Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, bevor ich den Tagesordnungspunkt 12 aufrufe, muß ich eine Vorbemerkung machen. Bei der Abstimmung gestern abend über Punkt 5 der Tagesordnung — das war das Strafrechtsänderungsgesetz — ist ein Fehler im förmlichen Ablauf vorgekommen, den wir im Laufe der heutigen Sitzung berichtigen müssen. Ich bitte, damit einverstanden zu sein, daß ich nachher noch einmal Punkt 5b aufrufe, um insoweit die Abstimmung nachzuholen, die noch nicht erfolgt ist.Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Jahre 1985— Drucksache 10/2705 —aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 10/3243 —Berichterstatter: Abgeordneter Jagodabb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 10/3262 —Berichterstatter: Abgeordnete Sieler Dr. FriedmannFrau Seiler-Albring
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die BundesregierungBericht der Bundesregierung über die gesetzlichen Rentenversicherungen, insbesondereüber deren Finanzlage in den künftigen 15 Kalenderjahren, gemäß §§ 1273 und 579 der Reichsversicherungsordnung, § 50 des Angestelltenversicherungsgesetzes und § 71 des Reichsknappschaftsgesetzes
sowie dasGutachten des Sozialbeirats zur Anpassung der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung zum 1. Juli 1985 sowie zu den Vorausberechnungen der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzlage der Rentenversicherung bis 1998— Drucksachen 10/2235, 10/3243 —Berichterstatter: Abgeordneter Jagodac) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die vierzehnte Anpassung der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz
— Drucksache 10/2882 —aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 10/3241 —Berichterstatter: Abgeordneter Kirchnerbb) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/3261 —Berichterstatter: Abgeordnete Sieler Dr. FriedmannFrau Seiler-Albring
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10104 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985
Vizepräsident WestphalHierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/3244 bis 10/3254 vor.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 12a bis 12c und eine Aussprache von 90 Minuten vorgesehen. Ich sehe dazu keinen Widerspruch? — Dann ist so beschlossen.Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Der Abgeordnete Jagoda zur Berichterstattung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ihnen vorgelegte Bericht auf Drucksache 10/3243 umfaßt 35 Seiten. Durch ein technisches Versehen fehlt die Seite 36; sie ist nicht mitverteilt worden. Um der guten Ordnung halber und damit bei dem endgültigen Ausdruck die 36. Seite angefügt werden kann, will ich sie kurz verlesen:
Die im Regierungsentwurf für Alters-, Hinterbliebenen- und Waisengelder angegebenen Mehraufwendungen zu Lasten des Bundes in Höhe von 36 Millionen DM haben sich dadurch auf 60 Millionen DM erhöht, daß sich einerseits die darin für die Rentenanpassung enthaltenen Mehraufwendungen durch den niedrigeren Anpassungssatz um 5 Millionen DM vermindert haben, andererseits die infolge struktureller Veränderungen, insbesondere in der Zahl der Leistungsempfänger, erwarteten Einsparungen von 29 Millionen DM nach neuesten Schätzungen nicht eintreten werden. Der sich daraus ergebende Mehrbedarf an Bundesmitteln wird bei der Fortschreibung des Finanzplanes berücksichtigt.
Zu Artikel 9 — Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch.
Die Ergänzung der Vorschrift über die Währungsumrechnung stellt sicher, daß in allen Fällen — z. B. auch in Bestandsfällen —, in denen ausländisches Einkommen zu berücksichtigen ist, eine Währungsumrechnung entsprechend dieser Vorschrift stattfindet.
Bonn, den 24. April 1985
Ich danke Ihnen, daß ich das noch vortragen durfte.
Nun können wir die allgemeine Aussprache eröffnen. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Günther.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt Veranlassung, erneut hier und heute die Feststellung zu treffen: Die Renten sind sicher.
— Ich nehme an, meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben nichts dagegen.
Die Renten sind sicher. Sie werden pünktlich gezahlt.
Kurzfristige Liquiditätsprobleme werden sachbezogen gelöst. Insofern, meine Damen und Herren von der Opposition, gibt es auch keine Rente auf Pump. Ich stelle das fest, um das endlich aus der Welt zu schaffen.
Die Renten bleiben beitragsbezogen. Und wir werden keine Manipulation zulassen.
Die Renten folgen weiterhin der Einkommensentwicklung. Die Rentner werden in angemessener und zumutbarer Form an den Kosten ihrer Krankenversicherung beteiligt.
Die stufenweise Einführung der Beteiligung ist 1987 beendet.Für Panikmache ist überhaupt kein Raum. Wer sagt „Die Renten werden gekürzt", der lügt.
Wer die alten Menschen in ihrem Lebensabend permanent verunsichert und aufhetzt,
muß an den Pranger gestellt werden,
weil gerade die alten Menschen mit Angst- und Panikmache so ihre Erfahrungen haben.Nicht die Politik der Bundesregierung ist daran schuld, sondern diejenigen sind es, die aus dieser Politik falsche Schlüsse ziehen und ihre parteipolitischen und verbandspolitischen Probleme damit verdrängen oder lösen wollen.
Das Rentenanpassungsgesetz 1985, das wir heute verabschieden, ist zugegebenermaßen ein umstrittenes Rentenanpassungsgesetz.
— Ja. Ich sage dies, Kollege Lutz, weil wir das ja festgestellt haben.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985 10105
GüntherGrund hierfür ist die vergleichsweise geringe Anpassung von 3 %.
Unter Berücksichtigung einer weiteren Stufe der Beteiligung der Rentner an den Beiträgen für ihre Krankenversicherung beträgt die Rentenerhöhung 1,41 % zum 1. Juli 1985.Dieser Anpassungssatz ist die Folge der Lohnentwicklung im Jahr 1984, die nach Angaben des Statistischen Bundesamts 3 % betrug. Die statistische Größe „3 % Lohnsteigerung im Jahr 1984" ist nach dem Gesetz ausschlaggebend für die Höhe der Anpassung im folgenden Jahr. Es bleibt dabei: Die Renten werden nach der Lohnentwicklung erhöht.An dieser Größe kann auch nicht manipuliert werden.
Über die Höhe der Lohnanpassungen entscheiden also mehr die Tarifpartner als der Gesetzgeber.
Wenn die Tarifpartner, wie 1984, den Produktivitätszuwachs, der zur Verteilung zur Verfügung steht, zu einem erheblichen Teil zur Arbeitszeitverkürzung verwenden und wenn dadurch zwangsläufig die Lohnerhöhungen vergleichsweise geringer sind, muß dies vom Gesetzgeber hingenommen werden. Aber man kann den Gesetzgeber nicht für die Höhe, in diesem Fall für die geringere Höhe, verantwortlich machen.
Die Gewerkschaften und die Arbeitgeber haben — etwas überspitzt formuliert — einen größeren Einfluß auf die Höhe der Rentenanpassung als der Gesetzgeber, der im Grund nur einen Nachvollzug der Lohnentwicklung vornimmt.
Solange wir die Renten lohnbezogen anpassen, bleibt das so. Wir werden jede andere Form der Rentenanpassung ablehnen, weil wir — ich sagte es eben schon — Manipulationen an der Rente verhindern wollen. Ich sage dies noch einmal zum Schluß des Abschnitts über die Höhe des Anpassungssatzes von 3 %.
Zum zweiten Faktor, meine Damen und Herren, der für die Rentenanpassung in diesem Jahr wichtig ist, der dritten Stufe der Beteiligung der Rentner an den Beiträgen ihrer Krankenversicherung möchte ich darauf hinweisen, daß auch die SPD und sogar die Kriegsopferverbände, die heute lauthals schreien, die Einführung eines Krankenversicherungsbeitrags im Grundsatz bejaht oder zumindest akzeptiert haben.
Die SPD sah in ihrem Gesetzentwurf vor der Wende eine Beteiligung der Rentner in Stufen von 1 bis maximal 4 % vor.
Inzwischen schlägt auch die SPD, wie der heutige Änderungsantrag zeigt, für 1985 4 % und für 1986 5 % Krankenversicherungsbeitrag vor. Wir unterscheiden uns dann 1986 noch um ganze 0,2 %, meine Damen und Herren!
Ich frage: Warum dieser Theaterdonner?Die Regierung Kohl mußte nach der Wende im Haushaltsbegleitgesetz 1983 neben anderen Maßnahmen auch die Stufen der Beteiligung der Rentner an den Krankenversicherungsbeiträgen ändern, und man hat sich für 1 %, 3 % und zunächst 5 % in den Jahren 1983, 1984 und 1985 entschieden. Dabei wußte keiner, weder die Regierung noch Sie als Opposition, wie sich die Lohnentwicklung und damit die Höhe des Anpassungssatzes der folgenden Jahre gestalten würde. Wir müssen an dieser Stelle auch die Rentner um Verständnis bitten, wenn die Tarifpartner zur Arbeitszeitverkürzung Lohnteile verwenden und damit die Möglichkeit schaffen, Arbeitslose einzustellen.
— Dieses ist eine bekannte Tatsache. Ich weiß gar nicht, warum Sie sich darüber aufregen, wenn ich dieses hier feststelle.Ein Abzug von 2 % Krankenversicherungsbeitrag im Jahre 1985 hätte zu einem Anpassungssatz von unter 1 % geführt. Deshalb hat die Bundesregierung im Rentenversicherungsfinanzierungsgesetz die Stufe verkürzt, indem sie statt 5 % nun 4,5 % vorsieht. Hierdurch erhöht sich der Anpassungssatz auf 1,41 %, wie er im heute zu verabschiedenden Gesetz enthalten ist.Die Höhe der Rentenanpassung, die gleichermaßen für die gesetzliche Rentenversicherung, für die Altershilfe für Landwirte, für die Unfallversicherung und Kriegsopferversorgung gilt, ist das Ergebnis von Tarifverhandlungen der Sozialpartner
— nun warten Sie doch mal ab; lassen Sie mich den Satz zu Ende reden —, der Gesetzgebung im Haushaltsbegleitgesetz 1983 und der Korrektur im Rentenversicherungsfinanzierungsgesetz und nicht, wie die SPD, der Reichsbund, der VdK, einige Gewerkschaften und besonders die Arbeiterwohlfahrt, um nur einige zu nennen, der Öffentlichkeit vorgaukeln, eine soziale Demontage zu Lasten der Rentner. Man hat manchmal den Eindruck, daß die oben genannten Parteien und Verbände noch nicht begriffen haben, daß die Wachstumsraten der Wirt-
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10106 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985
Güntherschaft und damit auch der Löhne und deshalb auch die Rentenanpassungen geringer als in der Vergangenheit sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?
Nein, ich habe nur noch ein paar Minuten, Kollege Lutz. Lassen Sie mich das im Verbund zu Ende ausführen. Sie kommen sicher auch gleich dran.
CDU/CSU und FDP können das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, meine Damen und Herren, daß sie die Inflationsrate halbiert und damit die Kaufkraft der Rentner insgesamt verbessert haben.
Die Rentner sollten sich nicht verunsichern lassen und die Sondersituation der stufenweisen Beteiligung an den Beiträgen zur Krankenversicherung, die auch noch in den nächsten beiden Jahren mit jeweils 0,7 % die Rentenanpassung um diese 0,7 verringert, akzeptieren. Ich finde überall bei den Rentnern Verständnis, wenn ich jetzt in Versammlungen gehe,
wenn ihnen, Kollege Lutz die Zusammenhänge richtig erläutert werden. Die Rentner haben mehr Solidarität in sich als Sie von der SPD.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU hat 1957 das derzeitige Rentensystem geschaffen, und es hat sich in hohem Maße — dies zeigen Vergangenheit und Gegenwart — bewährt. Ein Strukturreformgesetz ist zwar notwendig, um das System auch gegen demographische und konjunkturelle Schwankungen wetterfest zu machen, aber der Kernbereich der Rentenversicherung wird erhalten bleiben.Lassen Sie mich zu dem zweiten Punkt der heutigen Beratung, nämlich dem Rentenanpassungsbericht 1984 und dem Gutachten des Sozialbeirats, einige Anmerkungen machen. Die SPD verwirft den Rentenanpassungsbericht 1984, weil er nicht mehr aktuell sei.
Ich möchte hierzu anmerken, daß der Rentenanpassungsbericht, hier insbesondere die langfristigen Vorausschätzungen, die Aufgabe hat, modellhaft mögliche Entwicklungen in dem Zeitraum von 1984 bis 1998 aufzuzeigen. Dieser Aufgabe wird der Bericht gerecht, auch wenn sich durch neuere Schätzungen im mittelfristigen Bereich — das sind etwa fünf Jahre — infolge der Gesetzgebung und der tatsächlichen Entwicklung ein gegenüber dem Rentenanpassungsbericht leicht verändertes Bild ergibt.
Der Rentenanpassungsbericht hat auf die Gesetzgebung auch schon dahin gehend Einfluß genommen, als beispielsweise beim Rentenversicherungsfinanzierungsgesetz und auch bei dem heutigen Anpassungsgesetz die Entwicklung der Finanzen vorsichtig eingeschätzt wurde.Auch bei einer Lohnsteigerung um 3 % wird die Mindestschwankungsreserve von einer Monatsausgabe bis 1989 nicht unterschritten.
Die Rentenversicherung wird in den nächsten Jahren zwar keine zusätzlichen Rücklagen aufbauen können, aber nach dem derzeitigen Stand — dies zeigen auch die jüngsten Vorausschätzungen von April 1985 — werden sich auch keine kritischen Situationen ergeben.
— So ist es: Das kommt alles ins Protokoll. Deshalb sage ich das hier.Das Gutachten des Sozialbeirats enthält zur Rentenanpassung 1985 sowohl die Empfehlung, den Krankenversicherungsbeitrag von 2 % auf 1 % zu reduzieren, als auch den Vorschlag, die Rentner entsprechend der 1983 beschlossenen 2 % zu belasten. Die Bundesregierung hat mit der Reduzierung um ein halbes Prozent beiden Vorschlägen in etwa Rechnung getragen. Sie hat einen Mittelweg gewählt, der auch dazu beiträgt, dem im Prinzip gesetzlich festgelegten verteilungspolitischen Grundsatz einer gleichgewichtigen Entwicklung von Renten und verfügbaren Arbeitsentgelten gerecht zu werden. Bei manchen Arbeitnehmern, meine Damen und Herren, bleibt bei 3 % Bruttolohnanhebung weniger übrig als 1,41 %. Deshalb werden wir auch die Belastungen der Arbeitnehmer abbauen müssen, und die Steuerreform wird dies mit sich bringen.
Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß zumindest mit dem bisherigen Instrumentarium das Prinzip einer gleichgewichtigen Entwicklung von Renten und verfügbaren Arbeitsentgelten nicht jährlich, sondern nur in einem etwas längerfristigen Zeitraum realisiert werden kann. Ein Vergleich der Entwicklung der Rentnernettoeinkommen, also der Kaufkraft der Rentner, mit derjenigen der Arbeitnehmer im Jahre 1984 gegenüber 1979 zeigt, daß sich die Rentner besser stehen als die Erwerbstätigen, die Arbeitnehmer.
Die Rentenmark, meine Damen und Herren, ist in den letzten fünf Jahren in der Kaufkraft stärker gestiegen als die Verdienstmark — oder wenn Sie so wollen: die Lohnmark —. Dies gilt sowohl nomi-
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Günthernal als auch real, also nach Abzug der Preissteigerungen.
— Sie hätten sie ja längst machen können, Herr Roth. Sie haben j a jahrelang daran überhaupt nichts getan.
Das Rentenanpassungsgesetz 1985 ist — ich sagte es eingangs und sage es noch einmal —
ein umstrittenes Gesetz — auch Ihre Zwischenrufe, Herr Kollege Lutz, kommen ins Protokoll —, und die Höhe des Anpassungssatzes ist im Vergleich zu früheren Jahren geringer.Ich habe in meinem Beitrag versucht, die Situation nüchtern darzustellen
— ich hoffe, daß die Opposition das gleich auch tut— und die Faktoren, die zu diesem Rentenanpassungsgesetz geführt haben, herauszustellen.Die vorgefundene Finanzmisere in der Rentenversicherung, die vorgefundene hohe Arbeitslosigkeit, die Investitionsschwäche, die uns die Regierung Schmidt als Erblast übergeben hat
— ich weiß, Sie können das nicht hören, und darum sage ich es —, wirken sich eben auch auf die Rentenversicherung aus. Wir haben bei der Regierungsübernahme darauf hingewiesen, daß allen Bürgern Opfer zur Abtragung der Erblast abverlangt werden müssen.
Wir haben das vor der Wahl gesagt, und wir haben das realisiert. Die Bürger haben dafür Verständnis.
Ich bitte Sie, diesem Gesetz Ihre Zustimmung zu geben, damit die Rentenerhöhung pünktlich zum 1. Juli 1985 auf den Konten bzw. in den Händen der Rentner ist.Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion ist und bleibt der Anwalt der Rentner.
Wir beweisen dies heute und in Zukunft. Die Rentner können sich auf uns verlassen.
Meine Damen und Herren, irgendwo hat da eben ganz deutlich eine Bank gequietscht. Wenn mir derjenige, wo das geschehen ist, sagt, wo das war, kann ich veranlassen, daß das geölt wird.
Jetzt kommt der Herr Abgeordnete Egert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben soeben den Auftritt des Kollegen Günther erlebt, der versucht hat, aus einer unsozialen Maßnahme Gold zu machen.
Er dauert mich so ein bißchen, weil er offensichtlich Opfer der regierungsamtlichen Propaganda geworden ist. Er hat versucht, alles dies in seiner Rede auszudrücken, was aber durch Wiederholung nicht richtiger, nicht wahrer wird. Ich denke, daß es reizvoll wäre, dies nun alles im einzelnen zu widerlegen. Nur, damit würden wir schon denen auf den Leim gehen, die ein Stück Nebelwerferfunktion in dieser Debatte nutzen wollen, um den älteren Menschen den Blick zu trüben.
— Herr Kollege Jagoda, zu Ihnen komme ich noch.
Wir werden uns heute hier in zweiter und dritter Lesung mit diesem Rentenanpassungsgesetz beschäftigen müssen. Dieses Gesetz leistet tatsächlich einen weiteren Beitrag, die neue Armut in der Bundesrepublik auszuweiten. Dies ist die Wahrheit.
Mit den geringeren Steigerungssätzen zum 1. Juli 1985 wird in die Geldbeutel der Rentnerinnen und Rentner hineingegriffen. Die Preiserhöhungen machen ja auch vor dem Rentnerhaushalt nicht halt; im Gegenteil, sie wirken sich dort besonders hart aus. Deshalb werden sich Rentnerinnen und Rentner nach dem 1. Juli dieses Jahres für das gleiche Geld weniger kaufen können als vor diesem Datum. Herr Kollege Günther, dies ist die Wahrheit.
— Herr Kollege Kolb, alle engagierten Versuche der Sozialdemokraten, den Regierungsfraktionen eine Erhöhung der Renten abzutrotzen, die zumindest die Preissteigerungsrate auffängt, sind in den Ausschußberatungen von ihnen abgelehnt worden.
Wir geben Ihnen heute noch einmal die Chance, den Rentnern mindestens die Preissteigerungsrate in ihre Portemonnaies zu geben. Wir werden darüber eine namentliche Abstimmung hier im Bundestag haben.
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10108 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985
EgertNun komme ich, Herr Günther, zu dem, was Sie dem Herrn Bundesarbeitsminister nachplappern. Der hat gesagt: „Wir lassen die Rentner nicht im Stich." Ich weiß nicht, ob man angesichts dieser Formulierung nun sprachlos oder schamrot werden soll, weil diese Frechheit gegenüber der älteren Generation — —
— Ja, es ist eine Frechheit gegenüber der älteren Generation, sich hinzustellen und zu sagen: Wir werden die Rentner nicht im Stich lassen, wenn Sie gerade die Kleinrentner mit dieser Rentenanpassung im Stich lassen.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung erdreistet sich, die materielle Not der älteren Menschen zu höhnen, wenn er feststellt, den Rentnern gehe es im allgemeinen gut.
Wer diese Aussage trifft, Herr Bundesarbeitsminister, ist blind vor der Tatsache, daß rund 95 % der Versichertenrenten an Frauen, rund 90 % der Witwenrenten in der Arbeiterrentenversicherung unter 1 000 DM im Monat liegen. Rund 34 % aller Rentnerinnen beziehen nur eine Rente. Das sind immerhin fast 4 Millionen Frauen in diesem Lande, die benachteiligt werden, wenn die Renten unzureichend angepaßt werden.
Rund 240 000 Rentnerinnen und Rentner nehmen zusätzlich zur Rente Sozialhilfe in Anspruch;
mutmaßlich noch einmal die gleiche Zahl macht von einem an sich bestehenden Anspruch auf Sozialhilfe keinen Gebrauch. Das sind eine halbe Million Menschen, die Zubrot aus der Sozialhilfe brauchen. Sie trifft natürlich eine prozentuale Erhöhung von nur 1,41% stärker als andere.
— Auf die „Erblast" komme ich noch.Zum regierungsamtlichen Selbstbetrug gehört, daß das gegenüber 1982 geringfügig gestiegene Rentenniveau als Beleg für eine befriedigende Einkommenssituation der Rentnerinnen und Rentner mißbraucht wird. Wahr ist, daß das Nettorentenniveau im Jahre 1985 gegenüber 1984 sinkt und nicht steigt, daß das Nettorentenniveau heute nur deswegen höher als 1982 ist, weil die Abgabenquote der Arbeitnehmer von 30,6 % im Jahre 1982 auf 32,1 % im Jahre 1984 gestiegen ist
und vermutlich auf mindestens 32,5 % 1985 steigen wird. Dies alles vor allem auf Grund der schlagseitigen Sozialpolitik dieser Bundesregierung.
Im Klartext heißt das: Weil die Arbeitnehmer im Nettoergebnis in ihren Portemonnaies weniger Geld behalten, steigt relativ das Nettorentenniveau. Die Armut der einen ist die Voraussetzung für die Armut der anderen. Das Ganze wird dann bei der Regierungspropaganda zum Alibi dafür, daß es an sich allen besser geht.
Diese Scheinheiligkeit werden wir Ihnen allerdings nicht durchgehen lassen.
Abseits dieses statistischen Gaukelspiels ist festzustellen, Herr Günther, daß die Realeinkommen der Rentner von 1982 auf 1985 um rund 1,3 % gesunken sind. Um 1,3 % sind die Realeinkommen der Rentnerinnen und Rentner gesunken und nicht gestiegen!Einmal mehr muß als Ausrede für die ärmliche Rentenerhöhung die Erblastlüge als Argument herhalten. Nun wird durch viele Wiederholungen nicht überzeugender, was von Beginn an falsch war. Am 31. Dezember 1982 — nun hören Sie zu, weil Sie ja immer mitschreiben lassen wollen, wenn Sie etwas sagen; nun schreiben Sie einmal mit! — betrug die Schwankungsreserve in der gesetzlichen Rentenversicherung 20,5 Milliarden DM, das sind 2,1 Monatsausgaben.
— Herr George, „nur noch": Am 31. 12. 1984 betrug sie 9,75 Milliarden DM, also nur noch 0,9 Monatsausgaben!
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik war die Schwankungsreserve unter das gesetzliche Soll von einer Monatsausgabe abgesunken. Dies ist die Wahrheit.
In der bisherigen Regierungszeit von CDU/CSU und FDP, Herr Kollege Kolb, ist das Vermögen der Rentenversicherungsträger um 10,75 Milliarden DM geschrumpft. Dies ist die Wahrheit. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kolb?
Nein. Der Herr Kollege Günther konnte auch keine Zwischenfrage zulassen. Herr Kollege Kolb, es tut mir leid. Wenn dies der Stil wird, müssen Sie darunter leiden.Diese massive Auszehrung des Vermögens der Rentenversicherungsträger ist praktisch ausschließlich auf die Kürzung der Rentenversiche-
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Egertrungsbeiträge der Bundesanstalt für Arbeit zurückzuführen,
eine Maßnahme, die Sie am 1. Januar 1983 beschlossen haben. Der Einnahmeausfall der Rentenversicherung aus dieser Maßnahme in drei Jahren: 1983 5,2 Milliarden DM, 1984 4,55 Milliarden DM, 1985 wahrscheinlich erneut 4,6 Milliarden DM.
Rechnet man die Zinsen mit ein, hat allein die Kürzung 1983 und 1984 einen Rückgang der Schwankungsreserve um 10,3 Milliarden DM verursacht —10,3 Milliarden DM! Das entspricht nahezu dem Vermögensabbau, der seit der Wende in Bonn stattgefunden hat.
Das heißt, Herr Kolb, es gäbe ohne Kürzung der Rentenversicherungsbeiträge bei der Bundesanstalt für Arbeit und bei der Rentenversicherung heute keinerlei Finanzprobleme.
Vor diesem Hintergrund der massiven indirekten Entlastung des Bundeshaushaltes — dies ist doch die Wirkung Ihrer Maßnahme — sollte der Bundesarbeitsminister endlich aufhören, das krampfhafte Jubelgeschrei über die Erhöhung des Bundeszuschusses um 1,5 Milliarden DM anzustimmen,
denn unter Abzug der Einnahmekürzung zu Lasten der Rentenversicherung schuldet der Bund der Rentenversicherung 8,8 Milliarden DM. Dies ist die Wahrheit, Herr Bundesarbeitsminister!
Während die Renteneinkommen 1985 um 1,41 % steigen sollen, werden die Einkommen aus Unternehmenstätigkeit um 9 % steigen. Herr Kollege Günther, da sagen Sie, das sei sozial ausgewogen! Ich sage: Es verhöhnt die Rentnerinnen und Rentner, wenn diese soziale Verwerfung als sozial gerecht abgefeiert werden soll.
Rentnerinnen und Rentner, insbesondere diejenigen mit dem kleinen Portemonnaie, werden auch dadurch benachteiligt, daß Vorstellungen darüber, wie man der neuen Armut mit geeigneten Vorschlägen beikommen kann, von dieser Regierung weder gemacht noch aufgegriffen werden.Vorschläge, Herr Kollege Kolb, der SPD-Bundestagsfraktion, etwa eine bedarfsorientierte Mindestrente einzuführen und so der sozialen Not der älteren Menschen zu begegnen, werden von der Tagesordnung abgesetzt und auf den Sankt-NimmerleinsTag vertagt.
Vorschläge zur Harmonisierung der Alterssicherung, die zur sozialeren Struktur der Altersversorgung beitragen könnten, verstauben in Aktenschränken des Ministeriums. Statt eine Strukturreform in der Rentenversicherung zügig und entschlossen anzugehen, flickschustert sich diese Regierung von einer Rentenfinanzkrise zur anderen und verunsichert mit ihren kurzatmigen Maßnahmen ständig die Rentner.
— Nicht wir verunsichern die Rentner, nein, Ihre unzureichenden Maßnahmen führen zur Verunsicherung der Rentner.
Wenn wir dennoch dieser bescheidenen Rentenerhöhung zustimmen werden, dann deshalb, weil wir wissen, daß jede Mark und jeder Pfennig im Rentnerinnen- und Rentnerportemonnaie dringend gebraucht werden.
— Herr Kollege Jagoda, da die Rentnerinnen und Rentner das regierungamtliche Lügengewebe durchschauen, sind wir zuversichtlich, daß sie die nächste Gelegenheit nutzen werden, um der Rechtskoalition die geeignete Antwort zu geben.
Am 12. Mai wird in Nordrhein-Westfalen gewählt. Ich denke, die Rentnerinnen und Rentner haben Anlaß, die Sozialdemokraten und Johannes Rau zu unterstützen.Vielen Dank für Ihre aufgeregte Geduld.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Adam-Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach dieser sehr aufgeregten Rede des Kollegen Egert verstehe ich das Verhalten der SPD im Ausschuß überhaupt nicht mehr. Da haben die Sozialdemokraten diesem Gesetzentwurf nämlich zugestimmt. Deshalb frage ich mich, ob die Zustimmung damals und wahrscheinlich heute auch im Plenum eigentlich eine Verhöhnung der Rentner darstellt.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?
Es tut mir schrecklich leid. Ich habe nur sehr wenig Zeit, Herr Kollege Lutz; Sie kommen j a gleich vielleicht auch noch dran.Die Sozialdemokraten ziehen draußen durchs Land und malen ein unglaubliches Schreckensge-
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10110 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985
Frau Dr. Adam-Schwaetzermälde der Situation der Rentner bei uns in der Bundesrepublik.
Meine Damen und Herren, wer soll den Sozialdemokraten das eigentlich glauben? Etwa die Rentner? Die sehen doch, verglichen mit ihrer eigenen Jugend, verglichen mit der Situation vor 30 Jahren,
in welchem Wohlstand sie heute leben und daß sich dieser Wohlstand auch in den vergangenen Jahren kontinuierlich vermehrt hat.
Die heutige Rentnergeneration hat hart gearbeitet. Sie hat den Aufbau nach dem Kriege geschafft. Wir sind den Rentnern dankbar dafür. Deshalb haben sie einen Anspruch darauf, eine ihrer Lebensarbeit angemessene Rente zu beziehen. Die Rentner von heute wissen aber auch ganz genau, daß sie diesen Anspruch mit — gemessen an ihrem Gesamteinkommen — unglaublich niedrigen Beitragssätzen erworben haben. Sie sehen, daß heute der hohe Standard der Renten von der aktiv arbeitenden Generation mit sehr viel höheren Beitragssätzen finanziert werden muß.Die Rentner kennen Solidarität. Sie wissen, daß dieses System nur funktionieren kann, wenn es eine Solidarität zwischen den aktiv Arbeitenden und den Rentnern gibt.
Ich bin sicher, daß die Rentner folgenden sicherlich ein bißchen polemischen Spruch sehr wohl verstehen und ihn nicht angewandt wissen wollen, der da lautet: Opa bezahlt von der Rente das Studium des Enkels, weil Vater die Rente des Opas bezahlen muß. — Diese Situation wollen wir nicht. Deshalb werden wir dafür sorgen, daß die Einkommensentwicklung der Rentner und die Belastung der aktiven Arbeitnehmer in einem ausgewogenen Verhältnis stehen.
Gestern hat der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, Herr Vogel, zugegeben, daß die bisherige Rentenformel auf Dauer nicht mehr finanzierbar ist.
Dies ist ein Wort, auf das wir lange Zeit von den Sozialdemokraten gewartet haben.
— Sie brauchen gar nicht so aufgeregt dazwischenzurufen, auch Sie nicht, Frau Fuchs. Wir haben Ihren Entwurf selbstverständlich gelesen.
Wir hätten uns nur gefreut, wenn Sie etwas früher auf die Denkvorstellungen der Freien Demokraten eingegangen wären,
dann wäre nämlich eine ganze Reihe der Eingriffe in die Rentenversicherung, die in den vergangenen Jahren vorgenommen worden sind, überflüssig gewesen.
Wir haben hier schon vor vielen Jahren die Forderung nach einem gleichgewichtigen Anstieg von Arbeitnehmereinkommen und Rentnereinkommen erhoben. Aber erst in neuester Zeit sind sowohl Sozialdemokraten als auch Christdemokraten zu der Überzeugung gekommen, daß dies eine vernünftige Maßnahme ist, die durchgesetzt werden muß. Ich wiederhole es noch einmal: Wenn diese Maßnahme, nämlich einen gleichgewichtigen Anstieg vorzunehmen, schon früher hätte durchgesetzt werden können, dann wäre eine Reihe der Eingriffe in die Rentenversicherung nicht notwendig gewesen, die aber so gemacht werden mußten.Ich meine auch, die Ehrlichkeit gebietet es, nicht allein die Rentenanpassung eines einzigen Jahres zu nehmen, sondern es muß im Zusammenhang gesehen werden, wie sich das Einkommen der Rentner und der aktiven Arbeitnehmer in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Wenn man vor diesem Hintergrund einen Vergleich zieht, dann stellt man fest, daß die Einkommen der Rentner in den Jahren vorher stärker gestiegen sind als die Einkommen der aktiven Arbeitnehmer.
Das ist der Grund, weshalb wir unsere Zustimmung zu der jetzt vorgesehenen Anpassung der Renten erklären, die in diesem Jahr in der Tat etwas niedriger als der Anstieg der verfügbaren Einkommen der Aktiven sein wird.
Meine Damen und Herren, es ist unehrlich, immer nur darauf abzuheben, wie die absolute Zahl der Rentenanpassung aussieht, ohne sich gleichzeitig vor Augen zu halten, wieviel mehr die Rentner an verfügbarem Einkommen haben und wieviel sie damit machen können. Ich sage Ihnen: Eine Rentenanpassung von 4 % bei einer gleichzeitigen Inflationsrate von 6 % ist für die Rentner weniger wert
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Frau Dr. Adam-Schwaetzerals eine Anpassung von 1,41% bei einer Inflationsrate von 2 %.
Natürlich gibt es nach wie vor Mini-Renten, kleine Renten; natürlich ist die Einkommenssituation vieler Witwen unbefriedigend. Das ist ja auch ein Grund dafür, weshalb wir im Zusammenhang mit der Hinterbliebenenreform erstmals eine Anrechnung von Erziehungszeiten einführen wollen. Das geschieht gerade, um die Situation der Witwen zu verbessern.Aber, meine Damen und Herren, wir müssen uns doch auch einmal vor Augen halten, daß 54% derjenigen, die eine Rente von unter 600 DM im Monat haben, in Haushalten mit einem verfügbaren Nettoeinkommen von über 2 000 DM leben. Das ist doch auch ganz verständlich: Natürlich gibt es viele Kleinrenten, gerade bei Frauen, die eine gewisse Zeit ihres Lebens gearbeitet, dann aber wegen der Familie die Berufstätigkeit aufgegeben haben. Sie haben heute einen Anspruch auf Witwenrente aus der Rentenversicherung des Mannes sowie einen eigenen Anspruch. Deshalb darf man nicht die Einzelrente betrachten, sondern man muß das verfügbare Einkommen des Haushalts betrachten. Da ist es nun einmal so, daß über 50 % derer, die eine kleine Rente erhalten, in Haushalten mit einem Nettoeinkommen von über 2 000 DM leben.
— Es sind immerhin noch über 70 %, die in Haushalten mit einem verfügbaren Einkommen über 1 500 DM leben.Meine Damen und Herren, die Rentner werden die Angstmacherei der Sozialdemokraten schon richtig einschätzen. Davon bin ich überzeugt. Sie lassen sich nicht bangemachen.
— Ich freue mich ausdrücklich über die Zustimmung, die aus Ihrem Lager dazu kommt. Die Rentner werden sich nicht bangemachen lassen, sondern diese Tatsachen bei der anstehenden Wahlentscheidung richtig einordnen.
Wir verabschieden heute auch das Vierzehnte Anpassungsgesetz in der Kriegsopferversorgung. Wir Freien Demokraten sind zufrieden, daß mit diesem Gesetzentwurf drei Wünsche verwirklicht werden konnten, die in den vergangenen Jahren gerade von den Kriegsopfern sehr häufig geäußert worden sind, nämlich einmal die Verbesserung der Möglichkeit zur Kapitalisierung der Renten, zum anderen die Verbesserung des Krankenversicherungsschutzes im Ausland und zum dritten eine Erhöhung des Sterbegeldes. Wir werden darüber hinaus bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit entscheiden, wie es mit der Abkoppelung bestimmter Leistungen von der Sozialhilfe weitergehen wird.Wir werden darüber hinaus im Zusammenhang mit der Strukturreform prüfen, wie der durchaus problematische Einkommensbegriff, der der Erhöhung der Rentenanpassung zugrunde gelegt wird, unter Umständen geändert werden muß. Denn es ist sicherlich problematisch — darauf haben die Sozialdemokraten zu recht hingewiesen —, daß bei dem Einkommen, das vom Statistischen Bundesamt ermittelt wird, auch die Beamten in der Anpassung berücksichtigt sind, obwohl sie in der Rentenversicherung nicht versichert sind.
Wir werden diese Frage bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit prüfen, mit Sicherheit aber im Zusammenhang mit der Strukturreform.Meine Damen und Herren, die Freien Demokraten werden die Änderungsanträge der Sozialdemokraten ablehnen.
— Es ist ja nur reine Augenwischerei, die Sie hier veranstalten, meine Damen und Herren.
Sie sagen ja nicht klar und deutlich, wen Sie mit der Erhöhung, die Sie in Ihren Anträgen fordern, belasten wollen.
Sie sagen, Sie wollten das aus der Bundesanstalt für Arbeit nehmen, verschweigen aber, daß anschließend natürlich weitere Beitragserhöhungen gemacht werden müssen.
Das wäre aber eine weitere Belastung der aktiven Arbeitnehmer.
Wir werden deshalb die Anträge der Sozialdemokraten ablehnen, aber dem Regierungsentwurf in der jetzt vom Ausschuß verabschiedeten Fassung zustimmen, und zwar sowohl bei der Rentenanpassung als auch bei der Anpassung der Kriegsopferversorgung.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bueb.Bueb [GRÜNE]: Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat gestern in seiner unvergleichlichen Art die Koalition der Mitte angepriesen.
Für ihn mag das ja wohl so erscheinen. Für michaber ist diese Koalition eine Regierung der Aufrü-
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Buebstung, der Umweltzerstörung und des Sozialabbaus.
Sozialabbau ist das traurige Markenzeichen dieser Regierung. Diesem Markenzeichen machen die vorgelegten Gesetzentwürfe zur Anpassung der Renten alle Ehre.
Da helfen auch alle Rechenkunststückchen von Ihnen, Frau Adam-Schwaetzer, nichts.
1,41 % Rentenanpassung — so die Regierung — angesichts von ca. 2 1/2 % bis 3 % Preissteigerung, das bedeutet für mich auf gut deutsch eine Rentenkürzung.
Der Regierung und Ihnen empfehle ich einen Kurs in deutscher Sprache, damit Sie Ihre Absichten auch mit zutreffenden Ausdrücken belegen können.Diese Rentenkürzungen haben eine weitere Absenkung des durchschnittlichen Rentenniveaus zur Folge.
Systematisch betreibt die Bundesregierung damit eine Umverteilung zu Lasten der Alten. Der eigentliche sozialpolitische Skandal ist, daß diese sogenannte Rentenanpassung die grassierende Altersarmut festschreibt. Denn jede prozentuale Erhöhung gibt denen viel mehr, die viel haben — nämlich auch Ihnen —, und denen so gut wie nichts, die zuwenig haben.
Die armen Alten bleiben dank solcher prozentualen Rentenanpassungen arm. So sieht christliche Politik heute aus.Wie sie weiter aussieht, dazu möchte ich Herrn Blüm zitieren. Er sagte zur Altersarmut:Erstens ist Armut im Alter keine Massenerscheinung, und zweitens hat diese Armut ihre eigentliche Ursache nicht in der Rentenversicherung. Die Armut hat ihre Ursache vielmehr auch darin, daß zu wenige Beiträge gezahlt wurden, zu niedrige Beiträge.Norbert Blüm will uns mit dieser Aussage für dumm verkaufen. Denn warum hat ein so beträchtlicher Teil unserer alten Menschen so wenig an Beiträgen eingezahlt? Etwa weil die Millionen Trümmerfrauen dauernd in der Sonne gelegen haben? Meinen Sie das, Herr Blüm? Oder hat das Rentensystem nicht einen Fehler in seinen Grundfesten, nämlich genau dort, wo die Ideologen des Leistungsfetischismus in CDU und FDP seine Stärke sehen, im sogenannten Äquivalenzprinzip, Beitrag gegen Rente. Blüm sagte in derselben Rede — ich zitiere nochmals —:Das Äquivalenzprinzip ist ein Prinzip der Selbstachtung. Die älteren Mitbürger sollten ihre Rente nicht so auffassen, als schenke ihnen jemand etwas. Daran wollen wir nicht rütteln lassen.Ich möchte Ihnen, wie es heute schon ein paarmal passiert ist, ein paar Daten zur Altersarmut präsentieren, die drastisch deutlich machen, zu welchem Elend und zu welchen sozialen Ungerechtigkeiten das ideologische Blendwerk vom Äquivalenzprinzip, dem auch Sie, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, anhängen, führt.
— Nein, nein, das stimmt schon. Das ist nicht überflüssig. Das muß man euch schon mal sagen.
Knapp 8 % aller Frauen im Alter von über 65 Jahren müssen Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Nochmals dieselbe Zahl hätte auf Grund des geringen Einkommens ebenfalls Anspruch darauf, fordert diesen aus Scham aber nicht ein. Bei alten Frauen ist somit die Sozialhilfebedürftigkeit mehr als doppelt so hoch wie bei der übrigen Bevölkerung. Aber das interessiert den Herrn Blüm ja gar nicht.Nun wissen wir alle, daß die Sozialhilfe viel zu niedrig ist, um ein würdiges Leben im Alter zu garantieren. Deswegen frage ich Sie nochmals, Herr Blüm: Wieviel braucht eigentlich ein alter Mensch? Etablierte Wirtschaftsforschungsinstitute, die bestimmt nicht verdächtig sind, den GRÜNEN nahezustehen, führen in ihren Statistiken eine untere Einkommensgrenze von 1 000 DM pro Person auf. Auch wir GRÜNEN fordern, wie Sie wissen, eine Grundrente von mindestens 1 000 DM im Alter.
Wir fragen Sie also, Herr Blüm, und mit Ihnen die ganze Koalition der bewußten Vereinfacher und Verharmloser: Wie groß muß materielle Not sein, damit Armut für Sie wirklich zum Problem wird? So groß, daß Rentner vor Hunger sterben wie letzten Winter im reichen London, oder daß Rentnerinnen und Rentner, wie letzthin im „Spiegel" geschrieben worden ist, von Katzen- und Hundefutter leben müssen?
Nach den Berechnungen des Statistischen Bundesamtes — Herr Egert hat schon darauf hingewiesen — verfügen über 1 Million Rentnerinnen und Rentner über weniger als 600 DM Einkommen im Monat. Das sind, wie Blüm sagte, nur etwa 9% der Rentner und Rentnerinnen. Für uns ist es ein Elendsbild. Aber das ist nicht alles; denn insgesamt über 6 Millionen Rentnerinnen und Rentner, also mehr als die Hälfte der deutschen Rentenbezieher, verfügen über ein Einkommen von weniger als 1 000 DM. Darin sind alle sonstigen Einkünfte be-
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Buebreits enthalten, Frau Adam-Schwaetzer. So sieht es aus.
Das ist die nackte Realität unseres Sozialstaates. Keine Massenerscheinung, Herr Blüm? Haben alle diese alten Menschen nichts geleistet? Hier zeigt sich, daß das Beitragsprinzip der gesetzlichen Rentenversicherung keineswegs die Emanzipation fördert, wie Sie letzte Woche gesagt haben, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung, sondern das Beitragsprinzip schreibt die Ungerechtigkeiten des Arbeitsmarktes fort. Frauen haben dort schlechtere Chancen, erhalten niedrigere Löhne, Kindererziehung wird nicht honoriert, genausowenig wie Hausarbeit, die sie für den Mann leisten. Diese Ungerechtigkeiten werden im Rentensystem also fortgeschrieben. Deswegen ist es schlichtweg falsch, wenn Minister Blüm suggeriert, die jetzige Alterssicherung sei unschuldig an Altersarmut.
An Stelle der unsozialen Rentenanpassung ließen sich andere Modelle verwirklichen, zu denen das Geld in der Tat vorhanden ist. So hat unsere Fraktion diese Woche ein mittelfristiges Rentenreformmodell vorgelegt, das eine Grundrente von 1 000 DM für alle und jeden finanzierbar macht. Die Zahlen liegen auf dem Tisch. Setzen Sie sich gefälligst damit auseinander.
— Ja, macht das mal.So wäre es durchaus möglich — das möchte ich betonen —, auch finanziell möglich, das Einkommen aller bisherigen Rentnerhaushalte auf einen Betrag von mindestens 1 000 DM pro Person und Monat aufzustocken. All das vorher Gesagte gilt auch für die jetzt anzupassende Kriegsopferversorgung.Auf zwei Aspekte möchte ich noch hinweisen. Zum einen ist es für uns GRÜNE unzumutbar, daß zwei alte Menschen nur deshalb verschiedene Renten erhalten, weil der eine sein Bein im Krieg, der andere das seine im Straßenverkehr verloren hat. Das ist das sogenannte Kausalitätsprinzip, nach dem die Ursache für die Einordnung in Rentengruppen verantwortlich ist. Das ist für uns ein sozialpolitischer Unsinn.Wenn wir hier von den Opfern des Krieges sprechen, sollten wir aber auch diejenigen nicht vergessen, die vom NS-Regime verfolgt und zu Opfern gemacht wurden. Wir denken dabei an Homosexuelle, Kommunisten, Roma, Sinti oder Fremdarbeiter. Sie erhalten in vielen Fällen überhaupt keine oder nur völlig lächerliche Renten.
— Das ist typisch Ihr Weltbild. Genau das ist es. Hier werden Leute im Dritten Reich benachteiligt, und Sie sagen hier etwas vom Beitragsprinzip.
— Ja, es ist wirklich eine Unverschämtheit, was Sie hier machen. Das ist Ignoranz ersten Ranges, Herr Kolb. Aber um das klarzustellen: Jedem, der im Krieg zum Opfer wurde, steht unserer Meinung nach eine ausreichende Versorgung zu. Wir sehen aber nicht ein, daß die Opfer des Faschismus in den KZs diese Versorgung nicht erhalten sollen. Wir sehen auch nicht ein, warum ein Unfallopfer der Straße oder sonstige Unfallopfer in den Fabriken schlechter oder überhaupt andersgestellt werden sollen.Zum Schluß möchte ich in diesem Zusammenhang noch einen Punkt nennen. Das beleuchtet schlagartig die perverse Denkweise der etablierten Parteien, die alle den Rüstungsexport in die Dritte Welt mehr oder weniger befürworten. Wir wissen, daß die Bundesrepublik Deutschland der drittgrößte Rüstungsexporteur in die Dritte Welt ist.
— Ich komme gleich zur Sache. Während wir hier noch über die Kriegsopfer diskutieren, die durch den faschistischen Angriffskrieg vor 45 Jahren verursacht wurden, verursachen deutsche Waffen schon wieder millionenfach neue Kriegsopfer. Die Profite fließen auf die Konten der Banken und der Reichen bei uns. Hier wird nach dem Prinzip gehandelt: Erst kommt das Fressen, dann die Moral.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierung, die Koalitionsfraktionen erfüllen ihre Pflicht: In der letzten Woche Sicherstellung der Rentenfinanzierung, in dieser Woche Anpassung der Renten im normalen Jahresrhythmus. Wir ziehen unsere Ackerfurche unbeeindruckt vom Geschrei; wir erfüllen die Pflicht im Dienste der Rentner und der Kriegsopfer.
Und an diese wende ich mich. Die Rente folgt den Löhnen. Keine Lohnerhöhung geht an den Rentnern vorbei. Sie folgt mit einjährigem Abstand. Sie kann gar nicht der Lohnentwicklung im gleichen Jahr angepaßt werden. Denn sonst müßte man ja Mitte des Jahres schon wissen, wie die Löhne im Dezember sind. Schnellstmöglich folgen die Renten den Lohnerhöhungen. Deshalb noch einmal die Beruhigung: Was immer zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern verteilt wird — es geht nicht an den Rentnern vorbei. Früher folgten die Renten in dreijährigem Abstand. Da gab es zwischen Löhnen und
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Bundesminister Dr. BlümRenten häufig eine tiefe Kluft. Für 1970/71 nur ein Beispiel: Nettolohnanstieg um 13%, im gleichen Jahr Rentenanstieg um 6,35%. Wir haben die Renten aktualisiert, wie die Fachleute sagen. Wir führen Renten- und Einkommensbezieher, Arbeitnehmer und Rentner, jung und alt, näher zusammen.Meine Damen und Herren, als der Kollege Egert hier sprach und uns Unterricht über Anpassung geben wollte, habe ich mir gedacht: Das ist so ähnlich wie bei einem Fahrer, der sein Auto wider den Baum knallt, aussteigt und dann sagt: Ich bin der beste Fahrlehrer. — Wie war das denn mit der Anpassung 1978, Herr Egert? Null! Sie haben sie damals völlig ausfallen lassen. Wie war es mit der Anpassung 1979, 1980, 1981? Da haben Sie sich an Löhnen überhaupt nicht gestört. Da lag die Rentenanpassung, zusammengezählt, 12 % unter der Lohnentwicklung. Und Sie stellen sich heute her und fragen, wieso ich nicht rot werde. Sie sind doch schon rot. Sie müssen doch schamrot werden angesichts dieser Vergangenheit.
Freilich, auch das will ich hinzufügen, wir machen keine Rentenpolitik der Bequemlichkeit. Die Rentner zahlen auch einen Solidaritätsbeitrag zu ihrer Krankenversicherung — im übrigen, machen Sie sich nicht davon, das zählte auch zu Ihren Plänen —: bis zur Hälfte des Betrages, den ihre Rentenversicherung an die Krankenversicherung abführt. Das ist ein bescheidener Solidaritätsbeitrag. Solidarität hat doch nicht nur eine Fahrtrichtung. Es gibt doch nicht nur die Solidarität — sie ist unverzichtbar — von jung zu alt; es gibt auch die Solidarität der Alten mit den Jungen, nämlich die Jungen nicht mit Beitragslasten zu überschütten, die sie nicht tragen können. Deshalb ist das ein bescheidener Beitrag. Damit die Enkel und Kinder von Oma und Opa nicht unter Beitragslasten zusammenbrechen, beteiligen sich die Großeltern an ihrer Krankenversicherung. Das ist ein ganz normaler Solidaritätsausgleich.Ich will auch zu allen Forderungen, die zum Teil jetzt in der Öffentlichkeit erhoben werden — so als sollte die Rentnerkrankenversicherung abgekoppelt werden —, energisch nein sagen. Hier haben wir es mit der Solidarität der Generationen zu tun. Natürlich nehmen die Alten die Krankenversicherung stärker in Anspruch als die Jungen, aber die Alten waren auch einmal jung, und die Jungen von heute werden auch einmal alt. Das ist der normale Solidaritätsausgleich des Lebens.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
In der Kurzdebatte wollen wir vielleicht keine Sprechstunde machen, in einer längeren Debatte gerne.Meine Damen und Herren, nun noch einmal zum Gleichgewicht. Die Renten haben sich seit 1957 um 600 % erhöht, die Löhne um 550 %. Das sei den Rentnern gegönnt, sie mußten aufholen, aber für die Zukunft — ich hoffe, das bleibt unsere gemeinsame Überzeugung — können in der Tat nur die verfügbaren Einkommen Maßstab für Rentenerhöhungen sein.Rückblickend auf die beiden letzten Jahre haben sich die Nettolöhne um 4,2 % erhöht, die Renten allerdings um 5,2 %. Zähle ich drei Jahre zusammen,
beziehe ich dieses Jahr mit ein, dann ergeben sich für die Renten 6,6 % und für die Nettoarbeitsentgelte 6,8 %. Wir können durchaus feststellen, daß Renteneinkommen und Einkommen der Arbeitnehmer, Nettoeinkommen der Arbeitnehmer, sich im Gleichgewicht entwickeln.Nun etwas zum Rentenniveau. 1980 in der Regierungserklärung von Helmut Schmidt wurden 71,1% als ein Rekordnettorentenniveau angegeben, und die SPD hat Beifall gespendet. Sie hat Beifall gespendet bei 71,1% als Rekordniveau. Inzwischen haben wir 73,3%. Das sind nach meiner Rechnung 2 % mehr. Wenn Sie bei 71 % klatschen, müssen Sie bei 73 % noch mehr klatschen. Das gebietet die Logik.
Ich will auch hinzufügen — es ist hier schon gesagt worden, und die Rentner wissen das ganz gut —: Über den Lebensstandard entscheidet nicht nur die Rentenerhöhung; über den Lebensstandard entscheidet auch die Preiserhöhung. Daß wir die Preissteigerungsrate halbiert haben, ist eine lautlose Rentenerhöhung. So machen wir Politik für die Alten.
Ich weiß, großen Verteilungspolitiker mögen das Geben immer gerne lautstark und das Abkassieren leise. Wir machen es umgekehrt. Das ist unsere Politik. Ich gebe zu, daß diese Politik deshalb gewisse Wettbewerbsnachteile hat, aber ich appelliere an die Erfahrungen der älteren Generation: Wann ist ihr am meisten Unrecht geschehen? Immer dann, wenn Inflation war. Die ältere Generation ist doch die Generation, die als Kind Inflation erlebt hat, die Währungsreform erlebt hat und die weiß, daß Preisstabilität die größte Errungenschaft gerade für die Rentner, gerade für die Arbeitnehmer ist.
In Mark und Pfennig ausgedrückt: Halbierung der Preissteigerungsrate heißt 7 Milliarden mehr an Kaufkraft.Ich will noch einmal bestätigen, daß es Armut unter alten Menschen gibt. Da gibt es nichts zu beschönigen, das gibt es. Im übrigen ist es für den Betroffenen auch relativ belanglos, ob er sein Schicksal mit 10 000 oder mit 2 Millionen teilt. Jedem muß geholfen werden.Ich sage nur: Für allgemeine Armut ist die Rentenversicherung nicht zuständig; denn nicht die Malocher mit ihren Beiträgen haben des Existenzminimum zu sichern. Die Rentenversicherung muß eine
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Bundesminister Dr. BlümLeistungsgemeinschaft bleiben. Lohn und Rente müssen im Zusammenhang bleiben. Wer ein Leben lang ausreichend Beitrag gezahlt hat, wird Gott sei Dank durch unsere Rentenversicherung vor der Armut bewahrt. Gott sei Dank.
Wir haben nicht sehr viel Geld. Sie haben es doch verfeuert. Sie haben doch immer bestellt und nicht bezahlt. Das ist die Erblast. Ich rede so lange von Erblast, bis wir die letzte Mark der Schulden der SPD abgezahlt haben.
Wenn wir in diesem Jahr nicht 28 Milliarden DM —28 Milliarden DM! — zahlen müßten, was könnte man nicht alles zur Bekämpfung der Armut in unserer Gesellschaft machen?
Ich weise noch einmal darauf hin: Die Armut, die mich in dieser Gesellschaft beunruhigt, ist nicht sosehr die Armut in Mark und Pfennig, sondern das ist die Armut jener alten Menschen, die ausreichend Rente haben, die einen ausreichenden Wohlstand haben, aber von ihren Kindern vergessen werden, keinen Nachbarn mehr haben, in die Ecke geschoben werden. Laßt uns das schlechte Gewissen einer Wohlstandsgesellschaft nicht dadurch beruhigen, daß wir Geld ausgeben. Die Alten brauchen nicht nur Geld, sie brauchen die Achtung der Gesellschaft. Wir brauchen sie in den Parteien, in den Gewerkschaften. Wir brauchen die Erfahrung der Alten. Auch das gehört zu unserer Politik für die Rentner.
Diese Debatte sollte ja auch zu einigen strukturellen Ausblicken genutzt werden. Ich bleibe dabei: Wir halten an dem fest, was hoffentlich weiterhin Konsens bleibt: Beitragsbezogenheit, verfügbare Einkommen als Maßstab. Laßt uns daran als Gemeinsamkeit aller Parteien festhalten. Der Bundeszuschuß muß neu geordnet werden.Dem Maschinenbeitrag — das möchte ich doch heute von dieser Stelle klarstellen — kann ich nichts abgewinnen. Ich weiß nicht, was er an Rentensicherheit mehr bringen könnte. Zwei Gutachten liegen jetzt vor: eines für die Rentenversicherungsträger, ein neues von Herrn Professor Krelle. Beide kommen zu der überzeugenden Antwort, daß die Rentenversicherung vom Maschinenbeitrag — auch als Wertschöpfungsbeitrag deklariert — nichts hat. Ich fasse meine Einwände kurz zusammen.Erstens. Ein Maschinenbeitrag relativiert den Eigentumsschutz der Rente. Die Abgaben von Maschinen stehen nicht unter Eigentumsschutz. Dieser Eigentumsschutz ist die stärkste Sicherheit für die beitragsbezogene Rente. Übrigens ist der Wertschöpfungbeitrag, dieses schöne Wort, ein sehr dehnbarer Begriff, ein sehr manipulationsanfälliger Begriff.Zweitens. Maschinen mit einem Beitrag zu belasten heißt, den notwendigen Strukturwandel zu behindern, heißt, Wachstum zurückzudrängen. Von was leben wir? Wir leben doch entgegen der Idylle der GRÜNEN und ihrer roten Anhänger vom Wachstum. Das ist doch die alte Erkenntnis der Arbeitnehmerbewegung. Nur bei einem Mehr gibt es auch ein mehr an sozialer Gerechtigkeit.Drittens. Ein Maschinenbeitrag wäre auch das Eingeständnis der Ohnmacht gewerkschaftlicher Lohnpolitik. Er ist doch nur denkbar, wenn durch Rationalisierung die Löhne zurückgedrängt werden. Das wäre j a das Aus für die Lohnpolitik. Trotz Rationalisierung sind die Lohnquote und damit der Fundus, aus dem auch Beiträge geschöpft werden, nicht zurückgegangen.Viertens. Fachleute weisen darauf hin, daß eine solche Umstellung mit einem Inflationsschub versehen wäre. Die Betriebe, die entlastet würden, gäben das wahrscheinlich nicht über die Preise weiter; diejenigen, die belastet würden, gäben es mit Sicherheit über die Preise weiter.Ich berufe mich in dieser Frage nicht auf Wissenschaftler, ich berufe mich auf den von mir sehr verehrten Oswald von Nell-Breuning, der das Problem wieder einmal auf klassische, einfache Formeln gebracht hat. Ich empfehle Ihnen sehr, über seine Äußerungen nachzudenken. Oswald von Nell-Breuning zum Maschinenbeitrag — Zitat —:Diesen Gedanken finde ich geradezu ungeheuerlich. Die Sicherung des Alters der Generation, die ihr Arbeitsleben hinter sich hat, ist die Sache der heutigen Erwerbstätigen. Hier geht es um die Solidarität der Generationen. Maschinen haben mit Solidarität nichts zu tun. Sie haben der älteren Generation nichts zu danken und haben auch keine nachwachsende Generation aufzuziehen.Wir bleiben bei der Personensolidarität, bei der Solidarität der Alten und der Jungen. Und da gibt es Pflichten nur für Menschen, nicht für Maschinen. Und an den Pflichten der Jungen, für die ältere Generation zu sorgen halten wir fest gegen alle Vorschläge, die jetzt gemacht werden.
Auch die Kriegsopfer erwarten keine Geschenke vom Staat. Wie die Rentenansprüche auf Beitrag basieren, basieren die Ansprüche der Kriegsopfer auf ihrem Beitrag, der häufig mit Leib und Leben gezahlt wurde, dem höchsten Beitrag, den ein Mensch zahlen kann. Kriegerwitwen, die ihre Männer verloren haben, Kriegsopfer, die im Krieg geschädigt wurden: Hier verlangt es ja die Würde unserer staatlichen Gemeinschaft, dieses Opfer zu entgelten. Die Kriegsopfer brauchen dem Staat nicht Dankeschön zu sagen. Sie haben Anspruch auf eine ausreichende Versorgung. Deshalb bleiben sie im Anpassungsverbund mit den Rentnern.Lassen Sie mich diesen Debattenbeitrag mit der Hoffnung schließen, daß wir über allen Unterschieden im Detail an den Grundfesten unserer Rentenversicherung, die gemeinsam gebaut wurde, die nicht das Verdienst einer einzigen Partei ist, fest-
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Bundesminister Dr. Blümhalten. Das ist einerseits Leistungsgerechtigkeit, ausgedrückt in der Beitragsbezogenheit, und das sind zum zweiten die Solidarität von alt und jung und die Pflicht des Staates, der Rentenversicherung keine Aufgaben zuzuordnen, die er selber nicht bezahlen will.
Das Wort hat der Abgeordnete Kirschner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesarbeitsminister Blüm, Ihr Lied, wonach die Renten den Löhnen folgen,
haben Sie es eigentlich auch dem Bundeswirtschaftsminister vorgesungen? Die Rollenverteilung, Herr Bundesarbeitsminister, im Bundeskabinett ist doch die, daß die einen von den sozialen Errungenschaften reden, sie auch herbeireden, und die anderen die Sozialpolitik generell in Frage stellen.
Wenn Sie, Herr Bundesarbeitsminister, von einem Netto-Rentenniveau von heute 73,3 % gegenüber 71,1% 1980 sprechen, dann hängt das doch nicht mit gestiegenen Renten zusammen, sondern damit, daß die Abgabenbelastung der Arbeitnehmer immer mehr steigt.
Am 1. Juni dieses Jahres — Sie haben ja darauf hingewiesen, daß der Bundestag am vorigen Freitag mit Mehrheit ein solches Gesetz beschlossen hat — tritt doch bereits die fünfte Beitragserhöhung unter Ihrer Verantwortung in Kraft. Dies nimmt doch den Arbeitnehmern immer mehr Bruttolohn weg, und deshalb steigt theoretisch die Nettorente. Aber in Wirklichkeit gehen der Nettoanteil am Lohn der Arbeitnehmer immer weiter zurück.
Herr Bundesarbeitsminister, wenn Sie hier Überlegungen zu einer Bemessung des Arbeitgeberbeitrags, die wir in der SPD-Bundestagsfraktion diskutieren, vorschnell als Maschinensteuer oder gar als Maschinenstürmersteuer abtun wollen, sollten Sie sich genau überlegen, wie lange wir es uns noch leisten können, daß die einen dafür belohnt werden, daß sie Menschen durch Technik ersetzen und ob die Unternehmer dann nicht auch höhere Arbeitgeberbeiträge mit einer anderen Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherung zu leisten haben. Dies können wir uns doch nicht auf Dauer leisten.
Herr Blüm, Sie loben ein Gesetz, wo es nichts zu loben gibt. Ich meine, Sie sollten nach all dieser Flickschusterei und dem Verschiebebahnhof, denSie seit dem Oktober 1982 hier vorgeführt haben, besser im Büßergewand gehen.
Sie spielen sich hier als Anwalt der Rentner auf. Ich habe den Eindruck, das Höchste sind bei Ihnen die Anwaltskosten. Deshalb bleiben für die Rentner letztlich nur noch 1,41 % übrig.
— Hier kann man sagen, Kollege Kolb: Der Anwalt saniert sich zu Lasten seiner Klientel.
Es ist doch keine Frage — lassen Sie mich das auch mal sagen —, daß die Renten sicher sind. Es wäre j a noch schöner, wenn die Renten in einem der reichsten Länder dieser Erde nicht mehr sicher wären.
Die Frage ist vielmehr — das verunsichert die Rentner und die Beitragszahler —, wie hoch die Rente am Ende eines Arbeitslebens für den Rentner ist, die er zu erwarten hat. Das ist die entscheidende Frage,
die Sie als Bundesregierung und als Koalitionsfraktion zu beantworten haben.
— Ich habe es Ihnen j a gesagt, Herr Kollege Günther, woher das theoretisch hohe Nettorentenniveau kommt.
Dies kommt nicht daher, daß die Renten gestiegen sind, sondern durch die steigende Abgabenbelastung und durch nichts anderes.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung dazu machen. Ich greife das von Ihnen gern auf, Herr Kollege Günther; Sie haben das in Ihrem Diskussionsbeitrag ja gesagt. Wenn Sie heute von 40 Versicherungsjahren und von 45,1 % Bruttorentenniveau reden, so wissen Sie, Herr Kollege Günther, genausogut wie ich, wenn Sie sich einmal die Zahlen des Verbandes der Rentenversicherungsträger anschauen, daß heute in der Arbeiterrentenversicherung die durchschnittliche Versicherungszeit bei den Männern gerade noch knapp über 37 Jahren und bei den Frauen bei 18 Jahren liegt. Wer kann denn überhaupt von einem Bruttorentenniveau von durchschnittlich 45,1 % bei 40 Jahren reden?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985 10117
KirschnerNur noch 4% aller Neurentner haben überhaupt 40 Versicherungsjahre zusammengebracht.
Diese Zahl muß man hier einmal zur Kenntnis nehmen. Herr Kollege Kolb, reden Sie mal von dem, was Wirklichkeit ist, und stellen Sie nicht Dinge in den Raum, die überhaupt nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen!
Ich frage mich, ob Sie eigentlich wissen, von was Sie überhaupt reden.
— Nein, das wissen Sie eben nicht.Lassen Sie mich etwas zur Frau Kollegin AdamSchwaetzer sagen. Sie beklagen die Verunsicherung der Rentner. Wer verunsichert denn hier die Rentner?
Sie haben die Rentner mit Ihrer Rente auf Pump verunsichert.
Wir können deutlich sagen, daß das eine Verunsicherung ist, die Sie letzten Endes zu verantworten haben.
Lassen Sie mich noch ein weiteres sagen: Wer verunsichert denn die Rentner mehr als der Bangemann, der letzten Endes den Verbund zwischen Arbeitsleben und Rente aufkündigen will?
Dies ist der entscheidende Punkt, den Sie einmal zur Kenntnis nehmen müssen.
— Melden Sie sich doch zu Wort, wenn Sie etwas sagen wollen!Nicht wir verunsichern die Rentner, sondern gerade der Vorschlag des FDP-Vorsitzenden und Bundeswirtschaftsministers hat die Rentner und die Versicherten so verunsichert wie noch nie jemand zuvor.
Lassen Sie mich auch noch etwas zur ewigen Erblast und zur Verschuldung sagen. Ich will Ihnen hier auch mal deutlich machen, daß Sie z. B. allein in den Jahren 1976 bis 1981 als Oppositionsfraktion ausgabenwirksame Anträge in einer Größenordnung von 147 Milliarden DM gestellt haben. Dies können Sie doch nicht wegleugnen. Die CDU/CSU-Bundesländer haben im gleichen Zeitraum Anträge in Höhe von 201 Milliarden DM gestellt. Es gab doch kein ausgabenwirksames Sozialgesetz oder ausgabenwirksames Steuergesetz, dem Sie nicht hier im Bundestag oder zuletzt über den Bundesrat die Zustimmung gegeben haben.
Sie können sich doch aus dieser Verantwortung nicht davonstehlen.
Meine Damen und Herren, ich will auch noch etwas zur Verschuldung sagen, weil es nicht nur Schulden des Bundes gibt.
— Dies hat hier eine Rolle gespielt, Herr Kollege Günther, und der Herr Bundesarbeitsminister hat von der Erblast gesprochen. Wir wollen uns mit diesen Dingen auseinandersetzen. Der Bundestag ist letzten Endes ein Forum, wo wir darüber zu debattieren haben. Ich will etwas zur Verschuldung der Länder sagen. Schleswig-Holstein, wo der Herr Bundesfinanzminister viele Jahre Ministerpräsident war, hatte 1970 — dieses Jahr nehmen Sie auch immer als Basisjahr für den Bund — 1,69 Milliarden DM Schulden und 1983 11,5 Milliarden DM Schulden.
Das ist eine Erhöhung der staatlichen Schulden um fast das Zehnfache.
Ich frage mich, wer dort regiert hat. Auch in dem Land, aus dem ich komme, in Baden-Württemberg, sind die Schulden von 4 Milliarden DM im Jahre 1970 auf 25,4 Milliarden DM im Jahre 1983 gestiegen.
— Entschuldigen Sie bitte, Sie sagen doch immer, wir machten nur Schulden. Sie selber haben ausgabenwirksame Anträge in der von mir genannten Größenordnung gestellt,
Sie haben Ihre Verantwortung über die Zustimmung zu den Sozial- und Steuergesetzen eingebracht. Wo Sie regiert haben, haben Sie Ihre Schulden gemacht. Bekennen Sie sich doch endlich zu Ihrer eigenen Politik!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kolb?
Bitte schön.
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10118 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985
Herr Kollege Kirschner, stimmt es, daß 1976 gesagt wurde, in der Rentenversicherung seien 44 Milliarden DM auf der hohen Kante und es sei nicht sinnvoll, daß man eine so hohe „Sparkasse" habe, sondern man müsse dieses Geld verteilen? Ist dies richtig?
Herr Kollege Kolb, ob dies im einzelnen so war, kann ich im Moment nicht nachvollziehen. Ich möchte Ihnen hier nur eines sagen: Wenn Sie ständig von den hohen Rücklagen reden, die da abgeschmolzen wurden, dann müssen Sie auch zugestehen, daß zu dem Zeitpunkt, als Sie die Regierung übernommen haben, nämlich 1982, mehr als 20 Milliarden DM in den Kassen der Rentenversicherung waren. Sie haben dies innerhalb von zwei Jahren halbiert und sind dadurch unter die Grenze von einer Monatsrücklage gekommen. Das ist doch der entscheidende Punkt.
Meine Damen und Herren, ich möchte vor allen Dingen auch noch etwas zum Vierzehnten Kriegsopferversorgungs-Anpassungsgesetz sagen. Ich meine, diese Vorlage, die im Ausschuß mit Mehrheit verabschiedet wurde, beleuchtet schlaglichtartig die Misere in der Sozialpolitik, die von dieser Bundesregierung betrieben wird. Die Politik der Wende, die j a so groß angekündigt wurde, hat bisher für die abhängig Beschäftigten und die Bezieher von Sozialeinkommen mehr Schatten als Licht gebracht. Auch der vorliegende Gesetzentwurf setzt die Reihe der Gesetzesinitiativen der Bundesregierung fort, die die Starken zu Lasten der Schwachen begünstigt und so die Umverteilung von unten nach oben fördert.
Durch den vorliegenden Gesetzentwurf wird die Einkommenssituation der Kriegsopfer keineswegs verbessert, j a sogar durch die zu niedrige Anpassung verschlechtert. Damit wird den Kriegsopfern als einer benachteiligten Gruppe ein weiteres Sonderopfer zugemutet.
— Ich komme gleich darauf; nur keine Sorge.Dieses Gesetz hat in unschöner Kontinuität den Behinderten und den Kranken durch zahlreiche Leistungsverschlechterungen und durch Ausweitung der Selbstbeteiligungsregelungen, z. B. beim Krankenhausaufenthalt, Sonderopfer zugemutet. Lassen Sie mich folgende Bemerkung machen, Herr Bundesarbeitsminister. Die Selbstbeteiligung an den Krankenhauskosten hat sich in der Zwischenzeit doch als ein Flop erwiesen. Wann endlich, Herr Bundesarbeitsminister, ziehen Sie dieses Gesetz zurück? Es ist doch kein Gesetz, das zur Kostendämpfung beiträgt, sondern das nur den Versicherten zusätzlich das Geld aus der Tasche zieht.
Dies wissen Sie genau. Sie haben den Bericht ja vorgelegt, und das Ergebnis dieses Berichts zeigt das, was wir von Anfang an gesagt haben.
— Ach, reden Sie doch nicht! Bekennen Sie sich doch zu Ihrer Verantwortung; Sie haben das doch durchgesetzt.
— Sie hätten es doch nicht durchzusetzen brauchen, oder? Warum haben Sie es denn gemacht?
Sie wissen doch ganz genau, wie das damals zustande kam. Wir haben uns von diesem Gesetzentwurf anschließend distanziert. Für Sie war es doch ein willkommener Anlaß, hier dieses Gesetz durchzuziehen.
Ziehen Sie doch die Konsequenz aus dem Ergebnis. Warum sagen Sie eigentlich nichts zu der Konsequenz des Berichts, den uns der Bundesarbeitsminister vorgelegt hat? Da schweigen Sie natürlich schön beredt, weil es Ihnen in Ihr Konzept paßt. Natürlich paßt es Ihnen ins Konzept, den Versicherten das Geld aus der Tasche zu ziehen, damit Sie ja nicht an die Anbieter von Gesundheitsleistungen heran müssen. Dies ist doch der entscheidende Punkt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch noch etwas zum Anpassungssatz sagen. Die Bedeutung der von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagenen niedrigen Rentenanpassung von 1,41 v. H. für die Kriegsopfer kann nur derjenige ermessen, der weiß, daß in den letzten Jahren zahlreiche Sparmaßnahmen diesen Personenkreis bereits mittelbar oder unmittelbar getroffen haben, und dies, obwohl z. B. die Pflegezulage und die Schwerstbeschädigtenzulage von existenzieller Bedeutung für den betroffenen Personenkreis sind.Um so unverständlicher ist es, daß die Koalitionsfraktionen auf der niedrigen Anpassung von 1,41 v. H. beharren. Damit wird eine Anpassung vollzogen, die deutlich unterhalb der Preissteigerungsrate liegt. Dies bedeutet für die Kriegsopfer eine reale Einkommenseinbuße.Die SPD-Bundestagsfraktion hält dies für unsozial und unerträglich. Wir setzen uns deshalb mit Nachdruck dafür ein, die Geldleistungen an die Kriegsopfer um wenigstens 2,24 v. H. anzupassen.
Diese Höhe — lassen Sie mich das mal deutlich sagen — ergibt sich daraus, daß nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes die Bruttolöhne und -gehälter der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten 1984 um 3,3 v. H. gestiegen sind und die Anhebung des Krankenversicherungsbeitrags der Rentner ab 1. Juli 1985 zu berücksichtigen ist.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985 10119
KirschnerDie von der SPD-Fraktion verlangte Erhöhung trägt auch der Tatsache Rechnung, daß den Kriegsopfern im Jahre 1985 durch die starke Erhöhung ihres Krankenversicherungsbeitrages bereits ein übermäßiges, systemwidriges finanzielles Opfer abverlangt wird.
Dem kann ernsthaft auch nicht entgegengehalten werden, daß die Finanzierung der hierdurch entstehenden Mehraufwendungen nicht möglich sei. Wenn man bedenkt, daß im Bundeshaushalt 1985 insgesamt rund 240 Millionen DM gegenüber dem Vorjahr allein durch die Sterbefälle der Kriegsopfer eingespart werden, kann die von der SPD vorgeschlagene Anpassung um 2,24 %, die Mehraufwendungen in Höhe von knapp 40 Millionen DM ausmacht, nicht als Vorwand für die Ablehnung dieses Vorschlags dienen.
— Also, ich habe Ihnen klar und deutlich gesagt, wie wir zu diesen 2,24 % kommen. Horchen Sie bitte auch mal zu!Die Kriegsopfer werden aber nicht nur durch die zu geringe Anpassung ihrer Renten weiter benachteiligt; ebenso negativ fällt für die Kriegsopfer die Weigerung der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen ins Gewicht, die notwendigen strukturellen Anpassungen vorzunehmen. Die von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagenen Maßnahmen stellen allenfalls ein Feigenblatt vor. Zudem sollen sie erst am 1. Januar 1986 in Kraft treten. 1985 sind für die Kriegsopfer überhaupt keine strukturellen Verbesserungen vorgesehen. Der Antrag der SPD-Fraktion, wenigstens zum 1. Juli, also mit dem Anpassungstermin, diese Maßnahmen in Kraft treten zu lassen, wurde von den Koalitionsfraktionen im Ausschuß niedergestimmt. Die SPD- Fraktion wird weiter darauf drängen, das gesamte Anpassungsgesetz zum 1. Juli 1985 in Kraft treten zu lassen, wie dies auch im Regierungsentwurf ursprünglich vorgesehen war.Hier geht es, meine Damen und Herren, nicht um kleinkarierte Parteipolitik. Bereits während der Beratungen zum Dreizehnten Kriegsopferversorgungs-Anpassungsgesetz bestand im Deutschen Bundestag Einigkeit darüber, daß die strukturellen Verbesserungen der Kriegsopferversorgung im Rahmen des nächsten Gesetzgebungsverfahrens, also in diesem Gesetzgebungsverfahren zur Kriegsopferversorgung, angegangen werden sollen. Diese interfraktionelle Übereinkunft, die im Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung festgehalten ist — der Kollege Louven hat dies damals als Berichterstatter deutlich hineingeschrieben —, löst der Gesetzentwurf, so wie er nun vorliegt, völlig unzureichend ein.Lassen Sie mich ein Beispiel herausgreifen: die Probleme der immer älter werdenden Kriegsopfer mit orthopädischen Hilfsmitteln. In einer gemeinsam getragenen Entschließung des Deutschen Bundestages vom 11. April 1984 zum Dreizehnten Anpassungsgesetz ist angekündigt, das Bundesversorgungsgesetz bei nächster Gelegenheit zu ändern, wenn sich die gesetzlichen Grundlagen für die Ausstattung mit orthopädischen Hilfsmitteln weiterhin als unzureichend erweisen sollten. Daß die gesetzlichen Grundlagen nicht ausreichen, hier Abhilfe zu schaffen, hat sich in der Zwischenzeit erhärtet. Trotzdem ist die Bundesregierung in ihrer Untätigkeit verharrt. Die Koalitionsfraktionen haben während der Ausschußberatungen den Antrag der SPD- Fraktion, die erforderlichen Gesetzesänderungen vorzunehmen, abgelehnt.Ich darf ferner auf unseren Vorschlag hinweisen, eine Anpassung der Zuschüsse zum Erwerb, zur Instandhaltung und zur behindertengerechten Ausstattung von Kraftfahrzeugen vorzunehmen. Die heute geltenden Höchstbeträge wurden im Jahre 1976 festgelegt und seither nicht angepaßt. Die Berechtigung dieses Anliegens der Kriegsopfer, diese Zuschüsse an die Preisentwicklung anzupassen, hatte auch der Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages in seiner Sitzung am 24. Oktober unterstrichen. Der Erwägungsbeschluß, gemeinsam von allen Fraktionen getragen, wurde an die Bundesregierung gerichtet. Wenn es jedoch konkret wird — und das ist das Bedauerliche —, dann spitzen Sie eben nur die Lippen und ziehen nicht die Konsequenzen. Sie, Herr Kollege Jagoda, als Mitberichterstatter haben uns j a noch vorgeworfen, daß wir früher nicht tätig geworden sind. Sie hätten jetzt die Chance gehabt, hier im Sinne unseres gemeinsam gefaßten Beschlusses tätig zu werden. Es ist doch wohl unbestritten, daß hier eine Anpassung dringend notwendig ist.Ebenso ist die Bundesregierung beim Berufsschadens- und Schadensausgleich, der in seiner heutigen Höhe völlig unzureichend ist, untätig geblieben. Auch hier hat der Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert, aktiv zu werden. Doch was ist geschehen? Die Koalitionsfraktionen haben im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung den Antrag der SPD-Fraktion, die Entschädigungsquote von vier auf fünf Zehntel anzuheben, abgeschmettert.
Augenblick, Herr Kollege, ich möchte Ihnen ein bißchen Ruhe verschaffen. — Die Kollegen, die sich jetzt wegen der Abstimmung nähern, werden gebeten, den anderen die Möglichkeit zu lassen zuzuhören. Es findet nämlich gerade eine Debatte statt. Ich wäre dankbar, wenn sich die anderen hinsetzen würden. — Bitte fahren Sie fort, Herr Kollege.
Lassen Sie mich noch kurz einen Punkt ansprechen, in dem die ganze Schäbigkeit der von der Bundesregierung vorgesehenen Maßnahmen deutlich wird: die Neufestsetzung der Beihilfe für fremde Führung nach § 14 des Bundesversorgungsgesetzes. Der Gesetzentwurf schlägt eine Erhöhung dieser Beihilfe um sage und schreibe 3 DM, nämlich von 185 DM auf künftig 188 DM vor.
Der Antrag der SPD-Fraktion, diese Beihilfe, die fürdie Kriegsblinden von besonderer Bedeutung ist —
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10120 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985
Kirschnerwir alle haben ein entsprechendes Schreiben des Bundes der Kriegsblinden vorliegen —, auf 250 DM zu erhöhen, wurde von den Koalitionsfraktionen im Ausschuß abgelehnt.
Ich kann nur sagen: Die Art und Weise, wie die Bedürftigsten in unserer Gesellschaft abgespeist werden, ist ein Skandal.
Die SPD-Fraktion bleibt daher mit Nachdruck dabei: Der Entwurf eines 14. KriegsopferversorgungsAnpassungsgesetzes muß so geändert werden, daß der Anpassungssatz auf 2,24 v. H. angehoben wird und die seit langem allgemein als notwendig anerkannten Strukturverbesserungen wirksam werden können. Wir haben dazu Änderungsanträge gestellt. Sie liegen Ihnen in neun Änderungsanträgen vor. Wir lassen darüber gemeinsam und nach § 52 der Geschäftsordnung in namentlicher Abstimmung abstimmen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Jagoda.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem 14. Rentenanpassungsgesetz in der Kriegsopferversorgung leiten wir ein ganzes Bündel von Maßnahmen und Verbesserungen ein.
Wir erhöhen die Leistungen im Rentenrecht um 1,41 %, wir verdoppeln die Zahl der Stufen im Bereich der Anrechnungsverordnung und der Durchführungsverordnung zu § 33, wir verdoppeln das Bestattungsgeld, wir dynamisieren das Bestattungsgeld, wir erweitern die Möglichkeit der Kapitalabfindung, und wir verbessern die Auslandsversorgung für Kriegsopfer und Hinterbliebene.
Es hat in Anbetracht dessen, was Sie uns hinterlassen haben, ein Ausloten aller Möglichkeiten, daß wir jetzt bereits Verbesserungen durchführen können. Die Entscheidung der Koalition der Mitte, den Beitrag zur Krankenversicherung der Rentner um ein halbes Prozent zu senken, wirkt sich positiv auf die Kriegsopfer und Witwen aus.
Augenblick, Herr Kollege, ich möchte Ihnen gerne ein bißchen mehr Ruhe verschaffen.
Meine Damen und Herren, ich habe es schon einmal nötig gehabt, darauf hinzuweisen, daß hier eine Debatte stattfindet. Auch diejenigen, die jetzt in den Saal kommen, werden gebeten, ihre Plätze einzunehmen und dann am besten auch zuzuhören.
Bitte schön, Herr Kollege.
Ich will gerne berichten — es ist auch schon vom Herrn Kollegen Kirschner gesagt worden —, daß die Opposition mehr haben wollte. Das ist nichts Neues in der Demokratie. Aber zu den Anträgen der Opposition gab es keine Finanzierungsanträge.
Sie haben nicht gesagt, wo Sie kürzen wollen, und Sie haben nicht gesagt, daß Sie in diesem Bereich mehr in die Verschuldung gehen müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, daß zu der Finanzierung dieser Maßnahmen noch ein Wort gesagt werden muß.Wir sind in der Lage, das Bestattungsgeld zu verdoppeln. Damals in Ihrer Regierungszeit haben Sie das Bestattungsgeld ab dem 1. Januar 1974 auf 1 000 DM erhöht. Wir gewähren nun 2 000 DM, und wir dynamisieren es, damit nicht erst wieder der Gesetzgeber die Sache anpassen muß.Wir haben von den Betroffenen und von der Versorgungsverwaltung vorgetragen bekommen, daß Kriegsopfer, die im Ausland leben, benachteiligt werden, weil gewisse Leistungen erst dann eintreten, wenn sie ihre Not nachweisen. Wir ändern das Gesetz; das ist im Ausschuß ja gemeinsam gemacht worden. Es handelt sich hier nur um wenige Fälle, aber es trägt dazu bei, diesen Menschen mehr Gerechtigkeit zukommen zu lassen.Ein weiterer wesentlicher Punkt, den wir einbringen, ist, daß die Kapitalabfindung in der Zukunft bis zum 65. Lebensjahr möglich sein wird. Das bedeutet, daß die Kriegsopfer, die Witwen, wenn sie ihre Wohnung renovieren oder wenn sie sie altengerecht umbauen wollen, nicht auf den Kapitalmarkt verwiesen werden und dort Zinsen zahlen müssen, sondern daß sie ihre Rente kapitalisieren können. Dies ist ein Fortschritt, der mit diesem Gesetz erreicht wird.
Herr Kollege Bueb, Sie haben hier für DIE GRÜNEN einen Redebeitrag gebracht. Darf ich mir dazu vielleicht eine Anmerkung erlauben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will der Bevölkerung draußen einmal sagen: Wenn es im Jahre 1985 auf die GRÜNEN angekommen wäre, dann hätten die Versorgungsämter und die Rentenversicherungsämter am 1. Juli den Leuten schreiben müssen: Eine Rentenerhöhung gibt es nicht, die GRÜNEN haben rotiert. — Die Renten und die Kriegsopferversorgung werden erhöht, weil die Parteien in diesem Bundestag, die nicht der Rotation unterliegen, stetig durcharbeiten und dafür sorgen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985 10121
JagodaMeine sehr verehrten Damen und Herren, nun einiges zu den Anträgen der SPD. Es wäre vielleicht ganz gut, wenn man sich über diese Grundsatzfrage länger auslassen könnte. Bei zehn Minuten Redezeit haben Sie Verständnis, daß ich das holzschnittartig machen muß.
Wenn Sie hier ausführen, daß die Erhöhung der Rente um 1,41 % zu niedrig ist, und wenn Sie uns kritisieren, dann hätte ich Ihnen wenigstens die Stärke zugetraut, Ihre eigenen „Leistungen" aus dem Jahre 1978 und das Einundzwanzigste Rentenanpassungsgesetz anzusprechen, mit dem Sie den Rentnern auf Dauer 12,5% ihrer Rente vorenthalten haben. Dies wenigstens sollten Sie sagen, wenn Sie sich hier beklagen. Die Rente, die heute 1 000 DM beträgt, betrüge heute 1 125 DM. Das wäre entscheidend mehr als das, was sie heute bekommen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ehrenberg?
Aber ja, bitte schön. Vizepräsident Westphal: Bitte schön.
Herr Kollege, darf ich Sie bitten — es wird jetzt nicht mehr möglich sein, aber für das nächste Mal —, bevor Sie das Märchen von den 12 % wiederholen, das schon der Bundesarbeitsminister benutzt hat, die heutigen Statistiken des Bundesarbeitsministeriums der Rentenerhöhungen von 1978 bis 1981 durchzusehen. Sie werden feststellen, daß die Rentenanpassung in einem Jahr um 2,6 Prozentpunkte hinter den Löhnen zurückgeblieben ist, in den anderen um 0,4, 1,1 und 0,9. Machen Sie uns bitte das Rechenkunststück vor, wie hieraus 12,5% entstehen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich brauche das nicht das nächste Mal zu machen, das kann ich Ihnen ganz deutlich sagen. Sie haben mit dem Einundzwanzigsten Rentenanpassungsgesetz in Ihrer Regierungszeit, Herr Minister, die Renten am 1. Juli 1978 nicht erhöht. Sie haben die Dynamisierung gestoppt und haben im Jahre 1979 4,5%, in den Jahren 1980, 1981 und 1982 je 4% beschlossen. Erst wir haben im Jahr 1983 die Dynamisierung wieder eingeführt. Das ist der Unterschied.
Diese fehlerhafte Politik haben Sie zu vertreten, Sie besonders, weil Sie die Hauptverantwortung getragen haben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Egert?
Herr Kollege Egert, Sie sind ein fleißiger Abgeordneter im Ausschuß. Wir können die Gedanken dort austauschen. Ich habe nur noch drei Minuten Redezeit. Haben Sie bitte Verständnis, daß ich Ihre Zwischenfrage nicht mehr zulasse.Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Berufsschadensausgleich, wie Sie ihn vorgeschlagen haben, würde 200 Millionen DM mehr kosten. Lassen Sie mich noch sachlich hinzufügen: Da die Ausgleichsrente dem Einkommen zugerechnet würde, würde der Schwerbehinderte nach Ihrer Regelung im Verhältnis weniger bekommen als derjenige, der nur zu 50 % oder zu 30 % beschädigt ist.Nächster Punkt: Abkopplung der Kriegsopferfürsorge von der Sozialhilfe. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben Ihnen im Ausschuß gesagt, daß wir diese Frage weiter prüfen werden.
— Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf doch einmal sagen: Diese Forderung ist doch nicht im Jahre 1983 erhoben worden. Sie hätten jahrelang Zeit gehabt, das zu machen, aber Sie haben es nicht gemacht. Wir prüfen es gründlich. Lassen Sie mich nur eines sagen, damit keine Märchenbildung entsteht: Das Abkoppeln bedeutet keine Erhöhung der Leistungen; kein Kriegsopfer, keine Kriegerwitwe bekommt, weil wir es nicht abkoppeln, einen Pfennig weniger, sondern die Leistungen bleiben genauso, wie sie vorher gewesen sind. Das muß man hier einmal deutlich sagen.Zur Beihilfe bei der Beschaffung von Motorfahrzeugen. Herr Kollege Kirschner, den Beschluß, das zu erwägen, habe ich mitgetragen. Ich bin auch dafür, daß da etwas geschehen muß, nur: Wir sind solide Haushälter.
Wir können in diesem Bereich nur das ausgeben, was die Bürger miteinander erarbeiten. Wir haben nur das Geld, das die Bürger erarbeiten.
Daß wir heute in der Lage sind, Verbesserungen durchzuführen, liegt daran, daß die Regierung Kohl mit der Politik der Sanierung des Haushalts weitergekommen ist. Dank Ihnen, Herr Dr. Stoltenberg, sind wir heute in der Lage, wieder kleine Handlungsspielräume zu eröffnen. Sie haben ganz entscheidend mit dazu beigetragen.
In der letzten Zeit wird die Diskussion über die „neue Armut" geführt. Ich darf Ihnen aus meiner Sicht einmal eine Bitte vortragen. Ich wäre sehr dankbar, wenn diejenigen, die sich an dieser Diskussion beteiligen, einmal die Definition dafür liefern würden, was „neue Armut" ist.
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10122 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985
JagodaWollen Sie denn wirklich all jene Mitbürger, die Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz bekommen, diskreditieren und als Arme an die Wand stellen?
Meine Damen und Herren, als Sie die Verantwortung übernommen haben, hatten wir in der Sozialhilfe 1,2 Millionen Leistungsempfänger; als Sie die Regierung abgeben mußten, waren es 2,3 Millionen. Wenn wir jetzt das Bundessozialhilfegesetz dahingehend ändern, daß wir dem Mehrbedarf Rechnung tragen und die Leistungen erhöhen, dann bedeutet das, daß das Niveau höher geht und daß immer mehr Leute Rechtsansprüche bekommen. Deswegen, glaube ich, ist es um der Redlichkeit willen notwendig, daß sich diejenigen, die sich in diese Diskussion einschalten, erst einmal definieren, was sie denn mit der neuen Armut meinen. 1983 ist die Zahl der Sozialhilfeempfänger nicht sprunghaft gestiegen, sondern das war in den 70er Jahren der Fall, obwohl wir Wirtschaftswachstum gehabt haben, obwohl wir am Anfang der 70er Jahre Vollbeschäftigung gehabt haben. Dieses Phänomen haben wir zur Kenntnis zu nehmen. Deswegen möchte ich Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, nur sagen: Ich bin gerne bereit, diese Diskussion aufzunehmen. Aber wir tun den Leuten, die Leistungen nach dem BSHG bekommen — die bei kinderreichen Familien auch nicht viel schlechter sind als bei Arbeitnehmern —, keinen Gefallen, wenn wir sie in der Öffentlichkeit diskreditieren.Meine Damen und Herren, ich danke der Regierung, daß sie uns durch ihre Politik in den letzten Monaten die Möglichkeit gegeben hat, auch im Bereich der Kriegsopferversorgung Verbesserungen einzuführen. Ich kann den Kriegsopfern in unserem Lande hier für die CDU/CSU-Fraktion erklären, daß wir im Rahmen unserer Möglichkeiten versuchen werden, in der Zukunft den berechtigten Anliegen der Kriegsopfer Rechnung zu tragen und das Kriegsopferrecht zum Wohle der Kriegsbeschädigten und der Kriegerwitwen in unserem Lande fortzuentwickeln.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Nun bitte ich Sie sehr um Aufmerksamkeit. Wir haben zwei namentliche Abstimmungen vor uns und dazwischen, während der Zeit der Auszählung, die Korrektur eines formellen Fehlers von gestern abend. Dazu bitte ich um Aufmerksamkeit.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über Punkt 12a der Tagesordnung, den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Jahre 1985 auf Drucksache 10/2705. Auf der Drucksache 10/3254 liegt zu diesem Gesetzentwurf ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD, der Änderungen mehrerer Artikel zum Inhalt hat, vor. DieFraktion der SPD verlangt gemäß § 52 der Geschäftsordnung namentliche Abstimmung darüber. — Erhebt sich, so muß ich zunächst fragen, Widerspruch dagegen, daß vor Aufruf der Einzelvorschriften über diesen Änderungsantrag, der mehrere Änderungsbegehren enthält, im Ganzen abgestimmt wird? — Das ist nicht der Fall. Dann werden wir so verfahren.Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/3254 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit „Ja", wer dagegen stimmen oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Abstimmungskarte in die hier vorne aufgestellten Urnen zu legen.Ich eröffne die namentliche Abstimmung.Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat und dies zu tun wünscht? — Ich stelle fest, daß alle Kollegen, die an der Abstimmung teilnehmen wollten, die Möglichkeit dazu hatten und diese wahrgenommen haben. Ich schließe die Abstimmung. — Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Ich bitte auch die Schriftführer, die nicht eingeteilt, aber im Saal sind, zu der Auszählung zu kommen. Sie werden dort dringend gebraucht.Ich bitte nun um Aufmerksamkeit. Ich wäre dankbar, wenn die Kollegen ihre Plätze einnähmen.Wir haben einen formellen Fehler von gestern zu korrigieren. Meine Damen und Herren, wie ich heute morgen zu Beginn der Sitzung erwähnt habe, ist bei den vielen Abstimmungen gestern abend bei Punkt 5 der Tagesordnung ein Fehler im förmlichen Ablauf vorgekommen. Das hat erst das Stenographische Protokoll ergeben. In der Sache war das Ergebnis der Abstimmung klar und in Ordnung.Wir müssen noch in zweiter Beratung über den Gesetzentwurf der Abgeordneten Schmidt , Bachmaier, Dr. Emmerlich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD eines Einundzwanzigsten Strafrechtsänderungsgesetzes auf Drucksache 10/891 abstimmen. Wir holen diese Abstimmung jetzt nach. Der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. — Daraus ist, glaube ich, für alle Kollegen in Erinnerung, welcher Vorgang hier nachgeholt werden soll.Ich rufe also die Art. 1 bis 6, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit Mehrheit bei zwei oder drei Stimmenthaltungen abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung jede weitere Beratung. — Damit haben wir Punkt 5 der Tagesordnung nunmehr abgeschlossen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit dabei.Ich muß nun für einen Moment unterbrechen. Wir brauchen erst das Ergebnis, um dann die nächste namentliche Abstimmung vornehmen zu können. —
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985 10123
Vizepräsident WestphalMeine Damen und Herren, ich gebe Ihnen das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3254 bekannt. Von den vollstimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 399 ihre Stimme abgegeben. Es hat keine ungültigen Stimmen gegeben. Mit Ja haben gestimmt 155, mit Nein haben gestimmt 217; es hat 27 Enthaltungen gegeben. Von den 14 Berliner Abgeordneten, die ihre Stimme abgegeben haben, hat es keine ungültigen Stimmen gegeben. Mit Ja haben gestimmt 7, mit Nein 6; es hat 1 Enthaltung gegeben.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 398 und 14 der Berliner Abgeordneten; davonja: 154 und 7 der Berliner Abgeordnetennein: 217 und 6 der Berliner Abgeordnetenenthalten: 27JaSPDAmling Dr. Apel BachmaierBahrBambergBecker BernrathBerschkeitBindigFrau BlunckBrückBuckpeschBuschfort CatenhusenColletConradi CurdtFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDelorme Dreßler DuveDr. EhrenbergDr. EmmerlichEstersEwenFiebigFischer Fischer (Osthofen)Frau Fuchs
Frau Fuchs GanselGerstl
GilgesGlombig GrunenbergHaarHaehserFrau Dr. HartensteinDr. HauchlerHauckDr. Hauff HeistermannHerterich Hettling Heyenn Hiller
HornFrau HuberHuonkerIbrüggerImmer Jahn (Marburg) JansenJaunich Junghans Kastning Kiehm KirschnerKisslingerKlein
KloseKolbow KretkowskiDr. KüblerKühbacherKuhlweinLambinusLennartzLeonhartFrau Dr. Lepsius LiedtkeLohmann
LutzFrau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier MatthöferMeininghausMenzelDr. Mertens Müller (Schweinfurt) Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNehmDr. NöbelFrau Odendahl OostergeteloPaterna PauliDr. PennerPeter
PfuhlPorzner PoßPurpsRankerRapp Rappe (Hildesheim) ReimannReschke ReuterRohde RothSchäfer SchanzSchlatterSchluckebierFrau Schmedt Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (München)Frau Schmidt Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeDr. SchöfbergerSchröer
Dr. Schwenk SielaffFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SperlingDr. SpöriStahl
SteinerFrau SteinhauerStiegler StocklebenDr. StruckFrau TerborgTietjenFrau Dr. Timm ToetemeyerUrbaniakVahlberg VerheugenVogelsangVoigt
Vosen WaltematheWalther WeinhoferWeisskirchen WestphalFrau WeyelDr. WieczorekWieczorek Wiefelvon der WiescheWimmer WitekDr. de WithWolfram
Würtz ZanderBerliner AbgeordneteDr. Diederich EgertLöfflerDr. MitzscherlingStobbe Dr. VogelWartenberg
NeinCDU/CSUFrau Augustin AustermannDr. BarzelBayha Berger Biehle Dr. BlankDr. BlensDr. BlümDr. BötschBohlBohlsen BorchertBreuer BrollBühler
Dr. BuglCarstens Carstensen (Nordstrand) ClemensConrad
Dr. CzajaDr. DanielsFrau Dempwolf DeresDörflingerDr. DollingerDr. DreggerEchternachEhrbarEigenEngelsbergerErhard
Eylmann
FellnerFischer Dr. Friedmann Ganz (St. Wendel) Dr. GeißlerDr. von Geldern Dr. GeorgeGerlach Gerster (Mainz) Dr. GöhnerGötzerGüntherDr. Häfelevon Hammerstein Hanz HaungsHauser HedrichFreiherr Heeremanvon Zuydtwyck Frau Dr. Hellwig Dr. HennigHerkenrathHinrichsHöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann
Dr. Hornhues Frau Hürland Dr. HüschDr. HupkaJagodaDr. Jenninger Dr. JobstJung Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki KellerKlein KolbKrausKreyKroll-SchlüterFrau Krone-AppuhnDr. Kronenberg LamersDr. Lammert LattmannDr. LaufsLink Link (Frankfurt) LintnerDr. LippoldLöherLouvenLowackMaaßFrau Männle MaginMarschewskiDr. Mertes MetzDr. Meyer zu Bentrup
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10124 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985
Vizepräsident WestphalMichelsDr. MikatDr. MiltnerMilzDr. MöllerMüller Müller (Wadern) Müller (Wesseling)NelleFrau Dr. Neumeister NiegelDr.-Ing. OldenstädtDr. OlderogPeschPetersenPfeiferPöpplPohlmannDr. Pohlmeier Dr. ProbstRaweRegenspurgerDr. Riedl
Dr. Riesenhuber Rode Frau Rönsch Frau Roitzsch
Rossmanith Roth (Gießen) Rühe
RufSauer
Sauer SaurinSauter Sauter (Ichenhausen) Dr. SchäubleSchartz SchemkenScheuSchlottmann Schmidbauer Schmitz von Schmude Schneider
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Dr. Schwörer
SeehoferSeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SprangerDr. SprungDr. Stark Dr. StavenhagenDr. Stercken Dr. Stoltenberg StommelStrubeStücklenStutzerSussetTillmannDr. Todenhöfer UldallFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. VossDr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarrikoffWeirichWeißWerner Frau Dr. Wex Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms WilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannWittmann Dr. WörnerWürzbachDr. ZimmermannZinkBerliner AbgeordneteFrau Berger BoroffkaDolataFeilckeKalischStraßmeirFDPFrau Dr. Adam-SchwaetzerBaumBeckmann Bredehorn Eimer EngelhardDr. FeldmannGallusGattermann GenscherFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HirschHoffieKleinert KohnMischnick Möllemann Neuhausen Paintner RonneburgerSchäfer
Frau Dr. SegallFrau Seiler-AlbringDr. SolmsDr. Weng Wolfgramm (Göttingen)EnthaltenDIE GRÜNENAuhagenFrau BorgmannBuebFrau DannFrau EidFrau HönesHoracekFrau KellyKleinert LangeMannDr. Müller
Dr. SchierholzSchily Schmidt
Schulte (Menden) Senfft
SuhrTischerVogel Vogt (Kaiserslautern) VolmerFrau WagnerWerner Werner (Westerland) Frau ZeitlerBerliner Abgeordneter Ströbelefraktionslos BastianDamit ist der Änderungantrag abgelehnt.Ich rufe nunmehr die Art. 1 bis 11, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Dann sind die aufgerufenen Vorschriften mit großer Mehrheit bei Enthaltung der Fraktion der GRÜNEN angenommen.Wir treten in die dritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist das Gesetz mit großer Mehrheit bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen.Meine Damen und Herren, zum Tagesordnungspunkt 12b schlägt der Ausschuß unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/3243 Kenntnisnahme vor. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei drei Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung angenommen.Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 12 c, den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die vierzehnte Anpassung der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz auf Drucksache 10/2882.Meine Damen und Herren, bevor ich die einzelnen Vorschriften aufrufe, bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Verfahren. Zu den Art. 1 und 2 liegen insgesamt zehn Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/3244 bis 10/3253 vor. Die Antragsteller sind damit einverstanden, daß über die neun Änderungsanträge auf den Drucksachen 10/3244 bis 10/3251 und 10/3253 gemeinsam abgestimmt wird. Sie verlangen gemäß § 52 der Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Ich gehe davon aus, daß Sie mit der gemeinsamen Abstimmung einverstanden sind. — Das kann ich so feststellen.Ich mache darauf aufmerksam, daß nach der namentlichen Abstimmung noch einige Einzelabstimmungen erfolgen werden.Ich rufe Art. 1, 1 a und 2 auf und lasse zunächst namentlich über die Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/3244 bis 10/3251 und 10/3253 abstimmen. Wer diesen Änderungsanträgen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit Ja, wer dagegenstimmen oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Abstimmungskarte in die hier vorne aufgestellten Urnen zu legen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985 10125
Vizepräsident WestphalIch eröffne die namentliche Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat?
— Dann warten wir noch einen Moment. — Ich stelle fest, daß jetzt alle Anwesenden ihre Stimme abgegeben haben. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.Ich kann Ihnen das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/3244 bis 10/3251 und 10/3253 mitteilen. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 396 ihre Stimme abgegeben. Es war keine Stimme ungültig. Mit Ja haben 169, mit Nein 214 Abgeordnete gestimmt. Es hat 13 Enthaltungen gegeben. Von den 14 Berliner Abgeordneten, die ihre Stimme abgegeben haben, hat keiner ungültig gestimmt. Mit Ja haben 7, mit Nein 6 Abgeordnete gestimmt. Es hat 1 Enthaltung gegeben.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 395 und 14 der Berliner Abgeordneten; davonja: 169 und 7 der Berliner Abgeordnetennein: 213 und 6 der Berliner Abgeordnetenenthalten: 13 und 1 Berliner AbgeordneterJaSPDAmling Dr. ApelBachmaierBahrBambergBecker BernrathBerschkeitBindigFrau BlunckBrück BuckpeschBuschfortCatenhusenCollet Conradi CurdtFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDelormeDreßler DuveDr. EhrenbergDr. EmmerlichEsters Ewen FiebigFischer Fischer (Osthofen)Frau Fuchs
Frau Fuchs GanselGerstl
Gilges GlombigGrunenbergHaarHaehserFrau Dr. Hartenstein Dr. HauchlerHauckDr. Hauff HeistermannHerterich Hettling Heyenn Hiller
HornFrau HuberHuonker IbrüggerImmer Jahn (Marburg) JansenJaunich Junghans Kastning Kiehm KirschnerKisslingerKlein
KloseKolbow KretkowskiDr. KühlerKühbacherKuhlweinLambinusLennartzLeonhartFrau Dr. Lepsius LiedtkeLohmann LutzFrau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier MatthöferMeininghausMenzelDr. Mertens
Müller Müller (Schweinfurt)Dr. Müller-Emmert MünteferingNagel Nehm Dr. NöbelFrau Odendahl OostergeteloPaterna PauliDr. PennerPeter
PfuhlPorzner PoßPurps RankerRapp
Rappe ReimannReschkeReuterRohde
RothSchäfer SchanzSchlatterSchluckebierFrau Schmedt
Dr. Schmidt Schmidt (München)Frau Schmidt Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeDr. SchöfbergerSchröer
Dr. Schwenk SielaffFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SperlingDr. SpöriStahl
SteinerFrau SteinhauerStiegler StocklebenDr. StruckFrau TerborgTietjenFrau Dr. Timm ToetemeyerUrbaniakVahlbergVerheugenVogelsangVoigt
Vosen WaltematheWaltherWeinhoferWeisskirchen WestphalFrau WeyelDr. WieczorekWieczorek Wiefelvon der Wiesche Wimmer WitekDr. de WithWolfram
Würtz
ZanderBerliner AbgeordneteDr. Diederich EgertLöfflerDr. MitzscherlingStobbe Dr. VogelWartenberg
DIE GRÜNENFrau Eid Horacek Frau KellyKleinert
MannDr. Müller
SchilySchulte
SuhrTischerVogel
Vogt Volmerfraktionslos BastianNeinCDU/CSUFrau AugustinAustermannDr. BarzelBayha Berger Biehle Dr. BlankDr. BlensDr. BlümDr. BötschBohlBohlsenBorchertBreuer BrollBühler
Dr. BuglCarstens Carstensen (Nordstrand) ClemensConrad
Dr. DanielsFrau DempwolfDeres DörflingerDr. DollingerDr. DreggerEchternachEhrbar Eigen EngelsbergerErhard
Eylmann
FellnerFischer
Dr. FriedmannGanz
Dr. GeißlerDr. von GeldernDr. GeorgeGerlach
Gerster
Dr. GöhnerGötzerGünther
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10126 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985
Vizepräsident WestphalDr. Häfelevon HammersteinHanz HaungsHauser HedrichFreiherr Heeremanvon ZuydtwyckFrau Dr. Hellwig Dr. HennigHerkenrathHinrichsHöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesFrau Hürland Dr. HüschDr. HupkaJagodaDr. JobstJung Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki KellerKlein KolbKrausKreyKroll-SchlüterFrau Krone-AppuhnDr. Kronenberg LamersDr. Lammert LattmannDr. LaufsLink Link (Frankfurt) LintnerDr. LippoldLöherLouvenLowackMaaßFrau Männle MaginMarschewskiDr. Mertes MetzDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. MikatDr. MiltnerMilzDr. MöllerMüller Müller (Wadern) Müller (Wesseling)NelleFrau Dr. Neumeister NiegelDr.-Ing. OldenstädtDr. OlderogPeschPetersenPfeiferPöpplPohlmannDr. Pohlmeier Dr. ProbstRaweRegenspurgerDr. Riedl
Dr. Riesenhuber Rode Frau Rönsch Frau Roitzsch
Rossmanith Roth (Gießen) Rühe
RufSauer
Sauer
SaurinSauter Sauter (Ichenhausen) Dr. SchäubleSchartz SchemkenScheuSchlottmann SchmidbauerSchmitz von Schmude Schneider
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Dr. Schwörer
SeehoferSeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SprangerDr. SprungDr. Stark Dr. StavenhagenDr. Stercken Dr. Stoltenberg StommelStrubeStücklenStutzerSussetTillmannDr. Todenhöfer UldallFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. VossDr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarrikoffWeirichWeißWerner Frau Dr. Wex Frau Will-Feld WilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannWittmann Dr. WörnerWürzbachDr. ZimmermannZinkBerliner AbgeordneteFrau Berger BoroffkaDolataFeilckeKalischStraßmeirFDPFrau Dr. Adam-Schwaetzer BaumBeckmannBredehorn Eimer EngelhardDr. FeldmannGallusGattermannFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HirschHoffieKleinert KohnMischnick Möllemann Neuhausen PaintnerRonneburgerSchäfer
Frau Dr. SegallFrau Seiler-AlbringDr. SolmsDr. Weng Wolfgramm (Göttingen)EnthaltenDIE GRÜNENAuhagenFrau BorgmannBuebFrau DannFrau HönesLangeDr. SchierholzSchmidt
Senfft
Frau WagnerWerner Werner (Westerland) Frau ZeitlerBerliner Abgeordneter StröbeleDamit sind die Änderungsanträge abgelehnt.Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3252 ab. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit bei einer Reihe von Enthaltungen abgelehnt.Wer Art. 1, 1 a und 2 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Stimmen dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit großer Mehrheit gegen eine Reihe von Stimmen angenommen.Ich rufe Art. 3 und 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit großer Mehrheit angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung.Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist mit großer Mehrheit angenommen worden.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. George, Straßmeir, Lemmrich, Jagoda, Keller, Hinsken, Günther, Pfeffermann, Bühler , Milz, Hanz (Dahlen) und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Hoffie, Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Kohn, Cronenberg (Arnsberg), Frau Dr. Segall, Eimer (Fürth) und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erweiterung der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr— Drucksache 10/3218 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für VerkehrHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985 10127
Vizepräsident WestphalIm Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch dagegen. Das ist so beschlossen.Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Louven.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nun sind wir Sozialpolitiker wieder fast unter uns. Ich bedanke mich bei den wenigen anderen, die bei diesem weiteren sozialpolitischen Punkt noch zuhören.Insbesondere die Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung wissen nur zu genau, welche Fülle von Gesetzen wir im Sozialbereich zu beraten haben und in welcher Eile dies in den letzten Jahren geschehen mußte. Zu Recht ist hier Klage geführt und darauf hingewiesen worden, daß eine sorgfältige Beratung, wie sie in allen Fällen wünschenswert wäre, nicht immer garantiert ist. Dennoch, meine Damen und Herren, bleibt uns zunächst im Sozialausschuß keine andere Wahl. Noch immer sind wir mit Aufräumarbeiten beschäftigt,
die auf Grund Ihrer Politik nach dem Regierungswechsel notwendig wurden.
— Frau Kollegin Fuchs, ich weiß, daß Sie dies nicht gern hören. Der Bundeskanzler hat dazu gestern auch Ausführungen gemacht und gemeint: Im Ausgeben waren Sie Weltmeister. Seitdem wir Sie daran hindern, sind Sie Weltmeister im Austeilen. Nur im Einstecken sind Sie Kreisklasse, Frau Kollegin Fuchs.
Insbesondere im Bereich der Rentenangelegenheiten, der Fragen der Zurückdrängung der Arbeitslosigkeit und der Lohnnebenkosten sowie in vielen anderen Bereichen wäre ein Vor-sich-Herschieben nicht zu verantworten. Wir bleiben auch im nächsten Jahr über Gebühr beschäftigt. In dieser Situation und angesichts dieser Fülle von Aufgaben kann es nicht ausbleiben, daß Fehler passieren. Die CDU/CSU-Fraktion hat zum Jahreswechsel erklärt, daß wir uns nunmehr dank der Sanierungspolitik dieser Regierung auch finanziell in der Lage sehen, Fehler oder die eine oder andere Ungereimtheit zu beseitigen.
Hierhin gehört der von den Koalitionsfraktionen eingebrachte Gesetzentwurf zur Erweiterung der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr auf Drucksache 10/3218. Das Vorziehen dieses Gesetzentwurfs ist deshalb vonnöten, weil die Beratung des Gesetzes zur Änderung des Schwerbehindertengesetzes auf Drucksache 10/3138 noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Die von uns eingebrachten Verbesserungen sollten jedoch auf jeden Fall sehr bald in Kraft treten. Bei den Beratungen des Schwerbehindertengesetzes wird dann über weitere Verbesserungen, Herr Kollege Dreßler, zu entscheiden sein. Sie mögen daran auch ersehen, daß wir im sozialen Bereich, wo wir die Notwendigkeit zur Änderung der bestehenden Rechtslage erkennen, diese Änderungen zügig in Angriff nehmen.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen einschränkende Regelungen über die Freifahrt im öffentlichen Personennahverkehr, die bei der Neuordnung des Rechts der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 eingeführt wurden und zu Härten geführt haben, wieder aufgehoben, verbessert sowie Erleichterungen für die Schwerbehinderten bei der Zahlung der Eigenbeteiligung geschaffen werden.
Im einzelnen sind vier Maßnahmen vorgesehen. Erstens. Gehörlose werden in den Kreis der berechtigten Personen einbezogen, so daß sie ohne Rücksicht darauf, ob sie in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind, gegen Entrichtung der Eigenbeteiligung das Recht der unentgeltlichen Beförderung in Anspruch nehmen können. Dies ist deswegen begründet, weil die Gehörlosen mit Nichtbehinderten oder nicht gleichartig Behinderten nur in sehr begrenztem Umfang oder überhaupt nicht in Kommunikation treten können.
Um aber eine Isolierung zu vermeiden, sind Gehörlose auf Kontakte mit in gleicher Art behinderten Personen und auf Informationen der speziellen Gehörlosendolmetscher angewiesen.
Diese Kontakte sind vielfach nur durch die Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs herzustellen und zu erweitern. Wir ermöglichen dies.
Zweitens. Hilflose, die in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht erheblich beeinträchtigt sind, werden mit den Hilflosen gleichgestellt, die schon nach geltendem Recht die unentgeltliche Beförderung in Anspruch nehmen können. Hier erfolgt eine Gleichstellung von Schwerbehinderten und Hilflosen, die nicht gehbehindert sind.Drittens. Die unentgeltliche Beförderung mit der Eisenbahn im Umkreis von 50 km um den Wohnort
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10128 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985
Louvender betroffenen Behinderten wird wieder eingeführt.
D-Züge können benutzt werden. Das geht über das hinaus, was bis zum 31. Dezember geltendes Recht war. Dies stellt eine Verbesserung besonders für Schwerbehinderte außerhalb der Ballungsgebiete dar.Viertens. Die Zahlung der Eigenbeteiligung von 120 DM jährlich wird dadurch erleichtert, das Halbjahresmarken erworben werden können.
Außerdem können Teilbeträge der Eigenbeteiligung in Härtefällen erstattet werden, wenn der Berechtigte, aus welchem Grund auch immer, die unentgeltliche Beförderung nicht mehr in Anspruch nehmen kann oder will.
Nach geltendem Recht muß für die Inanspruchnahme der unentgetlichen Beförderung eine für ein Jahr gültige Wertmarke erworben werden. Die Erfahrungen haben gezeigt, daß dies nicht zweckmäßig ist. Zukünftig kann der Schwerbehinderte hier wählen.Meine Damen und Herren, der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zur Drucksache 10/3138 die vorgesehenen Maßnahmen ebenfalls vorgeschlagen. Wir sollten in der Ausschußberatung auch noch einmal darüber nachdenken, ob man aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung für unentgeltlich auszugebende Wertmarken eine Mehrjahresmarke einführen kann. Ich weiß natürlich, daß es wegen der Fahrgelderstattungen an die Verkehrsunternehmen Probleme geben kann.
Aus dem, war wir vorschlagen, wird deutlich, daß wir die Behinderten nicht als Außenseiter oder als Randgruppe betrachten, sondern ihnen ihr Los nach Kräften und im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten erleichtern und sie weitestgehend am Leben der Gesellschaft teilhaben lassen.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie reden in diesen Tagen — dies hängt wohl auch mit dem Wahltermin in Nordrhein-Westfalen zusammen — von „Sozialabbau" und „neuer Armut".
Frau Kollegin Fuchs hat dies gestern auf eine besonders peinliche Art hier praktiziert. Herr Altstaatssekretär Egert stand ihr heute morgen in nichts nach.Meine Damen und Herren, wenn es Armut gibt, dann ist es keine neue.
Der Kollege Jagoda hat Ihnen eben die Zahlen genannt. Dies ist alte Armut, die Sie uns hinterlassen haben.
Ich wiederhole, meine Damen und Herren, was ich schon einmal von diesem Pult aus sagte: Wir handeln, während Sie Klassenkampf betreiben. Vor diesem Hintergrund darf man gespannt sein, ob Sie mit uns darangehen, dieses Gesetz zügig zu beraten.
Das Wort hat der Abgeordnete von der Wiesche.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Wir beraten heute in erster Lesung einen Gesetzentwurf mit dem etwas irreführenden Titel, Kollege George, „Erweiterung der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr".
Es ist ein Entwurf, dessen es im übrigen überhaupt nicht bedurft hätte, wenn die Koalitionsfraktionen bei den Beratungen der Haushaltsoperation 1984 unseren Vorschlägen gefolgt wären.
Es ist schon mehr als merkwürdig, wie die Regierungskoalition in diesem Lande mit Behinderten umspringt.
Es liegt noch keine 18 Monate zurück, daß Sie von dieser Stelle aus im Brustton der Überzeugung behaupteten, zur Konsolidierung der öffentlichen Finanzen seien gravierende Einschnitte in das Behindertenrecht unumgänglich.Heute — bemerkenswerterweise ein paar Tage vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen —
kommen Sie mit einem neuen Hut aus altem Filz, ganz nach der Devise „Alles neu macht der Mai".
Sind Sie sich eigentlich bewußt, welch ein übles Spiel Sie gerade mit denjenigen getrieben haben, die am Ersten des Monats nicht wissen, wie sie mit ihrem kärglichen Einkommen das Monatsende erreichen sollen? Am 1. Januar bzw. 1. April 1984 haben Sie trotz eindringlicher Warnungen von seiten der Sozialdemokraten für die überwiegende Mehrzahl der Behinderten die sogenannten Vergünstigungen gestrichen. Ein Teil dieser sogenannten Vergünstigungen soll nun ein knappes Jahr später teilweise wieder eingeführt werden.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985 10129
von der WiescheBereits am 10. Juli vergangenen Jahres hat die SPD-Bundestagsfraktion einen eigenen Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Schwerbehindertengesetzes eingebracht. In diesem Gesetzentwurf haben wir bereits die weitgehende Wiederherstellung des Rechts der bis 1983 noch so zu nennenden Freifahrt für Behinderte vorgeschlagen. Die Regierungskoalitionen haben unseren Gesetzentwurf nicht zur Kenntnis genommen.
Im September haben Sie dann selber einen Gesetzentwurf eingebracht. In dessen Begründung heißt es: Weitere Änderungen der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr sind nicht vorgesehen, obwohl tatsächlich keine einzige Änderung in diesem Gesetzentwurf enthalten ist. Im Gegenteil, die massiven Verschlechterungen zu Lasten der Behinderten sollten ohne Zuckerguß über die Bühne gehen, meine Damen und Herren.
Das war dann wohl selbst der Unionsmehrheit im Bundesrat zuviel. Unter massivem öffentlichen Druck forderte der Bundesrat in seiner Sitzung vom 26. Oktober 1984 einige, wenn auch unzureichende Korrekturen im Hinblick auf die früher einmal unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr. Fast ein halbes Jahr lang war die Bundesregierung nicht imstande, sich zur Gegenäußerung auf die vom Bundesrat erhobene Forderung auf Rücknahme der Verschlechterungen aufzuraffen.
Die Bundesregierung hat in dieser Gegenäußerung den meisten Forderungen des Bundesrates, die das Recht der Beförderung Behinderter betreffen, offensichtlich schweren Herzens zugestimmt.Keine vier Wochen nach dieser unter großen Schwierigkeiten zustande gekommenen Zustimmung wurden Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, mit einem gesonderten Gesetzentwurf zur Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr mit einer an den Haaren herbeigezogenen Begründung vorgeschickt. Dieser Entwurf, über den wir heute beraten, bleibt seinerseits nun wieder hinter den Bundesratsforderungen zurück, denen die Bundesregierung unter ach so großen Bauchschmerzen noch zugestimmt hatte. Verwirrender, meine verehrten Damen und Herren, kann Salami-Taktik wohl nun kaum noch gestaltet werden.
Dieser Gesetzentwurf ist weiter nichts als die längst überfällige Rücknahme massiver Verschlechterungen bei der Beförderung Behinderter im öffentlichen Personenverkehr.
Es sind im wesentlichen drei Punkte, die im Gesetz enthalten sind. Erstens. Die Gehör- und Hilflosen, die in ihrer Bewegungsunfähigkeit im Straßenverkehr nicht erheblich beeinträchtigt im Sinne des Gesetzes sind, sollen nun wieder in den berechtigten Personenkreis einbezogen werden. Meine Damen und Herren, das hätten Sie viel früher haben können; denn genau dies ist in unserem Gesetzentwurf vom 10. Juli 1984 enthalten.Die unentgeltliche Beförderung soll im Nahbereich auch wieder mit Eisenbahnen möglich sein. Auch dieser Punkt, meine Damen und Herren, ist in unserem Entwurf vom Sommer 1984 vorgesehen.Des weiteren soll es die Möglichkeit geben, die Eigenbeteiligung von 120 DM jährlich in Teilbeträgen zu zahlen. Diese Anregung — das will ich gerne zugeben — ist in unserem Gesetzentwurf nicht enthalten, auch wenn sie für viele einkommenschwache Behinderte eine Erleichterung bedeuten mag.
Wir ziehen in unserer Vorlage allerdings die richtige Konsequenz und schlagen vor, den ganzen sozialpolitisch groben Unfug der Eigenbeteiligung wieder abzuschaffen.
Wir sind nach wie vor der Auffassung, daß Selbstbeteiligung im Recht unentgeltlicher Beförderung Behinderter nichts zu suchen hat, weil es dann eben keine unentgeltliche Beförderung mehr ist.
Sie, meine Damen und Herren, haben aber mit der bürokratischen Axt der Selbstbeteiligung nach dem 31. Dezember 1983 die Zahl der freifahrtberechtigten Behinderten praktisch halbiert. 1,7 Millionen wurden aus dem Kreis der bis dahin Frei-fahrtberechtigten ausgegrenzt. Die Statistik verbirgt dies hinter den nüchternen Worten: „Berechtigung entfallen aus sonstigen Gründen". Hinter diesen dürren Formulierungen verbergen sich Schicksale von verbitterten und in ihrer Würde gekränkten Behinderten. Die Bundesregierung hält diese Behinderten für desinteressiert, weil sie sich nicht gemeldet haben. Dazu gehören auch viele derjenigen Behinderten, die aus verschämter Armut, aus Stolz, aus Angst vor Belastung ihrer Kinder oder einfach aus Unkenntnis und Schwellenangst den eigentlich notwendigen Gang zum Sozialamt scheuen.Es ist wirklich höchste Zeit, endlich die erforderlichen Korrekturen vorzunehmen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird diesem Gesetzentwurf im Grundsatz zustimmen, weil er ein kleiner Schritt in die richtige Richtung ist.
Meine Damen und Herren, wir werden aber nicht widerspruchslos hinnehmen, daß in diesem Entwurf die sozialhilfebedürftigen schwerbehinderten Heimbewohner wieder einmal vergessen werden sollen. Es ist uns unverständlich, warum Sie bei diesem wichtigen Punkt den Empfehlungen von Bundesrat und Bundesregierung nicht gefolgt sind.
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10130 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985
von der WiescheSie sollten sich am Beispiel Nordrhein-Westfalens orientieren. Dessen Sozialminister Friedhelm Farthmann hat sofort nach Bekanntwerden der Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates angeordnet, allen in Nordrhein-Westfalen in Heimen lebenden schwerbehinderten Sozialhilfeempfängern auf Antrag die Wertmarke für die Freifahrt kostenlos zu überlassen.
Es bleibt zu hoffen, daß sich der Entwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, nicht als wahlkampftaktisch bestimmte Eintagsfliege erweist, die nach den Wahlen in Nordrhein-Westfalen bis zur endgültigen Verabschiedung der Novelle des Schwerbehindertengesetzes wieder auf Eis gelegt wird. Einige Ungereimtheiten und Formulierungen Ihres Entwurfs deuten bedauerlicherweise darauf hin.
Wir Sozialdemokraten sind jedenfalls zu einer Verbesserung der sozialen Situation der Behinderten sofort bereit.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Adam-Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr von der Wiesche, es ist richtig: Wir haben das Haushaltsbegleitgesetz 1984 verabschiedet, weil eine Haushaltskonsolidierung notwendig war. Ich sage Ihnen: Das Ziel der Haushaltskonsolidierung wird auch noch eine ganze Weile notwendig sein. Diese Regierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen haben größere Fortschritte gemacht, als wir das zu Beginn unserer Arbeit, 1982, erwarten konnten. Wir sind stolz darauf, daß wir diese Fortschritte gemacht haben.
Aber eines stimmt nicht: daß wir alle Maßnahmen gleichermaßen mit unserer unkritischen Zustimmung bedacht hätten. Es hat ein paar Dinge gegeben, die durchaus auch in unseren eigenen Reihen umstritten gewesen sind. Diese Sachen werden wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf aufnehmen und ausbügeln.Meine Damen und Herren, ich gebe zu, wir sind klüger geworden. Aber, ich bitte Sie, es wird von uns doch immer wieder verlangt, daß wir auch einmal zugeben sollen, Fehler gemacht zu haben.
Wir geben zu, wir haben in diesen Punkten Fehler gemacht.Wir haben im übrigen damals, bei der Verabschiedung des Haushaltsbegleitgesetzes, gleich gesagt: Bei diesen Maßnahmen müssen wir einmal die Auswirkungen überprüfen, um eventuell dann darauf zurückzukommen.
Es wäre ehrlich gewesen, wenn Sie das auch einmal zugegeben hätten.
Meine Damen und Herren, es sind drei Punkte, die mit dem vorliegenden Gesetzentwurf angegangen werden. Für mich ist die Wiedereinbeziehung der Eisenbahn im Nahverkehr in die Freifahrtmöglichkeiten für Behinderte besonders wichtig, denn dies ist ganz eindeutig eine Verbesserung der Situation der Behinderten im ländlichen Raum. Ich bin froh darüber, daß das jetzt wieder aufgenommen wird.Der zweite Punkt. Wir hatten eigentlich gedacht, daß die Versorgungsämter von sich aus auf die Idee kommen würden, den Eigenbeitrag auch in Teilbeträgen anzunehmen. Dies war nicht der Fall. Deshalb muß jetzt die gesetzliche Grundlage dafür, daß das so geschehen kann, nachgeliefert werden. Die SPD geht in ihrem Gesetzentwurf viel weiter. Sie lehnt den Eigenbeitrag ab. Das heißt, sie lehnt wieder einmal die Haushaltskonsolidierung ab.
Sie sagt nicht, wer es bezahlen soll.
Denn wer soll es bezahlen? Natürlich die aktiven Arbeitnehmer über ihre Steuern.Wie die Sozialdemokraten mit dem Geld anderer Leute umgehen, wird übrigens aus einem anderen Vorgang sehr deutlich.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat im Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Verbesserung ganz bestimmter Vorschriften in der Sozialhilfe eingebracht. Das sind alles sehr erwägenswerte Sachen. Aber ganz typisch ist folgendes. Dem Land Nordrhein-Westfalen entsteht aus diesem Gesetzentwurf, den es selbst eingereicht hat, keine zusätzliche Mark an Kosten. Die Kosten werden alle beim Bundeshaushalt abgeladen und würden dort mit 5,6 Milliarden DM pro Jahr zu Buche schlagen.
So gehen Sozialdemokraten mit dem Geld anderer Leute um.
Der dritte Punkt, der für uns auch sehr wichtig ist, ist die Wiedereinbeziehung der Gehörlosen und
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985 10131
Frau Dr. Adam-SchwaetzerHilflosen in den Kreis der Berechtigten für die Freifahrt im öffentlichen Personenverkehr. Hier geht es darum, besonders abgegrenzte, besonderer Hilfe bedürftige Gruppen, z. B. die Gehörlosen, wieder in die Lage zu versetzen, ihre Kommunikationseinrichtungen aufzusuchen. Sie sind in einem besonderen Ausmaß darauf angewiesen, diese Kommunikationseinrichtungen benutzen zu können.
Alles in allem, meine Damen und Herren: Ich gebe es zu, wir haben damals einen Fehler gemacht. Wir sind bereit, diesen Fehler auszubügeln.Ich möchte hier aber noch einen anderen Punkt anschließen, der mit diesem Gesetz direkt nichts zu tun hat, auf den wir aber immer wieder angesprochen werden. Das ist der Punkt der Rechtssicherheit bei den Anerkennungsbescheiden im Schwerbehindertenrecht. Hier hat es eine große Unruhe gegeben, die auch noch nicht abgebaut ist. Deshalb erkläre ich hier ganz eindeutig: Wir wollen nicht, daß alle Schwerbehindertenbescheide überprüft werden,
sondern wir wollen, daß die Rechtssicherheit auch in diesem Bereich gewährleistet bleibt.
Meine Damen und Herren, insgesamt ist es notwendig, den vorliegenden Gesetzentwurf sehr schnell zu beraten und sehr schnell zu verabschieden. Die Opposition hat erkennen lassen, daß sie bereit ist, dabei mitzumachen. Ich muß hier noch einmal die Frage stellen, warum sie immer so fürchterlich draufdrischt, wenn sie dem Gesetzentwurf hinterher dann doch zustimmt.
Insofern, finde ich, ist es etwas inkonsequent, was Sie hier betreiben. Aber im Interesse derer, die davon begünstigt werden sollen, sollten wir gemeinsam versuchen,
ihn möglichst schnell über die Bühne zu bekommen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wagner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es steht ein Gesetz zur Debatte, das erst durch das unsoziale Haushaltsbegleitgesetz 1984 dieser Bundesregierung notwendig geworden ist. Schauen wir uns doch zunächst einmal an, was damals bezüglich der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr passiert ist. Unter Hinweis auf die Haushaltssituation in Bund und Ländern wurden bei der unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personenverkehr Leistungsverkürzungen vorgeschlagen, die im Gesetzentwurf auch noch als sinnvolle Einschränkungen bezeichnet wurden. Diese wurden dann auch verabschiedet. Unser Entschließungsantrag auf Streichung dieses Artikels wurde niedergestimmt.
Folgende Kürzungen gab es: Erstens die Einschränkung des begünstigten Personenkreises durch Herausnahme derjenigen Schwerbehinderten mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 80 v. H. und mehr, die in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht erheblich beeinträchtigt sind, zweitens die Einführung einer Eigenbeteiligung von 120 DM jährlich, lediglich mit der Ausnahme für blinde und hilflose Schwerbehinderte und für typische Gruppen einkommensschwacher Schwerbehinderter sowie natürlich für Kriegsbeschädigte und -verfolgte. Als dritten Punkt nenne ich den Wegfall der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im Schienenverkehr.Abgesehen davon, daß vom Finalitätsprinzip im Schwerbehindertenrecht auch an dieser Stelle einmal mehr wieder abgerückt wurde, denn die Kriegsbeschädigten konnten weiterhin uneingeschränkt freifahren, mußte dieses Gesetz unweigerlich zu Härten führen. Dies war voraussehbar; das steht auch in dem zur Abstimmung anstehenden Gesetzentwurf.Wenn man nun denkt, die Bundesregierung sei einsichtig geworden und dieses Gesetz stelle vielleicht einen Meilenstein in der Behindertenpolitik der Bundesregierung dar, so hat man sich gründlich getäuscht. Meilensteine in der Behindertenpolitik haben die Behinderten von dieser Bundesregierung allerdings ohnehin nicht erwartet.
Was mit diesem Gesetz nun gemacht werden soll, ist nicht nur enttäuschend, sondern schlichtweg lachhaft.
Gehörlose und Hilflose, die in ihrer Beweglichkeit im Straßenverkehr nicht erheblich beeinträchtigt sind, sollen in den berechtigten Personenkreis für Freifahrten wieder einbezogen werden. Weniger geht nun wirklich nicht mehr! Die unentgeltliche Beförderung im Nahbereich soll nun auch wieder mit Eisenbahnen möglich sein. Dazu stand schon folgendes in unserem Entschließungsantrag vom 7. Dezember 1983 zum Haushaltsbegleitgesetz:In ländlichen Gegenden ist die Bahn ein wichtiger Träger des öffentlichen Nahverkehrs undoft das einzige Verkehrsmittel, um die Nachbargemeinden zu erreichen.Endlich — wahrscheinlich nur auf Druck der ländlichen Gemeinden und Kreise — ist dies nun auchder Bundesregierung aufgegangen. Das Haushalts-
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Frau Wagnerbegleitgesetz 1984 war eines der unsozialsten Machenschaften dieser Bundesregierung.
— Es gab Aktenordner voller Einwände gegen diese Maßnahmen, doch sie wurden nicht beachtet.
Man weigerte sich beharrlich, sie zur Kenntnis zu nehmen und wich keinen Millimeter zur Seite. Die Wirtschaftskrise sollte auf dem Rücken der sozial Schwächsten ausgetragen werden.
Ich werde den Verdacht nicht los: Es sollte ausprobiert werden, wie weit man dabei gehen kann. Die Rede von Frau Adam-Schwaetzer hat mich darin eigentlich nur bestärkt.Dem unermüdlichen Nachhaken der Verbände und Initiativen ist es nun zu verdanken, daß diese MiniReform ansteht. Ein Prunkstück, das man vorzeigen könnte, ist es allerdings nicht. Warum ist die Bundesregierung nicht bereit, den alten Zustand wiederherzustellen?
Es war doch auch vorher schon so, daß nur Schwerbehinderte mit einer MdE von mindestens 80 % diese Vergünstigungen, wie es bei Herrn Blüm immer so schön heißt, erhielten. Unser kurzfristiges Ziel ist es, zumindest diesen Zustand wiederherzustellen. Langfristig gesehen schweben uns da allerdings noch ganz andere Dinge vor.
Nach wie vor ist der öffentliche Nah- und Fernverkehr für eine große Gruppe der Schwerstbehinderten, nämlich der Rollstuhlfahrer, überhaupt nicht nutzbar. Dabei sollte das Grundgesetz doch eigentlich jedem Menschen den Schutz der Menschenwürde und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit garantieren. Im Fall der Behinderten wird das wohl nicht ganz so eng gesehen. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind behindertenfeindlich.
Somit nützt vielen Behinderten auch keine Freifahrtkarte, wenn es ihnen unmöglich gemacht wird, den Zug überhaupt zu benutzen.
Wer von Ihnen, meine Damen und Herren, würde denn z. B. schon gerne im Gepäckwagen des Zuges statt in bequemen Erster-Klasse-Abteilen mitfahren,
und dies ohne Zugang zum Speisewagen und WC?Oder versuchen Sie doch einmal, mit dem Rollstuhldie U-Bahn zu erreichen. Aber die U-Bahn brauchen Sie j a auch nicht; Sie können die Fahrbereitschaft des Bundestages benutzen.
— Auch wir gehören zu dem Berichtigtenkreis, die das bekommen können. Dadurch wird es aber nicht besser. Denn für den normalen Bürger und insbesondere für den Behinderten sieht das ganz anders aus.Stufen erschweren den Einstieg in Bus und Bahn, nicht nur für behinderte Menschen, sondern auch für Eltern mit Kinderwagen oder für alte Menschen. Für Blinde fehlen Akustiksignalanlagen, für Gehbehinderte Einstiegshilfen.
Die Liste der Mängel bei öffentlichen Einrichtungen ließe sich noch beliebig fortsetzen. Je nachdem, ob Kinder, alte, körperbehinderte, blinde oder hörgeschädigte Menschen befragt werden, treten andere Mängel zutage. Deshalb sollten bei der behindertenfreundlichen Gestaltung und Veränderung von allen öffentlichen Einrichtungen, nicht nur der Busse und Bahnen, die Betroffenen mitwirken.
Denn auch hier gilt der Grundsatz: Betroffene sind Experten für ihr Leben.
Denn Menschen, die auf Grund ihres Alters oder auf Grund von Behinderung in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, dürfen nicht noch zusätzlich durch mangelhafte oder fehlende Verkehrssysteme benachteiligt werden.
Grundsätzlich gilt für die GRÜNEN, daß dem System des öffentlichen Nahverkehrs Vorrang vor der Individualbeförderung zu geben ist.
Dies gilt vor allem auch für den finanziellen Aspekt und dessen Gewichtung. Solange wir aber immer noch eine Bevorzugung des Individualverkehrs haben und noch immer Behinderte ellenlange Mängellisten aufweisen können, kann man wirklich nicht davon sprechen, daß Behinderten Vergünstigungen zukommen.
Was ist das für eine Vergünstigung, daß Schwerstbehinderte kostenlosen Eintritt zu einem Verkehrsmittel erhalten sollen, dessen Zugang ihnen nach wie vor verwehrt wird?
Als kurzfristige Maßnahme fordern wir die kostenlose Benutzung aller öffentlichen Einrichtungen für Schwerstbehinderte, insbesondere der
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985 10133
Frau WagnerBusse und Bahnen. Mit der uns vorliegenden Minireform können wir uns nicht zufriedengeben. Wir fordern eine freie Fahrt für alle Behinderten in allen Systemen des öffentlichen Verkehrs. Wir fordern behindertengerechte Verkehrssysteme. Denn behindertengerechte Verkehrssysteme sind humane Verkehrssysteme, die die menschliche Begegnung erleichtern und die Kommunikation fördern. Sie sind eine notwendige Voraussetzung für die Emanzipation und Integration benachteiligter Menschen.Eine Studie der Weltgesundheitsorganisation hat übrigens gezeigt, daß der finanzielle Aufwand zum Auf- und Ausbau eines behindertengerechten Verkehrssystems langfristig volkswirtschaftlich geringer ist als die durch die Sonderregelung sowie aus Unfällen entstehenden Folgekosten bestehender Verkehrssysteme.Die anstehende Novellierung des Schwerbehindertengesetzes durch die Regierungskoalition lehne zumindest ich entschieden ab.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/3218 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung an den Ausschuß für Verkehr sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 14 a und 14 b der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Bundesrechnungshof
— Drucksache 10/2929 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Innenausschuß
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Friedmann, Roth , Deres, Rossmanith, von Hammerstein, Gerster (Mainz), Dr. Rose, Dr. Riedl (München), Austermann, Schmitz (Baesweiler), Löher und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Frau Seiler-Albring, Dr. Weng, Hoffie, Grünbeck, Dr. Haussmann, Wolfgramm (Göttingen) und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Bundesrechnungshof (Bundesrechnungshofgesetz — BRHG —)
— Drucksache 10/3204 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Innenausschuß
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung beider Tagesordnungspunkte und eine Aussprache von 60 Minuten vorgesehen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Friedmann.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Jahrhundertelang haben westliche Parlamente um das Budgetrecht gekämpft. Heute ist das Budgetrecht ein Kernstück westlichen Parlamentarismus. Was Budgetrecht bedeutet, erleben wir j a am aktuellen Beispiel des Europaparlaments. Wenn jenes Parlament so sehr um die Anerkennung ringt, hängt dies auch damit zusammen, daß noch Zuständigkeiten im Budgetbereich fehlen.Wer aber das Budgetrecht hat, der sollte auch das Recht der Budgetkontrolle haben. Wer Geld gewährt, muß darüber wachen können, ob dieses Geld richtig und wirtschaftlich verwendet wird. Wir alle stehen dem Steuerzahler gegenüber in der Verantwortung, daß seine Steuergroschen richtig angelegt werden.Nun wäre natürlich ein Parlament wie auch das unsere überfordert, wenn es bei jeder Mark und bei jedem Pfennig selbst nachprüfen müßte, ob dieses Geld richtig ausgegeben wird. Wir brauchen dazu einen Partner. Und dieser Partner ist der Bundesrechnungshof.Es liegt auf der Hand, daß wir als Legislative gegenüber der Exekutive in der Hinterhand sind, wenn es um die Kontrolle draußen geht. Die Exekutive hat ihren eigenen Unterbau und kann darauf jederzeit zurückgreifen. Wir, das Parlament, haben etwas Derartiges nicht. Wir brauchen einen Partner, nämlich den Bundesrechnungshof. Dabei ist für uns völlig unbestritten, daß dieser Bundesrechnungshof, wie es die Verfassung vorsieht, natürlich unabhängig, nicht weisungsgebunden ist. Das macht j a auch die Qualität seiner Prüfungsbemerkungen aus.
— Doch.
Die Arbeit dieses Rechnungshofs muß natürlich in bestimmtem Rahmen geregelt sein. Diesem Zweck dient das Bundesrechnungshofgesetz. Das jetzt noch geltende Rechnungshofgesetz stammt aus dem Jahre 1950. Alle Bundesländer haben Gesetze, die jüngeren Datums sind. So ist es nicht zu vermeiden, daß das Bundesrechnungshofgesetz in Teilen veraltet und überholt ist. An sich wäre ein neues Gesetz Ende der 60er Jahre fällig gewesen, als damals das materielle Recht der Prüfung und die verfassungsrechtliche Grundlage des Rechnungshofes neu geregelt wurden. Wegen der damals bevorstehenden Bundestagswahl kam es nicht dazu. Und als neue Gesetzentwürfe 1973 auf den Tisch gekommen waren, stand wieder eine Bundes-
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Dr. Friedmanntagswahl bevor, und wieder kam es nicht zur Verabschiedung. So haben wir jetzt, wie ich glaube, rechtzeitig die Chance ergriffen, und zwar überfraktionell, ein neues Rechnungshofgesetz zu formulieren.Wir haben uns mit der Materie schon seit einiger Zeit im Rechnungsprüfungsausschuß und im Haushaltsausschuß befaßt. Ich darf in die Erinnerung rufen, daß wir letztes Jahr bei der Entlastung der Regierung den Finanzminister hier im Plenum einstimmig gebeten hatten, einen neuen Gesetzentwurf für den Bundesrechnungshof vorzulegen. Noch nicht auf der Grundlage eines offiziellen Entwurfs, aber auf der Grundlage von Vorstellungen des Finanzministeriums und natürlich auf Grund eigener Vorstellungen haben wir die Grundzüge eines solchen Gesetzes bereits besprochen, wobei wir uns natürlich die eigenen Erfahrungen zunutze machten.Ich möchte an dieser Stelle vorwegsagen, daß ich allen Fraktionen, die daran mitgearbeitet haben, sehr dankbar für die konstruktive Zusammenarbeit bin. Denn machen wir uns doch nichts vor: Die Kontrolle der Exekutive ist nicht nur Sache einer oder zweier Fraktionen.
Es ist Aufgabe des ganzen Parlaments,
übrigens auch der Regierungskoalition, die Exekutive zu kontrollieren. Davon lebt die Demokratie.Die Diskussion traf sich — ich möchte sagen: glücklicherweise — mit Bestrebungen dieses Hauses, einem neuen Selbstverständnis Geltung zu verschaffen. Immer mehr kommt bei Mitgliedern des Parlaments zum Ausdruck, daß man da und dort deutlich herausheben will: Das Verfassungsorgan Deutscher Bundestag hat in vielen Bereichen originäre Zuständigkeiten, die manches Mal mit denen der Exekutive verwischt worden sind. Es geht uns also darum, den Rechnungshof mehr an den Bundestag heranzuführen, aber ohne die Selbständigkeit des Rechnungshofes anzutasten.Obwohl in diesem neuen Gesetz mancherlei zu regeln ist, hat sich die Diskussion in den Ausschüssen, auch in der Öffentlichkeit immer mehr auf das Bestellungsverfahren der Spitze des Rechnungshofes konzentriert. Aber ich muß ausdrücklich sagen: dies ist nicht das einzige Anliegen dieses Gesetzentwurfes. Wenn es nun um die Bestellung der Spitze des Rechnungshofes geht, dann taucht natürlich die Frage auf, wer das Vorschlagsrecht haben soll. Bisher hat die Exekutive, hat die Regierung das Vorschlagsrecht. Hier im Parlament hatte sich eine Stimmung breitgemacht, wir, der Bundestag, wollen wählen. Wir waren uns bei den Beratungen — das muß ich fairerweise sagen — einig geworden, das Vorschlagsrecht solle bei den Fraktionen, es solle beim Haushaltsausschuß oder es solle bei so vielen Abgeordneten liegen, wie mindestens eine Fraktion ausmachen. Im Vorschlag der SPD kehrt das Vorschlagsrecht des Haushaltsausschusses nicht wieder. Das hat möglicherweise als Ursache verfassungsrechtliche Bedenken. Im übrigen haben Sie sich an die Ausarbeitung im Ausschuß gehalten. Unser Gesetzentwurf weicht nach einer anderen Seite hin ab, und zwar dahin gehend, daß die Regierung das Vorschlagsrecht haben soll, wobei allerdings in der Gesetzesbegründung, die zum Gesetzeswerk gehört, festgehalten ist, daß zuvor das Benehmen mit dem Haushaltsausschuß hergestellt werden soll. Dies würde immerhin bedeuten, daß in einem offiziellen Organ des Parlaments mit allen Fraktionen, auch mit der Opposition, gesprochen wird. In unserem Vorschlag kommt auch zum Ausdruck, daß der Rechnungshof natürlich mit allen Verfassungsorganen zu tun hat, nämlich mit dem Bundestag, mit dem Bundesrat und anderen. Ich bin schon der Meinung, daß wir über diesen Punkt noch einmal reden sollten. Dies ist ja erst die erste Lesung, der sich weitere Beratungen anschließen werden.Ein zweiter zentraler Punkt war, mit welcher Mehrheit Präsident und Vizepräsident hier gewählt werden sollen. Zeitweise hatten einzelne an eine Zweidrittelmehrheit gedacht. Wir waren in den Ausschußberatungen davon abgekommen, weil Zweidrittelmehrheiten bei Personalwahlen nicht üblich sind. Wir hatten uns auf die absolute Mehrheit, auf die Kanzlermehrheit geeinigt. Nun weicht der SPD- Vorschlag nach oben zur Zweidrittelmehrheit ab, unser Gesetzentwurf weicht nach unten zur einfachen Mehrheit ab.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich hier durch die Reihen schaue und feststelle, wie wieder einmal, wenn es um Probleme des Rechnungshofes, der Entlastung der Regierung geht, die Präsenz ist, dann gibt es mir zu denken, wenn Präsident und Vizepräsident des Rechnungshofes nur mit einfacher Mehrheit gewählt werden sollen.
Ich meine, es würde der Sache nicht dienen, wenn die Spitze des Rechnungshofes von sich sagen könnte, sie sei von 20 oder 25 Mitgliedern des Parlaments gewählt worden. Vor diesem Hintergrund sollten wir noch einmal darüber reden, ob Ihr Abweichen nach oben und unser Abweichen nach unten vielleicht konsensfähig in der Mitte ist. Ich möchte es nicht ausschließen, ich kann es nicht zusagen; aber wir müssen darüber reden.Ein dritter Punkt bei den Beratungen war die Beteiligung des Bundesrates. Bei den Ausschußberatungen waren wir uns einig, daß der Bundesrat beteiligt werden soll, allerdings nicht auf der gleichen Ebene wie der Bundestag. Wir waren der Meinung, es würde reichen, wenn der Bundesrat in Form der Zustimmung mitwirken würde. Nun haben Sie in Ihrem Gesetzentwurf vom Bundesrat nichts mehr vorgesehen. Wir haben ihn gleichberechtigt mit dem Bundestag hinsichtlich der Wahlen beteiligt, weil der Bundesrat sehr massiv verlangt, daß er gleichgewichtig beteiligt wird. Wie sie wissen, liegt seit ein paar Tagen ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vor. Dieses Gutachten kommt zum Ergebnis, daß kein Zwang, aber auch kein Verbot besteht, den Bundesrat gleichgewichtig, gleichberechtigt mit dem Bun-Deutscher Bundestag — l0. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985 10135Dr. Friedmanndestag zu beteiligen. Wir meinen, es spricht nichts dagegen, den Bundesrat hier gleichgewichtig zu beteiligen. Deshalb haben wir dies in unseren Gesetzentwurf aufgenommen, wobei ich bitten möchte zu bedenken, daß der Bundesrat hier als Bundesorgan angesprochen ist.Das sind, wenn ich es richtig sehe, die Hauptpunkte, in denen wir uns unterscheiden. Es kommen ein paar kleinere dazu. Sie haben z. B. eine Aussage, ob der Präsident wiedergewählt werden kann. Wir meinen: nein, nur für zwölf Jahre, dann soll Schluß sein. Wir wollten eigentlich haben, daß Prüfungsersuchen des Parlaments an den Rechnungshof dort mit Vorrang erledigt werden sollen. Wir hatten eine Formulierung gefunden, die mit dem Rechnungshof und dem Finanzministerium abgestimmt war. Sie kehrt auch im SPD-Entwurf wieder. Ich meine, auch darüber müssen wir noch einmal reden.Sie wollen haben, daß der Präsident nicht nur die Beamten des Rechnungshofes, sondern auch dessen Mitglieder soll bestellen können. Wir haben uns auf die Beamten des Rechnungshofes beschränkt.Dann kehrt auch die Frage wieder, ob das Juristenmonopol zementiert werden soll oder nicht. Unser Entwurf sieht hier einen mittleren Weg vor. Ich meine, man sollte auch einem tüchtigen Wirtschaftsprüfer und ähnlichen Leuten nicht verwehren, wenn sie dafür in Frage kommen, z. B. Präsident des Bundesrechnungshofes zu werden.
Meine Damen und meine Herren, jeder von uns schuldet seinen Wählern, schuldet dem Bürger Rechenschaft für sein Geld, das er dem Staat anvertraut. Das kann nur richtig laufen — das hat die parlamentarische Erfahrung gezeigt —, wenn der Rechnungshof unabhängig dem Parlament zuarbeitet.
Deshalb kommt diesem Gesetzentwurf solche Bedeutung bei, nicht nur zusammen mit den Bestrebungen um mehr Selbständigkeiten dieses Parlaments, sondern auch wegen der Unabhängigkeit der Kontrolle gegenüber der Exekutive. Das Testat des Rechnungshofes ist ein Gütesiegel. Deshalb darf dies, was wir hier besprechen, nicht unter „ferner liefen" abgehandelt werden, sondern hier geht es um eine Frage, die von zentraler Bedeutung für das Funktionieren einer Demokratie ist.
Ich würde mich freuen, wenn wir in den weiteren Beratungen zu möglichst weitgehenden Übereinstimmungen kommen, und darf mich bedanken, daß Sie mir zu dieser fortgeschrittenen Freitagsstunde so lange zugehört haben.Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Esters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Käme es allein auf den Willen dieses Hauses an, so hätte ich keinen Zweifel, welchem der beiden Gesetzentwürfe der Vorzug gegeben würde. Ich bin nämlich davon überzeugt, daß viele Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen innerlich dem Entwurf meiner Fraktion zustimmen. Ich bin Ihnen übrigens dafür sehr dankbar, daß Sie den Regierungsentwurf für die Koalitionsfraktionen übernommen und eingebracht haben, um damit einen Beitrag zur notwendigen Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens zu leisten.Ich möchte kurz den Weg nachzeichnen, der zu unserer heutigen Beratung geführt hat. Am 6. Juni 1984 hat dieses Plenum auf Grund einer Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses und des Rechnungsprüfungsausschusses einstimmig beschlossen, daß die Bundesregierung alsbald den Entwurf für ein neues Bundesrechnungshofgesetz erarbeitet, welches der notwendigen Unterstützung des Deutschen Bundestages durch den Bundesrechnungshof so weit wie möglich Rechnung trägt. In der Begründung dazu heißt es, „daß in einer parlamentarischen Demokratie der Volksvertretung die Finanz- und Haushaltskontrolle gegenüber der Regierung und der Exekutive zukommt". Um dieser einhelligen Auffassung von Anfang an Geltung zu verschaffen, haben Haushaltsausschuß und Rechnungsprüfungsausschuß bereits die Vorarbeiten des Bundesministers der Finanzen begleitet. Der BMF hat beiden Ausschüssen am 28. November 1984 einen Sachstandsbericht erstattet, dem ein Referentenentwurf beigefügt war, der wiederum im wesentlichen dem nun vorliegenden Gesetzentwurf entspricht. Der Rechnungsprüfungsausschuß war einmütig der Auffassung, daß dieser Referentenentwurf in wichtigen Punkten nicht den Absichten des Deutschen Bundestages entspricht.In seiner Mitteilung an den Haushaltsausschuß heißt es,daß der Vorschlag des Bundesministers der Finanzen, wonach das Vorschlagsrecht für die Wahl des Präsidenten und des Vizepräsidenten der Bundesregierung zustehen soll, während der Bundestag nur die Möglichkeit der Zustimmung hätte, den Mitgliedern des Ausschusses nicht weitgehend genug erscheint und im übrigen auch nicht der Zielsetzung des Ausschusses gerecht würde, den Bundesrechnungshof näher an das Parlament heranzuführen.
Statt dessen solle der Präsident des Rechnungshofes in geheimer Wahl analog der Regelung für die Wahl des Wehrbeauftragten vom Bundestag gewählt und vom Bundestagspräsidenten ernannt werden.So weit das Zitat.
Diesem Votum ist der Haushaltsausschuß am 6. Februar 1985 mit den Stimmen aller Fraktionen beigetreten. Auf exakt dieser im Ausschuß unstrittigen Kernforderung baut der Gesetzentwurf meiner Fraktion auf. Er führt die Ziele der insoweit unvoll-
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Estersendeten Haushaltsrechtsreform von 1969 fort, indem in ihm die besonderen Beziehungen bei der Finanzkontrolle und der Ausübung des Budgetrechts dadurch unterstrichen werden, daß der Präsident und der Vizepräsident künftig in weitgehender Anlehnung an die Wahl des Wehrbeauftragten vom Deutschen Bundestag gewählt werden.Der Gesetzentwurf befindet sich damit nicht nur in Übereinstimmung mit einer sachverständigen Öffentlichkeit wie dem Bund der Steuerzahler, der sich davon eine größere Durchschlagskraft sowohl des Parlaments als auch des Bundesrechnungshofes gegenüber der Bundesregierung und der Bürokratie verspricht. Übereinstimmung besteht auch mit den drängenden Mahnungen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion — solange sie sich in der Opposition befand. Der heutige Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen Dr. Häfele stellte 1982 als verantwortlicher finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion dieselbe Forderung auf und begründete sie damit, daß ein bestimmender Einfluß der Bundesregierung auf die Ernennung von Präsident und Vizepräsident — ich zitiere — „mit der Stellung des Bundesrechnungshofes als Kontrollinstanz des Regierungshandelns nicht vereinbar" sei.
So weit Dr. Häfele.Ebenfalls in Übereinstimmung mit dem Bund der Steuerzahler und den seinerzeitigen Forderungen der CDU/CSU-Fraktion sieht der Gesetzentwurf meiner Fraktion vor, daß die Wahl mit einer Zweidrittelmehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages erfolgt. Die Ernennung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages ist dann eine logische Folge.Diese qualifizierte Mehrheit ist nicht nur geboten, weil die vom Bundesrechnungshof zu unterstützende parlamentarische Finanzkontrolle der Regierung eine Sache des ganzen Hauses ist. Vielmehr bedarf die künftig verstärkte Stellung von Präsident und Vizepräsident eines auf breitester Basis beruhenden Vertrauens, das zugleich eine ständige Gewähr für die Unabhängigkeit des Bundesrechnungshofes ist. Getragen von dieser Vertrauensbasis kann dann der Präsident des Bundesrechnungshofes wiederum ohne eine irgendwie geartete Mitsprache oder Gegenzeichnung eines Mitglieds der Bundesregierung die Mitglieder des Bundesrechnungshofes und die übrigen Beamten ernennen.Der Gesetzentwurf der Koalition bleibt hinter diesen Vorschlägen entschieden zurück. Ich stehe nicht an zu erklären, daß ich es dem Bundesminister der Finanzen nicht übelnehme, wenn er aus seiner Sicht an einer vollständigen Unabhängigkeit des Bundesrechnungshofes von der Bundesregierung und an einer vorrangigen Zuordnung dieser Kontrollbehörde zum Parlament nicht besonders interessiert ist. Es würde ein Übermaß an Selbstverleugnung erfordern, wenn der Bundesminister der Finanzen selbst einen den Vorschlägen meinerFraktion entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen würde.
Es ist ureigenste Aufgabe des Deutschen Bundestages selbst, dafür zu sorgen, daß sein Budget- und Kontrollrecht gegenüber der Bundesregierung so wirkungsvoll wie möglich ausgestaltet wird.
Ich möchte Sie an die Diskussion erinnern, die wir im September vergangenen Jahres über die Stellung und Arbeit des Deutschen Bundestages und seiner Mitglieder geführt haben. Damals waren wir uns einig, daß, wie unser Kollege Dr. Barzel als Bundestagspräsident ausgeführt hat, es mit dem Selbstverständnis des Parlaments nicht vereinbar ist, daß die Bundesregierung und nicht wir selbst den Präsidenten des Bundesrechnungshofes aussuchen. Dieser gemeinsam bekräftigten Überzeugung widerspricht das bindende Vorschlagsrecht, das die Bundesregierung nach dem Gesetzentwurf der Koalition für die Wahl des Bundesrechnungshofpräsidenten und -vizepräsidenten erhalten soll.Auch die Zusicherung, daß Präsident und Vizepräsident im Konsens zwischen Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat bestimmt werden sollen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß im Zweifelsfall die Bundesregierung durch das von ihr beanspruchte Vorschlagsrecht die Letztentscheidung behält. Insbesondere die Bereitschaft, bereits im Vorfeld der Entscheidungen das Benehmen mit dem Haushaltsausschuß des Bundestages herzustellen, läuft leer, weil ein nur im Innenverhältnis vorbereitend tätiges Hilfsorgan — und dies sind die Ausschüsse — nicht für das Plenum des Deutschen Bundestages handeln kann.Ich glaube deshalb nicht, daß es der Würde des Deutschen Bundestages entspricht, sich bei seinen Entscheidungen nur im Rahmen dessen bewegen zu dürfen, was die Bundesregierung vorgibt.
Ich darf als Kronzeugen auch die Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform heranziehen, die auf Grund der Selbstverständnisdebatte von diesem Haus eingesetzt ist. Der Vorsitzende dieser Kornmission, Bundestagspräsident Dr. Jenninger, hat gegenüber dem Haushaltsausschuß — ich zitiere —mit Befriedigung festgestellt, daß sich das Meinungsbild in der Ad-hoc-Kommission mit dem des Rechnungsprüfungsausschusses deckt.Wer das Protokoll der 3. Sitzung der Ad-hoc-Kommission liest, wird feststellen, daß auch die dort vertretenen Kollegen der Koalitionsfraktionen sich eindeutig für die freie Wahl der Spitze des Bundesrechnungshofs durch den Deutschen Bundestag eingesetzt haben.Die Ad-hoc-Kommission hat ein übriges getan und sich in einem Gutachten bestätigen lassen, daß eine Beteiligung des Bundesrats an der Wahl recht-
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Esterslich nicht geboten ist. Sie ist im Gesetzentwurf meiner Fraktion deshalb auch nicht vorgesehen.Lassen Sie mich noch ein Wort zum jedenfalls bislang unstrittigen Teil beider Gesetzentwürfe sagen. Sie sind Organisationsgesetzentwürfe, d. h. sie regeln — nach vorheriger Abstimmung mit dem Bundesrechnungshof — Aufbau, Zuständigkeit und Verfahrensabläufe, wobei ich nicht verschweigen will, daß die Mitglieder des Haushaltsausschusses schon in der Vergangenheit bei den Einzelplanberatungen darauf nicht unwesentlich Einfluß genommen haben.Diese Organisationsgesetzentwürfe sollten deshalb nicht mit zusätzlichen Bestimmungen befrachtet werden, die in anderen Gesetzen zu regeln sind, so wie z. B. die Stellung des Hauptprüfungsamts der Deutschen Bundesbahn in einer Novellierung des Bundesbahngesetzes ihren Niederschlag finden muß.Bei den bevorstehenden Beratungen beider Gesetzentwürfe in den Ausschüssen geht es nicht nur um eine möglichst effektive Ausgestaltung der parlamentarischen Finanzkontrolle durch Stärkung und veränderte Zuordnung des Bundesrechnungshofs. Es geht auch um eine Nagelprobe für unser eigenes Selbstverständnis.Ich bitte deshalb die Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen des Hauses, eine Einigung zu suchen,
und erkläre dazu die Bereitschaft meiner Fraktion. Wir würden uns und dem Bundesrechnungshof als einem unabhängigen Instrument der Finanzkontrolle einen guten Dienst erweisen, wenn wir in zweiter und dritter Lesung einstimmig ein gemeinsames Gesetz beschließen könnten. Ich appelliere an die Kontrolleure: Vereinigt euch zum Wohl der parlamentarischen Kontrolle!
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Seiler-Albring.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Esters, ich habe Ihnen sehr gern zugehört; denn Ihre Rede war genau wie die von Herrn Dr. Friedmann ein Zeichen dafür und ein Spiegelbild dessen, wie wir es im Haushaltsausschuß und im Rechnungsprüfungsausschuß mit der Thematik halten. Es ist immer eine sehr positive und erfreuliche Arbeitsweise.
Die Fraktionen dieses Hauses, meine Damen und Herren, und insbesondere die Mitglieder des Rechnungsprüfungsausschusses und des Haushaltsausschusses fordern seit langem ein zeitgemäßes Rechnungshofgesetz, das den Bundesrechnungshof näher an das Parlament heranführt. Dieser Wunsch resultiert aus der Einsicht, daß wir als Parlamentarier die Kompetenz und die Zuarbeit des Rechnungshofes brauchen, um unserer Pflicht und Aufgabe, eine effiziente Finanzkontrolle durchzuführen, gerecht werden zu können.In der Wahl des Präsidenten durch den Deutschen Bundestag, die alle Fraktionen auch seit langem fordern, sehen wir in Abkehr von der bisherigen Praxis ein positives Signal. Der Deutsche Bundestag hatte bei der Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1981 seine Erwartung zum Ausdruck gebracht — das ist noch einmal in Erinnerung zu rufen —, daß die Bundesregierung alsbald einen Entwurf für ein Bundesrechnungshofgesetz vorlegt.Der uns nun heute vorliegende Gesetzentwurf, den die Bundesregierung erarbeitet hat und der von den Koalitionsfraktionen übernommen worden ist, trägt dem Auftrag des Haushaltsausschusses und des Deutschen Bundestages in Teilen Rechnung. Ich verhehle aber nicht, daß z. B. der Wahlvorgang so, wie er im Gesetz jetzt vorgesehen ist, für mich nicht befriedigend ist.
Zwar konnten wir bereits in den Vorgesprächen eine Verbesserung dahingehend erreichen, daß der Präsident bzw. der Vizepräsident auf Vorschlag der Bundesregierung und im Benehmen mit dem Haushaltsausschuß, wie in der Begründung ausgeführt, mit einfacher Mehrheit gewählt werden soll.
Auch mache ich der Bundesregierung für diesen Vorschlag — genau wie der Kollege Esters — gar keinen Vorwurf, denn es ist für mich selbstverständlich, daß eine Regierung versucht, ihre Interessen soweit wie möglich zu wahren. Aber, meine Damen und Herren, meine lieben Kollegen, das muß auch für das Parlament gelten.
Um es zu wiederholen: Nach Ansicht der im Haushaltsausschuß vertretenen Fraktionen soll es das Ziel eines Gesetzentwurfs über den Bundesrechnungshof sein, den Rechnungshof enger an das Parlament heranzuführen und ihm so eine stärkere Unabhängigkeit gegenüber der zu kontrollierenden Exekutive zu geben. Deshalb streben wir eine eindeutige geregelte Beteiligung des Parlaments bei der Nominierung der Kandidaten für das Präsidentenamt und für das Vizepräsidentenamt an. Ich glaube, wir sollten jeden Eindruck vermeiden und peinlichst darauf bedacht sein zu verhindern, daß sich der Kontrollierte, d. h. in diesem Fall die Regierung, den Kontrolleur, repräsentiert durch den Präsidenten und den Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofes, selbst aussucht.
Meine Damen und Herren, vor wenigen Monaten hat dieses Haus in der Debatte über das Selbstverständnis des Deutschen Bundestages eine Stärkung der gesetzgebenden Körperschaft gefordert. Sie, Herr Dr. Barzel, haben damals unter dem Beifall
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Frau Seiler-Albringdes ganzen Hauses ausgeführt: Wir nehmen immer noch hin, daß der Präsident des Bundesrechnungshofes nicht von uns, sondern von der Bundesregierung ausgesucht wird. — Wenn wir die Forderung nach einer Stärkung des Selbstverständnisses des Parlamentes ernst meinen, kann der Lösungsvorschlag der Regierung nicht das letzte Wort sein.Ein Teil der Anregungen meiner Fraktion findet sich in dem vorgelegten Gesetzentwurf der Bundesregierung wieder, andere wichtige Forderungen sind nicht erfüllt worden — wir werden bei der Beratung in den zuständigen Ausschüssen darauf zurückkommen —, wobei beide Gesetzentwürfe, sowohl der Gesetzentwurf der Bundesregierung als auch der Gesetzentwurf der SPD, hilfreiche Beratungsunterlagen sein werden. Beide Gesetzentwürfe enthalten in einigen Fällen Regelungen, die für mein Dafürhalten noch verbessert werden können. Lassen Sie mich dies an einigen wenigen Beispielen deutlich machen. Ich nenne beispielsweise das Quorum. Im Entwurf der SPD ist ein Quorum von zwei Dritteln vorgesehen. Das ist nach meinem Dafürhalten zu hoch, während die in dem von der Bundesregierung erarbeiteten Gesetzentwurf vorgesehene einfache Mehrheit für mich nicht ausreichend sein wird. Ich glaube, wir sollten versuchen, uns darauf zu verständigen, zur Kanzlermehrheit zu kommen.Weiterhin halte ich die im Regierungsentwurf vorgesehene Mitwirkung des Bundesrats nicht für zwingend. Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes hat erwiesen: Bei Verfassungsjuristen ist es unstreitig, daß hier ausschließlich der Deutsche Bundestag gefragt ist.So gibt es noch eine Reihe von Änderungswünschen, die wir in den nächsten Wochen im Haushaltsausschuß und im Rechnungsprüfungsausschuß in der dort üblichen guten Zusammenarbeit aller Fraktionen ansprechen und regeln sollten. Wenn es mit der Forderung bezüglich des Selbstverständnisses des Deutschen Bundestags allen ernst gemeint war, so kann ich mir vorstellen, Herr Esters, daß wir hier tatsächlich zu einer gemeinsamen Lösung kommen können.Meine Kollegen von der SPD, ein wenig verwundert hat mich, daß Sie uns unterstellten, wir wollten den Gesetzentwurf verschleppen. Das wollen wir natürlich nicht. Wir wollen tatsächlich einen Gesetzentwurf so zeitig haben, daß wir die anstehende Wahl des Präsidenten des Bundesrechnungshofs im September nach dem neuen Gesetz durchführen können.Ich möchte noch kurz einen Gedanken ansprechen, der in der öffentlichen Diskussion immer wieder eine Rolle spielt und der auch vom Bund der Steuerzahler immer wieder in die Debatte eingeführt wird, nämlich den Gedanken, einen öffentlichen Ankläger zu installieren und einen gesonderten Tatbestand der Amtsuntreue im Strafgesetzbuch zu schaffen, um die Verschwendung öffentlicher Gelder besser in den Griff zu bekommen. Dies ist aber, so populär das natürlich auf den ersten Blick sein mag, nach meiner Auffassung der falsche Weg. Die vorhandenen rechtlichen Bestimmungen sowohl im Strafrecht als auch im Disziplinarrecht reichen aus.Mit einer Stärkung des Rechnungshofs und einer Beschleunigung der Prüfung, auf die wir weiterhin drängen werden — diesbezüglich sind wir auch bereits ein gutes Stück vorangekommen —, können wir auf diesem Gebiet mehr erreichen als durch zusätzliche Behörden und zusätzliche Straftatbestände im Gesetz.Meine Damen und Herren, alle Fraktionen des Deutschen Bundestags — ich glaube, das kann man auch für die Fraktion der GRÜNEN sagen — wollen einen effizienten, modernen, personell erstklassig besetzten, unabhängigen Rechnungshof. Wir erwarten aber auch, daß der Bundesrechnungshof — und dieses sage ich mit allem Respekt, aber sehr deutlich — bei seiner Prüfungstätigkeit jeden Zweifel an seiner Neutralität vermeidet.
Der Bundesrechnungshof ist weder das Instrument der Regierung noch ist er das Instrument der Opposition. Er soll ein unabhängiger und starker Partner des Parlaments sein. Dieses zu erreichen wird Ziel unserer Arbeit in den Ausschüssen sein. Die Verabschiedung eines Gesetzes über den Bundesrechnungshof wird, meine Damen und Herren, auch ein Gradmesser für das Selbstverständnis dieses Hauses sein.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kleinert .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Soviel Einigkeit wie in dieser Debatte findet sich in diesem Hause ausgesprochen selten.
In der Tat: Auch ich sehe eine Reihe von Gemeinsamkeiten in dem, was die Vorredner hier mit ihren Bemerkungen zum Ausdruck gebracht haben.
Wenn Herr Friedmann festgestellt hat, daß es beim Rechnungshof um eine Institution geht, die für eine funktionierende Demokratie von grundsätzlicher Bedeutung ist, dann muß ich ihm ausdrücklich zustimmen. Ich will das jetzt zum Anlaß nehmen, ein paar grundsätzliche Bemerkungen zum Thema Rechnungshof zu machen.Die Überprüfung der wirtschaftlichen Handlungen der Exekutive ist derart zeitaufwendig und derart kompliziert, daß die Parlamentarier eine solche Überprüfung nicht ohne die Hilfe einer zusätzlichen Prüfungsbehörde leisten können. Das gilt ganz besonders in einer Zeit, in der Verwaltungsvorgänge oft nur unter Zuhilfenahme von fachwissenschaftlichen Erkenntnissen überhaupt noch durchschaubar sind. Wie sollte beispielsweise das Parlament die Kostensteigerungen beim Großklinikum in Aachen, den verordneten Schrumpfkurs für
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Kleinert
die Bundesbahn oder etwa die Wirtschaftlichkeit der Verkabelungspolitik beurteilen, wenn nicht mit der Hilfe der Arbeitskapazität und des Fachwissens der Rechnungshöfe? Herr Kollege Friedmann, Sie kennen sich ja besonders gut aus, was die Wirtschaftlichkeit der Verkabelungspolitik betrifft.Leider aber — das muß ich in diesem Zusammenhang in dieser Debatte der großen Übereinstimmung auch feststellen — werden diese Möglichkeiten nicht oder mitunter jedenfalls nur mangelhaft genutzt, weil sich dieses Parlament bislang teilweise selber die Hände gebunden hat und weil das dazu führt, daß die Bedeutung des Bundesrechnungshofes in der politischen Praxis nicht dem entspricht, was der Bundesrechnungshof in der politischen Theorie an Bedeutung eigentlich haben sollte.
Ich sehe dafür drei Gründe. Der Bundesrechnungshof prüft in aller Regel Vorgänge, die administrativ und politisch schon abgeschlossen sind, d. h. wo das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Der Rechnungsprüfungsausschuß des Parlaments behandelt diese Vorgänge meistens erst einige Jahre später, wenn sie die politische Öffentlichkeit nicht mehr interessieren und die Verantwortlichen, wie das oft der Fall ist, längst die Treppe hochgefallen sind oder sich im Ruhestand befinden.
Der zweite Punkt. Die Regierungsentscheidungen werden in aller Regel von der Parlamentsmehrheit auch dann abgesegnet, wenn sie unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten nicht verantwortbar sind. Dafür gibt es eine Reihe von Beispielen. Ich will den Schnellen Brüter in Kalkar und den RheinMain-Donau-Kanal anführen. Es gibt auch noch andere Projekte. In der Regel ist es leider so, daß die Fraktionsdisziplin von oben nach unten, von Regierung und Fraktionsspitze auf die einzelnen Abgeordneten fast immer stärker ist als die wirtschaftliche Vernunft.
— Das ist kein Käse. Schauen Sie sich doch einmal die Erfahrungen an. Auch das ist ein Grund dafür, weshalb der Rechnungshof nicht die Rolle spielt, die er eigentlich spielen könnte.
— Ach, Herr Bötsch, wir haben Freitagmittag; ersparen Sie mir doch jetzt noch eine Polemik Ihnen gegenüber anzubringen. Ich wollte jetzt zum Ende kommen.Ich will auch dafür ein Beispiel nennen. Die verschiedenen Vorstöße des Kollegen Dr. Friedmann z. B. in Sachen Breitbandverkabelung, die ich ausgesprochen sympathisch finde, haben zwar dazu geführt, daß die Verkabelungsprogramme des Postministers vom Rechnungshof unter die Lupe genommen worden sind, und diese Vorstöße haben zu einem Prüfungsbericht geführt, der sehr eindringlich klargemacht hat, welch maßlose Verschwendung von Steuergeldern mit der Verkabelung getrieben wird. Aber was ist die politische Konsequenz daraus gewesen? Die politische Konsequenz ist bis zum heutigen Tag die, daß der Herr SchwarzSchilling immer noch in Amt und Würden sitzt, daß die Bundesrepublik weiter verkabelt wird und daß in manchen Gegenden inzwischen zwangsverkabelt wird. Man muß schon sagen: Die politische Konsequenz daraus wird nicht gezogen.Ein dritter Punkt der Kritik muß dort ansetzen, wo die Opposition in der Regel keine Möglichkeit hat, einen Prüfungsauftrag an den Rechnungshof zu vergeben. Das führt zu einer Benachteiligung der Opposition gegenüber einer sowieso schon übermächtigen Verwaltung. Auch das ist ein Problem des Rechnungshofswesens.
Nun liegen hier zwei Gesetzentwürfe vor, die eine Reform der Organisation des Rechnungshofes betreffen. Die grundsätzliche Intention der Entwürfe, die auf eine Stärkung der Kompetenzen des Parlaments im Verfahren der Rechnungsprüfung hinauslaufen, begrüßen wir. Das gilt besonders für den SPD-Entwurf, der den Präsidenten und den Vizepräsidenten von einer Zweidrittelmehrheit des Bundestages gewählt sehen will und das Vorschlagsrecht bei den Fraktionen und nicht bei der Bundesregierung ansiedelt, wie das die Regierungsfraktionen wollen. Hier muß ich ausdrücklich dem Kollegen Esters zustimmen.Meines Erachtens müßte jedoch eine Reihe von weiteren Punkten berücksichtigt werden, wenn der Rechnungshof tatsächlich zu einem effektiven Kontrollinstrument werden soll. So sollte jede Fraktion des Bundestages künftig das Recht haben, Prüfungsaufträge an den Rechnungshof zu vergeben. Um Überlastungen zu vermeiden, könnte man die Zahl der jährlichen Aufträge kontingentieren. Der Rechnungshof sollte viel stärker als bisher auch schon zur Prüfung laufender Projekte und nicht nur zur Prüfung von schon abgeschlossenen Projekten eingesetzt werden,
und er sollte schließlich nicht nur die finanziellen Auswirkungen von schon getätigten Investitionen, sondern auch die finanziellen Auswirkungen von unterlassenen Investitionen untersuchen.
Er sollte beispielsweise untersuchen, welche zusätzlichen Belastungen für künftige Bundeshaushalte auch dadurch entstehen können, daß heute dringend notwendige Investitionen, z. B. zur Bekämpfung des Waldsterbens oder zur Sanierung der Bundesbahn, unterlassen werden.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
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Schließlich sind wir der Auffassung, daß die Prüfungsberichte des Rechnungshofes im Grundsatz der Öffentlichkeit zugänglich sein sollten.
Meine Damen und Herren, der Rechnungshof ist ein wichtiges Instrument für eine funktionierende demokratische Kontrolle. Deshalb ist es auch nur folgerichtig, wenn er stärker in die Nähe des Parlaments und der Fraktionen gerückt wird. Der dadurch mögliche Gewinn an effektiver Kontrollmöglichkeit gegenüber der Regierung muß verbunden werden mit einer größeren Transparenz und mit stärkeren Möglichkeiten der Einflußnahme für die einzelnen Fraktionen. Eine Reform, die in diese Richtung geht, wird unsere Zustimmung finden.
Vielen Dank.
Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Herrn Dr. Voss, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein neues Gesetz über den Bundesrechnungshof ist überfällig. Hierin besteht Einigkeit; denn es ist leider in mehr als zehn Jahren nicht gelungen, versäumt worden — auf die Gründe will ich hier nicht eingehen —, die veralteten und zum Teil durch Zeitablauf überholten Vorschriften über den Bundesrechnungshof zu überarbeiten und damit den Forderungen einer modernen Finanzkontrolle gerecht zu werden.Diesem Zustand vermag, Herr Kollege Esters, leider der vorliegende Gesetzentwurf Ihrer Fraktion nicht ganz gerecht zu werden; er vermag ihn nicht zu beheben. Der Koalitionsentwurf unterscheidet sich doch in drei wesentlichen Punkten von Ihrem Entwurf. Ich will diese Punkte, obwohl sie bereits angedeutet worden sind, noch einmal kurz aufführen.Erstens sieht der Koalitionsentwurf vor, daß Präsident und Vizepräsident auf Vorschlag der Bundesregierung von Bundestag und Bundesrat gewählt werden. Der SPD-Entwurf sieht dagegen eine Wahl alleine durch den Bundestag mit Zweidrittelmehrheit und das Vorschlagsrecht der Fraktionen oder einer bestimmten Anzahl von Abgeordneten vor. Der Bundesrat hat aber — Herr Kollege Friedmann, Sie haben darauf bereits hingewiesen — im Oktober vorigen Jahres mit einem einstimmigen Beschluß vorsorglich darauf hingewiesen, daß er bei einer Änderung des Bestellungsverfahrens im Verhältnis zum Bundestag gleichgewichtig mitwirken wolle. Der Finanzausschuß des Bundesrates hat dies mit einer entsprechenden Beschlußempfehlung für die heutige Bundesratssitzung, in der der Regierungsentwurf zum Rechnungshofgesetz im ersten Durchgang beraten wird, noch einmal ausdrücklich bekräftigt. Wir haben dieser Forderung, die wir für zutreffend halten, Rechnung getragen.Der SPD-Entwurf will weder dem Bundesrat noch der Bundesregierung eine Beteiligung am Bestellungsverfahren einräumen. Aber nach Meinung der Bundesregierung obliegt ihr das Vorschlagsrecht, weil der Bundesrechnungshof sowohl der Exekutive als auch der Legislative zu dienen hat. Deshalb ist ein einvernehmliches Zusammenwirken aller beteiligten Verfassungsorgane bei der Bestellung der Leitung des Bundesrechnungshofes erforderlich. Bevor die Bundesregierung ihren Personalvorschlag beschließt und ihn dem Parlament zuleitet, wird sie sich zur Vorabklärung mit dem Haushaltsausschuß des Bundestages und, Herr Kollege Esters, auch mit dem Finanzausschuß des Bundesrates ins Benehmen setzen. Dies sieht ein entsprechender Kabinettsbeschluß ausdrücklich vor.Auf diese Weise soll sichergestellt werden und wird nach meiner Auffassung auch sichergestellt, daß der Vorschlag eine Mehrheit im Parlament — sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat — finden wird. Die Ernennung erfolgt nach dem Koalitionsentwurf durch den Bundespräsidenten, im Gegensatz zu Ihrem Entwurf, Herr Kollege Esters, in dem die Ernennungskompetenz dem Bundestagspräsidenten eingeräumt wird. Der SPD-Entwurf setzt auch in diesem Punkt nach unserer Auffassung die Fehlbeurteilung der Stellung des Bundesrechnungshofes, und zwar konsequent, fort. Die Beteiligung der gesetzgebenden Körperschaften an der Bestellung des Präsidenten und des Vizepräsidenten verändert nämlich nicht deren Rechtsstellung als Beamte. Die Befugnis zur Ernennung von Beamten obliegt nach unserem Grundgesetz, nämlich Art. 60, aber alleine dem Bundespräsidenten.Lassen Sie mich eine zweite Bemerkung machen und hier darauf hinweisen, daß der Koalitionsentwurf die Bedeutung herausstellt, die der Unterstützung des Bundestages, des Bundesrates und der Bundesregierung durch den Bundesrechnungshof bei anstehenden Entscheidungen zukommt. Es war ja ein besonderes Anliegen der Kollegen im Haushaltsausschuß — das ist hier bereits angeklungen —, mehr Unterstützung durch den Bundesrechnungshof insbesondere bei zukunftsorientierten, finanzwirksamen Maßnahmen zu erfahren. Der Bundesrechnungshof sollte in die Lage versetzt werden, möglichst gegenwartsnah zu prüfen, um dazu beizutragen, Fehlentscheidungen und finanzielle Nachteile zu vermeiden.
Deshalb soll der Bundesrechnungshof für bestimmte Maßnahmen besondere übergreifende Arbeits- und Entscheidungsgremien bilden können.Der SPD-Entwurf enthält dagegen eine Regelung, nach der Beratungs- und Prüfungsersuchen des Bundestages vom Bundesrechnungshof vorrangig berücksichtigt werden.
Er verkennt leider auch in diesem Punkt die Verfassungslage, wie sie sich aus Art. 114 unseres Grundgesetzes ergibt, meine Damen und Herren, wenn Sie hier zu einer sachgerechten Auslegung kommen. Der Koalitionsentwurf sieht ferner eine ver-
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Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Vossstärkte Mitwirkung des Bundesrechnungshofes bei der Auswahl des Personals. für die Vorprüfungsstellen vor. Hiermit wird den Problemen Rechnung getragen, die sich beim gegenwärtigen System der Vorprüfung ergeben haben.Die Regelung im SPD-Entwurf, die als Leiter einer Vorprüfungsstelle auch einen Beamten des Bundesrechnungshofs als möglich vorsieht, ist dagegen abzulehnen, weil dieser Vorschlag zahlreiche dienst- und organisationsrechtliche Zweifelsfragen in sich birgt. Ohne formale Unterstellung unter den Behördenvorsteher wäre es einem Leiter einer solchen Vorprüfungsstelle rechtlich beispielsweise unmöglich, dienstliche Weisungen, die über das fachliche Weisungsrecht des Bundesrechnungshofs hinausgehen, dem Prüfungsbeamten zu erteilen.Bei zahlreichen anderen Änderungen stimmen die Gesetzentwürfe, wie ich sehr begrüße, überein. Hier ist erstens die Einführung einer Amtszeit von zwölf Jahren für den Präsidenten und den Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofes zu erwähnen. Damit und durch den Ausschluß einer Wiederwahl soll die besondere Stellung des Bundesrechnungshofes und seiner Leitung herausstellt und deren Unabhängigkeit gestärkt werden.Zweitens. Die Regelung, daß entweder Präsident oder der Vizepräsident die Befähigung zum Richteramt haben müssen, ist herauszuheben, denn damit soll die Berufung auch solcher Personen ermöglicht werden, die sich in anderen Bereichen als der Verwaltung eine besondere Qualifikation erworben haben und sich daher für diese Position qualifiziert haben. Hier ist also eindeutig, wie Sie bereits ausgeführt haben, Herr Kollege Friedmann, eine Durchbrechung des bisher zwar nicht im Gesetz, aber in praxi geltenden Juristenmonopols erfolgt.Drittens. Die Herabsetzung der Altersgrenzen für alle Mitglieder des Bundesrechnungshofes auf die geltende Beamtenregelung ist zu erwähnen. Dabei möchte ich betonen, daß dies kein Präjudiz für eine künftige Regelung für die Richter der obersten Bundesgerichte sein soll und sein kann,
weil für die Mitglieder des Bundesrechnungshofes grundsätzlich das Beamtenrecht gilt und die Altersgrenze, Herr Kollege Friedmann, keine Frage der richterlichen Unabhängigkeit ist.Die Bundesregierung begrüßt, meine Damen und Herren, daß der vorliegende, von Abgeordneten der Koalitionsfraktionen eingebrachte Entwurf, der mit dem Regierungsentwurf, wie gesagt, identisch ist, das Gesetzgebungsverfahren beschleunigt. Das ist auch das Ziel, das Sie, Herr Kollege Esters, hier dargelegt haben, wobei ich hier privat sagen darf, daß ich Ihnen besonders dankbar bin, daß Sie der Bundesregierung nicht die Aufgabe auferlegen, ein Übermaß an Selbstverleugnung an den Tag zu legen.Die Bundesregierung strebt an und ist sicher, daß die im Herbst dieses Jahres anstehende Neubestellung des Präsidenten des Bundesrechnungshofes bereits nach dem neuen Recht vorgenommen werden kann.Danke schön.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/2929 und 10/3204 an den Haushaltsausschuß zur federführenden Beratung und an den Innenausschuß zur Mitberatung zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. *)
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften
— Drucksache 10/2876 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsauschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sauter .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Mann, ich freue mich darüber, daß Sie nach kurzer Zugehörigkeit zum Parlament so schnell erkannt haben, daß die Bayern immer vorne sind; das bestätigt sich auch heute wieder. Ich darf dazusagen, Frau Kollegin, daß in Bayern natürlich wiederum die CSU vorne ist.Der Deutsche Bundestag befaßt sich heute zum zweiten Male in dieser Legislaturperiode in erster Lesung mit einem Gesetzentwurf, der dem Schutz des Verbrauchers dienen soll. Bereits im November 1983 hat die SPD-Fraktion in bekannter und erfolgloser Schnellschußmanier den Entwurf eines Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften eingebracht. Dieser Gesetzentwurf konnte inhaltlich nicht befriedigen, da er erkennbar zu weit geht und an den wirklichen Problemen vorbei formuliert ist. Er wurde nicht akzeptiert und konnte somit keine Grundlage für ernsthafte Beratungen darstellen.*) Weitere Überweisung Seite 10148Sauter
Nunmehr haben die Länder einstimmig — ich möchte dies besonders betonen — über den Bundesrat auf Initiative des Freistaates Bayern — Sie sehen, Herr Mann, wiederum war der Freistaat Bayern vorne — eine besser vorbereitete und besser durchdachte Gesetzesinitiative mit dem gleichen Ziel vorgelegt. Dieser Bundesrats-Entwurf ist Gegenstand der heutigen Debatte.Die Verabschiedung einer EG-Richtlinie für Haustürgeschäfte erscheint nach dieser Gesetzesinitiative nicht mehr dringend erforderlich. Dabei muß auch darauf hingewiesen werden, daß dies alles sowieso nur sehr schleppend vorangeht. Falls es in Zukunft doch noch zu einer Richtlinie kommen sollte, sind wir der Ansicht, daß sich diese Richtlinie an unseren Vorstellungen
— beim Auto war es genauso —, also an dem zu verabschiedenden Gesetz zu orientieren hat.Mit dem neuen Gesetz soll dem Kunden im wesentlichen ein auf eine Woche befristetes Widerrufsrecht eingeräumt werden, wenn er durch unseriöse Gewerbetreibende an der Haustüre zum Abschluß von Kaufverträgen überrumpelt oder in anderer Weise unseriös beeinflußt worden ist. Über Einzelheiten des Gesetzes — davon gehe ich aus — werden wir uns im Rechtsausschuß sicher noch eingehend unterhalten.Ich möchte mich hier auf einige grundsätzliche Bemerkungen beschränken.Erstens. Der Entwurf will das berechtigte Anliegen der Verbraucher nach einem besseren Schutz bei Haustürgeschäften verwirklichen. Diese Notwendigkeit ist durch wissenschaftliche Untersuchungen auf der einen Seite und durch Erfahrungen aus der Praxis auf der anderen Seite bestätigt worden. Wir alle wissen, daß bei Vertragsverhandlungen an der Haustür, auf der Straße, am Arbeitsplatz, bei sogenannten Kaffeefahrten oder bei ähnlichen Gelegenheiten die Möglichkeit besteht, sich besonders eingehend mit den Kunden zu befassen. Der Kunde wird in seiner Entscheidung zweifelsohne stärker beeinflußt, wenn er von psychologisch besonders geschulten Verkaufsexperten innerhalb und außerhalb seiner Wohnung zu einem Zeitpunkt auf einen Kaufabschluß angesprochen wird, zu dem er damit nicht rechnet und zu dem er auch nicht darauf eingestellt ist. Es fehlt dann meistens an der für Ladengeschäfte typischen Umkehrmöglichkeit. Der Kunde wird angehalten, sich sofort zu entscheiden. Unseriöse Gewerbetreibende nutzen diese Lage vielfach in mißbräuchlicher Weise zur Überrumpelung oder zur anderweitigen unlauteren Beeinflussung aus. Bei Werbeveranstaltungen wird die Freude über neue menschliche Kontakte, über eine Unterbrechung des Alltags oder über einen bunten Nachmittag ausgenutzt, um für die Einflüsterungen eines besonders geschickten Kundenberaters empfänglich zu werden.In diesen Fällen, in denen der Kunde in seiner rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit überfordert ist oder sich wegen Beweisnot nicht von rechtswidrig herbeigeführten Vertragsabschlüssen lösen kann, soll ihm die Möglichkeit eingeräumt werden, binnen Wochenfrist seine Vertragserklärung zu widerrufen.Warum, so werden manche fragen, sollte in diesen Fällen der Gesetzgeber den Verbraucher eigentlich besser schützen? Kann es nicht dem mündigen Bürger überlassen bleiben, selbst für seine Interessen zu sorgen und vielleicht aus Schaden klug zu werden? Ich glaube, diese Frage beantwortet sich von selbst, wenn der Personenkreis ins Auge gefaßt wird, der hier geschützt werden soll. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen, die Sie im Moment nur noch spärlich vertreten sind — aber man redet immer an die Falschen — —
— Die Kollegen sind nicht spärlich vertreten, Herr Kollege Kleinert, natürlich, nachdem Sie zwischenzeitlich auch da sind. Aber die Kollegen, die nicht da sind, sind spärlich.
Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen, lassen sich an der Haustür sicher keine Heizgeräte andrehen, Daunendecken oder Gesundheitselixiere, ja, ganze Aussteuern oder ähnliches. Sie lassen sich nicht teure Rheumadecken zu überhöhten Preisen aufdrängen, weil Ihre alten Decken angeblich gesundheitsschädlich sind. Sie, meine Damen und Herren, erwerben nicht Badesalze in Mengen, für die Sie keinen Bedarf haben, bzw. in solchen Mengen, mit denen Sie die Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages über Jahre hinweg versorgen könnten,
oder Haushaltsgeräte, die den verlangten Preis nicht wert sind. Sie nehmen auch nicht an zweifelhaften Werbeveranstaltungen teil. Zumindest gilt dies für die Kollegen von vier Parteien in diesem Hause. Bei der fünften Partei weiß ich es nicht. Allenfalls, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat der eine oder andere Kollege in der Vergangenheit vielleicht einmal nach gewissem Drängen bzw. gutem Zureden seine Zustimmung zu einem Gesetz gegeben, wo er sich kurze Zeit später ein Widerrufsrecht gewünscht hätte. Mit dem neuen Gesetz wird in einem solchen Fall allerdings nicht geholfen werden können.Geschützt werden muß natürlich ein anderer Personenkreis. Leidtragende unseriöser Werbeveranstaltungen und Haustürgeschäfte sind ganz besonders ältere Menschen, Menschen, die immer wieder den Verführungskünsten geschickter Verkaufsagenten erliegen, Rentner, die finanzielle Verluste nicht mit Leichtigkeit verschmerzen können. Leidtragende sind auch Bürger, die geschäftlich weniger gewandt sind.Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Grundanliegen des vorliegenden Gesetzentwurfes ist, zu verhindern, daß der Bürger durch unlautere
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985 10143
Sauter
Einflußnahme auf seine Entscheidungsfreiheit unmündig gemacht wird. Diesem Anliegen haben vor der Bundestagswahl die Vorsitzenden der Parteien CDU, CSU, SPD und FDP mehrfach in Erklärungen Rechnung getragen.Lassen Sie mich noch auf einen weiteren Gesichtspunkt hinweisen, der mir persönlich am Herzen liegt. Der Gesetzentwurf richtet sich gegen unseriöse Geschäftemacher. Er richtet sich nicht — das stellt die Gesetzesbegründung ausdrücklich klar — gegen den Direktvertrieb insgesamt. Der Direktvertrieb erfüllt eine volkswirtschaftlich bedeutsame Funktion. Nicht alle Vertreter sind Bauernfänger, ganz im Gegenteil. Die meisten Direktvertriebsfirmen sind seriös und wollen zufriedene Dauerkunden haben. Auch Werbeverkaufsveranstaltungen darf man nicht pauschal verdammen.Es geht ausschließlich um die schwarzen Schafe, die es darauf anlegen, gutgläubigen Menschen mit allen Tricks der modernen Verkaufspsychologie das Geld aus der Tasche zu ziehen. Diesen Herrschaften muß endlich das Handwerk gelegt werden. Sie sollen den Kunden das einräumen müssen, was bei seriösen Firmen fast schon selbstverständlich ist, nämlich eine Woche Bedenkzeit nach Abschluß des Geschäfts.Der vorliegende Gesetzentwurf unternimmt es, den Kundenschutz wesentlich zu verbessern, ohne den Handel übermäßig oder unpraktikabel zu belasten. Damit unterscheidet er sich schon bei oberflächlicher Betrachtung von der SPD-Initiative. Wir werden in den Beratungen nochmals eingehend erörtern, ob der sachliche und persönliche Anwendungsbereich richtig abgegrenzt ist. Dort, wo keine besondere Schutzbedürftigkeit des Kunden besteht, müssen Ausnahmen und Einschränkungen vorgesehen werden.Ohne mich bereits endgültig hier festlegen zu wollen, könnte ich mir denken, daß insbesondere Versicherungsverträge wegen ihrer Besonderheiten aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes herausgenommen werden können.
— Herr Mann, hören Sie in aller Ruhe zu. Dann werden Sie gleich sehen, warum die nicht hineingehören.
— Herr Horacek, Sie können sich darauf verlassen: Ich würde von Ihnen nichts kaufen. Aber umgekehrt könnte es möglich sein.
Es ist wohl zutreffend, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die für das Gesetzgebungsvorhaben maßgeblichen Gründe für den Vertrieb vonVersicherungsverträgen im wesentlichen nicht zutreffen.
Das Zustandekommen von Versicherungsverträgen kann kaum mit dem typischer Haustürgeschäfte gleichgesetzt werden. Für den Kunden kommt der Vertreterbesuch nicht überraschend. Der Vermittler ist vielmehr bestellt bzw. kommt regelmäßig immer wieder. Der Kunde läuft auch nicht Gefahr, die Versicherung zu Hause ungünstiger einzukaufen als in den Geschäftsräumen des Versicherers. Oftmals legt der Kunde auch wegen der Bedeutung des Abschlusses für die ganze Familie Wert auf deren Anwesenheit bei den Verhandlungen, was zu Hause natürlich am besten und am ehesten gewährleistet ist. Nicht vergessen werden darf schließlich, daß die Einführung eines undifferenzierten Widerrufsrechts bei Versicherungsverträgen das meist erwünschte sofortige Wirksamwerden des Versicherungsschutzes verzögern würde bzw. sogar unmöglich machen könnte.Wir werden diese und alle anderen Fragen nüchtern und unvoreingenommen erörtern. Dabei werden wir davon ausgehen, daß dem Bürger durch dieses Gesetz ein Stück mehr Freiheit im Rechtsverkehr verschafft werden soll. Es gilt, die rechtsgeschäftliche Entscheidung zu sichern, nicht, den mündigen Bürger und den Handel zu gängeln.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schwenk .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Sauter hat ja hier schon eine ganze Menge an Inhalt ausgebreitet. Das hatten wir schon öfter. Denn Bayern hat schon in der 7. und 8. Legislaturperiode sich angestrengt und Vorlagen eingebracht, übrigens, sinnvollerweise, nachdem die CDU nicht mehr in der Regierung war. Da waren dann die Entwürfe da.
Jetzt sind sie wiedergekommen.Das sind inzwischen schon bekannte Vorhaben, die wir auch längst hätten verwirklichen können, wenn die politischen Mehrheiten dagewesen wären. Herr Sauter, Sie haben bemängelt, daß nur noch wenige im Saale seien. Aber es sind diejenigen stark im Saale vertreten, auf die es dann ankommt, die Herren — die Damen sind hinausgegangen — von der FDP. Auf die kommt es an, wenn aus der ganzen Sache etwas werden soll. Erste Lesungen veranstalten, Gesetzentwürfe einbringen, in denen schöne Sachen stehen, das können wir leicht haben. Das haben wir auch schon öfter gehabt. Aber ob es nachher auch zu Beratungen mit Verwirklichungswillen kommt, ist schon die nächste Frage.
Ob es dann zur Verabschiedung kommt, wollen wirmal sehen. Vielleicht gelingt es Ihnen in Ihrer
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10144 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985
Dr. Schwenk
neuen Koalition, endlich etwas zu erreichen, was wir in der früheren Koalition nicht haben machen können. Allerdings hat damals auch die politische Unterstützung von Ihrer Seite gefehlt. Sonst hätten wir doch Mehrheiten haben können. Jetzt wollen wir sehen, ob Sie das zustande bringen.Sie haben vorhin gesagt, der SPD-Entwurf sei in Schnellschußmanier vorgelegt worden. So schnell war das schon deshalb nicht, weil die Inhalte schon längst vorgelegen haben. Dann ist wieder eingebracht worden. Wir haben unseren Entwurf um den Schutz vor Kreditwucher erweitert, ein, wie wir wissen, sozialpolitisch immer dringender werdendes Anliegen, das auch behandelt werden muß
und längst hätte behandelt werden können, wenn wir das im Rechtsausschuß schon einmal auf der Tagesordnung gehabt hätten. Wenn das dort gar nicht auf die Tagesordnung kommt, können wir in der ersten Lesung überweisen, so oft wir wollen, es verfällt dann wieder der Diskontinuität.So ganz neu ist das alles nicht. Auch der Deutsche Richterbund hat in seiner Richterzeitung im Februar diesen Jahres darauf hingewiesen: Nun wird es Zeit, daß endlich einmal etwas verabschiedet wird und das nicht immer so weitergeht. — Er hat noch einmal deutlich darauf hingewiesen, daß die Anfechtungsgründe, die im BGB genannt sind, nicht ausreichen. Und er hat auch darauf aufmerksam gemacht — das sind ja Richter, die haben ja ihre praktischen Erfahrungen —, daß die Käufer bei Haustür-, Kaffeegeschäften und was da alles so ist, mit diesen Anfechtungsgründen nicht durchkämen, weil sie in Beweisschwierigkeiten seien. Wenn sie erst einmal unterschrieben haben, kommen sie da nicht wieder heraus. Nachweisen, daß es sich um sittenwidrige Beeinflussung gehandelt hat, können sie eben nicht. Wenn uns der Richterbund erneut wieder mahnt, etwas zu tun, tut er das nicht von ungefähr; denn die Not der Betroffenen kennt er. — Und nun wollen wir einmal sehen, ob wirklich Ernst gemacht wird.Bedauerlich, daß der Justizminister nicht da ist. Er ist auch FDP-Mitglied. Er soll nun mal auf seine Fraktion, auf seine Partei einwirken. Ich war j a ganz überrascht, in der Stellungnahme der Bundesregierung zum Bundesratsentwurf zu lesen, daß Maßnahmen zum Verbraucherschutz dringend erforderlich sind. Dem kann ich nur zustimmen. Nun soll er mal machen, nun soll er seinem Kollegen Wirtschaftsminister — bekanntermaßen j a auch von der FDP — mal die Ellenbogen in die Seite stemmen, damit von dort nicht gebremst, sondern gefördert wird. Denn wir wissen ja genau, daß alle diese ordnungspolitischen Maßnahmen, die im Rechtssektor erforderlich sind, vom Wirtschaftsministerium nicht gefördert werden, sondern abgebremst werden, ob es nun das Maklerrecht ist, ob es Maßnahmen gegen den Kreditwucher sind. Da kann ich eine ganze Latte aufzählen. Von dort kommt nichts. Da heißt es dann — bis in den Wirtschaftsausschuß hinein —, es soll nichts werden. Dann stellt mein Kollege Hans de With eine Anfrage an die Bundesregierung. Dann sagt der Justizminister: Nein, nein, Maklerrecht bleibt auf der Tagesordnung. Das sagt der Justizminister. Aber geschehen wird wieder nichts. Er kann sich nicht durchsetzen.
— Ja, ja, jetzt haben Sie den Koalitionspartner. Sehen Sie mal zu, daß Sie ihn herüberkriegen.Dann haben Sie gesagt: Eine EG-Richtlinie brauchen wir nicht mehr. Gut, wenn wir die Mehrheiten kriegen, so daß wir hier mehr Verbraucherschutz bekommen, dann brauchen wir die auch nicht mehr. Aber wer hat denn bei der EG in Brüssel gebremst? Ich habe hier freundlicherweise die „Nürnberger Nachrichten" vom 7. Juni 1984 überreicht bekommen. Da steht ganz klar drin: Die anderen EG- Diplomaten wollten verbesserten Verbraucherschutz haben, wollten EG-Richtlinien für den Widerruf von Haustürgeschäften, und ausgerechnet die Bundesregierung hat dagegen votiert. Na, wo kommt denn das alles her? 1984! Wir wissen alle, wo es herkommt.
Wenn also hier Ernst gemacht werden soll und nicht bloß wieder in erster Lesung gesagt werden soll, was wir Schönes wollen, was auch die Bayerische Staatsregierung will — wir wissen, daß Sie da einen Referenten haben, der sich um Verbraucherschutz bemüht hat —,
so finden wir das sehr schön. Bloß durchgesetzt wurde nichts. Da sind nun einmal Mehrheiten nötig und nicht schöne Worte. Da kann ich nur sagen — ich wiederhole mich jetzt —, machen Sie mal. Sie haben aufgezählt: Hausfrauen, alte Leute usw. unterliegen dem Druck. Da kommen die Drückerkolonnen, die Leute machen auf, dann ist ein Fuß in der Tür, der geht nicht wieder raus. Ein alerter Verkäufer oder einer, der zum wiederholten Mal erklärt, er komme gerade aus dem Knast, man müsse ihm für seinen Lebensunterhalt helfen — —
— Da brauche ich gar nicht hin. Vielleicht ist bei Ihnen an der Haustür so einer noch nicht gewesen. Bei mir sind sie schon gewesen, das kennen wir alles. Davor können die Leute sich nicht retten. Das haben wir alles aufgezählt. Das stimmt, es ist so. Neuerdings kommen dann „Afrikahilfevereine". Die machen dann auf die Mitleidstour. Da will man für Afrika auch etwa geben und tritt ein. Hinterher hört man, von 10 DM kommt vielleicht eine dort an, das andere geht als Unkosten drauf. Wenn man das erfährt, muß man auch wieder herauskönnen, nicht durch Austritt aus dem Verein — das dauert vielleicht ein Jahr —, sondern sofort.Bedarf gibt es genug, Bedarf hier, Bedarf an anderen Verbraucherschutzgesetzen. Wir wollen hier nicht immer wieder das Hohelied der freien Markt-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985 10145
Dr. Schwenk
wirtschaft hören, wo sich der Tüchtige durchsetzt und den anderen die Hunde beißen, sondern wir wollen auch mal wieder das Soziale aus unserem Verfassungsgebot hervorholen und den nötigen Schutz für diejenigen bringen, die das aus eigener Kraft nicht können.
Herr Sauter, wir nehmen Sie beim Wort. Sehen Sie zu, daß Sie Mehrheiten bekommen. Unsere Unterstützung haben Sie, unsere Forderungen liegen auf dem Tisch. Beratungsstoff ist da. Sehen Sie zu, daß Sie das auf die Tagesordnung kriegen. Der Rechtsausschuß hat anfangs gebummelt, jetzt ist er mit Sachen bis obenhin vollgestopft. Von mir aus können wir auch mal eine Sondersitzung machen, konzentriert auf den Verbraucherschutz, damit wir weiterkommen. Machen Sie das. Wenn wir dann in der dritten Lesung etwas verabschieden und Sie dazu stehen, dann haben wir etwas gemacht. Kommen Sie über!
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert .
Herr Präsident! Sehr verehrte Frau Kollegin! Meine Herren! Wir machen das nicht zum erstenmal. Es ist alles dargelegt worden. Aber ich weiß noch ganz genau, wie ich 1969 hier zum erstenmal im Deutschen Bundestag war und die Regierungserklärung von Willy Brandt gehört habe mit diesem unglaublichen Pathos, das uns damals alle angerührt hat. Ich schäme mich dessen überhaupt nicht, relativiere allerdings einiges von dem, was mir damals einfach so erschienen ist, wie es gesagt wurde, inzwischen erheblich — aus verschiedenen Gründen, die hier nicht ausgeführt werden müssen. Ein wesentlicher Punkt dieser Regierungserklärung war die Figur des mündigen Bürgers. Da müssen wir nun einmal wissen, wie wir es mit diesem mündigen Bürger halten. Ist er nur dann mündig, wenn er Stimmen zur Wahl abgeben soll und das natürlich besonders für die jeweils Gewählten sehr überlegt und weise getan hat, oder ist er auch mündig, wenn es sich um — wir wollen die Sache doch nicht zu sehr aufbauschen — vergleichsweise kleine Geschäfte des täglichen Lebens handelt?
Wie verhält es sich mit den Sonntagsreden? Heute ist der graue Freitag. Am Sonntag heißt es dann wieder: Wir sind gegen die Gesetzesflut. Es gibt eine Beweislast für den, der Gesetze verlangt, daß er nachweist, daß diese Gesetze auch wirklich erforderlich sind. Das ist Sonntag dran.
Ich möchte aber damit schon Freitag praktische Politik machen. Die Freien Demokraten möchten sich überhaupt die ganze Woche an die gleichen Äußerungen halten, und nicht nur am Sonntag: der mündige Bürger und das Stoppen der Gesetzesflut, und am Freitag heißt es dann: „Ach, wir könnten doch versuchen" und „Diese vielen armen Menschen". Das geht dann so weit, daß die Dinge im rein Rechtstechnischen einfach nicht mehr auseinandergehalten werden.
Im letzten Sommer hat eine Kollegin aus der SPD, die ich übrigens sehr schätze, es fertiggekriegt, zu sagen, nur meine besonderen Beziehungen zu einem großen Verlagshaus — die im übrigen in dieser Form keineswegs existieren — führten dazu, daß diese Haustürgeschichte immer wieder gestoppt werde. Da liegt ein Rechtsirrtum zugrunde. Seit 1974 ist durch die Novellierung des Abzahlungsgesetzes geltendes Recht, daß auch die sogenannten Sukzessivlieferungsverträge unter die Abzahlungsgeschäfte fallen. Alles, was an Zeitschriftenabonnements, an Leseringmitgliedschaften und dergleichen Dingen in dieser Republik existiert, fällt seit 1974, seit inzwischen elf Jahren, unter das Abzahlungsgesetz mitsamt der Widerrufsfrist, die hier gefordert wird. Deshalb besteht nicht die geringste Veranlassung, zu glauben, das könne man durch die hier erwogenen Änderungen noch in irgendeiner Weise beeinflussen. Es ist geltendes Recht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schwenk?
Ich bitte darum.
Herr Kollege Kleinert, sind Sie der Auffassung, daß das, was für den Abgeordneten Kleinert ein kleines Geschäft ist, für die Witwe Schulte die gleiche Dimension hat, wenn sie von einer geringen Rente leben muß?
Ich bin nicht davon überzeugt, daß das die gleiche Dimension hat, bin aber der Überzeugung, daß es eine noch gerade vertretbare Dimension haben könnte.
— Wenn man nun der Witwe Schulte — ich glaube, so hieß sie — helfen will, dann sage ich Ihnen ohne den leisesten Hauch von Zynismus, den mir bitte in diesem Zusammenhang keiner unterstellen soll,
es wird der Witwe lange und viele Jahre nichts mehr auf dem Sektor passieren, wenn ihr ausnahmsweise einmal etwas passiert ist. Das ist nämlich immer noch die sicherste Methode, sich auch auf diesem Gebiet durch Erfahrung — anders geht das gar nicht — weiterzuentwickeln.Sie reden hier, nebenbei bemerkt, auch über den Grundsatz der Vertragsfreiheit.
Der Schlenker von Herrn Sauter, der sich hier überhaupt in einer seltsamen Koalition mit Herrn Schwenk befindet, hat mir sehr gefallen: eine Säule geradezu der besonderen freien Marktwirtschaft, die sich im Lande Bayern befinden soll, wenn ich dem Vorsitzenden der dort zuständigen Staatspartei traue, hat einen richtigen Riß in dem Moment bekommen, wo Herr Schwenk ungestraft sagen
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10146 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985
Kleinert
konnte, er sei mit Ihnen einer Meinung — das muß man sich alles einmal vor Augen halten —, und es gehe jetzt mehr um das Soziale als um das Marktwirtschaftliche. Und dazu nicken Sie auch noch verlegen. Da müssen Sie einmal wissen, wie das geht.Sie legen hier jedenfalls Hand an, nachdem — da sind wir doch gar nicht dogmatisch — die wirklich wichtigen Dinge mit der Novellierung des Abzahlungsgesetzes erledigt sind. Fragen Sie doch einmal jemand, was er von Haustürgeschäften hält und warum er dagegen ist. Wissen Sie, was Sie dann hören? Sie hören etwas über Zeitschriftenabonnements. Und ich bemühe mich gerade, Ihnen klarzumachen, daß das seit elf Jahren in dem Sinne gesetzlich geregelt ist, in dem jetzt auch andere Geschäfte geregelt werden sollen. Darüber herrscht einfach rechtliche Unklarheit. Es führt nicht weiter, diese Unklarheit noch zu vergrößern.Otto von Gierke, ein wirklich bedeutender Strafrechtslehrer aus Göttingen — darum hat mich Herr Wolfgramm auch noch einmal auf ihn aufmerksam gemacht — —
— Habe ich Strafrechtler gesagt? Um Gottes willen. Nein, Zivilrechtler. Es bezieht sich j a auf das Zivilrecht, wie Sie, meine Herren Kollegen, sogleich erkennen werden.Otto von Gierke hat seinen Studenten gesagt, was in diesem Zusammenhang stets zu wiederholen wichtig ist: Augen auf, Kauf ist Kauf.
Das ist der entscheidende Gesichtspunkt. Man muß die Vertragstreue da, wo es nicht zwingend anders geboten ist, sehr ernst nehmen. Es ist besser, aus einer schlechten Erfahrung zu lernen, als diesen eben wiederholten Grundsatz zu ändern, als mit immer neuen Gesetzen immer mehr neuen Regelungs- und Schutzbedarf zu erzeugen. Das ist nun einmal unsere Auffassung von der Art, wie sich die Dinge zum Wohle auch der besonders schwachen Teile der Bevölkerung entwickeln können.Es hat j a schon angefangen — das kommt noch hinzu — mit den Ausnahmen. Ausnahmen die Fülle: ob das nun Versicherer sind oder ob das Autoverkäufer sind, weil man doch das neue Auto vorfahren und über den Kauf in der Wohnung des Kunden sprechen muß. Das haben wir schon alles wortreich erklärt bekommen. Da kommt man uns mit einer Fülle von Ausnahmen. Die Gründe sind dafür auch nicht einsehbar.Man sollte doch glauben, daß der einzelne Bürger in seiner eigenen Wohnung so viel Selbständigkeit hat, daß er auch noch so geschickten Überredungskünsten widerstehen kann, jedenfalls wenn es einigermaßen ernst wird.Damit Sie bloß nicht denken, wir wären in dieser Sache engherzig oder dogmatisch festgelegt: Ich könnte mir denken, daß ein anderer Fall, der auch moralisch anders zu beurteilen ist, anders zu bewerten ist, nämlich diese sogenannten Kaffeefahrten, diese Busausflüge, wo nämlich nicht in der eigenenWohnung etwas verkauft wird, da, wo der Kunde das Hausrecht hat, sondern wo unter der Vorgaukelung, man biete eine besonders günstige Reise- und Ausflugsgelegenheit, hinterher der dadurch entstandene gewisse moralische Druck, die Dankbarkeit, die entstanden ist, ausgenutzt wird, um auf fremdem Platz, an ganz anderem Ort und umgeben von vielen anderen, fremden Menschen ein Geschäft zustande zu bringen. Das erscheint mir allerdings schon erheblich bedenklicher und für den Angesprochenen von dem psychologischen Druck her viel beschwerlicher. Darüber könnten wir ja z. B. einmal bei den Beratungen reden, um auch insofern einen zusätzlichen Aspekt zu eröffnen.Im übrigen aber lassen Sie es uns dabei belassen. Wer ein Gesetz vorschlägt, der soll beweisen, daß es ganz dringend erforderlich ist. Dieses ganz bestimmt nicht.
Das Wort hat der Abgeordnete Mann.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Nein, eine Kollegin ist nicht mehr anwesend. Verehrte Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger!
Es ist eine Abgeordnete als Schriftführerin tätig, Herr Kollege.
Ah ja. Verzeihung!Herr Kleinert, ich habe mir die Mühe gemacht, heute morgen in unserer Akte noch mal die Stellungnahme der betroffenen Verbände oder einiger von ihnen einzusehen. Mir ist — um das gleich zu Anfang zu sagen — aufgefallen, daß eine Firma, die, glaube ich, vor allem durch den Verkauf von Staubsaugern bekannt ist, zu diesem Gesetzentwurf fast wörtlich so wie Sie Stellung genommen hat, nämlich: Es ist erklärtes Ziel der Koalitionsparteien, die Gesetzesflut einzudämmen usw. usf.; und dann kommt der mündige Bürger. Und so fürchte ich, wenn ich die Stellungnahme der Bundesregierung lese, wo von grundsätzlicher Zustimmung und aufgeschlossener Prüfung die Rede ist, daß diesem Gesetzentwurf, auch wenn er aus Bayern kommt, Herr Sauter, das traurige Schicksal verschiedener Initiativen, die im Bundestag anhängig gewesen sind, geschehen wird.
— Beschieden sein wird. Vielen Dank!Der Gesetzentwurf — insofern darf ich das Land Bayern, um dessen Initiative über den Bundesrat es hier heute ja geht, ausdrücklich loben —
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985 10147
Mannstellt hier sehr eingehend die Geschichte der verschiedenen Initiativen dar. Ich verweise die Kollegin und die Kollegen deshalb auf die Seiten 8 und 9 der uns vorliegenden Drucksache. Da beginnt es:Der Bundesrat hat auf Antrag Bayerns in der 7. Wahlperiode des Deutschen Bundestages und erneut in der 8. Wahlperiode den Entwurf eines Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften eingebracht .Dann wird auf die EG-Problematik und darauf hingewiesen, daß nun die Zeit gekommen ist, eine nationale deutsche Regelung zu finden.Vielleicht noch zum Grundsatz der Diskontinuität. Der bedeutet auf gut deutsch: Die anhängig gewesenen Gesetzesvorhaben sind erledigt und fallen alle unter den Tisch, wenn sich im Lauf der Beratung Schwierigkeiten ergeben,
Schwierigkeiten, wie sie Herr Kleinert heute sichtbar gemacht und wie sie auch Herr Schwenk angesprochen hat. Wenn nämlich eine kleine feine Partei wie die FDP auf Grund der Interessen der betroffenen Wirtschaft sich hier querlegt, war eine SPD in der Zeit der sozialliberalen Koalition nicht in der Lage und dann wird vermutlich auch eine CDU/CSU nicht in der Lage sein, Herr Sauter,
eine solche nur kleine Verbesserung im Sinne des Verbraucherschutzes durchzusetzen.
— Ich habe nur beschränkte Redezeit.
Ich möchte an die Adresse vor allem von Herrn Kleinert, so sehr auch ich für den mündigen Bürger bin, noch mal ganz kurz deutlich machen, daß hier ein Regelungsbedürfnis besteht. Es handelt sich hier um eine volkswirtschaftlich sehr wesentliche Problematik. Der Umsatz in allen Sparten des Direktvertriebs in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich des Versandhandels wird auf 40 bis 50 Milliarden DM geschätzt. Das stammt aus einer 1982 veröffentlichten, in der Drucksache auf Seite 6 erwähnten Studie von Herrn Gilles. Es geht hier also um Geschäfte — Herr Sauter hat sie im einzelnen mit Phantasie bis zum Badesalz genannt —, die für die betreffenden Bürger von großer Bedeutung sind. Der durchschnittliche Geschäftswert beträgt 500 DM. Es gibt aber auch sehr wohl Haustürgeschäfte über 10 000 DM und mehr, z. B. in der Möbel- und Aussteuerbranche. Dazu gibt es ja das BGH-Urteil von 1982.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kleinert ?
Nein. Vielen Dank. Ich verbitte mir jetzt eine Zwischenfrage.
Herr Kleinert, im Rechtsausschuß bei der Beratung, die hoffentlich sehr bald anberaumt wird, wo ich Sie hoffentlich begrüßen kann, gern immer.Es geht hier also im Sinne von Verbraucherschutz, vor allem des Schutzes bestimmter Gruppen schutzbedürftiger Bürger — und das sind besonders alte Menschen; die Kaffeefahrten haben auch Sie erwähnt — um gravierende Probleme. Da sollte in dieser Wahlperiode etwas passieren. Wir warten auch darauf, wie der Bundeskanzler, der im März 1983 zugesagt hat, hier eine Regelung durchzusetzen, wieder einmal Worte und Taten in Einklang bringt.Ich möchte die Gelegenheit benutzen — und da gebe ich dem Kollegen Kleinert allerdings recht —, auf die viel weitergehenden Probleme hinzuweisen, die bestehen, wenn man wirklich Verbraucherschutz erreichen will. In der Tat gibt das Abzahlungsgesetz in vielen Bereichen, vor allem bei den Zeitschriftenabonnements, sehr wohl schon heute die Möglichkeit und das Recht des Widerrufs binnen einer Woche. — Um mehr geht es j a nicht: nur um eine Woche. Es geht j a auch nur um die schwarzen Schafe. — Nur zeigen alle Untersuchungen, alle Rückmeldungen von den Verbraucherverbänden, daß das einfach nicht funktioniert. Da müssen wir uns Gedanken machen. Ich denke, man sollte auch weiterreichende Initiativen zu einem umfassenden Verbraucherschutz ins Auge fassen und hier nicht nur diese und die Drucksache der SPD beraten.Wir diskutieren bei uns zur Zeit den Entwurf eines Konsumentenkreditgesetzes, die Verabschiedung eines Gesetzes oder eine Initiative, die die finanzielle Sanierung von Bürgern bei Überschuldung regelt. Das kann man sehr wohl in der nächsten Wahlperiode, wo wohl über den Konkurs insgesamt zu reden sein wird, auch mal in den Blick nehmen. Schließlich geht es — das halte ich für sehr wichtig — um den Ausbau und den Aufbau einer umfassenden Rechtsberatung; denn was nutzen uns die tollsten Gesetze, auch dieses Gesetz, wenn das Problem darin besteht — das zeigt sich immer wieder —, daß die Bürger ihre Rechte nicht genügend kennen? Sie wissen nicht, daß sie auch schon heute im Geltungsbereich des Abzahlungsgesetzes, bei Zeitschriftenverträgen, bei Sukzessivverträgen, innerhalb einer Woche widerrufen können. Da muß Abhilfe geschaffen werden. Es werden in jedem Jahr eine Reihe von Milliarden Mark für Werbung ausgegeben. Soweit ich aus dem Kopf weiß, haben die Verbraucherschutzstellen 50 bis 60 Millionen DM, u. a. für solche Aufklärung, zur Verfügung. Das sind die Probleme, mit denen wir uns natürlich auch befassen müssen.Wir meinen also, der Entwurf der SPD wie auch der Entwurf des Bundesrates, der sich, wie ich meine, nicht so sehr davon unterscheidet, sollten zügig beraten werden. Wir werden dazu im Rechtsausschuß im einzelnen Änderungsvorschläge machen,
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10148 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1985
Mannaber wir sollten nicht die eigentlichen Probleme aus dem Blick verlieren, z. B. im Bereich der Ratenkredite, wo dankenswerterweise ebenfalls ein Gesetzentwurf zur Beratung ansteht, der bisher vor uns hergeschoben wurde. Vielleicht können wir in dem Zusammenhang dann noch einmal weiter bohren.Ich möchte zu diesem Gesetzentwurf noch eine aus unserer Sicht besonders problematische Stelle erwähnen. Da unterscheidet sich der bayerische Entwurf von dem SPD-Entwurf. Das ist das Widerrufsrecht, das hinsichtlich des Betrages noch beschränkt werden soll. Was Herr Sauter mit den Versicherungen angesprochen hat, kann ich aus Zeitgründen nicht mehr ansprechen. Wir sind der Meinung, daß man — das sollten wir im Rechtsausschuß im einzelnen tun — überlegen muß, daß die Widerrufsfrist von einer Woche erst dann zu laufen beginnt, wenn nicht nur die Belehrung schriftlich irgendwo im Kleingedruckten erfolgt, sondern auch die Ware den Leuten sozusagen auf den Tisch flattert. Denn es geht hier wirklich um den Schutz von Leuten, die nicht so gewandt sind wie Sie, Herr Kleinert, und ich vielleicht oder wie Juristen, sondern es geht um ein Gesetz für kleine Leute und gegen schwarze Schafe. Da muß man sehen, daß Schriftlichkeit, was die Juristen immer als Regelungsansatz haben, gar nicht viel bringt. Die Leute werden sich oft erst darüber klar, was sie unterschrieben haben, wenn ihnen die Ware tatsächlich auf den Tisch flattert. Unserer Meinung nach ist sehr zu überlegen, ob nicht die Widerrufsfrist von einer Woche — das scheint uns durchaus vertretbar zu sein — beginnt, wenn die Ware beim Kunden, beim Besteller eingeht.Ich möchte noch zu dem Problem des Abzahlungsgesetzes — Herr Kleinert hat das ja angesprochen —, des Widerrufs nach dem Abzahlungsgesetz einige Erfahrungen der Verbraucherschutzverbände und einige Vorschläge vortragen. Wir brauchten da — da müßte das Abzahlungsgesetz überarbeitet werden — erstens einen arbeitsrechtlichen Schutz für die Provisionsvertreter, die heute unter den miesesten Bedingungen ausgebeutet werden. Das ist nämlich oft der tiefere Grund dafür, daß die Leute zu solchen Verträgen gebracht werden. Zweitens brauchen wir ein Kündigungsrecht. Wir denken da an ein dreimonatiges Kündigungsrecht. Nach dem AGB-Gesetz ist die Vertragsdauer regelmäßig zwei Jahre, und das Geschäft und damit auch die Prämien für die Werber — und darin liegt die Ursache für diese miesen Methoden — lohnen sich erst, wenn ein Verbraucher zwei Jahre lang nicht kündigen kann. Gibt es ein früheres Kündigungsrecht, entfällt das Interesse der Buchclubs auch an solchen unlauteren Werbungsmethoden.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß!
Ich komme zum Schluß.
Wir werden, wie ich schon sagte, auf eine zügige Beratung — Herr Sauter, wir nehmen Sie da beim Wort — dieser bayerischen Initiative drängen. Wir werden uns aber nicht darauf beschränken, sondern die weiterreichenden Initiativen z. B. im Rahmen des Gesetzentwurfs der SPD-Fraktion zum Wuchertatbestand an dieser Stelle in die Beratungen einführen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der .Justiz, Herr Erhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schwenk hat gemeint, leider sei der Justizminister nicht da. In Person war er nicht da. Ich war da. Aber ich war — und das will ich Ihnen deutlich sagen —, seitdem ich vor der namentlichen Abstimmung im Saal gewesen bin, für eine Minute herausgegangen. Wenn Sie irgendwem — ob dem Minister oder seinem Vertreter — die Möglichkeit geben, sich vom Leibe losgelöst stets und ständig anwesend zu halten, dann werden wir das auch noch versuchen.
Ein Zweites. Die Bundesregierung hat sich geäußert, wie sie zum Entwurf des Bundesrats steht. Sie hat sich schriftlich geäußert, und zwar vorgelegt vom Justizminister. Sie wissen, daß er sich ebenso wie wir alle an die Äußerungen der Regierung hält. Das heißt, der Tendenz des Gesetzes stimmt die Bundesregierung grundsätzlich zu. Nun muß das Parlament in eigener Zuständigkeit und mit eigener Weisheit sehen, daß es mit dem, was aus dem Parlament und aus dem Bundesrat zur Beratung ansteht, sinnvoll zurecht kommt.
Ich wünsche dabei große Erfolge und bitte gleichzeitig, die anderen Gesetze nicht zu übersehen, die längst vorhanden sind und zur Beratung anstehen, z. B. auch betreffend das Recht des unlauteren Wettbewerbs.
Ich danke dafür, daß Sie so aufmerksam zugehört haben.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/2876 zu überweisen zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Meine Damen und Herren, bei der Beratung der Punkte 14 a und b betreffend das Bundesrechnungshofgesetz — Drucksachen 10/2929 und 10/3204 — ist übersehen worden, daß eine Überweisung zur Mitberatung an den Rechtsausschuß erfolgen sollte. Ich bitte um Verständnis, wenn ich diese Korrektur noch nachhole. — Ich sehe, das Haus ist
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Präsident Dr. Jenningermit diesem Vorschlag des Ältestenrats einverstanden, daß die beiden Gesetzentwürfe zur Mitberatung auch an den Rechtsausschuß überwiesen werden.Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 14. Mai 1985, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.