Wohnungen. Wenn Sie Wohnungen bauen wollen, dann müssen Sie sie dort bauen, wo die Menschen sich heute befinden und wo man auch neue Industrien aufnehmen kann, z. B. in Watenstedt-Salzgitter. Aber was geschieht, wenn dieser Plan verwirklicht wird, das will ich Ihnen sagen: dann werden die in den Flüchtlingsreservegebieten vorhandenen wenigen Facharbeiter auch noch herausgezogen und im Ruhrgebiet in den Betrieben untergebracht, während die übrigen zurückbleiben. Man
wird aber keinen Wohnraum im Ruhrgebiet schaffen, sondern die Leute in Baracken unterbringen.
— Wie heute schon, jawohl!
Vor einiger Zeit ist hier das sogenannte Investitionshilfegesetz über die Bühne gegangen. Wem ist denn damit geholfen worden? Ist denn der Industrie an dem sogenannten „Eisernen Vorhang" entlang geholfen worden, wo die Umsiedler geballt wohnen und man ihnen Arbeitsplätze hätte schaffen können? Das ist nicht geschehen. Mit diesem Investitionshilfegesetz ist den großen Kapitalisten geholfen worden, und die Neuinvestierungen sind nicht etwa vorgenommen worden, um mit Hilfe dieses Geldes Arbeitsplätze zu schaffen, sondern sie sind vorgenommen worden, um die Kapazitäten mehr auszunutzen. Mit dem Geld führen Sie nur Ihre Rationalisierungspläne in der Rüstungsindustrie durch. Das müssen wir sehen. Wir Kommunisten unterstützen jeden Vorschlag, der der Hilfe für diese armen Menschen dienlich ist. Aber es wäre uns viel lieber, wenn man dafür sorgte, daß z. B. das Volkswagenwerk Rohstoffe und Kohle bekommt, die gesamte Friedensindustrie außerhalb des Ruhrgebiets, die unter diesem Mangel leidet, Rohstoffe und Kohle bekommt, damit dort Arbeitsplätze geschaffen werden können, ohne daß viel Geld für Investierungen notwendig ist.
Nun zu Ihren beiden Auswegen! Zu A) bin ich der Meinung: man soll dem Überstundenunwesen, das hauptsächlich in der eisenschaffenden Industrie des Ruhrgebiets
so umfangreich geworden ist, begegnen. Aber ich sage Ihnen, es ist ein Tropfen auf einen heißen Stein, wenn man aus den Überstunden die benötigten Gelder eintreiben will. Denn es liegt dann im Ermessen des Unternehmertums, den Plan jederzeit zu Fall zu bringen und das Geld nicht aufzubringen, weil man die Überstunden einstellen kann.
Zu B) will ich Ihnen abschließend folgendes sagen. Wir sind nicht der Meinung, daß man die Gelder, die für einen bestimmten Zweck von den Versicherten eingezahlt werden, für den beantragten Zweck zur Verfügung stellen sollte. Wir sind der Meinung, daß diese Gelder zweckgebunden bleiben oder sein müßten. Die Gelder müssen zweckgebunden sein. Denn bei der Preispolitik dieser Regierung ist ja noch gar nicht abzusehen, welche ungeheuren Folgen sie noch haben wird. Dann wird es notwendig sein, auch den Umsiedlern, die zum größten Teil arbeitslos sind, auf dem Wege der Erhöhung der Arbeitslosenunterstützungsgelder Hilfe zu bringen. Dazu müssen wir diese Gelder aufsparen. Die Politik der Regierung ist zu unsicher, als daß man aus diesen Reserven das Geld zur Verfügung stellen könnte. Wir sind der Meinung, daß das Geld, das man braucht, um Arbeitsplätze zu schaffen und um Wohnungen zu bauen, aus Bundesmitteln zur Verfügung gestellt werden muß. Ich will nicht weiter darauf eingehen. Ich sage Ihnen nur, Quellen, woher das Geld aus Bundesmitteln genommen werden könnte, können wir zur Genüge hier angeben.
Das Wort hat Herr Bundesminister Lukaschek.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Daß ich vom Standpunkt des Vertriebenenministers den Antrag der SPD sowohl hinsichtlich des Wohnungsbaues als auch der Umsiedlung begrüße, das dürfen Sie mir glauben, und ich danke insbesondere dafür, daß das Problem der Umsiedlung heute eine so objektive Würdigung gefunden hat. Es handelt sich ja bei der Umsiedlung nicht nur darum, daß notleidende Länder wie Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern entlastet werden. Es handelt sich um ein viel größeres Problem. Das menschliche Problem ist für uns selbstverständlich, aber auch das wirtschaftspolitische ist außerordentlich wichtig. Wir wissen ja aus den Denkschriften des Raumforschungsinstituts, daß im Bundesgebiet rund 4 Millionen Menschen an der falschen Stelle sitzen. Aber eins möchte ich dazu sagen, damit kein Irrtum aufkommt: dieser Antrag geht ja nicht dahin, die ins Stocken geratene Umsiedlung des Jahres 1950/51 ins Rollen zu bringen. Für diese Finanzierung ist gesorgt. Es handelt sich bei diesem Antrag der SPD darum, daß die nächstjährige Umsiedlung, die wir mit aller Mühe nunmehr weiterzutreiben versuchen, finanziert wird.
Darüber hinaus möchte ich aber noch folgendes bemerken. Es darf auch nicht der Eindruck erweckt werden, als wolle man eine gelenkte Umsiedlung überhaupt aufgeben, weil man mit Recht der Annahme ist, daß die durch eigene Initiative erfolgende Umsiedlung viel wirksamer ist und den einzelnen Menschen weit mehr befriedigt. Wir haben doch gerade aus den Forschungen und aus der Statistik ersehen — und das bestätigt uns jetzt das neueste Werk von Dr. Nimptsch, der gerade Ihnen und der Gewerkschaftsbewegung sehr nahe steht —, daß man auf gelenkte Umsiedlung nicht verzichten kann. Die ungelenkte Umsiedlung, so sehr ich sie initiativ begrüße, bringt es nämlich mit sich, daß das sogenannte Sozialgepäck nicht in genügendem Maße mitgenommen wird. Das kann nur über die gelenkte Umsiedlung geschehen. Also die Dinge müssen nach ihrer prinzipiellen Seite hin sehr sorgfältig untersucht werden. Im übrigen ist heute eigentlich kein Wort gefallen, dem ich nicht meine grundsätzliche Zustimmung geben könnte.
Abschließend nur noch einige Zahlen: Seit 1949 sind umgesiedelt rund 340 000 Menschen, in diesem Jahre werden dazu umgesiedelt werden bestimmt 200 000 und für das nächste Jahr sind weitere 100 000 zur Umsiedlung vorgesehen. Aber damit kann und darf es nicht erledigt sein, und zwar im Hinblick auf die großen Gesichtspunkte der Wirtschaftspolitik und auch im Hinblick auf all die Dinge, die immer wieder besonders auf dem Rücken der Heimatvertriebenen ausgetragen werden, weil sie die Mehrzahl, das Zwei- und Dreifache der Einheimischen, an Arbeitslosen stellen. Das wollte ich hier nur gesagt haben.
Die Beratung ist abgeschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Zunächst wäre der Antrag Drucksache Nr. 3026 im Sinne des Umdrucks Nr. 477 zu berichtigen. An Stelle von „1. April" muß es heißen „1. Mai". —
Das Haus ist mit dieser Berichtigung einverstanden.
Es ist der Antrag gestellt, diese Drucksache zu überweisen an den Ausschuß für Heimatvertriebene als federführenden Ausschuß, daneben an den Ausschuß für Arbeit, an den Haushaltsausschuß und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. —. Gegenprobe! - Einstimmige Annahme. Die Überweisungen sind erfolgt.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wiederaufbau und Wohnungswesen über den Entwurf einer Verordnung über einen allgemeinen Mietzuschlag bei Wohnraum des Althausbesitzes (Nrn. 3226, 3170 der Drucksachen; Entschließung Umdruck Nr. 476).
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Brönner als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hat unter dem 7. Dezember 1951 einen Antrag — Drucksache Nr. 2913 — eingereicht betreffend Altbaumieten. In diesem Antrag wird verlangt, daß die Bundesregierung die geplante Verordnung über die Erhöhung der Altbaumieten dem Bundestag zur Zustimmung vorlegt. Dieser Antrag wurde in der 180. Sitzung des Deutschen Bundestags am 12. Dezember 1951 beraten. Der Herr Abgeordnete Jacobi hat den Antrag begründet und dabei u. a. erklärt, durch die Verordnung unternehme die Bundesregierung den Versuch, das geltende Preisrecht für Mieten in einer Weise zu ändern, die für
I) den gesamten Preisstand, insbesondere für die Lebenshaltung der Bevölkerung von grundlegender Bedeutung sei. Daraufhin ergriff der Herr Bundesminister für Wohnungsbau Wildermuth das Wort und führte u. a. aus, von einer grundlegenden Änderung des Preisgefüges könne man bei dieser Verordnung schlechterdings nicht reden. Er fügte hinzu, es sei beabsichtigt, die Verordnung dem Bundesrat und dem Bundestag vorzulegen. Die Verordnung ist dann auch dem Bundestag zur Zustimmung zugegangen.
In der 198. Sitzung des Bundestags vom 12. März 1952 wurde der Verordnungsentwurf Drucksache Nr. 3170 ohne Aussprache an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen - federführend — und an die Ausschüsse für Wirtschaftspolitik und für Rechtswesen und Verfassungsrecht zur Mitberatung überwiesen. Am 14. März fand eine gemeinsame Beratung der Ausschüsse für Wiederaufbau und Wohnungswesen und für Wirtschaftspolitik statt. Herr Oberregierungsrat Bormann vom Bundeswirtschaftsministerium begründete den Entwurf. Er wies auf die seit Jahren steigenden Reparaturkosten hin, ferner auf den Nachholbedarf sowie auf die höheren Aufwendungen für Reparaturen infolge stärkerer Belegung der Wohnungen seit Kriegsende und infolge der Kriegsschäden, die zu beheben seien. Weiter erklärte er, die Bundesregierung lege großen Wert auf die Substanzerhaltung des in den Altwohnungsbauten liegenden Volksvermögens.
Nach diesen Ausführungen wurde zunächst in eine grundlegende Erörterung der Verordnung eingetreten. U. a. wurde die Frage gestellt, ob mit dieser Erhöhung um 10% die Altbaumieten nicht über die Mieten für die Wohnungen hinausgingen,
die nach 1924 errichtet worden seien. Der Herr Regierungsvertreter legte demgegenüber dar, daß diese Altbaumieten noch um 20% unter den Mieten für die nach 1924 errichteten Wohnungen lägen. In der weiteren Aussprache kam zum Ausdruck, daß durch diese Verordnung lediglich ein Härteausgleich erzielt werden könne. Diese kleine Mietpreiserhöhung sei eine Notlösung, ein erster Schritt auf dem Wege zur Wirtschaftlichkeit des Hausbesitzes. Der schlechten Ertragslage des Althausbesitzes müsse Rechnung getragen werden. Es sei widersinnig, neue Wohnungsbauten mit Steuermitteln zu finanzieren und die alten Wohnhäuser wegen zu niedriger Zwangsmieten verfallen zu lassen. Man müsse auch daran denken, an die Stelle der Subvention des Wohnhausbaues zu Subventionen der kleinen und leistungsschwachen Mieter überzugehen.
Es wurde auch darüber debattiert, ob die Hausbesitzer verpflichtet werden sollten, einen Teil der Mietpreiserhöhungen für Reparaturen auszugeben oder dafür zurückzustellen. Gegen diesen Vorschlag wurde eingewandt, daß die derzeitige Steuergesetzgebung es nicht zulasse, Rückstellungen von den Einkünften aus Vermietung zu machen; daher sei es unmöglich, diesen Weg zu beschreiten. Außerdem habe jeder Mieter das Recht, das ordentliche Gericht wegen der Instandsetzung der Wohnung anzurufen, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben seien.
Darauf wurden die einzelnen Paragraphen der Verordnung besprochen. In § 1 wird bestimmt, daß die Mieten der vor dem 1. April 1924 bezugsfertig gewordenen Wohnräume um einen Zuschlag von 10 v. H. erhöht werden dürfen; dürfen, also nicht müssen. Es handelt sich um die sogenannten Uraltmieten. In Abs. 2 wird der Begriff der Bezugsfertigkeit erläutert.
In § 2 wird die Ausgangsmiete festgestellt. Es ist die vor dem 1. April 1952 in preisrechtlich zulässiger Weise vereinbarte Miete. Das ist grundsätzlich die Miete nach dem Preisstopp vom 17. Oktober 1936. Von dieser Ausgangsmiete sind abzuziehen erstens die Umlagen für erhöhten Wasserverbrauch, zweitens die Brennstoff- und die Bedienungskosten für Heizungsanlagen, drittens die seit dem 1. April 1945 vereinbarten Umlagen für laufende Mehrbelastungen und viertens die in zulässiger Weise vereinbarten Untermietzuschläge. Abs. 2 regelt die Miete bei erstmaliger Vermietung, und Abs. 3 behandelt den Mietzuschlag bei der Erhöhung der Miete nach dem 1. April 1952.
In § 3 wird die anteilige Miete der Wohnräume bestimmt, wenn Geschäftsräume Teile einer Wohnung bilden oder wenn gewerblich genutzte unbebaute Grundstücke zugleich mit Wohnräumen vermietet oder verpachtet sind.
§ 4 enthält die Strafbestimmungen. Wenn der Vermieter oder der Mieter einen höheren als den nach dieser Verordnung zulässigen Mietpreis annimmt oder zahlt. begeht er eine Zuwiderhandlung im Sinne des Wirtschaftsstrafgesetzes; er kann also bestraft werden. Gegen diese Bestimmung wurden insbesondere deshalb Bedenken geäußert, weil der Mieter auch dann bestraft werden soll, wenn er freiwillig aus Billigkeitsgründen eine höhere Miete zahlt.
Nach dieser Aussprache beschlossen die Mitglieder der beiden Ausschüsse bei Stimmenthaltung der Mitglieder der SPD-Fraktion, der vorgelegten Verordnung ohne Änderungen zuzustimmen, aller-
dings mit dem Vorbehalt, daß, wenn die SPD-Fraktion noch Änderungsvorschläge einbringe, eine erneute Beratung angesetzt werden müsse.
Einige Tage darauf kam von der SPD der folgende Antrag:
Der § 1 Abs. 1 wird hinter dem Punkt mit folgenden Worten ergänzt:
„soweit nicht die Kostenmiete unter Anwendung der Grundsätze der Berechnungsverordnung erreicht ist."
Daraufhin wurden die Ausschüsse für Wohnungsbau und Wirtschaftspolitik auf Dienstag, den 25. März, noch einmal zur Beratung einberufen. Der Kollege Jacobi begründete den Antrag mit der Sorge, die zehnprozentige Erhöhung könne die Mieten über die Grundsätze der Kostenmiete hinausführen. Dazu führte der Regierungsvertreter aus, wenn die Kostenmiete festgelegt werden solle, müßten etwa 5 Millionen Wohnungen auf ihre Mietpreise hin geprüft werden, was eine ganz erhebliche Mehrarbeit für die Vermieter, für die Mieter und auch für die Organisationen bedeute. Außerdem sei es überaus schwierig, die Gesamtherstellungskosten dieser alten Wohnungsbauten festzustellen und mit den Baukosten der heutigen Wohnungen in Vergleich zu setzen. Endlich müsse die Festlegung der Kapitalbasis für den Althausbesitz, so wie es in der Berechnungsverordnung verlangt wird, zu ungeheuren Schwierigkeiten führen. Angesichts dieser Bernken zog die SPD-Fraktion ihren Antrag zurück.
Hierauf stellte der Vertreter der SPD-Fraktion den Antrag, § 2 der Verordnung durch folgenden Abs. 4 zu ergänzen:
Der Vermieter hat dem Mieter zu Beginn der Mietzeit die Zusammensetzung der Miete gemäß den vorstehenden Bestimmungen schriftlich mitzuteilen. Für bestehende Mietverhältnisse hat die schriftliche Mitteilung innerhalb eines Monats nach Inkrafttreten dieser Verordnung zu erfolgen.
Gegen diesen Antrag wurde geltend gemacht, daß damit den Vermietern und den Mietern eine Arbeit zugemutet werde, die sie unter keinen Umständen innerhalb eines Monats leisten könnten. Man müsse diese Regelung der Vereinbarung den Vermietern und den Mietern überlassen. Beide Parteien seien zuständig und würden vermutlich die Hilfe ihrer Organisationen in Anspruch nehmen, d. h. der Haus- und Grundbesitzervereine und der Mietervereine. Widerspreche die neue Vereinbarung unter Vermietern und Mietern der Verordnung, so könne ja jede Partei das ordentliche Gericht anrufen. Daraufhin wurde der Antrag gegen die Stimmen der SPD mit allen übrigen Stimmen abgelehnt.
In der Zwischenzeit war der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht gebeten worden, sich zu dieser Verordnung zu äußern. Unter dem 22. März hat er schriftlich mitgeteilt, der Ausschuß habe in seiner 172. Sitzung vom 20. März 1932 beschlossen, zu der Verordnung eine Äußerung nicht abzugeben.
Im Auftrage des Ausschusses für Wiederaufbau und Wohnungswesen darf ich den Antrag stellen, wie er auf Drucksache Nr. 3226 festgelegt ist:
Der Bundestag wolle beschließen,
dem Entwurf einer Verordnung über einen
allgemeinen Mietzuschlag bei Wohnraum des
Althausbesitzes - Nr. 3170 der Drucksachen
— unverändert nach der Vorlage zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. Ich bitte um Wortmeldungen.
Das Wort hat der Abgeordnete Jacobi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Berichterstatter hat bereits ausgeführt, daß die Verordnung, die uns heute vorliegt, ein Glied in der Kette von Verordnungen ist, die uns seit Monaten beschäftigen. Diese Verordnungen enthalten keine geschlossene Konzeption, sondern stellen nur Teillösungen dar. Wir haben bei den verschiedenen Debatten, die zu Fragen der Mietreform in diesem Haus stattgefunden haben, immer wieder unsere Bereitschaft erklärt, an einer grundlegenden Regelung auf dem Gebiete des Mietpreisrechts aufgeschlossen mitzuwirken. Die Bundesregierung hätte gut daran getan, diese Bereitschaft als einen Fingerzeig zu werten und entsprechend beschleunigt ihre Vorschläge vorzulegen. Statt dessen präsentiert sie von Zeit zu Zeit Teilregelungen, und zwar in Form von Entwürfen, die wohl einen gewissen inneren Zusammenhang haben, jedoch nicht erkennen lassen, wie sich denn eigentlich die Bundesregierung die von ihr oft erwähnte große Konzeption auf dem Gebiet der Neuordnung des Mietpreisrechts vorstellt.
Wir kennen den Streit der Juristen über die Frage der Rechtsgültigkeit der beiden ersten Verordnungen, die, aus dem November stammend, Teilfragen einer Mietpreisreform zu regeln versuchen. Nach Pressemeldungen wird sich der Bundesverfassungsgerichtshof in diesen Tagen mit den hierzu aufgeworfenen Rechtsfragen beschäftigen. Das Ergänzungsgesetz zu den erwähnten Verordnungen beschäftigt zur Zeit Ausschüsse dieses Hauses. Hierbei hat sich gezeigt, daß der Gesetzentwurf bei der Schwierigkeit der in ihm zu regelnden Materie nicht bis zum 1. April 1952 durchberaten werden kann. Trotz ursprünglich von der Bundesregierung hiergegen erhobener Bedenken hat sie sich schließlich den Tatsachen nicht verschlossen und die Frist für das Inkrafttreten der beiden Verordnungen hinausgeschoben. Das soll anerkannt werden.
Andererseits können wir auf die Feststellung nicht verzichten, daß diese Sachlage gar nicht erforderlich gewesen wäre, wenn sich die Bundesregierung in diesen Fragen rechtzeitig mit dem Parlament auseinandergesetzt hätte. Die Bundesregierung hat wiederholt erklärt, daß sie gleichzeitig mit den umstrittenen Verordnungen vom November, der Preisrechtsverordnung Nr. 71 und der Verordnung über Ausnahmen vom Mieterschutz, den „Gesetzentwurfzur Ergänzung der orschriften über die Aufhebung des Mieterschutzes bei Geschäftsräumen und gewerblich genutzten unbebauten Grundstücken" — wie der schöne Titel heißt — verabschiedet habe. Warum dieser Gesetzentwurf dann dem Hause erst nach vielen Wochen vorgelegt, warum die Materie darüber hinaus nicht überhaupt direkt und insgesamt in einem Gesetz geregelt worden ist, bleibt uns unerfindlich. Es wäre viel Aufregung, viel Rechtsunsicherheit und es wäre — das wird die weitere Entwicklung zeigen — viel Zeit erspart geblieben, wenn die Bundesregierung anders verfahren wäre.
Heute nun haben wir es mit einer weiteren Verordnung zu tun. Auch für sie gilt das, was hinsichtlich der Vorlagenverschleppung eingangs gesagt worden ist. Bereits am 12. Dezember 1951 — Herr Kollege Brönner hat darauf hingewiesen — hat der SPD-Antrag der Drucksache Nr. 2913 in diesem Hause Annahme gefunden. Damit war der Bundesregierung aufgegeben, die von ihr- mit Wirkung vom 1. April 1952 angekündigte Anordnung über die Erhöhung der Altbaumieten rechtzeitig dem Bundestag vorzulegen. Das war also am 12. Dezember. Die Bundesregierung hat volle drei Monate gebraucht, um diesem Parlamentsbeschluß nachzukommen. Vergleichen Sie dies mit der heute zur Beratung stehenden Drucksache! Sie finden da das Einreichungsdatum des Bundeskanzleramts vom 3. März 1952. Dabei ist bekannt, daß einer hier in Bonn tagenden Konferenz des Haus- und Grundbesitzerverbandes bereits im November des vergangenen Jahres der wesentliche Inhalt dieser Verordnung, nämlich die Zusage einer allgemeinen zehnprozentigen Erhöhung der Althausmieten, übermittelt worden ist.
Wir haben unter diesen Umständen kein Verständnis dafür, daß das Parlament wieder einmal mehr einem so unerfreulichen Zeitdruck ausgesetzt worden ist. Auch der Bundesrat muß die Vorlage förmlich durchpeitschen, wenn sie noch vor dem 1. April verkündet werden soll. Wir halten eine solche Prozedur für um so unerträglicher und bedauerlicher, als sie vermeidbar gewesen wäre. Dabei hat sich die Bundesregierung das Dekret der von langer Hand vorbereiteten Althausmietenerhöhung fürwahr einfach gemacht: sie beabsichtigt eine schematische Erhöhung; sie verzichtet auf eine Zweckbindung und sie läßt alle Fragen offen, die das Problem einer grundlegenden Neuordnung des Mietengefüges aufwirft. Was mit dem Verordnungsentwurf der Bundesregierung unternommen wird, ist nichts anderes als eine unzulängliche Behelfslösung, ist Flickarbeit und in keiner Weise als Teil einer wirklichen reformerischen Konzeption zu erkennen. Statt einer Mieten- oder Preisentzerrung droht mit dieser Verordnung eine neue Mietenverzerrung einzutreten.
Wir haben im Ausschuß den Versuch gemacht — der Herr Berichterstatter hat dankenswerterweise in seinem Bericht darauf hingewiesen —, wenigstens einige Korrekturen zu erreichen. Unser Vorschlag, den § 2 dahin zu ergänzen, daß dem Vermieter zur Pflicht gemacht wird, dem Mieter die Zusammensetzung der Miete schriftlich mitzuteilen, wurde abgelehnt.
Unsere Anregung, den beabsichtigten Zuschlag an den Zweck der Instandhaltung und Instandsetzung der Häuser und Wohnungen zu binden, hat ebenfalls bei der Mehrheit kein Verständnis gefunden. Wir verzichten nach diesen Erfahrungen im Ausschuß darauf, die Anträge hier zu wiederholen, da wir sicher sind, daß ihnen dasselbe Schicksal zuteil würde.
Wie immer sich auch die Mehrheit dieses Hauses heute entscheidet, die Diskussion um eine wirkliche, konstruktive Mietreform wird nicht verstummen. Nach einer dpa-Meldung, die gestern durch die Presse ging, haben die Wiederaufbauminister der Länder in den Ausschußberatungen des Bundesrats bereits zu erkennen gegeben, daß ihnen die von der Bundesregierung vorgesehene Regelung unzulänglich erscheint. Wörtlich heißt es in der Meldung:
Eine Erhöhung der Mieten
— das ist also nach diesem Bericht die Auffassung der Wiederaufbauminister der Länder —
dürfe nicht in vollem Umfange den Hauseigentümern zugute kommen, sondern müsse zum Teil für die Finanzierung von Neubauten verwendet werden. Die Wiederaufbauminister wollen vorschlagen, daß die Althausmieten zusätzlich um 15 % erhöht werden, die dann ausschließlich zur Förderung des Sozialen Wohnungsbaus Verwendung finden.
Ob die Vorlage unter solchen Auspizien die Zustimmung des Bundesrats findet, muß abgewartet werden. Aber auch unabhängig hiervon muß auf eine mögliche Schwierigkeit hingewiesen werden, die sich aus dem Wortlaut der Verordnung ergibt. Wiederholt wird in ihr auf die rechtlich umstrittene Preisrechtsverordnung Nr. 71 verwiesen. Sollte unsere Auffassung bestätigt werden, an der wir nach wie vor festhalten, daß diese Preisrechtsverordnung rechtsungültig ist, so dürfte dies nicht ohne Bedeutung für Inhalt und Bestand der heute zur Beratung stehenden Verordnung sein.
Noch auf einen anderen Gesichtspunkt sei hingewiesen. In der Öffentlichkeit, und ganz gewiß bei den Vermietern, ist der Eindruck erweckt worden, daß die zehnprozentige Erhöhung bereits am 1. April vorgenommen werden kann. Stimmt das denn überhaupt? Eine Nachprüfung wird ergeben, daß das nicht richtig ist; denn die Verordnung, um die es heute geht, basiert auf dem Preisrecht. Sie beseitigt lediglich den Mietzinsstopp und gibt dem Vermieter das Recht, die bisherige Miete bis zu der durch die Rechtsverordnung erhöhten Miete zu fordern. Fordert der Vermieter diese Erhöhung nicht, so hat es damit sein Bewenden. Macht er dagegen die Forderung geltend, so tritt die Wirkung erst vom nächsten Mietzahlungstermin an ein. Das heißt, der Vermieter kann die erhöhte Miete bei Geltendmachung der Forderung bis zum 15. April erst ab 1. Mai verlangen. Hieraus folgt auch, daß der Vermieter, der die Mieterhöhung vorerst nicht fordert, sondern erst später, sie nicht etwa für die rückliegende Zeit ab 1. April verlangen kann. Es ist anerkannten Rechts, daß Verordnungen auf dem Gebiete des Mietpreisrechts lediglich den Stopp beseitigen. Das heißt, daß der Vermieter nunmehr erst seine Forderung gegenüber dem Mieter geltend machen muß. Wir möchten auf diese Rechtslage hinweisen, damit in der Öffentlichkeit völlige Klarheit darüber besteht, welche Konsequenzen sich aus der Verordnung ergeben, falls sie von diesem Hause und anschließend vom Bundesrat angenommen werden sollte.
So ergeben sich grundsätzliche und spezielle Bedenken der verschiedensten Art, die die sozialdemokratische Fraktion veranlaßt haben, den Antrag einzubringen, der Ihnen mit dem Umdruck Nr. 476 vorliegt. Ich erlaube mir, den Wortlaut dieses Antrags mit der Bitte um Ihre geneigte Aufmerksamkeit vorzulesen. Der Antrag lautet:
Die Bundesregierung wird ersucht,
1. die Verordnung über einen allgemeinen Mietzuschlag bei Wohnraum des Althausbesitzes .... nicht zu erlassen.
Vor jeder wie immer gearteten Mietreform müssen gesetzgeberische Maßnahmen sicherstellen, daß
a) die Bezüge der Fürsorge- und Unterhaltshilfe-Empfänger,
b) die Sozialrenten und Versorgungsrenten,
c) die Löhne und Gehälter
in vollem Umfange der Mietsteigerung erhöht werden.
Eine Mietreform muß einen angemessenen Ausgleich zwischen Aufwand und Ertrag beim Alt- und Zwischenkriegshausbesitz herbeiführen und mehraufkommende Beträge für die Substanzerhaltung sicherstellen. Ein normales Mietgefüge kann nicht durch eine schematische Erhöhung erreicht werden.
Zweitens wollen wir Sie bitten, die Bundesregierung zu ersuchen,
dem Bundestag alsbald Gesetzentwürfe über eine allgemeine Mietreform vorzulegen, in denen die oben angeführten Gesichtspunkte berücksichtigt und darüber hinaus dauerhaft fließende Quellen für Wohnungsbau und Instandsetzungszwecke erschlossen werden.
Mit der Annahme dieses Antrags, für den sich eine eingehende Begründung erübrigt, würde der Weg zu einer grundlegenden konstruktiven Mietreform freigemacht werden, die das sachlich Gebotene, vor allem das für Instandhaltung und Neubau Erforderliche mit dem persönlich Tragbaren verbindet. Mit ihm wird auf die Fortsetzung des Verfahrens der Teillösungen verzichtet, die nur an Symptomen kurieren und keine echte Entscheidung darstellen.
Sie würden gut beraten sein, wenn Sie sich entschließen könnten, den bequemen aber unzulänglichen Vorschlag der Regierung abzulehnen und unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wirths.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
- Meine Damen und Herren! Zu der Verordnung selber ist heute wirklich nicht mehr viel zu sagen. Das Problem der Erhöhung der Mieten für die Bauten, die vor 1924 bezugsfertig geworden sind, ist seit Jahren in der Diskussion. Wir haben erlebt, daß inzwischen überall die Preise und auch die Löhne und Gehälter erhöht worden sind.
Der Teil von Lohn und Gehalt, der für Altwohnungsmiete aufgewendet wild, ist prozentual wesentlich gesunken, so daß die jetzt vorgesehene zehnprozentige Erhöhung nur noch den Bruchteil davon ausmacht. Wir müssen uns doch vor Augen halten, daß endlich ein Weg gefunden werden muß, der es auch dem privaten Hausbesitzer gestattet, Reparaturen vornehmen zu lassen. Wir können es uns nicht leisten, daß die alten Wohnungen weiter verfallen.
Zu der Versorgung selber ist also wirklich nicht mehr viel zu sagen. Man hätte sie längst erlassen sollen. Hätte man im vorigen Frühjahr im Zuge der gesamten Lohnverhandlungen und -erhöhungen diese geringfügige Erhöhung vorgenommen, dann wäre sie heute längst überwunden und vergessen.
Es ist ja kein Geheimnis, daß bei den Lohnverhandlungen des vorigen Jahres von beiden Tarifvertragspartnern das Problem einer Mieterhöhung in den Kreis der Betrachtungen einbezogen worden ist.
Lassen Sie mich nur noch einige Sätze zú dem sagen, was Herr Jacobi vorgetragen hat. Ich muß mich etwas darüber wundern, daß er als Vertreter seiner Fraktion von einer Mietpreisentzerrung spricht; denn es ist doch bekannt, daß Sie, meine Herren von der SPD, das Problem der Preisentzerrung grundsätzlich sehr skeptisch betrachten.
An sich muß das gesamte Problem einer Mietreform, das Sie aufgeworfen haben, bearbeitet werden. Das kann aber nicht in der Form geschehen, wie Sie es tun zu müssen glauben; denn wir müssen uns dann Gedanken darüber machen: Wo steht die Finanzierung des Wohnungsbaus überhaupt, wie ist die Rentabilität des Neubaus bzw. Wiederaufbaus auch nach den Berechnungsverordnungen? Dieser ganze Komplex ist so einfach nicht zu ordnen. Es ist ganz klar, daß wir uns, ebenso wie selbstverständlich auch die Bundesregierung, Gedanken darüber machen müssen. Aber so geht es nicht, wie Sie es wollen. Es muß zunächst einmal dafür gesorgt werden, daß die relativ geringe Mieterhöhung, die dem privaten Hausbesitz zugute kommen soll, durchgeführt wird. Ich glaube, wir werden es im Augenblick nicht zu entscheiden haben, ob die Rechtsbedenken, die Sie angeführt haben, stichhaltig sind oder nicht.
Ich bitte Sie, dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen und den Entschließungsantrag der SPD abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Huth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selbst auf die Gefahr hin, daß der Kollege Jacobi nachher wieder erklärt, ich habe ihn mißverstanden, muß ich einleitend ganz klar und deutlich zum Ausdruck bringen, daß die in dem Antrag Umdruck Nr. 476 gestellten Forderungen — ich will mich ganz gelinde ausdrücken - reine Agitationsforderungen sind. Mit unserem Antrag Drucksache Nr. 2418 vom 5. Juli 1951 haben wir eine solche Generallösung bereits gefordert. Der Herr Kollege Wirths hat eben schon klar zum Ausdruck gebracht: Wenn die Löhne mit der Mieterhöhung in Einklang gebracht werden sollen, dann ist das in den vergangenen Monaten schon reichlich geschehen. Betrachten Sie doch einmal das prozentuale Verhältnis von Aufwendungen für die Miete zum Reallohn. Während wir vor 1914 rund 20 % Mietanteil am Reallohn hatten, ist der Anteil 1927 bis auf 10 % bei den Arbeitern, bei Angestellten und Beamten auf 11,8 % gesunken. 1948/49 hat der Anteil beiden Arbeitern nur 8,9 % betragen; das gilt ebenfalls für die Angestellten und Beamten. Wenn Sie nun die von 1949/52 eingetretenen Lohnsteigerungen in Betracht ziehen, werden Sie mir zugeben müssen, daß der prozentuale Anteil des Mietaufwands am Reallohn heute noch viel geringer ist. International gesehen liegen die Zahlen bedeutend höher. Wir
haben damals in unserem Antrag die Mieterhöhung aus dem einfachen Grund gefordert, weil wir nicht wollten, daß in Deutschland Verhältnisse Platz greifen, wie sie im Ausland anzutreffen sind. Wir wissen, daß z. B. in Frankreich der Altwohnungsbau mit jedem Jahr schneller verfällt, als neue Wohnungen erstellt werden können. Es geht uns lediglich darum, dem Hausbesitz die Möglichkeit zu geben, nun endlich wieder durchgreifende Reparaturen vorzunehmen.
Ich könnte noch vieles zu den Dingen sagen; aber es erübrigt sich. Ich muß Sie bitten, den Antrag der SPD abzulehnen und der Regierungsvorlage zuzustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Entschließungsantrag Umdruck Nr. 476. Ich bitte diejenigen, die dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zustimmen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nun über die Verordnung ab. Ich rufe auf: § 1, — 2, — 3, — 4, — 5, — Einleitung und Überschrift. — Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Die Verordnung ist damit angenommen.
Meine Damen und Herren, damit ist die heutige Tagesordnung erledigt.
Ich berufe die nächste, die 203. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den. 2. April 1952, 13 Uhr 30.
Die 202. Sitzung ist geschlossen.