Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, am 29. Januar starb im Alter von 82 Jahren das frühere Mitglied des Deutschen Bundestages, unser hochgeschätzter Kollege Max Güde.
Max Güde, am 6. Januar 1902 in Donaueschingen geboren, hatte in Heidelberg und Bonn Rechtswissenschaft studiert. Er war zunächst als Staatsanwalt in Mosbach, danach als Amtsrichter in Bruchsal und schließlich lange Jahre als Leiter des Amtsgerichts in Wolfach tätig. Nach Rückkehr aus dem Krieg wurde er Oberstaatsanwalt in Konstanz, bis man ihn 1950 in die Bundesanwaltschaft berief, wo er die politische Abteilung leitete. Vor seiner Berufung zum Oberbundesanwalt war er für kürzere Zeit Senatspräsident am Bundesgerichtshof. Von 1956 bis 1961 Generalbundesanwalt, wurde er 1961 und 1965 in direkter Wahl in Karlsruhe in den Deutschen Bundestag gewählt, dem er bis 1969 als Mitglied der Fraktion der CDU/CSU angehörte.
Wir erinnern uns gerne dieses hervorragenden und kritischen Juristen, dessen sachliche Leidenschaft, Hingabe und gesetzgeberischer Gestaltungswille ihn zu einem hervorragenden Kollegen machten. Als Vorsitzender des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform nahm Max Güde nicht nur an dieser wesentlichen Reform teil, sondern gestaltete sie aus seiner reichen Erfahrung entscheidend mit.
Ihm wurden zahlreiche Ehrungen zuteil. Er war Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes mit Stern. Er war Ehrendoktor der Juristischen Fakultät der Universität Freiburg.
Unserem früheren Kollegen Max Güde gilt unser fortdauernder Respekt. Wir danken ihm für seine Arbeit und seine Kollegialität. — Ich spreche der Familie und der Fraktion der CDU/CSU meine aufrichtige und herzliche Anteilnahme aus.
Sie haben sich zu Ehren von Max Güde erhoben. Ich danke Ihnen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung um den Zusatzpunkt „Beratung des Antrags der Fraktion der SPD, ,Friede mit der Natur — Für eine umweltverträgliche Industriegesellschaft` — Drucksache 10/974 —" erweitert werden. Dieser Zusatzpunkt soll heute zusammen mit den Punkten 4 bis 17 der Tagesordnung aufgerufen werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung über die Gespräche des Bundeskanzlers in Israel
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dauer von 21/2 Stunden vorgesehen. Ist das Haus auch damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf Einladung von Ministerpräsident Shamir habe ich vom 24. bis 29. Januar Israel meinen ersten offiziellen Besuch abstatten können.Dieser Besuch verfolgte einen doppelten Zweck und hatte einen besonderen Charakter. Nachdem der Besuch eines deutschen Bundeskanzlers in Israel mehr als zehn Jahre und der eines israelischen Ministerpräsidenten in Bonn mehr als acht Jahre zurücklagen, war es an der Zeit, das unmittelbare Gespräch zwischen den Regierungschefs beider Länder wiederaufzunehmen und zu pflegen, um den Beziehungen einen besonderen Impuls zu geben und die Verbundenheit beider Länder auch nach außen sichtbar zu demonstrieren.Außerdem ging es mir darum, mir selbst bald nach Amtsantritt ein vom eigenen Augenschein geprägtes Bild von der für uns so lebenswichtigen Nahostregion zu machen. Zu diesem Zweck habe ich Israel und wichtige arabische Länder besucht und dadurch zugleich die in meiner Regierunsgserklärung verkündete Absicht verwirklicht, die freundschaftlichen Beziehungen zu Israel zu vertiefen und unsere traditionelle Freundschaft mit der arabischen Welt weiter auszubauen. Wie Sie wissen, hat sich die jetzige Reihenfolge meiner Besuche im
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3726 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Bundeskanzler Dr. KohlNahen Osten durch eine einvernehmliche Verschiebung meiner Israelreise ergeben.Beide Zwecke — der bilaterale und der regionalpolitische — wurden durch meinen Besuch erreicht. Durch ausführliche intensive Gespräche mit der israelischen Regierung, vor allem mit Ministerpräsident Shamir, mit den Vertretern der Opposition und ihren Führern, mit Parlamentariern, durch die Begegnung mit den Bürgermeistern von Jerusalem und Tel Aviv, mit Wissenschaftlern von drei Universitäten und wichtigsten wissenschaftlichen Instituten, durch den Besuch eines Kibbuz und die Begegnung mit zahlreichen israelischen Bürgern konnte ich ein lebendiges Bild des heutigen Israel, seiner Menschen, seiner Probleme und auch seiner Besonderheiten gewinnen.Dieser Besuch hat mich aber auch in der mich tief bewegenden nationalen Gedenkstätte für den Holocaust, Yad Vashem, die ich am Tag meiner Ankunft aufgesucht habe, bildhaft mit dem entsetzlichen Leid konfrontiert, das in deutschem Namen dem jüdischen Volke angetan wurde. Diese schreckliche Vergangenheit, ein Teil unserer deutschen Geschichte, war bei allen meiner zahlreichen Gespräche — ausgesprochen oder unausgesprochen — gegenwärtig.
— Ich weiß nicht, was diese Bemerkung soll. Aber wenn das in diesem Teil meiner Rede Ihr Einwand ist, dann muß ich Ihnen sagen: Sie sind nicht frei von Heuchelei. Ich sage das so deutlich.
Bei jeder Rede eines deutschen Bundeskanzlers müssen Sie doch unterstellen, daß er die Pressefreiheit dieses Landes respektiert, so wie auch bei jeder seiner politischen Aktivitäten. Wenn ein deutscher Bundeskanzler — wie immer er heißt — nach Israel fährt, hat eine solche Reise ein großes publizistisches Interesse. Dementsprechend melden sich sehr viele Publizisten an.
— Einen Augenblick. Seit ich im Amt bin, habe ich zu keinem Zeitpunkt irgendwie ein Auswahlkriterium angelegt, wer da mitfährt und wer nicht, zumal die Damen und Herren, die mitfahren, dies — wie Sie genau wissen — selbst bezahlen.
— Herr Kollege, jetzt lassen Sie mich bitte einmal die Aufklärung geben, bevor Sie diese Art von Unterstellungen fortsetzen, die ja nur die Atmosphäre vergiften. Im Rahmen dieser Aktivitäten hat sich beispielsweise auch Herr Ziesel
um die Mitfahrt beworben. Er ist wie alle anderen, die da mitgefahren sind, selbstverständlich auf seine Kosten gefahren. Sie wissen, wenn die Plätze nicht ausreichen, wird unter den Betreffenden aus-gelost; einmal fliegt einer mit dieser, ein anderes Mal mit jener Maschine. Soviel zum Technischen.Meine Damen und Herren, weil wir gerade bei diesem Thema sind, wollen wir doch einen Moment dabei verweilen. Herr Ziesel ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschland-Stiftung.
Die Deutschland-Stiftung hat ihren Adenauer-Preis wegen besonderer Verdienste um deutsch-jüdische Aussöhnung an Axel Springer verliehen. Sie werden ja nun beim besten Willen nicht sagen können, daß ein Mann, der sich so demonstrativ zur deutschjüdischen Aussöhnung bekannt hat, jetzt in Ihrer Weise charakterisiert werden muß.
— Meine Damen und Herren, was hier unglaublich ist oder nicht, bestimmen nicht Sie, damit das ein für allemal hier ausgetragen wird.
Herr Abgeordneter Ehmke, ich kann Ihnen nur sagen: Sie sind so ziemlich der letzte, der sich als der moralische Richter deutscher Bürger aufspielen darf.
Ich selbst — das will ich bei der Gelegenheit einmal sagen — habe Herrn Ziesel durch sein Buch „Daniel in der Löwengrube" kennengelernt. In diesem Buch beschreibt Ziesel, den ich früher überhaupt gar nicht kannte, den ich erst in diesen Jahren kennengelernt habe — —
— Entschuldigung, hören Sie doch überhaupt einmal zu. — Das Buch ist 1959 erschienen, und damals habe ich Herrn Ziesel kennengelernt.
In dem Buch „Daniel in der Löwengrube" beschreibt Herr Ziesel das Schicksal eines deutschen Offiziers, der, für einen Juden gehalten, in einem Konzentrationslager untergegangen ist.Da ich vermutete, was Sie hier wieder auf den Weg bringen wollen, habe ich mir einmal speziell
die Rezension zu diesem Buch, das Grund meiner Bekanntschaft mit Ziesel in jenen Jahren war, mitgebracht. Herr Abgeordneter, die „Frankfurter Rundschau" schrieb im Oktober 1959 zu diesem Buch, das ja die Position Ziesels zum Judentum noch einmal deutlich herausstellt:Der Autor hat mit Takt, Geschmack und Geist einen in seiner Art bisher einzig dastehenden Beitrag zur jüdisch-christlichen Versöhnung geschrieben, dem Verbreitung und Widerhall zu wünschen wäre.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3727
Bundeskanzler Dr. KohlWas wollen Sie denn mit Ihrer Heuchelei, wenn das die „Frankfurter Rundschau" geschrieben hat?
Meine Damen und Herren von der SPD, das wollen wir einmal ausräumen: Wenn jemand früher bei irgendeiner Organisation der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei war und dann den Weg zu Ihnen fand, dann ist er gereinigt, wenn er nicht zu Ihnen gekommen ist, bleibt er bis ans Ende seines Lebens ein alter Nazi. Diese Heuchelei ist unerträglich!
Einer, der mit 18 Jahren zur Waffen-SS gegangen ist, muß seine Position nach 30 Jahren räumen, aber die anderen, die dorthin gegangen sind und die später mit Ihrem Parteibuch Funktionen erhalten haben, dürfen bleiben. Das ist Ihre Heuchelei.
Ich bedaure diese Diskussion — das sage ich klar und deutlich —, weil ich nach einem sehr nachdenklichen Gespräch mit dem Kollegen Willy Brandt vor einigen Wochen genau über dieses sehr prinzipielle Thema hoffte, daß wir eine vernünftige Sprachregelung miteinander finden. Aber bitte hören Sie auf mit dieser Form von moralischer Beckmesserei, die Ihnen überhaupt nicht zusteht.
Meine Damen und Herren, ich will zum Thema zurückkehren, das in der Tat sehr viel wichtiger ist.
— Entschuldigung, Herr Kollege. Die Äußerung von Herrn Galinski ist eine Äußerung, die Herr Galinski mit sich ausmachen muß.
— Aber ich bitte Sie nun wirklich — —
Herr Bundeskanzler, ich darf Sie einen Augenblick unterbrechen. — Ich bitte doch, die Regierungserklärung wieder in den Rahmen zurückzuführen, der notwendig ist.
Ich muß Ihnen sagen: Wenn Herr Galinski etwas anzumerken hat, dann kann er das mit mir ausmachen;
da brauche ich Sie nicht als Dolmetscher.
Ich will noch etwas anderes sagen: Unter den Gästen, die ich eingeladen habe, befand sich der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Herr Nachmann. Er war bei vielen Gesprächen dabei; Sie können sich mit ihm darüber unterhalten. Es fanden sich weiter: der Dichter Reiner Kunze, der Bildhauer Gernot Rumpf, der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Professor Seibold, der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Erik Blumenfeld, der stellvertretende DGB-Vorsitzende Gustav Fehrenbach, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugendverbände, Pfarrer Eltzner,
und, meine Damen und Herren, da Herr Springer aus gesundheitlichen Gründen nicht bereit war, in dieser Zeit zu reisen, ein Mann seines Vertrauens, Matthias Walden.
— Meine Damen und Herren, was Sie für Urteile über Herrn Walden abgeben, ist völlig belanglos.
Die Meinungen, die Sie in Ihren Charakterisierungen über deutsche Mitbürger abgeben, sind völlig belanglos. Über das, was Sie hier vortragen, ist die Geschichte in Wahrheit längst hinweggegangen.
Wenn ich die schneidenden Töne Ihrer Redner hier so anhöre, dann kommen, wenn man die Augen schließt und in die Geschichte zurückblickt, die Erinnerungen wirklich hoch.
Meine Damen und Herren, ich sagte: Wer als Deutscher, wer als deutscher Bundeskanzler nach Israel reist, hat in seinem Gepäck die Geschichte. Der Besuch der nationalen Gedenkstätte für den Holocaust, Yad Vashem, konfrontiert jeden von uns mit dem entsetzlichen Leid, das dem jüdischen Volk in deutschem Namen angetan wurde. Ich habe mich in Israel, wie ich das auch hier tue, selbstverständlich zu unserer Geschichte und damit auch zu unserer Verantwortung bekannt. Aber ich habe in Israel gesagt, wie ich dies hier auch sage, daß wir den
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3728 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Bundeskanzler Dr. KohlBlick nicht ausschließlich auf die schrecklichen Jahre 1933 bis 1945 richten dürfen. Zur deutschjüdischen Geschichte gehören auch viele Jahre der Gemeinsamkeit in einem Vaterland, dessen geistige und kulturelle Existenz ohne den jüdischen Beitrag undenkbar gewesen wäre.Aus der Geschichte lernen, meine Damen und Herren, heißt, daß sie uns auch in ihren Höhen und Tiefen immer bewußt bleiben muß, wir aber im Blick nach vorn versuchen müssen, die Zukunft, vor allem die Zukunft der jungen Generation, die in beiden Ländern heranwächst, zu sichern.Durch den Wechsel der Generationen ist aus unserem, durch die Vergangenheit bedingten Sonderverhältnis immer mehr ein normales Verhältnis geworden, das allerdings — auch das möchte ich hier wie in Israel unterstreichen — seine besondere moralische Grundlage und Herausforderung behält.Politischer Mittelpunkt meines Besuchs waren meine vielstündigen Gespräche mit Ministerpräsident Shamir bei fünf ausführlichen Begegnungen. Wir haben alle Themen eingehend erörtert, die unsere beiden Völker heute bewegen, und haben, wie sich dies für Freunde gehört, ganz offen miteinander gesprochen. Die Gespräche waren sehr eindringlich, sehr ernst, aber — ich zitiere Herrn Shamir aus seiner Schlußerklärung — „in der Atmosphäre sehr freundlich".Jede Seite war bemüht, ruhig und ohne Schärfe um Verständnis für den eigenen Standpunkt zu werben. Ich glaube, man darf sagen, daß das gegenseitige Verständnis in diesen Gesprächen bei allen — auch kontroversen — Themen vertieft werden konnte. Ministerpräsident Shamir und ich waren uns auch einig, daß beide Seiten, die Bundesrepublik wie Israel, an einem guten und engen Verhältnis interessiert sind, daß wir es fortentwickeln und intensivieren und daß wir zu diesem Zweck in engem Kontakt miteinander arbeiten wollen.Das Spektrum der von uns zu behandelnden Themen war selbstverständlich breit. Neben bilateralen und Fragen des Verhältnisses Israels zur Europäischen Gemeinschaft nach ihrer Süderweiterung, die Israel stark beschäftigen, ging es vor allem um den Nahen Osten, aber auch um das Ost-West-Verhältnis und die uns besonders berührende Problematik der Abrüstung und Rüstungsbegrenzung. Wie zu erwarten war, haben Ministerpräsident Shamir wie auch alle meine anderen Gesprächspartner mir Ihre Sorgen über mögliche deutsche Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien sehr eindringlich vorgetragen.In den zwei Universitäten und im WeizmannInstitut rühmten alle israelischen Wissenschaftler den lebhaften und fruchtbaren wissenschaftlichen Austausch zwischen unseren beiden Ländern, der sicherlich zu den wertvollsten Elementen unserer Beziehungen gehört.Zum Nahen Osten habe ich die Ihnen j a bekannten Positionen der Europäischen Gemeinschaft vertreten und dabei betont, daß wir Deutsche aus unserer historischen Verantwortung heraus mit besonderem Nachdruck für gesicherte und anerkannte Grenzen Israels eintreten. Ich habe den Friedenswillen gewürdigt, den Israel durch den Abschluß des Friedensvertrags mit Ägypten und die Räumung des Sinai, die in Israel als ein ganz großes Opfer empfunden wird, unter Beweis gestellt hat. Ich habe aber — und keinen, der sich mit den Problemen der Nahostregion befaßt hat, kann das überraschen — zur Frage der Lösung des Nahostproblems auch Auffassungen vertreten und vertreten müssen, die in Israel nicht gern gehört wurden.Ich habe in den von mir im Herbst besuchten drei arabischen Ländern und jetzt in Israel mit einer Zunge gesprochen. Ich habe auch in Jerusalem die drei Kernprinzipien der europäischen Nahostpolitik — die wechselseitige Anerkennung der Existenz- und Sicherheitsrechte aller Staaten der Region, das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes und den Gewaltverzicht — vorgetragen. Auf den immer wieder vorgebrachten israelischen Einwand, das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser führe zur Zerstörung Israels, habe ich klargestellt, daß es nicht absolut und sozusagen im luftleeren Raum, sondern natürlich nur im Rahmen einer ausgehandelten Friedenslösung verwirklicht werden kann, der alle — ich betone: alle, d. h. immer auch Israel — Konfliktbeteiligten vorher zustimmen müssen. Ich habe — in Jerusalem wie vorher schon in Amman, Kairo und Djidda — beides, die einseitige Schaffung von Tatsachen in den besetzten Gebieten wie die Weigerung der arabischen Staaten, Israel eindeutig anzuerkennen, als Friedenshindernis bezeichnet.Ich habe dazu aufgerufen, die in der Initiative des amerikanischen Präsidenten vom 1. September 1982 und in den Beschlüssen von Fes enthaltenen Chancen zu nutzen, um den Friedensprozeß wieder in Gang zu setzen. Ich habe — und dieser Punkt ist mir besonders wichtig — an alle Konfliktparteien appelliert, direkt miteinander zu verhandeln.In meinen Gesprächen mit Ministerpräsident Shamir habe ich die große Bedeutung der gemäßigten Araber für die Herbeiführung eines umfassenden, gerechten und dauerhaften Friedens im Nahen Osten unterstrichen. Je stärker und damit je selbstbewußter und unanfechtbarer die Gemäßigten sind, desto eher können sie von der von ihnen bereits bewiesenen Friedensbereitschaft den Schritt, der nötig ist, zu konkreter Verhandlungs- und Lösungsbereitschaft tun. Es darf daher nichts getan werden, um die gemäßigten Araber zu schwächen oder schwach zu halten.Bei aller Verantwortung für die Sicherheit Israels bleibt es ein Teil der Nahostregion, die in ihrer Gesamtheit, meine Damen und Herren, für uns politisch, wirtschaftlich und sicherheitspolitisch von entscheidender, von vitaler Bedeutung ist. Ich habe daher in meinen Gesprächen und auch öffentlich in Jerusalem gesagt, daß es für uns Deutsche, daß es für uns Europäer wichtig ist, eine realistische und ausgewogene Politik gegenüber allen Staaten der Region zu verfolgen. Bei dieser Politik, die auch zu einem umfassenden und dauerhaften Frieden im Nahen Osten beitragen soll, werden vor allem auch
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3729
Bundeskanzler Dr. Kohlwir Deutsche eng mit den Vereinigten Staaten von Amerika zusammenarbeiten.
In der Frage möglicher Rüstungslieferungen an das Königreich Saudi-Arabien habe ich die Gelegenheit des Besuchs genutzt, mich eingehend über die israelische Haltung zu unterrichten. Ich werde das, was ich gehört habe, bei der Entscheidung berücksichtigen, die in Bonn zu treffen ist — aus unserer Verantwortung und aus unserer Überzeugung heraus und in Berücksichtigung der legitimen Interessen aller unserer Freunde in der Region.
Ich habe Saudi-Arabien in den Gesamtzusammenhang der westlichen Interessen gestellt, der nicht durch eine Blickverengung auf den Rüstungsaspekt aus dem Auge verloren werden darf. Ich war mir bei meinen Gesprächen in Djidda der Sicherheit Israels bewußt und habe ihr Rechnung getragen. Ich bin davon überzeugt, daß keines der Waffensysteme, die möglicherweise an Saudi-Arabien geliefert werden, jemals bei einem Angriff gegen Israel zum Einsatz kommt. Diese Frage ist von großer, von entscheidender Bedeutung und wird bei den zu treffenden Entscheidungen eine ganz große Rolle spielen.Die Verständigung über die Einbeziehung von Fragen des Verteidigungsbereichs, die in Djidda erörterten Möglichkeiten der Lieferung deutscher Rüstungsgüter für die Verteidigung beziehen sich auf die Sicherheit Saudi-Arabiens in seiner engsten und unmittelbarsten Umgebung. Diese Verständigung ist Ausdruck unseres vitalen Interesses an der Stabilität der Golfregion, das wir mit dem gesamten Westen teilen. Die USA, Frankreich und Großbritannien tragen diesem Interesse durch enge Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigung mit Saudi-Arabien bereits Rechnung. Das Ergebnis — auch das will ich deutlich sagen — meiner Gespräche in Saudi-Arabien ändert nichts daran, daß die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung auch künftig restriktiv bleibt.Meine politischen Gespräche in Israel haben gezeigt, daß es im beiderseitigen Interesse liegt, die Beziehungen noch weiter zu intensivieren und auszubauen. Zu den vielen deutsch-israelischen Gemeinsamkeiten gehört, daß beide Länder gar nicht genug Freunde haben können. Und wie können wir genug Freunde haben, wenn wir nicht bei uns beginnen, wenn wir uns unserer gemeinsamen Freundschaft zu dritten Ländern bedienen, um Fragen auszutragen, die wir eigentlich miteinander ausmachen müssen?Ein Thema, das von allen israelischen Gesprächspartnern immer wieder mit großem Ernst und mit Sorge vorgetragen wurde, waren die israelischen Sorgen im Hinblick auf die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft mit dem Beitritt von Spanien und Portugal. Diese geradezu existentielle Sorge hat mich tief beeindruckt, und ich habe Ministerpräsident Shamir zugesagt, mich persönlich — wie ich das letzten Donnerstag im Gespräch mit Präsident Mitterrand bereits getan habe — bei unseren europäischen Partnern und Freunden dafür einzusetzen, daß im Zusammenhang mit dem Beitritt Spaniens und Portugals zu der Gemeinschaft auch die wirtschaftlichen Lebensinteressen Israels berücksichtigt werden — so, wie wir uns schon in der Vergangenheit in der Europäischen Gemeinschaft mit besonderem Nachdruck für Israel eingesetzt haben. Ich denke, das ist auch ein gelebter Teil unserer Freundschaft.
Meine Damen und Herren, über diesen Besuch in Israel ist verständlicherweise viel geredet und geschrieben worden. Natürlich war dies keine landläufige Begegnung zwischen zwei Regierungschefs von Ländern, die miteinander keinerlei Probleme, sich aber auch nicht viel zu sagen haben. Hinter uns und Israel steht eine schreckliche Vergangenheit, für die wir Deutsche historische Verantwortung tragen. Aber hinter uns steht auch ein Werk des geduldigen Aufbaus von Kontakten, Beziehungen und Verbindungen, das von Konrad Adenauer und David Ben Gurion begonnen und — dies betone ich — von allen Bundesregierungen fortgesetzt wurde und heute so weit gediehen ist, daß kein Staat in Europa so viele partnerschaftliche Beziehungen zwischen Gemeinden, Städten und Gruppen der Gesellschaft mit Israel unterhält wie die Bundesrepublik Deutschland.Partnerschaft heißt wahrlich nicht, daß man keine Probleme hat. Gerade das Vertrauen, das unter Partnern herrscht, ermöglicht es, sie besonders offen zu erörtern. Ich bin dankbar für die Herzlichkeit und die vielen Beweise der Freundschaft, die mir bei meinem langen Besuch in Israel erwiesen wurden. Ich bin genauso dankbar für die Offenheit und den Freimut, die namentlich Ministerpräsident Shamir mir entgegengebracht hat und die es uns beiden ermöglicht hat, auch streitige Themen ruhig und sachlich miteinander zu besprechen. Ich bin — aus eigener Überzeugung und durch den Weg meines Lebens geprägt — als Freund nach Israel gegangen, und ich habe Israel als Freund und in der Hoffnung verlassen, daß Deutsche und Israelis in die Zukunft gerichtet zusammenarbeiten können und werden — für eine gemeinsame glückliche Zukunft, vor allem der jungen Generationen unserer beiden Länder. Das ist der Wille, das ist die Politik der Bundesregierung, und dafür werde ich mich auch persönlich einsetzen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Dr. Ehmke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als der Bundeskanzler in der letzten Januarwoche zu seiner Reise nach Israel aufbrach, hat die SPD-Bundestagsfraktion ihm den guten Wunsch mit auf den Weg gegeben, daß es ihm gelingen möge, die engen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel zu erhalten und zu festigen. Angesichts der Lasten der deutsch-jüdischen Geschichte müssen
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3730 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Dr. Ehmke
wir, gerade was Israel betrifft, alle daran interessiert sein, daß sich die Beziehungen unabhängig vom Wechsel der Regierungen freundschaftlich weiterentwickeln.Den schwierigen Anfang eines Aussöhnungsprozesses haben Ende der 50er Jahre Konrad Adenauer und David Ben Gurion unternommen. Der Besuch von Willy Brandt in Israel 1973 erfolgte im gleichen Geiste. Beide, Konrad Adenauer und Willy Brandt, haben gegen Hitler gestanden. Beide haben die These von einer deutschen Kollektivschuld zurückgewiesen, und beide haben doch gewußt und es ihre israelischen Gesprächspartner spüren lassen, daß sich kein deutscher Politiker außerhalb dessen stellen kann, was Theodor Heuss, dessen wir vor kurzem hier in so eindrucksvoller und würdiger Weise gedacht haben, die „Kollektivscham der Deutschen" genannt hat.Sie, Herr Bundeskanzler, haben sich auch in Israel auf Konrad Adenauer berufen, in Wirklichkeit haben Sie sich aber hinter ihm versteckt. Die Art, in der Sie, auf Ihr Geburtsdatum pochend, in Israel das, was Sie „Unbefangenheit" nennen, praktiziert, ja zelebriert haben, hat mit Adenauer so wenig zu tun wie mit Willy Brandt.
Das hat sehr viele Beobachter in Israel und außerhalb Israels beklommen gemacht. Ihr Geburtsdatum ist kein Verdienst und gestattet Ihnen jedenfalls als politischem Repräsentanten unseres Volkes nicht, sich bei allen gegenteiligen Lippenbekenntnissen individuell dann doch außerhalb des geschichtlichen Zusammenhangs unseres Volkes zu stellen.
Es ist dieses Sich-geschichtlich-unbetroffen-Geben, das Ihre Ansprachen in Israel — ich habe sie im Bulletin alle noch einmal nachgelesen — teilweise bis zur Würdelosigkeit banal wirken läßt.
Ich empfehle Ihnen, meine Kollegen von der CDU, nur einmal den Passus in der Rede des Bundeskanzlers vor der Knesset nachzulesen, in dem die Fragen der Geschichte und des deutsch-jüdischen Verhältnisses in der Geschichte auf Blutbande und Erbanlagen gestützt werden. Mich hat Ihr Auftreten vor der Knesset — —
Herr Abgeordneter Ehmke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohl?
Nein, ich wollte erst das Zitat vorlesen, bevor der Abgeordnete Kohl eine Chance hat, mich zu dem Zitat zu befragen.
Ich habe hier das Bulletin vom 2. Februar 1984: Der Besuch des Bundeskanzlers im Staate Israel:
Besuch in der Knesset
Bundeskanzler ... Kohl erwiderte die Begrüßungsworte des Knesset-Präsidenten ... mit folgender Ansprache:
— ich darf mit freundlicher Genehmigung des Herr Präsidenten zitieren —
Zwar ist hier, wie bei uns zu Hause, eine neue Generation herangewachsen — über 60 Prozent der heute in der Bundesrepublik lebenden Deutschen sind nach Hitler geboren und aufgewachsen —, aber es ist wie in der eigenen Familie: ob man mit all dem einverstanden ist, was die, die vor einem waren, getan haben oder nicht, man kann sich nicht lossagen,
— und nun kommt der von mir kritisierte Teil —
man trägt das Blut der Familie, die Erbanlage. Alles das fließt auch in eine spätere Generation ein.
Und deswegen ist es klar, daß man sich hier der Geschichte stellt.
Ich sage Ihnen dazu, Herr Bundeskanzler, ich halte es schon generell für sehr falsch, Geschichte auf Blutsbande und Erbanlage zu stützen; in Israel halte ich es für unmöglich!
Herr Abgeordneter Ehmke, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber selbstverständlich.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Kohl.
Herr Abgeordneter Ehmke, sind Sie als erstes bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich nicht in der Knesset gesprochen habe, sondern daß ich im Rahmen meines Knessetbesuches eine Diskussion mit 15 führenden Abgeordneten der verschiedensten Fraktionen hatte?
— Entschuldigung, wir wollen doch jetzt aufklären; ich weiß, das es Ihnen nicht darum geht.
Zweitens, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß dies ein Auszug aus einer über einstündigen Debatte ist, der natürlich total verkürzt ist?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3731
Dr. KohlUnd zum dritten, Herr Abgeordneter Ehmke, sind Sie bereit, mir zuzustimmen, daß natürlich der Zusammenhang zwischen dem Blut- und Traditionsstrom einer Familie und dem eines Volkes nicht abwegig ist?
Herr Bundeskanzler, ich stelle erstens fest, Sie haben doch in der Knesset gesprochen. Ich stelle zweitens fest, mein Zitat ist richtig,
und ich stelle drittens fest, Herr Bundeskanzler, es ist so peinlich — es ist nicht die einzige Stelle, die peinlich ist —, daß ich Ihnen leider sagen muß,
Ihr Auftreten in Israel hat mich weniger an Konrad Adenauer als an die Nahostauftritte Wilhelms II erinnert.
Aber Schlimmeres, Herr Bundeskanzler, kam leider hinzu. Sie sind in Israel zum Beispiel auf die Entscheidung Ihres Innenministers Zimmermann angesprochen worden,
die sogenannte Hilfsgemeinschaft ehemaliger SS-Leute von der Liste verfassungsfeindlicher Organisationen zu streichen.
Sie, Herr Bundeskanzler, der Sie in Bonn
diese Entscheidung als Regierungschef mit getragen haben, wußten nichts Besseres zu tun, als sich unter Verdrehung der Fragestellung auf Willy Brandt zu berufen,
dessen Verdienste für das deutsch-israelische Verhältnis Sie übrigens in Israel nicht mit einem einzigen Wort gewürdigt haben.
Herr Kollege Kohl, ein Bundeskanzler, der so in Israel auftritt
und sich dann hinter anderen versteckt, der mehrt das Ansehen der Bundesrepublik nicht.
Herr Bundeskanzler, lassen Sie mich Ihnen in aller Ruhe sagen: Es ehrt einen Bundeskanzler auch nicht, wenn er in einer Erklärung über einen
Israel-Besuch die einzige lebhafte, gefühlsmäßige Erregung beim Thema Ziesel zeigt.
Und den Vorwurf der Heuchelei, Herr Bundeskanzler, muß ich Ihnen nun leider zurückgeben. Ich erlebe das hier nicht zum erstenmal, daß Sie in Anspielung auf die Tatsache, daß ich als Pimpf in der Hitlerjugend war, meinen, mir hier vorhalten zu können, ich hätte keinen moralischen Anspruch, Kritik an Ihnen zu üben.
Ähnliches ist mit Helmut Schmidt versucht worden. Ich sage Ihnen: Für eine Unionspartei, die einen PG zum Bundeskanzler vorgeschlagen hat, ist das Heuchelei.
Ich darf Sie daran erinnern, daß wir — —
Herr Abgeordneter Ehmke, ich möchte gern für Ihre Ausführungen um mehr Aufmerksamkeit bitten. Darf ich bitten, die Zwischenrufe zurückzuschrauben.
Ich darf Sie daran erinnern, daß diese Wahl von uns nicht kritisiert worden ist. Ich selbst habe mich sogar ausführlich dazu geäußert, warum das möglich sein muß. Ich darf Sie daran erinnern, daß der erste leidenschaftliche Kritiker des Entnazifizierungsgebarens der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher war.Nein, Herr Bundeskanzler, darüber bestehen bei uns keine Meinungsverschiedenheiten. Nur, Herr Bundeskanzler, verwechseln Sie leider die Frage der formellen Verstrickung in das Unrechtsregime mit dem, worum es im Fall Ziesel geht. Und das, glaube ich, hat der „Vorwärts" gestern so gut formuliert,
daß ich mit freundlicher Genehmigung des Herrn Präsidenten das hier verlesen will:Wie kein anderer war [Herr Ziesel] geeignet zu belegen: Der Kanzler kennt die Geschichte. Er, der Vertreter des neuen Deutschland.Kurt Ziesel, ... ein Mann des Wortes. Schon 1934 hat er „das Emporkommen des jüdischen Untermenschentums" beklagt und das „viehische Morden und sinnlose Rasen eines entfesselten Pöbels, hinter dem der Anpeitscher, der internationale Jude, grinsend hockt".Ein Mann, der am 3. 9. 1944 im „Völkischen Beobachter", Wiener Ausgabe, zum Attentat auf Hitler fragte: „An welchem Abgrund menschlicher Verworfenheit oder geistiger Umnachtung müssen jene Ehrgeizlinge gestanden haben, als
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3732 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Dr. Ehmke
sie, wider den Geist des ganzen Volkes sündigend, die Hand gegen den Führer erhoben." Ziesel, ein Mann, den man mitnimmt, wenn man als „Enkel Adenauers" in das Land David Ben Gurions reist.Herr Bundeskanzler, ich muß Ihnen sagen, wie es gestern Willy Brandt in der Debatte um die Affäre Wörner/Kohl gesagt hat: Wir halten es für ziemlich unerträglich, einen Bundeskanzler zu haben, der zwar ständig von der geistig-politischen Erneuerung spricht, dem dafür aber offenbar alle Maßstäbe fehlen.
Frau Kollegin Renger wird auf diese geistig-politischen und geistig-moralischen Fragen des deutsch-jüdischen Verhältnisses und unseres Verhältnisses zum Staat Israel im Verlauf der Debatte noch zurückkommen.Ich wende mich jetzt der Tatsache zu, daß das Auftreten des Bundeskanzlers in Israel zusätzlich durch das belastet worden ist, was er für deutsche Nahostpolitik hält und worin wir einen schlimmen außenpolitischen Dilettantismus sehen müssen.
Ich spreche von den Waffenlieferungen und von der „Zusammenarbeit in Fragen des Verteidigungsbereichs", die der Herr Bundeskanzler bei seinem Besuch im Oktober 1983
unter Bruch mit der bisherigen deutschen Außenpolitik der Regierung Saudi-Arabiens versprochen hat.
— Herr Waigel, Sie hören noch sehr viele unangenehme Geschichten in dieser Sache. Halten Sie doch einmal die Luft an, bis ich zu Ende bin.
Dieses Versprechen des Bundeskanzlers hat seinen Besuch in Israel zusätzlich überschattet. Herr Bundeskanzler, die negative Reaktion des israelischen Regierungschefs wie die negative Reaktion des israelischen Oppositionsführers, aber auch eine so eindeutige Verurteilung eines so langjährigen Freundes der Bundesrepublik wie des ersten israelischen Botschafters in Bonn Asher Ben Nathan sind nicht mit fixen Sprüchen eines Herrn Möllemann aus der Welt zu schaffen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das wird die Bundesregierung und uns alle noch lange und in einer sehr bitteren Weise beschäftigen.
Herr Bundeskanzler, Sie haben in keiner Ihrer zahlreichen Ansprachen in Israel die Frage deutscher Waffenlieferungen an Saudi-Arabien öffentlich angesprochen. Nur in Ihrer Abschlußpressekonferenz in Jerusalem, die übrigens auch nicht von Peinlichkeiten frei war, haben Sie es getan, um dann den Kommentar hinzuzufügen: Deutsche Politik wird in Bonn entschieden.
Das ist ein lobenswerter Grundsatz, den wir allerdings statt bei dieser Gelegenheit in Israel lieber öfter einmal bei Ihren Besuchen in Washington hören würden. Ich komme darauf noch zurück.
Aber, Herr Bundeskanzler, wir stimmen in der Tat mit Ihnen darin überein:
Auch über unsere Nahostpolitik müssen wir selber entscheiden,
auch über israelische Politik müssen wir uns ein eigenes Urteil bilden.
Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ist es für jede Bundesregierung und für jeden Bundeskanzler schwer, deutsche Kritik an israelischer Politik vorzubringen.Die Regierung der sozialliberalen Koalition war daher gut beraten, unsere Nahostpolitik, beginnend mit der gemeinsamen Erklärung von Venedig 1980, in die europäische Politik gegenüber dem Nahen Osten einzubinden. Unsere Politik war von der Überzeugung geleitet, daß die Völker des Nahen Ostens nichts dringender brauchen — der furchtbare Krieg im Libanon zeigt es erneut — als den Frieden, daß sie Wohlstand nur durch Zusammenarbeit erreichen können und daß daher das Existenzrecht Israels von allen anerkannt werden muß wie umgekehrt das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser. Wir müssen unser besonderes politisches Verhältnis zu Israel wie unsere traditionelle Freundschaft zu den arabischen Völkern für eine friedliche Lösung des Konflikts im Nahen Osten in die Waagschale werfen, d. h. wir müssen auch in jener Region für einen Gewaltverzicht eintreten.Wir müssen daher auch mit unseren europäischen Partnern den israelischen Freunden sagen, daß wir an den Erklärungen 242 und 338 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen festhalten, daß wir die völkerrechtswidrige Besetzung fremden Territoriums ebensowenig billigen können wie die israelische Siedlungspolitik in diesen Gebieten. Wir mußten den israelischen Einmarsch in den Libanon verurteilen und erst recht die dort von sich christlich nennenden Milizen angerichteten Massaker in palästinensischen Flüchtlingslagern. Das alles macht für uns deutsche Nahostpolitik auch im europäischen Rahmen unendlich schwer.Wir Sozialdemokraten kennen das nicht nur aus unserer Regierungsverantwortung, sondern wir kennen das auch aus vielen, langen und oft unend-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3733
Dr. Ehmke
lich schwierigen Diskussionen mit unserer israelischen Bruderpartei. Würden Sie, Herr Bundeskanzler, wegen des Vertretens dieser Positionen in Israel getadelt werden, Sie könnten unseres Beistandes sicher sein.
Aber Israel kennt unsere Position ja auch seit langem. Und glücklicherweise, Herr Bundeskanzler, sind j a auch in Israel selbst die Kräfte im schnellen Wachsen begriffen, die verstanden haben, daß Frieden nicht allein mit Waffen erworben werden kann.
Aber, Herr Bundeskanzler, in Wirklichkeit ist doch die Politik des letzten halben Jahres — und ich sage: Ihre Politik, Herr Bundeskanzler; denn der Herr Außenminister scheint sich ja aus der Nahostpolitik abgemeldet zu haben — eher durch ein Abweichen von der gemeinsamen europäischen Linie und eine Annäherung an die amerikanische Linie bestimmt. Die amerikanische Position betont das bilaterale Verhältnis, ja, man sagt sogar: das „strategische Bündnis" zwischen den Vereinigten Staaten und Israel und die militärische Position Israels im östlichen Mittelmeer. Die amerikanische Politik nimmt dafür Kritik und Mißtrauen der gemäßigten arabischen Staaten in Kauf. Gerade weil aber in den arabischen Ländern — und nicht nur im Jahr einer amerikanischen Wahl — der Eindruck besteht, die Vereinigten Staaten wollten oder könnten gar nicht wirklich auf Israel einwirken, ist hier eine selbständige politische Linie Europas von um so größerer Bedeutung.Dabei verkenne ich nicht die Leistung, die das Camp-David-Abkommen unter Unterstützung des großen ägyptischen Staatsmanns Sadat für eine entscheidende Verbesserung des israelisch-ägyptischen Verhältnisses gebracht hat. Aber darüber hinaus hat dieser Ansatz nicht tragen können. Die tragischen Ereignisse im Libanon in diesen Tagen zeigen, daß eine amerikanische Politik der einseitigen Lösung der Nahostprobleme zum Scheitern verurteilt ist.Präsident Reagan hat daher in seiner Rede vom 16. Januar 1984 vor Beginn der Stockholmer Konferenz der Sowjetunion in wenig verklausulierter Form die Wiederaufnahme von Gesprächen über eine gemeinsam getragene Lösung der Nahostprobleme angeboten, was nicht die Rückkehr zur Genfer Nahostkonferenz bedeuten müßte. Herr Bundeskanzler, Sie waren eine Woche später in Israel, und Sie hätten in dieser Rede von Präsident Reagan einen hervorragenden Ansatzpunkt gehabt, die europäische Linie mit um so größerem Nachdruck zu vertreten. Diese Fragen haben aber nicht im Mittelpunkt Ihres Israelbesuchs gestanden.
Dabei hatte der Europäische Rat zu Beginn der deutschen Präsidentschaft mit seiner Erklärung vom 22. März 1983 die Ziele der europäischen Nahostpolitik noch einmal klar unterstrichen. Die Bundesregierung hat dann aber keinerlei Initiativen ergriffen. Im Schlußbericht des Außenministers vom 29. Juni 1983 gibt es nur einen erneuten Hinweis auf die Venedig-Erklärung von 1980. In Ihrem Abschlußbericht, Herr Bundeskanzler, am Ende der deutschen Präsidentschaft, kam der Nahe Osten mit keinem Wort mehr vor.Aber nicht nur das. Die Bundesregierung hat z. B. darauf gedrängt, daß die Regierungen Westeuropas an der Genfer UNO-Konferenz zur Palästinafrage im August 1983 gar nicht oder nur als Beobachter teilnahmen. Die Europäische Regionalkonferenz, die die UNO-Konferenz vorbereiten sollte, hat die Bundesregierung boykottiert. Aber, Herr Bundeskanzler und Herr Bundesaußenminister, zum Dialog und zur Aussöhnung gehören doch beide Seiten.Während die Bundesregierung also in dieser für den Frieden im Nahen Osten entscheidenden Frage eher eine Absetzbewegung von der europäischen Linie eingeleitet zu haben scheint, haben Sie, Herr Bundeskanzler, unser Verhältnis zu Israel, ja, unsere ganze Nahostpolitik mit Ihren Versprechungen an Saudi-Arabien im militärischen Bereich unheilvoll belastet. Was unter der vagen Formel „Zusammenarbeit in Fragen des Verteidigungsbereichs" zu verstehen ist, haben Sie bis heute konkret nicht erklären können. Sie kennen die israelischen Besorgnisse über das, was dahinterstecken könnte.
An Ihrer Zusage, Saudi-Arabien deutsche Rüstungsgüter zu verkaufen, einem Land, das sich mit Israel nicht nur in einem Krieg, sondern in einem „heiligen islamischen Krieg" befindet, ist nicht zu deuteln. Aus Kreisen der Bundesregierung — jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Waigel; wenn Sie einen Augenblick die Zeitung weglegen —
ist insbesondere durch den Sprecher der Bundesregierung sowohl nach der Rückkehr des Bundeskanzlers aus Saudi-Arabien als auch noch in Israel selbst mit Andeutungen hantiert worden, Sie, Herr Bundeskanzler, seien ja in der Frage der Waffenlieferungen an Saudi-Arabien durch die Vorgängerregierung gebunden gewesen.
Herr Bundeskanzler, diese Behauptung ist unwahr. Sie selbst haben in unserer Diskussion im Auswärtigen Ausschuß nach Ihrer Rückkehr aus Saudi-Arabien bestätigt, daß der Regierung Saudi-Arabiens am 10. Juni 1982 durch den deutschen Botschafter in Saudi-Arabien offiziell mitgeteilt worden ist, daß ihren Lieferungswünschen nicht entsprochen werden kann. Es ist bemängelt worden, daß die Absage nur auf Botschafterebene erfolgt ist. Aber, Herr Bundeskanzler, insoweit halten Sie sich
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3734 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Dr. Ehmke
bitte an den Bundesaußenminister, der ja jetzt Ihr Bundesaußenminister ist.Nein, Herr Bundeskanzler, Sie waren in dieser Frage durch die sozialliberale Regierung nicht gebunden, Sie waren vielmehr durch eine lange Diskussion, die schließlich zur Absage geführt hat, in allen Einzelheiten gewarnt.
Natürlich haben wir den saudi-arabischen Wunsch ernst genommen. Wir nehmen Wünsche von Freunden ernst.
Wir schulden Saudi-Arabien in vieler Hinsicht Dank, z. B. für die Hilfe auf dem Kreditgebiet.
Meine Damen und Herren, es ist ja auch ganz eindeutig, daß Saudi-Arabien, ganz abgesehen vom arabisch-israelischen Konflikt, vor erheblichen Sicherheitsproblemen steht. Das gilt für die Golfregion wie gegenüber dem Jemen. Daher war es richtig, diesen Wunsch zu prüfen, der ja nicht unbegründet ist.Wir sind aber nach eingehender Diskussion in der Bundestagsfraktion — darüber gibt es übrigens einen öffentlich zugänglichen Bericht — zu der Überzeugung gekommen, daß die Lieferung der gewünschten Waffen an Saudi-Arabien im Endergebnis unsere Nahostpolitik lähmen müßte und daher weder in unserem noch im saudi-arabischen Interesse liegen könne, vom israelischen Interesse gar nicht zu sprechen.
Herr Außenminister, bei der Vertretung dieser Linie in meiner Fraktion hat es mir damals sehr geholfen, Sie in unbeirrter Weise in dieser Frage an meiner Seite zu wissen. Es hat mich auch gefreut, daß wir schließlich auch den Kanzleramtsminister, unseren Freund Hans-Jürgen Wischnewski, einen engen und aufrichtigen Freund der arabischen Völker, für unsere Überzeugung haben gewinnen können. Diese Überzeugung beruhte und beruht auf folgenden Gründen:Einmal ist es sehr fraglich, ob eine Politik der militärischen Zusammenarbeit im Sinne einer pro-westlichen Stabilisierung den vielschichtigen Interessen- und Konfliktlagen des Nahen Ostens überhaupt gerecht würde.Zweitens scheint es uns sicher zu sein, daß eine Aufgabe der bisher relativ restriktiven Waffenexportpolitik der Bundesrepublik gerade in der Region des Nahen Ostens nur zu Schwierigkeiten und Peinlichkeiten führen kann.Waffenlieferungen an Saudi-Arabien, zumal so weitgefaßte Versprechungen, wie Sie, Herr Bundeskanzler, sie in Riad unterschrieben haben, werden außerdem unvermeidlich weitere Wünsche nach sich ziehen, z. B. den Wunsch nach Ausbildung an diesen und nach Ausbildern für diese Waffen. Das aber müßte die Bundesrepublik in zusätzliche Schwierigkeiten führen.Es würden aber auch andere Staaten der Region Wünsche nach deutschen Waffen anmelden. So werden heute schon öffentlich Ägypten, Jordanien und der Sudan genannt, und die Bundesregierung hat es in ihrer Antwort vom 14. Dezember 1983 auf Bundestagsdrucksache 10/815 auf eine Kleine Anfrage der GRÜNEN zu Waffenlieferungen in den Nahen Osten auch nicht ausgeschlossen, daß auch an diese Länder Waffen geliefert werden.
Diese arabischen Länder müßten sich auch zurückgesetzt fühlen, wenn sie anders als Saudi-Arabien behandelt würden. Umgekehrt: Liefern wir auch diesen arabischen Ländern Waffen, wird die israelische Besorgnis, die jetzt schon bei der Möglichkeit von Waffenlieferungen an Saudi-Arabien groß genug ist, noch unendlich wachsen. Dieses Dilemma ist auch nicht durch wirtschaftliche Kompensationen an Israel zu beseitigen. Schon in bezug auf das Verhältnis von Israel zur EG im Lichte des EG-Beitritts von Portugal und Spanien dürfte der Herr Bundeskanzler in Jerusalem den Mund eher zu voll genommen haben.Eine Kompensation durch Waffenlieferungen an Israel kann erst recht nicht in Frage kommen; denn das würde uns — dies ist der entscheidende politische Grund für unsere Haltung — aus der Rolle eines beiden Seiten freundschaftlich verbundenen Helfers für eine friedliche Lösung der schwierigen Fragen zu einem indirekten militärischen Teilnehmer auf beiden Seiten des Krieges machen. Wir dürfen aber nicht einmal auf einer Seite des Nahostkonflikts indirekt militärischer Teilnehmer werden.Nein, wenn wir überhaupt noch im europäischen Rahmen eine friedenstiftende Rolle — und sei sie noch so klein — im Nahen Osten spielen wollen, dann dürfen wir in keiner Form militärisch involviert werden. Wir müssen vielmehr mit unseren europäischen Partnern diplomatisch-politisch und im Rahmen der Mittelmeerpolitik der EG wirtschaftlich zu einer Friedenslösung im Nahen Osten beitragen.Herr Bundeskanzler, diese ganze Diskussion war Ihnen bekannt, als Sie sich im Alleingang, bei Schweigen des Außenministers, zu einem Bruch mit der deutschen Nahostpolitik und mit der deutschen Waffenexportpolitik entschlossen. Sie hielten und halten Waffenlieferungen an Saudi-Arabien offenbar für eine lang gebotene Rückkehr zu dem Grundsatz „business as usual". In der Tat sind die Geschäftsinteressen der deutschen Rüstungslobby die einzigen, denen mit Ihrer außenpolitischen Kursänderung gedient werden würde. Das macht uns doppelt nachdenklich.Vor dem Regierungswechsel von 1982, verehrte Kollegen von der Union, las man es übrigens auch bei Ihnen völlig anders. Als Bundeskanzler Helmut
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Dr. Ehmke
Schmidt mit den Saudis im Frühjahr 1981 die Fragen deutscher Waffenlieferungen erörterte, erklärte das für solche Sachen zuständige CDU-Mitglied Herr Geißler am 3. Mai 1981 in einem Interview mit „Bild am Sonntag" folgendes — ich darf mit freundlicher Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:Das ist eine moralische Ohrfeige für die Sozialdemokratische Partei. Willy Brandt kniete als erster sozialdemokratischer Bundeskanzler im Warschauer Judenghetto nieder. Der zweite SPD-Kanzler will vor den arabischen Feinden Israels und ihrem 01 in die Knie gehen.
Und noch einmal Originalton Geißler:
Die CDU ist und bleibt die Partei der deutschisraelischen Verständigung.
— Ich hoffe, Ihr Beifall nach dem jetzt folgenden Zitat wird noch größer sein, Herr Kollege Dregger.
Weiter Originalton Geißler vom 3. Mai 1981:Ich kann mir nicht vorstellen, daß Konrad Adenauer als Begründer dieser Politik an einen Staat Waffen liefern würde, der wie Saudi-Arabien Israel den heiligen Krieg erklärt hat.
— Ich verstehe ja, daß Sie das stört. Ich verstehe auch, daß Herr Geißler auch in dieser Frage wieder die Kurve gekratzt hat, weil für ihn moralische Argumente nur taktische Instrumente zur Diffamierung des Gegners sind.
Helmut Schmidt gegenüber war das, was Bundeskanzler Kohl jetzt gemacht hat, ein „Niederknien vor den arabischen Feinden und dem arabischen Öl", und jetzt ist es eine große moralische Leistung von Herrn Kohl. Schämen Sie sich doch für dieses Theater!
Besonnenere Mitglieder des Bundeskabinetts haben sich in dieser Sache damals ebenfalls, aber sehr sachlich, in kritischer Art geäußert, darunter der von uns geschätzte Bundesminister der Finanzen. Aber auch diese Kabinettsmitglieder sind seit dem Schwenk von Herrn Kohl verstummt, obwohl Sie,Herr Bundeskanzler, die Frage der Waffenlieferungen an Riad vorher weder mit den europäischen Partnern noch mit Washington abgestimmt haben.Verstummt ist auch mein damaliger Kampfgefährte Hans-Dietrich Genscher. Nach Saudi-Arabien hat er Herrn Möllemann mitgeschickt, der dann in Riad auch an der gemeinsamen Erklärung mit ihren weiten Formulierungen mitgewirkt hat, die nach meinem Erkenntnisstand im Auswärtigen Amt nicht vorbereitet worden war. Nach Israel hat er Ihren Parteifreund, Herr Bundeskanzler, unseren geschätzten Kollegen Mertes, mitgeschickt. Er selber ist auf Tauchstation gegangen.
Es gibt Leute — Herr Kollege Genscher, ich weiß, Sie hören das nicht gerne, wir haben schon darüber gesprochen —, die mir versichern, Sie hätten als Außenminister der sozialliberalen Koalition zur Frage von Waffenlieferungen an Saudi-Arabien gesagt: „Nur über meine Leiche." — Ich weiß nicht, ob das stimmt. Ich war nicht dabei. Vielleicht haben Sie auch nur von Ihrer politischen Leiche gesprochen.
Aber, meine Damen und Herren, was ist das für eine Wahrnehmung deutscher Interessen und was ist das für eine deutsche Bundesregierung, in der sich der Bundeskanzler in außenpolitischem Dilettantismus ergeht und der Bundesaußenminister sich verschweigt?
Herr Bundeskanzler, Sie haben unsere Warnungen vor und nach Ihrem Besuch in Riad in den Wind geschlagen.
Sie haben sich geirrt. Und wenn Sie glauben, Sie wären das Thema mit den Auftritten in Israel losgeworden, denen Sie „Unbefangenheit" testieren, so irren Sie sich erneut. Dafür hat Ihr dilettantischer Alleingang alle Chancen, auch noch in einer Farce zu enden. Ihre Zusage an Riad haben Sie vorher nicht mit den Vereinigten Staaten abgestimmt.
Aber jetzt, nachdem der israelische Ministerpräsident in einer Sitzung seines Kabinetts angekündigt hat, er werde sich wegen Ihrer Zusage an die Saudis in Washington beschweren — ein ungewöhnlicher Vorgang, der klarmacht, welches Verhältnis zwischen Washington und Bonn offenbar in Israel unterstellt wird —,
sprechen nun plötzlich auch Sie von Abstimmung mit den Amerikanern. Die Welt darf jetzt mit einigem Amusement darauf warten, ob Sie auch in Washington den Grundsatz hochhalten werden, daß deutsche Politik in Bonn gemacht wird, oder ob der
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Dr. Ehmke
Musterschüler Präsident Reagans in dieser Frage nachsitzen muß.
Nach der israelischen Presse werden Sie auch aus der amerikanischen Presse noch sehr viel Unfreundliches zu hören bekommen. Sie sind auch sicher noch genauer als ich darüber orientiert, Herr Bundeskanzler, daß im amerikanischen Kongreß ein offener Brief von Kongreßmitgliedern an Sie in dieser Sache in Umlauf ist. Ich nehme an, daß die Ziesel-Meldung die Zahl der Unterschriften stark anschwellen lassen wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es wird ein Scherbenhaufen der deutschen Nahostpolitik und der deutschen Waffenexportpolitik sein. Liefern Sie unter Bruch Ihrer schriftlichen Zusage keine Waffen an Saudi-Arabien, werden Sie nicht nur in jenem Land, sondern in der ganzen arabischen Welt Ihr Gesicht verlieren. Liefern Sie, wie versprochen, die Waffen, werden Sie sich und uns in einen tiefen Konflikt nicht nur mit Israel, sondern auch mit maßgeblichen politischen Kräften der Vereinigten Staaten verstricken. So oder so: Sie werden dem Ansehen und den Interessen der Bundesrepublik Deutschland Schaden zufügen.
Sie sind nicht zu beneiden, Herr Bundeskanzler, wir, die wir mit Ihnen geschlagen sind, noch weniger.
Als Opposition könnte es uns ja scheinbar recht sein, Sie so von Affäre zu Affäre stolpern zu sehen. Als Bürger dieser Republik müssen wir die Unionsparteien, die vor einem Jahr vom Wähler die Regierungsverantwortung übertragen erhalten haben, bitten, diesem beklemmenden Schauspiel möglichst bald ein Ende zu machen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dregger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich ausschließlich dem Thema dieser Debatte zuwenden, der Israel-Reise des Bundeskanzlers und den deutsch-israelischen und deutsch-arabischen Beziehungen. Ich werde dieses Thema nicht zu Polemiken mißbrauchen, die der Würde des Hauses und dem Ernst dieses Themas nicht gerecht werden.
Herr Ehmke, Sie haben heute morgen keinen Beitrag zur deutsch-israelischen Aussöhnung, zum Frieden im Nahen Osten geleistet. Ihre Rede diente auch nicht dem Ansehen des deutschen Volkes.
Herr Präsident, man kann über Israel als Deutscher nicht reden, ohne sich des Holocaust zu erinnern. Er traf eine Religionsgemeinschaft, die über Jahrhunderte hinweg in unserer Mitte gelebt hatte, die zunächst zur Wirtschaft, dann auch zur Wissenschaft und zur Kultur unseres Landes großartige Beiträge geleistet hatte, deren Söhne im Ersten Weltkrieg tapfer für Deutschland gekämpft hatten. Viele deutsche Juden, die sich als deutsche Patrioten empfanden, haben es sich nicht vorstellen können, was ihnen nach 1933 an Niedertracht, an Haß, an Brutalität, aber auch an Verblendung und bodenloser Dummheit — Dummheit gerade auch vom nationalen Interesse der Deutschen her geurteilt — begegnet ist.Zwischen den Glaubensgenossen der Ermordeten und denjenigen, die jetzt nach 2000 Jahren wieder einen jüdischen Staat in Israel aufbauen, steht eine Last, die zu überwinden niemals vollständig gelingen wird, eine Aufgabe, die aber immer wieder anzugehen ist. Von den deutschen Bundeskanzlern haben sich Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Willy Brandt und Helmut Kohl
dieser Aufgabe in besonderer Weise gestellt.
Sie haben es mit Respekt vor den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft getan, zu denen nicht nur Juden gehört haben. Sie haben es mit Respekt vor den außerordentlichen Leistungen der Israelis getan, die ihr Land aus einer Wüste zu einem blühenden Garten gemacht haben, und sie haben es mit Würde und Selbstachtung getan.Vierzig Jahre nach Hitler war es die Aufgabe Helmut Kohls, den Blick beider Völker mehr noch als bisher nach vorn zu richten, ohne das Vergangene dem Vergessen zu überantworten, was in Israel gar nicht möglich wäre und was auch in Deutschland nicht geschehen darf. Ein solcher Wechsel von der Vergangenheitsbewältigung zur Zukunftssicherung verlangt Takt, Einfühlungsvermögen, aber auch Festigkeit. Meine Damen und Herren, Zukunftssicherung schließt unsere historisch begründete Pflicht ein, für das Recht Israels auf Existenz in anerkannten und gesicherten Grenzen einzutreten. Israels Existenz beruht heute vor allem auf der Tapferkeit seiner Soldaten und auf der Hilfe seiner Freunde in der Welt, vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika.Die Bundesrepublik Deutschland hat dazu — anders als die DDR — ihren Beitrag geleistet und wird das auch weiterhin tun. Aber das reicht nicht aus. Ich stimme dem später ermordeten ägyptischen Präsidenten Sadat zu, daß die Existenz Israels auf Dauer nur durch Aussöhnung mit seinen Nachbarn gesichert werden kann,
mit seiner arabischen, seiner muslimischen und seiner christlichen Umgebung.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3737
Dr. DreggerDas Gespräch, das ich 1976 mit Präsident Sadat in Kairo über dieses Thema geführt habe, werde ich nie vergessen. Sadat ging es damals darum, den Krieg mit Israel zu beenden, um seinem übervölkerten Land Frieden zu ermöglichen und damit die Lösung seiner schweren wirtschaftlichen und sozialen Probleme. An einem Frieden im Nahen Osten waren nach seiner Einschätzung die USA interessiert, aber nicht die Sowjetunion, da die Sowjetunion nach Meinung Sadats ohne Konfrontation zwischen Israel und den arabischen Staaten keinen Einfluß in der Region ausüben könnte.Die ägyptische Armee war damals mit sowjetischen Waffen ausgerüstet. Sadat erklärte mir, ohne Umrüstung auf westliche Waffen könne er sich nicht vom sowjetischen Einfluß befreien. Eine technische Armee verliere ohne Ersatzteile in Kürze ihre Einsatzfähigkeit. Ohne Umrüstung auf westliche Waffen, d. h. ohne Befreiung vom sowjetischen Einfluß, könne er den Friedensprozeß mit Israel nicht einleiten.Meine Damen und Herren, diese Einschätzung war, was die Bedeutung der Herkunft der Waffen betrifft, sicherlich richtig. Wer moderne Waffensysteme liefert, macht den Belieferten von sich abhängig.Unbedingte westliche Enthaltsamkeit beim Waffenexport, wie manche von Ihnen es fordern, überantwortet die Länder der Dritten Welt der Abhängigkeit von der Sowjetunion.Die USA haben dann Waffen an Ägypten geliefert, obwohl sich dieses im Kriegszustand mit Israel befand. Das geschah gegen den Protest Israels, aber es hat Israel genutzt. Nur so wurde der israelisch-ägyptische Frieden möglich, nur so konnte die Einkreisungsfront der arabischen Staaten um Israel herum an einer wichtigen Stelle unterbrochen werden, nämlich an der Stelle des volkreichsten arabischen Staates.Sadat hat seine Friedenspolitik, wie Sie wissen, mit seiner Ermordung und der zumindest zeitweisen Isolierung Ägyptens in der arabischen und muslimischen Welt bezahlen müssen. Daß Sadat in seinem Versöhnungswillen ein Beispiel für alle Moslems, für alle Christen, für alle Juden, für alle Menschen war, das möchte ich bei dieser Gelegenheit gerne hervorheben.
Zwischen der Politik Sadats und Saudi-Arabiens bestehen gewiß beträchtliche Unterschiede. Aber eines ist trotzdem richtig: Eine undifferenzierte Frontstellung des Westens gegen alle arabischen Staaten wäre kein Beitrag zur Sicherheit Israels. Es wäre ein schwerer politischer Fehler, die Unterschiede zwischen Saudi-Arabien, Jordanien und Ägypten auf der einen Seite und dem Syrien Assads, dem Libyen Gaddafis und dem Iran Chomeinis auf der anderen Seite zu ignorieren. Die Vereinigten Staaten von Amerika und auch die Europäer handeln daher nicht nur in ihrem eigenen, sondern auch im Interesse Israels, wenn sie die arabischen Staaten in begrenztem Ausmaß auch mit Waffen unterstützen, die zur Zusammenarbeit mit dem Westen bereit sind. Daß die Zusammenarbeit arabischer Staaten mit dem Westen zumindest die Tolerierung, wenn nicht die Anerkennung Israels einschließt, weiß jeder. Helmut Kohl, der deutsche Bundeskanzler, hat diese Position in Dschidda und in den anderen arabischen Hauptstädten mit Nachdruck unterstrichen.Die Vereinigten Staaten, meine Damen und Herren — jetzt komme ich zu Ihrer europäischen Position, Herr Ehmke —, gewährleisten auf Grund ihrer Weltmachtstellung die Existenz Israels in besonderer Weise. Sie liefern Waffen an Israel und an einige arabische Staaten, auch an Saudi-Arabien. Das geschieht in einer Dosierung, die die Selbstbehauptung Israels nicht gefährdet und die arabischen Staaten auf der anderen Seite von sowjetischen Waffenlieferungen unabhängig macht.In diese Nahostpolitik der USA, des eigentlichen Garanten der israelischen Sicherheit, müssen sich auch die Waffenlieferungen europäischer Staaten einfügen. Das ist keine Abhängigkeit und kein Vater-Sohn-Verhältnis oder anderes mehr, sondern das sind die Realitäten dieser Welt. Solange die Europäer keine Macht verkörpern und nicht bereit sind, diese Macht im Nahen Osten einzusetzen, können sie keine von den Vereinigten Staaten von Amerika unabhängige Nahostpolitik betreiben.
Ich habe daher von jeher gefordert, daß etwaige Waffenlieferungen an die arabischen Staaten im Einvernehmen mit den USA stattfinden. Das ist auch die Position des Bundeskanzlers, wie er in seiner Regierungserklärung dargelegt hat.
Meine Damen und Herren, ein weiteres wichtiges und schwieriges Thema: Israelis — nicht alle, aber einige — legen an deutsche Waffenlieferungen andere Maßstäbe an als an solche anderer westlicher Staaten.
Begründet wird das mit dem Holocaust. 40 Jahre danach dürften, so heißt es, nicht erneut deutsche Waffen gegen Juden gerichtet werden.
So sehr ich die Gefühle derer verstehe, die so argumentieren:
Die Argumentation selbst empfinde ich als absolut inakzeptabel.
Der Holocaust war nicht das Ergebnis eines Krieges des deutschen gegen das jüdische Volk: einensolchen Krieg hat es nicht gegeben. Die Vernich-
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3738 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Dr. Dreggertung der Juden im Machtbereich Hitlers war nicht Krieg, sondern Mord,
Mord an wehrlosen Menschen.
Diesem Mord lagen keine kriegerischen Motive zugrunde, sondern eine verbrecherische Rassenideologie.
— Hören Sie doch einmal zu; Sie haben es dringend nötig.
Wer Krieg mit ideologisch motiviertem Massenmord an wehrlosen Menschen auf eine Stufe stellt, beleidigt nicht nur die Soldaten aller Völker, die ehrenhaft gekämpft haben;
er verniedlicht zugleich die Verbrechen, die in den Todesfabriken Hitlers an jüdischen Menschen begangen wurden.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Israelis diesen Unterschied auf Dauer übersehen wollen.
Meine Damen und Herren,
das geteilte und durch Hitlers Verbrechen gedemütigte — —
— Hören Sie doch einmal zu, Herr Fischer. Sie können doch nicht immer dazwischenschwätzen. Man muß doch einmal denken, ehe man redet!
Daß Sie schwätzen können, wissen wir doch!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bitte darum, den Redner ungestört seine Ausführungen machen zu lassen. Sie sind in der Rednerliste vorgesehen und haben die Möglichkeit, Ihre Äußerungen darzulegen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das geteilte und durch Hitlers Verbrechen gedemütigte deutsche Volk braucht Freunde, auch in Israel. Der immer gefährdete jüdische Staat braucht ebenfalls Freunde, auch in der Bundesrepublik Deutschland. Es liegt im Interesse beider Seiten, freundschaftliche, d. h. die Berücksichtigung der Interessen des anderen ermöglichende Beziehungen nicht durch eine Polemik aufs Spiel zu setzen, die die Tatsachen ebenso ignoriert, wie sie die Bewertung verfälscht.
Herr Abgeordneter Dr. Dregger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weisskirchen?
Nein.
Daß Bundeskanzler Helmut Kohl sich in Israel unsachlichem Druck in dieser Frage nicht gebeugt hat, war richtig. Das hält die künftigen deutschisraelischen Beziehungen von vermeidbaren Belastungen frei.
Dafür verdient der Bundeskanzler den Dank all derer, denen an guten deutsch-israelischen Beziehungen in der Zukunft liegt.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion spricht Ihnen, Herr Bundeskanzler, dafür ausdrücklich Dank und Anerkennung aus.
Darüber hinaus möchte ich auch dem Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Herrn Werner Nachmann, danken.
Er hat den Bundeskanzler nach Israel begleitet, seine Mission in Israel mit großem Mut unterstützt und ungerechtfertigte Angriffe gegen den Bundeskanzler zurückgewiesen. Werner Nachmann hat sich damit Verdienste um die deutsch-israelischen Beziehungen erworben und zugleich zur Integration der jüdischen Glaubensgemeinschaft in unserem Staat einen wertvollen Beitrag geleistet.
Wir sollten nicht vergessen, daß es neben den Bürgern jüdischen Glaubens in Israel auch deutsche Mitbürger jüdischen Glaubens in Deutschland gibt, die sich trotz allem, was geschehen ist, zum deutschen Volk bekennen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3739
Dr. DreggerIhr Vorsitzender ist Werner Nachmann.
— Vielleicht sprechen Sie einmal mit ihm, statt hier herumzuschwätzen, Herr Fischer!
Ihr Vorsitzender ist Werner Nachmann. Wer seinen Lebensweg vor 1933 und nach 1933, vor 1945 und nach 1945 kennt, der muß ihm gerade als Deutscher Dank und Respekt entgegenbringen.
Herr Kollege Ehmke, bei allem Respekt vor der Opposition und ihrer Aufgabe, die Regierungspolitik einer kritischen Würdigung zu unterziehen, muß ich doch sagen, daß Sie durch Ihre Stellungnahme der Schwierigkeit der deutsch-israelischen und der deutsch-jüdischen Beziehungen — die nicht identisch sind — ebenso wenig gerecht geworden sind wie der gewiß komplizierten Lage im Nahen Osten.
Um dieser Lage Rechnung zu tragen, genügt moralisches Pathos nicht. Auch von uns wird ein politischer Beitrag erwartet. Er muß der besonderen Lage Israels ebenso gerecht werden wie den sehr unterschiedlichen Interessen der arabischen Länder, die von einer arabischen Einheit weit entfernt sind, wie auch dem Versuch der Sowjetunion, aus diesem Konflikt für sich politisches Kapital zu schlagen.Das Beispiel des Iran zeigt, was ein Mangel an politischer Voraussicht bewirken kann. Die SPD hat sich in der Unterstützung des Kampfes gegen das Schah-Regime immer hervorgetan. Was wurde erreicht? Das Ergebnis ist bestürzend. Das Chomeini-Regime stellt, was die Mißachtung der Menschenrechte angeht, alles in den Schatten, was es zuvor im Iran gegeben hat. Außenpolitisch hat der Westen einen Verbündeten gegen einen haßerfüllten Gegner eingetauscht. Ich bin sicher, daß die SPD durch ihr Engagement im Kampf gegen das Schah-Regime nicht das erreichen wollte, was eingetreten ist. Aber die Folgen politischen Handelns zu bedenken ist eine Pflicht, der sich Politiker und politische Parteien nicht entziehen sollten.
Ehe Sie, meine Damen und Herren von der SPD, gegen angeblich unmoralische Waffenlieferungen in den Nahen Osten polemisieren, sollten Sie einmal über diese Problematik praktischer Politik nachdenken.
Was Sie zu Waffenlieferungen in den Nahen Osten gesagt haben, Herr Kollege Ehmke, war im übrigen unvollständig. Zwar hat die SPD-geführte Bundesregierung auf Druck ihrer Partei und Fraktion der saudischen Regierung mitteilen lassen, daß sie mit Waffenlieferungen nicht rechnen könne. Aber vorausgegangen waren nicht nur Diskussionen in der SPD-Fraktion, sondern ein Besuch König Chalids in Bonn 1980, bei dem Bundeskanzler Schmidt Waffen einschließlich des Leopard 2 den Saudis in Aussicht gestellt hat.Klein [München] [CDU/CSU]: Aber wegendes Wahlkampfes verschwiegen!)Jedenfalls haben die Saudis ihn so verstanden. Dann traf nach langem Zögern die Absage in Saudi-Arabien im April 1981 ein.
Man muß sich einmal die Wirkungen auf Saudi-Arabien vorstellen. Das In-Aussicht-Stellen und das anschließende Verweigern deutscher Waffenlieferungen hat die deutsch-saudischen Beziehungen belastet. Daß Bundeskanzler Schmidt während und nach seinem Besuch in Riad 1981 seine bedauerliche Panne durch Aussagen zur PLO auszugleichen versuchte — Aussagen, die den Arabern gefielen, aber von den Israelis als völlig unakzeptabel empfunden wurden —, hat die ganze Sache nur schlimmer gemacht. Das Ergebnis dieser Staatskunst war die Belastung sowohl der deutsch-saudischen als auch der deutsch-israelischen Beziehungen.Ich sage das nicht, um dem früheren Bundeskanzler am Zeuge zu flicken. Aber wenn Sie, meine Damen und Herren von der SPD, schon seinen Nachfolger kritisieren, dann dürfen Sie doch nicht die Lage verschweigen, die sein Vorgänger, der Kanzler, der von Ihnen gestellt worden ist, hinterlassen hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gansel?
Bitte schön.
Herr Kollege Dregger, da Sie eben dargestellt haben, daß die saudiarabische Regierung keine Zusagen des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt für Waffenlieferungen und keine Vereinbarungen hatte, gestatten Sie bitte die Frage, ob wir der Fairneß und der Ehrlichkeit und Klarheit hier im Parlament wegen darin übereinstimmen können, daß es — um nicht schlimmere Worte zu benutzen — falsch ist, wenn der Bundeskanzler selbst und sein Sprecher, Herr Boenisch, bei ihren Besuchen in Israel wider besseres Wissen erklären, sie hätten bei den Waffengeschäften mit Saudi-Arabien nicht auf grüner Wiese angefangen, sondern — wörtliche Zitate — auf Grund von Vereinbarungen und Zusagen von Bundeskanzler Schmidt.
Herr Gansel, es gibt nicht nur juristische Vereinbarungen, sondern, insbesondere wenn man mit stolzen Arabern spricht, auch Vereinbarungen auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens. Und Sie können überzeugt sein, so juristisch wie Sie und wir denken die Saudis nicht. Sie haben das als eine Vereinbarung aufgefaßt. Der Bundeskanzler Helmut Kohl hat völlig recht, wenn
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3740 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Dr. Dreggerer den Tatbestand so schildert, wie er ihn geschildert hat.
Der Kollege Gansel wollte noch eine Zusatzfrage stellen. — Bitte.
Herr Dregger, bedeutet das, daß in Zukunft für die Gültigkeit und Glaubwürdigkeit internationaler Vereinbarungen nicht das entscheidend ist, was vereinbart oder nicht vereinbart wird, sondern das, was sich die eine Seite erhofft oder erwünscht? Soll das Schule machen, Herr Dregger?
Herr Gansel, ich würde mich bei einem solchen Thema anders als Helmut Schmidt vergewissern, auch ohne formelle Vertragsschließung, ob das, was ich in Aussicht stelle, auch einzuhalten ist.
— Nein, das hat er nicht getan. Wenn jemand etwas in Aussicht stellt und nach langem Zögern zurücknimmt, muß er damit rechnen, daß er die deutscharabischen Beziehungen belastet. Und das hat Helmut Schmidt getan. Darüber können Sie doch nicht hinwegreden.
Herr Abgeordneter Wischnewski wünscht noch eine Zwischenfrage zu stellen.
Bitte.
Herr Dr. Dregger, wie kommen Sie zu der Auffassung, daß durch die Absage vom 10. Juni 1982 die Beziehungen durch die Politik Helmut Schmidts belastet worden sind, wenn unmittelbar nach dem Regierungswechsel, d. h. nach dem 1. Oktober 1982, der König Helmut Schmidt eingeladen hat, Helmut Schmidt diese Einladung wahrgenommen hat und zwischen dem König und ihm ein freundschaftliches Gespräch stattgefunden hat,
was der Beweis dafür ist — ich habe an diesem Gespräch teilnehmen können —, daß die Beziehungen trotz der Absage sich zu dieser Zeit in bestem Zustand befanden?
Herr Kollege Wischnewski, aus dem Verhalten der Saudis kann folgendes geschlußfolgert werden, erstens, daß es Kavaliere sind,
und zweitens, daß sie genau wissen, daß Helmut
Schmidt die SPD nicht mehr repräsentiert, daß es
nicht an Helmut Schmidt gelegen hat, wenn die
Waffen nicht geliefert worden sind, sondern an der SPD.
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler Kohl mußte mit der Lage fertig werden, die sein Vorgänger ihm in Saudi-Arabien und in Israel hinterlassen hatte. Das ist dem Bundeskanzler in Saudi-Arabien wie in Israel in einer Weise gelungen, die Respekt verdient. Entscheidend ist, daß der Bundeskanzler in Jerusalem nichts anderes als in Djidda gesagt hat, wobei er in Djidda den Saudis weniger Waffen — keine Leo II — in Aussicht gestellt hat als sein Vorgänger in Bonn und in Riad. Den Israelis hat der Bundeskanzler die deutsche Position offen und ehrlich dargestellt. Er hat sich in Saudi-Arabien zur deutsch-israelischen Freundschaft bekannt, und er hat in Jerusalem die deutsch-arabische Freundschaft nicht aufgekündigt.
Meine Damen und Herren, das ist gute Politik, das ist Politik, wie wir Christliche Demokraten und Christlich-Soziale sie wollen. Daran sollten Sie festhalten, Herr Bundeskanzler. Sie werden dabei unsere volle Unterstützung finden.
Das Wort hat der Abgeordnete Reents.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe durch die Rede von Herrn Dregger eben zwei Dinge hinzugelernt. Herr Dregger hat davon gesprochen, daß das Existenzrecht Israels auf die Tapferkeit seiner Soldaten gegründet sei.
Ich denke, da wir j a um die Übereinstimmung wissen, die in der CDU/CSU-Fraktion und zwischen der Fraktion und dem entsprechenden Teil der Regierung besteht, darf man in diesem Fall das hinzuaddieren, was vor kurzer Zeit Herr Minister Geißler in seiner bösartigen Unterstellung gegen den Pazifismus vorgebracht hat, der für Auschwitz mit verantwortlich sein soll. Ich habe schon immer vermutet, daß dieser seinerzeitige Vorwurf von Herrn Geißler weit über das hinausgeht, was dazu sichtbar wurde, und daß sich dieser Vorwurf irgendwann — irgendwann — aus dem Munde eines Sprechers der CDU/CSU in eine direkte Beschuldigung auch der jüdischen Opfer des Faschismus umwandeln wird; denn mit dem, was Sie gesagt haben, Herr Dregger, beziehen Sie natürlich implizite auch all diejenigen ein, die in Israel heute sagen: Unsere Zukunft hängt eben nicht mehr von der Tapferkeit der Soldaten ab, sondern unsere Zukunft hängt vom Ausgleich und von der Verständigung mit dem palästinensischen Volk ab; die davon reden, daß endlich Schluß mit der israelischen Besetzung des Südliba-
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Reentsnon und ähnlichem gemacht werden muß. Alle diese beziehen Sie, wenn man die gesamte Programmatik der CDU nimmt, heute mit ein als die Verantwortlichen dafür, daß es Opfer im jüdischen Volk im Faschismus gegeben hat.
Das ist das eine, was ich gelernt habe.
Das zweite, Herr Dregger: Sie haben die Waffenlieferung an Saudi-Arabien damit zu bagatellisieren versucht, daß das Naziregime keinen Krieg gegen die Juden geführt habe.
sondern einen Massenmord. Sie sagen, daß der Massenmord etwas Schlimmeres sei als ein Krieg. Das ist eine Ansicht, die ich nicht teile. Für mich ist es das gleiche. Aber wenn Sie sagen, daß das etwas Schlimmeres sei als der Krieg — was ich nicht verstehe —: wieso kann man mit etwas, was man für unmoralischer, was man für schlimmer, was man für gefährlicher, was man für bedrohlicher hält, begründen, daß es heute legitim sein soll, wieder Waffen an einen Staat zu liefern, von dem auch die ehemaligen Opfer des Nazifaschismus bedroht sind?
Das ist das eine dabei. Aber das zweite dabei ist: Krieg hat das Naziregime z. B. auch gegen die Sowjetunion geführt. Was folgt denn aus Ihrer Aussage? Es folgt daraus, daß die Bundesrepublik an keinen Staat mehr Waffen liefern darf und demzufolge auch selber nicht haben darf, wo dies gegen die Sowjetunion gerichtet wäre; denn da wurde ja damals von seiten des Naziregimes Krieg geführt.
Was man, glaube ich, zu dem hinzufügen muß, was Sie gesagt haben, ist folgendes: Ihnen geht es — das fällt mir nicht zum erstenmal auf — überhaupt nicht um Logik,
Ihnen geht es nicht um Aufklärung, Ihnen geht es nicht um Moral, Ihnen geht es lediglich darum, alle möglichen absurden Argumente zu erfinden, um eine ganz bestimmte waffenklirrende Position der CDU/CSU-Fraktion hier zu verankern.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, nach dem Besuch des Bundeskanzlers in Israel hat man im „Spiegel" den Kommentar eines israelischen Politikers zu diesem Besuch lesen können. Er sagte: „Er — der Bundeskanzler — neigt den Kopf zur Seite und redet Platitüden."
Ich finde, daß ist ziemlich milde gesprochen, und es ist auch nur die halbe Wahrheit. Wenn es nur Platitüden wären, dann würden wir das unter die schützenswerte Intimsphäre des Bundeskanzlers mit veranschlagen.Aber es geht um mehr bei all dem, was dort in Israel von seiten des Bundeskanzlers vorgetragen wurde und was heute hier noch einmal in der Rede von ihm und von Herrn Dregger verstärkt worden ist. Es geht darum, daß mit diesem Besuch die Frage des Umgangs mit der deutschen Vergangenheit, die Frage des Umgangs mit den Naziverbrechen neu aufgeworfen ist, der von dieser Regierung leichtfertig, makaber und gefährlich betrieben wird.Die kurze Botschaft, die der Bundeskanzler immer wieder rüberzubringen versucht hat, ist: Die Bundesrepublik heute mit ihrem Kanzler von knapp 54 Jahren hat mit der deutschen Vergangenheit nichts mehr zu tun.
Weil das so sei, müsse endlich international und vor allem in Israel akzeptiert werden, daß Saudi-Arabien für deutschen Waffenhandel genauso offen stehe wie die übrige Welt.Rüstungslieferungen an Saudi-Arabien gab es immer schon und gibt es auch jetzt schon. Das ist durch die Beantwortung der Kleinen Anfrage bekannt geworden, die von Walter Schwenninger von unserer Fraktion gestellt wurde, auf die die Bundesregierung keine konkreten Antworten gegeben hat unter explizitem Hinweis auf die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen und wegen möglicher außenpolitischer Schädigung durch die Publikation. Das ist implizit natürlich eine Bestätigung.Aber der Bundeskanzler hat seine Auffassung, daß die heutige Bundesrepublik und namentlich die heutige Bundesregierung nichts mehr mit der Nazivergangenheit zu tun habe, prompt widerlegt. Das ist das, was jetzt ab diesen Tagen als die neue Affäre dieser Bundesregierung, als die Ziesel-Affäre, mit Sicherheit noch reichlich debattiert werden wird.
Über diesen Herrn Ziesel, über den Herr Ehmke vorhin schon gesprochen hat, muß man, glaube ich, noch etwas hinzufügen,
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Reentsvor allem, nachdem sich der Bundeskanzler auf diese Frage in der Art eingelassen hat, wie er es getan hat.
Herr Ziesel ist 1930 dem NS-Studentenbund beigetreten.
Er ist 1931 Mitglied der NSDAP geworden. Er ist sozusagen ein Nazi der ersten Stunde gewesen. Seine Mitgliedsnummer habe ich hier. Wenn es Sie interessiert, kann ich Ihnen das bringen.
Herr Ehmke hat bereits Zitate aus dem „Völkischen Beobachter" aus Aufsätzen gebracht, die von Herrn Ziesel stammen.
Man kann hinzufügen, daß es wirklich ein ganzes Werk von ihm gibt, wo er nicht nur gegen das sogenannte „jüdische Untermenschentum" hetzt, sondern wo er beispielsweise auch „die schöpferische Urkraft des Krieges für das Wesen des Dichterischen" gepriesen hat. Der Herr Bundeskanzler hat ja eine gewisse Vorliebe für das Dichterische.Ein Punkt muß allerdings noch unbedingt erwähnt werden. Herr Bundeskanzler Kohl — das habe ich nicht gewußt; ich kannte zwar die Bekanntschaft die Herr Ziesel früher mit dem ehemaligen CSU-Bundestagsabgeordneten Becher und dem CSU-Verleger Karpfinger hatte — hat hinzugefügt, er kenne diesen Herrn seit 1959. Das ist in der Tat interessant. Denn wenn er ihn seit 1959 kennt, dann weiß er sicherlich, daß dieser Ziesel nach 1945 ein Verbot zur Publikation sämtlicher Schriften in Österreich erhalten hat, aber in der Bundesrepublik reichlich weiter publiziert hat, in allen möglichen neonazistischen Blättern,
unter anderem 1962, drei Jahre nach dem Anknüpfen der Bekanntschaft mit Herrn Kohl, in der „Deutschen National- und Soldatenzeitung" zum „Kampf gegen die entartete Linke, die unser Volk besudelt", aufgerufen hat. Ein Mann, der noch 1968 im Impressum des „Deutschen Studentenanzeigers" der NPD vermerkt gewesen ist, neun Jahre nach dem Anknüpfen der Bekanntschaft zwischen Herrn Kohl und Herrn Ziesel. Ich glaube, das sind Dinge, die in der Tat interessant sind.
Man muß jetzt, nachdem das bekannt ist, danach fragen und feststellen, daß es offensichtlich im Umkreis des Bundeskanzlers Leute geben muß, die eine direkte Protektion von Altnazis und Neonazis betreiben.
Herr Abgeordneter Reents, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Tut mir leid, Herr Stercken, ich muß heute meine Zeit voll nutzen.
Ich denke, daß das aufgeklärt werden muß.Denn es muß j a diese Protektion geben, wenn es möglich ist — da kann man sich nicht mit irgendwelchen Losentscheidungen herausreden —, daß dieser Herr Ziesel in der Bundeskanzlermaschine mitfliegen konnte, offensichtlich deswegen, damit man die Sache mit dem Visum geheimhalten konnte. Denn Herr Ziesel hätte vom israelischen Staat kein Visum bekommen.
Man muß danach fragen: Wer ist dafür verantwortlich, daß der Name von Herrn Ziesel auf der Presseliste nicht aufgetaucht ist? Wer sind diejenigen im Umkreis des Bundeskanzlers, die diese Protektion von Alt- und Neonazis betreiben?Das Geburtsjahr des Bundeskanzlers, auf das er in Israel häufig hingeweisen hat, ist zweifellos die unwichtigste Information, die es für das Verhältnis dieser Republik zur deutschen Vergangenheit gibt. Die wirklich wichtigen Informationen lassen sich nicht alle in einem kurzen Beitag zusammentragen.
Aber ich denke, die Tatsache, daß Altnazis wie Oberländer, wie Globke, wie Gehlen Minister, Kanzlerberater oder Chef des Bundesnachrichtendienstes in dieser Republik werden konnten,
gehört ebenso dazu wie die Tatsache, daß man auch 1984 noch als ehemaliges NSDAP-Mitglied Bundespräsident in dieser Republik sein kann.
Daß z. B. der Auswärtige Dienst der Bundesrepublik zu zwei Dritteln mit ehemaligen NSDAP-Mit-
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Reentsgliedern aufgebaut wurde — wie Adenauer 1952 selbst zugegeben hat —,
gehört ebenso dazu wie die Tatsache, daß heute noch oder heute wieder auf Weisung eines Bundestagspräsidenten Kränze vom Gedenkstein für die von den Nazis ermordeten Mitglieder des Deutschen Reichstages entfernt werden.Daß angesichts der rund 35 000 Personen, die laut Simon Wiesenthal an den Massenmorden der Nazi-Zeit als Täter direkt beteiligt waren, nur 6 000 Ermittlungen von der Ludwigsburger Zentrale zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen überhaupt durchgeführt wurden, gehört sicherlich ebenso dazu wie die Tatsache, daß Ausländer in der Bundesrepublik wieder Angst vor staatlicher und nichtstaatlicher Verfolgung haben müssen. Und schließlich ist die Tatsache, daß Flick, Krupp und andere heute wie damals alles, bis hin zur Politik, kaufen können, die wohl wichtigste Information über deutsche Traditionslinien.Wer angesichts der naturwüchsigen Auslöschung von Geschichtsbewußtsein durch den Generationenwechsel den Blick nach vorn anstatt den Blick nach hinten predigt, wer das angesichts der Tatsache tut, daß sich in letzter Zeit Meldungen über neonazistische Beeinflussungen unter Jugendlichen häufen — z. B. in Fußballfanklubs —, fischt im trüben.
Da hilft es nichts, wenn sich Herr Dregger hier hinstellt und sagt, das gehe ohne Vergessen der Vergangenheit ab; denn es war schließlich die „Jerusalem Post", die den Bundeskanzler erst wieder an Herrn Globke erinnern mußte. Er hat in seinen Reden nur diejenigen in Erwähnung gebracht, die aus den Reihen der CDU/CSU Gegner des Nazi-Regimes gewesen sind.
Das andere spielt eben keine Rolle mehr.Der Freispurch der Bundesrepublik und ihrer politischen Repräsentanten von der Geschichte des deutschen Faschismus und der Freikauf gegenüber den Opfern des Nazi-Regimes, vor allen Dingen gegenüber den 6 Millionen Juden — das Eineinhalbfache der heutigen Bevölkerung Israels — sind nichts Neues. Dasselbe blödsinnige Argument mit dem eigenen Geburtsjahr hat übrigens auch schon Herr Barzel 1965 in die Debatte des Bundestages über die Verjährung der NS-Verbrechen eingeführt.
„Als Hitler kam, war ich acht Jahre alt", sagte erdamals. Dazu dient das eben immer: um damit zubegründen, daß die historische Last personell jetztendlich abgetragen sei. Zu nichts anderem werden diese Argumente ja gebracht.
Eine weitere Bundestagsdebatte, die in demselben Jahr über die Nahostpolitik der Bundesregierung geführt worden ist — am 17. Februar 1965 —, ist auch lehrreich in bezug auf die Kontinuitäten, in die sich der Herr Bundeskanzler so gerne stellt. Der damalige Bundeskanzler Erhard
erklärte in jenem Jahr — ich zitiere das aus dem Stenographischen Bericht —:Unter Entbehrungen und Opfern haben die Deutschen ... sich bemüht, Schulden abzutragen, die ihnen das „Dritte Reich" aufgebürdet hat.
Der Vorwurf des Freikaufs ist in der Tat nicht polemisch, wenn weniger von der politischen Schuld und von der politischen Haftung, von der Hannah Arendt gesprochen hat, die Rede ist,
sondern von Schulden abtragen. Darum geht es auch.Das ist diesselbe Mentalität, die den Bundeskanzler heute dazu führt, daß er sich in Israel genötigt sieht, darauf hinzuweisen, daß die Entwicklungshilfe an Israel das einzige sei, was nicht gekürzt worden sei. Wer die Wiedergutmachungszahlungen für die Opfer des Nationalsozialismus überhaupt für ein Argument in dieser Auseinandersetzung hält und diese als Großzügigkeit ausgibt, an dessen politischer Moral klebt ein Preisschild. Das hat uns der Bundeskanzler vorgeführt.
Das ist j a bei den Waffengeschäften mit Saudi-Arabien nichts anderes. Die israelischen Politiker haben gesagt: Es darf nie deutsche Waffen in den Händen eines Staates geben, die auf Juden zielen.
Ich denke, daß dieses Argument allein bereits zählt, um deutsche Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien auszuschließen.
Ich denke aber, daß man etwas hinzufügen muß; ich tue das aus unserer Sicht. Dieses Argument, das von israelischer Seite vorgebracht wird, wird natür-
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Reentslich immer nur zeitweise — das ist jetzt die zurückliegende Zeit — für diejenigen zählen, die grundsätzlich bereit sind, an Waffen zu verdienen, die grundsätzlich bereit sind, am Krieg zu verdienen, die grundsätzlich mit eigenen Großmachtinteressen in anderen Regionen Politik machen wollen.
Weil wir dagegen sind, sind wir gegen einen Rüstungsexport überhaupt.
Auch wenn ich weiß, daß Sie diese Position nie einsehen werden, denke ich, daß für Sie allein das Argument, das aus israelischer Sicht vorgebracht wurde, wegen der deutschen Vergangenheit genügend zählen sollte.Acht der zehn Staaten, die an der Weltspitze der größten Waffenimporteure stehen, sind Staaten des Nahen Ostens. Die USA beispielsweise haben in den letzten zehn Jahren 60 % ihrer Rüstungsexporte in Staaten des Nahen Ostens gelenkt.
— Ich habe die Zahlen jetzt nicht hier; ich weiß das nicht. Walter, hast du die Zahlen im Kopf?
— So einfach können Sie mir nicht kommen. Das ist nicht das Problem. Ich weiß, daß die Waffenlieferungen der Sowjetunion in den Nahen Osten einen ganz beträchtlichen Umfang haben. Ich stehe hier überhaupt nicht an zu sagen, daß ich das genauso verurteile. Ich habe Ihnen lediglich gesagt: Ich habe die Zahlen nicht hier.
Sie sollten sich wegen meiner grundsätzlichen Außerung gegen den Rüstungsexport solche billigen Retourkutschen sparen.Wer weiß, wie die Rüstungsgüter in den Nahen Osten gepumpt werden, sollte begreifen, daß der Krieg im Nahen Osten ein Teil unseres Friedens hier in Europa ist
und daß man sich nicht moralisch damit herausreden kann, daß es hier um neue Stabilitäten im Nahen Osten geht. Man muß sehen, daß alles das, was Sie als positiv verbuchen, beispielsweise das CampDavid-Abkommen, nicht einmal zu einer Reduzierung der Waffenlieferungen an die beteiligten Staaten Ägypten und Israel geführt hat, sondern vielmehr zu einem Anstieg.Ich habe sehr viel Zeit auf dieses Thema des Verhältnisses zur deutschen Vergangenheit verwendet.
Weil Israel so, wie es geworden ist, eine Folge der Naziverbrechen an den Juden ist, gibt es hier in der BRD auch eine politische Verantwortung und eine politische Haftung für die Lage des palästinensischen Volkes. Die Politik der Regierung unseres Landes hat diese zweite Haftung, nämlich gegenüber den Palästinensern, nicht wahrgenommen, weil sie sich aus ihrer ersten Haftung gegenüber den Juden herauszustehlen und herauszuschleichen versucht hat. Es ist eine Grundsatzfrage, welche Lehre man aus dem Faschismus gezogen hat, ob das unbedingte Selbstbestimmungsrecht der Völker — aller Völker — nicht nur etwas für Sonntagsreden, sondern etwas für die alltägliche Politik ist, oder ob die eigenen wirtschaftlichen Interessen, nach denen man die Welt zu ordnen gedenkt und Abhängigkeiten in bestimmten Regionen schafft, die übergeordnete Leitlinie sind, wie es bei dieser Bundesregierung der Fall ist.Ich sehe, daß meine Redezeit zu Ende ist.
Ich hätte gern noch zur Frage des palästinensischen Volkes gesondert gesprochen. Das werden wir sicherlich später hier noch tun können.Ich will nur eines zum Schluß sagen. Herr Ehmke hat zum Schluß seiner Rede davon gesprochen, daß in keiner Form von seiten der Bundesrepublik aus militärisch interveniert werden darf. Gerade angesichts der Meldungen aus jüngster Zeit über das, was im Libanon, was in Beirut vor sich geht, denke ich, daß endlich der Bundestag der Bundesrepublik Deutschland den Schlußstrich ziehen sollte und tatsächlich jede finanzielle Unterstützung für das, was im Libanon unter dem Namen Friedenstruppe läuft und was sich immer mehr als tatsächliche Kriegspartei im Libanon entpuppt, einzustellen,
daß man sich nicht mehr damit herausreden kann, wie es bislang der Fall ist, nur für eine Einfrierung dieser Mittel einzutreten,
sondern es geht darum, hier tatsächlich den Beweis dafür anzutreten, daß man sich militärisch herauszieht und diese Finanzzuwendungen an die sogenannten Friedenstruppen endgültig aus dem Bundeshaushalt herausnimmt. Meine Redezeit ist abgelaufen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion begrüßt den Bericht des Bundeskanzlers über seine Israelreise, weil es für uns wesentlich ist, daß Helmut Kohl 10 Jahre nach dem Besuch von Willy Brandt als zweiter deutscher Bundeskanzler nach Israel gereist ist, um die bestehenden engen und freundschaftlichen Beziehungen zum Staat Israel
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Schäfer
zu unterstreichen, um in einem offenen Dialog mit der israelischen Regierung und Opposition alle unser beiderseitiges Verhältnis betreffenden wesentlichen Fragen anzusprechen, auch die, meine Damen und Herren, die nicht erst seit Amtsantritt dieses Kanzlers und der Koalition aus CDU/CSU und FDP strittig sind, und weil er bei seinem Besuch, wie das der Bundesaußenminister bei früheren Besuchen in Israel getan hat, die Kontinuität deutscher Außenpolitik verdeutlicht hat, die im Konzert mit unseren europäischen Partnern auf eine friedliche Lösung des israelisch-arabischen Konfliktes zielt.Der Bundeskanzler hat sich bei dieser Reise wie alle seine Vorgänger zu der nationalen geschichtlichen Verantwortung der Deutschen bekannt, Herr Reents. Er hat aber auch um Verständnis dafür geworben, daß deutsche Außenpolitik die legitimen Interessen aller Staaten der Nahostregion zu berücksichtigen hat, also auf dem Prinzip der Ausgewogenheit beruhen muß.Wir wissen, wie schwer es ist, einerseits in den arabischen Staaten unser besonderes historisch begründetes freundschaftliches Verhältnis zu Israel begreiflich zu machen, andererseits in Israel auf unsere traditionell engen und guten Beziehungen zur arabischen Welt zu verweisen. Helmut Kohl hat sich dieser Aufgabe bei seinen beiden Reisen in drei mit uns eng befreundete arabische Staaten im vergangenen Jahr und mit seiner Israelreise jetzt mutig gestellt, und ich bin Ihnen, Herr Dregger, sehr dankbar dafür, daß Sie das in einer, wie ich meine, sehr guten Rede herausgearbeitet haben.
Vor allem — das ist in der Politik nicht selbstverständlich — hat er in all diesen Ländern nicht den jeweiligen Regierungen etwa nach dem Munde gesprochen, sondern er hat die gleichen Auffassungen in den arabischen Staaten wie in Israel vertreten. Ich meine, auch das verdient unsere Anerkennung.
Meine Damen und Herren, niemand leugnet, daß der Israelbesuch des Bundeskanzlers von der sehr emotional aufgeladenen Diskussion über mögliche deutsche Waffenexporte nach Saudi-Arabien überschattet war. Es ist aber von großer Unredlichkeit, wenn heute wieder der Versuch unternommen wird, diesen Bundeskanzler für dieses Problem verantwortlich zu machen.
— Die von der sozialliberalen Koalition, von unseren beiden Fraktionen, Herr Ehmke, erarbeiteten Richtlinien für den Waffenexport, die mit Beschluß der sozialliberalen Bundesregierung vom 28. April 1982 als politische Grundsätze erlassen worden sind, halten an dem im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarstaaten, erst recht aber auch zu den Vereinigten Staaten und — das darf ich hier gar nicht polemisch sagen — auch im Vergleich zum Staate Israel, sehr strengen Einschränkungen deutscher Waffenexporte fest.
Die neuen Ausnahmeregelungen für den Export von Kriegswaffen in Länder außerhalb der NATO beziehen sich nunmehr „auf besondere politische Erwägungen" bzw. — ich zitiere — „außen- und sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik unter Berücksichtigung der Bündnisinteressen".
Es waren offensichtlich solche Interessen, meine Damen und Herren, die Bundeskanzler Helmut Schmidt bei seinem Besuch in Saudi-Arabien dazu veranlaßten, Wünsche der saudischen Regierung nach deutschen Waffen nicht zurückzuweisen. Helmut Schmidt sah sich angesichts des vitalen Interesses des westlichen Bündnisses an der Erhaltung eines stabilen Gleichgewichts am Persischen Golf — ich glaube, das muß hier doch einmal herausgestellt werden, statt den Konflikt ganz woanders hin zu verengen — dazu offensichtlich nicht in der Lage. Ich darf an dieser Stelle in diesem Hause auch noch einmal an die Vorstellungen der amerikanischen Regierung und auch an das erinnern, was uns Außenminister Shultz bei Gesprächen noch vor wenigen Wochen in Bonn gesagt hat, nämlich, daß die Amerikaner von den europäischen Verbündeten eine stärkere materielle Beteiligung bei der Friedenssicherung am Persischen Golf erwarten. Wir, Herr Ehmke, haben es alle abgelehnt, einer früher schon vorgeschlagenen Erweiterung des Operationsraumes der NATO zuzustimmen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ehmke ?
Im Augenblick nicht.Wir haben auch großes Verständnis für die Skepsis der arabischen Golfstaaten gegenüber der Präsenz westlicher Truppen und Flottenverbände in diesem Raum. Also gilt es doch einmal in diesem Gesamtzusammenhang zu verdeutlichen, daß es hier ganz andere Alternativen gibt, die wir gar nicht wollen können. Meine Damen und Herren, wir müssen — bei aller Debatte um Israels Interessen — aber auch Verständnis dafür haben, daß sich die arabischen Golf-Staaten selber militärisch wappnen wollen, ich möchte sagen: müssen, gegen fanatische religiöse oder politische Gegner, die die Lage am Golf teilweise schon auf schlimme Weise destabilisiert haben.Ausschließlich aus diesem Grund und trotz zunächst massiver Kritik des mit ihnen eng befreundeten und von ihnen selber mit einem riesigen Arsenal modernster Waffen ausgerüsteten Staates Israel haben die USA Kriegswaffen für Milliarden Dollar an Saudi-Arabien zugesagt und zum Teil schon geliefert. Und es ist Ihnen doch nicht entgangen, daß im vergangenen Jahr — das wurde heute noch nicht erwähnt — ein amerikanisch-israelisches Kooperationsabkommen über eine sehr enge Zusammenarbeit im Waffenbereich geschlossen worden ist, von dem wir sagen müssen, daß es in den moderaten arabischen Staaten keine Begeiste-
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rung im Hinblick auf die Fortsetzung des Friedensprozesses ausgelöst hat.Es waren übrigens die Saudis — und ich möchte das hier sehr deutlich sagen —, die andererseits die von ihnen für die Verteidigung ihres Landes als notwendig angesehenen Waffen nicht ausschließlich von den Vereinigten Staaten beziehen wollten, wofür sie sehr einleuchtende Gründe hatten und haben. Wer ihnen aber gar unterstellt, meine Damen und Herren, sie hätten uns zu solchen Waffenlieferungen im Hinblick auf unsere angebliche Abhängigkeit von ihrem 01 erpressen wollen,
der handelt wider besseres Wissen oder aber sitzt einer böswilligen Propaganda auf, deren Ziel es ist, unser vertrauensvolles Verhältnis zu diesem Staat zu untergraben.
— Entschuldigen Sie bitte, ich meine Sie gar nicht. Diejenigen, die das gesagt haben, wissen schon, wen ich meine.
— Herr Gansel, hören Sie doch mit diesem Spruch von Roß und Reiter auf. Ich sage Ihnen: Die, an die ich diese Worte gerichtet habe, sind andere, nicht Sie; die wissen, wer gemeint ist.
Wer will eigentlich den Vereinigten Staaten ernsthaft unterstellen, ihre Waffenlieferungen an Saudi-Arabien könnten dazu dienen, den Staat Israel auszulöschen? Dem Westen ist bis auf einige von politischer Blindheit Geschlagene sehr wohl bewußt, welche enormen Anstrengungen die Saudis in den vergangenen Jahren unternommen haben, um auf politisch radikale arabische Staaten und Organisationen mäßigend einzuwirken. Es ist ihr Verdienst, daß Ägypten in der sehr schwierigen Phase seiner Isolierung im arabischen Lager nach dem Friedensschluß mit Israel beigestanden worden ist. Und es ist jetzt wieder das Verdienst der Saudis, daß Ägypten in den Bereich des islamischen Rates der arabischen Staaten zurückkehrt. Und der Fes-Plan, meine Damen und Herren, ist die große Leistung des jetzigen saudischen Königs. Er enthält zum erstenmal implizit eine De-facto-Anerkennung Israels durch die arabischen Staaten, auch wenn andere Teile dieses Planes für Israel unannehmbar sein mögen. Und es ist bezeichnend, daß sich der Papst heute an den König von Saudi-Arabien gewandt hat, um ihn zu bitten, durch seine Vermittlung zu helfen, im Libanon-Konflikt das Leiden zu beenden. — Es sind immer wieder die Saudis gewesen, die eine so wichtige vermittelnde Rolle gespielt haben. Meine Damen und Herren, an manchen israelischen Politiker gewandt, möchte ich sagen: Wären so große Anstrengungen von israelischer Seite erfolgt, wären wir im Nahen Osten vielleicht schon einen Schritt weiter.Meine Damen und Herren, angesichts dieser Tatsachen halte ich es deshalb für falsch, Saudi-Arabien zum Todfeind Israels abstempeln zu wollen. Israel muß auch erkennen, daß Saudi-Arabien das gleiche Recht auf Sicherheit nach innen und außen hat wie die anderen Staaten dieser Region. Trotzdem habe ich Verständnis für den entschiedenen Widerstand Israels gegen mögliche deutsche Waffenlieferungen an diesen mit dem Westen befreundeten Staat. Die Bundesregierung wird ihre noch endgültig zu treffende Entscheidung, ob überhaupt Waffen geliefert werden — und wenn ja, wie viele und welche Waffen; ich glaube, darauf kommt es sehr an —, sehr genau abwägen müssen, was Bundeskanzler Kohl in Israel ausdrücklich versichert hat.Was Bundeskanzler Kohl in Israel aber auch entschieden vertreten hat — dafür bin ich ihm im Hinblick auch auf das Selbstverständnis unserer jungen Demokratie besonders dankbar —, ist die Souveränität unserer politischen Handlungen. Es darf und kann keinen Zweifel daran geben, daß wir auch die schwierigsten und verantwortungsvollsten politischen Entscheidungen selbst zu treffen haben, sicher oft in Abstimmung mit unseren Freunden und Verbündeten, aber letztlich in freier Selbstbestimmung. Meine Damen und Herren, wer in Europa für das Recht der Völker auf Selbstbestimmung eintritt, wird sich entschieden gegen jeden Versuch einer Fremdbestimmung zur Wehr setzen müssen, gleichgültig, wo und von wem er auch immer unternommen wird.Ich wiederhole: Wir haben Verständnis für israelische Sorgen und Traumata. Wir müssen aber auch um israelisches Verständnis für unsere nicht gerade einfache Position bitten, nämlich daß wir auch Rücksicht auf die gefährliche politische Situation in der gesamten krisengeschüttelten Region zu nehmen haben, die keineswegs auf den israelisch-arabischen Konflikt zu reduzieren ist, wie das heute leider immer wieder geschehen ist.Man nehme den Libanon als Beispiel, wo weder der Einmarsch der Israelis, erst recht nicht der Exodus der PLO, wie vorausgesagt, oder gar die Präsenz amerikanischer und anderer Friedenstruppen die grausame Dynamik innenpolitischer Fehlentwicklungen beeinflussen konnten. Unser Mitgefühl gilt den leidenden Menschen dieses Landes, die das Opfer blutigen Sippenhasses und Clanwirtschaft — dies sind die wahren Ursachen des Konfliktes — geworden sind.Die Bundesrepublik hat zum Verdruß mancher arabischen Staaten, die uns aber deshalb niemals angefeindet haben, einen ganz wesentlichen Beitrag zum Aufbau des Staates Israel geleistet, und sie bekennt sich dazu, und zwar, Herr Reents, nicht aus Gründen bloßer Wiedergutmachung nicht wiedergutzumachender Naziverbrechen, sondern aus der von allen Deutschen tief empfundenen Sympathie, ja von vielen jungen Deutschen — so möchte ich sagen — empfundenen Begeisterung für das Modell eines Staates, der Heimat für jahrhundertelang Verfolgte und Entrechtete werden sollte. Das Werk der Versöhnung zwischen Deutschen und Ju-
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den hat große Fortschritte gemacht. Es könnte allerdings gefährdet werden, wenn man uns eine Art Erb- oder Kollektivschuld einzureden versucht, die unser politisches Handeln auf eine einseitige und eindimensionale, ausschließlich an den Interessen einer Seite orientierte Politik einengen würde.Die Mehrheit der heute lebenden Deutschen — das hat der Bundeskanzler bei seiner Israel-Reise klargemacht — ist nicht an den fürchterlichen Verbrechen des Dritten Reiches schuld. Sie leugnet auch nicht ihre historische Verantwortung. Sie läßt sich aber nicht konstant dafür anklagen und sich ihren mühsam erkämpften demokratisch legitimierten Handlungsspielraum einengen.
Meine Damen und Herren, auch das — ich darf das kritisch sagen; ich weiß, daß manche nicht wünschen, daß man Wahrheiten gelegentlich auch offen ausspricht — möge man in Israel bedenken: Es sind gerade junge idealistische Deutsche, die anfangen, Fragen, auch unbequeme Fragen zum Verhältnis von Moral und Politik zu stellen, Fragen an den handelnden Staat Israel, Fragen etwa nach der Annexion Ost-Jerusalems und des Golan, Fragen nach dem Einmarsch in den Libanon, Fragen nach dem Luftangriff auf Bagdad, Fragen nach den Massakern von Sabra und Schatila, Fragen nach dem Einsatz schrecklicher Waffen wie Streubomben und Fragen nach dem Export israelischer Waffen und der Entsendung israelischer Militärberater in zentralamerikanische Diktaturen wie in das Nicaragua Somozas und nach Guatemala. Ebenso wird nach der die Weltmeinung verachtenden Siedlungspolitik gefragt. Es gibt bereits 100 Siedlungen in der Westbank, weitere 27 — so entnehme ich der gestrigen Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung" nach „Ha'aretz" in Jerusalem — sind für die nächsten 25 Jahre geplant, und zwar entgegen allen Entschließungen der Vereinten Nationen und gegen den guten Rat der westlichen Verbündeten. Junge Deutsche fragen nach dem Schicksal der jungen Palästinenser, deren Exodus aus der arabischen Westbank in vollem Gange ist. Ich meine, auch wir Politiker müssen uns diese Fragen stellen, und ich fürchte, mit einer nur nach rückwärts gewandten Diskussion werden wir auch im Nahen Osten nicht weiterkommen. Ich hätte von Ihnen, Herr Reents, eigentlich eine andere Rede erwartet als die, die Sie hier gehalten haben.
Diese Fragen sind sehr ernst zu nehmen. Sie lassen sich nicht wegräumen mit dem Hinweis auf eine schlimme Vergangenheit und auf schreckliche Schuld allein. Sie sind auch nicht alle aus den sicherheitspolitischen Konsequenzen eines lange und böse bedrängten Staates zu beantworten, der sich in vielen Kriegen bitter seiner Haut wehren mußte, der schlimmen terroristischen Anschlägen ausgesetzt war und ist, der aber inzwischen stabiler und besser gerüstet ist als seine untereinander zerstrittenen, innenpolitisch instabilen Nachbarn, die seine Existenz in Wahrheit längst nicht mehr leugnen.Niemand von uns, meine Damen und Herren, will und darf die dunkelsten Stunden deutscher Vergangenheit verdrängen, wird die ungeheuerlichen Verbrechen an den Juden und anderen Minderheiten vergessen und den gewaltsam erzwungenen Exodus der großen deutschen Wissenschaftler, Denker und Künstler jemals begreifen können. Deshalb werden wir weiter für das Existenzrecht Israels und die Sicherheit seiner Grenzen, für die Freundschaft der Bundesrepublik mit dem israelischen Staat und seinem Volk einstehen. Wir tragen gemeinsam mit unseren europäischen Freunden Verantwortung, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um Frieden und Sicherheit im Nahen Osten herzustellen und die Lebensgrundlagen für alle Völker dieser Region zu sichern. Dies gilt aber auch für die durch die Gründung und Ausdehnung des Staates Israels heimatlos gewordenen und in ihren Rechten eingeschränkten Palästinenser, deren Recht auf Selbstbestimmung wir in der Erklärung von Venedig ausdrücklich zugesichert haben.Meine Damen und Herren, wir haben vieles aus der leidvollen Erfahrung gelernt. Wir sind in den vergangenen Jahren bemüht gewesen, unseren Standpunkt zu versachlichen. Wir haben in der arabischen Welt für unsere Politik gegenüber Israel und in Israel für unsere Politik gegenüber den arabischen Staaten um Verständnis geworben. Aber ich glaube, es gilt der Satz: Unsere Freunde in Israel müssen verstehen lernen, daß unsere geschichtliche Verantwortung nicht bei ihnen allein haltmachen kann.Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Renger.
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, in Ihrer Ansprache anläßlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Tel Aviv, zu der ich Ihnen gratuliere — damit sind Sie übrigens der zweite Bundeskanzler, nach Willy Brandt, dem diese Ehre zuteil wird; in wenigen Tagen wird unser Kollege Herbert Wehner diese Ehrendoktorwürde bekommen —, haben sie gesagt:... nicht durch Verschweigen, ... auch nicht durch betretenes Beiseiteschauen können wir die Last der Vergangenheit überwinden, sondern nur durch Analyse und wirklichkeitsgetreue Darstellung, aber auch durch Erinnerung und Trauer.Ich meine, diese Worte klingen gut. Sie stellen hohe Ansprüche im Blick auf die geistige Durchdringung und moralische Wertung der Vergangenheit, aber sie lassen noch mehr von den Konsequenzen erwarten, die wir hieraus in unserem praktisch-politischen Handeln ziehen. Gerade in dieser Hinsicht stellt sich mir die Frage: Herr Bundeskanzler, haben Sie in Israel wirklich glaubhaft machen können, daß wohlklingenden Worten auch die Bereitschaft zu angemessenen konkreten Folgerungen —
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Frau Rengerich meine hier nicht nur die materiellen Hilfen — entspricht?Wenn man Ihre Reden im Bulletin nachliest, findet man sicherlich viele Aussagen, die jedermann unterschreiben kann. Aber, meine Damen und Herren, ist es wirklich ein Zufall, daß es eine merkwürdige Diskrepanz zwischen diesen Ansprachen und dem Echo gibt, das Ihr Besuch nicht nur in Israel, sondern auch in der Weltöffentlichkeit, besonders auch in Deutschland, und zwar selbst in Ihnen durchaus wohlgesonnenen Blättern und Medien, gefunden hat?Mir scheinen, die Gründe liegen auf der Hand. Auf Schritt und Tritt haben Sie deutlich machen wollen, daß es bei aller Berücksichtigung des Vergangenen, dem Sie immer wieder einen verbalen Tribut zollten, nun eigentlich an der Zeit sei, unser Verhältnis zu Israel zu normalisieren, den Staatsbesuch also letztlich doch wie den Besuch eines jeden anderen Staates zu betrachten. So glaubten Sie, Ihre Gastgeber mit der ständig wiederholten Feststellung beeindrucken zu können, Sie repräsentierten eine Generation, die nicht mehr verdächtig werden könne, in die Untaten der Nazis verstrickt gewesen zu sein. Auf israelischem Boden sprachen Sie davon, daß sich die junge deutsche Generation weigere, sich für die Taten der Väter selbst kollektiv schuldig zu bekennen; ich meine, das sind Selbstverständlichkeiten. Ich kann auch, meine Damen und Herren, nicht feststellen, nirgendwo feststellen, daß es irgend jemanden gegeben hat und gibt, der etwa eine solche Kollektivverdarnmung ernstlich ausspricht oder ausgesprochen hat. Waren es schließlich nicht gerade die Geschundenen und Verdammten, die uns die Hand zur Versöhnung gereicht haben, wofür wir alle zu Dank verpflichtet sind?
Im übrigen tragen auch meine Generation und die unserer Väter keine Kollektivschuld, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das wäre eine falsche Gemeinsamkeit mit jenen, die den Nazis Vorschub geleistet haben, vor allem aber eine unerträgliche Gemeinsamkeit mit den wirklich Schuldigen, meine Damen und Herren.
Ungeachtet dieser Ablehnung einer Kollektivschuld bleibt doch aber das — es wurde hier heute zwar schon gesagt, aber ich möchte es wiederholen —, was unser vor kurzem in einer Feierstunde geehrter erster Bundespräsident mit Kollektivscham gekennzeichnet hat.
Sie zu empfinden ist eine moralische Haltung, die Konsequenzen verlangt. Der Bundeskanzler bezeichnet sich gern als Historiker mit konservativem Lebensgefühl. Dazu gehört, meine Damen und Herren, aber auch das Bewußtsein, daß ein Volk in Gutem und Bösem eine überindividuelle Identitäthat, aus der die rein zufällig Nachgeborenen nicht aussteigen können, meine Damen und Herren;
das gilt übrigens auch für Herrn Reents.
Ich habe, wie viele von Ihnen — dessen bin ich sicher —, Yad Vashem vor Augen, wo man den millionenfachen Mord und das Grauen psychisch und physisch kaum erträgt, wo man vor Entsetzen und Scham starr und stumm ist. Deshalb muß man immer aufs neue klar sagen: Diese Ereignisse sind Kainsmale der Menscheit. Sie beschweren das Gedächtnis eines jeden zutiefst. Man kommt ihnen nicht bei, wenn man sich, wie der Herr Bundeskanzler für das richtig befunden hat, auf Lessing mit dem Zitat beruft: „Geschichte soll nicht das Gedächtnis beschweren, sondern den Verstand erleuchten." Solche Zitate, die aus einer ganz anderen Zeit stammen, nämlich der optimistischen Aufklärung des Menschengeschlechts, die dem Fühlen und Denken der Menschen damals entsprachen und dies repräsentierten, nach dem Dunkel und dem Grauen der Vernichtungslager anzuführen, zeugt, so meine ich, Herr Bundeskanzler, doch von einer bedenklichen Ungenauigkeit des Denkens und des Gefühls.
Wir können die Geschichte nicht einfach als bloße Lektion betrachten, die uns instand setzt, sozusagen nach vorn zu schauen; Herr Dregger hat uns das vorhin empfohlen. Angesichts Millionen Ermordeter gibt es nicht die Vorstellung: Die Zeit heilt alle Wunden. Ich will hier aber nicht im Grundsätzlichen dieser Auseinandersetzung verharren, sondern auf das eingehen, was an Aktuellem zur Debatte stand, also in erster Linie auf das Problem der Waffenlieferungen an Saudi-Arabien. Herr Bundeskanzler, Sie haben in dieser Frage wiederholt kühl mit der Bemerkung reagiert, deutsche Politik werde nicht in Jerusalem, sondern in Bonn gemacht, und Ihr Regierungssprecher verstieg sich sogar zu der Äußerung — man glaubt es ja gar nicht, wenn man es liest —, Auschwitz dürfe nicht instrumentalisiert, also nicht für politische Zwecke ausgenutzt werden. Das ist eine Entgleisung, die von Ihnen, Herr Bundeskanzler, noch nicht einmal gerügt wurde,
die jedoch von dem früheren israelischen Ministerpräsidenten Rabin verständlicherweise als deutscher Zynismus empfunden wurde.Man braucht dies keineswegs allein mit den Augen der Israelis zu sehen, um hiervon betroffen zu sein, und man kann über aktuelle Politik durchaus äußerst kritische Bemerkungen machen, aber ein solches Auftrumpfen am ungeeigneten Ort und gegenüber der Besorgnis eines in seiner Existenz bedrohten Landes muß doch geradezu provozierend wirken. Meine sehr verehrten Damen und Herren,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3749
Frau Rengerhaben wir es denn nötig, auf eine solche Weise unsere Unabhängigkeit zu betonen? Oder sollten wir durch solche Trotzreaktionen nur unangenehme Fragen abblocken wollen?Tatsächlich wäre es ja wohl auch nicht angenehm gewesen, die Frage zu beantworten, wie es denn mit der immer wieder bekundeten moralischen Haltung gegenüber Israel zu vereinbaren sei, den Feinden des Landes — und es läßt sich nun einmal nicht aus der Welt schaffen, daß das so ist — Waffen zu liefern. Wo bleibt denn in solchen konkreten Angelegenheiten das vielbeschworene Sonderverhältnis zu Israel? Ist es durch die „traditionelle Freundschaft zu den Arabern" abgelöst worden? Ich habe wirklich mühsam versucht, in der Geschichte danach zu suchen, worin denn diese starke traditionelle Verbindung besteht; aber ich wünsche ja diese Verbindung. Wir haben alles Interesse an guten Beziehungen zu den Arabern, sollten es doch aber nicht dazu kommen lassen, daß wir hiermit in einen Zielkonflikt zu unseren Bindungen mit Israel geraten. Dies ist überhaupt nicht erforderlich,
aber es kann keine Äquidistanz in diesen Fragen geben, meine Damen und Herren!
So können wir uns auch nicht wundern, wenn ein Vorkämpfer und bis zum heutigen Tag aktiver Förderer der israelisch-deutschen Verständigung, der ehemalige Botschafter Israels in Bonn, Asher Ben-Nathan, meint, der Besuch habe einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen — übrigens auch diese Debatte, wenn ich das sagen darf —,
und anmerkt: „Vielleicht war es einer der leitenden Gedanken, daß die Vergangenheit keine gültige Verpflichtung für die Gegenwart oder für die Zukunft mit sich bringt." Diese resignative Äußerung Asher Ben-Nathans sollte uns bewegen, einmal darüber nachzudenken, was die Feier moralischer Grundsätze in Festreden und Veranstaltungen und das zynische Ignorieren in der Praxis für unseren Staat und die Glaubwürdigkeit unserer Demokratie bedeuten.
Ich sage es noch einmal: die Einladung des Herrn Ziesel, der ja, wie gesagt, in der Kanzlermaschine mitflog — was er an judenfeindlichen Artikeln veröffentlicht hat, ist hier schon gesagt worden; ich werde das aus Abscheu nicht wiederholen —, wirft doch ein bezeichnendes Licht auf diese Ignoranz gegenüber solchen Dingen.
Derselbe Kritiker, Asher Ben-Nathan, hat übrigens mit Recht auch darauf hingewiesen, daß der Bundeskanzler in Jerusalem die Beschlüsse der arabischen Gipfelkonferenz von Fes begrüßt hat, während er über das Camp-David-Abkommen mit Ägypten fast gar nichts zu sagen hatte, auch kein Wort des Lobes dafür, daß Israel, was Ägypten betrifft, das Abkommen vollkommen eingehalten und den Sinai dem vereinbarten Zeitplan gemäß geräumt habe; so Asher Ben-Nathan.Herr Bundeskanzler, die heutige Aussprache wird von uns nicht geführt — jedenfalls nicht von mir —, um ein neues Feld innenpolitischer Auseinandersetzungen zu suchen. Im Gegenteil, mir geht es darum, Mißverständnisse und auch Meinungsverschiedenheiten auszuräumen, Standpunkte zu erläutern, aber auch und vor allem zu verdeutlichen, daß das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu Israel zwar im diplomatischen Sinne als normal bezeichnet werden kann, daß es sich im Politischen und Psychologischen aber um unvergleichbare besondere Beziehungen handelt.
Nun werden Sie sagen, Herr Bundeskanzler, Sie hätten keine Gelegenheit ausgelassen, um den Israelis zu versichern, daß Ihre Regierung für gesicherte Grenzen Israels eintritt, womit Sie offensichtlich die besondere deutsche Verantwortung gegenüber Israel betonen wollten. Ich frage mich aber: Muß diese pure Selbstverständlichkeit im Mittelpunkt einer deutschen Bekundung stehen? Dies ist nun wirklich selbstverständlich.
Im übrigen haben Sie viele kritische Ratschläge gegeben, wie der Konflikt Israels mit seinen arabischen Nachbarn gelöst werden könnte — auch heute spielte das in der Debatte eine große Rolle. Ich möchte mir erlauben, dazu eine persönliche Bemerkung zu machen, die sicher auch bei meiner Fraktion nicht nur auf Zustimmung stößt: Halten wir uns mit guten Ratschlägen und Beurteilungen der Situation im Nahen Osten einigermaßen zurück. Wir sind nicht in der Lage, einen Zustand herbeizuführen, der einen Ausgleich der Interessen zwischen Israel und den arabischen Staaten bewirkt. Über den Camp-David-Prozeß hinaus und seine leider unterbrochene Weiterentwicklung helfen auch die Beschlüsse von Fes oder Casablanca und auch der Reagan-Plan zur Zeit nicht. Aussichten auf einen Erfolg könnte es erst dann geben, wenn auch hier vertrauensbildende Maßnahmen ein Neben- und Miteinanderleben ohne militärische Bedrohung möglich machen. Dazu gehört dann allerdings, daß von allen Menschen, allen Staaten in dieser Region die Existenz und die Sicherheit der Grenzen gegenseitig anerkannt werden.
In diesen Tagen erleben wir, mit welcher Härte und Feindschaft die Bürgerkriegskämpfe im Libanon wieder aufflammen. Die ganze Region starrt vor Waffen, die zum Teil unkontrolliert in die Hände derjenigen geraten, die kein Interesse an einer friedlichen Lösung der Probleme haben, sondern die Konflikte noch anheizen, um die Auseinandersetzung zu ihren Gunsten zu entscheiden. Bei allen Interessengegensätzen zwischen den Bürgerkriegsparteien bleibt doch im Mittelpunkt die
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3750 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Frau RengerFeindschaft zum Staate Israel bestehen. Das ist der einzige gemeinsame Nenner, auf den sich alle arabischen Staaten mit Ausnahme Ägyptens bisher einigen konnten. Läßt sich da noch von einem Sicherheitstrauma sprechen? Muß man da die israelische Furcht vor einem neuen militärischen Abenteuer extremistischer Seiten nicht verstehen? Ich darf nach der „WELT AM SONNTAG" vom 5. Februar dieses Jahres wie folgt zitieren:Die Regierung der Bundesrepublik, die verständlicherweise nicht geneigt ist, sich militärisch im Nahen Osten zu engagieren ..., sollte sich gewissenhaft vom Wettbewerb der Waffenlieferungen im arabisch-israelischen Konflikt fernhalten. Das schuldet Deutschland nicht nur seiner Vergangenheit, sondern praktischen politischen Erwägungen der Gegenwart.Da Sie häufig versucht haben, Bundeskanzler Schmidt als Kronzeuge für Zusagen von Waffenlieferungen heranzuziehen, so muß ich doch daran erinnern: Gerade seine Regierung war es schließlich, der es gelungen ist, den Saudis überzeugend darzulegen, daß es im beiderseitigen Interesse liegt, wenn die Bundesrepublik keine Waffen liefert. Es ist gut für den damaligen Bundeskanzler, diese Erkenntnis zu sammeln. Mit Erleichterung haben wir seinerzeit aufgenommen, daß die Herrscher in Saudi-Arabien diese Auffassung akzeptieren und erklärt haben, daß Freundschaft und Zusammenarbeit nicht auf Waffenlieferungen beruhen,
wofür wir sehr dankbar sind und was sich schließlich auch in fortdauernder wirtschaftlicher Zusammenarbeit ausgedrückt hat. Ich bitte Sie, Herr Bundeskanzler, in diesem Sinne auch Ihre Anstrengungen zu unternehmen, nämlich für Verständnis zu bitten, das Waffenlieferungen die Probleme in dieser Region nicht lösen, sondern sie nur noch verschärfen.
Ein scharfer Kritiker, der Literaturhistoriker Hans Maier, hat die Entwicklung unseres Verhältnisses zu Israel einmal so charakterisiert:Erst war es das schlechte Gewissen, dann die ungeheure künstliche Judenfreundschaft, der Jubel über den siegreichen Sechstagekrieg der Israelis. Jede ,progressive` bürgerliche Familie in Deutschland wollte irgendwann einmal nach Israel reisen und sich mit Israelis treffen. Diese Begeisterung flaute sehr bald wieder ab und mündete in der Auffassung: die Israelis übertreiben, sie lernen auch nichts dazu, man muß den Arabern ebenfalls in vielen Dingen recht geben. Die Folge davon ist, daß der Judenhaß anders firmiert wird: Natürlich sind wir nicht gegen Juden, sondern gegen Israel und die Zionisten. Und im Endergebnis läuft es jedoch auf dasselbe hinaus.So Hans Maier. Und ich glaube, in diesem Zitat steckt eine Menge Nachdenkenswertes.Wir sollten — das möchte ich hier zum Schluß sagen — nach innen wie nach außen alles tun, um dafür zu sorgen, daß eine solche Kritik eben nicht recht behält, durch unser Benehmen und unser Denken und unser Fühlen im Innern, aber auch im Verhältnis zu Israel.Im Sinne dieser Forderung war der Besuch des Bundeskanzlers in Israel nicht so hilfreich, wie ich es mir hätte vorstellen können.
Zu sehr schlug auch hier in seinem Auftreten der von ihm verkörperte — ich muß das sagen, es drückt mich einfach, das mal zu sagen — neudeutsche Stil, sozusagen der Unverwüstlichkeit und der permanenten guten Laune durch, die einem mittlerweile wirklich das Mitlachen im Halse stecken läßt und Betroffenheit auslöst.
Hierauf beruht wohl auch der in der israelischen Presse erhobene Vorwurf einer gewissen Mauerhaftigkeit des Bundeskanzlers —
— Mauerhaftigkeit.
— Ja, aber auch unempfindlich wie eine Mauer.
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler mag natürlich glauben, daß viele Probleme sich durch Aussitzen, durch Hinausziehen — Zeit heilt alle Wunden —, einfach durch alle möglichen Dinge lösen lassen. Das mag auch manchmal so sein. Aber das deutsch-jüdische Problem läßt sich nicht aussitzen, indem man einfach, Herr Dregger, den Blick nach vorne richtet.
— Sie haben es schlimm gemacht. Ich wollte das nicht zitieren, was Sie selber hier noch einmal wiederholt haben. Aber mir lief es kalt über den Rücken, als Sie diese Parallele mit dem Holocaust zogen.Robert Leicht schrieb über den Bundeskanzler in der „Süddeutschen Zeitung", wenn auch in einem anderen Zusammenhang: „Ein Mann ohne Gêne". Ich teile das so nicht. Aber bei manchen Unüberlegtheiten während des Israel-Besuchs habe ich deutlich empfunden, daß dem Kanzler die Empfindungskraft, die Präzision der Worte und Gefühle, das Gespür für das Einmalige in dieser Situation ermangelt. Die Scham darüber, daß einem in der Hölle noch die Luft zum Atmen bleibt, wie dies Willy Brandt vor einem Jahrzehnt an gleicher Stätte tiefempfunden ausgedrückt hat, hat der Kanzler in einer Ferne, in einer Diskrepanz, möchte ich sagen, des moralischen Anspruchs, wie ich ihn empfinde, und des praktischen Handelns nicht vermitteln können. Die Menschen in Israel haben bei diesem Bundeskanzler darauf gewartet, meine Damen und Herren.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3751
Frau RengerIch danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Klein .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen. Die Beziehungen Israels zur Bundesrepublik Deutschland sind normal und freundschaftlich. Diese Beurteilung hat der israelische Ministerpräsident Yitzhak Shamir vor dem Besuch von Bundeskanzler Helmut Kohl abgegeben. Aber die Opposition in diesem Hohen Hause hat heute in fast allen ihren Beiträgen das Gegenteil zu konstatieren versucht. Dabei will ich nicht auf das rot-grüne Polemik-Duo Ehmke-Reents eingehen.
Ich bitte Sie jedoch, zur Kenntnis zu nehmen, daß der israelische Ministerpräsident am Ende des Kanzlerbesuchs, also auch nach den schwierigen Diskussionen über mögliche deutsche Rüstungslieferungen an Saudi-Arabien, betont hat: Wir haben auch die strittigen Probleme in guter, freundschaftlicher Atmosphäre besprochen. Das sind keine diplomatischen Floskeln; die lauten ein wenig anders.Natürlich ist mir bewußt, daß das Prädikat „normal und freundschaftlich" die pragmatische Bewertung des aktuellen bilateralen Verhältnisses ist, daß aber vor dem Hintergrund des düstersten Abschnitts unserer Geschichte auf absehbare Zeit Normalität und Freundschaft bestenfalls zwischen einzelnen Deutschen und einzelnen Juden möglich sein können.Der Bundeskanzler hat Israel, wie es KnessetPräsident Menachem Savidor ausdrückte, als „authentischer Vertreter eines neuen, anderen Deutschlands" besucht. Seine schwere Aufgabe war es, einen Beitrag zur Entwicklung der normalen und freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Staaten zu leisten im Bewußtsein der besonderen Verantwortung der Deutschen gegenüber den Überlebenden des grausamsten Verbrechens, das je in deutschem Namen begangen wurde.So sehr ich davon überzeugt bin, daß der Deutsche Bundestag, seit er im Jahre 1949 zum erstenmal zusammengetreten ist, in seiner Gesamtheit dieses neue, andere Deutschland vertritt, so wenig halte ich im Interesse unseres ganzen Volkes eine Form der parlamentarischen Auseinandersetzung für nützlich, in der — bei vollem Verständnis für die unterschiedlichen persönlichen Schicksale und Erfahrungen — Koalition und Opposition einander die ethisch-moralischen Beweggründe ihrer Politik gegenüber Israel aufrechnen.Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang, ein paar Dinge, die von dem Kollegen Ehmke und dem Kollegen Reents hier vorgetragen, aber auch von der Frau Kollegin Renger aufgegriffen worden sind, zu ergänzen. Jener Kurt Ziesel, von dem Sie richtig mitgeteilt haben, daß er Anfang der 30er Jahre der NSDAP beigetreten ist, wurde 1934 auf Befehl von Heydrich verhaftet.
Der Grund war die Beziehung zu einer jüdischen Familie.
Erlauben Sie mir, aus einer Rezension der „Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung in Deutschland", einer Rezension des Ziesel-Buchs „Daniel in der Löwengrube", ein paar Sätze zu zitieren: Ziesel gibt zu, in jungen Jahren Nationalsozialist gewesen zu sein, und er bereut nicht erste heute seine Verirrung.
Seine Gegner waren es nicht weniger, seine Gegner — 1952 —, die ihn damals angegriffen haben. Ist das Denunziantentum der 45er und 46er Jahre ihnen immer noch Ersatz für eigene bessere Leistung, fragt die „Allgemeine Jüdische Wochenzeitung" damals die Gegner von Herrn Ziesel.
Wir merken, daß dieses Buch der Beweis einer echten Metanoia, einer echten sittlichen Umkehr, ist. Hoher sittlicher Ernst ist als tragender Grund seiner Problematik unverkennbar. Der sittliche Ernst des Buches schließt den möglichen Verdacht wider den Autor aus, er habe Flecken seiner Vergangenheit übertünchen wollen. Wir wollen das Buch hinnehmen als das, was es ist:
ein spätes, aber immer noch rechtzeitiges Bekenntnis echter Menschlichkeit.
Diesen Autor hat als Journalisten der Bundeskanzler wie viele andere Journalisten auf eine Reise mitgenommen. Sie werden doch nicht fordern, daß das Bundespresseamt bei Journalisten neuerdings Selektionen vornimmt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mir ist die historische Verbindung insbesondere der deutschen Juden zu den emanzipatorischen Parteien bewußt. Ich bekunde meinen Respekt vor der unbeirrbaren Verläßlichkeit, mit der sozialdemokratische Politiker wie unser früherer Kollege Herbert Wehner und unsere Kollegin Annemarie Renger — um
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Klein
nur diese beiden Namen zu nennen — stets auf der Seite des bedrängten Israel gestanden haben. Aber auch ein Großteil der Gründerväter von CDU und CSU waren Verfolgte des NS-Regimes. Konrad Adenauer hat mit David Ben Gurion die Versöhnung zwischen beiden Völkern eingeleitet. Unter Ludwig Erhard wurden die .diplomatischen Beziehungen zwischen Bonn und Tel Aviv aufgenommen.Wir vertreten in diesem Hohen Hause auch die Deutschen, deren Idealismus in den zwölf Jahren nationalsozialistischer Diktatur mißbraucht wurde, und wir vertreten die Millionen Menschen, die damals noch Kinder waren oder erst nach dem Kriege geboren wurden. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß die Solidarität mit dem jüdischen Volk und dem Staat Israel dem freien Willen und der redlichen Überzeugung aller Deutschen entspringt. Sie mit der unhaltbaren These einer Kollektivschuld einzufordern, würde indes unsere Völker eher entzweien als sie einander näherbringen.
In diesem Bereich — das ist weder zu verniedlichen noch zu verdrängen — vollzieht sich die Abwägung politischer wie moralischer Güter. Die politische Vertretung deutschen Interesses, das auf die Erhaltung unserer freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie, auf den Frieden in der Welt und eine europäische Friedensordnung gerichtet ist, in deren Rahmen auch die Teilung unseres Vaterlandes überwunden werden kann, ist auch ein moralisches Gut. Wir können darüber streiten, auf welchem Wege wir diese Interessen am wirksamsten vertreten. Aber für völlig abwegig halte ich es, wenn die Feststellung des Bundeskanzlers kritisiert wird, daß deutsche Politik in Bonn entschieden werde und nicht in Jerusalem.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, nach dem Besuch von Helmut Kohl glaubte Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender, Professor Horst Ehmke, eine ernsthafte Verschlechterung der deutsch-israelischen Beziehungen feststellen zu können. Vor vier Jahren, nach der Reise von Franz Josef Strauß, befand die SPD eine ernsthafte Verschlechterung der deutsch-arabischen Beziehungen. Ihr damaliger Bundesgeschäftsführer Egon Bahr meinte sogar, Strauß habe dem Westen insgesamt einen schlechten Dienst erwiesen. Der deutsche Bundeskanzler wie der bayerische Ministerpräsident haben sich beide in Israel zu unserer besonderen Verantwortung gegenüber dem Judenstaat bekannt. Beide haben — Kohl gegenüber Shamir und Strauß gegenüber Begin — kritische Anmerkungen auch zur israelischen Siedlungspolitik, beispielsweise im Westjordanland, gemacht. Entsprechend der damaligen Lage hat Ministerpräsident Strauß herbe Kritik an den PLO-Kontakten von Willy Brandt und Bruno Kreisky geübt. Bundeskanzler Kohl hat den seither eingetretenen Entwicklungen in Nahost auch durch Gespräche über eine mögliche rüstungspolitische Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien Rechnung getragen. Doch ganz im Gegensatz zu den sozialdemokratischen Bewertungen erfuhr Strauß damals die gleiche freundschaftliche Behandlung durch Anwar El Sadat und andere arabische Führer wie jetzt Helmut Kohl durch Yitzhak Shamir und andere israelische Politiker.Hören Sie auf, mit der deutschen Nahostpolitik Innenpolitik zu machen und die Ihnen jeweils passend erscheinende Seite zum Zeugen gegen den innenpolitischen Gegner anzurufen!
Dafür ist das Problem zu ernst und zu komplex. Es ist von existentieller Bedeutung nicht nur für die betroffenen Völker in der Region, sondern auch für uns.Die letzten Nachrichten aus dem Libanon, wo die Zahl der Toten stündlich wächst, wo sich Bewaffnete aus zahlreichen Nationen bekämpfen, wo sich die libanesischen Christen, Schiiten, Sunniten und Drusen mörderische Bruderschlachten liefern und wo sich die beiden Supermächte buchstäblich auf Schußweite gegenüberstehen, werfen ein grelles Schlaglicht auf die Gefährlichkeit des inzwischen 36 Jahre währenden Nahostkonflikts.
Die libanesische Tragödie steht — wenn auch nicht ausschließlich — in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Palästinenserproblem.
Nicht erst seit dem blutigen Umsturz im Iran, dem sowjetischen Überfall auf Afghanistan, dem irakisch-iranischen Krieg, dem Griff Moskaus nach dem Südjemen
und den massiven sowjetischen Waffenlieferungen an Syrien wissen wir, daß der Nahe und Mittlere Osten auch ein Brennpunkt der Ost-West-Auseinandersetzung ist.
Die sowjetische Unterstützung der terroristischen Untergliederungen der PLO, die Aufrüstung von Abdel Nassers Ägypten und Muamer Al Gaddafis Libyen haben bereits gezeigt, daß sich die UdSSR von Unruhe und Unrast ideologisch-strategischen Einfluß auf die Region erhofft. Sie hat sich der Millionen palästinensischer Flüchtlinge, deren radikale Maximalforderungen sie hemmungslos unterstützte, als Druckpotential gegenüber allen arabischen Regierungen bedient.
Spätestens seit Abschluß des Camp-David-Abkommens ist es müßig, darüber zu rechten, ob die Palästinenser ein Volk seien oder nicht. Dort, nämlich in dem Abkommen, ist, von Israel akzeptiert, die Rede von den legitimen Rechten des palästinen-
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sischen Volks: „the legitimate rights of the Palestinean people".Der Kollege Dregger hat mit Recht auf den Zusammenhang zwischen westlichen Rüstungslieferungen und dem Friedensschluß Ägyptens mit Israel hingewiesen. Die in jüngster Zeit freilich fragil gewordene Aussöhnung zwischen Israel und Ägypten weist den Weg zu der einzig möglichen Lösung des Nahostproblems: die gegenseitige Respektierung gesichterter Grenzen, die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts, der Verzicht auf Androhung oder Anwendung von Gewalt.Es waren die USA, die diesen Frieden gestiftet haben. Es sind die USA, die — nach vorsichtigen Signalen aus weiteren arabischen Staaten — neue Friedensinitiativen entwickelt haben. Es ist nur vernünftig, wenn die Europäer, insonderheit die Deutschen, diesen natürlich mühsamen, langwierigen und von Rückschlägen begleiteten Prozeß unterstützen. Das entspricht unseren Möglichkeiten und unseren Interessen.
Da aber Israel langfristig seine Sicherheit nicht ausschließlich auf militärische Überlegenheit wird stützen können, liegt es auch in seinem Interesse, wenn wir dazu beitragen, den Kreis friedenswilliger Nachbarn zu erweitern.
Wenn heute die Palästinenser von den drei Prinzipien nur das Selbstbestimmungsrecht und die Isrealis nur die gesicherten Grenzen hervorheben, beide Seiten aber eine besondere Legitimation von Gewalt zu haben glauben, so beweist das CampDavid-Beispiel, daß Selbstbestimmungsrecht, gesicherte Grenzen und Gewaltverzicht nur gemeinsam zu haben sind, d. h. daß am Ende ein Verhandlungsfrieden stehen muß, der nur mit Israel und mit den Arabern herbeigeführt werden kann.
— Herr Kollege, entweder haben Sie nicht zugehört, oder Sie wissen nicht, daß die Palästinenser Araber sind.
Der ägyptische Journalist Mohammed Fahmi hat Ähnlichkeiten zwischen den Israelbesuchen von Bundeskanzler Helmut Kohl 1984 und Präsident Anwar el Sadat 1977 konstatiert — eine orientalische Überhöhung, gewiß. Aber in einem Punkt ist der Vergleich zulässig: Auch Helmut Kohl hat in den beiderseitigen Beziehungen ein neues Kapitel begonnen, das Kapitel der Ehrlichkeit.
— Frau Kollegin, ich würde darüber nicht lachen. Lassen Sie uns einmal wirklich ohne Vorbehalte und ohne parteipolitische Einfärbung einen Blick zurückwerfen! In den ersten zwei Nachkriegsjahrzehnten, als die Bundesrepublik Deutschland diejüngste Vergangenheit erst moralisch aufzuarbeiten begann und der Staat Israel noch ganz vom Vernichtungstrauma der KZ-Erfahrung beherrscht war, haben wir nicht nur offizielle Wiedergutmachung, sondern auch geheime Rüstungshilfe geleistet. Das war unter CDU/CSU-geführten Bundesregierungen.In den Jahren SPD-geführter Bundesregierungen entwickelten sich die deutsch-israelischen Beziehungen normal weiter. Die persönlichen Verbindungen zwischen den sozialistischen Politikern beider Länder wurden gepflegt, derweil sich aber wachsende Teile der SPD — zunächst heimlich, dann immer offener — der PLO zuwandten.
Bundeskanzler Kohl hat sich für Offenheit gegenüber allen Partnern in Nahost entschieden und eben nicht, Frau Kollegin Renger, für das Hinauszögern. Er hat in Kairo und in Riad nichts gesagt, was in Jerusalem oder in Tel Aviv nicht hätte gehört werden dürfen, und umgekehrt.
Er hat den Arabern unsere besondere Verantwortung gegenüber Israel und seiner gesicherten staatlichen Integrität erklärt. Er hat den Israelis unser vitales Interesse an guten Beziehungen zur arabischen Welt dargelegt.
Das hat ihm auf keiner der beiden Seiten nur uneingeschränkte Zustimmung eingetragen, doch die Ehrlichkeit als auch eine moralische Dimension deutscher Politik ist in Israel verstanden worden, trotz der Kritik an der deutsch-saudischen Zusammenarbeit.
Der Bundeskanzler hat mit seinem Israel-Besuch das getan, was der israelische Innenminister Josef Burg zur Entwicklung des Verhältnisses zwischen unseren Ländern gefordert hat: Brücken in die Zukunft schlagen. Dafür dankt ihm die Fraktion der CDU/CSU,
und dafür kann er auch des Rückhalts in der Bundesrepublik Deutschland und im Bündnis gewiß sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der heftigen Diskussion, Herr Kollege Schäfer, die wir in der Fraktion gehabt haben, stehe ich nicht an, Ihnen meine Hochachtung für die Rede auszusprechen, die Sie hier gehalten haben.
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3754 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Dr. HirschIch sehe darin keinen Gegensatz zu dem, was ich sagen möchte. Ich will einige Gedanken, die einige von uns und mich besonders bewegen, vertiefen, Ihren Ausführungen hinzufügen.Wir haben eine besondere geschichtliche Verantwortung gegenüber dem israelischen Volk und gegenüber dem Staat, in dem dieses Volk seine politische Existenz verwirklicht. Diese Verantwortung gilt nicht nur für die Generation unserer Väter, sondern für unser Volk. Wir können es nicht in Generationen zerlegen, und wir können uns nicht einseitig von unserer Geschichte und von unseren Erfahrungen lossagen, und wir wollen es auch nicht.Theodor Heuss hat die Diskussion um die Kollektivschuld beendet, indem er ihr den Begriff der Kollektivscham gegenübergestellt hat. Das ist hier mehrfach gesagt worden, und das ist gültig. Ich verstehe sehr wohl, daß sich junge Menschen in beiden Völkern von der Last der Vergangenheit lösen wollen — das ist richtig —, aber in diesem Prozeß kann das Tempo nicht von einer Seite allein und jedenfalls nicht von uns bestimmt werden.Was heißt also besondere geschichtliche Verantwortung gegenüber dem israelischen Volk in der praktischen Politik? Es heißt nicht, jede Entscheidung der israelischen Regierung etwa für richtig halten zu sollen. Es bedeutet aber sehr wohl, die Frage zu stellen, ob es ausgerechnet unsere Aufgabe ist, sich zum Richter über die streitenden Parteien im Nahen Osten aufzuwerfen, und ob ausgerechnet wir dazu berufen sind zu beurteilen, was dieses Volk tun muß, um seine politische Existenz nicht vom Wohlwollen dritter Staaten, sondern von der eigenen Kraft abhängig zu machen.
Bei allen Zweifeln daran, ob Israel den richtigen Weg wählt, um zu einem Ausgleich mit seinen Nachbarn zu kommen, kann man auf der anderen Seite die Augen nicht davor verschließen, daß dieses Land wiederholt zum Gegenstand militärischer Aggressionen und zahlreicher terroristischer Akte gegen seine Zivilbevölkerung geworden ist und daß es die Erfahrungen der Vergangenheit weder vergessen kann noch vergessen will.Es ist richtig, daß Europa ein Interesse am Frieden im Nahen Osten hat. Es ist unser Recht und unsere Pflicht, an der Formulierung der Interessen Europas mitzuwirken, weil wir selbst ein Teil Europas sind. Die Formulierung einer eigenen deutschen Nahostpolitik würde aber verkennen, daß wir darin nicht unbefangen sind und es nicht sein können.Geschichtliche Verantwortung bedeutet auch, keine Waffen an Länder zu liefern, die sich untereinander im Krieg befinden. Das gilt im Grundsatz überall und ohne Ausnahme,
und das gilt erst recht für Lieferungen in den Nahen Osten. Solche Lieferungen würden nicht nur ineinem harten Spannungsverhältnis zu den Waffenexportrichtlinien stehen, meiner Meinung nach gegen sie verstoßen, sondern vor allem auch gegen das geltende Kriegswaffenkontrollgesetz. Sie würden zu einer Veränderung der militärischen Kräfteverhältnisse führen und uns selbst damit zu einem Teil dieser militärischen Auseinandersetzung machen können.
Man kann sehr wohl mit Ihnen, Herr Dregger, überlegen, ob das auch für andere westliche Staaten gilt. Ich halte diese Frage, die Sie stellen, für berechtigt. Man kann bei Ihrer Erinnerung an das Schah-Regime auch lange darüber nachdenken, welche innere Stabilität dieses Regime trotz der Vielfalt der Waffen hatte, über die es verfügte.Selbst wenn wir Sicherheit über den Verbleib unserer Waffen und über ihre schließliche Verwendung haben könnten, so bliebe doch eines: Die ersten Opfer dieser Waffen wären die vielen Brücken, die zwischen uns und dem jüdischen Volk mühsam errichtet worden sind. In dieser Gegend unserer Welt haben deutsche Waffen nichts zu suchen, egal, wer sie bedient.
Die ersten politischen Opfer dieser Waffen werden wir selber sein, weil wir selber damit die Frage aufwerfen, wie wir zu unserer Vergangenheit stehen.Unsere Verpflichtung ist es, nicht den bewaffneten Kampf, sondern den Friedensprozeß zu fördern. Das kann auf vielfältige Weise geschehen, in Israel, bei seinen unmittelbaren Nachbarn Ägypten und Jordanien, die sehr wohl angesichts der dramatischen und fundamentalistischen Vorgänge im Libanon ein dringendes Interesse an innerer Stabilisierung haben und haben müssen.Die Reise des Bundeskanzlers war wichtig. Ich stimme dem zu, was Herr Klein gesagt hat: Sie war ehrlich. Sie hatte eine symbolische Bedeutung. Ich möchte an die Bundesregierung appellieren, auch unseren arabischen Freunden begreiflich zu machen, daß der deutsche Friedensbeitrag im Nahen Osten nicht in Waffen bestehen sollte, sondern in Schulen, Krankenhäusern, Traktoren und Bewässerungsanlagen.
Es bleibt richtig, was Bundesaußenminister Genscher bei der Beratung der Waffenexportrichtlinien ausdrücklich festgestellt hat:Bei Rüstungsexporten in den Nahen Osten sind die Sicherheitsinteressen und die geschichtliche Verantwortung der Deutschen gegenüber dem jüdischen Volk zu beachten.Wir wollen eine Hilfe leisten, nicht zum Krieg, sondern für die Menschen, die dort leben.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3755
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Aussprache.
Ich rufe nunmehr Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache 10/957 —
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Pfeifer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 50 des Abgeordneten Seehofer auf:
Trifft die Pressemeldung in der Frankfurter Rundschau vom 23. Januar 1984 zu, wonach der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesbildungsministerium die Länder aufgefordert hat, Initiativen zur Errichtung privater Hochschulen zu ergreifen, und wie will die Bundesregierung private Initiativen fördern?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Seehofer, die zitierte Pressemeldung in der „Frankfurter Rundschau" nimmt Bezug auf die Beantwortung einer Frage des Kollegen Kuhlwein in der Fragestunde am 19. Januar 1984. Ich habe in meiner Antwort damals zum Ausdruck gebracht, daß die Bundesregierung alle Maßnahmen unterstützen wird, die Wettbewerb und Leistung im deutschen Hochschulsystem fördern. Private Hochschulen können bereichernde Impulse für neue Formen des Lehrens und Lernens und für einen größeren wissenschaftlichen Wettbewerb zwischen den staatlichen Hochschulen geben. Insbesondere könnten sie wertvolle Anregungen für Maßnahmen geben, die auch die Leistungsfähigkeit des staatlichen Systems erhöhen.
In diesem Zusammenhang habe ich ausgeführt, daß die Bundesregierung mit den ihr zur Verfügung stehenden politischen Mitteln private Initiativen fördern und die Übertragung dabei gewonnener positiver Erfahrungen auf das staatliche Hochschulsystem unterstützen wird. Gleichzeitig habe ich jedoch darauf hingewiesen, daß solche privaten Initiativen an die Länder als erste Adressaten gerichtet sein müssen. Allein die Länder können auf der Grundlage des geltenden Hochschulrechts die Anerkennung privater Hochschulen aussprechen und beispielsweise für die Finanzierung von Baumaßnahmen die Aufnahme in die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau und damit in die hälftige Bundesfinanzierung von solchen Baumaßnahmen beantragen.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß auch Privathochschulen Bildungsstätten für alle sein sollten und sind und nicht nur für Leistungseliten vorgehalten werden?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Diese Auffassung teile ich.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Wie sieht denn eine mögliche Finanzierung nach der Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau" aus? Wird sie nur für Investitionen oder auch für den Betrieb selbst gewährt?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Sie wird in erster Linie für Bauinvestitionen gewährt.
Ich rufe die Frage 51 des Herrn Abgeordneten Seehofer auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die beabsichtigte Gründung einer Privatuniversität in Ingolstadt, und durch welche Maßnahmen will sie diese Privatinitiative unterstützen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Bei der für Ingolstadt geplanten Einrichtung einer privaten Hochschule für Medizin handelt es sich um die Initiative eines gemeinnützigen Trägervereins. Nach den vorliegenden Informationen ist das bayerische Kultusministerium zur Zeit mit der Prüfung des Anerkennungsantrags befaßt.
Die Bundesregierung begrüßt grundsätzlich solche Initiativen. Sie kann jedoch im konkreten Fall dem Ausgang des Prüfungsverfahrens ebensowenig vorgreifen wie eventuellen Entscheidungen über die in der Antwort auf die vorherige Frage angedeuteten Förderungsmöglichkeiten nach dem Hochschulbauförderungsgesetz.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß durch eine mögliche Finanzierungsbeteiligung des Bundes über die Gemeinschaftsaufgabe indirekt das Studium an einer künftigen Privatuniversität Ingolstadt für die Studenten finanziell erträglicher wird?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Seehofer, Entscheidungen der Bundesregierung im Rahmen der angedeuteten Förderungsmöglichkeiten des Bundes kommen grundsätzlich der jeweiligen Hochschule und den betreffenden Studenten oder Mitgliedern der Hochschule insgesamt zugute.
Keine weiteren Zusatzfragen.Meine Damen und Herren, ich bin jetzt in einer etwas mißlichen Situation. Der Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft ist abgeschlossen. Es soll nun der Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen aufgerufen werden. Herr Staatsminister Möllemann steht aber im Augenblick noch nicht zur Verfügung. Er ist auf dem Weg hierher. Es ist auch nicht möglich, den darauffolgenden Geschäftsbereich aufzurufen, weil die Fragesteller, die Fragen zu diesem Geschäftsbereich eingebracht haben, im Augenblick noch nicht anwesend sind. Ich bitte deshalb, noch ein paar Minuten zu warten, bis Staatsminister Möllemann hier eintrifft.
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3756 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Vizepräsident Wurbs— Ich habe nichts dagegen. In meiner großen Güte würde ich bei dieser Besetzung sogar die Kosten übernehmen.
— Das haben Sie gesagt, Herr Abgeordneter.
Darf ich bitten, festzustellen, ob Herr Möllemann in Bälde eintrifft. — Ich höre, er ist unterwegs. —
Herr Staatsminister, sind Sie trotz des Dauerlaufs in der Lage, jetzt die Fragen zu beantworten? Sonst würden wir Ihnen etwas Schonzeit konzedieren.
Doch, es geht.
Ich rufe dann den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf.
Die Fragen 52 und 53 sind vom Fragesteller, dem Abgeordneten Graf Stauffenberg, zurückgezogen worden.
Ich rufe die Frage 54 des Abgeordneten Hiller auf:
Wie ist der Stand der zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Saudi-Arabien vereinbarten Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigungspolitik, und hat sich die Bundesregierung über diese Vereinbarungen mit den USA, Frankreich, Großbritannien und den Staaten der Nah-Ost-Region konsultiert?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, wie beim Besuch des Bundeskanzlers in Saudi-Arabien im Oktober 1983 vereinbart, besuchte eine Delegation saudischer Offiziere vom 5. bis 20. Dezember 1983 die Bundesrepublik und informierte sich durch Besuche bei der Bundeswehr und bei Rüstungsunternehmen über den Stand der deutschen Verteidigungsanstrengungen. Die saudische Seite hat bislang ihre Wünsche hinsichtlich Art und Umfang der Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich nicht konkretisiert. Konsultationen mit anderen Staaten haben daher hierüber nicht stattgefunden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wann werden diese Konsultationen stattfinden?
Möllemann, Staatsminister: Sie können erst stattfinden, wenn die saudische Seite konkrete Wünsche vorgetragen haben wird, die auf den Ergebnissen der Besuche und Gespräche jener Delegation basieren. Solche Wünsche sind bis jetzt nicht vorgetragen worden.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wann liegen nach Ihrer Rechnung entsprechende Ergebnisse vor?
Möllemann, Staatsminister: Das entzieht sich unserer Kenntnis, weil das an der saudischen Seite liegt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatsminister, welche Rüstungsunternehmen in der Bundesrepublik hat die saudiarabische Expertenkommission besucht, und ist diese Kommission von Beauftragten oder Mitgliedern eines Bundesministeriums begleitet worden?
Möllemann, Staatsminister: Die gesamte Planung und Durchführung des Besuchs lagen, was die Bundesregierung angeht, in den Händen des Bundesministeriums der Verteidigung. Das Ministerium hat das Programm für diese Kommission aufgestellt, d. h. es hat sowohl die Truppenteile, die besucht wurden, festgelegt als auch — auf Grund von saudischen Wünschen — die Unternehmen. Die saudische Seite hat artikuliert, welche Unternehmen sie sehen wollte. Ich kann jetzt aus dem Stand nicht alle aufzählen, aber man kann sagen, daß die größten, die wichtigsten deutschen Rüstungsunternehmen besucht worden sind.
— Aber selbstverständlich.
Ich rufe Frage 55 der Frau Abgeordneten Simonis auf:
Aus welchen Gründen und mit welchem Ergebnis hat Staatsminister Möllemann Ende November oder Anfang Dezember vergangenen Jahres Saudi-Arabien besucht, und warum hat es entgegen den sonstigen Gepflogenheiten darüber keine Verlautbarung durch die Bundesregierung gegeben?
Bitte, Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Frau Kollegin, ich bin weder im November noch im Dezember 1983 in Saudi-Arabien gewesen. Deswegen konnte auch keine Verlautbarung über einen solchen Besuch herausgegeben werden.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatsminister, ich will mich jetzt nicht auf den Monat festlegen, aber könnte es sein, daß Sie um die Zeit herum im Ausland gewesen sind?Möllemann, Staatsminister: Ich bin im ganzen letzten Jahr, wenn wir es so weit fassen wollen, einmal in Saudi-Arabien gewesen, und zwar in Begleitung des Herrn Bundeskanzlers. Darüber hat die Presse ausgesprochen ausführlich berichtet.Vizepräsidet Wurbs: Zusatzfrage, bitte.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3757
Herr Staatsminister, können Sie ausschließen, daß es Ihrem Gedächtnis entgangen sein könnte, daß Sie sich vielleicht doch — vielleicht an einer anderen Stelle als an der in meiner Frage genannten — mit Vertretern von Saudi-Arabien getroffen haben?
Möllemann, Staatsminister: Mit Vertretern SaudiArabiens getroffen?
— Nein, ich kann nicht ausschließen, daß ich an anderer Stelle saudische Politiker ziemlich häufig gesehen habe. Immer wieder trifft man sie. Frau Kollegin, Sie wissen, daß ich auch Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft bin. Es gehört zu dieser Funktion, gelegentlich auch Gespräche mit saudischen Politikern zu führen.
Die Frage, um die es hier geht, ist beim Besuch des Bundeskanzlers und nicht an anderer Stelle erörtert worden. Darauf zielt ja wohl Ihre Frage ab. Allerdings war ich an diesen Gesprächen beteiligt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatsminister, haben Sie Ende November oder Anfang Dezember für eine Inlands- oder Auslandsreise eine Maschine einer saudiarabischen Luftlinie oder der saudiarabischen Regierung oder eine saudiarabische Privatmaschine benutzt?
Möllemann, Staatsminister: Nein. Ich kann nicht ausschließen, daß ich nach meinem Besuch Saudi-Arabiens, dem Besuche in Bahrain und Oman folgten, beim Weiterflug auch mit der Saudia geflogen bin, aber dann mit einer Linienmaschine. Das weiß ich jetzt offengestanden nicht mehr genau, aber es war ganz sicher weder eine Regierungsmaschine noch eine Privatmaschine.
Keine Zusatzfrage mehr.
Ich rufe Frage 56 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussichten zur Errichtung von Goethe-Instituten bei selbstverständlicher Gegenseitigkeit in den Staaten des Warschauer Paktes nach dem Vorbild des Goethe-Instituts in Bukarest und des soeben errichteten französischen Institutes in Ost-Berlin?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, die Bundesregierung bemüht sich seit langem, auf der Grundlage der Gegenseitigkeit in den Staaten des Warschauer Pakts Kulturinstitute einzurichten. Wir haben diesen Wunsch den Regierungen dieser Staaten in der Vergangenheit wiederholt mitgeteilt. Nur mit Rumänien konnte 1973 der Austausch von Kulturinstituten vereinbart werden.
Die Bundesregierung wird ihre Bemühungen auch in Zukunft fortsetzen. Dabei ist sie der Auffassung, daß die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Wunsch nach Einrichtung von Kulturinstituten nicht schlechtergestellt werden darf als andere vergleichbare Staaten. Unsere politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zum Osten wären ohne kulturellen Austausch unvollständig.
Mittlerweile sind mit allen Staaten Osteuropas Kulturabkommen in Kraft. Aus finanziellen, ideologischen und politischen Gründen wächst jedoch der Kulturaustausch mit ihnen nur langsam. Die Chance, daß unserem Wunsch entgegengekommen wird, ist von Land zu Land sehr unterschiedlich einzuschätzen. Kurzfristig rechnen wir nicht mit der Einrichtung von Kulturinstituten.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatsminister, welches sind die Gründe der Staaten für die Ablehnung von Kulturinstituten?
Möllemann, Staatsminister: Diese sind in den verschiedenen Staaten sehr unterschiedlich. Es ist ja so, daß man gemeinsame Vereinbarungen über den wechselseitigen Austausch treffen müßte. Insbesondere könnte es daran liegen, daß das Programm, der Inhalt des Programms, das Konzept unserer Kulturinstitute nicht überall auf Gegenliebe stoßen.
Letzte Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, können Sie mir darin zustimmen, daß das Verhalten der Staaten des Warschauer Pakts im Widerspruch zu den Verabredungen von Helsinki und auch im Widerspruch zum Schlußkommuniqué des KSZE-Nachfolgetreffens von Madrid steht, in dem der kulturelle Austausch ausdrücklich vorgesehen ist?
Möllemann, Staatsminister: Der kulturelle Austausch ist in diesen Vereinbarungen zwar vorgesehen, allerdings sind die Instrumente für diesen kulturellen Austausch dort nicht festgeschrieben; daher ist hier ein Ermessensspielraum gegeben. Da wir aber, Herr Kollege Hupka, offenkundig darin übereinstimmen, daß es gut wäre, wenn man zur Eröffnung solcher Kulturinstitute kommt, empfinde ich Fragen aus dem Parlament als eine zusätzliche Ermutigung für die Bundesregierung, mit diesen Bemühungen fortzufahren.
Ich rufe die Frage 57 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Wird nach der im Grundsatzartikel im Bulletin vom 6. Dezember 1983 hervorgehobenen Verbindung zwischen Europapolitik und deutscher nationaler Frage die Bundesregierung in der durch Beschluß der Staats- und Regierungschefs entstandenen Europäischen Politischen Zusammenarbeit sich um die laufende gemeinsame Prüfung politischer Maßnahmen bemühen, die auf eine Überwindung der deutschen und europäischen Teilung gerichtet sind, und um Vorbereitung solcher Erwägungen in einer der zahlreichen EPZ- Arbeitsgruppen?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Czaja, diese Frage haben wir bereits am 6. und am 26. Januar 1984 hier im Parlament behandelt. Ich kann Ihre Frage eindeutig mit Ja beantworten.
Zusatzfrage, bitte.
Bedeutet das, Herr Staatsminister, daß die Bundesregierung darauf drängen
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3758 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Dr. Czajawird, zu einem der Schwerpunkte der EPZ auch die Kernfrage der deutschen Teilung zu machen, da ja der Herr Bundesaußenminister am 6. Dezember als eine der Hauptaufgaben der Außenpolitik bezeichnet hat, den Freunden der Europäischen Gemeinschaft bewußt zu machen, was die Europäische Gemeinschaft für unser geteiltes Land bedeutet?Möllemann, Staatsminister: Es ist eines der zentralen Anliegen unserer Außenpolitik, innerhalb der Europäischen Gemeinschaft die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß wir gemeinsam auf einen Zustand des Friedens in Europa hinarbeiten, der die deutsche Teilung überwindbar erscheinen läßt. Sie dürfen davon ausgehen, Herr Kollege Czaja, daß dies ein zentrales Anliegen der Bundesregierung bleiben wird und daß wir dieses Thema bei unseren Bemühungen um eine Verstärkung der politischen Zusammenarbeit innerhalb der EG weiter im Mittelpunkt unserer Anstrengungen sehen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da die Frage nach der EPZ nicht so ganz eindeutig beantwortet worden ist, frage ich, ob die Bundesregierung die Aufmerksamkeit der Bevölkerung für die europäische Politik um die Zeit der Wahlen zum Europäischen Parlament in diesem Sinne dazu nutzen wird, darauf hinzuweisen, daß es neben Grenzausgleich und Ökologie noch andere Themen gibt und daß sich, wie es der Bundesaußenminister schrieb, „unsere nationalen Hoffnungen auf Überwindung der Teilung Europas nach dem freiheitlichen Vorbild der Europäischen Gemeinschaft gründen"?
Möllemann, Staatsminister: Selbstverständlich, Herr Kollege Czaja, wird das einer der Punkte sein, mit denen wir besonders versuchen werden, unsere Bürger für eine Beteiligung an dieser Wahl zu motivieren. Wir alle wissen ja — quer durch alle Parteien —, daß es nicht einfach sein wird, eine große Beteiligung der Bürger an dieser Wahl zu erreichen. Durch die Darstellung dieses nationalen Ziels, das sich durch diese gemeinsamen Anstrengungen vielleicht leichter erreichen läßt, ist, glaube ich, ein zusätzliches Motiv zu schaffen. Ich möchte aber hinzufügen, daß unsere Bemühungen um eine gemeinsame Position selbstverständlich auch in der EPZ stattfinden.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Dr. Fröhlich zur Verfügung.
Die Fragen 58 und 59 des Abgeordneten Duve werden gemäß Ziffer 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Die Frage 60 wird auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Bernrath, schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 61 und 62 des Abgeordneten Clemens wurden vom Fragesteller zurückgezogen.
Der Fragesteller der Frage 63, der Abgeordnete Stiegler, hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 65 des Abgeordneten Dr. Steger wird gemäß Ziffer 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nunmehr Frage 66 des Abgeordneten Dr. Diederich auf:
Was hat die Bundesregierung seit meiner mündlichen Anfrage betreffend den Verbleib des Bernsteinzimmers und ihrer Antwort darauf (Plenarprotokoll 8/122, Seite 9539) sowie dem Schreiben des damaligen Parlamentarischen Staatssekretärs von Schoeler vom 16. Mai 1980 an mich unternommen, um den Vorgang aufzuklären, und sind dabei neue Erkenntnisse gewonnen worden?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wenn Sie einverstanden sind, würde ich Ihre beiden Fragen gern im Sachzusammenhang beantworten.
Herr Abgeordneter, sind Sie damit einverstanden?
— Gut. Dann rufe ich zusätzlich Frage 67 des Abgeordneten Dr. Diederich auf:Gibt es neue Anhaltspunkte dafür, daß sich das Bernsteinzimmer in den verschütteten Schachtanlagen bei Volpriehausen befinden könnte, und ist die Bundesregierung nunmehr bereit, den Hinweisen, daß zumindest Teile des Bernsteinzimmers dort liegen oder liegen könnten, in einer Weise nachzugehen, die eine zweifelsfreie und abschließende Antwort auf diese Frage möglich macht?Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Die Bundesregierung hat sich weiterhin bemüht, den Verbleib des Bernsteinzimmers aufzuklären. Bis heute haben sich jedoch keine neuen Erkenntnisse ergeben; insbesondere gibt es keine Bestätigung dafür, daß sich das Bernsteinzimmer in der Schachtanlage Wittekind bei Volpriehausen im Landkreis Northeim befindet.Die um Amtshilfe gebetene Oberfinanzdirektion Hannover hat ermittelt, daß aus dem kleinen Kreis der noch lebenden Personen, die an der Einlagerung oder Bergung von Gegenständen in der ehemaligen Schachtanlage Volpriehausen beteiligt waren, lediglich Angaben über die Bernsteinsammlung der Universität Königsberg zu erhalten waren. Konkrete Hinweise auf den Verbleib des Bernsteinzimmers haben sich bei diesen Befragungen nicht ergeben.Endgültig ließe sich die Frage nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen nur durch eine genaue Untersuchung und Befahrung der Schachtanlage herbeiführen. Die dafür notwendige Trokkenlegung der völlig überfluteten Anlage würde
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3759
Staatssekretär Dr. Fröhlichnach dem Urteil von Sachverständigen 10 bis 20 Millionen DM kosten und deshalb in keinem angemessenen Verhältnis zu der vagen Hoffnung stehen, in der Schachtanlage noch etwas zu finden. Die Oberfinanzdirektion Hannover wird jedoch weiterhin berichten, falls sich wider Erwarten neue Erkenntnisse ergeben sollten.Die Bundesregierung ist — wie bisher — bereit, allen konkreten Hinweisen, daß zumindest Teile des Bernsteinzimmers dort liegen oder liegen könnten, in einer Weise nachzugehen, die eine zweifelsfreie und abschließende Antwort auf diese Frage möglich macht.
Eine Zusatzfrage? — Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung Berichte bekannt, daß Untersuchungen, die in der UdSSR angestellt worden sind, ergeben haben sollen, daß das Bernsteinkabinett tatsächlich aus Königsberg fortgeschafft und in das westliche Deutschland gebracht worden sei? So berichtete die „Berliner Morgenpost" nach „Springer-Auslandsdienst" vom 6. Januar 1980, wobei sich diese Meldung wiederum auf die Ostberliner „Berliner Zeitung" bezieht. Und hat sich die Bundesregierung auf diplomatischem oder anderem Wege darum bemüht, auch aus dieser Richtung alle verfügbaren Informationen zu erhalten?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat in der Tat — auch auf Grund dieser Hinweise, die Sie angegeben haben — alle Möglichkeiten ausgenutzt, um Näheres in Erfahrung zu bringen. Das ist aber bisher nicht gelungen.
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß die Frage nach dem Verbleib und der Rückgabe des Bernsteinzimmers nicht nur unter Kostengesichtspunkten, sondern auch und vor allem im Zusammenhang mit der moralischen Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland gesehen werden muß, Kunstgegenstände, die während des Zweiten Weltkrieges gestohlen, entwendet, verlagert oder auf andere Weise nach Deutschland verbracht wurden, zurückzugeben bzw. alles Mögliche — u. U. auch mit hohen Kostenaufwendungen — zu tun, um den Verbleib zweifelsfrei aufzuklären?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Ja, Herr Abgeordneter, in dem Grundsatz stimme ich mit Ihnen überein. Ich meine aber, daß bei der geschilderten Sachlage, bei der es sich lediglich um vage Vermutungen handelt, eine völlig überflutete Schachtanlage von mehreren hundert Metern Tiefe könnte möglicherweise dieses Bernsteinzimmer in sich bergen, Nachforschungen nicht vertretbar wären.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, ob es Suchaktionen mit Tauchern an dem in den letzten Kriegstagen versenkten Schiff „Wilhelm Gustloff" gegeben hat, weil es j a auch Gerüchte gibt, das Bernsteinzimmer sei auf diesem Schiff von Königsberg weggebracht worden, und sind hierbei Erkenntnisse gewonnen worden, durch die mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, daß sich das Bernsteinzimmer in dem Wrack befindet?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, darüber ist mir Näheres nicht bekannt. Wenn Sie nähere Auskünfte haben möchte, würde ich der Frage nachgehen müssen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Fragen 68 und 69 des Abgeordneten Gilges auf. Beide Fragen werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet, und die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nunmehr Frage 70 des Abgeordneten Peter auf:
In welcher Weise beabsichtigt die Bundesregierung die Richtlinien für die Auswahl und Einstellung von Bewerbern für den Polizeivollzugsdienst im Bundesgrenzschutz vom 18. April 1978 zu ändern, damit den Bewerbern nicht mehr gemäß Ziffer 11.2.4 der Richtlinien der Auszug aus dem Beschluß der Bundesregierung vom 19. September 1950 gegen Empfangsbekenntnis ausgehändigt werden muß?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die in Ihrer Frage angesprochene Regelung in den Einstellungsrichtlinien für den Bundesgrenzschutz ist durch Erlaß des Bundesministers des Innern vom 31. Januar 1984 aufgehoben worden.
Zusatzfrage? — Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ich bedanke mich zunächst einmal für die Antwort. Aber im Zusammenhang mit der Antwort auf meine Frage zur Fragestunde vom 18./19. Januar, in der Sie die Vorlage des Beschlusses gegen Empfangsbekenntnis ausdrücklich auf die Einstellung beschränken, frage ich Sie: Wie beurteilen Sie die Tatsache, daß der Beschluß auf Grund einer Verfügung der Grenzschutzverwaltung Mitte vom 1. Dezember 1983 auch Beamten, die sich seit Jahren im Dienst befinden, gegen Empfangsbekenntnis vorgelegt worden ist?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, dadurch, daß die Regelung insgesamt aufgehoben worden ist und von uns schon seit längerer Zeit als obsolet betrachtet wird, wurde, glaube ich, eine klare Rechtsfolge geschaffen.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, da mir bekannt ist, daß der Beschluß der Bundesregierung vom 19. September 1950 auch bei Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeit gegen Empfangsbekenntnis den Bediensteten vorgelegt wird, frage ich, ob Sie bereit sind, feststellen zu lassen und mir dann
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3760 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Peter
mitzuteilen, wo im Bundesbereich der überholte Beschluß der Bundesregierung außerdem noch vorgelegt wird und was Sie dagegen zu tun gedenken.Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Ich bin auf Grund dieser konkreten Frage gerne bereit, Ihnen eine konkrete Antwort zu geben, wenn die entsprechenden Nachforschungen abgeschlossen sind.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 71 des Abgeordneten Peter auf:
Welchen Stellenwert hat nach Auffassung der Bundesregierung das im Artikel 17 GG festgelegte Grundrecht auf Petitionen für Staatsbürger, die im öffentlichen Dienst beschäftigt sind und von diesem Grundrecht Gebrauch machen, wenn sie beispielsweise Massenpetitionen unterschreiben, die sich gegen regierungsamtliche Politik, wie beispielsweise in der Frage der Raketenstationierung, wenden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, das Grundrecht des Art. 17 des Grundgesetzes, nämlich „das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden", steht „jedermann" zu, also auch den Angehörigen des öffentlichen Dienstes. Petitionen können von einzelnen Bürgern oder in Gemeinschaft mit anderen als Sammelpetitionen vorgebracht werden.
Die Wahrnehmung des Petitionsrechts ist grundsätzlich nicht an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Einschränkungen ergeben sich aber für Angehörige der Streitkräfte und des Ersatzdienstes aus Art. 17 a Abs. 1 des Grundgesetzes, für Beamte aus ihrer besonderen Rechtsbeziehung zu ihrem Dienstherren — Art. 33 Abs. 4 und 5 des Grundgesetzes, für den Bereich der Arbeitnehmer gilt Entsprechendes und für jedermann schließlich, soweit der Schutz kollidierender Grundrechte Dritter oder die Wahrung anderer mit Verfassungsrang ausgestatteter Rechtswerte Begrenzungen erfordern.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, gilt diese Einschränkung, die Sie in bezug auf Angehörige der Streitkräfte genannt haben, auch für den Fall, daß die Unterschrift unter eine Sammelpetition gegen die Stationierung von Raketen geleistet worden ist?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Die Einschränkung, die sich verfassungsmäßig aus Art. 17 a des Grundgesetzes und durch das ausfüllende Gesetz, nämlich § 15 des Soldatengesetzes, ergibt, wird je nach der Gestaltung des konkreten Einzelfalls auch für diesen Fall gelten müssen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie die Kriterien, die in § 15 des Soldatengesetzes genannt sind, auf den von mir angesprochenen Fall anwenden?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Diese Frage könnte ich nur in Kenntnis der Gestaltung des Einzelfalls, den Sie offenbar im Auge haben, beantworten.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Simonis.
Herr Staatssekretär, nach welchen Kriterien beurteilen Sie bei einer Sammelpetition, unter der offensichtlich mehrere Unterschriften stehen, zu welchem Berufszweig die Unterschreibenden gehören?
Dr. Fröhlich, Staatssekretär: Die Unterschreibenden des öffentlichen Dienstes unterliegen ja nach der Kategorie, unter die sie fallen, entweder den Kriterien, die das Beamtengesetz gibt, nämlich dem Gebot der Mäßigung und Zurückhaltung und des achtungswürdigen Verhaltens und der verfassungsmäßigen Pflicht des Beamten, auf das Treueverhältnis zu seinem Dienstherrn Bedacht zu nehmen, oder — bei Richtern — dem Richtergesetz oder — bei Soldaten — dem Soldatengesetz.
Keine weitere Zusatzfrage. — Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Erhard zur Verfügung.
Die Fragestellerin der Frage 72, Frau Reetz, ist nicht im Saal. Es wird entsprechend den Richtlinien der Fragestunde verfahren.
Ich rufe die Frage 73 des Herrn Abgeordneten Meininghaus auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen nach Prüfung von über 4 000 Raten-Kreditverträgen festgestellt hat, das 46,3 v. H. als „eindeutig sittenwidrig" bezeichnet werden müssen und weitere 9,4 v. H. als „eventuell sittenwidrig", und welche Stellungnahme will die Bundesregierung dazu abgeben?
Herr Kollege, der Bundesregierung sind Berichte bekannt, nach denen ein erheblicher Teil von Kreditverträgen gegen die guten Sitten verstoße und demgemäß nichtig seien. Eine Stellungnahme hierzu im einzelnen ist nicht möglich, weil die Nichtigkeit eines Vertrages im Einzelfall zu beurteilen ist und die Feststellungen hierüber im Streitfall den Gerichten obliegt. Die Bundesregierung würde es allerdings bedauern, wenn die von Ihnen genannten Zahlen zutreffen sollten.
Herr Staatssekretär, inzwischen sind ja auch Untersuchungsergebnisse des Max-Planck-Instituts bekanntgeworden. Die bestätigen diese Zahlen nicht nur, sondern verdeutlichen sie sogar noch. Ich frage Sie: Empfindet die Bundesregierung hier nicht eine gewisse Fürsorgepflicht gegenüber den Menschen, die unverschuldet in Not geraten? Und ist Ihnen bekannt, daß beispielsweise in einem Fall eine Familie einen Kredit von 27 000 DM aufgenommen hat, in Zahlungsverzug geraten ist, durch Mahngebühren, Zinsen, Verzugszinsen und andere Dinge inzwischen weitere 50 000 DM
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3761
MeininghausSchulden hat, obwohl sie bereits 30 000 DM zurückgezahlt hat? Solche Beispiele gibt es. Sind sie Ihnen bekannt, und was will die Bundesregierung tun, um solche Dinge zu unterbinden?Erhard, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Bundesregierung sind selbstverständlich Fälle, wie Sie sie geschildert haben, bekannt. Trotzdem kann die Bundesregierung nicht den Versuch unternehmen, dort konkret einzugreifen, wo Vertragsfreiheit besteht und wo sich Bürger ihrer eigenen Rechte nicht bedient haben. — Sie greifen aber damit schon in Ihre zweite Frage hinüber.
Wollten Sie noch eine Frage stellen? — Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, es gibt ja Urteile im Bereich des Mietrechts, worin von Gerichten festgelegt worden ist, daß dann, wenn die Miete 15 % der ortsüblichen Miete übersteigt, von Wucher geredet werden kann. Könnte die Bundesregierung nicht auch in diesem Bereich die Grenze des Wucherzinssatzes festlegen, indem man beispielsweise sagt, alles, was 15 % über dem Marktniveau liegt, ist Wucher?
Herr Abgeordneter, ich bitte, Fragen zu stellen.
Erhard, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist zur Zeit nicht bereit, von Amts wegen eine generelle Richtlinie zu erlassen, nachdem die Rechtsprechung ohnehin bereits deutliche Grenzen gesetzt hat.
Ich rufe die Frage 74 des Abgeordneten Meininghaus auf:
Welche Maßnahmen will die Bundesregierung treffen, um zu verhindern, daß viele Kreditnehmer durch extrem hohe Verzugszinsen, hohe Mahngebühren und Erschwerung einer vorzeitigen Kündigung in finanzielle Nöte, wachsende Verschuldung und sogar in die Obdachlosigkeit getrieben werden können?
Erhard, Parl. Staatssekretär: Zunächst zur Rechtslage. Ist ein Vertrag nichtig, so hat dies zur Folge, daß der Kreditnehmer das Darlehen für die vereinbarte Zeit behalten kann, jedoch davon befreit ist, Kosten und Zinsen für das Darlehen zu zahlen. Erbrachte Leistungen auf Kosten und Zinsen können von ihm zurückgefordert werden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Rechtsprechung in den letzten Jahren im Interesse des Schuldnerschutzes im Bereich der sittenwidrigen Verträge erhebliche Ausweitungen vorgenommen hat. Für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs stellt die Rechtsprechung auf die Umstände des Einzelfalles ab. Der Bereich, von dem an mit einer Sittenwidrigkeit zu rechnen ist, beginnt nach der derzeitigen Rechtsprechung etwa dort, wo der vereinbarte effektive Jahreszins das Doppelte des marktüblichen Zinses übersteigt.
Daraus folgt: Die von Ihnen angesprochenen Probleme liegen meines Erachtens nicht in erster Linie im rechtlichen Bereich, sondern darin, daß die Kreditnehmer ihre Rechte nicht wahrnehmen und sich vielfach auch nicht gegen gerichtliche Schritte, die der Kreditgeber veranlaßt hat, angemessen verteidigen. Besonders wichtig ist daher zunächst eine entsprechende Aufklärung. Das Bundesministerium der Justiz hat hierzu in seinem Faltblatt „Wissenwertes über Verbraucherkredite" eine Reihe von Ratschlägen aufgeführt. Rechtsberatung nach dem Beratungshilfegesetz kann auch möglich sein.
Wie Sie wissen, Herr Kollege, liegt ein Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des § 138 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Drucksache 10/307, vor. Der Gesetzentwurf soll den Schutz des Kreditnehmers dadurch verbessern, daß es künftig für die Frage, ob ein Kreditvertrag sittenwidrig ist, auf die subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 138 geltender Fassung nicht mehr ankommen soll. Die Bundesregierung hat erhebliche Zweifel, ob dieser Vorschlag den Schutz des Kreditnehmers tatsächlich verbessert. Die Feststellung der subjektiven Tatseite hat, soweit ersichtlich, der Rechtsprechung bisher keine Schwierigkeiten bereitet. Auf der anderen Seite könnten in Fällen, in den ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung nicht zweifelsfrei erkennbar ist, gerade die subjektiven Tatbestandselemente den Ausschlag für die Nichtigkeit geben, den Schuldner also besser stellen, als er ohne Berücksichtigung der subjektiven Tatbestandsmerkmale stehen würde. Der Entwurf würde daher aus der Sicht des Schuldnerschutzes meines Erachtens keine Verbesserung, wohl aber sehr leicht in Randbereichen eine Einschränkung des Schutzes bringen.
Keine Zusatzfrage. — Herr Staatssekretär ich bedanke mich.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Voss zur Verfügung.
Der Fragesteller der Frage 75 ist Herr Abgeordneter Lowack. Die Frage wird gemäß Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 76 des Herrn Abgeordneten Becker auf:
Welche finanzpolitischen Ziele hat sich die Bundesregierung in der Diskussion um die Neuordnung der EG-Finanzen gesetzt, und mit welchen Initiativen oder Reformvorschlägen ist sie auch noch in anderen Bereichen der EG auf ihre EG-Partner oder die EG-Kommission zugegangen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Becker, sind Sie damit einverstanden, daß ich Ihre beiden Fragen zusammen beantworte?
Ja.
Dann rufe ich auch die Frage 77 des Herrn Abgeordneten Becker auf:
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3762 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Vizepräsident WurbsGlaubt die Bundesregierung, daß ihre aktive Mitwirkung und meßbaren Verhandlungserfolge innerhalb der EG etwa dem finanziellen Anteil entsprechen, den die Eigeneinnahmen der EG der Bundesrepublik Deutschland zurechnen, und wie kann sie gegebenenfalls ihre Auffassung im einzelnen erläutern und für jeden Bürger nachprüfbar darstellen?Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Es ist das Ziel der Bundesregierung, die weitere Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft auf eine solide finanzielle Grundlage zu stellen. Sie hält weiterhin am Paketcharakter der Stuttgarter Beschlüsse des Europäischen Rates fest. Darauf hat der Bundeskanzler am 7. Dezember 1983 in seiner Erklärung zum Ausgang des Athener Gipfels vor dem Deutschen Bundestag ausdrücklich hingewiesen. Das bedeutet: Sobald der Ministerrat insbesondere über eine bessere Beherrschung der Gemeinschaftsaufgaben, der Überprüfung der gemeinsamen Agrarpolitik und die ausgewogenere Lastenverteilung entschieden und sie in Rechtsakte umgesetzt hat und die Verhandlungen über den Beitritt von Spanien und Portugal abgeschlossen sind, wird er über die Erhöhung des Plafonds der Mehrwertsteuereigenmittel entscheiden.Die Bundesregierung ist sich mit den meisten Mitgliedstaaten darin einig, daß — abweichend von dem Vorschlag der EG-Kommission — für die EG auch künftig eine begrenzte Finanzausstattung in Form eines Plafonds festgelegt wird, bei dessen Erhöhung das Ratifizierungsverfahren einzuleiten wäre.Finanzpolitisch vordringlich sind Lösungen für die Probleme der Anpassung der gemeinsamen Agrarpolitik und der ausgewogenen Lastenverteilung zwischen den Mitgliedstaaten; ohne diese Lösungen kann es nicht zu einer Neuordnung und Sicherung der finanziellen Grundlagen der EG kommen.Die gemeinsame Agrarpolitik muß durch ausgewogene Sparmaßnahmen so angepaßt werden, daß auch in den nächsten Jahren die Finanzierung innerhalb des bestehenden Rahmens sichergestellt ist. Die Bundesregierung tritt dafür ein, daß die erforderlichen Entscheidungen rechtzeitig getroffen werden. Die Bundesregierung unterstützt daneben nachdrücklich den Gedanken einer politischen Festlegung, daß das Wachstum der Agrarausgaben auch längerfristig unter dem Anstieg der Eigenmittel gehalten werden muß.Zur Lastenverteilung hat die Bundesregierung einen Vorschlag für ein kommunitäres System mit einer wirksamen dynamischen Belastungsobergrenze vorgelegt; er liegt weiterhin auf dem Verhandlungstisch und ist Gegenstand auch bilateraler Kontakte.Konkrete Verhandlungsergebnisse zu dem Gesamtkomplex der Fragen liegen zur Zeit noch nicht vor. Unter dem französischen Vorsitz in der Gemeinschaft haben sich die vertraulichen bilateralen Kontakte in der Gemeinschaft verstärkt. Ich darf Ihnen versichern, daß die intensiven Bemühungen der Bundesregierung um tragfähige Lösungen politisch begründet sind, wobei selbstverständlich die finanziellen Konsequenzen für die Bundesrepublik nicht außer acht gelassen werden. Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß Einfluß und Verhandlungserfolg in der EG nicht generell bezifferbar sind.Bezüglich der Darstellung der Auffassung der Bundesregierung möchte ich bemerken, daß die Bundesregierung entsprechend der bisherigen Übung in zahlreichen Publikationen über ihre Haltung und die erzielten Ergebnisse berichtet. Ich darf hier nur auf den Integrationsbericht und den Finanzbericht hinweisen.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, Sie sagen mit Recht, daß auf dem Agrarsektor vordringlich Lösungen notwendig sind. Gibt es eigentlich eine Zeitvorstellung für dieses Jahr?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist das Bestreben der Bundesregierung, daß hier die notwendigen Regelungen so schnell wie möglich getroffen werden. Aber Sie wissen, daß das nicht allein vom Verhandlungsziel der Bundesregierung abhängt, sondern auch von den Partnern. Hier sind natürlich gewisse zeitliche wie auch inhaltliche Schwierigkeiten gegeben.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, es gibt ja auch auf den verschiedenen anderen Sektoren eine Reihe von Kontakten. Kann man nach dem bisherigen Verhandlungsstand eigentlich davon ausgehen, daß auch auf den anderen Sektoren im Laufe dieses Jahres Fortschritte erzielt werden können?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bekker, es ist notwendig, daß der Ausgaberahmen insgesamt so gestaltet wird, daß er für uns auch auf Dauer verkraftbar ist, d. h. daß auch andere Initiativen, Pläne und Vorstellungen so beschränkt werden müssen, daß sie diesem Ziel gerecht werden.
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Zutt, bitte.
Gehört zu den notwendigen Regelungen auf dem Agrarsektor auch der Plan, den Währungsausgleich wegfallen zu lassen, und zwar kurzfristig?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, hier sind Verhandlungen im Gange. Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich das Ergebnis im Sinne unserer Vorstellungen hier nicht ausbreiten kann.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich nehme an, daß Sie darüber unterrichtet sind, daß zwischen dem Landwirtschaftsausschuß des Europäischen Parlaments und der Kommission auf der einen Seite und dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hier und Bundeslandwirtschaftsminister Kiechle auf der anderen Seite bezüglich des Wegfalls des Währungsausgleichs un-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3763
Frau Zuttterschiedliche Auffassungen bestehen. Setzen sich diese unterschiedlichen Vorstellungen auch innerhalb der Bundesregierung fort, oder gibt es hier eine einheitliche Auffassung zum Wegfall des Währungsausgleichs?Dr. Voss Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Bundesregierung ist immer bemüht, zu wichtigen Problemen eine einheitliche Meinung herbeizuführen, selbst dann, wenn es im Vorfeld die eine oder andere Divergenz geben sollte.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Ich rufe die Fragen 78 und 79 des Abgeordneten von Schmude auf. — Der Abgeordnete von Schmude ist nicht im Saal.
Ich rufe die Frage 80 des Abgeordneten Dr. Göhner auf:
Ist nach Auffassung der Bundesregierung eine Umstellung der Kraftfahrzeugsteuer praktikabel, wonach anstelle der Bemessung nach Hubraum eine Besteuerung nach Autoabgasschadstoffen und Lärmentfaltung erfolgt, um umweltfreundliche Personenkraftwagen-Typen zu begünstigen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Göhner, die Bundesregierung hält es nicht für praktikabel, bei der Bemessung der Kraftfahrzeugsteuer an die Schadstoffe im Autoabgas und die Lärmentwicklung anzuknüpfen. Eine solche Regelung würde voraussetzen, daß der vorhandene Bestand von über 24 Millionen Pkws überprüft werden müßte. Außerdem setzen sich die Abgase eines Kraftfahrzeuges aus vielfältigen Schadstoffen zusammen. Die Ermittlung einer Bemessungsgrundlage, die alle Schadstoffe entsprechend ihrer Umweltbelastung berücksichtigt, wäre außerordentlich schwierig. Hinzu kommt, daß die Abgaswerte und die Lärmentfaltung eines Fahrzeugs von der persönlichen Fahrweise und dem technischen Zustand des Fahrzeugs abhängen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß bei der Erteilung der Betriebsgenehmigung für Fahrzeugtypen die Abgaswerte für die wichtigsten Schadstoffe — Stickoxide, Kohlenwasserstoffe und Kohlenmonoxid — festgestellt werden und zugleich auch die Lärmemissionen gemessen werden? Sehen Sie nicht die Möglichkeit, daß entsprechend diesen Feststellungen eine neue Bemessungsgrundlage für die Kraftfahrzeugsteuer, also mit einer Umweltrelevanz, geschaffen werden könnte?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist mir aus eigener Erfahrung bekannt. Aber es ist etwas anderes, ob Sie diese Meßwerte zur Grundlage einer Steuer machen. Hier gibt es genuine Unterschiede. Auf Grund des Umstandes, den ich Ihnen versucht habe zu erklären, sieht die Bundesregierung keine Veranlassung, sich hieran anzuschließen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie einräumen, daß Ihr Bedenken hinsichtlich des bisherigen Wagenbestands, der 24 Millionen Kraftfahrzeuge, nicht durchschlägt, weil ja auch von diesen Kraftfahrzeugen die Abgaswerte und Lärmemissionen bei Erteilung der Betriebsgenehmigung für den entsprechenden Fahrzeugtyp sehr wohl festgestellt worden sind und also eine Bemessungsgrundlage auch für die Altwagen vorhanden wäre?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ja, sie sind in einem bestimmten Zustand meßbar. Aber dennoch sind sie von anderen Faktoren abhängig. Aus diesem Grunde empfiehlt es sich nicht, diese Dinge zur Bemessungsgrundlage für eine Steuer zu machen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen nicht wissenschaftliche Forschungen bekannt, die durchaus sehr eindeutig die Zusammensetzung der Schadstoffe in Prozenten aufweisen — ich kann Ihnen beispielsweise sagen, daß es sicherlich gaschromatische Verfahren gibt, mit denen man das mit aller Deutlichkeit und in der Sachaussage auch konsequent messen kann —, und sind Sie mit mir nicht einer Meinung, daß eine DIN wie in vielen anderen Fällen so etwas für einen bestimmten Zustand durchaus festlegen kann?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Mir ist bekannt, Herr Kollege, daß es derartige Untersuchungen gibt. Ich habe ja auch nicht bestritten, daß man das messen kann. Nur, eine andere Frage ist, ob man das als Bemessungsgrundlage, als Anknüpfungspunkt für eine Steuer nimmt. Hierfür sehen wir keine notwendige Veranlassung, da es andere Kriterien gibt, an die man anknüpfen kann und die sich eher anbieten als das, was Ihre Frage zum Inhalt hat.
Keine Zusatzfrage mehr. — Ich rufe die Frage 81 des Abgeordneten Dr. Lammert auf:Hält die Bundesregierung die von der lateinamerikanischen Wirtschaftskonferenz am 13. Januar 1984 beschlossene „Erklärung von Quito" für eine konstruktive und praktikable Grundlage der weiteren internationalen Verhandlungen zur Lösung der weltweiten Schuldenkrise?Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Die anläßlich der lateinamerikanischen Wirtschaftskonferenz am 13. Januar 1984 in Quito verabschiedete Abschlußerklärung enthält eine Vielzahl von Überlegungen und Forderungen zur Überwindung der Verschuldungsprobleme, die im einzelnen recht unterschiedlich zu beurteilen sind.Grundsätzlich ist die Bundesregierung der Auffassung, daß globale Lösungen der unterschiedlichen Problemlage der betroffenen Länder nicht gerecht werden. Von daher ist es zu begrüßen, daß in der Schlußerklärung keine Forderung nach einer weltweiten Verschuldungskonferenz, verbunden mit globalen Schuldenstreichungen und -streckun-
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3764 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Parl. Staatssekretär Dr. Vossgen, enthalten ist. Die Bundesregierung unterstützt die Forderungen, die in Richtung einer Förderung des internationalen Handels und der internationalen Arbeitsteilung sowie einer Abwehr protektionistischer Tendenzen gehen.Auf der anderen Seite enthält die Schlußerklärung einen Forderungskatalog, der über freizügigere Zuteilung von Finanzmitteln — etwa über die Zuteilung von Sonderziehungsrechten, Ausweitung der Kreditvergabe des Internationalen Währungsfonds, Erleichterung des Zugangs zu den Mitteln des Internationalen Währungsfonds — einen Weg vorschlägt, der aus Sicht der Bundesregierung zu keiner Lösung der Verschuldungsprobleme führt. Der Weg zur Überwindung der Schwierigkeiten muß in einer Kombination aus Anpassung und Finanzierung liegen. Die Forderungen der lateinamerikanischen Länder legen jedoch das Schwergewicht über die Öffnung neuer bzw. die Ausweitung bestehender Finanzierungsquellen eindeutig auf die Finanzierungsseite. Besonders problematisch ist in diesem Zusammenhang die Forderung nach Aufweichung der Stabilisierungsprogramme, an die die Kreditvergabe des Internationalen Währungsfonds gebunden ist, bzw. deren Umgehung durch Ausweichen auf andere Finanzierungsquellen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß das Ausmaß der internationalen Schuldenkrise durch eine exzessive Inanspruchnahme von Krediten zustande gekommen ist, die auf einer Fehleinschätzung beruht, an der sich sowohl die Kreditnehmer wie die Kreditgeber beteiligt haben, und daß deswegen der von Ihnen angesprochene Zwang zur Anpassung eben nicht nur auf der Seite der verschuldeten Staaten, sondern auch auf der Seite der Gläubigerländer bzw. der Gläubigerbanken stattfinden muß?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lammert, es ist zuzugeben, daß die Beurteilung in der Vergangenheit nicht immer zutreffend gewesen ist und daß auf Grund dieser Fehlbeurteilung gewisse Folgeentscheidungen eingetreten sind, die heute zu beklagen sind. Deshalb kann man zur Bewältigung dieser schlimmen und gefährlichen Schuldensituation nicht den Weg weitergehen, den man in der Vergangenheit gegangen ist und der sich eindeutig als nicht zutreffend und richtig erwiesen hat.
Eine zweite Zusatzfrage.
Hat das Finanzministerium inzwischen Gelegenheit gehabt, sich mit der Studie eines hohen Beamten des mexikanischen Finanzministeriums auseinanderzusetzen, in der — tatsächlich oder vermeintlich — der Nachweis geführt wird, daß die Auflagen des IWF zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der betroffenen Schuldnerländer eher kontraproduktive Wirkungen gehabt haben sollen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lammert, die Bundesregierung weiß, daß die Schuldnerländer die Auflagen, die vom IMF gemacht werden, häufig kritisieren und als zu schwer und unerfüllbar einstufen. Dennoch, Herr Kollege Lammert, glaube ich, daß wir dem Problem nur dann beikommen können, wenn wir den Schuldnerländern eine stringente Haltung auferlegen, um damit zu verhindern, daß zu den bereits begangenen Fehlern neue und vielleicht noch schwerere hinzutreten.
Zusatzfrage des Abgeordneten Becker.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung eigentlich Pressemeldungen bestätigen, wonach der Gesamtschuldenstand dieser Länder inzwischen 810 Milliarden Dollar beträgt?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Becker, ich kann die Zahl im Moment nicht genau quantifizieren. Aber es ist ein Betrag, der weit in die hundert Milliarden geht. Ich habe im Moment einen Betrag zwischen 600 und 800 Milliarden DM im Kopf. Ich kann den Betrag nicht genau quantifizieren, bin aber gern bereit, Ihnen dies nachzureichen, wenn Sie es haben wollen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Krizsan.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, bei ihrer stringenten Politik auch die Folgen für die in diesen Ländern lebenden einfachen Bürger zu berücksichtigen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das, was die Bundesregierung an Einflußnahme im Rahmen des IWF hat, ist natürlich auch darauf ausgerichtet, den Bewohnern der Schuldnerländer die Lage im Rahmen des Möglichen zu erleichtern und zusätzliche Erschwernisse von ihnen fernzuhalten. Insgesamt, so meine ich, kann man sagen, daß auch diesen Bürgern eine Gunst dadurch gewährt wird, daß Mittel und Wege gefunden werden, die schweren Schuldenlasten, die auf den betreffenden Staaten liegen, im Laufe der Zeit abzubauen.
Keine Zusatzfragen mehr.Ich rufe die Frage 64 des Abgeordneten Stiegler auf. — Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen erledigt. Danke, Herr Staatssekretär.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf.Wir kommen zunächst zur Frage 82 des Herrn Abgeordneten Würtz. — Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 83 des Abgeordneten Wolfram auf:
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3765
Vizepräsident WurbsStimmen die Behauptungen des „Bonner Energie-Reports" Nr. 23/24 vom 31. Dezember 1983, daß im Bundesministerium für Wirtschaft im Zusammenhang mit dem „Kohleverstromungsvertrag" ,,Geheimpläne bzw. Denkmodelle" bestehen, daß nach den NRW-Landtagswahlen 1985 der „Kohleverstromungsvertrag" aufgekündigt wird, deutsche Steinkohle durch Importkohle ersetzt werden soll und den „Treueschwüren" der Bundesregierung nicht zu trauen ist?Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Wolfram, darf ich Sie fragen, ob Sie damit einverstanden sind, daß ich Ihre beiden Fragen wegen ihres sachlichen Zusammenhangs gemeinsam beantworte?
Da der Fragesteller damit einverstanden ist, rufe ich auch die Frage 84 des Abgeordneten Wolfram auf:
Steht die Bundesregierung für die Laufzeit des ,,Jahrhundertvertrages" uneingeschränkt zu Ziel und Inhalt dieses Vertragswerkes, wird sie alles tun, um die Eckpfeiler Kohleverstromung und Absatz an inländische und EG-Stahlindustrie zu sichern?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Wolfram, die Behauptungen des „Bonner Energie-Reports" Nr. 23/24, im Bundesministerium für Wirtschaft bestünden Denkmodelle, nach denen der Kohleverstromungsvertrag nach der NRW-Landtagswahl 1985 aufgekündigt werden solle, ist unzutreffend. Die Bundesregierung geht nach wie vor davon aus, daß der zwischen Steinkohlebergbau und Elektrizitätswirtschaft geschlossene Vertrag über die langfristige Abnahme inländischer Steinkohle verwirklicht wird.
Im Bundesministerium für Wirtschaft gibt es auch keine Überlegungen oder Pläne, die bestehende Kohleimportregelung zu Lasten der deutschen Kohle zu ändern. Es bleibt bei der in der sogenannten Kohlerunde am 10. Oktober 1983 präzisierten Kohlepolitik der Bundesregierung. In den dort vereinbarten und Ihnen bekannten politischen Rahmendaten ist auch die Position der Bundesregierung zum Kokskohleabsatz an die inländische und die EG-Stahlindustrie festgelegt.
Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, können Sie garantieren, daß auch kein Referent oder Hilfsreferent voreilig derartige Pläne ausgearbeitet hat oder an ihnen arbeitet?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Wolfram, ich darf noch einmal den Satz wiederholen, der dies beantwortet. Er begann mit den Worten: „Im Bundesministerium für Wirtschaft" — im! — „gibt es auch keine Überlegungen oder Pläne ...".
Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wie interpretieren Sie und
Ihr Haus heute den Vorrang der heimischen Kohle?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Wolfram, darüber ist immer wieder gesprochen worden, darüber sind im Bundestag immer wieder Erklärungen abgegeben worden. Das letzte Mal ist dazu etwas im Jahreswirtschaftsbericht gesagt worden. Wenn Sie wollen, lese ich das hier gern vor. Aber ich glaube, Sie legen darauf keinen entscheidenden Wert. Es bleibt bei der Haltung der Bundesregierung.
Letzte Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wendet sich die Bundesregierung nachdrücklich und nachhaltig gegen alle Versuche z. B. des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Späth, den Kohleverstromungsvertrag zu ändern und mehr Importkohle zu Lasten der deutschen Kohle einzuschleusen?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Wolfram, ich hatte bereits einmal das Vergnügen, Ihnen zu bestätigen, daß die Bundesregierung davon ausgeht, daß die Verträge, die abgeschlossen worden sind, auch eingehalten werden. Dies trifft auch für jenes Land zu, das Sie soeben erwähnt haben.
— Damit auch auf jenen Ministerpräsidenten.
Herr Abgeordneter Wolfram, Ihre letzte Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, sichert die Bundesregierung verbindlich zu, daß auch in Zukunft deutsche Koks- und Kokskohleexporte in die Länder der Europäischen Gemeinschaft unbehindert und uneingeschränkt erfolgen und sich keine weiteren Kapazitätsvernichtungen und Zechenstillegungen ergeben?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Wolfram, die Bundesregierung hat — ich wiederhole es — ganz klare Positionen in der Frage bezogen, die Sie angesprochen haben. Es bleibt bei diesen Positionen. Die Bundesregierung wird das, was sie dem Bundestag gegenüber zum Ausdruck gebracht hat, wozu sie sich verpflichtet hat, auch künftig einhalten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jens.
Herr Staatssekretär, gibt es in Ihrem Hause Überlegungen, die darauf hinauslaufen, daß der Jahrhundertvertrag über die jetzt vorgesehene Frist hinaus verlängert werden kann? Gibt es nicht gewissermaßen Sachzwänge, Zubau von Kapazitäten im Bereich der Kernenergie, die möglicherweise darauf hinauslaufen, daß der Jahrhundertvertrag dann, wenn er ausläuft, in Frage gestellt werden muß?
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3766 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Jens, ich kann Ihnen dazu keine Antwort geben, die lautet, daß darüber nachgedacht wird. Wenn darüber nachgedacht werden muß, dann wird dies rechtzeitig geschehen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 85 des Abgeordneten Klose auf:
Kann die Bundesregierung ausschließen, daß eine Version des Leo II-Kampfpanzers von Saudi-Arabien erworben wird, indem ein Rüstungsunternehmen aus der Bundesrepublik Deutschland über ein Unternehmen in einem anderen NATO-Land einer Stelle in einem dritten Land Anlagen und Unterlagen zur Herstellung eines Kampfpanzers zur Verfügung stellt, die es möglich machen, diese Kriegswaffe zu produzieren und an Saudi-Arabien weiterzuverkaufen?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Klose, in Anwendung der politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern hat der Ausführer solcher Waren den Endverbleib im NATO-Bereich durch Vorlage eines Importzertifikats sowie gegebenenfalls zusätzlicher Nachweise glaubhaft zu machen. Außerdem wirkt die Bundesregierung beim Export von Kriegswaffen und kriegswaffennahen Rüstungsgütern, wie Anlagen und Fertigungsunterlagen zum Bau von Kampfpanzern, darauf hin, daß diese nur mit dem schriftlichen Einverständnis der Bundesregierung aus dem NATO-Vertragsgebiet verbracht werden dürfen, wenn konkrete Hinweise bestehen, daß sie in Länder weiterexportiert werden könnten, gegen deren Belieferung mit diesen Waren sicherheits- oder außenpolitische Bedenken bestehen. Die pflichtwidrige Weitergabe solcher Rüstungsmaterialien an Dritte ließe sich nicht verheimlichen und würde bald bekannt werden. Abgesehen davon, daß damit auch die Vertrauenswürdigkeit der Regierung des betroffenen Staates erschüttert würde, müßten künftig Ausfuhranträge für den betreffenden Empfänger insofern versagt werden. Da für den deutschen Exporteur ein solches Fehlverhalten unter Umständen außer strafrechtlichen Folgen auch erhebliche wirtschaftliche Konsequenzen infolge möglicher Versagung zukünftiger Exportgenehmigungen nach sich ziehen könnte, würde sich die von Ihnen unterstellte Umgehungsausfuhr gegen das Eigeninteresse des deutschen Herstellers richten.
Bitte sehr, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie von konkreten Informationen gesprochen haben, möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung konkrete Informationen über die Anbahnung eines Kooperationsgeschäftes zwischen einem deutschen, einem englischen Unternehmen und ägyptischen Regierungsstellen erhalten hat. Ist sie entsprechenden Pressemeldungen nachgegangen?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Ich habe nicht von konkreten Informationen gesprochen.
— Falls.
— Solche konkreten Informationen liegen nicht vor.
Darf ich Sie dann fragen: Wie erfährt die Bundesregierung überhaupt von Geschäften solcher Art? Ist das ein Zufall, oder gibt es ein richtiges Informationssystem?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung erfährt davon, wenn Genehmigungen beantragt werden. Für solche Kooperationen müssen Genehmigungen beantragt werden. Dann spätestens erfährt die Bundesregierung davon. Aber sie erfährt auch vorher, daß solche Kooperationen beabsichtigt sind.
Im übrigen darf ich in diesem Zusammenhang auf die politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern hinweisen. Dort finden Sie unter Punkt 7, wie bei der Zusammenarbeit zwischen Rüstungsfirmen in verschiedenen NATO-Ländern verfahren wird, die nicht Gegenstand von Regierungsvereinbarungen ist.
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung unsere Anfragen und Presseberichte zum Anlaß genommen, bei den in Frage stehenden Rüstungsunternehmen Nachfragen zu stellen und, wenn nein, warum nicht?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Gansel, es kommen noch weitere Fragen, die auf eine bestimmte Firma abstellen. Ich werde dann, wenn diese Fragen zu beantworten sind, dazu im einzelnen Stellung nehmen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, erfährt die Bundesregierung etwas über ein Waffengeschäft, wenn keine Ausfuhrgenehmigung beantragt wird?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Ausfuhrgenehmigungen sind zu beantragen. Ein Export ohne Genehmigung ist nicht möglich.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Simonis.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie meinem Kollegen Klose gerade eine Antwort über die Konkretheit Ihrer konkreten Antworten gegeben haben, möchte ich Sie bitten, mir zu
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3767
Frau Simonisbeantworten, ob unsere Fragen von Ihnen nicht als konkreter Hinweis betrachtet worden sind.Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Ich habe Ihre Frage nicht verstanden.
Ich rufe die Frage 86 des Abgeordneten Klose auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß mit Hilfe eines Rüstungsunternehmens aus der Bundesrepublik Deutschland durch Bereitstellung von Fertigungsunterlagen und Lieferung von Teilkomponenten einem argentinischen Rüstungsunternehmen die Möglichkeit eröffnet worden ist, den Schützenpanzer TAM zu produzieren und zum Beispiel in den asiatischen Raum zu exportieren?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Klose, die Bundesregierung hat 1976 die Ausfuhr von Fertigungsunterlagen zum Bau des Panzers TAM in Argentinien genehmigt. Auch zur Zulieferung von Komponenten für eine festgelegte Anzahl von Panzern, die sich nach dem errechneten Eigenbedarf der argentinischen Regierung bestimmte, hat die Bundesregierung ihre Zustimmung gegeben. Dabei ist die Lieferung von Gütern, die unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen, ausdrücklich ausgeschlossen worden. Über Exporte dieses Panzers durch Argentinien liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klose.
Da diese Erkenntnisse in den entsprechenden Fachveröffentlichungen leicht zu finden sind, darf ich Sie fragen, ob Sie diese Frage zum Anlaß nehmen werden, nach dem Export des TAM zu fragen, und würden Sie mir, gegebenenfalls, eine Mitteilung geben, wie Sie das beurteilen?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Klose, Sie können davon ausgehen, daß die Referate, die sich mit diesen Problemen befassen, auch diese Veröffentlichungen lesen, daß sie sich einen Überblick verschaffen, daß sie informiert sind. — Ich habe dem, was ich gesagt habe, nichts hinzuzufügen. Es liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse über Exporte dieses Panzers vor.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klose.
Herr Staatssekretär, unterstellen wir einmal, daß sich Ihr Informationsstand verbessern könnte: Könnten Sie sich vorstellen, daß die deutsch-argentinische Kooperation einschließlich des Exports in Drittländer Modellcharakter haben könnte?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Klose, ich darf darauf hinweisen, daß es sich hier um eine Genehmigung handelt, die die frühere Bundesregierung erteilt hat.
— Und ich darf darauf hinweisen, daß damals eine
Endverbleibsregelung damit nicht verbunden war.
Heute ist damit eine Endverbleibsregelung verbunden. Heute würde dies nicht mehr möglich sein, weil die Endverbleibsregelung so etwas verhindern würde. Aber damals war das möglich, und damals ist es passiert; denn es gab keine Endverbleibsregelungen. Dies hat auch etwas damit zu tun, daß diese Endverbleibsregelung für diese Art von Rüstungsexporten erst im Jahre 1982 in die politischen Grundsätze aufgenommen worden ist.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Simonis.
Herr Staatssekretär, können Sie sich vorstellen, daß beim Fehlen einer Endverbleibsklausel — ich bedaure dieses Fehlen — ein Land wie Argentinien, das sich geweigert hat, der Bundesregierung Auskunft über den Verbleib deutscher Staatsbürger zu geben, sich in der Vergangenheit erst recht hätte weigern können, uns Auskunft darüber zu geben, wohin Panzer gehen?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Die argentinische Regierung ist, so gesehen, nicht verpflichtet, dies zu tun. Die Endverbleibsregelung — ich wiederhole es — für diese Art von Ausführungen ist erst seit dem Jahr 1982 in entsprechende Verträge aufgenommen worden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß, wenn ein Panzer in irgendeinem Land der Dritten Welt erscheint und dessen Merkmale darauf hindeuten, daß er einem deutsch-argentinischen Panzergeschäft entstammt, das Erscheinen dieses Panzers dort und vielleicht auch noch in einer Fachzeitschrift durchaus ein konkreter Hinweis für diese Bundesregierung sein könnte?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Ich habe bereits in der Antwort auf die erste Frage von Herrn Klose darauf hingewiesen, daß die pflichtwidrige Weitergabe solcher Rüstungsmaterialien an Dritte sich nicht verheimlichen läßt und bald bekanntwerden würde. Ich habe in der Antwort auf die zweite Frage von Herrn Klose aber auch darauf hingewiesen, daß der Bundesregierung keine Erkenntnisse vorliegen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, da in den für Kooperation mit Nicht-NATO-Ländern einschlägigen Passagen der politischen Grundsätze der Bundesregierung nur von Einflußnehmern, Hinwirken und dem Anstreben einer Endverbleibsregelung die Rede ist, diese Passagen also sehr vage formuliert sind, möchte ich Sie fragen, ob Ihre Antworten so zu verstehen sind, daß die Bundesregierung Genehmigungen für NATO-Länder nach dem Kriegswaffenkontroll- und nach dem Außenwirtschaftsgesetz nur dann erteilen wird, wenn sichergestellt ist, daß aus diesen Ländern nicht in Drittländer exportiert wird. Können Sie das klar beantworten?
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3768 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Gansel, Sie bekommen eine klare Antwort. Die Antwort ist von der Bundesregierung bereits bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage der GRÜNEN gegeben worden. Dort ist folgendes festgestellt worden — ich wiederhole es —:Lieferungen von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern— dazu gehören Anlagen und Unterlagen für die Produktion von Waffen —in Nicht-NATO-Länder werden nur bei Vorliegen von amtlichen Endverbleibserklärungen genehmigt, aus denen hervorgeht, daß die Kriegswaffen ausschließlich für das Empfängerland bestimmt sind und nicht reexportiert werden.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 87 des Abgeordneten Gansel auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob zwischen dem Rüstungsunternehmen Krauss-Maffei aus der Bundesrepublik Deutschland und einem anderen Unternehmen in einem NATO-Land in den vergangenen Monaten die Lieferung von Anlagen und Unterlagen zur Herstellung eines Kampfpanzers vereinbart worden ist?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Gansel, der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß zwischen der Firma Krauss-Maffei und einem anderen Unternehmen in einem NATO-Land in den vergangenen Monaten die Lieferung von Anlagen und Unterlagen zur Herstellung eines Kampfpanzers vereinbart worden ist. Dem für die Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen zuständigen Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft liegen auch keine entsprechenden Anträge vor.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Hat sich die Bundesregierung erkundigt, ob die Firma Krauss-Maffei mit einem Verhandlungspartner in einem anderen NATO-Land in Verhandlungen steht, und ist die Bundesregierung hierbei vorab um eine Stellungnahme gebeten worden?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß die Bundesregierung, daß die zuständigen Stellen sich erkundigt haben. Bisher ist — das ergibt sich aus meiner Antwort — eine entsprechende Stellungnahme von seiten der Firma nicht erbeten worden.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, die heutige Meldung der Wochenzeitschrift „Die Zeit" zur Kenntnis zu nehmen, in der über solche Verhandlungen zwischen Krauss-Maffei bzw. einem Tochterunternehmen und arabischen Interessenten berichtet wird und in der mit Bezug auf den Besuch des ägyptischen Verteidigungsministers bei Krauss-Maffei ein Mitarbeiter von Krauss-Maffei wie folgt zitiert wird: „Wir untersuchen Möglichkeiten. Es gibt keinen Vertrag, ... keine Genehmigung. Aber Bonn weiß, daß wir uns Gedanken machen."?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Ich bin bereit, diese Meldung entgegenzunehmen, Herr Gansel.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Simonis.
Herr Staatssekretär, da Sie meinem Kollegen Gansel gerade gesagt haben, Sie gingen davon aus, daß die Bundesregierung solchen Hinweisen nachgegangen sei, darf ich Sie fragen, ob Sie wissen, daß Ihr Ministerium dafür zuständig ist, solchen Hinweisen nachzugehen.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Wenn solche Fragen eingebracht werden, dann wird in der Regel so verfahren, daß man sich erkundigt und sich informiert. Das Ergebnis habe ich Ihnen mitgeteilt.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Zutt.
Sind Sie, nachdem Sie Ihre Recherchen innerhalb der verschiedenen Stellen der Regierung angestellt haben, bereit, den Antragstellern auch eine Antwort in schriftlicher Form zukommen zu lassen?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Wenn meine Auskünfte nicht korrekt gewesen sein sollten, würde ich dies zu korrigieren haben, und ich würde eine entsprechende Korrektur vornehmen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, würden Sie den Ihnen angebotenen Artikel der „Zeit" in bezug auf unsere Fragestellung prüfen, und würden Sie uns das Ergebnis der Prüfung dieses Artikels dann schriftlich zukommen lassen?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Ich werde diesen Artikel in die Prüfung geben, und ich werde den Fragestellern, Herrn Gansel und Ihnen, eine entsprechende Antwort zukommen lassen.
Wollen Sie noch eine Zusatzfrage stellen? — Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß bei der Firma Krauss-Maffei die Befürchtung besteht, spätestens ab 1986 könnte eine erhebliche Zahl von Arbeitsplätzen gefährdet sein, falls keine Anschlußaufträge vorliegen?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Ich bin über die betriebsinternen Probleme der Firma, soweit es welche gibt, nicht unterrichtet. Ich kann Ihnen daher nicht sagen, ob es solche Befürchtungen gibt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hiller.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3769
Herr Staatssekretär, hätten Sie, wenn ein entsprechender Antrag gestellt worden wäre, so ein Dreiecksgeschäft mit einer dritten Firma genehmigt?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Dies ist eine hypothetische Frage. Ich kann darauf keine Antwort geben.
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 88 des Abgeordneten Gansel auf:
Wie kontrolliert die Bundesregierung gemäß den politischen Grundsätzen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern, daß Anlagen und Unterlagen zur Herstellung von Kriegswaffen über Kooperation mit einem Rüstungsunternehmen in einem anderen NATO-Land nicht in Länder weiterexportiert werden, gegen deren Belieferung mit diesen Kriegswaffen sicherheits- oder außenpolitische Bedenken bestehen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, nach den politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern vom April 1982 ist der Endverbleib von exportierten Rüstungsgütern einschließlich Anlagen und Unterlagen zur Herstellung von Kriegswaffen im NATO-Bereich glaubhaft zu machen. Dies setzt in der Regel die Zusicherung des Exporteurs und ein von ihm beigebrachtes Importzertifikat voraus. Soweit besondere Umstände des Einzelfalls dies nahelegen, werden zusätzliche Nachweise verlangt.
Bei Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern wird darauf hingewirkt, daß diese nur mit dem schriftlichen Einverständnis der Bundesregierung aus dem NATO-Vertragsgebiet verbracht werden dürfen, wenn konkrete Hinweise bestehen, daß sie in Länder weiterexportiert werden, gegen deren Belieferung mit diesen Waren sicherheits- und außenpolitische Bedenken bestehen. Die pflichtwidrige Weitergabe von Rüstungsmaterial ließe sich schwerlich verbergen und würde daher bald bekanntwerden. Abgesehen davon, daß damit auch die Vertrauenswürdigkeit der Regierung des betreffenden Staates erschüttert würde, müßten künftig Ausfuhranträge für den betreffenden Empfänger insofern versagt werden.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß nicht erst für den Export von Kriegswaffen oder Fertigungsunterlagen eine Genehmigung der Bundesregierung erforderlich ist, sondern schon für die Produktion von Kriegswaffen, und machen Sie sich schon bei der Beantragung der Produktionsgenehmigung darüber kundig, in welche Länder diese Waffen exportiert werden sollen, wenn sie nicht für den Bedarf der Bundeswehr bestimmt sind?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Das, was Sie im ersten Teil Ihrer Frage angesprochen haben, ist mir bekannt.
Was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht, so bin ich im Augenblick nicht in der Lage, eine Antwort darauf zu geben. Ich gehe davon aus, daß dies das normale Verfahren ist, aber ich kann dies hier nicht mit Sicherheit feststellen.
Möchten Sie noch eine Zusatzfrage stellen? — Bitte.
Da ich annehme, daß Sie diese Antworten gegebenenfalls schriftlich geben können, möchte ich Sie jetzt ergänzend fragen, ob Sie mir mitteilen können, ob die Kontrolle der Bundesregierung auf Grund einer Information der Firma, wenn sie in Vertragsverhandlungen steht, erfolgt oder ob diese Kontrolle erst nach Beantragung einer Herstellungsgenehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz oder nach Beantragung einer Genehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz erfolgt.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Ich werde dies prüfen lassen und Ihnen dann eine Antwort zukommen lassen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Simonis.
Herr Staatssekretär, könnten Sie sich eine Konstruktion vorstellen, bei der folgendermaßen — wie bei uns — verfahren wird, ohne daß ich dem Land, über das wir jetzt die ganze Zeit diskutieren, zu nahetreten möchte: Der Kampfpanzer wird hergestellt, an die nationale Armee ausgeliefert und dann über eine ähnliche Stelle wie unsere Verwertungsstelle nach einer Aussortierung an ein anderes Land weiterverkauft?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Ich kann mir das nicht vorstellen, weil es gegen die Vorschriften, gegen die gesetzlichen Regelungen verstoßen würde.
Zusatzfrage des Abgeordneten Wolfram.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, geht die Bundesregierung angesichts des bekannten Einfallsreichtums internationaler Waffenhändler konkreten Hinweisen in einem Empfängerland nach, z. B. in der Form, daß der jeweilige deutsche Botschafter vor Ort recherchiert, ob solche deutschen Erzeugnisse in dem jeweiligen Land „aufgekreuzt" sind?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Solchen Informationen wird nachgegangen, wenn es sich um Informationen handelt, die verfügbar sind. Aber es kann wohl nicht angenommen werden, daß wir in der Lage wären, in dem jeweiligen Land vor Ort nachzusehen, ob solche Waffen tatsächlich vorhanden sind. Das würde gegen die Souveränität des jeweiligen Landes verstoßen.
Keine Zusatzfrage mehr.Ich rufe die Frage 89 der Frau Abgeordneten Simonis auf:Ist der Bundesregierung bekannt, welche Vereinbarungen bei dem Besuch des Verteidigungsministers von Ägypten bei dem Rüstungsunternehmen Krauss-Maffei in München Anfang November vergangenen Jahres getroffen sind, und wie kann die Bundesregierung Vereinbarungen über Rüstungs-
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3770 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Vizepräsident Wurbskooperation gemäß den „Politischen Grundsätzen der Bundesregierung über den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" kontrollieren?Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, der Besuch des ägyptischen Verteidigungsministers bei der Firma Krauss-Maffei im November 1983 diente ausschließlich der Information. Konkrete Vereinbarungen über eine Zusammenarbeit zwischen der ägyptischen Regierung und der Firma Krauss-Maffei wurden nach Auskunft der Firma daher nicht getroffen.Zu Ihrer Frage nach der Kontrolle von Vereinbarungen über Rüstungskooperation ist darauf hinzuweisen, daß nicht die Kooperationsvereinbarungen selbst, wohl aber die im Rahmen von Kooperationen anstehenden Exporte von Rüstungsgütern, einschließlich der Vergabe von Lizenzen und des Exports von Fertigungsunterlagen, der Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz oder dem Außenwirtschaftsgesetz bedürfen. Sie wird nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen und der „Politischen Grundsätze der Bundesregierung über den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" erteilt.
Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatssekretär, da sich der erste Teil Ihrer Antwort auf eine Auskunft der Firma Krauss-Maffei bezieht, darf ich Sie fragen, ob der ägyptische Verteidigungsminister völlig ohne protokollarische Begleitung und ohne Hilfe durch irgendein Ministerium der Bundesregierung bei Krauss-Maffei gewesen ist.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, dazu hat Herr Kollege Möllemann vorhin bereits etwas gesagt.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da ich davon ausgehe, daß irgend jemand den Herrn begleitet hat und er nicht allein — per Bus, Bahn oder Flugzeug — nach München geschickt worden ist, frage ich, ob einem oder mehreren der begleitenden Herren bekanntgeworden ist, ob über Lieferungen, Konstruktion oder Produktion gesprochen worden ist, so daß also möglicherweise nicht nur die Firma Ihnen diese Antwort gegeben hat.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Verehrte Frau Kollegin, auch dazu hat sich die Bundesregierung bereits geäußert, und zwar im Rahmen der Antwort auf die Kleine Anfrage der GRÜNEN. Dort ist zu der Frage, die Sie soeben gestellt haben, folgendes festgestellt worden:
Die Bundesregierung hat dem ägyptischen Verteidigungsminister keine Zusagen im Bereich der Ausrüstungs- und Ausbildungshilfe gegeben.
Ferner heißt es dort:
Es bestand bei dieser Gelegenheit keine Notwendigkeit, zu der Frage einer Lieferung von
militärischen Gütern nach Ägypten Stellung zu nehmen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin gesagt, er wäre ausschließlich zur Information da gewesen. Meine Frage: Über was hat er sich informiert und welche Beamten, Soldaten oder Angestellten aus dem Bereich des Bundesministeriums der Verteidigung haben ihn dabei begleitet?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin der Vertreter des Wirtschaftsministeriums. Ich weiß, daß die Bundesregierung hier antwortet. Nichtsdestotrotz: Das Verteidigungsministerium ist vorhin von Herrn Möllemann in diesem Zusammenhang genannt worden. Von dort könnten die Auskünfte kommen, die Sie gerne haben möchten. Ich möchte insofern bitten, dann vielleicht noch einmal dort nachzufragen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung den Export von Prototypen, Fertigungsunterlagen und Produktionsanlagen für einen Kampfpanzer an Ägypten über ein NATO-Land genehmigen oder ablehnen?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Gansel, Sie wissen, daß die Prüfung von Waffenexporten für jeden Einzelfall vorgenommen wird. Es gibt keine generelle Genehmigung. Es gibt daher auch nicht die Möglichkeit, daß ich Ihnen darauf jetzt eine Antwort gebe. Das wird abhängen von den Bedingungen des jeweiligen einzelnen Falles. Ich verweise wieder auf die politischen Grundsätze. Dies ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, aber dafür sind eine ganze Reihe von Bedingungen genannt worden. Die Prüfung im Einzelfall entscheidet.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, können Sie sich eigentlich vorstellen und uns glaubhaft erklären, daß ein Verteidigungsminister eines von uns geschätzten Landes ein Rüstungsunternehmen besucht, ohne jedwede Absicht zu haben, d. h., daß dahinter nicht etwa das Ziel steckt, Zusammenarbeit zu erbitten oder anzustreben?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Ich kann mir das durchaus vorstellen. Das Interesse der Militärs ist nicht gering.
Keine weitere Zusatzfrage.Ich rufe Frage 90 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die Meldungen des „Wehrdienst" vom 9. und 23. Januar 1984, daß das Unternehmen Krauss-Maffei beabsichtige, zusammen mit einem Rüstungsunternehmen aus einem NATO-Land, an die ägypti-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3771
Vizepräsident Wurbssche Regierung Prototypen, Bausätze, Konstruktionsunterlagen und Fertigungsanlagen für die Produktion einer Version des Kampfpanzers Leo II zu liefern?Bitte, Herr Staatssekretär.Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Klejdzinski, laut dpa-Meldung vom 2. Februar 1984 beruht der Bericht des „Wehrdienst" auf Angaben eines anonymen Schreibens. Der Bundesregierung sind keine Pläne der Firma Krauss-Maffei bekannt, zusammen mit einem anderen NATO-Land Leo-IIFertigungsunterlagen oder Teile nach Ägypten zu liefern.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wenn ich Leo II ersetze durch Leo I oder Modifikationen des Leo I, stimmt meine Anfrage dann?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie haben nach Leo-II-Fertigungsunterlagen gefragt. Daraufhin haben Sie die Antwort bekommen. Wenn ich Ihnen jetzt so antworte, heißt das nicht, daß Sie daraus schließen können, daß Ihre Frage etwa mit Ja beantwortet werden kann. Ich kann dazu im Augenblick nichts sagen, da diese Frage nicht eingereicht worden ist.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ausgehend von meiner Frage: Kann es nicht sein — da dieser Name „Leo-II" für einen Kampfpanzertyp steht —, daß möglicherweise ein Kampfpanzertyp ähnlicher Art in dieser Form in dieses Geschäft eingereiht worden ist?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, noch einmal: Diese Frage ist nicht gestellt worden. Ich kann Ihnen darauf keine Antwort geben.
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Simonis.
Herr Staatssekretär, da der „Wehrdienst" normalerweise bei allen Beteiligten mehr oder weniger schmerzlich als die Handelsbörse und Informationsbörse für Rüstungsvorhaben gilt: Hätte der Hinweis in der Frage des Kollegen Klejdzinski nicht dazu führen müssen, daß Sie sich ein ganz klein bißchen weniger überrascht über unsere Fragen hätten zeigen müssen?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Verehrte Frau Kollegin, ich tue das, was ich zu tun habe: eine Frage zu beantworten. Das habe ich getan. Wenn Sie der Meinung sind, Sie sollten die Frage erweitern, werden wir darauf sicherlich ebenfalls antworten.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, da Sie bei Ihrer Antwort auf die Frage, die sich auf den „Wehrdienst" als Quelle bezieht, plötzlich einen anonymen Brief ins Spiel gebracht haben, möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung bereit ist, anonymen Briefen, die sich auf Waffengeschäfte beziehen, in Zukunft die gleiche Glaubwürdigkeit zu geben wie anonymen Briefen, die sich auf das Intimleben von Bundeswehrgenerälen beziehen.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Anonyme Briefe sind normalerweise kein Anlaß, sich damit zu beschäftigen.
Ich meine, daß das eine generelle Haltung sein sollte.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 91 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski auf:
Ist die Verwirklichung einer solchen Absicht durch das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Außenwirtschaftsgesetz und die politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen oder sonstigen Rüstungsgütern ausgeschlossen?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Ausfuhr von Prototypen, Bausätzen, Konstruktionsunterlagen und Fertigungsanlagen für die Produktion eines Kampfpanzers bedarf der Genehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz sowie teilweise nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz. Derartige Ausfuhren wären ohne Genehmigung unzulässig.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, da Sie sich diesmal nicht auf Leo II, sondern ganz allgemein auf einen Kampfpanzer bezogen haben,
darf ich Sie jetzt fragen: Würde dies auch für einen Leo I in irgendeiner Modifikation gelten?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Darf ich nachfragen, was Sie mit „würde dies auch gelten" meinen?
So, wie Sie meine Frage 91 beantwortet haben, Herr Staatssekretär.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Ich habe schon bei der Beantwortung früherer Fragen darauf hingewiesen, daß Genehmigungen erforderlich sind. Von vornherein ist dies nicht ausgeschlossen. Die politischen Grundsätze sind in diesen Punkten klar und eindeutig.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort von einem „Kampfpanzer" gesprochen. Kann ich also davon ausgehen, daß dieser von Ihnen verwendete Begriff „Kampfpanzer" Modifikationen von allen Kampfpanzern, angefangen vom Leo I a, b, c, d bis zum Leo II, umfaßt?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Die Grundsätze gelten für alle Waffenexporte.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Zutt.
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3772 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Herr Staatssekretär, nachdem Sie die Frage von Herrn Klejdzinski verneint haben, frage ich Sie, ob Sie es für möglich halten, daß ein Teil von Rüstungsgütern und Zulieferungen für solche unter dem Titel „Ausrüstungshilfe" geliefert wird und diese Lieferungen dann gesetzeskonform verlaufen, weil sie ohne die Barrieren Kriegswaffenkontrollgesetz und Außenwirtschaftsgesetz möglich sind.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, gesetzeskonform verlaufen Waffenexporte nur dann, wenn vorher dafür eine Genehmigung erteilt worden ist. Jeder Einzelfall wird gründlichst geprüft. Es wird nach den Kriterien entschieden, die in den politischen Grundsätzen für den Export von Waffen niedergelegt sind.
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, den Auswärtigen Ausschuß in vertraulicher Sitzung zu informieren, bevor sie über Anträge eines deutschen Panzerherstellers über den Export von Know-how oder Produktionstypen in ein Land außerhalb der NATO entscheidet?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Gansel, die Bundesregierung legt größten Wert auf volle Klarheit der Zuständigkeit und Verantwortlichkeiten entsprechend dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative. Die Unterrichtung des Deutschen Bundestages durch die Bundesregierung entspricht diesem Grundsatz unter Wahrung der gebotenen Vertraulichkeit. Dort, wo sie nach der Geschäftsordnung vorgesehen ist, wird dies geschehen. Aber nach diesem Grundsatz wird verfahren.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klose.
Herr Staatssekretär, Sie haben auf die Ursprungsfrage des Abgeordneten Dr. Klejdzinski zusammengefaßt geantwortet: Es wäre unzulässig ohne Genehmigung. — Darf ich Sie fragen, ob eine Realisierung einer entsprechenden Absicht nach den geltenden Bestimmungen überhaupt genehmigungsfähig wäre.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Das hängt von der Beurteilung des Einzelfalles ab.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 92 des Abgeordneten Dr. Czaja:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderungen der polnischen Regierung, Umschuldungsverhandlungen über die unbezahlten Zinsen und Tilgungen der Jahre 1982 und 1983 für Hermes-verbürgte Kredite mit der Gewährung neuer Kredite direkt oder über den Internationalen Währungsfonds zu verbinden, und wie beurteilt sie diese Forderungen unter dem Gesichtspunkt des Bundestagsbeschlusses vom 18. Dezember 1981?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Sehr geehrter Herr Czaja, die Bundesregierung vertritt ebenso wie die anderen westlichen Gläubigerländer die Auffassung, daß Umschuldungsverhandlungen grundsätzlich nicht mit Verhandlungen über die Gewährung neuer Kredite bzw. Ausfuhrbürgschaften verbunden werden sollen. Die Gewährung neuer Bürgschaften durch die Bundesregierung entscheidet sich nach den allgemein geltenden Regeln des Haushaltsrechts und nach wirtschaftlichen Kriterien, insbesondere risikopolitischen Gesichtspunkten. Bei der Entscheidung über neue Bürgschaften für Polen wird die Bundesregierung zudem den Bundestagsbeschluß vom 18. Dezember 1981, insbesondere dessen Ziffer 7 — Sie kennen den Inhalt —, beachten.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, teilt Ihr Haus die Auffassung des Bundesaußenministers, daß — so wörtlich noch am 3. Februar 1984 — in unseren Beziehungen zu Polen Leistung und Gegenleistung insgesamt in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen, also auch vor neuen großen Umschuldungs- und Kreditverlusten wenigstens die Einhaltung der von Polen eingegangenen Rechtsverpflichtungen des politischen Menschenrechtspaktes uns gegenüber und auch gegenüber den Deutschen gewährleistet sein muß?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Wir teilen die Auffassung.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, muß nicht auch einmal notwendigerweise der Bevölkerung und dem Steuerzahler reiner Wein darüber eingeschenkt werden, wieviel von den diesjährigen Hermes-Verlusten von 3150 Millionen DM und den sonstigen Bankverlusten auf Polen entfällt, wie hoch die Verluste — vielleicht 9 bis 10 Milliarden DM — in den nächsten Jahren sein werden und daß das so nur weitergeht, wenn Polen wenigstens die Menschenrechtsverpflichtungen einhält, die Deutschen nicht ständig diskriminiert und beschimpft und die völlige Ineffizienz der zentralistischen Planungswirtschaft abbaut'?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Wir hoffen ja, daß über die Umschuldungsverhandlungen, die wieder in Gang gekommen sind, doch noch eine Lösung gefunden wird, die zu einer Rückzahlung der alten Schulden führt.
Ich rufe die Frage 93 des Abgeordneten Dr. Lammert auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die Folgen der Verfügung des Bundeskartellamtes, nach der die Fortführung des Mineralölunternehmens Aral als verbotenes Kartell untersagt wird, vor allem unter den Gesichtspunkten der künftigen Versorgungsmöglichkeiten der Benzinverbraucher und der zu erwartenden Preiseffekte?Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Lieber Herr Lammert, die Bundesregierung erwartet aus der Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts keine unmittelbaren Folgen, zumal da den Beteiligten eine Übergangsfrist bis zum 1. Mai 1985 einge-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3773
Parl. Staatssekretär Dr. Sprungräumt worden ist. Auch ist noch nicht klar, ob die betroffenen Unternehmen hiergegen Beschwerde einlegen werden, wie in Presseberichten angekündigt wurde. Auch für den Fall, daß sich die Auffassung des Bundeskartellamts als rechtlich unanfechtbar erweisen sollten, sind Aussagen zu den Folgen für Versorgung und Preise heute noch nicht möglich, da bis jetzt nicht absehbar ist, wie die Unternehmen reagieren werden.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Wie beurteilt gerade auf dem Hintergrund Ihrer Erklärung, daß verläßliche Auskünfte über die Auswirkungen noch nicht zu geben seien, die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesverbandes freier Tankstellen und unabhängiger deutscher Mineralölhändler, der sich gegen eine Zerschlagung der Aral-AG gewandt und die Darstellung zurückgewiesen hat, die Mitglieder des Verbandes könnten in einem der drei Aral-Gesellschafter eine sichere inländische Versorgungsquelle finden?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Wir können diese Beurteilung der Situation für den Augenblick nicht teilen.
Zweite Zusatzfrage.
Wie beurteilt die Bundesregierung die widersprüchlichen Entscheidungen des Bundeskartellamts, einerseits die Übernahme der inländischen Geschäftstätigkeit der Chevron durch die Texaco zu genehmigen und dabei die Marktposition eines internationalen Konzerns wesentlich zu stärken und gleichzeitig die von der Bundesregierung selbst noch 1969 energiepolitisch ausdrücklich begrüßte Zusammenfassung überwiegend deutscher Interessen beim Vertrieb von Kraftstoffen über die Aral zu untersagen und damit Aral-Aktionäre auf der Marktseite zu beschneiden, die zum Teil weit unter der genehmigten Chevron-Texaco-Fusion liegen.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Es tut mir leid, auf diese Frage, die eine neue Frage ist, bin ich nicht vorbereitet gewesen. Ich bin aber gern bereit, Ihnen dazu die Meinung des Hauses zukommen zu lassen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß der Fragestunde angelangt. Wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der verbundenen Beratung der Tagesordnungspunkte 4 bis 17 und des Zusatzpunktes fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr.
Meine Damen und Herren! Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die verbundene Tagesordnung um die Zusatzpunkte Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll von 1973 über Maßnahmen auf Hoher See bei Fällen von Verschmutzung durch andere Stoffe als Öl — Drucksache 10/969 — sowie Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung — Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Luftqualitätsnormen für Stickstoffdioxid — Drucksachen 10/486 Nr. 22, 10/970 — erweitert werden. Diese Zusatzpunkte sollen heute zusammen mit den Tagesordnungspunkten 4 bis 17 sowie dem Zusatzpunkt 1 aufgerufen werden.Ich gehe davon aus, daß mit der Aufsetzung dieser Punkte auf die Tagesordnung gleichzeitig von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen wird. Sie sind damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die erforderliche Mehrheit dafür gegeben und so beschlossen.Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 bis 17 auf:4. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Hirsch, Dr. Miltner, Baum, Dr. Laufs, Austermann, Biehle, Clemens, Dr. Feldmann, Dr. Hüsch, Kleinert , Dr. Kunz (Weiden), Magin, Müller (Wesseling), Reddemann, Frau Roitzsch, Sauer (Stuttgart), Sauter (Ichenhausen), Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Wolfgramm (Göttingen) und der Fraktionen der CDU/CSU und FDPSonderabfälle— Drucksachen 10/193, 10/474 —5. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Hauff, Daubertshäuser, Frau Dr. Hartenstein, Frau Schmidt , Reuter, Egert, Fischer (Homburg), Müntefering, Jung (Düsseldorf), Bachmaier, Schäfer (Offenburg), Stahl (Kempen), Frau Zutt und der Fraktion der SPDSchutz vor Lärm— Drucksachen 10/233, 10/566 —6. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNENBodenqualität und Bodenerhaltung— Drucksachen 10/359, 10/948 —7. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Hauff, Duve, Frau Dr. Hartenstein, Frau Blunck, Immer , Kiehm, Dr. Kübler, Lennartz, Frau Dr. Martiny-Glotz, Müller (Düsseldorf), Müller (Schweinfurt), Oostergetelo, Reuter, Schäfer (Offenburg), Stahl (Kempen), Frau Weyel, Wimmer (Neuötting), Frau Zutt und der Fraktion der SPD Schutz des Bodens— Drucksachen 10/417, 10/949 —8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Geset-
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3774 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Vizepräsident Westphalzes zur Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes— Drucksache 10/849 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Jugend, Familie und Gesundheit9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundeswaldgesetzes— Drucksache 10/629 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
InnenausschußHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO10. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNENNotmaßnahmen gegen das Waldsterben durch Stillegung bestimmter Kohlekraftwerke— Drucksache 10/609 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Innenausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 23. Juni 1979 zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten— Drucksache 10/786 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. September 1979 über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume— Drucksache 10/787 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO13. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur Erklärung der Bundesregierung zum Thema „Unsere Verantwortung für die Umwelt"— Drucksachen 10/383, 10/870 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Dr. Hartenstein Dr. Ehmke
SchmidbauerBaum14. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Fortschreibung des Berichts der Bundesregierung über Maßnahmen zur Verhinderung von Tankerunfällen und zur Bekämpfung von Ölverschmutzungen der Meere und Küsten vom 19. Dezember 1980— Drucksachen 9/2359, 10/780 —Berichterstatter:Abgeordneter Fischer
15. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPDBericht zur Lage der Natur— Drucksachen 10/83, 10/894 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Blens BaumDuve16. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNENNukleare Entsorgung— Drucksache 10/906 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie17. Beratung des Antrags des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN Befahren der Weser im Kernbereich Oberwasser— Drucksache 10/907 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Verkehr
SportausschußAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und ForstenGleichzeitig rufe ich die drei Zusatzpunkte auf:Beratung des Antrags der Fraktion der SPD „Friede mit der Natur — Für eine umweltverträgliche Industriegesellschaft"— Drucksache 10/974 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
RechtsausschußAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für VerkehrErste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll von 1973 über Maßnahmen auf Hoher See bei Fällen von Verschmutzung durch andere Stoffe als Öl— Drucksache 10/969 —Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des Rates über Luftqualitätsnormen für Stickstoffdioxid— Drucksachen 10/486 Nr. 22, 10/970 —
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3775
Vizepräsident WestphalMeine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 4 bis 17 sowie der Zusatzpunkte 1 bis 3 und eine Aussprache von sechs Stunden vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache.Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ohne dem Präsidenten vorgreifen zu wollen, aber weil ich gerade mit ihm ein Gespräch geführt habe, möchte ich das Hohe Haus darauf aufmerksam machen, daß auf der Tribüne der kanadische Umweltminister Mr. Caccia mit Begleitung Platz genommen hat. Ich heiße ihn hier herzlich willkommen.
Im September 1983 habe ich in einer Regierungserklärung unsere Verantwortung für die Umwelt deutlich gemacht. Heute steht erneut eine ganze Reihe von Umweltvorlagen zur Beratung an, Gesetzentwürfe der Bundesregierung, Große Anfragen aus dem Parlament, Antworten der Bundesregierung darauf, ein umfassender Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP. Das alles wird heute nachmittag in dieser Generaldebatte erörtert.Als Umweltminister der Bundesregierung freue ich mich, daß es gelungen ist, den Umweltschutz zu einem Kristallisationspunkt der innenpolitischen Diskussion zu machen. Regierungen und Parlamente in Bund und Ländern, Bürger, Kommunen, Verbände der Wirtschaft stehen im Wettbewerb. Alle haben erkannt, daß Umweltfragen ihre ureigensten Interessen berühren. Täglich erhalte ich eine Fülle von Schreiben und Anregungen. Eine Vielzahl von politischen Initiativen aus allen Richtungen zeigt: Alle wollen, daß es mit dem Umweltschutz vorangeht. Der Bundesinnenminister versucht, das Seinige dazu zu tun.Sicher kann nicht alles, was aus Engagement und oft wirklich gut gemeint vorgeschlagen wird, realisiert werden. Mancher interessante Gedanke bringt bei näherem Hinsehen doch nicht die Verbesserung, die sich seine Urheber davon versprechen. Manches geht aus ganz praktischen Gründen auch nicht so schnell, wie Umweltschützer — ich selbst eingeschlossen — sich das wünschen würden. Rauchgasentschwefelungen können nicht über Nacht eingebaut werden. Die Serienproduktion von Kraftfahrzeugen läßt sich nicht per Knopfdruck umstellen. Ich muß die Vorschläge aufnehmen, sorgfältig das Für und Wider abwägen, in die Gesamtstrategie einbauen, in die Strategie für einen vorsorgenden und fortschrittlichen Umweltschutz.Ich muß klare Prioritäten setzen und Maßnahmen konsequent und kontinuierlich durchsetzen. Hektik und Sprunghaftigkeit schaden der Sache, bringen im Ergebnis eher weniger als mehr.Wir verlangen der Wirtschaft einiges ab. Nur eine gesunde und leistungsfähige Wirtschaft kann die Leistungen und das Geld erbringen, das der Umweltschutz braucht. Deswegen braucht die Wirtschaft eine berechenbare Umweltpolitik. Die Ziele müssen zu erkennen sein, die Strategien müssen langfristig angelegt werden. Das schließt nicht aus, daß ab und zu unvorhergesehene Ereignisse neue Initiativen oder Zeitpläne erfordern.Umweltschutzanforderungen müssen soweit wie möglich international gemeinsam, vor allem europaeinheitlich durchgesetzt werden. Ich denke dabei nicht nur an die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Entscheidend ist: Umweltbelastungen stammen zum großen Teil aus dem Ausland. Freier Handels- und Reiseverkehr erfordert in vielen Fällen — wie beim Automobil — parallele Maßnahmen.Die Bundesregierung nimmt ihre Verantwortung im Umweltschutz konsequent wahr und hat seit meinem Bericht im September letzten Jahres weitere wichtige Etappen bewältigt.Im Vordergrund unserer Maßnahmen steht die Luftreinhaltung. Vorangetrieben wurde vor allem die Umsetzung des Kabinettsbeschlusses vom Juli 1983 zur Einführung des umweltfreundlichen Kraftfahrzeugs. Die schädlichen Auswirkungen der Abgase auf unsere Wälder, Gebäude, Kunstwerke und nicht zuletzt auf die menschliche Gesundheit sind alarmierend. Unser Ziel muß es sein, ab 1986 die Schadstoffe im Autoabgas um ca. 90 % zu senken. Wir sind uns bewußt, daß damit eine Jahrhundertentscheidung getroffen wurde, die weitreichende Folgen für Produktions- und Konsumstrukturen und für unsere europäische Zusammenarbeit hat wie keine andere umweltpolitische Maßnahme vorher. Betroffen sind Industrie, Handel, Mittelstand, jeder einzelne Bürger. All das muß auch im Zusammenhang mit unseren europäischen Nachbarn gesehen werden.Ich ziehe auf diesem komplexen und schwierigen Gebiet folgende Zwischenbilanz.Erstens. Wir haben entschieden, ab 1986 die in den Vereinigten Staaten von Amerika geltenden drastischen Grenzwerte einschließlich der dort angewandten Testverfahren zu übernehmen. Die Arbeiten an einem entsprechenden Entwurf zur Novellierung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung sind — parallel zu den EG-Aktivitäten — vorangetrieben worden. Wir werden sie in Kürze abschließen.Zweitens. Die Frage des rechtzeitigen Angebots von bleifreiem Benzin und von Kraftfahrzeugen mit Katalysatoren ist mit Automobilindustrie und Mineralölwirtschaft eingehend erörtert worden. Die Verbände haben folgendes zugesagt:Bereits vor Januar 1986 wird bleifreies Normalbenzin angeboten werden. Vor 1986 werden erste mit dem Katalysator ausgerüstete Personenkraftwagen zur Verfügung stehen, Modelle, die schon heute für den Export in die USA produziert werden. Sie werden bekanntlich mit bleifreiem Normalbenzin betrieben. Ab Januar 1986 wird auch bleifreies Superbenzin für die dann neu auf den Markt kom-
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3776 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Bundesminister Dr. Zimmermannmenden umweltfreundlichen Modelle mit hochverdichteten Motoren zur Verfügung stehen.Ich bin sicher, daß die deutsche Automobilindustrie diese Entwicklung zügig vorantreibt. Die spezifischen Qualitätsdaten für die bleifreien Kraftstoffe sind in Arbeit. Die Verbände werden sich entsprechend der DIN-Norm darüber verständigen. Verzögerungen darf es nicht geben.Die Automobilindustrie hat zugesagt, den Verbraucher umfassend darüber zu informieren, welche der heute bereits im Verkehr befindlichen Kraftfahrzeuge mit bleifreiem Benzin betrieben werden können. Wichtig ist, daß möglichst viele schon vor 1986 umstellen. Neben der wünschenswerten Absenkung der Bleibelastung wird die Mineralölwirtschaft so veranlaßt, das Angebot an bleifreiem Benzin rasch auszudehnen, um damit das Ziel zu erreichen, möglichst früh ein flächendeckendes Netz von Bleifrei-Tankstellen zu schaffen, auf das die Katalysatorfahrzeuge angewiesen sein werden.Dritter Punkt der Zwischenbilanz: Noch in diesem Frühjahr muß die Bundesregierung über ein Konzept zur Schaffung finanzieller Anreize entscheiden. Solchen flankierenden Maßnahmen kommt größte Bedeutung zu; denn das Ziel muß eine breite Umstellung auf Katalysatorfahrzeuge sein, um dadurch eine rasche Entlastung der Umwelt zu erreichen. Wir brauchen steuerliche Anreize, um diesen Umsteigeeffekt zu erzielen.In der Diskussion sind verschiedene Instrumente. Es ist ein komplexes Unterfangen, auf der einen Seite zwischen den verschiedenen Steuerarten richtig zu rechnen, den Aufwuchs, den Abwuchs und alle anderen Imponderabilien, die hier hingehören, in ein Schema zu bringen, das der Finanzminister und der öffentliche Haushalt verträgt, also möglichst aufkommensneutral, auf der anderen Seite aber auch dem Käufer einen spürbaren Anreiz für den Erwerb eines umweltfreundlichen Automobils sichtbar zu geben.
Da nützen Modelle, die irgendwann einmal eine Steuerrückvergütung gewähren, gar nichts. Das wird den Verbraucher nicht interessieren.Wir haben hier das Rezept der Vereinigten Staaten vor Augen, wo nach zehn Jahren erst rund die Hälfte der Kraftfahrzeuge umgestellt sind. Dieses Modell wird uns doch hoffentlich dazu bringen, zu sehen, daß wir den Verbraucher in dieser Übergangszeit nicht allein lassen dürfen. Das bedeutet also: Mir als Umweltpolitiker ist jeder Weg, jedes Instrument recht. Die Berechnungen sollen die Finanzexperten übernehmen. Aber die Maximen, die ich gerade nannte — Anreiz, unmittelbarer Eindruck des Käufers und mit den fortschreitenden Jahren auch eine Bestrafung derer, die weiter umweltschädliche Automobile fahren —, sind für mich eine Selbstverständlichkeit; sonst wird die Umstellung in einem vernünftigen Zeitraum nicht gelingen.
In diesem Zusammenhang ein Wort zum DieselPkw. Seine Begünstigung kann nur in Frage kommen, wenn er ebenso umweltfreundlich ist wie ein Katalysatorfahrzeug. Dazu muß er nicht nur die scharfen Grenzwerte für gasförmige Schadstoffe einhalten, sondern er muß auch mit wirksamen Technologien — z. B. Rußfilter — zur Reduzierung der problematischen Feststoffpartikel ausgestattet sein. Es gibt also auch keinen Grund, den DieselPkw für sich als das allein umweltfreundliche Auto zu propagieren. Auch das muß man sehen.Viertens. Zu unseren internationalen Aktivitäten: Wir haben unsere Anstrengungen, einen Konsens in Europa herbeizuführen, intensiv fortgesetzt. Die EG-Kommission wird bis Mitte April Entscheidungsvorschläge zur Einführung bleifreien Benzins und zur Absenkung der Grenzwerte vorlegen. Es ist zu erwarten, daß diese Vorschläge der von uns beschlossenen Politik grundsätzlich Rechnung tragen werden. Wir werden auf eine schnelle Verabschiedung der Kommissionsentwürfe drängen.Ich glaube, wir dürfen sagen, daß wir Bewegung in die europäische Umweltszene gebracht haben. Als wir im Juni letzten Jahres in Brüssel unseren Vorstoß zur Einführung bleifreien Benzins unternommen haben, standen wir damit nahezu allein. Heute wird diese Zielsetzung im Grundsatz allgemein akzeptiert. Immer mehr Staaten erkennen, daß nur rigorose Maßnahmen helfen.Ob ein europäischer Gleichschritt ab 1986, insbesondere auch in der drastischen Absenkung der Abgaswerte, erreicht werden kann, kann heute niemand voraussagen. Es gibt breite Unterstützung —auch aus Nicht-EG-Staaten —, aber nach wie vor starke Widerstände. Hier gilt es, noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Dabei ist die Bundesregierung auf die Unterstützung aller Fraktionen des Hauses angewiesen.Alle Schwierigkeiten ändern jedoch nichts an unserer Entschlossenheit, das Ziel zum vorgegebenen Zeitpunkt zu erreichen. Die Pilotfunktion werden wir beibehalten. Wir sind davon überzeugt, daß wir damit eine Sogwirkung auf noch Unentschlossene ausüben.Zu unserer Strategie gehört, daß wir für die Abgasproblematik eine europäische Lösung auch über die EG hinaus anstreben. Die drastische Reduzierung der Schadstoffe in Kfz-Abgasen ist eine wichtige Maßnahme zur Durchführung der ECE-Luftreinhaltekonvention. Wir haben unsere Vorstellungen in Genf auf den Tisch gelegt.Unsere Bemühungen zeigen Erfolge. Norwegen, Schweden, die Schweiz und Österreich wollen sich dem deutschen Vorgehen anschließen. Ein Besuch von Staatssekretär Spranger dieser Tage in den Niederlanden hat gezeigt, daß wir auch dort auf Zustimmung stoßen.
Wir haben auf dem Weg zum umweltfreundlichen Auto noch schwierige Etappen vor uns. Wir können sie nur der Reihe nach bewältigen. Ich baue auf Einsicht und überzeugtes Mitmachen aller Beteiligten und Betroffenen. Ich bin mir sicher: Die Auto-
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Bundesminister Dr. Zimmermannfahrer — und wer von uns ist keiner? —, die Automobilverbände — wir haben in Deutschland den größten Automobilverband in Europa —, Industrie und Handel, die Medien, Regierungen und Verwaltungen im In- und Ausland erkennen, wenn auch nicht in derselben Geschwindigkeit, aber doch nach und nach, die Notwendigkeiten unserer Zeit.Nicht immer schnellere, immer aufwendigere, technisch-konstruktiv immer extrem moderne Autos sind die Zukunft. Gefragt ist das optimale, umweltfreundliche, technisch hochstehende und saubere Automobil. Ihm gehört die Zukunft, bei uns und in Europa.
Das kann aber nicht bedeuten, den amerikanischen Weg zu gehen, wo man heute feststellen muß, daß die amerikanische Automobilindustrie die letzten 15 Jahre verschlafen hat und mit ihren Modellen nur mehr nostalgische Vorstellungen und Wünsche erfüllen kann. Das kann nicht der Weg der deutschen Automobilindustrie sein.Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung, meine Damen und Herren — damit komme ich zum zweiten großen Komplex —, erfüllt die in sie gesetzten Erwartungen. Entgegen mancher Skepsis hat sich die Industrie nach anfänglichem Ächzen und Stöhnen inzwischen auf die neue Verordnung eingestellt. Bereits heute, d. h. ein halbes Jahr vor der festgelegten Frist, haben die meisten Betreiber mitgeteilt, wie sie die Verordnung erfüllen wollen. Das Ergebnis ist: Rund 80 % aller Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke der öffentlichen Versorgung werden mit Anlagen zur Rauchgasentschwefelung nachgerüstet.
20 % werden stillgelegt. Schon bis 1988 erwartet die Elektrizitätswirtschaft allein aus ihren Anlagen der öffentlichen Stromversorgung eine Schwefeldioxidverminderung von 1 Million t. Nach neuesten Erhebungen des Bundesumweltamts werden insgesamt durch die Verordnung die jährlichen Schwefeldioxidemissionen von 3,2 auf 1,6 Millionen t halbiert. Das ist eine gewaltige Kraftanstrengung, die ihre positiven Auswirkungen auf die Umwelt haben wird.Wäre das der Maßstab für Europa, so stünde es sicher bald besser mit unserem Wald.
Zu einer Änderung der Verordnung, die mitten im Vollzug und erst ein halbes Jahr alt ist,
besteht also nach derzeitigem Sachstand keine Veranlassung. Im Gegenteil: Eine erneute Diskussion, über Fristen und Emissionsgrenzen würde die zügig angelaufenen Umrüstungspläne unterbrechen und letztlich nur zu unvertretbaren Verzögerungen führen.Jetzt, sehr verehrter Herr Zwischenrufer Schäfer, sage ich Ihnen: Zwischen Baden-Württemberg, seinen Absichten und Möglichkeiten, und denen vonNordrhein-Westfalen, wie sie dieser Tage klassischerweise Ihr Parteifreund Minister Farthmann ausgedrückt hat, nämlich volle Zufriedenheit mit der Großfeuerungsanlagen-Verordnung und ihrer Exekution, besteht ein großer Gegensatz. Sie mögen selber schauen, wie Sie aus diesem Gegensatz herauskommen.
Sie können ja hinterher dazu Stellung nehmen.
Auch die Verminderung der Stickstoffoxidemissionen können wir mit der GroßfeuerungsanlagenVerordnung durchsetzen.
— Nein, nein, Späth ist immer Spitze, auch in diesen Fragen, selbstverständlich.
Der Bundesumweltminister, der natürlich die ganze Republik im Auge haben muß, kann nicht die Speerspitze sein, die der baden-württembergische Ministerpräsident mit Recht darstellt und sein will. Warum nicht?
— Der Strauß kommt gleich dahinter.
Ich weiß zwar nicht, ob ihm das genügt, aber ich habe einmal diese unvorsichtige Feststellung getroffen.
— Ich bedanke mich, daß ich jetzt auch von der SPD für einen mutigen Mann gehalten werde. Das dient mir wirklich.
— Ja, ich freue mich darüber.
— Da habe ich jetzt wieder weniger Sorge, weil ich das nächste Wochenende in Sarajevo und nicht in München verbringe.
— Im Abfahrtslauf konnte ich nicht mitmachen; der ist heute um 11 Uhr wegen schlechtem Wetter verschoben worden. Ich bitte um Nachsicht.Meine Damen und Herren, zur Umweltpolitik zurück. Die in der Verordnung enthaltenen Emissionsgrenzwerte sind Mindestwerte. Der Stand der Verminderungstechnik ist im Fluß. Deswegen haben wir eine Dynamisierungsklausel hineingeschrieben, die den Betreiber verpflichtet, den Stand der Forschung, den Stand der Feuerungs- und son-
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Bundesminister Dr. Zimmermannstigen Vermeidungstechnik auszuschöpfen. Ich habe mich erst in der vorigen Woche bei den Anlagenherstellern im einzelnen über die heutigen und zukünftigen Möglichkeiten unterrichtet. Wir verfügen in Deutschland über umfangreiche eigene Erfahrungen in der Feuerungstechnik. In der Entwicklung sind Verfahren zur simultanen Abscheidung von Schwefeldioxiden und Stickstoffoxiden, die hervorragende Ergebnisse erwarten lassen. Durch Modellvorhaben sollen außerdem in Japan bereits praktizierte Vermeidungstechniken den sehr andersartigen deutschen Betriebsbedingungen angepaßt werden. Nach Abschluß dieser Entwicklungsphase wird ein erhebliches Potential für die weitere Absenkung der Stickoxide zur Verfügung stehen. Dies müssen die Anlagenbetreiber auf Grund der Dynamisierungsklausel der Verordnung ausschöpfen. Gemeinsam mit den Umweltministern der Länder werde ich auf eine einheitliche Praxis bei der Anwendung des neuesten Standes der Technik hinwirken.Als weiteres Vorhaben unserer Luftreinhaltepolitik habe ich in der Regierungserklärung vom September 1983 die Novellierung der Emissionsvorschriften der TA Luft, Teil III, und eine Neufassung der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen genannt. Entwürfe für beide Vorhaben liegen fristgerecht vor. Nachdem die Großfeuerungsanlagen bereits vorab geregelt sind, wird die Novelle der TA Luft praktisch die gesamte übrige Industrie einschließlich der kleineren Feuerungsanlagen unter 50 MW erfassen. Die geltenden Emissionswerte für zahlreiche Schadstoffe werden erheblich verschärft. Für eine Reihe von Stoffen werden erstmals Emissionsbeschränkungen eingeführt. Der Entwurf der Novelle TA Luft ist in diesen Tagen bereits mit den Vertretern der Länder beraten worden, und ihre Erfahrungen aus der Genehmigungs- und Überwachungspraxis werden einbezogen. Noch im Frühjahr wird der Entwurf den beteiligten Kreisen zur Anhörung zugeleitet.Einen weiteren Handlungsbedarf sehe ich in der Verbesserung der Eingriffsmöglichkeit bei Altanlagen, von denen ein Großteil der Luftverunreinigung ausgeht. Das Bundesimmissionsschutzgesetz bestimmt in § 17 Abs. 2, daß nachträgliche Anordnungen für Altanlagen nicht getroffen werden dürfen, wenn sie wirtschaftlich nicht vertretbar sind. Ich halte es für erforderlich, daß diese Vorschrift durch eine Regelung ersetzt wird, die den Bestandsschutz von Altanlagen auf das verfassungsmäßig gebotene Maß, d. h. auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, zurückführt.
Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, daß die Nachrüstung schneller und wirksamer durchgeführt werden kann.Wirksame Luftreinhaltung erfordert internationale Zusammenarbeit, und das gilt nicht nur für das Auto.Wir hoffen, daß die Richtlinie über die Bekämpfung der Luftverunreinigungen durch Industrieanlagen im Ministerrat in der ersten Jahreshälfte durchgeht. Damit würde das Prinzip der Imissionsbegrenzung an der Quelle nach dem Stand der Technik, der bei uns seit langem gilt, gemeinschaftsweit verankert.Besondere Bedeutung hat die multilaterale Umweltkonferenz, zu der die Bundesregierung die Signatarstaaten der Genfer Luftreinhaltekonvention und zwischenstaatliche Organisationen geladen hat. Sie findet auf Ministerebene in München vom 24. bis 27. Juni statt.Themenschwerpunkte sind Probleme der Luftverunreinigung und daraus resultierend die Schäden an Wäldern, Gewässern und Bauten. Unser Ziel ist es, den Wissens- und Erfahrungsaustausch in der Luftreinhaltung zu intensivieren. Wir wollen das Problembewußtsein in Ost und West schärfen und ein politisches Klima schaffen, das Fortschritte bei der internationalen Zusammenarbeit im Umweltschutz erwarten läßt.Immerhin basiert diese Münchner Konferenz, die es in dieser Zusammensetzung zwischen West und Ost noch niemals im Umweltschutz gegeben hat, auf einem Briefwechsel zwischen den Herren Andropow und Kohl. Wir werden in Zusammenarbeit mit der Staatsregierung des Freistaates Bayern alles tun, um diese Konferenz in jeder Beziehung zu einem internationalen Erfolg zu machen.
Ein weiterer Schwerpunkt unserer Umweltpolitik ist der Gewässerschutz. Das Ziel ist, die Gewässerbelastung durch schwer abbaubare und sonstige kritische Stoffe soweit wie möglich zu vermindern und damit insbesondere unsere Trinkwasserversorgung langfristig sicherzustellen. Diesem Ziel dienen die Verwaltungsvorschriften über die Mindestanforderung an das Einleiten von Abwässern nach § 7 a des Wasserhaushaltsgesetzes. Die Arbeiten an diesen Vorschriften wurden im Jahre 1984 zu einem ersten Abschluß gebracht. Wir werden dann für alle relevanten Industriebereiche bundeseinheitlich die allgemein anerkannten Regeln der Technik, die von allen Abwassereinleitern einzuhalten sind, festgelegt haben.Wir streben darüber hinaus eine Erweiterung des § 7 a des Wasserhaushaltsgesetzes an, um für kritische Stoffe generell Maßnahmen fordern zu können, die über die bisherigen Anforderungen hinausgehen. Für diese Stoffe muß der neue Stand der Technik zum Maßstab erhoben werden. Bei diesen Arbeiten werden die Erfahrungen der Länder besonders wertvoll sein.Das Problem der kritischen Schadstoffe können wir nur in den Griff bekommen, wenn die Einwirkungsmöglichkeiten auf die sogenannten Indirekteinleiter verbessert werden. Bislang bieten die gesetzlichen Vorschriften keine Handhabe, auf solche Industriebetriebe, die ihre Abwässer in die öffentliche Kanalisation einleiten und die kommunalen Kläranlagen damit vielfach überfordern, unmittelbar Einfluß zu nehmen.Zu diesen wichtigen Vorhaben wie auch zur Novellierung des Abwasserabgabengesetzes habe ich
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Bundesminister Dr. Zimmermanndie Beratungen mit den Bundesressorts und den Ländern begonnen.Zur Unterstützung unserer vorsorgenden Gewässerschutzpolitik fördern wir die Entwicklung und Erprobung neuer, umweltfreundlicher Produktionstechniken, bei denen vor allem kritische Schadstoffe soweit wie möglich vom Gewässer ferngehalten werden. Im Bundeshaushalt 1984 sind uns erfreulicherweise durch das Parlament erstmals Mittel für solche Modellvorhaben zur Verfügung gestellt worden.
Ich bedanke mich dafür. Es ist in unser aller Interesse, daß wir das tun können.Gut vorangekommen sind wir auch mit den Vorbereitungen für die internationale Nordseeschutzkonferenz für Herbst dieses Jahres in Bremen. Wir brauchen einen internationalen Konsens über die Grundsätze zur Umweltpolitik für die Nordsee, um konkrete Umweltschutzmaßnahmen durchführen zu können. Wir müssen den bestehenden internationalen Gremien neue Impulse geben. Im übrigen darf ich hier einmal darauf hinweisen, daß in einem Jahr — das hat es auch noch nie gegeben —, 1984, zwei internationale Konferenzen über solche Themenkomplexe in der Bundesrepublik Deutschland, nämlich in München und Bremen, stattfinden.
Die Abfallwirtschaft wird uns in Zukunft eher noch stärker beschäftigen als in der Vergangenheit. Der Entwurf einer dritten Novelle zum Abfallbeseitigungsgesetz steht heute zur ersten Lesung an. Verbesserte Kontrolle der grenzüberschreitenden Beseitigung von Sonderabfällen ist das Ziel. Dem Sonderabfall-Tourismus muß ein Riegel vorgeschoben werden. Wir setzen alles daran, auch innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu einer strengen Kontrolle zu kommen.Zur weitergehenden Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes werde ich in Kürze einen weiteren Gesetzentwurf vorlegen, der besonders auf die Vermeidung und Verwertung von Abfällen abzielt und diesen Aufgaben auch rechtlich den Vorrang vor der bloßen Beseitigung einräumt. Die Beratungen über diese vierte Novelle werden nicht einfach werden. Das hat uns veranlaßt, die aktuelle Problematik der Sonderabfälle getrennt — in einer Vorschaltnovelle — zu behandeln.Ein Wort zur sogenannten Altlastenproblematik. Fälle wie in Hamburg und in anderen Bundesländern zeigen, daß wir es lokal und regional mit ernsten Problemen zu tun haben. Die Zuständigkeit für die Sanierung von Altlasten liegt bei den Ländern. Auf diese Zuständigkeit muß ich hinweisen, auch wenn diese Erkenntnis für den einen oder den anderen vor Ort schmerzlich ist, weil er mit dieser Last fertig werden muß. Der Bund ist bereit, die Bemühungen der Länder im Rahmen von Forschung und Entwicklung zu unterstützen und darüber hinaus in der vierten Novelle zum Abfallbeseitigungsgesetz auch die gesetzlichen Grundlagen dafür zu schaffen, daß alte Beseitigungsanlagen, die eine Gefährdung für die Umwelt bedeuten, in die Überwachung nach dem Abfallrecht einbezogen werden.Ein Wort zu dem Antrag der Fraktion der GRÜNEN, die Wiederaufarbeitung in Großbritannien nicht als Entsorgungsnachweis für Kernkraftwerke anzuerkennen: Sie gehen davon aus, daß es sich um die bereits in Betrieb befindliche Wiederaufarbeitungsanlage handelt, bei der im Zuge von Reinigungsarbeiten radioaktive Freisetzungen erfolgten. Die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente aus der Bundesrepublik Deutschland ist bisher nicht in Großbritannien erfolgt, weil die dafür vorgesehene Anlage noch nicht fertiggestellt war. Bei dem Vorfall, über den wir umfassend informiert worden sind, sind im übrigen Freisetzungen erfolgt, die weit unter den zulässigen Grenzwerten liegen, so daß auch von daher kein Anlaß besteht — —
— Ja, in Großbritannien.
Insoweit besteht kein Anlaß, die Wiederaufarbeitungstechnologie als solche in Zweifel zu ziehen.
Ich betone deshalb hier nochmals mit Nachdruck, daß die Bundesregierung am Projekt einer deutschen Wiederaufarbeitungsanlage festhält, wie sie überhaupt das auf dem Beschluß der Regierungschefs von Bund und Ländern aus dem Jahre 1979 beruhende integrierte Entsorgungskonzept in vollem Umfange durchführen wird.
Daran werden weder die von Herrn Börner geäußerten Zweifel an den Entsorgungsmöglichkeiten für Biblis C etwas ändern noch das in der Presse in den letzten Tagen herausgestrichene Geschäft mit der Volksrepublik China über die Verbringung abgebrannter Brennelemente in die Wüste Gobi. Solche Vorstellungen gehören tatsächlich in die Wüste Gobi, und ich erteile ihnen eine klare politische Absage.
Ein bedeutendes umweltpolitisches Handlungsfeld ist der Bodenschutz. In unserem dichtbesiedelten Land mit hoher Industrialisierung, intensiver Landwirtschaft und hoher Verkehrsdichte ist der Boden extremer Beanspruchung und starken Gefährdungen ausgesetzt. Notwendig sind daher vorsorgende Schutzmaßnahmen für den Boden. Die Leitziele sind konsequente Verminderung des Eintrags von Schadstoffen und die Einschränkung des Verbrauchs von Böden durch Überbauung, Zerschneidung von Freiräumen durch Gebäude und Verkehr.
Die Bundesregierung beabsichtigt, in allernächsterZeit eine Bodenschutzkonzeption vorzulegen. Aufdieser Grundlage werden wir die notwendigen
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3780 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Bundesminister Dr. ZimmermannSchutzmaßnahmen nach Inhalt, Prioritäten, Zeit-und Kostenrahmen konkret benennen.Wir bekennen uns in all unseren Entscheidungen zur Marktwirtschaft. Wir wollen mehr Marktwirtschaft auch im Umweltschutz. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung am 4. Mai 1983 gesagt: Das Ziel ist, daß sich umweltfeindliches Verhalten nicht lohnen darf; umweltfreundliches Verhalten muß sich auch wirtschaftlich auszahlen. Was das bedeutet, habe ich am Beispiel der steuerlichen Flankierung bei der Einführung umweltfreundlicher Kraftfahrzeuge bereits aufgezeigt.Ganz sicher entspricht dagegen ein Waldpfenniggesetz, wie es als Entwurf auf dem Tisch liegt, nicht der Zielsetzung der Bundesregierung. Ein solches Gesetz würde das Verursacherprinzip auf den Kopf stellen und weder für den Wald noch für die Luftreinhaltung etwas bringen.
Niemand kann an einer Weggabelung in zwei verschiedene Richtungen gehen. Man kann nicht gleichzeitig dem Bürger Umweltschutzinvestitionen abverlangen und ihn gleichzeitig noch mit einer Abgabe belasten. Aber die SPD folgt auch hier wieder ihrer alten Ideologie, die lautet: Der Staat muß vom Bürger zuerst kassieren und das Geld dann verteilen. Wir wollen die Kette der Mißerfolge der SPD nicht verlängern. Wir wollen einen durchgreifenden und wirksamen Umweltschutz und erreichen dieses Ziel über hohe Auflagen und scharfe Bestimmungen. Die Kosten dafür sind beträchtlich, sie werden Jahr für Jahr Milliardensummen verschlingen, und die Kosten machen vor keinem Bürger halt. Der Bürger weiß das. Wir haben trotzdem eine hohe und wachsende Akzeptanz für diese unsere Bemühungen.Die Bundesregierung wird ihre umweltpolitischen Vorhaben konsequent und beharrlich vorantreiben. Wir werden weiterhin alle Anstrengungen unternehmen, den Menschen vor Schäden an seiner Gesundheit zu bewahren und unsere natürliche Umwelt in ihrer Funktionsfähigkeit, aber auch in ihrer Vielfalt und Schönheit zu erhalten. Die Bundesregierung ist sich darüber im klaren, daß sie einen beschwerlichen Weg geht. Allzuviel ist in der Vergangenheit gesündigt worden. Allzu leichtfertig ist mit der Natur umgesprungen worden, von der man meinte, sie sei unerschöpflich. Aber wir haben eine Verpflichtung gegenüber der jetzigen und der nächsten Generation und gegenüber allen künftigen Generationen, diese unsere eigene Welt in Ordnung zu halten.Die Bundesregierung hat bewiesen — das glaube ich sagen zu können —, daß sie ernst macht mit dem Umweltschutz. Wir kommen voran, wenn auch nicht immer in dem Tempo, das wir uns selbst wünschen. Wir werden jedoch in der Bundesrepublik Deutschland, in Europa und in der Welt um so erfolgreicher sein, je stärker die Rückendeckung hier in diesem Hause ist. Deshalb sollten wir auch in einer kritischen Auseinandersetzung das gemeinsame Ziel im Auge behalten.Ich danke Ihnen.
Bevor ich das Wort weitergebe, Herr Minister, wir begrüßen gern unsere Hausgäste. Wir tun das noch lieber, wenn diejenigen, die Gäste mitbringen, uns vorher davon unterrichten.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Dr. Hauff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Innenminister, als ich Ihrer Rede jetzt zuhörte, da ging es mir durch den Kopf: Dieser Superumweltschützer Zimmermann, wo war der eigentlich in den letzten zehn Jahren?
Was hat er damals für Reden gehalten, und welche Rolle hat Ihre Partei im Bundesrat beim Umweltschutz gespielt?Vor einem halben Jahr hatten wir die letzte Umweltdebatte, und wir haben Sie damals kritisiert, Herr Zimmermann, als einen Umweltminister der großen Worte und der schwachen Taten. Von diesem Vorwurf nehmen wir nichts zurück. Im Gegenteil, die umweltpolitischen Aussagen der Bundesregierung, wenn man sie in Beziehung zu dem setzt, was tatsächlich geschieht und entschieden wird, sind in den letzten fünf Monaten noch unverbindlicher und noch unklarer geworden.Am deutlichsten wird das beim Kampf gegen das Waldsterben. Jeder weiß, ohne Luftverschmutzung gäbe es kein Waldsterben. Deswegen tritt die SPD-Fraktion seit über einem Jahr für eine drastische Reduzierung der Autoabgase ein.Das haben wir im April 1983 gefordert.
Zunächst, Herr Zimmermann, als wir diese Forderung vor einem Jahr erhoben, haben Sie diese Forderung hier im Bundestag abgelehnt. Dann nahm der öffentliche Druck zu. Im Oktober haben Sie dann im Kabinett einen vielversprechenden Beschluß gefaßt. Der klingt ganz gut. Denn da wollen Sie ab Januar 1986 „mit Entschlossenheit die Schadstoffe im Kraftfahrzeugabgasbereich unter Ausschöpfung der derzeit verfügbaren wirksamen Technologie vermindern". So lautet der Beschluß. Das ist richtig. Dem können wir zustimmen.Wenn unsere Industrie solche Autos in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Japan anbieten kann, dann muß das auch bei uns möglich sein. Aber der Witz ist: Es blieb bei diesem Beschluß. Es folgten keine Entscheidungen,
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Dr. Hauffweder im Mineralölsteuerbereich noch im Bereich der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung, wo es darum gegangen wäre, wirklich Entscheidungen zu treffen. Es gab nur weitere öffentliche Ankündigungen, z. B. von Ihnen, Herr Zimmermann, im November letzten Jahres:Der Stichtag,— ganz großartig formuliert —1. 1. 1986, zur Einführung umweltfreundlicher Autos und des bleifreien Benzins ist unumstößlich.Das waren große Worte. Nur warten wir bis heute auf Klarheit.
Und ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Nennen Sie endlich die Grenzwerte, die ab dem 1. Januar 1986 gelten sollen,
damit die Bürger, damit die Industrie wirklich wissen, worauf sie sich einzustellen haben. Auf diese Entscheidung, nicht auf Ihre Interviews, warten wir seit einem Jahr.
Ein Jahr ist verschenkt worden. Wir sagen Ihnen klipp und klar: Wir fordern verbindliche Grenzwerte — —
— Aber meine Herren, Sie sehen doch, daß es, wenn Sie so schreien, nicht dazu beiträgt, Ihre Souveränität zu demonstrieren, sondern eher Ihre Unsicherheit und ihre Unruhe.
Wir fordern verbindliche Grenzwerte für Autoabgase ab 1986, und zwar entsprechend dem Stand der Technik, wie das in den USA gilt — nicht in Reden, sondern in rechtlich verbindlicher Form. Die Industrie muß wissen, womit sie zu rechnen hat; denn sie braucht Zeit für die Umstellung. Kein Mensch kann ernsthaft erwarten, die Industrie könne über Nacht, sozusagen von Silvester 1985 auf Neujahr 1986, auf Befehl von Herrn Zimmermann die Produktion umstellen. Das ist keine seriöse Politik.
— Aber, verehrter Herr Klein, warum sagen denn die Vertreter der Automobilindustrie jetzt in diesen Tagen, es müsse „endlich Klarheit" geschaffen werden? Die FDP hat schon lange angemahnt, daß das getan werden sollte. Und seit November 1983, Herr Zimmermann, reden Sie nun plötzlich von Stufenplänen, und kein Mensch weiß, was damit eigentlich gemeint ist.
Seit einem Jahr fordern wir, daß die Einführung bleifreien Benzins steuerlich begleitet wird. Auch das haben Sie zunächst, vor einem Jahr, abgelehnt. Und vor zwei Tagen gab es die großartige Ankündigung, Sie hätten sich mit dem Finanzminister geeinigt — man ist nun ganz gespannt, worauf —, eine Expertenkommission einzusetzen, um diese Fragen zu prüfen.
Wie gesagt: Über all dem steht dann das in Interviews gegebene Wort, der Stichtag 1. Januar 1986 sei unumstößlich. Daran werden wir Sie messen — an Ihren eigenen Worten.
Herr Zimmermann, im Kampf gegen das Waldsterben sind Sie ebenso entschlossen und erfolgreich wie Herr Kollege Dollinger bei der Erhaltung der Bundesbahn im ländlichen Raum.
Mittlerweile machen sich Ihre Freunde von der Automobilindustrie öffentlich über Sie, Herr Zimmermann, lustig, wenn sie beispielsweise sagen, Sie gingen bei diesen Maßnahmen zur Verringerung der Abgase „unwissend und dilettantisch" vor.
— Da irren Sie sich.Das alles ist ein Trauerspiel; denn der Wald kann nicht warten, bis dieser Zickzack-ZimmermannKurs endlich beendet ist.
Deshalb möchte ich Franz Josef Strauß recht geben.
Ich habe darauf gewartet, daß heute so ein Satz gekommen wäre. Aber er kam nicht. Franz Josef Strauß hat wörtlich gesagt:Sollte ein einheitliches Vorgehen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft scheitern, so muß auch an eine Absprache der bereitwilligen Länder oder gar an einen nationalen Alleingang gedacht werden.Das ist exakt unsere Forderung vom Mai 1983, die Sie damals als Weltfremdheit gekennzeichnet hatten.
Jetzt haben Sie es endlich begriffen. Und das ist gut so.
Wenn Sie uns schon nicht folgen wollen, dann folgen Sie doch wenigstens Franz Josef Strauß, und schaffen Sie endlich Klarheit.
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3782 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Dr. HauffDas gilt auch für eine Politik der sauberen Kraftwerke. Auch dort geht es in der CDU/CSU drunter und drüber. Ich bin schon immer der Meinung gewesen, Franz Josef Strauß muß dort, wo er recht hat, auch recht bekommen.
Z. B. in der Einschätzung der Politik von Herrn Dollinger hat der Mann vollkommen recht, daß der Dollinger versagt hat und gehen muß.
Franz Josef Strauß muß hier recht bekommen. Das gilt auch für die sauberen Kraftwerke.
— Gerne. Der „Minenhund von Helmut Schmidt" — ich kann es Ihnen gleich liefern —, das war seine Kennzeichnung, eine der schönsten in meinem politischen Leben.
— Doch, das tut mir sehr gut.Auch was die Kraftwerke angeht, geht es ja in der CDU/CSU drunter und drüber. Herr Späth, den Sie so sehr gelobt haben, will ja nach wie vor die Großfeuerungsanlagen-Verordnung novellieren. Rheinland-Pfalz hält eine Schadstoffabgabe — Sie waren im Bundesrat nicht anwesend; dort wurde es vorgetragen — unter bestimmten Bedingungen für sinnvoll. Herr Dregger, Ihr Fraktionsvorsitzender, kündigt öffentlich an — wörtliches Zitat —:Im Interesse unserer Wälder werden wir die Obergrenze der zulässigen Schadstoffbelastungen schrittweise weiter senken. Außerdem wollen wir die Übergangsfristen der Großfeuerungsanlagen-Verordnung weiter verkürzen.Herr Biedenkopf mit der ihm eigenen Mischung aus akademischer Brillanz und praktischem Unverstand fordert die Einführung von Zertifikaten zur Luftverschmutzung von Kraftwerken. Wir fragen: Was gilt hier eigentlich? Wollen Sie mit Herrn Späth und Herrn Dregger die Verordnung novellieren? Wollen Sie mit Herrn Vogel aus Rheinland-Pfalz eine Abgabe einführen? Wollen Sie mit Herrn Biedenkopf zusammen Dreckzertifikate in Umlauf bringen? Oder wollen Sie, was meines Erachtens am wahrscheinlichsten ist, zusammen mit Herrn Kohl gar nichts tun und nur zuwarten?Daran ändern auch Entschließungsanträge, die vorliegen und gut klingen, gar nichts. Papier ist geduldig. Auf Papier kann man viel schreiben und einer Meinung sein. Papier bleibt aber Papier. Wir werden die Regierung nicht an dem messen, was sie sagt, sondern an dem, was sie tut, was sie tatsächlich entscheidet.
Wir sagen, was die Kraftwerke angeht, klipp und klar: Die SPD-Bundestagsfraktion fordert zur Beschleunigung dessen, was in der Großfeuerungsanlagen-Verordnung vorgeschrieben ist, eine Abgabenlösung für Schadstoffemissionen aus Kraftwerken und aus Feuerungsanlagen. Dies ist ein unbürokratisches und für die betroffenen Unternehmen auch flexibles Instrument, um die Luft sauberer zu machen.Das einzig Konkrete, Herr Zimmermann, was von Ihren Ankündigungen übrigbleibt, mehr zur Luftreinhaltung zu tun, sind Appelle an die bundeseigenen Unternehmen und die Unternehmen im Besitz der Landesregierung, mehr zu tun, als der Bundesinnenminister ihnen selbst vorschreibt. Offensichtlich sind Sie selbst davon überzeugt, daß Ihre eigenen Vorschriften nicht ausreichen. Wir sagen Ihnen: Appelle reichen nicht aus, um den Wald zu retten. Appelle reichen nicht aus, um den Verbrauch von Grundwasser vor allem für industrielle Zwecke zu senken. Appelle reichen auch nicht aus, um die Abfallbeseitigung auf hoher See zu unterbinden, was dringend geschehen muß.
Appelle reichen auch nicht aus, um den Marktanteil von Mehrwegverpackungen zu steigern. Sagen Sie uns endlich und klar, was passiert, nachdem klar ist, daß die Zusagen, die die Industrie auf diesem Gebiet gegeben hat, nicht eingehalten werden. Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?Appelle reichen auch nicht aus, wenn das PCB zwar nicht mehr hergestellt wird, eine Umweltgefährdung durch Anwendung des PCB aber weiterhin besteht. Warum nutzen Sie nicht die Möglichkeit des § 17 des Chemikaliengesetzes, die weitere Verbreitung von PCB zu verhindern? Warten Sie doch nicht auf den nächsten Umweltskandal. Handeln Sie doch jetzt.
Es gibt keinen Umweltschutz ohne staatliches Handeln.
Die Vorstellung, allein das freie Spiel der Kräfte sei in der Lage, für eine saubere Umwelt zu sorgen, muß in das Reich der Illusionen verwiesen werden. Staatliches Handeln ist nötig, unabhängig davon, ob zum Schutz der Umwelt Grenzwerte festgesetzt werden, ob eine Preissetzung für die Umweltbelastung, d. h. eine Umweltabgabe eingeführt wird oder ob ein gesetzlich reglementierter Markt für Umweltverschmutzungsrechte aufgebaut werden soll. In jedem Fall wird es eine Verbesserung der Umwelt nur dann geben, wenn der Staat tatsächlich handelt.Auf Grund dieser Verantwortung des Staates für den Schutz unserer lebendigen Natur fordert die
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3783
Dr. Hauffsozialdemokratische Bundestagsfraktion die Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz.
Der Staat ist auch in der Pflicht, wenn es gilt, Umweltschutz und Arbeitsplätze zu schaffen. Er ist dort in der Mitverantwortung.Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig einen schlimmen Gegensatz: Einerseits sind rund 2,3 Millionen Menschen arbeitslos, d. h., Produktionskapazitäten in großem Umfang liegen brach, andererseits bleiben ganz grundlegende Bedürfnisse der Menschen unbefriedigt.
Ich spreche z. B. von der Nachfrage nach einer sauberen Umwelt. So wie es nach dem Krieg in unserem Land eine große Wohnungsnot gab, so gibt es in unserem Land heute eine große Umweltnot. So wie uns damals eine große, gemeinsame Anstrengung über die Schwierigkeiten hinweggeholfen hat, so brauchen wir heute eine große, gemeinsame Anstrengung, um die Umwelt zu schützen, um den Frieden mit der Natur wiederherzustellen, um eine umweltverträgliche Industriegesellschaft zu schaffen.Es bedarf des aktiven staatlichen Handelns, um dieses Ziel zu verwirklichen. Die Alternative: Umweltschutz oder Arbeitsplätze, Umweltschutz oder Wachstum — sie ist unfruchtbar, sie ist töricht. Denn sie lenkt von den Chancen ab, ökonomische und ökologische Fragen miteinander zu verbinden. Mehr Umweltschutz ist eine — eine — der hilfreichen Antworten bei der Suche nach mehr Arbeitsplätzen.Wir brauchen auch in Zukunft Umweltauflagen: Gebote und Verbote für Konsumenten und für Produzenten. Sie müssen schrittweise auch verschärft werden, insbesondere dort, wo es um den Schutz der Gesundheit von Menschen geht. Wir brauchen auch in Zukunft Abgaben wie die Abwasserabgabe, Herr Zimmermann, die sich ja nach dem Bericht, den Sie selbst vorgelegt haben, bewährt hat. Also, lassen Sie Ihre Polemik gegen Abgaben weg! Abgaben sind überall dort sinnvoll, wo es darum geht, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sich umweltfreundliches Verhalten auch tatsächlich lohnt. Nur: In Zukunft brauchen wir daneben verstärkt Finanzhilfen für Umweltschutz, d. h., wir brauchen einen langfristigen Finanzrahmen für Maßnahmen des Umweltschutzes unter der Überschrift: Arbeit und Umwelt.Das muß solide finanziert werden, und das kann — wie das ERP-Sondervermögen — unbürokratisch organisiert werden. Deswegen sprechen wir Sozialdemokraten von einem Sondervermögen Arbeit und Umwelt, das geschaffen werden muß. Denn genauso wie es nach dem Krieg darum ging, mehr Wohnungen und mehr Arbeitsplätze zu schaffen, so geht es heute darum, mehr Umweltschutz und mehr Arbeitsplätze zu schaffen.
Das muß das Ziel sein; es zu erreichen ist auch möglich.Wir brauchen diese Modernisierung unserer Volkswirtschaft dringend. Wir wollen eine umweltverträgliche Industriegesellschaft, und zwar nicht im Jahre 2050, sondern in den nächsten zehn Jahren; auch wir wissen, daß ein Zeitrahmen dieser Größenordnung erforderlich ist. Wir müssen das auch deshalb schaffen, damit nicht irreführende Sehnsüchte nach einer Alternative zur Industriegesellschaft immer breitere Kreise in unserer Gesellschaft ziehen.
Es geht um eine dauerhafte beschäftigungs- und strukturpolitische Weichenstellung, in der Tat um eine Weichenstellung. Es geht um einen stetigen Finanzrahmen für langfristig angelegte umweltpolitische Aufgaben.Die Nachfrage nach hochwertigen Umwelttechnologien wird weltweit zunehmen. Unsere Industrie darf diesen Zug nicht verpassen. Das heißt: Wir müssen auch hier einen Spitzenplatz auf dem Weltmarkt einnehmen.Dieses Sondervermögen darf jedoch nicht zu einer Aufhebung des Verursacherprinzips führen. Verursacher- und Vorsorgeprinzip, meine Damen und Herren, sind und bleiben das Kernstück der Umweltpolitik. Aber es darf auch nicht zu einer Umfinanzierung von Pflichtaufgaben der öffentlichen Hand führen. Deswegen sollen solche Maßnahmen finanziert werden, die über die rechtlichen Verpflichtungen hinausgehen. Dazu gehören zusätzliche Umweltschutzaufwendungen der öffentlichen Hand; dazu gehört das große, ungelöste Problem der Sanierung von Altlasten, bei denen Verursacher nicht mehr belangt werden können; dazu gehören private Aufwendungen zur Verbesserung der Umwelt, Aufwendungen, die über die rechtlichen Verpflichtungen hinausgehen; dazu gehören dann auch Pilotprojekte und Maßnahmen zur Markteinführung von Umweltschutzgütern.Ein solches Sondervermögen könnte finanzielle Hilfen und Anreize in Form von Zinssubventionen oder verlorenen Zuschüssen geben, so wie wir die Aufbauphase nach dem Krieg auch mitfinanziert haben. Die Befürchtung, es könnte zu zusätzlichen Staatsbürokratien kommen, ist unbegründet. Auch die ERP-Kredite, d. h. die Kredite, die nach dem Zweiten Weltkrieg den Grundstein für den großen Aufschwung gelegt haben, sind seit 30 Jahren fester Bestandteil öffentlicher Strukturpolitik; sie werden unbürokratisch abgewickelt und haben sich bewährt.Wir wissen, daß eine solche Maßnahme Opfer verlangt. Diese Opfer werden nicht einige wenige betreffen, sondern es werden Opfer sein, die wir miteinander und die breite Schichten zu tragen haben, wenn es wirklich erfolgreich sein soll und wenn es solide finanziert werden soll. Nur: Wir meinen, die Bürger sind längst auch dazu bereit, solche Opfer zu erbringen, wenn sie wirklich sicher sein können, daß die ihnen abverlangten Belastungen nicht im allgemeinen Steuertopf verschwinden, sondern ausschließlich zur Verbesserung der Umwelt
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3784 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Dr. Hauffeingesetzt werden können. Deswegen fordern wir ein Sondervermögen Arbeit und Umwelt.Die Schwerpunkte für das umwelt- und strukturpolitische Engagement des Sondervermögens Arbeit und Umwelt sind klar: Maßnahmen der Luftreinhaltung, d. h. zügigere Umrüstung von Altanlagen, Weiterentwicklung neuer Technologien, Investitionen für sauberere Gewässer, für Trinkwasserversorgung, für eine umweltverträgliche Abfallwirtschaft, für Energieeinsparung und Lärmschutz sind Bereiche, in denen wir meines Erachtens keine Anstrengung scheuen dürfen, um unseren Kindern eine lebenswerte Umwelt zu hinterlassen.Meine Damen und Herren, in stiller Regelmäßigkeit erscheint Ende Januar der Jahreswirtschaftsbericht. Das ist gut so.
Richtig, Herr Klein. Die dort aufgeführten wirtschaftlichen Begriffe sind ja nicht nur wirtschaftspolitische Meßgrößen, sondern sie prägen unser Denken, und sie bestimmen in sehr weitem Umfang unser politisches Verhalten. Die Verpflichtung der Bundesregierung, jährlich dem Bundestag und dem Bundesrat einen Wirtschaftsbericht vorzulegen, war — Herr Klein, Sie sollten sich daran erinnern, wo das entstanden ist — die Folge der wirtschaftlichen Krise Mitte der 60er Jahre. Damals hat man die Konsequenz daraus gezogen.Die wirtschaftliche Entwicklung wird immer noch weit gründlicher dokumentiert als die Entwicklung der Umwelt. Dies ist nach unserer Auffassung ein Defizit der Politik. Die Umweltkrise hat es bisher nicht vermocht, die Bundesregierung zu einem freiwilligen, zu einem umfassenden Bericht über die Lage der Natur zu veranlassen.Die SPD-Bundestagsfraktion fordert einen Bericht zur Lage der Natur, der auch in regelmäßigen Abständen dem Deutschen Bundestag vorgelegt wird.
Wir haben den Antrag eingebracht. Er wurde beraten. Die Koalitionsfraktionen schlagen statt dessen vor, mehrere einzelne Prüfberichte zu ausgesuchten konkreten Themen zu verlangen.
Damit zeigt die Koalition, daß sie überhaupt nicht begriffen hat, worum es geht. Umweltprobleme können nicht mehr als punktuelle Einzelerscheinungen ohne inneren Zusammenhang und ohne Zusammenhang der einzelnen Politikbereiche begriffen werden.
Nach der Logik dieser Arbeitsteilung, die Sie jetzt vorschlagen, schreibt dann der Landwirtschaftsminister seinen Bodenbericht, der Wirtschaftsminister seinen Luftbericht, der Verkehrsminister schreibteinen Lärmbericht und der Innenminister schreibt einen Wasserbericht,
als ob nicht die Luftverschmutzung etwas mit der Belastung des Bodens zu tun hätte und die Belastung des Bodens nicht etwas zu tun hätte mit dem Problem, daß unser Grundwasser gefährdet ist. Dies kann doch einfach nicht mehr bestritten werden.Es fehlt an einer integrierten Umweltpolitik.
Es fehlt an der Einsicht, daß die Umwelt in allen Politikbereichen stärkere Beachtung finden muß. Dies läßt sich nicht auf ein Ressort begrenzen.
Die Koalitionsfraktionen haben unseren Antrag im Ausschuß abgelehnt.
Wir bleiben bei unserer Forderung. Daß die CDU/ CSU einen solchen Bericht unbequem finden wird und daß sie ihn ablehnen wird, haben wir erwartet.
Herr Baum, an die FDP richte ich die Frage: Welches Maß an Selbstverleugnung ist eigentlich noch notwendig? Vor genau einem Jahr, im Februar 1983, haben Sie, Herr Baum, auf einer Pressekonferenz nichts Geringeres und nichts anderes gefordert als einen jährlichen Bericht zur Lage der Natur. Ihrer Meinung nach sollte dieser Bericht ähnlich wie der Jahreswirtschaftsbericht im Anschluß an das Gutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen dem Bundestag vorgelegt und auch dort diskutiert werden. Wir halten diesen Vorschlag für vernünftig und richtig. Nur: Wenn man ihn öffentlich macht, warum sorgt man dann nicht auch für Mehrheiten, wenn es darum geht, abzustimmen? Wir haben im Ausschuß unseren Bericht zur Debatte gestellt. Er ist leider abgelehnt worden. Es stellt sich dann die Frage nach der Glaubwürdigkeit dessen, was man öffentlich ankündigt.
Ich könnte mir vorstellen, daß ein solcher Bericht mithelfen könnte, praktische Konsequenzen aus jener Einsicht zu ziehen, die ein früherer Bundespräsident schon vor längerer Zeit — vor über zehn Jahren — so formuliert hat:Die bloße Steigerung wirtschaftlicher Wachstumsraten und des persönlichen Wohlstands ist kein erstrebenswertes Ziel, wenn sie zu Lasten der körperlichen und seelischen Gesundheit erkauft werden. Produzenten wie Verbraucher
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Dr. Hauffwerden gewohnte Verhaltensweisen überdenken und ändern müssen.Diese Feststellung mündet dann in die Frage ein, was wir heute unter Wohlstand verstehen. Für uns Sozialdemokraten ist Wohlstand, wenn wir auch in unseren Flüssen wieder baden können. Für uns ist Wohlstand, wenn wir beim Wandern wieder aus dem Bach trinken können,
wenn Wälder, Seen und Meere gesund sind und ihre lebenswichtigen Funktionen wieder wahrnehmen können. Für uns ist es Wohlstand, wenn man Leber wieder essen kann, ohne Angst haben zu müssen, mit Cadmium verseucht zu werden, d. h. wenn unsere Lebensmittel nicht mit Chemikalien so verseucht sind, daß die Gesundheit geschädigt wird.
Für uns ist es Wohlstand, wenn wir in einem Land mit so sauberer Luft leben, daß Kinder ohne Gefahr für ihre Gesundheit aufwachsen können.
Das, meine Damen und Herren, ist der Wohlstand, den wir meinen. Und wir wollen den Wohlstand für uns und für unsere Kinder mehren, damit sie sich in unserer Welt wohlfühlen. In dieser Verantwortung stehen wir.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Laufs.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer die Fülle der heutigen Beratungsgegenstände betrachtet, erkennt schon daran, wie außerordentlich umfangreich und vielfältig die Aufgabe ist, unsere natürlichen Lebensgrundlagen vor unvertretbarer Belastung und Zerstörung zu schützen. Wir stehen vor mannigfachen Umweltgefahren und den unterschiedlichsten Risiken, denen wir mit einer Politik der Vorsorge auch dort begegnen müssen, wo noch keine schlüssigen Beweise für Wirkungszusammenhänge vorliegen.Wir in der Union sind optimistisch. Wir sehen zuversichtlich in die Zukunft. Wir sind überzeugt, daß wir die Probleme meistern können, wenn wir unsere wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Kräfte anspannen und richtig einsetzen. Wir verkennen dabei nicht, daß sich manche technische Entwicklung, die wir als fortschrittlich und vorteilhaft ansehen, später als verfehlt oder ausgesprochen schädlich entpuppen kann. Ich erinnere an die Erfahrungen mit PCB als Ersatz für gefährliche Kühl- und Hydrauliköle oder mit der Verwendung natürlicher Mineralfasern, dem Asbest.Manche bittere Erkenntnis kann noch auf uns zukommen. Aber dies ist kein Anlaß zu Verzweiflung und hysterischer Angst. In der Geschichte unseres Industriezeitalters überwiegen bei weitem die Beispiele einer erfolgreichen Überwindung von Gefahren. Wir in der Union sind uns des Weges sicher. Wir werden Mensch und Umwelt vor den nachteiligen Auswirkungen verschiedenster Technik immer wirksamer schützen können.Seit Bundeskanzler Kohl regiert, sind wichtige Schritte getan worden. Das vergangene Jahr war das Jahr bahnbrechender Entschlüsse zur Luftreinhaltung. Die saubere Luft ist und bleibt in diesem Jahrzehnt Umweltziel Nummer eins. Die Bundesregierung hat dié europäische Schrittmacherrolle der Bundesrepublik bei der Entschwefelung und Entstickung der Rauchgase aus Großfeuerungsanlagen, bei der Entgiftung der Autoabgase und bei der Bekämpfung anderer gefährlicher Emissionen ausgebaut. Entscheidungen hierzu sind gefallen, und ihre Umsetzung hat begonnen. Die betroffene Kraftwirtschaft hat ihre Planungen zur Entschwefelung so weit abgeschlossen, daß bereits Ende vergangenen Jahres absehbar war, welche Anlagen stillgelegt oder fristgerecht nachgerüstet werden. Darüber hinaus wird deutlich, daß die Nachrüstung der Altanlagen in rascher Folge vorgenommen werden wird. Es steht heute fest, daß die Betreiber von Kohlekraftwerken der allgemeinen öffentlichen Stromversorgung, die allein rund 45% der bisherigen Schwefeldioxidemissionen verursachen, ihren Schwefelausstoß bis spätestens 1988 um rund zwei Drittel reduziert haben werden. Die ersten Anlagen werden voraussichtlich Ende 1985 oder Anfang 1986 umgebaut sein. Ende der 80er bis Anfang der 90er Jahre wird die SO2-Emission der Elektrizitätswirtschaft auf ein Viertel der heutigen Menge verringert sein.Diese Zahlen sind eindrucksvoll. Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung greift. Das sind keine schwachen Taten, Herr Kollege Hauff; fragen Sie doch Ihren Parteifreund Farthmann, der dies öffentlich in aller Deutlichkeit bezeugt hat.
— Das nicht, Herr Kollege Duve; Sie müssen sich ja erst in die Umweltpolitik einarbeiten. Sie brauchen noch ein bißchen Zeit.
Wir begleiten die Arbeit der Unternehmer, der Ingenieure und Techniker und aller Mitarbeiter, die dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen helfen, mit unserem anerkennenden Dank. Das muß auch einmal gesagt sein.
Auch die Verminderung von Stickoxidemissionen ist auf gutem Wege. Wir lassen keinen Zweifel daran aufkommen: Die Entstickung ist beschlossene Sache. Im Hinblick darauf, daß die technische Entwicklung derzeit sehr rasch voranschreitet — meine Freunde in Baden-Württemberg tragen hierzu in hervorragender Weise bei —, enthält die Großfeuerungsanlagen-Verordnung eine Dynamisierungsklausel, die den jeweils neuesten Stand der Minderungstechnik auszuschöpfen vorschreibt. Diese Regelung versetzt die Genehmigungsbehörden in die Lage, den technischen Fortschritt voll zu
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3786 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Dr. Laufsnutzen. Wir werden mit den heute geltenden Rechtsgrundlagen die Grenze von 200 mg und niedrigere Werte erreichen können. Es besteht deshalb gegenwärtig kein weiterer Regelungsbedarf. Es muß nur gehandelt werden. Wir und die Betroffenen tun dies.Meine Damen und Herren, unsere Luftreinhaltepolitik bedeutet große Anstrengungen für die betroffene Industrie und hohe Kosten für die gesamte Volkswirtschaft. Die Politik muß die Wirtschaft beim Vollzug der Maßnahmen unterstützend begleiten. Handlungsbedarf besteht einmal bei der Entsorgung der zurückgehaltenen Schadstoffe. Bei der Abgasreinigung fallen große Mengen zum Teil umweltschädlicher Sonderabfälle an, für die neue Möglichkeiten der Verwertung und Beseitigung erschlossen werden müssen.Es geht aber auch um unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit. Wir gehen mit unseren Umweltauflagen an die Grenze des volkswirtschaftlich Vertretbaren. Die Kosten für die Luftreinhaltung steigen mit dem Reinigungsgrad steil an. Es macht keinen Sinn, von unserer Wirtschaft zu verlangen, mit progressiv wachsenden Aufwendungen die Rückhaltung der Emissionen immer weiter und bis auf hundert Prozent zu treiben, während schon heute die Hälfte der schädlichen Niederschläge über die Grenzen vom Ausland zu uns kommen und dort so gut wie nichts geschieht. Ohne Erfolge in ganz Europa muß unsere Umweltpolitik teures Stückwerk bleiben.Dies gilt insbesondere auch für die Einführung bleifreien Benzins und moderner Abgasentgiftung bei Kraftfahrzeugen. Am Datum für die Einführung der vorgesehenen nationalen Maßnahmen, dem 1. Januar 1986, wird nicht gerüttelt. Stufenpläne sind für uns kein Thema. Die zur Vorbereitung notwendigen Entscheidungen sind getroffen, auch wenn der Herr Kollege Hauff dies hartnäckig nicht zur Kenntnis nehmen will.Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie bald Vorschläge für eine differenzierende steuerliche Behandlung abgasentgifteter und herkömmlicher Autos vorlegt, damit weder beim Erwerb noch beim Betrieb umweltfreundlicher Kraftfahrzeuge zusätzliche Kosten entstehen. Keine Steuer darf bei der Ausgestaltung tabu sein. Die Kraftfahrzeugsteuer wie die Mineralölsteuer und andere Steuerarten müssen in die Überlegungen einbezogen werden. Wir wünschen auch, daß die Bundesregierung die Frage verstärkter Abgaskontrollen entschlossen aufgreift. Der jährliche Test muß bald zur Regel werden.
Meine Damen und Herren, das Konzept gegen die Luftverschmutzung hat Vorrang. Aber auch neu erkannte Gefahren für Boden und Gewässer, die aus der Anreicherung nicht oder nur schwer abbaubarer Stoffe erwachsen, müssen intensiver bekämpft werden. Es ist vorauszusehen, daß wir ebenso einschneidende Maßnahmen gegen Schadstoffeinleiter in diesen Bereichen ergreifen müssen, wie sie derzeit gegen Emittenten von Luftverunreinigungen durchgesetzt werden. Unser Antrag zur Umweltvorsorge und die Antworten der Bundesregierung auf die Anfragen zu Problemabfällen, gefährlichen Stoffen wie PCB, zum Bodenschutz usw. lassen Umfang und Lösungsansätze sichtbar werden.Viel bleibt zu tun, viel ist noch aufzuklären. Nach der Polemik des Kollegen Hauff muß man einfach hinzufügen: Vieles ist von früheren Regierungen liegengelassen worden,
wie gerade die Anträge und Großen Anfragen der Opposition beweisen, besonders der heute eingebrachte — im übrigen ziemlich dünne und dürftige — SPD-Antrag. Wer hat denn in den 70er Jahren regiert, muß man fragen, Herr Kollege Hauff.
Die Umweltpolitik der Opposition — man muß das leider sagen — trägt wenig zur Problemlösung bei. Zugegeben: Sie sattelt verbal noch etwas drauf, redet sich ein, der Zug führe noch schneller, wenn sie am Steuer wäre, sie klagt vor allem an. Aber an neuen Ideen und kreativer Kraft ist bei der Opposition wenig zu erkennen.Herr Kollege Hauff, zu Ihrer Polemik muß ich einfach sagen: Während wir uns im Innenausschuß und bei Anhörungen zum Umweltschutz mit der Sache befassen — Sie sind dabei so gut wie nie anwesend —,
reisen Sie durchs Land und reden von großartigen Notprogrammen und Entschädigungsfonds z. B. für Waldbauern, die auch in SPD-regierten Ländern nur belächelt werden. Das ist doch keine sachbezogene Umweltpolitik. Das ist allenfalls umweltpolitische Billigware.
Unseren Antrag haben Sie offensichtlich auch nicht gelesen; sonst hätten Sie sich über die Frage eines umfassenden Umweltberichts nicht so schrecklich aufregen können. Wir wollen nämlich sogar noch mehr als Sie, d. h. einen noch umfassenderen Bericht, als Sie vorgeschlagen haben.Die wöchentliche Verkündigung neuer Notprogramme und die Erfindung immer weiterer Pfennige und Abgaben ist eher ermüdend als originell. Wir wundern uns, daß die Opposition einfach nicht begreifen will: Dort, wo staatliche Auflagen an die Grenzen des technisch und wirtschaftlich Machbaren gehen, ist kein Spielraum mehr für unternehmerische Entscheidungen zur Optimierung des Mitteleinsatzes und zur Beschleunigung der Vorhaben. Waldpfennige und Schwefelabgaben können deshalb nur zur Abschöpfung und Umverteilung von Kapital führen, das dringend für diese Investitionen und zur Innovation gebraucht wird.
Dem Umweltschutz dienen sie nicht, sondern schaden ihm nur.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3787
Dr. LaufsCDU und CSU beschränken sich bei ihrem Kampf um die Erhaltung einer gesunden Umwelt nicht auf den Erlaß notwendiger neuer Vorschriften. Auch privater Einsatz muß frei gestaltend zur Verringerung der Umweltbelastung, zur Schonung unserer natürlichen Lebensgrundlagen beitragen. CDU und CSU wollen wirtschaftlich wirkende Anreize schaffen, die privates Engagement im Dienst verstärkten Umweltschutzes mobilisieren und fördern. Die neuen Regelungen der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft enthalten interessante Ansätze dazu. Die geplante steuerliche Differenzierung bei Kraftfahrzeugen soll weitere Hilfe bieten.Wir rufen auch die naturbegeisterten jungen Leute auf,
ihr Herz und ihren Kopf nicht an jene zu vergeuden, die sie zur Flucht in romantische Sackgassen und in eine Scheinwelt versponnener Bilder und Träume verleiten.
Wer sich in der wirklichen Welt eine ebenso lebenswerte wie liebenswerte Heimat erhalten und die Umwelt tatsächlich verbessern will, ist bei dieser Koalition gut aufgehoben.Wir fordern Sie alle auf, sich uns auf dem Weg zur verstärkten und wirksameren Umweltvorsorge anzuschließen.Ich bedanke mich.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Vollmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Vorbereitung dieser Rede habe ich lange darüber nachgedacht, welche Weisheit wohl dahinterstecken mag, insgesamt 14 parlamentarische Initiativen in diese einzige Debatte hineinzustopfen.
Ich bin dabei von der Ansicht ausgegangen, nur wenn es mir gelänge, diesen gemeinsamen Nenner, diese zugrunde liegende Absicht zu erkennen, könnte ich auch zutreffend entscheiden, wie auf diese Ihre Großdebatte an einem für uns GRÜNE ganz zentralen Punkt von uns aus richtig zu antworten wäre.Nun mögen Sie ja für sich in Anspruch nehmen, gerade der zahlenmäßige Umfang dieser vorliegenden Umweltdrucksachen zeige die gewachsene Erkenntnis aller Parteien, daß Umweltschutz sozusagen ein weites Feld ist, ein großer Berg Akten und ein Buch mit vielen Siegeln. Sie pflegen in der Regel mehr oder weniger gönnerhaft hinzuzufügen, daß an diesem gewachsenen Umweltbewußtsein wir GRÜNEN ja einen unbestrittenen Anteil hätten; wir seien eben diejenigen, welche die richtigen Fragen stellen.Ihre Aufgabe und Ihr Anteil — hier meine ich alle traditionellen parlamentarischen Parteien — wäre es aber, diese durchaus verdienstvollen Anregungen in praktikable und realitätsgerechte gesetzgeberische Maßnahmen umzusetzen.
Ihre Antworten auf die Anfragen der ökologischen Bewegung tragen Namen wie „Unsere Verantwortung für die Umwelt" — so die CDU/CSU; das meint dann, daß alle irgendwie, aber keiner so richtig zur Verantwortung gezogen wird — oder „Die Industriegesellschaft braucht eine intakte Umwelt" — so die SPD —, und wer da was braucht, ist dann auch deutlich.
Ich glaube, die Art und Weise, wie Sie diese Ökologiedebatte angelegt haben, ist genau ein Beweis dafür, daß Sie die Frage, welche die Ökologiebewegung aufgeworfen hat, zu eilig beantworten wollen, daß Sie sie einfach noch nicht richtig verstanden haben. Sie wählen die Methode des Rundumschlags und des Klar-Schiff-Machens in einer Frage, in der weniger mehr gewesen wäre. Ökologisches Bewußtsein ist nämlich auch nicht ohne große Anstrengung und schon gar nicht zum Nulltarif zu haben.
Für mich ist die Anlage dieser Debatte eine deutliche Interpretation Ihres Verständnisses der Bedeutung der ökologischen Krise insgesamt.
Sie sehen darin nichts anderes als eine Art Irritation, eine leidige Begleiterscheinung, ein Randproblem dieser Industriegesellschaft.Sie antworten darauf wie auf alle Fragen von zentraler Bedeutung, die Sie zu Randproblemen erklären, mit einem Sammelsurium von Einzelbestimmungen, Absichtserklärungen, mit Maßnahmen, die ein Heer von Bürokraten jahrelang beschäftigen können.Dies ist sozusagen die erste Möglichkeit, die wachsende ökologische Krise zu behandeln. Man betrachtet sie als eine unglückliche Anhäufung verschiedener lästiger Einzelprobleme, die genügend zergliedert und mit Einzelauflagen bedacht schon zu bewältigen sind, und der Staat dient dabei als eine Art Feuerwehr, ausgerüstet mit einigen Eimerchen zum Löschen.Die zweite Möglichkeit, sie zu behandeln — dies scheint mir noch weitgehend das Konzept der SPD zu sein —, ist jene, die ökologischen Probleme zwar als bedeutsame und schwerwiegende Bedrohung dieser unserer Industriegesellschaft anzusehen, aber diese sozusagen in der Form einer geteilten Welt mit geteilten Wertvorstellungen — hier Ökonomie, dort Ökologie — anzugreifen.
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3788 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Frau Dr. VollmerDa gilt es dann, „ökologische mit ökonomischen Notwendigkeiten in Einklang zu bringen"; das war ein Zitat. Da „bedeutet unterlassener Umweltschutz reale Wohlstandsverluste", und da wird deshalb Umweltschutz betriebswirtschaftlich und volkswirtschaftlich wieder interessant.Es ist dies eine Art Ausgleichsdenken nach dem rechnerischen Durchschnitt der Buchhaltermentalität.Je größer und je drängender die Probleme im ökonomischen Bereich, um so mehr muß eben der Ausgleich im ökologischen Bereich geschaffen werden. Je mehr die Grundlagen des Lebens in der Welt, die nach den Gesetzen des industriellen Wachstums, der Profitmaximierung, der Welt der Einzelinteressen entstehen, bedroht sind, um so mehr müssen eben die Schutzräume, die Reservate, die Artenghettos, die ländlichen Räume ausgedehnt werden, die durch eben diese Politik brachliegen und entvölkert sind, je mehr Betonsilos auf der einen Seite, um so mehr Biotope auf der anderen Seite, je mehr Gebiete der Massentierhaltung mit schwerer Gewässerbedrohung, um so mehr Wasserschutzgebiete mit schweren Auflagen für die existenzbedrohten Kleinbauern, je mehr Boden-, Luft-und Gewässervergiftung, um so größere Hygienevorschriften für Babys und Kleinkinder und Lebensmittelproduktion.
Ein Beispiel des Endprozesses dieser Art von krämerischem Ausgleichsdenken — die vorliegenden Papiere enthalten davon unzählige — ist z. B. die Tatsache, daß inzwischen in den Waldgebieten der Bundesrepublik die Schadstoffbelastungen doppelt so hoch wie in den industriellen Ballungszentren sind.Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir meinen, adäquat auf die ökoligische Krise zu antworten heißt, radikaler nachzufragen nach den Grundsätzen dieser Industriegesellschaft insgesamt, heißt, radikaler nachzufragen, wer in diesem Staat, in dieser Art Industriegesellschaft die Macht darüber hat, daß sie so ist und so bleiben soll, wie sie ist, heißt, nachzufragen, wer die Grenzen der Entscheidungsvollmacht setzt, die auch dieses Parlament eingrenzen, wer die Werte für die Meßlatte der Moral und Ethik dieser Regierung festsetzt. Beim Nachdenken darüber, denke ich, werden Abhängigkeiten und Zwänge deutlich, die viel tiefer greifen als Abhängigkeiten durch Spendenaffären.
Deshalb ist unsere Antwort auf Ihr Debattenangebot von 14 ökologischen Einzelfragen,
daß wir Sie auffordern, über die adäquate Formulierung der Grundwerte und der Machtverhältnisse dieser Gesellschaft nachzudenken. Unsere Antwort sieht dabei so aus, daß wir Sie auffordern, dasGrundgesetz dieses Staates in einer Weise zu ändern, daß die Bürger dieses Staates, jeder Mensch, einen wirklichen Anspruch auf Schutz vor der Zerstörung seiner Umwelt und seiner natürlichen Lebensgrundlagen hat.
Wir haben in diesem Parlament soeben einen Grundgesetzentwurf vorgelegt, der den Art. 2 des Grundgesetzes um folgenden dritten Absatz ergänzt: „Jeder Mensch hat das Recht auf eine gesunde Umwelt und den Erhalt seiner natürlichen Lebensgrundlagen."
Darum fordern wir Sie vor allem anderen auf, mit uns zunächst über eine Änderung des Grundgesetzes nachzudenken, weil es sich bei den Problemen, die wir zu bewältigen haben, um Probleme handelt, denen wir bisher weder moralisch noch intellektuell gewachsen sind und vor denen uns das Grundgesetz in seiner bestehenden Form offensichtlich nicht hat bewahren können oder — besser — wollen.Grundgesetze sind ja keine allgemeingültigen Naturrechte, sie sind nicht selbstverständlicher Allgemeinbesitz aller Glieder einer Gesellschaft. Grundgesetze sind aus konzentrierten Leidens- und Widerstandserfahrungen von Menschen entstanden. Wer formuliert, daß die Würde des Menschen unantastbar ist, muß erfahren haben, wie die Würde des Menschen mit Füßen getreten wurde. Wer das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit formuliert, muß die Sklaverei und die tiefe Erniedrigung von Menschen erfahren haben. Wer bestimmt, daß alle Menschen gleich sind, muß eine Geschichte der Ungleichheit, der Kasten- und Klassengesellschaft hinter sich haben. Wer die Gleichberechtigung von Männern und Frauen wenigstens als Grundrecht fordert, muß Jahrtausende alte Ungleichheit des Patriarchats in seinen Fasern haben.
Wer formuliert, daß niemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und seiner Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschauung benachteiligt werden darf, muß in einer Welt leben, in der es Religionskriege, Gewalt gegen Frauen, Ausländerhaß, Verbot kommunistischer Organisationen, Konzentrationslager für Minderheiten und Rassenwahn gibt.Dies ist zumindest die Grundlage, noch lange nicht die Gewähr dafür, daß Grundgesetztexte überhaupt die Chance haben, nicht tote Buchstaben, sondern Lebenswirklichkeit eines Volkes zu werden.Das große, das existenzbedrohende Problem bei der Grundrechtsänderung, die wir vorschlagen, ist aber dies: Wir wissen sehr wohl, daß das Wissen über Ausmaß und Ursache der heutigen ökologischen Krise noch nicht Allgemeingut — weder der
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Frau Dr. VollmerGesamtheit unserer Bevölkerung noch dieses Parlaments und schon gar nicht dieser Regierung — ist. Wir befinden uns also in einer Etappe, in der die Erfahrungen, die in der Regel Grundlage dessen sind, daß ein Grundgesetz von einer Bevölkerung verlangt, erkämpft und durchgesetzt wird, noch nicht das Ausmaß einer unwiederbringlichen historischen Notwendigkeit haben. Genau dies ist unsere heutige strategische Schwäche.Natürlich gibt es auch heute bereits unwiderlegliche Beweise, daß dieses Grundrecht und seine Durchsetzung — worauf es ankommt — absolut notwendig ist, wenn die Menschheit überleben will, aber diejenigen, die diesen Beweis erbringen könnten, haben keine Stimme. Es ist z. B. die Generation unserer ungeborenen Kinder; es ist die geschundene Natur, die keine menschliche Sprache hat;
es ist der Boden, der nicht schreien kann; es sind die geplünderten Rohstoffe und Ressourcen dieser Erde; es sind die Menschen und die Völker der Teile der Erde, auf deren Kosten wir leben, aber deren Sprache, deren Kultur, deren Lebensphilosophie und deren Art zu leben wir überhaupt nicht begreifen.Wir können aber nicht warten, bis die Sprache des Faktischen — die einzige Sprache, die die Herrschenden verstehen — so laut wird, daß auch der letzte Bürokrat, der letzte Minister, der letzte Konzernchef, der letzte Anhänger der naturwissenschaftlichen Ideologie der Allbeherrschbarkeit der Natur und der Menschen, diese Sprache verstanden hat.
Die bisherigen Grundgesetze dieses Landes wurden mit dem Leiden, der Unterdrückung, der Ausbeutung und Ausrottung von Generationen von Geschlechtern, von Frauen und Männern, Völkern, Rassen als Erfahrungsschatz der Menschheit bitter erworben.Die Erkenntnis, daß jeder Mensch ein Recht auf eine gesunde Umwelt und den Erhalt seiner natürlichen Lebensgrundlagen hat, muß aber in der Lebenwirklichkeit Platz greifen, bevor wir die letzten. Auswüchse jener Lebensphilosophie der unbegrenzten Tyrannei über Natur, Mensch, alle Lebewesen, der ungestraften Vernichtung von Landschaften, Seen und Meeren und der skrupellosen Manipulation mit den letzten Bausteinen des Lebens bis zur letzten Neige ausgekostet haben. Denn wenn es erst so kommen würde, dann hätten wir sicher keine Zeit mehr, ein unantastbares Grundrecht zu formulieren, weil unsere Zeit dann schon abgelaufen wäre — aber Ihre auch!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin, auch wir gehen von der Einsicht aus, daß unsere Umwelt gefährdet ist und daß wir nicht genug getan haben, aber wir ziehen andere Konsequenzen daraus. Ich ziehe daraus nicht die Konsequenz, die Bundesregierung zu kritisieren. Sie tut das, was wir für richtig halten, und sie hat dabei unsere Unterstützung.
Ich kann das um so nachdrücklicher sagen, meine Damen und Herren, als das, was die Bundesregierung tut, in weiten Teilen, Herr Kollege Hauff, in der Kontinuität zur früheren Bundesregierung liegt.
Das geht von der Nordseekonferenz über die Großfeuerungsanlagen-Verordnung, über die jetzt vorgesehene Novellierung der TA Luft bis zur Frage der Autoabgase.
Einiges ist auch weiterentwickelt worden — es mußte auch weiterentwickelt werden —; denn es gab Entwicklungen, die wir so nicht vorhergesehen haben, etwa was die Gefährlichkeit der Stickoxide angeht. Dies ist ja keine statische Sache, sondern ein dynamischer Prozeß. Dem hat sich die Bundesregierung gestellt.Ich sage allerdings, daß für meine Fraktion einige Punkte nicht erledigt sind. Wir wünschen, daß die Bundesregierung in einigen Punkten unsere Vorschläge noch aufnimmt. Das hat sie im übrigen nach anfänglichem Zögern an einigen Punkten bereits getan. Ich habe mit Zustimmung gehört, daß die Bundesregierung jetzt angekündigt hat, das Bundes-Immissionsschutzgesetz zu ändern. Ich habe bereits im Dezember letzten Jahres für meine Fraktion einen Vorschlag dazu vorgelegt.Hier ist die Bundesregierung also durchaus lernfähig. Sie schließt sich Vorschlägen an, auch beim Abwasserabgabengesetz, das ja novelliert werden soll. Ich hoffe, daß dies auch bei anderen Punkten geschieht, die mich — um auch das deutlich zu sagen — noch nicht befriedigen.Meine Damen und Herren, ich möchte, daß wir uns in diesem Hause in der Tat einer Grundgesetzänderung öffnen. Dies ist eine Forderung, die meine Partei seit 1972 vertritt. Ich hatte noch bei den Koalitionsverhandlungen 1980 Schwierigkeiten gegenüber den Sozialdemokraten. Wir haben damals eine Kommission eingesetzt. Ich möchte Sie wirklich bitten: Lesen Sie den Bericht der von mir eingesetzten Kommission! Er kommt zu dem Ergebnis, daß das eben mehr ist als nur eine Deklamation, daß die Änderung des Grundgesetzes die Wirkung hat, dem Umweltschutz bei Gesetzgebung und Verwaltungshandeln eine gewisse Priorität einzuräumen. Allerdings müssen wir, der Gesetzgeber, uns hier im Bundesparlament auch entsprechend verhalten. Ich werbe also für diesen Vorschlag. Herr Kollege Zimmermann, Sie haben dazu heute nichts gesagt. Meine Fraktion, meine Partei besteht nachdrück-
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Baumlich darauf: Umweltschutz gehört in das Grundgesetz.
Nicht zufrieden sind wir bisher auch — um das an die Adresse des Kollegen Kiechle zu sagen — mit den Ankündigungen in Sachen Bundesnaturschutzgesetz. Sie werden dazu heute etwas sagen, und ich möchte das Urteil über das, was ich nicht weiß, nicht vorwegnehmen. Ich weiß j a nicht, was Sie heute sagen werden. Ich möchte nur deutlich machen: Wir treten dafür ein, daß eine Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz vorgelegt wird und daß über die Landwirtschaftsklausel nachgedacht wird. Wir haben einen Vorschlag gemacht, um diese Klausel zu überprüfen. Nicht zufrieden sind wir auch mit der bisherigen Fassung des Pflanzenschutzgesetzes.Aber lassen Sie mich zunächst etwas zur Luftreinhaltung sagen. Hier wird eine Menge erreicht — Herr Kollege Zimmermann hat es gesagt —: Etwa 80 % aller Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke werden umgestellt, 20 % werden stillgelegt, die Hälfte der Schwefeldioxidbelastung verschwindet. Es geht jetzt nur um die Frage, in welchem Tempo das geschieht. Das ist ein enormer Erfolg, und Herr Zimmermann hat recht, wenn er sagt: Wenn die Europäer in Ost und West das machen würden, hätten wir mit unserem Wald wahrscheinlich keine Probleme mehr.
Wir nehmen hier eine Vorreiterrolle wahr, und das ist auch richtig. Wir können auf den Konferenzen nur dann überzeugend auftreten, wenn wir selber etwas in die Wege geleitet und getan haben.Herr Kollege Zimmermann, ich habe allerdings nach wie vor Zweifel, ob das bei den Stickoxiden reicht. Ich bin so informiert, daß es insoweit Schwierigkeiten beim Vollzug der Großfeuerungsanlagen-Verordnung in den Ländern gibt, und ich meine, Sie sollten alles dafür tun — ich glaube, ich konnte Sie so verstehen, daß Sie das angekündigt haben —, daß Bund und Länder für einen einheitlichen Vollzug der Großfeuerungsanlagen-Verordnung in diesem Punkte sorgen. Wir haben uns in Japan davon unterrichtet, daß die Technologie auf diesem Gebiet außerordentlich fortgeschritten ist, daß hier also ein dynamischer Prozeß stattfindet. Die Dynamisierungsklausel in der Großfeuerungsanlagen-Verordnung trägt dem j a Rechnung. Das ist nicht Verunsicherung, das ist Anpassung an den neuesten Stand der Technik, und den brauchen wir bei den Feuerungsanlagen, den brauchen wir insbesondere in bezug auf die Stickoxide.Wenn sich bis zum 1. Juli 1984 insoweit, was den Ländervollzug angeht, keine befriedigende Lösung herausstellt und wenn wir auch nicht sicher sind, daß der optimale Standard bei der Reduzierung der Stickoxide erreicht wird, müßten wir auf einer Ergänzung der Großfeuerungsanlagen-Verordnung bestehen, wie es der Sachverständigenrat für Umweltfragen ja auch gefordert hat.Es war ein langer Weg von den ersten Anfängen der Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Meine Damen und Herren, es war 1977, als wir damit begonnen haben, und manche, Herr Kollege Weiser, die jetzt an der Spitze des Fortschritts stehen,
waren damals noch zögernd.
Ich begrüße, daß Sie jetzt auf unseren Weg gekommen sind. Wir müssen doch selbstkritisch feststellen: Das Vorsorgeprinzip hat nicht gezündet. Es mußte erst der Wald sterben; das ist leider so.Wir schlagen erneut mit Nachdruck vor, das Bundes-Immissionsschutzgesetz zu novellieren. Wir müssen verbindliche Luftreinhalteplanungen in allen Teilen des Bundesgebietes haben, und die wirtschaftliche Vertretbarkeit muß als Vollzugshemmnis beseitigt werden. Im übrigen sollte die öffentliche Hand überall dort, wo sie selber mitbestimmt, die Reduzierung vorantreiben. Das ist in Baden-Württemberg gut gelungen. Das geschieht jetzt bei Bexbach. Aber das geschieht z. B. noch nicht in Buschhaus. Ich bin der Meinung, Buschhaus darf erst in Betrieb gehen, wenn die neue Technologie zur Rauchgasentschwefelung dort eingebaut ist.
Denn sonst wird dieser Raum unerträglich verschmutzt. Hier müssen alle Anteilseigner — und es sind öffentliche Anteilseigner — tätig werden.Wir führen eine Debatte über wirtschaftlich wirksame Instrumente, über ökonomische Anreize. Ich halte diese Debatte für wichtig. Ich bin allerdings der Meinung, daß intellektuell reizvolle Pläne zur Übernahme amerikanischer Modelle, wie sie beispielsweise der Kollege Biedenkopf entwickelt hat, bei uns nicht greifen. Das Glockenkonzept, das Bubble-Konzept setzt ganze andere Umweltgrundsätze voraus, als wir sie haben. Wir sind im Grunde weiter, unsere Umweltschutzpolitik geht vom Vorsorgegebot und dem Stand der Technik aus. Dieser Plan würde also nicht mehr Umweltschutz bewirken. Ansonsten sind wir offen. Wir haben ja in unserer gemeinsamen Entschließung, die ich für sehr gut und für umfassend halte, mit der CDU/CSU zusammen die Bundesregierung gebeten, Vorschläge für wirtschaftlich wirksame Instrumente vorzulegen. Wir werden uns allen Vorschlägen öffnen, die zu mehr Umweltschutz führen. Wir wollen keine sture Gleichbehandlung der Emissionsquellen, wir wollen eine gewisse Flexibilität, wie sie j a auch schon mit der Sanierungsklausel der TA Luft möglich ist. Um dies nun ehrlich zu machen, auch aus diesem Grunde brauchen wir die Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes.Umweltpolitik der Zukunft wird nach unserer Ansicht bestimmt sein von einer Kombination von Auflagen, Abgaben und Branchenvereinbarungen. So sind wir bisher schon vorgegangen, und so wird es weiter sein. Ich sage auch nein, wie das hier der Kollege Laufs gesagt hat, zum Waldpfennig. Er ist, Herr Kollege Hauff, im Grunde eine zusätzliche Steuer. Er weicht ab vom Verursacherprinzip, er
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Baumweicht ab von der Grundlage unserer Umweltpolitik in einer ganz wichtigen Frage, nämlich der Luftreinhaltung. Bleiben wir doch bei diesem bewährten Prinzip! Das bedeutet nicht, daß wir uns nicht überlegen müssen, ob wir nicht gegebenenfalls dem hochbelasteten Kohleland Nordrhein-Westfalen entgegenkommen müssen. Denn Nordrhein-Westfalen trägt seit Jahrzehnten die Umweltlast der Stromerzeugung. Das sollte aber nicht durch eine neue Steuer geschehen. Im übrigen bin ich auch nicht der Meinung, daß man Arbeitsplätze durch neue Steuern schafft, Herr Kollege Hauff.
Ich möchte auch noch einmal ausdrücklich betonen, daß meine Partei Abgabelösungen nicht feindlich gegenübersteht. Ich habe das in Kalifornien gesehen. Die Fernwärmenutzung ist dort durch Abgaben bewirkt worden. Wir sollten das weiter diskutieren. Hier gibt es ja auch Prüfungsaufträge an die Bundesregierung.Eine Bemerkung zum Auto. Der Bundesinnenminister hat hier unsere volle Unterstützung: drastische Abgasreduzierung beim Auto. Wir haben einen Vorschlag gemacht, was die Steuersenkung angeht. Darauf wird mein Kollege Hoffie noch eingehen. Ich habe den Eindruck, Herr Kollege Zimmermann, daß die Bundesregierung in Brüssel mit ihrem Vorschlag, amerikanische Werte und Meßverfahren zu übernehmen, offenbar größere Schwierigkeiten hat als wir mit dem Vorschlag der Serie 05 im Jahre 1981. Wir werden die Bundesregierung weiter unterstützen. Wir möchten Sie aber bitten, uns über die Schwierigkeiten zu unterrichten und uns auch einen Plan vorzulegen, wie die Umrüstung bis zum Endpunkt erfolgt. Es genügt nicht, festzulegen, was 1986 geschehen soll.Ich weise noch einmal mit Nachdruck darauf hin: Wir sind nicht auf den Dreiwegekatalysator festgelegt. Auch andere Konzepte akzeptieren wir, wenn sie zum Ziel, mehr Umweltschutz, beitragen.
Die Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes halten wir nach wie vor für dringend erforderlich. Dieses Gesetz ist an den Interessen der Energiewirtschaft ausgerichtet. Die Umweltminister, Herr Weiser, haben eine Initiative in dieser Richtung unternommen. Ich unterstütze das genauso, wie ich das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und das Einkommensteuergesetz im Sinne des Umweltschutzes überprüft wissen will.Im Gewässerschutz begrüßen wir die Ankündigung, das Abwasserabgabengesetz zu novellieren. Wir müssen Konsequenzen aus dem Bericht ziehen, den Sie uns gegeben haben, Herr Zimmermann. Wir müssen auch fragen, ob die ursprüngliche Gesetzeskonzeption nicht dadurch verlorengeht, daß die Abgabe jetzt niedriger ist als die Vermeidungskosten. Wir sollten uns also der Frage stellen, ob die Abgabe noch ausreicht, um den Anreiz zu schaffen, der diesem Gesetz zugrunde liegt.Eine Nordsee-Konferenz haben Sie angekündigt — ein Plan der alten Koalition. Wir freuen uns, daß er realisiert wird.Bodenschutzprogramm: Die vielfältigen Einwirkungen auf den Boden erfordern diese Schutzkonzeption. Hier gab es Vorarbeiten. Sie setzen sie fort. Die Projektgruppe „Aktionsprogramm Ökologie" des Professor Dr. Bick, die wir, Herr Kollege Ertl und ich, eingesetzt hatten, gibt wichtige Anregungen auch für dieses Thema. — Der Bericht dieser Steuergruppe hat auch eine kontroverse Diskussion zum Thema Umweltschutz und Sport ausgelöst. Die Bundesregierung weist in ihren Antworten auf die Anfragen zum Bodenschutz auf die extensive Nutzung der Natur, die Schäden für die Natur etwa beim Skiabfahrtslauf hin. Es gibt in anderen Bereichen zwar nicht eine solche besorgniserregende Situation, aber wir müssen uns in diesem Hause intensiv mit den Spannungsverhältnissen Sport/Umweltschutz, Umweltschutz/Tourismus befassen. Die Koalition wird dazu in Kürze eine Anfrage einbringen.Chemie: Strikte Anwendung des Chemikaliengesetzes. Herr Kollege Zimmermann, es sollte wirklich geprüft werden, ob ein Importstopp für PCB eingeführt werden muß. Die Menge der auf dem Markt befindlichen chemischen Wirkstoffe nimmt erheblich zu und damit auch das Gefahrenpotential.Zum Pflanzenschutzgesetz möchte ich nur so viel sagen: Wir müssen uns wirklich fragen, unter welchen Bedingungen neue Pflanzenschutzmittel eigentlich erforderlich sind, wenn andere Mittel oder biologische Alternativen vorhanden sind. Eine Abschlußprüfung auf Ökotoxizität durch das Umweltbundesamt muß eingeführt werden. Ein Export von Pflanzenschutzmitteln, die hier verboten sind, darf nach unserer Meinung nicht erfolgen. Wir sind also der Meinung, daß dieses Gesetz noch einen stärkeren Vorrang für den Umweltschutz, für die Natur zum Ziel haben muß. Es schützt in der jetzigen Fassung die Kulturpflanzen, es schützt nicht ausreichend die Natur.Wir erwarten eine Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes.Schließlich, Herr Kollege Zimmermann, möchte ich Sie ermuntern, nun endlich auch administrative Maßnahmen gegen die Einwegverpackung zu ergreifen.
Alle Versuche, dies auf dem Wege von Branchenvereinbarungen, durch Kooperation zu erreichen, sind fehlgeschlagen. Die Mehrwegverpackung wird immer weiter zurückgedrängt.
Der Staat muß hier eben offenbar Zähne zeigen. Die Verpackungsteuer oder ein ähnliches Instrument muß angewandt werden.Das Abfallwirtschaftsprogramm hat gezeigt, meine Damen und Herren, daß Tausende neuer Firmen entstanden sind, wie überhaupt Umweltschutz eine große Chance für die kleinen und die mittleren
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3792 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
BaumUnternehmen ist, die sich sehr anpassungsfähig und innovativ gezeigt haben.Schlußbemerkung: Umweltschutz wird nur zu einem Teil von staatlichen Regeln bewirkt. Er hängt im wesentlichen davon ab, wie wir uns selber verhalten, wie wir mit dem Faktor Umwelt umgehen, der eben kein freies Gut ist, sondern ein knappes, verletzliches Gut. Umweltbelastung zum Nulltarif gibt es nicht. Noch nachhaltiger als bisher müssen wir uns auch in vielen Entscheidungen unseres täglichen Lebens an dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen orientieren.So sehr Wachstum notwendig ist, so wichtig ist es, rechtzeitig auf solches Wachstum hinzuwirken, das nicht in der bisherigen Weise die Rohstoffe dieser Erde verbraucht und Schäden herbeiführt, die wir noch gar nicht genau kennen, von denen wir nur ahnen können, daß sie eintreten — wie das beim Waldsterben geschehen ist.Wir haben eine Verantwortung für das „Raumschiff Erde". Wenn wir sie nicht wahrnehmen, wenn wir nicht Mittel und Wege finden, um der weiteren Ausbeutung der Erde, auch durch Überbevölkerung, entgegenzuwirken, wird es Spannungen geben, die den Frieden nachhaltig gefährden können. Aus unserer Sicht ist Umweltschutz daher ein Stück Friedenssicherung. Eine ständige weltweite Umweltkonferenz wäre in der Tat angebracht. Weltwirtschaftsgipfel und europäische Gipfel ohne Umweltschutz kann ich mir auch nicht mehr vorstellen. In Stuttgart wurde ja ein erster Anfang gemacht.Meine Kollegen, setzen wir uns auch hier in diesem Hause über viele kleinliche und bürokratische Bedenken hinweg! Umweltschutz ist letztlich auch das ökonomisch Vernünftigste. Alle kurzfristigen ökonomischen Erfolge durch Vermeidung von Umweltschutz müssen eines Tages teuer bezahlt werden. Wir unterstützen die Bundesregierung und hoffen, daß sie unsere zusätzlichen Vorschläge so aufnimmt, wie sie eine ganze Reihe unserer bisherigen Vorschläge aufgenommen hat.
Meine Damen und Herren, wir haben Gäste. Auf der Diplomatentribüne haben Abgeordnete der Nationalversammlung der Republik Korea Platz genommen. Ich freue mich, Sie hier im Deutschen Bundestag begrüßen zu können.
Wir wünschen Ihnen einen erfolgreichen und angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
Nun hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer über Umweltschutz und die Natur und ihren Schutz spricht, muß wissen, daß die einseitigste Betrachtungsweise immer die falscheste Betrachtungsweise ist. Die Natur selbst ist Vielfalt.
Fast uneingeschränkt dasselbe kann man auch von ihrer Nutzung sagen: Je einseitiger sie erfolgt, um so schädlicher ist sie. Ganz ohne Multis, Industrie, Beton und Chemikalien sind in anderen Teilen der Welt die größten Umweltschäden immer dann entstanden, wenn man die Natur völlig einseitig nutzte. Denken Sie an die Nomaden. Ich gebe ihnen gar keine Schuld. Das Ergebnis ihrer Überweidung ist aber die Wüste. Denken Sie an die, die als Brennstoff nur Holz haben und ihre letzten Holzpflanzen abhacken müssen, um sich ihre Nahrung zuzubereiten; sie produzieren letztlich dasselbe Ergebnis.
Denken Sie an jene, die die Regenwälder abholzen, um zwei, drei Jahre halbwegs fruchtbare Erde zu haben; nachher müssen sie die nächsten Hektar abholzen, weil die alte Erde ihnen keine Nahrung mehr gibt.
— Sie sollten sowieso zuerst denken und erst danach reden. Das täte Ihnen ganz gut.
Sie standen 13 Jahre in der Regierungsverantwortung und haben heute hier außer Polemik nichts geboten. Das möchte ich Ihnen einmal ganz ehrlich sagen.
Immerhin waren und sind es europäische Bauern, die über viele Jahrzehnte hinweg auf ein und demselben Boden reiche Ernten produzierten, ohne diesen Boden auszubeuten. Auch die Söhne können darauf noch Früchte anbauen. Sie haben dafür nur ein Wort übrig gehabt, nämlich vergiftete Lebensmittel. Beweisen Sie es erst einmal!
Wir stehen zweifellos vor einer großen umweltpolitischen Herausforderung. Unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger werden immer umweltbewußter, und sie reagieren auch zunehmend empfindlich, wenn von einer Gefährdung der Umwelt die Rede ist. Über die Sprengkraft, auch die politische Sprengkraft dieser Herausforderung sollten wir uns keine Illusionen machen. Unser Wirtschafts- und Gesellschaftssytem wird daran gemessen werden, ob es uns gelingt, Natur und Umwelt lebensfähig zu erhalten. Die bisherige Debatte hat mir nur gezeigt, daß wir uns in den Zielen, nämlich im Hinblick auf die Erhaltung einer intakten Lebensgrundlage für uns und die kommenden Generationen weitgehend einig sind. Über die Methoden sind wir uns nicht so sehr einig.Um diese Lebensgrundlagen, von denen ich eben sprach, zu erhalten, müssen wir die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, die Funktionsfähigkeit von Boden, Wasser, Luft sowie den Bestand der Pflanzen- und Tierwelt sichern. Ich verfolge diese
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Bundesminister KiechleZiele mit Nachdruck. Die vorliegende Beschlußempfehlung zu dem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen „Unsere Verantwortung für die Umwelt" liegt ganz auf dieser Linie.Die Bundesregierung arbeitet zur Zeit mit Hochdruck an einem Bodenschutzkonzept.
Hierin sollen die verschiedenen vorhandenen Bodenschutzvorschriften auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Falls es sich als notwendig erweist, werden wir zusätzliche Maßnahmen für einen verbesserten Schutz des Bodens vorschlagen.Der Boden ist einer der elementaren Faktoren im Naturhaushalt und in den Ökosystemen. Er ist Grundlage für die Erzeugung von Nahrungsmitteln und Rohstoffen. Er bedeutet Lebens- und Nahrungsgrundlage für Tiere und Pflanzen. Boden ist Wasserfilter, Wasserspeicher und Wasserleiter. Wasservorräte im Boden sichern die Versorgung der Menschen mit Trinkwasser. Die Filter- und Speicherfähigkeit des Bodens für Wasser sind zusammen mit dem Bodenleben Voraussetzung für jegliches Pflanzenwachstum.Im Boden lagern darüber hinaus Rohstoffe. Der Boden ist schließlich Standort für alle Aktivitäten, mit denen Menschen ihre Lebensbedürfnisse dekken und ihrer Kultur Ausdruck geben. Der Boden prägt auch die Landschaft in ihrer Vielfalt, Eigenart und Schönheit.
— Ja, es ist zwar keine Polemik — das ist richtig —, aber zuhören können Sie trotzdem; das schadet Ihnen nicht.
Gefahren und Risiken für den Boden treffen alle, die sich für den Naturschutz und die Erhaltung der Landschaft verantwortlich fühlen, und sie treffen unmittelbar die Land- und Forstwirtschaft. Denn wenn die Natur, wenn der Boden kränkelt oder geschädigt wird, dann kränkelt auch die Land- und Forstwirtschaft; auch sie wird dann geschädigt.Die Landwirtschaft wirkt in vielfältiger Form auf den Boden ein: durch die Kulturarten, durch die Fruchtfolgen im Ackerbau, durch Düngung, Pflanzenschutz und Arbeitsverfahren.
— Hatten Sie soeben „Verantwortungslosigkeit" gesagt? Ich will es nur für das Protokoll wiederholen. —Auch die Forstwirtschaft hat mit der Auswahl der Baumarten und den verschiedenen Bewirtschaftungsmethoden entscheidenden Einfluß auf den Boden. Historisch ist auf diese Weise unsere Kulturlandschaft entstanden. Ihre Entwicklung hat im Verlauf von Jahrtausenden dazu geführt, daß die Zahl der in unserem Land heimischen Pflanzen- und Tierarten bis zum Zeitalter der Industrialisierung immer größer geworden ist.Die Land- und Forstwirtschaft trägt heute die Hauptverantwortung für die Erhaltung der Kulturlandschaft einschließlich der natürlichen Vegetation und Fauna. Sie muß die biologischen Grundlagen bewahren helfen. Gleichzeitig muß aber auch die wirtschaftliche Existenz unserer Bauern erhalten bleiben.Ich will die Probleme, die die Landwirtschaft zu beachten hat, ganz offen nennen. Ein Problem ist der Artenrückgang. Der Landwirt ist hierfür sicherlich nicht allein verantwortlich, er muß aber durch entsprechende Bodenbewirtschaftung mithelfen, daß die Zahl der wildlebenden Pflanzen und Tiere nicht weiter zurückgeht.
Er kann dies auch, etwa durch Beachtung der für bestimmte natürliche Pflanzengesellschaften zuträglichen Nährstoffgehalte in einem angemessenen Teil der Böden; etwa durch verstärkte Vorsicht beim Einsatz chemischer Pflanzenbehandlungsmittel; etwa durch integrierten Pflanzenschutz sowie Bewirtschaftungsformen, die nicht nur auf die technischen Erfordernisse Rücksicht nehmen.In Richtung auf verstärkte Vorsicht beim Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel zielt auch die Novellierung des Pflanzenschutzgesetzes, um über verbesserte Vorschriften über den Verkehr mit Pflanzenschutzmitteln und ihre Anwendung die ökologischen Risiken zu mindern.Ein anderes Problem ist die Vermeidung einer stärkeren Nitratbelastung des Grundwassers, soweit sie auf Ausbringung zu großer Düngermengen zurückzuführen ist.Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß ich damit deutlich machen konnte, wie eng Bodenschutz und Artenschutz sowie Bodenschutz und Gewässerschutz zusammenhängen.Ein weiteres Problem sind die Auswirkungen von Immissionen auf den Boden, auf Pflanzenwachstum und auf die Tierwelt. Es ist außerordentlich schwierig, das Gefahrenpotential der Immissionen für die Bodenfunktionen abzuschätzen. Der direkte Nachweis der Ursachen für ökologische Schäden ist noch schwieriger. Ich trete deshalb dafür ein, daß die ökotoxikologische Forschung die Grundlage für die Abschätzung von Gefahren und für notwendige Maßnahmen zu ihrer Abwendung verstärken muß. In unkontrollierten und unkontrollierbaren Immissionen liegt ein sehr großes Risiko. Hier muß das Vorsorgeprinzip gelten. Immissionsschutz darf nicht nur für den Menschen, sondern sollte ebenso für den Boden als zentraler Faktor des Naturhaushalts gelten. Ganz konkret: Wir müssen Belastungsgrenzen definieren, die bei der Luft- und Gewässerreinhaltung, bei der Abfallverwertung und -beseitigung, beim Strahlenschutz usw. einzuhalten sind.
Das heißt, neben dem Gesundheitsschutz müssenErfordernisse des Schutzes des Bodens und der Bio-
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Bundesminister Kiechletope bei all diesen Maßnahmen künftig noch stärker berücksichtigt werden.
Die Forschungseinrichtungen in meinem Geschäftsbereich — die Biologische Bundesanstalt, die Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie, die Forschungsanstalt für Landwirtschaft — erarbeiten wichtige fachliche Grundlagen hierfür. Eine Maßnahme, der wir in diesem Zusammenhang große Bedeutung beimessen, ist z. B. die verstärkte Prüfung der Wirkstoffe von Pflanzenbehandlungsmitteln im Hinblick auf ihre Wirkungen im Boden.
— Ja, warum nicht, sicher.Mit anderen Forschungsvorhaben wollen wir einen besseren Überblick über die Versauerungsvorschläge im Boden sowie über die Verbreitung und Mobilität schwer abbaubarer, gefährlicher organischer Stoffe erhalten.
Der Komplex Bodenschutz hat noch eine weitere Dimension: der anhaltende Trend der Bondeninanspruchnahme durch Überbauung, Versiegelung und Zerschneidung der Landschaft. Dies geht zu Lasten bisher natürlicher, naturnah bewirtschafteter oder land- oder forstwirtschaftlich genutzter Flächen. Auch hier müssen die ökologischen Aspekte stärker beachtet werden.
Bodenschutz ist eine schwierige Aufgabe, bei der wie auf anderen Gebieten der Umweltpolitik eine sorgfältige Abwägung zwischen Ökonomie und Ökologie stattfinden muß. Eine Reihe von Problemen müssen wir dabei noch besser erforschen. Aber im Zweifel muß die Erhaltung der biologischen Funktionen des Bodens Vorrang haben,
ganz einfach deswegen, um nachhaltige Störungen im Naturhaushalt zu vermeiden.Die Landwirtschaft, meine Damen und Herren, kann auf höchste Intensitäten verzichten.
Die Landwirtschaft kann von ökonomisch optimalen Bewirtschaftungsformen abweichen.
Nur: Die daraus resultierenden Lasten — auch besonders in finanzieller Hinsicht — dürfen nicht der Landwirtschaft allein aufgebürdet werden.
— Jetzt bin ich Ihnen dankbar für Ihren Beifall; denn bei entsprechenden Gesetzesvorhaben werde ich auf diesen Beifall zurückkommen.
Die Landwirtschaft erbringt damit übrigens Leistungen für die Gesellschaft, die nicht marktmäßig bewertet werden, für die die Landwirtschaft keine Gegenleistungen erhält.Wie empfindlich Ökosysteme sind, zeigt sich am Wald. Die Waldschadenserhebung des letzten Jahres führte zu dem Ergebnis, daß rund ein Drittel des deutschen Waldes geschädigt ist. Wir stehen — keiner sollte das bezweifeln — vor der ernstesten Bedrohung unserer Wälder seit Generationen. Wir müssen jede, aber auch jede Möglichkeit nutzen, die zur Minderung oder noch besser zur Lösung des Problems beitragen kann.
Die Bundesregierung hat innerhalb kürzester Zeit gehandelt. Sie hat drastische Maßnahmen
zur Bekämpfung der Luftverunreinigung ergriffen. Ich nenne zwei ganz wesentliche Eckpunkte: die Inkraftsetzung der Großfeuerungsanlagen-Verordnung und die Einführung der Katalysatortechnik bzw. die Voraussetzung für ihre Einführung, für die Entgiftung der Autoabgase zum 1. 1. 1986. Ich füge hinzu, auf diesem Wege müssen wir weiter voranschreiten.
Die Schwerpunkte sehe ich vor allem in folgenden Bereichen. Etwa die Hälfte unserer Schwefeldioxidemissionen stammt aus Nachbarländern. Wir setzen uns daher mit Nachdruck für eine drastische Emissionsbegrenzung im internationalen Bereich ein. Ich halte zusätzliche Impulse für die Weiterentwicklung der Emissionsbegrenzung für dringend erforderlich. Die Eigeninitiative der Wirtschaft und die innovativen Kräfte müssen in diesem Bereich noch stärker gefördert werden. Dies läßt sich am besten dadurch erreichen, daß derjenige, der mehr für den Umweltschutz tut, als gesetzlich mindestens vorgeschrieben ist, auch wirtschaftliche Vorteile hat.
Welche Möglichkeiten sich hier durch die Einführung marktwirtschaftlich wirkender Instrumente in die Luftreinhaltepolitik bieten, muß sachlich und vorurteilsfrei geklärt werden. Eine entsprechende interministerielle Arbeitsgruppe ist an der Arbeit.Neben der Luftreinhaltepolitik werden erhebliche Anstrengungen unternommen, die Waldschäden mit zusätzlichen forstlichen Maßnahmen zu mindern und zu mildern. Es ist mir gelungen — den Mitgliedern des Haushaltsausschusses danke ich dafür —, 1984 im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" 20 Millionen DM Bundesmittel für
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Bundesminister Kiechlewaldbauliche Maßnahmen zur Verfügung zu stellen. Hierzu kommt dann noch der Finanzierungsanteil der Länder von 13 Millionen DM.In diesem Jahr wir in den Monaten August und September eine weitere Waldschadenserhebung durchgeführt. Dabei ist erstmalig eine bundesweite Anwendung des Stichprobenverfahrens und eine differenzierte Erfassung der Schädigungssymptome vorgesehen, um zu noch aussagekräftigeren Ergebnissen zu kommen.Die Bundesregierung hat ferner das Ihnen vorliegene Erste Gesetz zur Änderung des Bundeswaldgesetzes beschlossen, mit dem die gesetzliche Grundlage für die Durchführung einer Bundeswaldinventur geschaffen werden soll. Sie soll die Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Nutzung des Waldes verläßlich aufzeigen und Aufschluß über Struktur und Umfang des künftigen Holzaufkommens geben. Gleichzeitig werden Erkenntnisse über Schädigungen und Fehlentwicklungen des Waldes sowie die Grunddaten für die Beurteilung der durch das Waldsterben verursachten Produktionseinbußen gewonnen. Die praktische Inventurarbeit muß so schnell wie möglich anlaufen, damit noch in dieser Legislaturperiode erst Ergebnisse vorgelegt werden können.Ich möchte in diesem Zusammenhang nicht verschweigen, daß wir uns, wenn auch noch keine konkreten Gesetzgebungsvorhaben in dieser Richtung vorliegen — und ich wäre dankbar, wenn wir es gemeinsam tun könnten —, auch mit dem sehr generösen Betretungsrecht des Waldes durch jedermann noch einmal befassen müssen;
denn auch hier liegen gewisse Ansätze für Schadensentwicklungen im Wald.Waldschäden sowie Natur- und Umweltzerstörung machen nicht an Grenzen halt. Deswegen müßten alle Anstrengungen der Bundesregierung allein Stückwerk bleiben.
Bei dieser Aufgabe sind alle europäischen Länder gefordert.Zwei weitere Punkte der heutigen Tagesordnung betreffen die Beratung der Vertragsgesetze zum Bonner und zum Berner Übereinkommen. Beide Abkommen dienen dem Artenschutz, dem diese Bundesregierung ein besonderes Augenmerk widmet. Sie arbeitet daher auch mit Nachdruck an der Gesamtnovellierung des Artenschutzrechts. Die Novellierung soll das in einer Vielzahl von Bundes- und Landesvorschriften enthaltene Artenschutzrecht im Bundesnaturschutzgesetz zusammenfassen sowie unmittelbar geltendes Bundesrecht schaffen. Das wird zu einer Verbesserung des Artenschutzes führen. Es leistet damit einen Beitrag zur Verstärkung des Natur- und Umweltschutzes in unserem Lande.Meine Damen und Herren, wir werden auch nicht müde werden, bei unseren Mitbürgern, den Wirtschaftsgruppen und allen Verantwortlichen in Politik, Verwaltung und Lehrkörpern um Verständnis für die Belange des Naturschutzes und des Umweltschutzes zu werben. Um dieses Verständnis werden wir bitten und dazu beitragen, es durch Information und Faktenvermittlung herbeizuführen. Uns leiten dabei nicht Emotionen, sondern die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen ruhende Wahrheit über ökologische und ökonomische Zusammenhänge. Aus wirklichen Erkenntnissen erwächst Autorität und Vertrauen in Aussagen. Nur daraus erwächst auch Bereitschaft bei unseren Mitbürgern zu Opfern für Umwelt und Naturschutz. Emotionen sind kurzlebig. Aktionismus ist sinnlos. Aber Wahrheit und Klarheit, verbunden mit konsequentem Handeln, sind notwendig und sind Richtschnur für unsere Politik.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Natur- und Umweltschutz sind Sache des Verstandes und des Herzens. Denn nur mit ganzem persönlichem und wissenschaftlichem Einsatz lassen sich die auf uns zukommenden Herausforderungen bewältigen. Ökonomie und Ökologie sind keine getrennten Disziplinen. Sie bedürfen einer gesamtheitlichen Betrachtung. Wir stehen am Anfang einer Epoche, bei der es darum geht, vermehrt umweltfreundliche Technologien zu entwickeln. Denn wir haben die Verantwortung dafür, daß die apokalyptischen Visionen des Club of Rome oder des GLOBAL 2000 Visionen bleiben, daß sie keine Realität werden. Dafür wird sich diese Bundesregierung, dafür werde ich mich mit meiner ganzen Kraft einsetzen. Sie, das Parlament und Hohe Haus, bitte ich hierzu um Ihre Unterstützung.
Das Wort hat der Abgeordnete Müntefering.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten Wochen haben die Kollegen von der Industriegewerkschaft Bau, Steine, Erden die Befürchtung geäußert, daß in den nächsten fünf Jahren etwa 160 000 weitere Bauarbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren, und das auf dem bekannt niedrigen Beschäftigungsniveau in diesem Bereich. Die Kollegen von der IG Bau haben leider recht mit ihrer Sorge; denn die Bauausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden sind 1983 um 9 % zurückgegangen, allein bei den Gemeinden um 12,3 %. Bei der Abwasserbeseitigung waren es allein 8,5%, die weniger ausgegeben worden sind, und das für diese wichtige umweltpolitische Maßnahme. Licht am Ende des Tunnels ist nicht zu erkennen. Denn in der mittelfristigen Finanzplanung von Bund, Ländern und Gemeinden zeigt die Kurve für die Bauausgaben steil nach unten. Bis 1986 sollen die Haushalte im Bereich Bauausgaben um weitere 11 % reduziert werden.
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MünteferingMüssen also die 160 000 Bauarbeiter tatsächlich mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes rechnen?
Gibt es keine Arbeit für sie? Die Kollegen von der IG Bau sagen: Es gibt diese Arbeit, nämlich im Bereich Umwelt. In der Tat; denn noch immer verpufft in den Millionen Wohnungen und Gebäuden ein Drittel der eingesetzten Energie nutzlos. Noch immer können Bauvorhaben nicht oder nur gegen teure Sonderauflagen realisiert werden, weil es mit dem Anschlußkanal an die Kläranlage nicht schnell genug vorangeht. Noch immer werden ganze Wohnbereiche von Autos dominiert, weil es mit der Verkehrsberuhigung nicht vorangeht. Noch immer verbrauchen wir 98 % unseres hart erkämpften und teuer bezahlten Trinkwassers für die Produktion, auf den Toiletten und beim Autowaschen. Noch immer werden Millionen Menschen durch nervtötenden Lärm gequält, am Arbeitsplatz, aber auch in der Wohnung. Fehlt es denn eigentlich an Unternehmen oder an Arbeitskraft oder an Fachwissen, diese Arbeiten durchzuführen und so ein Stück praktischer Umweltpolitik zu realisieren?
Mit Sicherheit nicht.Wir Politiker stehen 1984 nicht mehr vor der Aufgabe, für die Akzeptanz von mehr Umweltpolitik zu werben, wie es vielleicht 1980 noch nötig gewesen ist. Wir stehen heute vor der Forderung der Menschen, daß Umweltpolitik gemacht wird, gründlich und möglichst schnell.
Die Bürger wollen Vollzug sehen und nicht mehr die Begründung hören. Die Begründung kennen sie längst selbst.
Dabei werden aus meiner Sicht zwei Risiken immer größer. Erstens sehe ich das Risiko, daß die täglichen Überschriften und Schlagzeilen zum Waldsterben und zu vergleichbaren Katastrophen, so erklärlich sie sind, auch die Beruhigungspillen sind, die verteilt werden. Aber es kommt nicht auf Überschriften an, sondern auf Handeln, Herr Minister.
Das zweite Risiko ist nicht geringer: daß unterhalb der Sensationsschwelle immer noch viele gute Ansätze der Umweltpolitik steckenbleiben und sogar zurückgedreht werden. Da sollen wohl Vollzugsdefizite gestapelt und irgendwann unerledigt abgelegt werden. Das muß verhindert werden.Umweltpolitik muß im guten Sinne alltägliche Politik werden. Jede politische Entscheidung muß immer auf ihre umweltpolitische Wirkung hin überprüft werden. Die Umweltverträglichkeitsprüfung muß selbstverständlicher, integraler Bestandteil aller Planungen, auch aller wirtschaftspolitischen Entscheidungen sein. Diese Verknüpfung der Umweltpolitik mit den einzelnen Fachbereichen der Politik gilt ganz besonders für unsere dringlichste innenpolitische Aufgabe des Jahres 1984 und der folgenden Jahre, nämlich für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.Wir haben nicht die Alternative, Umweltpolitik zu machen oder nicht zu machen. Wir müssen sie machen. Aber wir haben die Chance, mit Umweltpolitik Arbeitsplätze zu sichern und neu zu schaffen.
Diese Wahrheit ist nicht neu. Aber diese Regierung hat sie offensichtlich noch nicht begriffen;
denn sonst müßten doch bei einer solchen Debatte der Bundesminister für Arbeit und der Bundesminister für Bauwesen hier auftauchen und sich um die Dinge kümmern, die diskutiert werden. Sie sind doch ganz ursächlich von der Frage betroffen, wie denn Arbeit und Umwelt miteinander verknüpft werden können.
Bei dieser Regierung ist das Thema Umweltschutz offensichtlich immer noch zu einer isolierten Reparaturpolitik herabgestuft. Man darf dazu zwar groß reden, aber in den eigentlichen Kernentscheidungen spielt der Umweltschutz tatsächlich keine große Rolle.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch?
Bitte schön.
Herr Kollege, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß der Bundesminister für Arbeit deswegen verhindert ist, hierher zu kommen, weil er mit seinem türkischen Kollegen Probleme bespricht, die unser allgemeines Interesse finden sollten?
Ich bedanke mich für die Information. Ich meine ihn auch nicht persönlich. Wenn sein Staatssekretär hier gewesen wäre, wäre ich zufrieden gewesen.
Das Zukunftsinvestitionsprogramm — ZIP genannt — hat 1975 bis 1979 jährlich 300000 bis 400 000 Arbeitsplätze geschaffen. Das ZIP war in weiten Teilen umweltfreundlich, auch wenn es damals nicht ausdrücklich unter dieser Überschrift durchgeführt worden ist. Das Rhein-Bodensee-Programm, der Bau von Kläranlagen, die Sicherung von Dorfkernbereichen, die behutsame Erneuerung von Stadtkernen und von Wohnbereichen, die Verbesserung des Wohnumfeldes und die Einrichtungen der Naherholung, Maßnahmen der Verkehrsberuhigung — alles Dinge, die Umwelt sicherten und die Arbeitsplätze geschaffen haben. Für das Heizenergiesparprogramm galt ähnliches., Alle diese Maßnahmen hatten auch noch einen hohen Anstoßeffekt. Mit dem, was die öffentliche Hand gegeben
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Münteferinghat, sind zusätzlich in erheblichem Maße immer finanzielle private Engagements ausgelöst worden.Wie sieht das nun nach 18 Monaten Kohl/Zimmermann/Lambsdorff aus? Die Gemeinden, die fast alle umweltrelevanten Maßnahmen im Hoch- und Tiefbau auslösen und mittragen müssen, sind systematisch ärmer gemacht worden. Ihre Investitionskraft ist radikal geschrumpft. Die Anreize für Energiesparmaßnahmen am und im Haus nähern sich null. Der kosten-, flächen- und energiesparende Wohnungsbau wird immer noch im Zustand des Experiments gelassen.
Und in diesen Tagen gibt es eine unglaubliche Abkehr von Gesichtspunkten des Umweltschutzes unter der Überschrift „Entbürokratisierung". Wenn nur die Hälfte dessen stimmt, was in Andeutungen zu lesen war, bedeutet das einen Freibrief für Umweltzerstörung.Einen Punkt will ich ansprechen. Da wird bemängelt, daß jemand, der in einem Landschaftsschutzgebiet eine Gaststätte errichten will, u. a. Vorschriften des Naturschutzes, des Wasserhaushaltsrechts und des Lärmschutzes beachten muß. Ja, soll das denn abgeschafft werden? Der Vorgang ist übrigens zwischen den Ministerien in der Abstimmung. Am 22. Februar 1984 sollen die Ergebnisse veröffentlicht werden. Herr Bundesinnenminister, es wäre interessant gewesen, heute von Ihnen zu diesem Punkt ein paar Anmerkungen zu hören. Da ist leider nicht geschehen.Diese Koalition sucht in ihrer praktischen Politik bisher nicht die sinnvolle Verknüpfung von Umwelt und Arbeit. Wir fordern die Bundesregierung auf, die konstruktiven und sehr konkreten Vorschläge, die von Sozialdemokraten in Hessen im Mai 1983 auf den Tisch gelegt wurden und die sich inhaltlich auch in dem umfassenden Umweltprogramm finden, das Johannes Rau und Klaus Matthiesen im Oktober 1983 für Nordrhein-Westfalen vorstellten, endlich aufzunehmen.Wenn Sie es ernst meinen mit dem Kampf für Umweltschutz und gegen Arbeitslosigkeit, dürfen Sie diese Vorschläge nicht ignorieren, nur weil sie von Sozialdemokraten kommen. Die Sozialdemokraten in diesen Ländern und wir im Bund fordern die Entwicklung und Anwendung von Technologien zur Einsparung von Trinkwasser, den Bau zentraler und dezentraler Kläranlagen, eine intensivere Überwachung der Gewässer, Schallschutzfenster, die auch Energiesparer sind, Wärmeisolierung an Gebäuden, arbeitsplatzintensive behutsame Stadt- und Dorferneuerung, verstärkte Landschaftspflege.Das sind alles Maßnahmen, die helfen, die Umwelt zu schonen und Arbeitsplätze zu sichern. Aber das alles, meine Damen und Herren, kann nur gelingen, wenn alle politischen Ebenen — Bund, Länder und Gemeinden — an einem Strang ziehen und wenn finanzieller Spielraum für den Anstoß einer solchen großen Anstrengung gegeben wird.Das Nein von CDU/CSU und FDP vor wenigen Wochen in diesem Hause gegen die Verbesserung der Gemeindefinanzen war auch ein Nein zur Schaffung umweltfreundlicher Arbeitsplätze in den Gemeinden.
Wirksame Umweltpolitik gibt es nicht zum Nulltarif. Das wissen wir wohl. Übrigens wissen das auch die Menschen im Lande draußen, die bereit sind, ihren angemessenen, gerechten Beitrag zum Umweltschutz zu leisten. Das gilt besonders für die großen Probleme der Altlasten, für die man oft niemand mehr allein oder unmittelbar haftbar machen kann. Das gilt für Innovationen im Bereich der Umwelttechnologien. Das gilt auch für wegweisende, vorbildliche und freiwillige Umweltmaßnahmen von seiten Privater.Wir Sozialdemokraten sind bereit, in die offene und öffentliche Erörterung darüber einzutreten, wie bei einer gerechten Verteilung der Lasten und bei grundsätzlichem Festhalten am Verursacherprinzip ein solider Finanzrahmen für eine dauerhafte aktive Umweltpolitik in den genannten Bereichen gesichert werden kann. Es geht nicht um kurzatmige konjunkturelle Strohfeuer. Es geht uns um kontinuierliche Umweltpolitik und deren dauerhafte finanzielle Basis.Wir wollen ein Sondervermögen „Arbeit und Umwelt". Wir arbeiten daran. Es soll ein Programm für qualitiatives Wachstum in einer umweltverträglichen Industriegesellschaft sein, zielgenau in seinen Inhalten und unbürokratisch in seiner Durchführung.Unser Ziel ist es, noch in diesem Jahr dieses Projekt, das nur vergleichbar ist mit den gemeinsamen Anstrengungen im Wohnungs- und Städtebau vor 30 Jahren und das das Gewicht eines ZIP „Umwelt" hat, auf den Weg zu bringen. Wir werden unser Bestes tun, alle interessierten Bürgerinnen und Bürger, Arbeitnehmer und Unternehmer, Umweltschützer und natürlich Sie von der Koalition von dieser Idee und von der Wirksamkeit des Sondervermögens „Arbeit und Umwelt" zu überzeugen.Unsere Aufforderung an Sie, die Sie Regierungsverantwortung tragen und mittragen, lautet: Mauern Sie sich nicht ein in Ihrer absoluten Mehrheit. Ignorieren Sie nicht die Reformaufgabe dieser Jahre, nämlich unsere Industriegesellschaft mit der Natur auszusöhnen und damit gleichzeitig die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.Erlauben Sie mir, Kolleginnen und Kollegen, eine Nachbemerkung aus aktuellem Anlaß. Ich meine das Hochwasser dieser Tage. Die Naturgewalten werden uns immer wieder übertölpeln und werden uns unsere Hybris austreiben. Das ist wohl wahr. Wir sind Teil der Natur, wir sind nicht die Beherrscher der Natur. Aber wir Politiker dürfen doch wohl nicht gottergeben die Hände in den Schoß legen, wenn wir innerhalb weniger Monate erleben, wie wiederholt Hochwasser Menschenleben gefährdet, Fauna und Flora schädigt, Existenzen zerstört.Es scheint mir eine reizvolle und nötige Gemeinschaftsaufgabe für intelligente Wissenschaftler und
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MünteferingForscher und für uns Politiker zu sein, zu prüfen, ob und wie der durch menschliches Tun mitverursachte Grad des Hochwassers gemildert werden kann, wie aber mindestens vorbeugend verhindert werden kann, daß durch eine weitere Versiegelung, durch eine unnötige Sammlung von Niederschlagswasser und Rinnsalen und durch Bach- und Flußbegradigungen jährlich dreimal oder öfter Hochwasser kommt und zur Regel wird.Auch dieser Punkt, Kolleginnen und Kollegen, gehört nach meinem Verständnis unter die Überschrift „Arbeit und Umwelt".Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidbauer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor 20 Jahren sprach kaum einer von einer ernsthaften Gefährdung unserer Umwelt
— außer Ihnen, Herr Duve, aber ich rede nachher vom Entschwefeln und nicht vom Schwafeln —,
obwohl dieses Problem bereits vor Jahrhunderten einsetzte. Von Anfang an war der Mensch ein destruktiver ökologischer Faktor. Die Problematik ist also nicht neu, nähert sich nun aber berechenbarer Grenzen.Jahrzehntelang haben wir unsere Atmosphäre, unseren Boden und unsere Gewässer als Müllkippe mißbraucht. Dies ist der Ausgangspunkt unseres Handelns. 2,97 Millionen Tonnen Stickoxide, 3,28 Millionen Tonnen Schwefeldioxide, 1,67 Millionen Tonnen Kohlenwasserstoffverbindungen wurden 1982 in unsere Luft emittiert. Die Folgen sind unübersehbar und deutlich: 2,5 Millionen Hektar Wald— das sind 34 % der gesamten Waldfläche — sind geschädigt, die zunehmende Luftverschmutzung beeinflußt und schadet unserer Gesundheit, der Fauna und Flora, aber auch, langfristig gesehen, unserem Klima. Das Problem erfordert in der Zukunft noch weitere wissenschaftliche Untersuchungen, zumal noch nicht alle Zusammenhänge geklärt sind. Die Zeit drängt aber, und wir werden deshalb nicht auf alle Beweise warten können.Es ist daher unser Ziel, einen Rahmen mit ökologischen Eckwerten vorzugeben, und dies auch und insbesondere in der Luftreinhaltepolitik. Schadstoffemissionen in der Atmosphäre sind und werden mit besonderer Dringlichkeit abgebaut. Der Entschließungsantrag der CDU/CSU- und FDP-Fraktion „Unsere Verantwortung für die Umwelt" konkretisiert die vor uns liegenden Aufgaben und zeigt den Weg zu Lösungen auf. Erste Schritte dazu sind bereits von der Bundesregierung unternommen worden. Dazu zählt erstens die Großfeuerungsanlagen-Verordnung, die am 1. Juli 1983 in Kraft getreten ist, zweitens die Novellierung der am 1. März 1983 in Kraft getretenen Emissionswerte der Technischen Anleitung Luft, drittens die Novellierung der Emissionswerte der Technischen Anleitung Luft, die auf dem Tisch liegen, und viertens die Einführung bleifreien Benzins ab 1. Januar 1986. Diese Maßnahmen sind im Kampf gegen die Luftverschmutzung von zentraler Bedeutung.Wir müssen heute davon ausgehen, daß Luftverunreinigungen, insbesondere Schwefeldioxid, Stickoxid, Schwermetalle und Kohlenwasserstoffe als Schadensverursacher eine wesentliche Rolle spielen.
— Ich nehme an, daß der Kollege Weiser auf diese wunderbaren Vorschläge nachher eingehen wird.Kraftwerke, Fernheizwerke und die Industrie sind, bezogen auf das Jahr 1982, zu 88% an den Schwefeldioxidemissionen, zu 47 % an den Stickoxidemissionen und zu 29% an Kohlenwasserstoffemissionen in der Bundesrepublik Deutschland beteiligt. Dem tragen die durchgeführten Maßnahmen und auch die Großfeuerungsanlagen-Verordnung Rechnung. Die Emissionen der Schadstoffe werden nachhaltig gesenkt, es werden erstmals bundeseinheitliche und rechtsverbindliche Emissionsgrenzwerte eingeführt, und nach Abschätzung des Umweltbundesamtes wird sich nach Umsetzung der Verordnung der jährliche SO2-Ausstoß bis 1988 um zirka 1 Million Tonnen und in den Folgejahren bis zirka, 1,6 Millionen Tonnen verringert haben. Das sind 50% der Gesamtemissionen des Jahres 1982.
Wir können feststellen, daß heute von seiten der Industrie und der Kraftwerksbetreiber zum Teil wesentlich mehr getan wird, als gesetzlich verordnet ist.
— Da lachen Sie. Sie müssen sich einmal die Tatsachen ansehen und schauen, wie viele mit Kohle befeuerte Kraftwerke bereits heute umgerüstet sind.
— Ja, Buschhausen. Schauen Sie einmal nach Mannheim! Dort haben wir im Augenblick einen Emissionsausstoß von SO2 unter 200 Milligramm pro Kubikmeter. Dort laufen Demonstrationsanlagen. Ich komme nachher darauf zurück.
Bis 1988 werden voraussichtlich ca. 80 % der Kraftwerke der öffentlichen Versorgung mit Entschwefelungsanlagen ausgestattet sein. Wir werden darüber bis Mitte des Jahres eine Zwischenbilanz von der Bundesregierung bekommen.Der neueste Stand der Ursachenforschung zeigt, daß den Stickoxidemissionen eine wesentliche Bedeutung zukommt, und zwar im Zusammenwirken mit den Kohlenwasserstoffen. In der Großfeuerungsanlagen-Verordnung sind bereits Emissions-
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Schmidbauergrenzwerte für Stickoxide festgelegt. Im Hinblick darauf, daß die technische Entwicklung zur Emissionsminderung von Stickoxiden sehr rasch voranschreitet, enthält diese Verordnung bekanntermaßen eine Dynamisierungsklausel, nach der der jeweils neueste Stand der Minderungstechnik auszuschöpfen ist. Diese Regelung — darauf hat der Kollege Laufs schon hingewiesen — versetzt die Genehmigungsbehörden in die Lage, die Nutzung des jeweils neuesten technischen Fortschritts zu verlangen.Ein besonderer Schwerpunkt der Verordnung liegt auf der Einbeziehung der Altanlagen, von denen das Hauptemissionspotential ausgeht. Die abgestufte Regelung zwingt den Betreiber innerhalb bestimmter Übergangsfristen zur Umrüstung oder Stillegung der Anlage.Angesichts der Häufung von Schadensmeldungen auf allen Gebieten verlangen verschiedene Seiten eine sofortige Übernahme japanischer Technologie, noch schärfere Grenzwerte, sofortige weitere Novellierung bestehender Verordnungen und Zwangsabgaben in jeder Form. Wir haben Verständnis für diese Forderungen und für die Ungeduld, die dahintersteht, nur: Sie bringen uns keinen Schritt weiter.
Um zu erreichen, daß die Schadstoffemissionen konsequent reduziert werden, sind folgende Schritte geboten: Erstens. Entschlossener und konsequenter Vollzug der Großfeuerungsanlagen-Verordnung und der TA-Luft. Zweitens. Verkürzung der Übergangsfristen; dazu freiwillige Vereinbarungen. Drittens. Bereinigung rechtlicher Vorschriften des Bundes-Immissionsschutzgesetzes durch Änderung, damit die Durchsetzung von Sanierungsmaßnahmen an bestehenden Anlagen erleichtert wird.Diese Schritte sind notwendig. Sie sind in unserem Entschließungsantrag enthalten und werden von der Bundesregierung umgehend geprüft. Der Innenminister hat j a bereits angedeutet, daß er gleichfalls an eine Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes denkt.
— Das ist eben nicht nur überprüft. Die Dinge sind auf dem Tisch; die Sache ist im Gang. Nur: Glauben Sie denn, daß in zwölf Monaten schneller gehandelt werden kann als in 13 Jahren?
— Ja, das können Sie nicht hören; das ist logisch. Es ist auch nicht immer angebracht, aber wenn Sie immer zwischenrufen, muß man das auch einmal wieder sagen dürfen.
In Japan werden seit etwa drei Jahren in Kohlekraftwerken katalytische Verfahren zur Abgasreinigung erprobt. Diese sogenannten De-NOX-Anlagen können die Stickoxidemissionen mit einem hohen Wirkungsgrad verringern. Die japanische Technologie kann jedoch nicht ohne weiteres direkt übernommen werden. Wichtige Gründe hierbei sind u. a. erstens die verschiedenen Betriebsarten deutscher Kohlekraftwerke, zweitens die Feuerungstechnik unserer Altanlagen, bekanntermaßen vorwiegend Schmelzkammerverfahren, und drittens die Zusammensetzung deutscher Kohle; viertens gehört auch die Lösung des Abwasser- bzw. Abfallproblems dazu. Deshalb werden Demonstrationsanlagen errichtet. Der Bund wird sich hieran beteiligen.Baden-Württemberg und Bayern gehen auf diesem Gebiet zukunftsweisend voran und erproben in verschiedenen Demonstrationsanlagen japanische und deutsche Technologie, z. B. nach dem Walther-Verfahren. Dies funktioniert bereits. Solche Demonstrationsanlagen bestimmen dann auch den Stand der Technik, Herr Ehmke. Damit geben wir neue Grenzwerte vor, ohne daß der Gesetzgeber wieder tätig werden muß. Die langwierige Prozedur einer Novellierung wird so vermieden, und es gibt keine neue Rechtsunsicherheit für die Betreiber von Anlagen.Die entscheidenden Maßnahmen können sofort eingeleitet werden. Allein die Forderung nach schärferen Grenzwerten in neuen Verordnungen und das Fordern von Zwangsabgaben helfen unserer Gesundheit und unserem Wald wenig.
Nur eine konsequente Handhabung der vorhandenen Instrumente wird zur Lösung unserer Umweltprobleme beitragen. Hierzu gehört, daß — wie z. B. in Baden-Württemberg — auch andere Bundesländer eigene Initiativen ergreifen, um das gesteckte Ziel der Schadstoffminderung schneller zu erreichen.Mit der Novellierung der Technischen Anleitung Luft, Teil II, wurde ein weiterer wichtiger Punkt realisiert, um die Luftqualität zu verbessern. Die Werte aus dem Jahre 1974 entsprachen nicht mehr dem wissenschaftlichen und technischen Stand. Mit der neuen Vorschrift erreichen wir, daß nicht nur die menschliche Gesundheit, sondern auch Pflanzen und Tiere sowie Lebens- und Futtermittel besser geschützt werden. Erstmals werden Immissionswerte für Blei und Cadmium im Schwebstaub festgesetzt, und der Immissionswert für Stickoxid wird wesentlich verringert. Zudem wird eine strengere Begrenzung krebserregender und mutagener Stoffe erreicht.Aktuell auf dem Tisch liegt nun auch die Novellierung des Teils III der Technischen Anleitung Luft. Diese Vorschrift umfaßt in Ergänzung der Großfeuerungsanlagen-Verordnung den gesamten Industriebereich. Sie regelt die Anforderungen zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und begrenzt die Emissionen nach dem neuesten Stand der Technik. Hieraus ergeben sich zum Teil erhebliche Verschärfungen gegenüber der Regelung aus dem Jahre 1974. Dies gilt insbesondere für Schwermetalle. Hier beträgt die Verschärfung zum Teil mehr als das Zwanzigfache.Die Einführung bleifreien Benzins und damit des umweltfreundlichen Autos zum Jahre 1986 stellt ei-
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Schmidbauernen weiteren wichtigen Schritt im Hinblick auf die Luftreinhaltung dar. 1,4 Millionen t Stickoxide — das sind 48 % des Gesamtausstoßes — und 600 000 t Kohlenwasserstoffe — das sind 36 % des Gesamtausstoßes — verdeutlichen die Notwendigkeit dieser Maßnahme.Die Fraktion erwartet die Vorlage entsprechender Gesetze und Verordnungen durch die Bundesregierung, damit sichergestellt ist, daß erstens — von diesem Termin gehen wir nicht ab — bis zum 1. Januar 1986 bleifreies Benzin in ausreichender Menge und geeigneter Qualität bereitsteht.Zweitens ist sicherzustellen, daß ab 1986 nur noch Kraftfahrzeuge neu zugelassen werden, die der in den USA vorgeschriebenen Norm der Abgaswerte entsprechen. Damit können die Schadstoffemissionen um 90% reduziert werden.Drittens. Notwendig ist die Durchführung jährlicher Abgaskontrollen für alle Fahrzeuge. Daß dies wichtig ist, wird klar, wenn man weiß, daß ca. 24 Millionen Altfahrzeuge auf unseren Straßen fahren. Es müssen ebenfalls Möglichkeiten der Nachrüstung von Kraftfahrzeugen überprüft werden.Ob ein Tempolimit auf Autobahnen und Landstraßen zur Reduzierung von Schadstoffen führt, muß nach dem Hearing am Montag stark bezweifelt werden.
Wir werden darüber im Innenausschuß sicher noch zu reden haben.Viertens. Wir werden in diese neuen Regelungen auch Dieselfahrzeuge mit dem Ziel mit einbeziehen, den Ausstoß schädlicher und zum Teil mutagener und karzinogener Stoffe zu verringern. Wenn am 1. Januar 1986 die neuen Abgasgrenzwerte wirksam werden, sind die Dieselmotoren um den Faktor 10 schlechter als die neuen Ottomotoren.Fünftens. Steuerliche Anreize müssen mit dazu beitragen, die Übergangszeiten zu verkürzen. Unser Vorschlag, der auch von Baden-Württemberg im Bundesrat eingebracht wurde, nämlich Kraftfahrzeugsteuerbefreiung über einen gewissen Zeitraum, wird ein Punkt der flankierenden Maßnahmen sein müssen.Wir begrüßen die Bereitschaft der Automobilindustrie, bereits in diesem Jahr abgasentgiftete Autos anzubieten. Wir appellieren an alle Beteiligten, an Industrie und Verbraucher, im Interesse unserer Umwelt durch ihr Verhalten den aufgezeigten Weg mitzugehen. Auch die Bemühungen der öffentlichen Hand, Dienstfahrzeuge mit Katalysatoren anzuschaffen, geben dieser Initiative sicher einen Schub.All dies geht nicht im nationalen Alleingang. Diese von uns vorgeschlagenen Regelungen müssen zur Grundlage europäischer Initiativen gemacht werden. Maßnahmen zur Emissionsminderung können nicht nur im Alleingang durchgeführt werden; hier müssen alle Länder mit einbezogen werden. Wir leisten Schrittmacherdienste, um damit unsere Nachbarn zu bewegen, gleichfalls die dringlich gebotenen Maßnahmen zum Schutz auch ihrer Umwelt einzuleiten. Einige Länder haben bereits ihre Bereitschaft erklärt, dabei mitzuziehen. In diesen Tagen geführte Gespräche mit Parlamentariern aus verschiedenen Ländern machen deutlich, daß ein gemeinsames Vorgehen möglich wird.Wir dürfen dabei nicht verkennen, daß die Lösung des Problems weniger eine Frage der Technologie als eine Frage des politischen Willens und der politischen Durchsetzbarkeit darstellt. Erste Lösungsansätze sind in den Aktionsprogrammen der Europäischen Gemeinschaft für den Umweltschutz vorhanden. Einheitliche europäische Regelungen müssen folgen. Nur eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit aller Beteiligten in Staat, Wirtschaft und Wissenschaft stellt sicher, daß unsere Anstrengungen erfolgreich sein werden.Lassen Sie mich noch einmal zusammenfassen. Es gibt nur einen Weg, um der ökologischen Zerstörung zu entgehen, nämlich durch einen weltweit einsetzenden Bewußtseinsprozeß, dem die Erforschung der Zusammenhänge des Ökosystems zugrunde liegen muß. Um der ökologischen Zukunftsbewältigung eine Chance zu geben, müssen wir gemeinsam mit den anderen Staaten die Technik in positivem Sinne für unsere Belange einsetzen. Die internationale Umweltschutzkonferenz, die noch in diesem Jahr in München tagen wird, hat hier eine Chance. Wir werden den aufgezeigten Weg im Bereich der Umweltschutzpolitik konsequent weitergehen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon eine merkwürdige Debatte: Eigentlich keine Gegner, gegen die man debattiert, wenn man nicht irgendwelche Randthemen angreift, wie zum Beispiel Herr Müntefering. Es wäre reizvoll, uns über die Finanzentwicklung der nordrhein-westfälischen Gemeinden seit 1980 an Hand des Gemeindefinanzberichts zu unterhalten und darüber, warum das so gekommen ist. Es wäre reizvoll, mit Herrn Schmidbauer darüber zu sprechen, ob wirklich vor zehn Jahren niemand über Umweltschutz gesprochen hat. Herr Mischnick hat seine erste Umweltschutzversammlung am 7. Januar 1960 gehabt. Plakate können noch besichtigt werden.Der Punkt ist eigentlich nur der, daß man damals den Umweltschützern vorhielt, sie wollten uns — völlig illusionär — in eine Südseegesellschaft zurückführen. Der Schornstein mußte rauchen. Es war ein Zeichen von besonderer Stärke und Kraft, wenn der Schornstein rauchte. Dies alles ist vorbei. Interessant, keiner nimmt heute hier eine andere Position ein.Von der so häufig beschworenen Unvereinbarkeit von Ökonomie und Umweltschutz hört man nichts mehr, auch nicht von der früher immer wiederkehrenden Behauptung, daß Umweltschutz Arbeitsplätze konsumiert. Man könnte genauso gut das Ge-
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Dr. Hirschgenteil belegen. Das Bewußtsein dafür ist vorhanden, daß kein wirtschaftliches Wachstum auf Dauer ohne den Umweltschutz da sein wird, aber auch das Bewußtsein dafür, daß wirksamer Umweltschutz eine leistungsfähige Wirtschaft voraussetzt. Alles das, was uns jahrelang beschäftigt hat, ist vorbei. Jetzt gibt es die Erkenntnis, daß Umweltschutz nicht nur auf nationaler Ebene betrieben werden kann. Die Studie „GLOBAL 2000" hat uns ja in dieser Frage ganz neue Perspektiven eröffnet, über die viel zuwenig gesprochen und nachgedacht wird. Ich kann nur hoffen, daß das so bleibt, daß wir von den allgemeinen Sätzen herunterkommen und in die harte Wirklichkeit einzelner Projekte hineingehen, in die Kostenverteilung, die der Landwirtschaftsminister angesprochen hat, wobei er eine gewisse Loslösung vom Verursacherprinzip für sich in Anspruch genommen hat. Es wird sich zeigen, ob diese Einmütigkeit des Hauses, das j a heute nicht gerade in drangvoller Enge tagt, auch dann erhalten bleibt, wenn wir in die harte Welt der Tatsachen eintreten.Ich möchte den Ministerialdirektor MenkeGlückert zitieren, der einmal die eigentlichen Probleme der Umweltpolitik aufgelistet hat, die sich ja nicht verändert haben. Er sagt, Umweltprobleme sind bösartig, weil sie quer zu Verbrauchergewohnheiten, zu Zuständigkeiten, zu Traditionen sich entwickeln. Es findet sich die Formulierung, daß Umweltprobleme sich langfristig aufbauen, daß ihre Ursachen in Jahrzehnten gesetzt werden, die Politik aber in viel kürzeren Zeiträumen zu entscheiden pflegt; daß Umweltprobleme komplexe Zusammenhänge darstellen, die häufig nur schwer durchschaut werden, und daß die Wissenschaftler uns bei dieser Tatsache mit gegensätzlichen Erkenntnissen, mit gegensätzlichen Forderungen erfreuen. Ich hoffe, daß sie nur zu einem Teil auf gegensätzliche Interessenlagen zurückzuführen sind. Es ist klar, daß Radikalkuren zur Lösung von Umweltproblemen untauglich sind, trotz der verständlichen Ungeduld unserer Mitbürger.77 % der Bevölkerung betrachten Umweltschutz als die wichtigste politische Aufgabe unserer Zeit. Und sie haben recht. Ich habe von diesem Platz aus schon 1982 gesagt, daß, wenn es in diesen Jahrzehnten nicht gelingen würde, die Umweltprobleme zu bewältigen, immer tiefere staatliche Eingriffe in den Ablauf von Wirtschaft und Produktion unvermeidbar würden. Und ich hoffe, daß wir aus diesem Ansatz heraus den Widerstand, den wir bei jedem bescheidenen Versuch der Weiterentwicklung von Umweltschutz in allen Fraktionen erlebt haben — hier sollte sich ehrlicherweise keine einzige Fraktion dieses Hauses ausnehmen —, überwinden.All das, was als Grundsatzprobleme beim Umweltschutz genannt werden kann, taucht auch bei den Problemen der Sonder- und Industrieabfälle wieder auf. Hier wird das alles geboten. Die Entwicklung ist gekennzeichnet durch einen ständig wachsenden Verbrauch von Chemikalien in Industrie und Haushalten. Es gibt eine unmittelbare Betroffenheit der Bevölkerung als Folge dieser Tatsache. Teilweise gibt es ein albernes Versteckspiel von Unternehmen, die sich scheuen, sich der öffentlichen Diskussion in diesen Fragen zu stellen.
Der Tourismus der Seveso-Fässer hat der Chemie, der Privatwirtschaft überhaupt, einen schweren Schaden zugefügt. Das wird man sagen dürfen.Wir stellen ein außerordentliches Anwachsen der Menge der Sonderabfälle fest — 1980 hat es hier 5 Millionen t Sonderabfälle gegeben, in der ganzen Europäischen Gemeinschaft 14 Millionen t — mit der Folge, daß die Kapazität der dafür geeigneten Deponien in etwa zehn Jahren erschöpft sein wird. Daraus folgt, daß es das Ziel im Hinblick auf Sonderabfälle sein muß, ihr Entstehen nach Möglichkeit zu vermeiden. Ziel muß die Rückgewinnung der Rohstoffe sein, nicht nur die Optimierung der Produktion, sondern die Ausrichtung der Produktion darauf, daß das Entstehen von Abfall- und Schadstoffen vermieden wird. Es gibt eine Trilogie, dies zu erreichen: Anreize, Kontrolle und Verbraucherdruck.Der Innenminister hat diesbezügliche Novellierungen des Abfallbeseitigungsgesetzes angekündigt, auch die Einführung der Verwertungspflicht, ein Projekt, das schon zweimal in diesem Hause am Druck der wirtschaftlich Interessierten gescheitert ist. Ich hoffe, der dritte Anlauf wird erfolgreicher sein. Wir werden ihn unterstützen.
Dazu gehört die Verbesserung der Transportüberwachung, der Grundsatz, daß Abfälle dort zu beseitigen sind, wo sie anfallen, ein Altlastensanierungsprogramm, eine TA-Abfall, also eine technische Anleitung über Mindestanforderungen bezüglich Kennzeichnung, Beseitigung und Lagerung solcher Stoffe nach dem jeweils letzten Stand der Technik.Es ist ein weiter Weg, den zu gehen wir uns da vorgenommen haben. Ich habe den Eindruck, daß der Innenminister unsere Unterstützung dringend nötig haben wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehmke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein zentraler Punkt der heutigen Umweltdebatte ist der Entschließungsantrag der Regierungskoalition zum Thema „Unsere Verantwortung für die Umwelt". Dies gibt mir Gelegenheit, noch einmal auf die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Ihrem und unserem Umweltverständnis einzugehen.Wir sind uns sicher in manchen Dingen einig, vor allem bei den allgemeinen Zielsetzungen. Unsere Verantwortung gegenüber kommenden Generationen, Zwang zu schnellem Handeln, Umweltschutz nicht nur aus ethischen Gründen, sondern auch als Gebot wirtschaftlicher Vernunft, wer vermag diesen Zielen nicht zuzustimmen? Ich nehme gerade auch dem Landwirtschaftsminister das ehrliche Bemü-
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Dr. Ehmke
hen in vielen Punkten ab. Am wenigsten könnten wir GRÜNE als sogenannte Umweltpartei dem unsere Zustimmung verweigern.Aus der Tatsache, daß in der Zwischenzeit auch die anderen Parteien das Thema Umweltschutz entdeckt haben, leiten nun manche falsche Schlußfolgerungen ab, etwa die, daß ihre eigene Partei nunmehr die eigentliche Umweltpartei wäre oder daß nur große Parteien in der Lage wären, eine wirksame Umweltpolitik zu betreiben. Den mächtigsten Bock hat aber die SPD von Baden-Württemberg geschossen, indem sie die GRÜNEN schlichtweg für überflüssig erklärte. Herr Kollege Schäfer, in diesem Zusammenhang muß ich Sie als stellvertretenden Landesvorsitzenden der SPD ansprechen. Ich wäre mit solchen Äußerungen vorsichtig. Denken Sie an Ihren Parteigenossen Börner in Hessen.
Er wird zur Zeit sicher ganz anders darüber denken. Es könnte ja auch einmal in Baden-Württemberg eine ähnliche Konstellation entstehen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schäfer?
Gerne. Vizepräsident Frau Renger: Bitte, Herr Schäfer.
Herr Ehmke, wären Sie angesichts der besonderen Entwicklung der Partei der GRÜNEN in Baden-Württemberg, was ihren Parteitag in Konstanz angeht, was ihre politische Aussage angeht, was ihr Verhalten im Bundeshauptausschuß angeht, bereit, der Auffassung meines Landesvorsitzenden Ulrich Lang zuzustimmen, daß sie im nächsten Landtag von Baden-Württemberg überflüssig sind?
Herr Kollege Schäfer, ich würde abwarten, bis die neue Fraktion der GRÜNEN entstanden ist, die jetzt sicher als volle Fraktion in den Landtag von Baden-Württemberg einziehen wird. Herr Minister Weiser kann mir das sicher aus seiner Sicht bestätigen.
Ich erwähne nur das Beispiel Hessen. Auch dort hat ein grüner Landesverband sehr intensive Diskussionen durchgemacht und ist jetzt bereit, politische Verantwortung mitzutragen.
Meine Damen und Herren, diese politische Entgleisung der SPD ist es wert, glaube ich, auch einmal in Bonn erwähnt zu werden, weil sie uns Gelegenheit gibt, unsere Position noch deutlicher abzugrenzen, unterschiedliche Lösungswege aufzuzeigen und auf die Widersprüchlichkeiten auch der SPD-Politik in diesem Bereich hinzuweisen. Solange Umweltmahner wie Erhard Eppler bei Ihnen keine Chance haben, sich durchzusetzen, und die gegenwärtige Industriepolitik und der staatliche Zentralismus von der Mehrheit Ihrer Abgeordneten auch noch mitgetragen werden, solange dürfen Sie sich nicht als Umweltretter darstellen. Diese SPD, auch wenn sie im letzten Jahr etwas grüne Patina angesetzt hat, ist für Umweltbewußte keine Alternative.
— Nein, ich billige allen zu, daß sie für Umweltschutz eintreten. Es gibt aber doch gewisse Unterschiede.Aber jetzt zurück zum Koalitionsantrag. Wenngleich im allgemeinen Teil des Koalitionsantrages ein Konsens für uns festzustellen ist, so enthalten die Auftragsformulierungen an die Bundesregierung wiederum jenen Widerspruch zwischen Wort und Tat, den ich leider schon bei früheren Gelegenheiten erwähnen mußte und der dem Antrag ein „Gschmäckle", wie man in meiner Heimat sagt, einen Geschmack des Unehrlichen verleiht. Es fällt nämlich auf, daß in Ihrem Antrag immer wieder das Wort „prüfen" vorkommt, während man konkrete Vorgaben an die Regierung vermißt. Sie werden die Regierung noch prüfen, messen und berichten lassen, wenn wir in unseren Wäldern keinen gesunden Baum mehr finden. Meine Damen und Herren, wir haben doch genug Fakten auf dem Tisch. Wir haben den entsprechenden Stand der Technik, um sofort aktiv zu werden, nicht morgen, sondern heute. Handeln statt prüfen, entschwefeln statt schwafeln — das ist doch die Devise.
Sie aber verlegen sich auf das Prüfen. Ich frage mich: Wozu haben wir uns zwei Tage lang die schlimmen Schäden im Bayerischen Wald und im Schwarzwald angeschaut, wenn Sie das völlig kalt läßt und Sie sich nicht zu wirkungsvollen Maßnahmen statt zu Schauanträgen aufraffen können? Herr Kollege Schmidbauer, haben Sie denn die eindringlichen Worte der Forstbeamten von Zwiesel, von Pforzheim und von Freudenstadt vergessen, Sie, der Sie bei jeder Gelegenheit betonen, wie verbunden Sie dem deutschen Wald sind?
Ich frage mich: Wozu haben wir uns im Innenausschuß mehrere Tage lang mit allen möglichen Verbänden und Fachleuten herumgeschlagen, wenn Sie noch nicht einmal das Ergebnis dieser Anhörung abwarten und auswerten wollen? Wahrscheinlich war es Ihnen zu unbequem, zu hören, daß es nicht nur für die GRÜNEN, sondern auch für viele Fachleute eine klare Sache ist, daß die vollmundige Umweltpolitik von Innenminister Zimmermann eher der Imagepflege als der Waldrettung dient.
Ich frage mich weiter: Warum haben Sie die Ergebnisse unserer Japan-Reise nicht in Ihren Antrag einbauen wollen? Japan ist uns bezüglich der Abgasreinigung bei Kraftwerken und Kraftfahrzeugen und bezüglich der Umsetzung wichtiger um-
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weltpolitischer Prinzipien, z. B. der Beweislastumkehr, weit voraus. Zwar kann man dieses Lob nicht auf andere Umweltbereiche übertragen, aber hier geht es ja um die Luftreinhaltung. Wozu waren wir denn in Japan, wenn Sie nicht bereit sind, zu lernen? — Herr Kollege Schmidbauer, Sie haben ja ein Beispiel dafür gegeben, daß Sie aus unserer Japan-Reise sehr wenig gelernt haben. — Ich kann es Ihnen sagen, meine Damen und Herren von der Koalition: Ihnen geht es weniger um den Inhalt Ihres Antrages. Sie konnten nicht abwarten und Ihren Antrag ändern, weil er als Wahlkampfmunition für die Landtagswahl in Baden-Württemberg und die Europawahl ohne Rücksicht auf bessere Erkenntnisse „durchgepowert" werden mußte.In dieses Bild paßt auch, daß Sie die von uns im Innenausschuß eingebrachten konstruktiven, substantiellen Änderungsvorschläge — wir sind ja gar nicht gegen alles, sondern durchaus zu konstruktiver Mitarbeit bereit, wenn sie wirksame Ergebnisse erwarten läßt — durchweg abgeschmettert haben. Dennoch haben wir uns im Innenausschuß trotz schwerer Bedenken der Stimme enthalten und nicht gegen Ihren Antrag gestimmt. Dies ist auch ein Zeichen unserer Verantwortungsbereitschaft, wofür Sie allerdings kein Gespür zu haben scheinen.Jetzt möchte ich noch ganz kurz einige Einzelpunkte des Entschließungsantrags der Koalition ansprechen. Da ist zunächst Ihre Forderung an die Bundesregierung, zu prüfen und zu berichten, inwieweit Schwefeldioxid und Stickoxide aus Altanlagen noch schneller als nach den bestehenden Vorgaben vermindert werden können. An diesem Punkt wird ganz deutlich, welche Verzögerungstaktik Sie betreiben und wie die Techniker von der Politik mißbraucht werden.Nehmen wir nur einmal die Stickoxide. Sie tun so, als ob man immer noch mit der Stange im Nebel herumstochern müßte, während wir bereits im Mai 1983, kurz nach unserem Einzug in dieses Hohe Haus, konkrete Zahlen und Methoden genannt haben. Bereits in unserem Waldrettungsprogramm von damals fordern wir eine Abgasverminderung auf 200 Milligramm Stickoxide pro Kubikmeter Abluft bei Altanlagen. Daran hat sich nichts geändert. Sie haben diese Verminderung hier in Bonn stets als technisch nicht machbar und als überzogen abgetan. Auch die SPD hat den Zahlen der GRÜNEN nie recht getraut.Sie wären gut beraten gewesen, wenn Sie unsere Änderungsanträge entweder eingebaut oder die Anhörung im Innenausschuß und die Japan-Reise solide ausgewertet hätten. Da Sie das nicht getan haben, können Sie sich jetzt mit Ihrem Antrag nirgends mehr blicken lassen. Sie sind von der Entwicklung in den Ländern längst überholt. So hat beispielsweise Hamburg zwei Blöcke mit Totalentstickung bestellt, und Ihr eigener Parteifreund Lothar Späth in Baden-Württemberg übernimmt die alten Zahlen von uns GRÜNEN, also 200 Milligramm Stickoxid pro Kubikmeter Abluft bei Altanlagen.
Allerdings — das muß ich dazusagen — kommt Späth zu spät, da die Vereinbarung betreffend Altanlagen erst ab 1990 greifen wird und er nicht den Mut zu einer radikalen Waldrettung hat.
Doch dazu werde ich gleich noch etwas sagen.Sie werden bald genauso umfallen und die Vorschläge der GRÜNEN als Ihre eigenen verkaufen. Das ist zwar legitim, aber man darf auch klar sagen, was das in Wirklichkeit ist, nämlich Etikettenschwindel. Was soll denn der technische Laie, was soll der Waldbauer im Schwarzwald, was sollen die Eltern kranker Kinder im Ruhrgebiet von der Abwiegelungstaktik in Ihrem Antrag halten, wenn Sie die Entschwefelung und Entstickung heute als noch nicht machbar bezeichnen und dafür eine Latte von gewichtigen Gründen anführen, die morgen — siehe Lothar Späth — plötzlich nicht mehr zählen? Da bleibt allen aufmerksamen Zeitgenossen nur eine Erkenntnis: Sie verwenden Scheinargumente, Sie mißbrauchen Techniker und Wissenschaftler, die Ihnen diese Scheinargumente liefern sollen, damit die Gewinne der Energiewirtschaft nicht geschmälert werden. Denken Sie doch nur an die hingetricksten, überhöhten Strombedarfsprognosen aller bisherigen Bundesregierungen, die dann die Begründung für den hemmungslosen Ausbau der zentralen Energiewirtschaft hergaben.Meine Damen und Herren, angesichts der dadurch bewirkten gegenwärtigen und zukünftigen Umweltkrisen dürfen wirtschaftliche Argumente keinen grundsätzlichen Vorrang mehr vor ökologischen Argumenten haben; sie dürfen kein Tabu mehr darstellen. Wenn es ums Überleben geht, müssen wir radikale Umweltrettungsmaßnahmen ergreifen — koste es, was es wolle.
Dies bringt mich zu einem weiteren Aspekt: Durch Ihren Antrag zieht sich wie ein roter Faden die Meinung, die auch in der Regierungserklärung vom April 1983 schon zu hören war: daß die Negativfolgen der Technik nur mit einem verbesserten technischen Umweltschutz zu beseitigen seien. Diesem Glauben an den Umweltschutz als Reparaturbetrieb des Wirtschaftswachstums schließen sich auch die SPD und natürlich Lothar Späth in BadenWürttemberg an, wenn er sagt, das Waldsterben könne nur mit Technik bekämpft werden. Meine Damen und Herren, wenn Herr Späth von der Versöhnung von Ökologie und Ökonomie redet, meint er in Wirklichkeit die Technologisierung der Ökologie. Er sieht damit nur eine Seite der Medaille. Natürlich brauchen wir auch die Technik, um zu retten, was noch zu retten ist. Mit Technik allein schaffen wir es aber nicht.Hierfür nur zwei Belege:Erstens werden die neuen Umwelttechnologien zu spät wirksam. So sollen die jetzt hochgelobten Stickoxidgrenzwerte von Baden-Württemberg, die die GRÜNEN schon 1982 gefordert haben, erst ab 1988 für einen Teil und ab 1990 für die Gesamtheit der Anlagen gelten. Die Bonner Regierung hat die-
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Dr. Ehmke
ses Thema sowieso verschlafen. Wenn die drastische Kfz-Abgasentgiftung tatsächlich zum 1. Januar 1986 in Kraft treten sollte — woran ich, und nicht nur ich, meine Zweifel habe —, würde das doch frühestens ab ca. 1990 zu einer spürbaren Schadstoffverminderung führen, wie wir in der Anhörung des Innenausschusses in dieser Woche j a überzeugend dargelegt bekommen haben. Im übrigen hat die Anhörung doch wohl gezeigt, Herr Kollege Schmidbauer, daß die Befürworter einer ungehemmten Raserei auf unseren Straßen doch mit falschen Abgaszahlen arbeiten. Das ist das Ergebnis dieser Anhörung gewesen.
— Nein, es ist eindeutig dargestellt worden, daß der VDA hier mit falschen Zahlen gearbeitet hat. Aber wir werden uns darüber im Innenausschuß j a noch in aller Ausführlichkeit unterhalten. Bis zum Jahre 1990 werden mit großer Wahrscheinlichkeit die meisten Waldbäume erkrankt und somit nicht mehr zu retten sein.Der zweite Grund dafür, daß technischer Umweltschutz nur die halbe Wahrheit darstellen kann, ist die von Wirtschaftswissenschaftlern mehrfach bewiesene Tatsache, daß Wirtschaftswachstum die Umweltprobleme auf Dauer nicht lösen kann. Die Kosten des Reparaturbetriebes Umweltschutz steigen überproportional zur Zunahme der durch das Wirtschaftswachstum bereitgestellten Umweltschutzmittel, weil nach einer bestimmten Wachstumsrate entweder die Umweltbelastung zunehmen muß oder die erwirtschafteten Finanzmittel allein zur Reparatur der Schäden, die das quantitative Wachstum erzeugt, ausgegeben werden müssen.Die Technologisierung der Ökologie, wie sie die etablierten Parteien betreiben, führt uns also immer wieder vor diese Alternative: Wirtschaftswachstum mit Umweltschäden oder Wachstum ohne Gewinn, aber mit teurem technischen Umweltschutz.Für uns GRÜNE ist das eine Scheinalternative, weil an der Prämisse Wirtschaftswachstum festgehalten wird. Nachdem wir die Grenzen des Wachstums offensichtlich erreicht haben, wie die Statistiken zeigen, muß die sinnvolle Alternative doch wohl lauten: Wirtschaftswachstum als Ideologie oder eine Marktwirtschaft innerhalb eines vorgegebenen ökologischen und sozialen Rahmens. Deshalb kann technischer Umweltschutz nur eine Übergangshilfe für den Umbruch zu einem ökologisch und soziologisch verantwortbaren dezentralen Wirtschaftsstil darstellen.Aus dieser Erkenntnis heraus, die in Ihrem Antrag allerdings nicht zu spüren und auch nicht zu erwarten war, stützt sich die Umweltpolitik der GRÜNEN auf drei Säulen: erstens sofortige wirksame Notmaßnahmen gegen die schlimmsten Umweltschäden, insbesondere das Waldsterben — Geschwindigkeitsbegrenzung, Stillegung besonderer Kohlekraftwerke —, zweitens mittelfristige intensive Verbesserung der Umwelttechnologie und drittens langfristig wirksame, aber jetzt einzuleitendeNeuorientierung der Wirtschafts-, Energie- und Verkehrspolitik im Sinne einer verinnerlichten Ökologie.Meine Damen und Herren, ich wollte Ihnen jetzt eigentlich Beispiele hierfür liefern, aber weil man eine ganze Fülle von Themen hier in unverantwortbarer Weise zusammengepackt hat — meine Kollegin hat es schon angesprochen —, muß ich mir das jetzt ersparen.Wir haben gesehen, daß wir Notmaßnahmen zur Rettung der Umwelt brauchen und daß wir einen anderen, umweltbewußten Wirtschaftsstil einleiten müssen, um unserer Verantwortung für die Umwelt und für unsere Nachkommen gerecht zu werden.Davon ist im Koalitionsantrag trotz seiner Länge wenig zu merken. Sie sind nicht einmal bereit, die derzeit verfügbare Technologie massiv und schnell einzusetzen, wie wir es schon mehrfach gefordert haben.
So dient Ihr Antrag in erster Linie der Imagepflege und trägt wenig dazu bei, die hereinbrechenden Umweltkrisen zu meistern. Sie haben immer noch nicht verstanden, worum es geht, um die ökonomischen und ökologischen Existenzgrundlagen unserer Gesellschaft und des menschlichen Lebens schlechthin, wie es kürzlich die deutschen Waldbesitzer formuliert haben. Immer mehr sogenannte Konservative haben doch inzwischen erkannt, daß gerade diejenigen Parteien, die so häufig von Heimat, Volk und Vaterland reden, die Zerstörung dieser Werte und ihrer Inhalte durch die Ideologie des Wirtschaftswachstums zum Teil bewußt betreiben. Blindes Wachstumsdenken in Form von Straßenbau, Flurbereinigung und Waldvernichtung zerstört die Umwelt. Deswegen werden zumindest wir GRÜNE uns für die Rettung unserer Heimat einsetzen, koste es, was es wolle.Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Minister des Landes Baden-Württemberg für Ernährung, Landwirtschaft, Umwelt und Forsten, Herr Weiser.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe diese Debatte mit großer Aufmerksamkeit verfolgt und möchte feststellen, daß Umweltschutz keine neue Erfindung ist, sondern von uns in Baden-Württemberg seit langem erfolgreich praktiziert wird.
Herr Kollege Dr. Ehmke, wenn wir mit dem Umweltschutz gewartet hätten, bis Sie gekommen sind, dann wüßten wir heute noch nicht einmal, wie eine funktionierende Kläranlage aussieht, geschweige denn, daß in Baden-Württemberg etwa 1 400 große Kläranlagen in Betrieb wären. Wie die Wirtschaft mitgearbeitet hat,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3805
Minister Weiser
— warten Sie doch einmal ab, Herr Kollege Schäfer, seien Sie doch nicht so ungeduldig — geht daraus hervor, daß wir bei 9,5 Millionen Einwohnern bereits für 23 Millionen Einwohnergleichwerte mechanische und biologische Kläranlagen in Betrieb haben. Wenn der Kollege Müntefering vorhin von der Forderung gesprochen hat, ein Kläranlagenbauprogramm zu erstellen, kann Baden-Württemberg Vollzug melden. Wenden Sie sich vielleicht einmal an Bremen, damit die auch mal eine Kläranlage bauen.
Herr Kollege Hauff, Sie haben bei der Rede des Kollegen Kiechle, die ich als sehr sachkundig empfunden habe, den Zwischenruf gemacht, es sei eine Abiturarbeit.
Ich muß Ihnen sagen, ich weiß nicht, ob Sie für Ihre Rede von mir den Hauptschulabschluß bekommen hätten.
Ich muß feststellen, was Sie hier vorgetragen haben, war nichts anderes als eine Selbstanklage, denn die Umweltverhältnisse, wie Sie sie beklagt haben, sind doch nicht in den letzten 15 Monaten entstanden.
— Entschuldigung, lassen Sie mich doch einmal ausreden.
— Sie haben immer „Herr Zimmermann" dazwischengerufen. Sie hätten mal einen anderen Zwischenruf benutzen sollen. Der Herr Zimmermann trägt die Verantwortung seit 15 Monaten. Ich werde Ihnen sagen, was in der Zeit geschehen ist. Ich komme darauf zurück.Herr Kollege Baum hat zu mir hingeschaut, als er die Großfeuerungsanlagen-Verordnung angesprochen hat.
Meine Damen und Herren, hier wurde der Herr Menke-Glückert zitiert.
— Warten Sie doch einmal ab. Ich war schon ein paarmal hier, aber ich bewundere immer wieder Ihre Ungeduld. Herr Menke-Glückert hat sich bei mir im Auftrag von Herrn Baum bedankt, daß ich mich damals innerhalb der CDU in sehr starkem Maße für die Verbesserungen eingesetzt habe. Herr Hauff, lesen Sie doch einmal den Entwurf, den die alte Bundesregierung hinterlassen hat. Auf wessen Antrag ist denn die Mindestentschwefelung in die Verordnung aufgenommen worden? Es war der Antrag Baden-Württembergs und Bayerns. Auf wessen Antrag ist denn aufgenommen worden, daß die Stickoxidausstoßmengen von 900 auf 800 Milligramm zurückgeführt werden und dabei nicht nurfeuerungstechnische Maßnahmen eingesetzt werden können?
— Entschuldigung, das war der Entwurf, den der Herr Dr. Zimmermann vorgefunden hat. — Warum haben Sie denn in Bexbach mit der Kapitalmehrheit des Bundes einen Genehmigungsbescheid mit 850 Milligramm SO2-Ausstoß beantragt, als wir 1978 in Mannheim mit 383 Milligramm genehmigt haben?
— Aber, Herr Hauff, was soll denn diese Diskussion? — Fragen Sie doch den Herrn Baum, warum er uns damals geschrieben hat, wir möchten auf unsere Finanzminister einwirken, daß die Werte in Bexbach geändert werden, obwohl der Bund die Kapitalmehrheit hatte.
— In Berlin ist vieles passiert.
Wollen wir jetzt damit anfangen, was in Berlin alles passiert ist? Da mußten ganze Regierungen gehen ob dem, was in Berlin geschehen ist.
Ich will Ihnen eines sagen: Ich habe vorhin auch einiges als billig empfunden, z. B. daß Sie aus Bächen Wasser trinken wollen und der Kollege Müntefering das Brauchwasser in den Haushaltungen einführen will. Was soll denn das?
— Er hat erklärt, wir müßten in den Haushaltungen für die Toilletenspülung Brauchwasser einführen, damit die Bauarbeiter beschäftigt werden können. Sie müssen doch wenigstens Ihren Kollegen zuhören, wenn sie hier reden. Ich habe aufmerksam zugehört. Da will der eine aus dem Bach Wasser trinken, der andere will Brauchwasser in den Haushaltungen, und dann fragen Sie nach der Einigkeit in der CDU/CSU.
Herr Kollege Hauff, Abwasser wird nie Trinkwasser werden.
— Ich hätte hier manches kabarettreif gefunden, wenn es nur nicht so traurig gewesen wäre. Ich sage Ihnen: Sie können Wasser reinigen wie Sie wollen, Abwasser wird immer Abwasser bleiben. Wir sollten unseren Kindern nicht einreden, wir können Bäder, Waschmaschinen und Toiletten haben und könnten dennoch aus dem Bach Wasser trinken. Das sind doch Vorstellungen, die nicht realistisch sind.Herr Dr. Ehmke, ich gehe davon aus, daß Sie uns all die Vorschläge für die Praxis, die Sie hier aus Zeitmangel nicht ausführen konnten, schriftlich zu-
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Minister Weiser
stellen. Ich habe Sie in Freudenstadt schon aufgefordert, uns alle Angaben zu liefern, die gebraucht werden, um schneller zu handeln.Wenn Sie hier erklärt haben, der Herr Späth wolle 1990 mit der Entstickung beginnen, dann ist das einfach die Unwahrheit. Das Konzept der Landesregierung von Baden-Württemberg beinhaltet, daß 90% des Stickoxidausstoßes bis 1990 beseitigt sein werden — begonnen wird sofort. Wir reduzieren nicht auf 800 Milligramm, wie es heute noch auf Grund der damaligen technischen Möglichkeiten in der Verordnung steht, sondern auf 200 Milligramm, weil dies nach unserer Erkenntnis möglich ist.Wenn hier die Frage aufgeworfen wurde, warum denn hier nicht möglich sei, was in Japan möglich ist, dann muß ich sagen, Herr Kollege Hauff: In Japan wird seit 1974 entstickt. Berufen Sie sich doch nicht wieder darauf, wir hätten sie gehindert, das alles zu tun.
Wir haben doch niemanden gehindert.
— Über Abwasserabgabe wollen wir nicht reden.
— Ich sage Ihnen, warum. Herr Kollege Baum hat hier heute selber erklärt, daß das Abwasserabgabengesetz novelliert werden müßte, auch wegen zum Teil überholter Parameter. Genau das war es, was wir damals in die Diskussion gebracht haben
und was abgelehnt wurde.
— Wer hat blockiert?
Ich darf bloß um der geschichtlichen Wahrheit willen daran erinnern, Herr Kollege Hauff, daß das Abwasserabgabengesetz im Deutschen Bundestag einstimmig verabschiedet wurde und bei der Verabschiedung im Bundesrat auch die Zustimmung Baden-Württembergs gefunden hat. Es war in einer meiner ersten Kabinettssitzungen als Umweltminister des Landes, in der das Kabinett die Zustimmung für den Bundesrat beschlossen hat.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, sehr gerne.
Herr Minister, würden Sie dann wenigstens einräumen, daß das Land Baden-Württemberg im Bundesrat dem Abwasserabgabengesetz erst dann zugestimmt hat, nachdem Sie es durch Herabsetzung der Abgabensätze wesentlich verwässert hatten und sie bis dahin in der Tat mit
Bedenken, die sich nicht bewahrheitet haben, nämlich Inpraktikabilität, zu großer Verwaltungsaufwand und dergleichen, alles versucht haben, um die Verabschiedung dieses Gesetzes in die Länge zu ziehen, wenn nicht nach Möglichkeit zu verhindern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wahrheit ist, daß das Gesetz einstimmig verabschiedet worden ist.
— Ich bin doch gerade dabei! Warum sind Sie denn so ungeduldig?
Der Herr Minister hat das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wahrheit ist ferner, meine Damen und Herren, daß das Gesetz erst fünf Jahre später — 1981 — in Kraft getreten ist und daß wir vor dem Inkrafttreten genau das, was Herr Baum heute an Novellierungen hier gefordert hat, von unserer Seite aus an Novellierungsvorschlägen eingebracht haben. Herr Kollege Schäfer, Sie können noch so oft den Kopf schütteln.
Herr Minister, gestatten Sie dem Kollegen Schäfer auch eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, wenn er schnell macht und mir das nachher auf meine Redezeit gutgeschrieben wird.
Herr Schäfer!
Herr Minister, da Sie sich hier als Vorreiter für den Kampf gegen das Waldsterben darstellen, können Sie mir bitte eine einzige Initiative des Landes Baden-Württemberg, eines anderen von der CDU regierten Landes oder der Bundestagsfraktion im Zeitraum von 1972 bis 1982 nennen,
die eine Verschärfung der Umweltschutzgesetze bedeutet und insonderheit Kampf gegen das Waldsterben beinhaltet hätte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank, Herr Kollege Schäfer! Ich werde darauf zurückkommen. Ich muß zuerst noch dem Kollegen Dr. Hirsch antworten.Tatsache ist, daß damals alle zugestimmt haben. Sie sagen, wir hätten das Gesetz verwässert und die Herabsetzung der Abgabe gefordert. Sie wissen genau, wie die Reduzierung der Abgabe zustande gekommen ist. War es nicht so, daß beim damaligen
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Minister Weiser
Bundeskanzler ein Gespräch mit Vertretern der Wirtschaft stattgefunden hat und diese erklärt haben: „Das kann alles in Stufen aufgebaut werden; aber es muß unten angefangen werden?" Es gibt keinen Antrag Baden-Württembergs, die Abgabensätze zu senken, Herr Kollege Dr. Hirsch.
Das bleibt die geschichtliche Wahrheit.
Meine Damen und Herren, wir haben mit der Abwasserreinigung zu einem Zeitpunkt begonnen — ich komme noch auf Ihre Frage zurück, Herr Schäfer —, als es auch dort noch viele Unbekannte gab. Wir haben die Techniken weiterentwickelt und haben unseren Bürgern hohe Abgaben zugemutet. Überall dort, wo es vernünftige Bemessungsgrundlagen für Abgaben gibt und wo Leistung gegen Abgabe steht, können Sie mit uns über Abgaben reden.Wir haben die Abwassergebühr. Ich bin 1962 Bürgermeister einer kleinen Gemeinde geworden. Damals haben wir im Gemeinderat drei Stunden lang darüber diskutiert, ob man die Abwassergebühr von 20 auf 30 Pf erhöhen könne. Heute zahlen die Bürger 3,80 DM und sind hochzufrieden darüber, daß die Abwässer gereinigt sind. Das ist der Wettbewerb, in den wir eintreten müssen.Trinkwasserversorgung! Auch hier gibt es eine einwandfreie Bemessungsgrundlage und dafür den Wasserzins. Das ist doch gar keine Frage!Nehmen Sie weiter die Abfallbeseitigung. 4 000 wilde Müllkippen gab es in Baden-Württemberg. Aber doch nicht deshalb, weil die Leute das wollten, sondern weil wir keine Erkenntnisse, keine Techniken und keine Maßstäbe hatten, nach denen wir die Situation beurteilen konnten. Wir haben doch mit der ökologischen Forschung erst zu einem Zeitpunkt begonnen, als viele andere Probleme bereits gelöst waren.Wenn man sich heute hier hinstellt und so tut, als ob alles versäumt worden wäre, werden wir den Bürgern, die dafür große Opfer gebracht haben, einfach nicht gerecht. Unsere Bürgermeister sind hingestanden, als es um Anliegerbeiträge, als es um die Gebühren ging — es ist viel populärer, eine Sporthalle einzuweihen —, haben die Abwasserbeseitigung finanziert und den Leuten Opfer zugemutet. Es ist doch nicht so, Herr Ehmke, daß die GRÜNEN die Erfinder der Umweltpolitik wären.
Für mich — das möchte ich Ihnen sagen, wenn Sie hier von Verfassungsänderung reden — gehört zu einer intakten Umwelt und zu dem, was man anderen zumuten darf, z. B. auch, daß sich Leute, die nicht körperbehindert sind, nicht von jungen Polizisten durch die Landschaft tragen lassen.
Auch das gehört mit zu einer menschenwürdigen Umwelt. Es ist eine Zumutung.
Sie unternehmen ständig den Versuch zu verunsichern und so zu tun, als ob Sie die Umweltpolitik erfunden hätten. Sie nehmen dann noch die Wahrheit für sich in Anspruch.Ich glaube, hier sollte man doch einmal sehen, was in der Vergangenheit durch Wissenschaft, durch Technik, durch das Engagement vieler Bürger an umweltpolitischem Fortschritt erzielt wurde. Es gibt noch eine Vielzahl von Problemen. Man sollte gemeinsam in den Wettbewerb treten, diese Probleme zeitgerecht zu lösen. Man sollte aber nicht ständig so tun, als ob hier der Weltuntergang vorprogrammiert wäre.Ich sage Ihnen: Diejenigen, welche die Leute ständig auf Trab halten — auch, Herr Kollege Hauff, mit der Aussage über vergiftete Lebensmittel —, schaden der Volksgesundheit oft mehr als manches andere. Auch das sollte man sich überlegen, wenn man versucht, verantwortlich Politik zu betreiben.
— Ich möchte Ihnen noch eines sagen: Wissen Sie, es gibt so viele Dinge, über die man diskutieren kann. Ich will auch etwas zur Bodengesundheit sagen. Wir haben in Baden-Württemberg 8 000 Bodenproben ziehen lassen, um die Schwermetallbelastungen festzustellen. Wir haben die pH-Werte festgestellt. Wir wissen, wie die Verhältnisse aussehen. Wir haben beispielsweise bei den Schwermetallen im Schnitt etwa 10 bis 20 % der tolerierten Belastung. Dabei handelt es sich zum großen Teil um natürliche Vorkommen.Ich habe einmal mit jemandem diskutiert, der auch vortrug, was alles an Schwermetallen im Lande sei. Ich habe ihm die Frage gestellt, ob er von säure- oder wasserlöslichen Schwermetallen spricht. Da hat er geantwortet: Was soll denn die lustige Frage?Lustig ist die Frage überhaupt nicht, weil es natürliche Vorkommen gibt, die gar nicht wasserlöslich sind und damit von der Pflanze überhaupt nicht aufgenommen werden, während es wasserlösliche Schwermetalle gibt, die Probleme bereiten. Man muß die Dinge sehr sorgfältig auseinanderhalten.Ich sage Ihnen: Ich bin vielen Wissenschaftlern sehr dankbar, die uns neue Erkenntnisse gebracht haben. Es muß unsere Aufgabe sein, die Forschung weiter voranzubringen. Wir forschen in BadenWürttemberg im Waldbereich in diesem Jahr mit einem Aufwand von über 20 Millionen DM. Es geht dabei um 155 Forschungsvorhaben.Es geht auch um die Frage der Abfallbeseitigung, Herr Kollege Dr. Ehmke; nicht schwafeln — entschwefeln. Ich hoffe, daß wir uns eines Tages nicht an einer Baustelle sehen und Sie mit denselben treuen Augen verkünden: kein schwefelbelasteter Gips auf diese Baustelle! Wenn alles entschwefelt ist, werden wir 1 Millionen t schwefelbelasteten Gips und 200 000 Doppelzentner schwefelsaures Ammoniak allein in Baden-Württemberg haben. Dieses Problem muß zukunftsträchtig gelöst wer-
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Minister Weiser
den. Die leichtfertige Lösung von Umweltproblemen hat oft weit schärfere Umweltprobleme ausgelöst, die vorher nicht bedacht waren.
Mit Schlagworten und Transparenten ist alles sehr leicht darzustellen. Es ist weit schwieriger, die Probleme zeit- und zukunftsgerecht in Ordnung zu bringen.Damit, Herr Kollege Schäfer, zu der Frage: Wo gab es denn Initiativen?
Bei vielen Umweltministerkonferenzen sind diese Fragen diskutiert worden. Es gab die Initiative von Baden-Württemberg und Bayern zum Mindestentschwefelungsgrad. Sie wissen doch so gut wie ich, daß es Kohle mit unterschiedlicher Schwefelbelastung gibt. Wenn der Höchstausstoß bei 400 mg liegt, aber gleichzeitig eine 85 %ige Entschwefelung bei allen Kraftwerken mit über 400 Megawatt gefordert wird, dann müssen eben mit der mit 1,3 % Schwefel belasteten Kohle diese 400 mg eingehalten werden. Aber mit der Kohle, die 0,8 % Schwefel enthält, erreichen Sie dabei bei einer Mindestentschwefelung von 85 % eben 180 bis 200 mg. Das sind doch die Zusammenhänge, die man kennen muß, wenn man über diese Fragen sachverständig diskutieren will.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte, Herr Kollege Schäfer.
Da Sie meine Frage beantworten wollten, will ich sie noch einmal wiederholen. Ich habe nach Bundesratsinitiativen von 1972 bis 1982 gefragt — ich ergänze: in Form von Gesetzesinitiativen —, die zur Verschärfung der bestehenden Umweltschutzgesetze oder zur Verbesserung der von der sozialliberalen Koalition in diesem Zeitraum vorgelegten Umweltschutzgesetze ergriffen wurden. Da haben Sie bislang noch nicht geantwortet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schäfer, die Großfeuerungsanlagen-Verordnung und die TA Luft wurden vom neuen Bundesinnenminister Dr. Zimmermann vorgelegt,
und vorher konnten sie in den Gremien nicht beraten werden. Es war nie üblich, daß die Länder Verordnungen zu Bundesgesetzen in der Weise einbringen, wie Sie das hier verlangen. Es war doch Sache der Bundesregierung, dies zu tun.
— Herr Kollege Schäfer, ich habe heute schon viel
schwächere Ausführungen gehört. Was heißt denn,
Herr Kollege Schäfer: Wo sind die Initiativen? Wir
haben in den Umweltministerkonferenzen die Verordnungsentwürfe beraten.
— Da haben Sie regiert und nichts getan. Das ist die Wahrheit.
Herr Kollege Schäfer, ich erinnere mich nicht, daß Sie das Wort haben.
Herr Minister, fahren Sie bitte fort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schäfer, ich möchte abschließend sagen: Wer sich hierherstellt, von Versäumnissen der neuen Bundesregierung redet und Umweltverhältnisse beklagt, die während seiner Amtszeit entstanden sind, der soll sich ein Beispiel an dem nehmen, was wir in Zusammenarbeit mit der neuen Bundesregierung auf den Weg gebracht, was wir konsequent durchgeführt haben, weil wir uns von niemandem, wenn es um die Lösung von Umweltproblemen geht, um sachgerechte Lösung der Probleme geht, von niemandem übertreffen lassen. Sie wissen sehr genau, Herr Kollege Schäfer — deshalb ist auch Ihre Position in Baden-Württemberg nicht ganz einfach —, daß wir seit zwölf Jahren in Baden-Württemberg diese Politik praktiziert haben und uns über die Zusammenarbeit und über das, was mit dem neuen Bundesinnenminister zur Luftreinhaltung auf den Weg gebracht wurde, in der Tat freuen.Wir sollten noch eines bedenken, was ich auch an Sie, Herr Dr. Ehmke, gerichtet sage. Es gibt bei uns überhaupt keine Kostendiskussion. Wir haben die Abwasserbeseitigung durchgeführt und in Baden-Württemberg in den letzten zehn Jahren über 8 Milliarden DM nur für Kläranlagenbau und für Zuleitungssammler aufgewendet.
— Das waren 500 Millionen DM von 8 Milliarden DM, Herr Schäfer. Natürlich ist das was, aber dafür zahlen wir auch heute Zinsen. Das ist über Schulden finanziert worden. Das muß man doch wissen.Wenn Sie die Finanznot der Gemeinden in Baden-Württemberg beklagen, dann sollten Sie sich einmal etwas mit Kommunalpolitik befassen. Es wurde von Dorfentwicklung gesprochen. Ich lade Sie ein: In 2 200 Dörfern in Baden-Württemberg wird zur Zeit die Dorfentwicklung durchgeführt. Nehmen Sie die Umweltforschung, nehmen Sie die Dorfentwicklung! Das sind Summen, die im Bundesgebiet ihresgleichen suchen. Das geschah bei einer zwölfjährigen Regierungszeit der CDU in Baden-Württemberg.Sie haben das Hochwasserschutzprogramm angesprochen; ich kann Ihnen gerne die Unterlagen
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3809
Minister Weiser
dazu schicken. Sie haben das Umweltprogramm von Nordrhein-Westfalen angesprochen. Ich schicke Ihnen gern unser drittes Umweltprogramm zum Vergleich.
Ich kann Ihnen auch den ersten und den zweiten Umweltqualitätsbericht des Landes Baden-Württemberg schicken, damit Sie eine Unterlage haben, wenn Sie so etwas konzipieren wollen. Ich darf insgesamt sagen, Herr Ehmke — das trifft den Kern der Sache —: Lösung umweltpolitischer Probleme schafft man wirklich nicht durch Schwafeln, sondern durch sachkundige Arbeit. Der stellen wir uns, und das andere überlassen wir gern Ihnen. — Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hartenstein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch im Musterländle Baden-Württemberg ist nicht alles Gold, was glänzt, Herr Minister Weiser, auch im Umweltbereich nicht.
Wenn Sie die Geduld und die Zeit haben, hier noch ein wenig zuzuhören, dann bin ich gerne bereit, darauf einzugehen.
Meine Damen und Herren, von der Regierungsseite scheint es bei umweltpolitischen Debatten zur Pflichtübung geworden zu sein, immer wieder dazwischenzurufen: 13 Jahre! 13 Jahre! — Was soll das eigentlich?
— Darf ich um Aufmerksamkeit bitten? — Fragen Sie doch einmal Ihre Kollegen, die immer so stolz darauf waren, daß wir die großen gesetzgeberischen Leistungen auf dem Gebiet der Umweltpolitik in den 70er Jahren gemeinsam vollbracht haben.
Das war der erste Punkt.
Zweiter Punkt. Gewiß sind die Waldschäden nicht von heute und auch nicht von gestern. Sie sind Ergebnis eines jahrzehntelangen rücksichtslosen Umgangs mit der Natur. Wir alle haben die Gefahren unterschätzt. Aber die Tragödie ist da, und nun erlebt man plötzlich wundersame Verwandlungen. Ich habe ja nichts dagegen, daß jemand klüger wird, aber ich habe wohl etwas dagegen, daß man — wie geschickt auch immer — die Rollen zu vertauschen versucht und jetzt plötzlich aus Schwarz Weiß macht.
Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, Sie tun so, als hätten Sie beim Umweltschutz schon immer an vorderster Front gestanden. Das Gegenteil ist wahr.
Wie war es denn z. B., als sich die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung 1978
bemühte, das Bundes-Immisionsschutzgesetz zu novellieren? Bei der ersten Lesung hat der Sprecher der damaligen Opposition, Herr Dr. Laufs,
die Bundesregierung hart kritisiert
— langsam —, weil sie nämlich eigensinnig darauf beharre, ein Verschlechterungsverbot einzuführen. Ich zitiere:
Sie
— die Bundesregierung —
beharrt auf dem Verschlechterungsverbot. Sie versteht das übergeordnete Vorsorgegebot des Bundes-Immissionsschutzgesetzes in der Weise, daß es nicht nur artengefährdende, sondern auch lediglich wachstumshemmende Immissionswirkungen .. .
— Ach, hört ihr doch bitte schön auch einmal zu!
Das war eine sehr gute Bemerkung, Frau Kollegin.
... an besonders empfindlichen Pflanzen generell auszuschließen gelte.Ja, genau dies wollten wir. Wir wollten nämlich auch besonders empfindliche Pflanzen in ihrer Existenz schützen, z. B. auch die Tannen des Schwarzwaldes,
denn die gehören zu den besonders empfindlichen Pflanzen.
Es war doch schon damals klar, daß die Werte der TA-Luft 1974 nicht ausreichten, um diesen Schutz zu gewährleisten. Aber was haben Sie dagegengehalten? Originalton vom 22. Juni 1979 — ich zitiere —:Alle Maßnahmen des Umweltschutzes stellen Eingriffe in Grundrechte dar, wie das auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, freie Berufsausübung, Eigentum und schließlich selbst das auf menschliche Gesundheit, wenn es um die Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern geht.
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3810 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Frau Dr. HartensteinJeder Eingriff in Grundrechte muß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgen.
Extreme Forderungen des Umweltschutzes werden diesem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht gerecht.
Das Protokoll verzeichnet: „Zuruf von der CDU/ CSU: Richtig!"
Herr Kollege Laufs, meinen Sie nicht, daß man heute eher sagen müßte: Unterlassene Maßnahmen des Umweltschutzes werden dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, nämlich auf Gesundheit, nicht gerecht.
Der ehemalige Abgeordnete Dr. Herbert Gruhl, damals schon fraktionslos, hat unmittelbar nach dieser für ihn offenbar niederschmetternden Rede gesagt:Nun hat zuletzt der Kollege Laufs eine Rede gehalten, aus der ich nur schließen kann, daß für die CDU/CSU der Umweltbereich total begraben worden ist.
Ich habe nichts dagegen, wenn aus einem Saulus ein Paulus geworden ist, lieber Herr Kollege Paul Laufs.
— Habe ich gesehen; ich habe sie auch nachgelesen.— Gegen Sie persönlich habe ich ohnehin gar nichts. Das wissen Sie ja. Ich hätte auch nicht Gelegenheit genommen, diese Dinge wieder auszugraben, wenn nicht ständig der Versuch gemacht würde, die historische Wahrheit auf den Kopf zu stellen.
Das kann nicht gelingen, auch nicht durch allzu gewaltigen Aktionismus.Auch nicht in Baden-Württemberg, Herr Minister Weiser. Baden-Württemberg bemüht sich ja heute nach Kräften, als Klassenbester im Kampf gegen das Waldsterben aufzutreten. — Ich kritisiere das nicht! Aber man sollte doch lieber die Kirche im Dorf lassen.
Noch am 19. August 1981 haben Sie im Staatsanzeiger verkündet, von einem Nadelbaumsterben in Baden-Württemberg könne keine Rede sein.
— Im Staatsanzeiger. Es scheine jedoch „Anlaß zu der Vermutung zu bestehen, daß durch längere Trockenperioden das Wurzelsystem der Bäume geschädigt wird". Dann kommt noch ein vager Hinweis auf mögliche Umwelteinflüsse. Alle Hinweise, alle Mahnungen, Resolutionen, Appelle von Bürgerinitiativen, den Forstleuten und erst recht von den in der Opposition befindlichen Sozialdemokraten wurden in den Wind geschlagen,
obwohl schon damals über 50 % der Tannen und 30 % der Fichten im Nordschwarzwald Schäden aufwiesen.Im übrigen hat Baden-Württemberg neben dem, was Sie vorgetragen haben, leider auch negative Spitzenleistungen aufzuweisen. Bis heute hat sich z. B. die Landesregierung beharrlich geweigert, Belastungsgebiete auszuweisen und Luftreinhaltepläne aufzustellen. Für die Landeshauptstadt Stuttgart gibt es keine Smog-Verordnung, wohl aber Smogsituationen.
Bei der Ausweisung von Naturschutzflächen liegt Baden-Württemberg mit insgesamt 0,7 % unter dem Bundesdurchschnitt.
Im übrigen entspricht die Gesamtfläche der Naturschutzgebiete in Baden-Württemberg etwa genau demjenigen Flächenareal, das im Ländle innerhalb von fünf Jahren zubetoniert wird. Der Landschaftsverbrauch hat wahrhaft beängstigende Ausmaße angenommen, nicht nur durch das Häusle-Bauen, sondern z. B. auch durch den Straßenbau. Seit 1960 sind über 60 000 ha Freiflächen für Straßen in Anspruch genommen worden.
Solange die Flurbereinigung in gewachsenen Landschaften noch so wüten darf wie am Kaiserstuhl, Herr Minister Weiser, wo mit Hilfe von 100 Millionen DM aus ehemaligen Weinbergterrassen bis zu 30 m hohe Rebfestungen gemacht worden sind; solange der Chemie- und Düngemitteleinsatz in der Landwirtschaft nicht beträchtlich reduziert wird, so lange kann auch der galoppierende Artenschwund im Lande nicht gestoppt werden.
— Sie haben ja das Stichwort gegeben. Herr Minister: solange in der Energiepolitik des Landes nicht umgedacht wird, so lange wird die Aufheizung des Neckars fortschreiten. Sie werden weitere Versuche unternehmen, die Schwarzwaldtäler zu fluten, um Kühlwasserspeicher anzulegen und auf diese Weise
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3811
Frau Dr. Hartensteindem sterbenden Fluß zu Hilfe zu kommen. Das ist der falsche Weg. Mit Sicherheit wäre es vernünftiger und umweltschonender, einen Abwärmeplan aufzustellen und eine Fernwärmeschiene mittlerer Neckar von Heilbronn bis Plochingen auszubauen.
Ich will damit keineswegs verkleinern, was gut und richtig gemacht worden ist. Die Medaille hat aber eben auch eine Kehrseite, und zwar keine grüne. Apropos GRÜNE: Da muß ich doch noch ein Wort zu dem Kollegen Ehmke sagen. Herr Ehmke, es ehrt Sie natürlich, daß Sie Ihre Kollegen in Baden-Württemberg in Schutz nehmen. Ich muß aber meinem Landesvorsitzenden beitreten: Die GRÜNEN in Baden-Württemberg haben ihre politische Reifeprüfung nicht bestanden.
Alle die, die parlamentarisch zu arbeiten willens und fähig waren, haben Sie nämlich hinausgeekelt. Die haben resigniert und aufgegeben.
Im übrigen hat im politischen Raum das Klagen allein wenig Zweck. Der notleidenden Umwelt wird nur durch Handeln geholfen. Deshalb meine ich: Rot handeln ist besser als grün lamentieren!
Ich habe die Aufgabe, ein paar Worte zum Entschließungsantrag zu sagen. Ich versuche, das noch in gebotener Kürze zu tun. In einer Umfrage des Instituts Allensbach wurde 1982 festgestellt, wofür die Bürger mehr und wofür sie weniger Steuern aufzubringen bereit sind. Unter 14 Kategorien kam der Umweltschutz auf Platz eins, die Entwicklung neuer Energietechniken nahm den Platz zwei ein. Wenn man dieses Ergebnis interpretiert, dann heißt das für mich zweierlei: erstens, daß die Erhaltung der Umwelt bei den Bürgern einen enorm hohen Stellenwert hat, einen so hohen, daß sie dafür mehr Geld aufzubringen bereit wären, und zweitens zeigt die Tatsache, daß neue Energietechniken auf Platz zwei erscheinen, doch, daß das Votum für mehr Umweltschutz nicht automatisch mit Technikfeindlichkeit verbunden ist oder mit blauer Mondscheinromantik, wie oft behauptet wird, sondern daß die Bürger, unsere Bürger, im Gegenteil dem menschlichen Erfindungsgeist etwas zutrauen, nämlich die Kraft, Gefahren zu bannen und neue Lösungen zu finden. Nur kann „neue Lösungen" nicht einfach bedeuten: neue Meßtechniken beispielsweise, um die Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in unserer Nahrung besser erfassen zu können, oder neue Methoden zur Aufbereitung nitratverseuchten Trinkwassers. Nein, wir müssen noch einen Schritt weitergehen, und zwar einen mächtigen Schritt: Wir müssen dafür sorgen, daß eben die Nitrate nicht mehr in zu großer Menge ins Trinkwasser kommen.Wir müssen dafür sorgen, daß unsere Nahrungsmittel von schädlichen Rückständen frei bleiben. Anders gesagt, es gilt, neue Produktionsformen zu finden, bei denen möglichst wenig Schadstoffe verwendet werden, möglichst wenig kostbares Frischwasser verbraucht wird, möglichst wenig Abfall anfällt und mit Energie möglichst sparsam umgegangen wird. Das ist der Dreh- und Angelpunkt.Meine Damen und Herren, Sie bekennen sich in Ihrem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zum Verursacherprinzip und zu einer Verstärkung des Vorsorgeprinzips. Einverstanden! Beide Prinzipien sind bereits im Umweltprogramm 1971 der sozialliberalen Bundesregierung festgeschrieben und unverändert gültig. Aber genügt es eigentlich heute, 1984, das einfach so hinzuschreiben? Was ich vermisse, ist, daß Sie offenbar keinerlei Anlaß sehen zu einer grundsätzlichen Kritik an der bisherigen Art und Weise unseres Wirtschaftens, des Produzierens um jeden Preis, auch um den Preis der Zerstörung. Seien wir doch ehrlicher!Sie reden in Ihrem Antrag von einer „ökologisch verpflichteten Marktwirtschaft". Das klingt außerordentlich schön. Wenn sie es nur wäre! Die Marktwirtschaft allein enthält eben keine Komponente einer ökologischen Verpflichtung, mindestens nicht, solange für die verbrauchte Umwelt nicht auch ein entsprechender Preis zu bezahlen ist.Vielleicht wäre ein Blick in das Aktionsprogramm Ökologie hilfreich gewesen, das von der Bundesregierung in Auftrag gegeben worden ist, allerdings von einer anderen Bundesregierung. Der Auftrag stammt von 1979. Dort heißt es: „Die ökologischen Bedrohungen und die veränderten Werthaltungen erfordern ein anderes Wirtschaften." Und weiter: „Eine ökologische Umorientierung kann auf die Marktwirtschaft setzen, wenn der Marktprozeß durch staatliches Handeln ergänzt wird." Das ist richtig, aber das ist auch ein Auftrag. Man kann sich dieses Auftrages nicht einfach dadurch entledigen, daß man jede Gelegenheit nutzt, in stereotyper und oft allzu billiger Polemik gegen „bürokratische Lenkung" und „Überperfektion" und staatliche Reglementierung zu wettern. Damit wird man der Verantwortung für die Umwelt eben nicht gerecht.Die einfache Formel, die Sie, Herr Bundesinnenminister, am 15. September in Ihrer Regierungserklärung als Glaubensbekenntnis verkündet und heute sinngemäß wiederholt haben: „Nur eine florierende Volkswirtschaft kann die finanziellen Mittel für neue Maßnahmen im Umweltschutz aufbringen", ist immerhin mit großer Skepsis zu betrachten. Nicht, als ob wir nicht wüßten, daß wir alle miteinander von unserer Volkswirtschaft leben! Darum geht es nicht. Es geht darum, daß wir endlich erkennen müssen, daß wir den Hase-und-Igel-Wettlauf zwischen Umweltschädigung und Umweltreparatur gar nicht gewinnen können. Hier ist wirklich eine „Wende" nötig, aber, meine Damen und Herren, eine Wende nach vorn. Spätestens seit der Tragödie des Waldsterbens sollten wir das gemerkt haben.„Wenn die Geduld der Natur erschöpft ist", sagt Jack London, „antwortet sie mit Katastrophen." Und Katastrophen können teuer werden. Was ko-
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3812 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Frau Dr. Hartensteinstet der Tod unserer Wälder? Diese Frage ist nichtzynisch gemeint. Wenn man darauf Antwort gebenkönnte, wenn man die — mit Sicherheit gigantische— Summe nennen könnte, dann wären vielleicht auch diejenigen belehrbar, die heute noch meinen, mit der TA-Luft und der GroßfeuerungsanlagenVerordnung allein habe man seine politische Pflicht getan. Man hat sie mitnichten getan. Der Wald wird unaufhaltsam sterben, wenn nichts Zusätzliches geschieht.
— Ich versuche, zum Schluß zu kommen.In unserem Entschließungsantrag „Friede mit der Natur ..." haben wir deshalb ein Schadstoffabgabegesetz gefordert. Ich brauche das nicht mehr näher zu erläutern. Wir haben gefordert — nicht nur wir, sondern auch Sie —, daß schleunigst etwas getan wird, um die Einführung bleifreien Benzins und von Katalysatoren für Autos zum angekündigten Termin, dem 1. 1. 1986, zu realisieren. All dies ist bis heute nicht erfolgt. Herr Minister Zimmermann hat am 15. September 1983 gesagt, die Bundesrepublik Deutschland werde „an der Spitze des Umweltschutzes in Europa stehen".
Ich hätte da gerne geklatscht und Bravo gerufen. Heute muß ich erkennen, daß das etwas voreilig gewesen wäre; denn bis heute ist nichts geschehen. Deswegen ist es überflüssig, Herr Minister, heute vor Hektik zu warnen. Die Entwürfe, die Novellierungen sind nicht da.
Frau Kollegin, Sie müssen jetzt Ihre Rede beenden.
Ich sehe das. Das rote Zeichen ist mir sichtbar.
Sie nehmen Ihren Kollegen Redezeit weg. Das ist ganz einfach.
Ich möchte Sie nur noch mit einem Satz daran erinnern, daß wir alle miteinander wirklich Ernst machen müssen, unser Leben in Einklang mit der Natur zu bringen; denn das Waldsterben zeigt uns, daß wir auf dem falschen Wege sind. Wir müssen uns sehr anstrengen, wenn wir unseren Kindern eine lebenswerte Zukunft vererben wollen.
Ich danke Ihnen für die Geduld, auch Ihnen, Frau Präsidentin.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Dr. Göhner.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin ein bißchen verwundert darüber, daß wir ernsthaft darüber streiten, ob die Luftreinhaltepolitik der Bundesregierung, etwa bei den Schadstoffemissionen von Kraftwerken, Wirkung hat. Herr Hauff, Sie haben dies in Ihrer Rede bezweifelt, Sie haben das geradezu als Paradebeispiel dafür zitiert, daß die Umweltpolitik der Bundesregierung nur aus Worten und nicht aus Taten bestehe. Wollen Sie denn ernsthaft ignorieren, daß das Umweltbundesamt, doch nun eine wirklich neutrale Stelle, sagt, daß sich durch den Vollzug der Großfeuerungsanlagen-Verordnung die Schadstoffemissionen bei Schwefeldioxid von 3,2 auf 1,6 Millionen t reduzieren werden, also auf die Hälfte? Das können Sie doch nicht wegwischen.
Wenn Sie schon dem Umweltbundesamt nicht mehr trauen und diese Angaben bezweifeln, dann schlage ich vor, daß Sie sich einmal mit Ihrem Kollegen aus der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, dem Herrn Farthmann, in Verbindung setzen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hauff, Herr Kollege?
Sobald ich diesen Gedanken zu Ende geführt habe.
Der hat doch in einer Pressekampagne gerade deutlich gemacht, daß diese GroßfeuerungsanlagenVerordnung, die er übrigens anfänglich bekämpft hatte, nun tatsächlich hervorragende Wirkung zeigt. Ich hoffe, Sie kennen diese Presseartikel mit Überschriften wie „NRW — Bessere Luft eher als erwartet", „Die Kraftwerke rüsten zügig um", „Verminderung der Schadstoffe auf ein Viertel"; das sagt Herr Farthmann! Deshalb sollten Sie zunächst einmal die Widersprüche zwischen Ihren Aussagen und denen Ihrer Parteifreunde in Nordrhein-Westfalen klären.
Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hauff?
Bitte sehr.
Herr Abgeordneter Hauff.
Herr Kollege, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß die Zahlen von mir unbestritten sind und meine Argumentation die war, daß das, was Herr Späth, Herr Dregger, Herr Biedenkopf und Herr Vogel öffentlich angekündigt haben im Widerspruch zu dem steht, was die Bundesregierung getan hat?
Herr Kollege Hauff, ich nehme zunächst einmal zur Kenntnis, daß Sie hier behauptet haben, Ihnen gehe der Vollzug der Großfeuerungsanlagen-Verordnung gerade hinsichtlich der Anlagen nicht schnell genug, und daß Sie deshalb eine Schadstoffausgleichsabgabe haben wollten. Wenn aber richtig ist, was Herr Farthmann sagt, daß das zügig gehe — 1988 Verringerung auf ein Drittel und 1993 auf ein Viertel, und er hat recht dabei —, dann brauchen Sie nicht eine Schadstoffausgleichsabgabe, um das zu beschleunigen. Sie for-
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Dr. Göhnerdern also mit einer bestimmten Begründung die Erreichung eines Zwecks, der schon längst erreicht ist.
Sie sprechen von marktwirtschaftlichen Instrumenten und vom Vorsorgeprinzip. Zusätzlich bringen Sie einen Waldpfennig ins Gespräch. Sie, Herr Hauff, haben hier noch einmal betont, daß das Vorsorgeprinzip in der Umweltpolitik das Wichtigste sei. Der Waldpfennig ist das glatte Gegenteil. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, daß Sie mit dem Waldpfennig z. B. auch die Stromerzeugung aus Kernenergie belasten, also eine Art der Stromerzeugung, die gerade nicht jene Emissionen aufweist, die das Waldsterben verursachen. Es ist sicherlich so, daß der Waldpfennig eine große Pressewirksamkeit entfaltet und eine gewisse Popularität hat, etwa nach dem Motto: Pfennig bezahlt, Wald gerettet. Ein umweltpolitischer Effekt geht aber weiß Gott nicht davon aus. Mit Ihren Abgaben, die Sie einführen wollen, erreichten Sie das Gegenteil von dem, was in Nordrhein-Westfalen wie auch anderswo — in Baden-Württemberg trifft das gleiche zu; Herr Weiser hat es deutlich gemacht — zur Zeit passiert, nämlich den sehr zügigen Vollzug der Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Sie würden mit Ihrer Diskussion über neue Fristen, neue Immissionsgrenzwerte, neue Abgaben diesen Vollzug doch höchstens aufhalten. Versetzen Sie sich doch einmal in die Lage eines Kraftwerkbetreibers! Die Lage wäre doch die, daß Sie sagen müßten: Wir wollen doch erst einmal abwarten, was noch an völlig neuen Dingen auf uns zukommt. — Der Vollzug würde also aufgehalten. Wir wollen, daß die Großfeuerungsanlagen-Verordnung vollzogen wird, damit wir jene Verminderungen der Schadstoffimmissionen erreichen. Wir wollen nicht weiter abwarten. Gerade das wäre aber die Folge der Realisierung Ihrer Vorschläge.
Ich sehe mit großem Interesse, daß gerade auch von der SPD-Fraktion — Frau Kollegin Hartenstein hat das eben noch einmal betont — marktwirtschaftliche Prinzipien in der Umweltpolitik entdeckt werden. Wenn Sie dabei auf Ihre Abgabemodelle abstellen, so will ich Ihnen gern einräumen, daß Umweltabgaben prinzipiell ein denkbares marktwirtschaftliches Instrument sein können. Die Abwasserabgabe ist dafür sicherlich ein im großen und ganzen positives Beispiel.
Wenn Sie aber eine solche Abgabe erreichen, müssen Sie, wie das im Bereich der Abwasserabgabe der Fall ist, die Alternative zwischen Abgabe und Durchführung der Umweltschutzinvestition haben. Diese aber läßt die Großfeuerungsanlagen-Verordnung aus guten Gründen nicht zu, weil wir sagen: Bis zur Übergangsfrist spätestens muß der Vollzug erfolgt sein, muß entschwefelt sein. Deshalb ist dieser Bereich für Umweltabgaben überhaupt nicht geeignet.Der Einsatz marktwirtschaftlicher Prinzipien in der Umweltpolitik wird auch in dem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zu Recht herausgestellt. Dazu gehören z. B. die vermehrten Möglichkeiten zu Kompensation und Ausgleich von Umweltbelastungen, damit die Verursacher möglichst mit Mitteln ihrer Wahl die geforderten Umweltentlastungen durchführen können.Herr Kollege Baum hat gemeint, Konzepte wie beispielsweise das Glockenprinzip oder das BubbleKonzept seien nur intellektuelle Trockenübungen. Ich darf darauf hinweisen, daß doch auch diese Überlegungen nur eine Ausprägung dieses Gedankens des Ausgleichsprinzips sind. Sie sind insofern — ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Sanierungsklausel in der TA-Luft — durchaus auch Gegenstand unserer Umweltpolitik.Nun gibt es — Herr Hauff dieser Hinweis war eben in Ihrer Frage enthalten — weitergehende Überlegungen, z. B. hinsichtlich übertragbarer Emissionsgenehmigungen. Diese Modelle — es sind Modelle — beinhalten sicherlich noch eine Reihe von Fragen, die geklärt werden müssen. Dazu gehört der verwaltungsmäßige Vollzug dieses völlig neuen Instrumentariums. Dazu gehört die Frage, wie man Mißbräuche ausschließen könnte. Zugegeben, das sind ungeklärte Fragen. Meine Damen und Herren, das darf uns doch aber nicht hindern, diese Modelle sehr ernsthaft zu prüfen. Ich jedenfalls begrüße es, daß das Kabinett einen entsprechenden Prüfauftrag beschlossen hat und daß eine interministerielle Arbeitsgruppe eingesetzt worden ist. Herr Kiechle hat hier schon darauf hingewiesen. Dieses Modell ist zwar im Moment noch nicht serientauglich, aber im Sinne einer langfristigen Überlegung, bei der im Prinzip von den gleichen Überlegungen wie bei dem Ausgleichsprinzip ausgegangen wird, müssen wir darüber, wie ich meine, doch sehr ernsthaft diskutieren. Es geht darum, Anreize zur Optimierung des Mitteleinsatzes zu geben. Das dient dem Umweltschutz, weil dadurch ein möglichst hoher Entlastungseffekt bei der Umwelt mit einem möglichst geringen Aufwand erzielt werden kann. Das ist eine der dahinterstehenden Überlegungen.Nur wollen wir nicht so tun, als ob sich die Anwendung marktwirtschaftlicher Prinzipien in Abgaben erschöpft. Da gibt es viel wichtigere Dinge, z. B. steuerliche Anreize. So haben wir z. B. im Einkommensteuergesetz bereits erweiterte Abschreibungsmöglichkeiten. In diesen Zusammenhang gehört auch das, was Herr Zimmermannn hier heute noch einmal angekündigt hat, nämlich die steuerlichen Anreize und Entlastungen bei der Einführung der neuen Kfz-Technologie, bei der Festsetzung der neuen Abgasgrenzwerte.Dies sind neue Elemente der Umweltpolitik marktwirtschaftlicher Art, mit denen erreicht werden soll, daß am Markt beteiligte Produzenten mit wirtschaftlichen Anreizen zu einem höheren Maß an Umweltschutz aus eigenem Interesse heraus veranlaßt werden. Diese Prinzipien der Eigenverantwortung müssen wir in der Umweltpolitik aktivieren.
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Dr. Göhner Vielen Dank.
Das Wort hat der Minister für Bundesangelegenheiten des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Einert.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich nicht an der Auseinandersetzung um politische Erstgeburtsrechte beteiligen.
Das ist zwar sehr reizvoll, aber wenig hilfreich. Der Lösung der Probleme, mit denen wir es zu tun haben, bringt uns das keinen Schritt näher. Mögen sich Historiker über Koalitionsabsprachen, Bundesratsentscheidungen und vieles andere mehr streiten; wir sollten, glaube ich, zu den Aufgaben übergehen, die vor uns stehen.
Bevor ich ein paar Bemerkungen speziell zu nordrhein-westfälischen Problemen mache, was ich gern tun werde und was Sie sicherlich von mir erwarten, möchte ich mich ganz kurz einem Bereich zuwenden, um den wir alle uns, wie ich glaube, in der Vergangenheit wohl am wenigsten gekümmert haben, nämlich um die Problematik des Bodens.Schadstoffeintrag aus Industrie, aus Siedlung, aus Verkehr sowie aus Pflanzenbehandlung und Düngung im Übermaß hat die Beschaffenheit und Funktionsfähigkeit des Bodens — wenn auch regional unterschiedlich — erheblich beeinträchtigt. Das Risiko, über die Nahrungskette Schadstoffe aufzunehmen, steigt, wenn wir nicht entschieden gegensteuern. Das Trinkwasser als wichtigstes Nahrungsmittel des Menschen spielt hierbei eine besondere Rolle. Es wird jedoch durch eine erhebliche Zunahme des Nitratgehaltes im Grundwasser belastet, und der ursächliche Zusammenhang zwischen erhöhtem Nitratgehalt und landwirtschaftlicher Düngung ist evident.
In Einzelfällen haben wir in den letzten Jahren Wasserwerke schon zumachen müssen. Wenn die EG-Richtlinie über den Nitratgehalt des Grundwassers 1985 in Kraft tritt und der zulässige Höchstwert von derzeit 90 Milligramm je Liter auf 50 Milligramm abgesenkt wird, dann müssen wir nach jüngsten Erhebungen damit rechnen, daß ohne entsprechende Vorbeugungsmaßnahmen rund ein Drittel unserer — ich spreche von Nordrhein-Westfalen — ländlichen Grundwasserwerke, vor allem am Niederrhein und im östlichen Westfalen, geschlossen werden müssen. Deshalb werden wir die Landwirte u. a. durch eine Gülleverordnung anhalten, die von ihnen ausgehende Belastung — das ist nicht die einzige — abzubauen, und die Ausbringung von Gülle in den vegetationsfreien Wintermonaten verbieten.
— Ich nehme den Gedanken gleich auf. —
Gleichzeitig bieten wir den Landwirten finanzielle Hilfe zum Bau ausreichender Lagerbehälter an. Mit Vertretern des landwirtschaftlichen Berufsstandes hat mein Kollege Matthiesen insoweit einen Grundkonsens erzielt. Wie man hört, hat der Kollege von Heeremann — leider kann er nicht mehr hier sein— in dieser Frage eine sehr aufgeschlossene Haltung gezeigt.
Nur ist er in seinem eigenen Berufsfeld nicht überall mit Beifall bedacht worden. Ich finde es außerordentlich bedauerlich, daß ausgerechnet die Agrarausschüsse der rheinischen CDU unter der Führung des Bundestagsabgeordneten und Kollegen Schmitz dieses Problem noch völlig verkennen oder die Tatsachen nicht wahrhaben wollen.Ich bestreite den Satz, daß die Landwirte die Umweltschützer Nr. 1 sind, nicht. Ich bestätige ihn ausdrücklich. Nur: Er bleibt eine Leerformel und wir kommen mit ihm auf die Dauer nicht weiter, wenn nicht Anspruch und Wirklichkeit in Einklang gebracht werden.Das gleiche gilt auch für einige Entscheidungen auch der Bundesregierung in damit verwandten Gebieten. Was dem Bundesrat als Novelle des Pflanzenschutzrechtes auf den Tisch gelegt worden ist, trägt den heutigen Erkenntnissen über Gefahren, die für Mensch, Tier und Umwelt von diesen meist chemischen Mitteln ausgehen können, nicht Rechnung. Die Bundesregierung wäre gut beraten gewesen, wenn sie sich insoweit die Gesetzesinitiative von Nordrhein-Westfalen zu eigen gemacht hätte. Das wäre ein wesentlicher Beitrag zum Bodenschutz gewesen.Der Bundesrat hat kräftige Korrekturen in den Entwurf der Bundesregierung geschrieben. Nordrhein-Westfalen wäre diesem Hohen Hause außerordentlich dankbar, wenn es die Vorstellungen des Bundesrats und noch einige darüber hinausgehende Vorschläge übernehmen würde; denn beim Bodenschutz tickt bekanntlich eine Zeitbombe, von der niemand weiß, ob, wann, wo und wie sie hochgeht.In diesem Zusammenhang geht es ja keineswegs allein um die Landwirtschaft. Als ein schwieriges und komplexes Problem erweisen sich die Boden- und Grundwasser belastenden Verfüllungen und Aufhaldungen aus früherer industrieller, gewerblicher und bergbaulicher Nutzung. Die sogenannten Altlasten haben wir in Nordrhein-Westfalen in den letzten fünf Jahren erfaßt und landesweit registriert. Wir haben bei uns rund 5 000 Ablagerungen
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Minister Einert
registriert. Wir gehen davon aus, daß wir eine etwa gleich hohe Dunkelziffer im Augenblick noch sozusagen feststellen müssen.
Aus der Debatte heute nachmittag kann ich nur sagen: Es sollte keiner in diesem Hause, in irgendeiner Partei so überheblich sein, etwa auf das Hamburger Beispiel hinzuweisen; denn es kann in jedem Land heute oder morgen eine Giftmülldeponie entdeckt werden. Dann ist wirklich Matthäi am letzten. Da sollten wir nicht mit Schadenfreude registrieren, wenn irgendwo ein solcher Umweltschaden entstanden ist.
Wir überwachen die bekannten Ablagerungen. Wir bemühen uns, sie zu erfassen, soweit sie noch nicht bekannt sind, versuchen, ihr Gefährdungspotential zu ermitteln und ergreifen Sanierungsmaßnahmen, wo es geboten und möglich ist. Das hat einen erheblichen personellen und finanziellen Aufwand für ein Land zur Folge. Wir haben im Haushaltsvollzug zu prüfen, ob und in welchem Umfang wir diese Mittel überhaupt sinnvoll anwenden und ansetzen können.Zur Zeit prüfen wir in Nordrhein-Westfalen, ob es richtig und notwendig ist, analog zum Bundesimmissionsschutzgesetz für die Luft auch ein gesetzliches Regelwerk für den Bodenschutz zu entwickeln. Wir wollen dazu eventuell auch eine Initiative im Bundesrat einbringen. Wir hoffen dabei auf die Unterstützung auch der Länder.Meine Damen und Herren, heute nachmittag ist bereits mehrfach mein Kollege Farthmann zitiert worden.
Er hat nach einigen Darstellungen angeblich behauptet, er hätte — so mehrfach gesagt — die Großfeuerungsanlagen-Verordnung gelobt.
Ich darf das richtigstellen. Er hat heute vormittag im Landtag Nordrhein-Westfalen, als dieses Thema eine Rolle spielte, gesagt, daß er seine skeptischen Vorbehalte gegenüber der GroßfeuerungsanlagenVerordnung habe, daß er sie von Anfang an hatte und sie auch heute noch hat. Sein Lob — er hat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß er es auch vor dem Plenum in Nordrhein-Westfalen heute noch einmal ausgesprochen hat — bezieht sich ausdrücklich auf diejenigen Energieversorgungsunternehmen, die auch in Nordrhein-Westfalen bisher schon ihre Bereitschaft erklärt haben, vor den gesetzlich eingeräumten Fristen unterhalb der dort eingeräumten Schadstoffwerte zu bleiben.
— Moment, ich bin gerne bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen, aber ich möchte das noch etwas ausführen.Ich glaube, hier muß man etwas zwischen dem Lob der Großfeuerungsanlagenverordnung und dem Lob der Unternehmen, die das bisher auf freiwilliger Grundlage getan haben, differenzieren, wenn man daran politische Konsequenzen knüpft. Nordrhein-Westfalen hat diese Verordnung damals als einen Schritt in die richtige Richtung begrüßt. Wir stehen heute noch zu dieser Aussage. Wir haben gleichzeitig gesagt, daß sie allein zur Bekämpfung des Waldsterbens nicht ausreicht. Ministerpräsident Johannes Rau hat schon damals den Waldpfennig ins Gespräch gebracht. Wir haben diese Flankierungsmaßnahme jetzt konkretisiert und als Gesetzesinitiative dem Bundesrat vorgelegt.Wir reden nicht wie einige andere über die Verschärfung gerade erst beschlossener Grenzwerte. Die Anlagenbetreiber, die Investoren also, wissen dann ja nicht mehr, woran sie eigentlich sind, und warten ab. Jede jetzt etwa von uns beschlossene Novellierung der gerade ein halbes Jahr in Kraft befindlichen Großfeuerungsanlagen-Verordnung wäre wirklicher Attentismus und wäre Verhinderung von Umweltschutzentscheidungen der betreffenden Industrieunternehmen, deren Unterstützung wir brauchen.
— Ich glaube, wir sind in dieser Frage gar nicht unterschiedlicher Auffassung.Wir setzen erstens konsequent auf die Durchsetzung der Großfeuerungsanlagen-Verordnung, und nur denen, die sich nicht als investitionsbereit, die sich nicht als umweltfreundlich erweisen, wollen wir allerdings zweitens mit dem, wie wir glauben, marktwirtschaftlichen Instrument einer Zusatzabgabe zum Waldpfennig, konkretisiert als Schadstoffausgleichsabgabe, klarmachen, daß sich Umweltverschmutzung nicht betriebswirtschaftlich auszahlen darf, nicht einmal bis zur gesetzlich zulässigen Grenze, also maximal 1993.Vorhin ist in der Debatte auch mehrfach unterstellt worden — der Herr Bundesinnenminister hat es ebenfalls gesagt —, wir würden mit unserem Vorschlag der allgemeinen Abgabe das Verursacherprinzip geradezu auf den Kopf stellen. Meine Damen und Herren, da muß ich Ihnen doch entgegenhalten, daß diese Auffassung nicht nur falsch ist, sondern daß Sie auch die Intentionen der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen nicht gelesen oder nicht verstanden haben. Diese Umverteilung auch von Finanzierungsmitteln ist durchaus beabsichtigt. Wir wollen denen helfen, die für den Umweltschutz mehr tun, als vorgeschrieben ist, und wir wollen anderen den finanziellen Vorteil, den ihnen ihr Verhalten verschafft, wegnehmen.Wenn wir das Wort, zu dem wir alle ja sagen, Umweltschutz gebe es nicht zum Nulltarif, wenn wir diese Worthülse mit Leben erfüllen wollen und
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Minister Einert
in die Realität umsetzen wollen, dann müssen wir auch schon ein bißchen mehr tun, als nur diesen Satz auszusprechen.Ich gebe ausdrücklich zu — und ich glaube, so muß man es auch formulieren —, daß der Waldpfennig im engeren Sinne, nämlich die allgemeine Abgabe, die Einführung des Gemeinlastprinzips als zweite Komponente neben dem Verursacherprinzip bei der Schadstoffausgleichsabgabe — da ist es ja eine reine Verursachersache — steht. Der Waldpfennig, diese berühmten 2,5 % auf den Strompreis — gleich etwa 0,4 Pfennig pro Kilowattstunde im Durchschnitt — ist Gemeinlastprinzip.Wir gehen davon aus, daß die Verursacher nicht bis zum letzten auszumachen sind, wenn wir es auf das Waldsterben konkretisieren. Das kann aber bei unserer Entscheidung keine Rolle mehr spielen — sonst verschieben wir die Entscheidung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag —; vielmehr müssen wir dann aus regionalpolitischen Gründen für eine solche gemeinwirtschaftliche, solidarische Haltung aller sorgen.Ich verhehle nicht, daß ich mit allem Nachdruck darauf hinweise, daß diese Argumentation natürlich in einem hohen Maße aus der besonderen Interessensituation und der Wirtschaftsstruktur des Landes Nordrhein-Westfalen heraus zu verstehen ist. Wenn wir ansonsten auch dort das reine Verursacherprinzip bestehen lassen, wird betriebswirtschaftlich gerecht, und zwar bezogen auf den jeweiligen Primärenergieträger, und dann werden diese Kosten von Umrüstung und Ausrüstung bei neuen Investitionen ausschließlich etwa auf den Bereich der Kohle hin orientiert. Ich füge hinzu: Dieser damit gleichzeitig stattfindende Verdrängungswettbewerb zwischen verschiedenen Energieträgern ist für uns und für das Land Nordrhein-Westfalen nicht akzeptabel. Wenn man das Wort vom sicheren Energieträger Kohle und das Wort, das der Bundeskanzler jetzt in zwei Regierungserklärungen gebracht hat, von der gesamtstaatlichen Verantwortung für die Kohle ernst nimmt, kann man nicht beim reinen Verursacherprinzip in dieser Frage stehen bleiben. Dann muß man Gemeinlastprinzip einführen, dann muß man gemeinsame Verantwortung und Lastentragung der Gesamtrepublik, auch für die Kohle, im wesentlichen in zwei Bundesländern, auch zum Ausdruck bringen. Dann nutzen einem Lippenbekenntnisse nicht mehr.
Herr Landesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte schön, Herr Dr. Göhner.
Herr Einert, nachdem Sie hier bestätigt haben, daß der Waldpfennig nicht dem Verursacher-, sondern dem Gemeinlastprinzip entspricht und Sie sich damit in Gegensatz zu Herrn Hauff gebracht haben,
der hier gesagt hat, das Vorsorgeprinzip sei das
Wichtigste in der Umweltpolitik, darf ich Sie fragen,
ob Sie nicht auch befürchten, daß Sie durch eine
noch über den Waldpfennig hinausgehende weitere Abgabe, nämlich Ihre Schadstoffausgleichsabgabe, den Kostendruck bei den Energieunternehmen weiter erhöhen und damit einen wirtschaftlichen Druck zum Ersatz der heimischen Stein- und Braunkohle durch billigere, schwefelarme Importkohle entfalten. Sehen Sie nicht, daß Sie mit Ihrem Vorschlag der heimischen Steinkohle glatt ins Gesicht schlagen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein. — Lassen Sie mich mit dem letzten anfangen, nämlich mit dem Problem: Wäre das nicht Kostenverschärfung und damit Verschärfung der Wettbewerbssituation?Ich glaube, Sie müßten sich einmal unseren Gesetzentwurf ansehen. Ich schicke ihn Ihnen gern. Ich bin außerordentlich optimistisch, was die Schadstoffausgleichsabgabe — reines Verursacherprinzip — angeht, vor dem Hintergrund der Erklärung der EVUs, schon vor der Frist 1993 und sogar noch unter den Grenzwerten der Großfeuerungsanlagen-Verordnung freiwillig zu bleiben. Wenn wir erreichen, daß sich die Unternehmen so verhalten, wie wir sie mit der Schadstoffausgleichsabgabe eigentlich drücken wollen — lassen Sie mich das formulieren —, dann ist sie ja inhaltlich gesehen eigentlich obsolet geworden. Das nehme ich gern in Kauf, wenn ich damit erreiche — wie in Baden-Württemberg und wie auch woanders —, daß wir durch solch einen sanften Druck und Vereinbarung in der Frage der Schadstoffausgleichsabgabe noch schneller zu den gewünschten Ergebnissen kommen.Jetzt zum ersten Teil Ihrer Frage. Ich bin nicht das Sprachrohr von Herrn Abgeordneten Hauff.
Ich füge jedoch ausdrücklich hinzu: Es wäre gut, wenn Sie seine Ausführungen nachlesen würden.
Er hat ausdrücklich noch einen Schritt über die Intention von Nordrhein-Westfalen hinaus getan.
Er hat hier nämlich gesagt: Wir müssen eigentlich im Bereich der Umweltschutzinvestitionen über den Ansatz des Waldsterbens und anderer Dinge hinausgehen, das viel stärker in Betracht ziehen. Der Vorschlag, den er hier in die Diskussion gebracht hat — Sondervermögen Arbeit und Umwelt, Umlage und Abgabe pro Kilowattstunde, pro Energieträger, was auch immer, Heizgas, was Sie auch immer als Refinanzierungsinstrument nehmen —, ist im Prinzip nichts anderes als quasi ein Gemeinlastprinzip, um noch mehr Umweltschutzinvestitionen finanzieren zu können und auch das Problem Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen. Wir haben nur den begrenzten Ansatz einer zweckgebundenen Abgabe auf elektrische Leistung. Von da aus geht Herr Hauff noch viel weiter, als wir es mit unserem Ansatz in Nordrhein-Westfalen gefunden haben. Insoweit gibt es in der Grundauffassung, daß
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Minister Einert
auch für solche Bereiche das Gemeinlastprinzip gelten muß, keine prinzipielle Unterscheidung.
Würden Sie noch eine weitere Zwischenfrage zulassen? — Herr Dr. Göhner, bitte.
Herr Einert, nachdem Sie eben deutlichgemacht haben, daß die Schadstoffausgleichsabgabe für Sie obsolet sei, wenn die EVUs vorzeitig über die festgesetzten Grenzwerte hinaus die Schadstoffemissionen vermindern, darf ich das als Ankündigung der Rücknahme Ihres dann überflüssigen Gesetzentwurfes verstehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, wir sollten eines nicht tun, verehrter Herr Abgeordneter. Wir sollten nicht mit Vorbedacht ständig aneinander vorbeireden.
Ich habe sehr konkret gesagt: Ich vertraue darauf, wenn man das, was bisher an Ankündigungen geschehen ist und was bis zum 30. Juni dieses Jahres — das ist das Ende der Frist, in der sich die EVUs erklären müssen — an verbindlichen Investitionsentscheidungen vorgelegt worden ist, aufaddiert, dann kann man über diese Frage durchaus erneut diskutieren. Uns geht es hier doch nicht um Prinzipienreiterei, sondern um die noch schnellere Durchführung von Umweltschutz, den wir alle gemeinsam erreichen wollen.
— Ich habe nicht gesagt, das ist obsolet, sondern ich habe gesagt: Ich habe die Hoffnung, das das obsolet werden kann.Dann wird an unserem Ansatz häufig Kritik dahin gehend geäußert, daß das nichts anderes als eine Verteilung kreuz und quer sei, daß die Verwaltungskosten zu hoch seien. Zahlen über hohe Verwaltungskosten hat noch niemand genannt. Natürlich kostet der Vollzug von Gesetzen auch Geld. Das spricht aber nicht gegen das Gesetz. Wichtig ist allerdings, unnötige Kosten beim Vollzug zu vermeiden. Da kann man ja gute Organisationsformen finden. Ich nenne einmal das heute schon erwähnte Beispiel der Abwasserabgabe.Nach einem Erfahrungsbericht des Bundesministers des Innern vom August 1983 ergeben sich hinsichtlich des Aufkommens an Abwasserabgabe und der entstehenden Verwaltungskosten zwischen den Bundesländern ganz seltsame Relationen. Man kann z. B. in dem Bericht nachlesen — das ist sehr interessant; ich empfehle das einmal Ihrer Aufmerksamkeit —, daß in manchen Ländern der Verwaltungskostenaufwand bisher fast die Hälfte des Abgabenaufkommens verschlingt. Im Süden tut man sich da anscheinend besonders schwer. Wir in Nordrhein-Westfalen haben den Vollzug so organisiert — eine Behörde, EDV —, daß wir lediglich einen Kostenanteil von 4,7 % einschließlich der Überwachung der Einleitungen haben.Von daher war mir auch das Argument des Herrn Abgeordneten Baum etwas unverständlich, der aus Gründen der zu hohen Verwaltungskosten gegen eine solche Abgabe ist. Wenn man sich mit der Realität beschäftigt, wird man, glaube ich, feststellen, daß es etwas anders aussieht. Die Aufgabenstellung ist im Land Nordrhein-Westfalen mit rund 1 300 Einleitern aus Industrie und Gewerbe prinzipiell auch nicht anders als anderswo.Übrigens: Bei dem berühmten Kohlepfennig, der ja auch umgelegt und verwaltet wird — Gesamtausgaben rund 2 Milliarden DM, Personal- und Sachkosten 5 Millionen DM —, beträgt der Verwaltungskostenanteil 0,25%. Ich glaube, man sollte daher den Horrortyp der Verwaltungskosten nicht gar zu hoch ansetzen.Letzte Bemerkung: Auch wir in Nordrhein-Westfalen haben die gleichen Ansätze. Leider ist der Kollege von Baden-Württemberg schon weg. Das Musterländle wird j a immer wieder genannt,
und Ministerpräsident Späth hat am letzten Freitag im Bundesrat j a erst wieder den Eindruck zu erwecken versucht, als wäre er auf der Galopprennbahn der Luftreinhaltung der absolute Champion, der ständig die Nase vorn hat. Vielleicht hat er hin und wieder nur den angefeuchteten Zeigefinger im Wind. Aber was ich sagen will — das ist als ein ganz sachlicher Hinweis gedacht —: Auch in NordrheinWestfalen wird die Verringerung ganz erheblich sein.Immerhin ist das Volumen bei uns etwa zehnmal so hoch wie in Baden-Württemberg. Wir haben alleine 200 Großfeuerungsanlagen mit über 50 MW und annähernd 1000 Einzelfeuerungen. Bei uns werden immerhin 92 % der Braunkohle, 95% der Steinkohle, über 50% der elektrischen Energie, 75% an Kohle und Stahl und 42 % aller chemischen Produkte erzeugt. Von daher ist bei uns die Belastung auch am größten. Aber wenn wir das durchhalten, was wir in ersten Gesprächen mit den Betreibern festzulegen versucht haben, wenn die Erklärungen eingehalten werden, die bisher abgegeben worden sind, werden wir für den Bereich SO2 davon ausgehen können, daß wir von 965 000 Tonnen im Jahr 1981 auf über 330 000 Tonnen im Jahr 1988 und im Jahr 1993 auf ein Viertel, nämlich auf rund 237 000 Tonnen absinken werden.
Also auch insoweit versuchen wir, nicht hinter dem berühmten Musterländle herzuhinken.Das wird allerdings für die Wirtschaftsstruktur des Landes Nordrhein-Westfalen nachhaltig nur dann funktionieren, wenn dieses Hohe Haus und alle Parteien den Grundsatz des Kohlevorrangs, der sicheren Energieversorgung durch Kohle auch in Zukunft nicht nur als Lippenbekenntnis auffassen, sondern so ernst nehmen wie in der Vergangenheit.
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3818 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Minister Einert Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesinnenminister hat heute zu Beginn dieser Debatte den Kampf gegen verkehrsbedingte Abgasschadstoffe als die Jahrhundertaufgabe des Umweltschutzes überhaupt bezeichnet. Ich will darauf zurückkommen, denn eine so breit angelegte Umweltdebatte muß in der Tat das Auto, des Deutschen liebstes Kind, stärker in den Mittelpunkt rücken; denn es ist einer von Deutschlands größten Luftverschmutzern. Selbst der Verband der Automobilindustrie räumt offiziell ein — übrigens in Übereinstimmung mit allen anderen Expertenmeinungen —, daß von den Giften in der Luft, in der wir leben, das Kohlenmonoxid zu 67 %, Stickoxid zu 45 % und der Kohlenwasserstoff zu 37 % aus den Auspuffrohren unserer fahrbaren Untersätze stammen,
auch, Herr Duve, aus dem Untersatz, den Sie gelegentlich benutzen, auch wenn Sie hier ständig so tun, als würden Sie nur in öffentlichen Personennahverkehrsmitteln herumsausen.Täglich blasen wir 14 800 Tonnen CO, 3 800 Tonnen NOX und 1 600 Tonnen CH aus Verkehrsmitteln in die Luft. Das sind fast 7,5 Millionen Tonnen Gifte im Jahr. Meine Damen und Herren, das ist kein Angriff auf die Automobilindustrie. Denn sie hat eigenverantwortlich stets mehr getan, als ihr der Gesetzgeber jeweils aufgegeben hat.
— Darauf komme ich gleich.
Angesichts dieser dramatischen Zahlen muß die Politik nun schneller, sie muß konsequenter und durchgreifender handeln. Wenn wir also den Bundesinnenminister gedrängt haben, ab 1. Januar 1986 die amerikanischen Abgasgrenzwerte und eben nichts anderes, Herr Kollege Hauff, für Neufahrzeuge auf bundesdeutschen Straßen festzuschreiben, dann ist dies zumindest eine der wichtigsten umweltpolitischen Entscheidungen der 80er und 90er Jahre, und dann wird deutlich, warum die FDP nachhaltiger fordert, nötigenfalls einen nationalen Alleingang trotz aller EG-rechtlichen Hindernisse zu unternehmen. Mit Gesetzen und gutem Willen der Politiker allein ist es eben nicht getan, denn weder können wir allen Bürgern den sofortigen Neukauf schadstoffarmer Fahrzeuge verordnen, noch können wir darauf hoffen, daß bald 30 Millionen Altfahrzeuge freiwillig verschrottet oder auf umweltschonende Technik umgerüstet werden.Deshalb sind sich alle Fraktionen auch in diesem Hause einig, daß spürbare Anreize die notwendige Umstellung beschleunigen müssen. Mit Vorschlägen und Rezepten sind wir inzwischen wirklich gut versorgt. Man sollte aber dem Bundesinnenminister sagen, vielleicht ist ihm, aber eben nicht uns jedes Modell recht.Da meldete sich zuerst Hessen mit seiner gerade noch rechtzeitig vor der Landtagswahl 1983 eingebrachten Bundesratsinitiative zu Wort, zwar wählerwirksam, aber leider völlig wirklichkeitsfremd. Hessen will nämlich als Anreiz für Neukauf oder Umrüstung die Mineralölsteuer für bleifreies Benzin um 5 Pfennig senken, was nicht einmal ausreichen würde, um die herstellungsbedingten Mehrkosten für diesen Sprit aufzufangen.Aber die hessische Milchmädchenrechnung geht weiter. Bei einem jährlichen Durchschnittsverbrauch unserer Autos von 1 600 Litern würde eine solche Begünstigung pro Jahr gerade 80 DM ausmachen. Das heißt, erst nach 20 Jahren, wenn also ein Auto statistisch schon mehrfach verschrottet worden wäre, hätten sich die Anschaffungskosten für einen Katalysator amortisiert, von den Mehrkosten für Wartung und dem 5- bis 10 %igen Spritmehrverbrauch des schadstoffarmen Fahrzeugs ganz zu schweigen.Ich meine, da liegt Herr Späth mit seinem baden-württembergischen Wahlkampfbeitrag schon richtiger. Er will, daß die Kfz-Steuer für schadstoffarme Autos für vier Jahre ausgesetzt und dann für zwei Jahre nur halb erhoben wird. Wenn er aber im gleichen Atemzug die Steuer für Altfahrzeuge letztlich verdoppelt, dann ist dies nicht nur unsozial — wenn man einmal an diejenigen denkt, daß sozial Schwache, Studenten und ältere Menschen dann solche Autos noch fahren sollen —, sondern auch der schlitzohrige, j a der unredliche Versuch, in wenigen Jahren in der Gesamtrechnung unter dem Deckmantel des Umweltschutzes und auf dem Rükken der Steuerzahler Mehreinnahmen in Milliardenhöhe — bis 1993 in Höhe von 5 bis 6 Milliarden DM — zur Sanierung der Landeshaushalte hintenherum zu kassieren. Da, meine ich, sollte der Vertreter der baden-württembergischen Landesregierung dem Ministerpräsidenten Späth bitte erklären: Dafür können Sie die Zustimmung der Freien Demokraten nicht erwarten.
Wir wollen eine ehrliche, eine kostenneutrale Lösung. Dazu stellen wir als FDP, die als einzige Fraktion ein breit angelegtes Hearing zu diesen Fragen veranstaltet hat, einen eigenen Vorschlag zur Diskussion. Ausgangspunkt ist unsere schon alte Forderung, die Kraftfahrzeugsteuer ganz abzuschaffen, weil sie das Verursacherprinzip nicht beachtet und vor allem keinen Beitrag zum Energiebewußtsein und zum Umweltschutz leistet. Jetzt bietet sich die Chance dazu, indem man die Kraftfahrzeugsteuer für alle umweltfreundlichen Fahrzeuge gänzlich und auf Dauer abschafft. Für Neukauf oder Umrüstung bietet kein anderer Vorschlag so viel Anreiz, und darauf kommt es an.Die dadurch bedingten Mindereinnahmen sollen nach unserem Vorschlag durch eine maßvolle Erhöhung der Mineralölsteuer, über die dann auch die ausländischen Kraftfahrer, die unser Bundes-Straßensystem benutzen, beim Tanken mit zur Kasse gebeten würden, kombiniert mit einer angemessenen, aber insgesamt aufkommensneutralen Erhö-
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Hoffiehung der Kraftfahrzeugsteuer für nicht umgerüstete Altfahrzeuge ausgeglichen werden.
Bevor ich die Zwischenfrage gerne beantworte, Herr Duve, möchte ich noch sagen: Wer ein besseres, ausgewogeneres Modell vorlegen kann, ist uns natürlich herzlich willkommen.Ich wäre dankbar, wenn Sie sich kurzfaßten, weil meine Zeit auf wenige Minuten begrenzt ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve? — Bitte.
Herr Kollege Hoffie, den Vorschlag, den Sie eben unterbreitet haben, haben Sie als Mitglied einer Koalition gemacht. Ich wollte Sie gerne fragen: Auf welchem parlamentarischen Wege werden Sie uns diesen Vorschlag zur Beurteilung vorlegen?
Ich will es kurz skizzieren: Indem wir uns gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion im Wettbewerb um die beste Lösung der Anreizmöglichkeiten auf den Vorschlag einigen, der der ausgewogenste, gerechtigste und vernünftigste und derjenige ist, der es uns erlaubt, den Altwagenbestand möglichst schnell umzurüsten. Dann wird das eine gemeinsame Initiative beider Fraktionen sein, wenn nicht die Regierung früher zu der gleichen Einsicht kommt, daß das FDP-Modell in der Diskussion sicher seine größten Vorteile hat.
— Ich bin nicht bereit, weitere Zwischenfragen zu beantworten, da ich nur noch wenige Minuten Zeit habe. Aber wenn ich am Ende Zeit habe, können auch Sie, Herr Kollege, der sonst in diesem Haus wenig sagt, Ihre Frage loswerden.Wir unterstützen jeden vernünftigen Vorschlag, der die verkehrsbedingten Umweltbelastungen spürbar verringert, aber wir beteiligen uns eben nicht an emotional oder ideologisch motivierten Entscheidungen auf unklarer Grundlage. Die Forderung von SPD und GRÜNEN wie auch der rotgrünen Opportunisten in Hessen, unter dem fragwürdigen Vorwand von mehr Umweltschutz Tempo 100 auf Autobahnen und Tempo 80 auf Landstraßen einzuführen, ist nun wirklich ein Paradebeispiel dafür. Das Hearing im Innenausschuß hat es gezeigt. Da kommen Fachleute zu absolut gegensätzlichen Ansichten, können das sogar noch wortreich begründen. „Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen, daß Voreingenommenheiten und eine unterschiedliche Interessenlage eine große Rolle spielen." Sie schütteln den Kopf, Herr Kollege Duve. Das ist aber nicht meine Feststellung, sondern die der „Bonner Rundschau" im Kommentar vom gerade vergangenen Dienstag.Es ist wirklich unfaßbar, daß es in einer Zeit, in der wir den Weltraum erobern und die Leute dort völlig losgelöst von der Erde frei im Raum schweben, technisch nicht möglich sein soll, den Zusammenhang zwischen Tempolimit und Schadstoffausstoß wissenschaftlich auch nur halbwegs eindeutig und überzeugend darzustellen.
Das Hearing am Montag hat ja eindrucksvoll Klarheit darüber geschaffen, so daß selbst anerkannte Experten — nicht Ihnen, Herr Duve, weil Sie nicht dazuzurechnen sind —
klargeworden ist, daß eben gar nichts klar ist. Dabei ist nun großartig herumgerechnet worden, ob und welche Emotionen um 2, 3 oder 4 % bei welcher Geschwindigkeit nach oben oder nach unten gehen, wobei ganz unbestritten ist, daß die Durchschnittsgeschwindigkeit auf Autobahnen schon heute unter 105 und auf Landstraßen unter 70 Stundenkilometern liegt. Sicher ist ja wohl auch, Herr Duve, daß innerorts eben bei Tempo 50 die Hauptlast zu bewältigen ist, auch die der Luftverschmutzung.
Wer aus umweltpolitischen Gründen, meine Damen und Herren von der SPD und den GRÜNEN, die Fahrer zu weniger Tempo anhalten will, der muß es dann j a wohl, wenn Ihre Logik stimmt, wenigstens denjenigen gestatten, die mit schadstoffarmen Autos fahren, die also nicht mehr — wie die Altfahrzeuge — 90% der Schadstoffe verursachen, ungehindert weiterzufahren. Ich weiß nicht, ob Sie die Rechnung über diesen Anreiz aufmachen werden, daß künftig derjenige, der schnell ein neues, umweltfreundliches Fahrzeug kauft, auf der Autobahn freie Fahrt hat, während andere, die nicht so schnell umrüsten, Tempo 100 auf Autobahnen und Tempo 80 auf Landstraßen beachten müssen. Darüber können Sie natürlich auch mit uns vernünftig reden. Nur, dieser Vorschlag ist von Ihnen konsequenterweise nicht gekommen.
Meine Damen und Herren, die FDP wiederholt auch heute hier ihre Forderung, durch periodische Abgaskontrollen einen sofort wirksamen Beitrag zur Luftreinhaltung zu leisten,
d. h. zumindest einmal im Jahr. Ich freue mich darüber, daß die SPD, die noch bei der letzten Debatte hier in diesem Hause gesagt hat: „Alles Quatsch, das geht nicht; unsere Kraftfahrzeugwerkstätten können das nicht verkraften, schon gar nicht die TÜVs; laßt den Blödsinn mit den Abgaskontrollen", inzwischen gelernt und eingesehen hat, daß dies zwar nun nicht im Hinblick auf das Waldsterben,
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3820 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Hoffieaber für die menschliche Gesundheit ein wesentlicher Beitrag ist, im übrigen auch ein Beitrag zum Energiesparen, den jeder einzelne für sich übernehmen kann. Ich freue mich darüber, daß im Verkehrsausschuß inzwischen auch die Kollegen von der SPD zu besseren Erkenntnissen gekommen sind; denn bessere Einsichten und neue Erkenntnisse dienen ja dem Umweltschutz. Mit Ideologien, Emotionen und wirklichkeitsfremden Wunschvorstellungen werden wir nichts erreichen.Meine Damen und Herren, Umweltschutz und Verkehr stellen uns nicht nur bei der wirksamen Bekämpfung der Luftverschmutzung vor die größte Aufgabe der nächsten zehn Jahre. Die Menschen in unseren Städten und Gemeinden leiden immer stärker unter Verkehrslärm, der inzwischen jeden zweiten Bürger gesundheitlich schädigt. Deshalb hält es die FDP-Bundestagsfraktion für dringend geboten, daß nach dem Scheitern des Lärmschutzgesetzes von 1980 dieses Thema hier neu und ernsthaft aufgegriffen wird. Damals scheiterte ein Gesetz, das den Bürgern einen Rechtsanspruch auf 50% weniger Lärm gegeben hätte, am Widerstand von SPD und CDU in einer großen Koalition im Vermittlungsausschuß und anschließend hier im Plenum des Deutschen Bundestages. Es scheiterte daran, daß man den Befürchtungen der Städte und Gemeinden nachgab, die erklärten: „Ganze 36 Millionen DM jährlich mehr können wir nicht verkraften."Die Folge war, daß die neue Bundesregierung in ihrer eigenen Verantwortung eine Richtlinie für den Bundesfernstraßenausbau erlassen hat, die die damals von uns geforderten scharfen Werte für Lärmschutz bei Neubau und Straßensanierung übernommen hat, daß aber eben die Länder und vor allem alle Gemeinden mit den Lärmgrenzwerten auf breiter Front hinterherhinkten. Zu Recht fordert deshalb auch der Deutsche Städtetag eine neue Initiative. Wir werden diese Bemühungen nachdrücklich unterstützen.Abschließend, meine Damen und Herren:
Wir bleiben bei unserer Auffassung, daß auch Straßenbau nach Maß, nämlich überall dort, wo er z. B. durch die Anlage ortskernentlastender Umgehungsstraßen die Menschen vor Lärm und Abgas, unter denen sie seit Jahrzehnten leiden, befreit, eine unverzichtbare Aufgabe auch und vor allem des Umweltschutzes ist, und zwar gegen alle Eiferer, die Landschaftsverbrauch heute noch höher bewerten als die Gesundheit der Menschen; aber auf diese kommt es vor allem an.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Drabiniok.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Freundinnen und Freunde! Ich habe eine sehr knappe Redezeit.Es reizt mich ja richtig, auf den Herrn Hoffie einzusteigen.
Ich habe hier aber ein Konzept über die Meeresverschmutzung.Gestatten Sie mir aber doch wenigstens einen Satz. Herr Hoffie, Ihre Einstellung zum Auto und zur Geschwindigkeit wurde mir bei unserer ersten Obleute-Besprechung deutlich, als Sie mit den strahlenden Augen eines Kindes vor dem Christbaum von Ihrem Einfahrerlebnis mit einem Lamborghini berichteten.
Ich komme jetzt zu meinem Konzept.
— Über Auto, Verkehr und Geschwindigkeit unterhalten wir uns hier nicht.
— Ich fahre einen Ford Transit.
— GTI.
Ich möchte jetzt zum Thema kommen.
— Danke.
— Das paßt eigentlich jetzt gar nicht so richtig darauf.Die Behauptung, daß die Nordsee wie der Wald vom Sterben bedroht ist, wird Ihnen wie Panikmache vorkommen. Trotzdem ist sie zutreffend. Als Panikmache wurde schon vor 22 Jahren die vom Chef der Vogelwarte Helgoland, Dr. Vauk, aufgestellte Behauptung abgetan, daß abgelassenes Tankeröl die Nordsee langsam vergiften würde. Seit dieser Zeit führte er Buch über das Vogelsterben auf Helgoland.1982 hat Dr. Vauk vorausgesagt, daß 1983 ein Rekordjahr für Vogelleichen würde. Wieder wurde ihm Panikmache vorgeworfen. Dann sammelte er allein in den ersten drei Monaten 1983 mehr tote Vögel ein, als 1982 insgesamt gefunden wurden.Das Unglaublichste kommt aber erst jetzt: Im Innenministerium wurde dazu verkündet, man wisse nicht, wer die wirklichen Verursacher der Ölvergiftung seien. — Ja, spinnen die denn da alle?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3821
DrabiniokIch bin zwar kein Studierter, aber soviel weiß ich: Fische brauchen keinen Ölwechsel zu machen.
Ich weiß auch wie jeder andere, der sich dafür interessiert, daß jährlich viele tausend Schiffe mit Öl Wilhelmshaven, Bremen oder Bremerhaven anlaufen und daß in der Nordsee nach Öl gebohrt wird.Für die fast 100 000 Öl- und Chemietanker, die jedes Jahr von Hafen zu Hafen fahren, gibt es ein Problem: Sie müssen ihre Tanks nach dem Löschen der Ladung reinigen. Die Reinigung geschieht auf See. So gelangen zu den vielen tausend Tonnen Giftstoffen, dei mit den Flüssen transportiert werden, einige hunderttausend Tonnen zum Teil hochgiftige Chemikalien und Öl in die Nordsee.Der Bau von Auffanganlagen für die Waschwässer der Öl- und Chemietanker muß deshalb die vorrangige Aufgabe der Bundesregierung sein, wenn sie ihre proklamierte Verantwortung für die Umwelt nicht selber Lügen strafen will.Wie Hohn und Spott auf die Situation der Nordsee liest sich die Presseerklärung des Bundesverkehrsministers vom 31. Januar 1984, in der er die Luftüberwachung von Ölverschmutzung in der Nordsee positiv bewertet. Da heißt es:Bis zum Ende des Jahre 1983 wurden insgesamt 57 Flüge mit einer Dauer von insgesamt 72 Stunden über dem deutschen Festlandsockel durchgeführt. Dabei wurden insgesamt 102 Fälle von Verunreinigungen festgestellt. In 11 Fällen wurden die mutmaßlichen Verursacher der Verschmutzung identifiziert und an die zuständigen Vollzugskräfte des Bundes und der Länder gemeldet. Staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Gewässerverunreinigung wurden in fünf Fällen eingeleitet.In 72 Stunden wurden 102 Fälle von Verunreinigung festgestellt! Ein Monat hat 720 Stunden. Das Jahr hat 12 Monate. Jeden Tag und jede Nacht fahren und reinigen die Schiffe.
Selbst wenn die Bundesregierung den Vertrag mit den Holländern, den sie über 300 Flugstunden abgeschlossen hat, einhält, reicht das noch lange nicht aus, um die vernünftige Überwachung der Nordsee vor Verschmutzung zu gewährleisten.
Wenn der günstigste Fall angenommen wird und tatsächlich nur 1 cbm Chemikalien pro Tag mit dem Waschwasser außenbords geht — durchschnittlich hat ein Schiff 20 Tanks —, sind das pro Reinigung des Schiffes 20 000 Liter Chemikalien, also ungefähr ein Tanklastzug voll.Ein Grund, warum die Bundesregierung seit Jahren zögert, eine eigene Luftüberwachung für die Nordsee zu installieren, ist sicherlich, daß sie die Reeder nicht schädigen will. Denn derjenige, der die Nordsee verschmutzt, muß mit Geldbußen rechnen. Aber da es keine Auffanganlagen für Chemieabwässer gibt und nur wenige für Öl, sind diese Kapitäne gezwungen, ihr Gift in die Nordsee zu schütten. Deshalb muß der Bau von Auffanganlagen unverzüglich in Angriff genommen werden. Die seit Jahren zur Verfügung stehenden Fluggeräte zur Luftüberwachung müssen umgehend umgerüstet werden und zum Einsatz kommen, nicht erst irgendwann 1985. Die Diskussion um die Flugzeuge läuft ja auch schon seit Jahren.Die Regierungen, so erscheint es mir, handeln nach dem Motto: Ich glaube nur, was ich sehe, und tue nur das, was die Konzerne nicht verärgert. Während der Wald und die Nordsee sterben, sitzen die Verantwortlichen hier herum und geben sich Mühe, noch mehr Papier vollzuschreiben, statt einmal umzusetzen, was seit Jahren erkannt und dringend geboten ist. Ich bin sicher, daß, wenn noch ein Redner zur Meeresverschmutzung redet, er alles das, was ich hier erzählt habe, erst einmal als Unfug und halb so schlimm abmildern wird.
— Na, das war es noch nicht. Ich möchte noch einen Satz sagen. Da nämlich alles das wahrscheinlich heruntergemacht werden wird, möchte ich ankündigen, daß es im Oktober/November einen Kongreß gegen die Zerstörung der Nordsee geben wird, der am Wochenende vor der offiziellen Nordseekonferenz der Regierungen von Umweltschutzverbänden durchgeführt wird. Da werden sicherlich interessante Ergebnisse zu erwarten sein, und ich bin einmal gespannt, wie die Bundesregierung mit ihren Konzepten dann die Meeresschutzpolitik fortführen wird. Das, was bisher geschieht, ist zuwenig.Ich danke.
Das Wort hat der Abgeordnete Kiehm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Innenminister hat sich hier verabschiedet in einem Appell, sich der gemeinsamen — —
— Wenn wir uns alle ein bißchen disziplinieren, sind wir auch nach sechs Stunden noch in der Lage, aufeinander zu hören. Es ist manchmal die Schwierigkeit, ob Sie das durchhalten werden. — Der Innenminister hat sich hier verabschiedet mit dem Appell, sich der gemeinsamen Ziele bewußt zu werden. Wenn ich mir einmal den Ablauf der letzten Innenausschußsitzungen und hier der Plenarsitzung vor Augen führe, stelle ich fest, daß es viel Gemeinsamkeiten in Appellen gibt. Wir haben in der Beratung des Innenausschusses gegenüber Ihrem Entschließungsantrag Verständnis gezeigt und festgestellt, daß wir an bestimmten Punkten mit
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3822 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
KiehmIhnen übereinstimmen. Das Problem beginnt dort, wo wir von dieser Regierung erwarten, daß sie eine Perspektive aufzeigt, damit wir nicht sozusagen von der Hand in den Mund leben müssen, sondern von dieser Regierung erfahren, nach welchen Maßstäben sie Ziele bestimmt und welche Maßstäbe sie einsetzt, um diese Ziele zu erreichen.
Wir werden unsere Zustimmung jeweils davon abhängig machen, in welchem Umfang hier Gemeinsamkeit zum Erreichen von Zielen nötig ist.Hier will ich aus den schlimmen Erfahrungen des Innenausschusses berichten. Da wird davon gesprochen, daß staatliche Lenkung als Teil der Bürokratie gilt. Dann besinnt man sich eines Besseren, weil das wohl nicht aufrechtzuerhalten ist, und spricht davon, daß staatliche Lenkung nur angebracht ist, soweit es nötig ist, wobei im Dunkeln bleibt, was Maßstab für das Nötige ist. Im übrigen verweist man auf die Marktwirtschaft, die ja nun nicht nur sozial sein soll, sondern die auch noch ökologisch bestimmt sein soll. Auch hier bleibt im Dunkeln, was das als Perspektive gesehen bedeutet.Nun sind wir nicht soweit gegangen wie der Kollege Baum, der heute morgen erklärt hat, der Staat müsse seine Zähne zeigen, sondern wir haben lediglich den Versuch gemacht, zu erklären, wie wir uns die Prinzipien staatlicher Lenkung vorstellen: Staatliche Lenkung ist soweit anzuwenden, wie sie zum Schutz der Umwelt und zur Erhaltung des gesellschaftlichen Wohlstandes gegenüber einzelwirtschaftlichen Interessen notwendig ist. — Ablehnung durch die CDU. Die Kombination von Verweis auf Marktwirtschaft und fehlender Definition dessen, was staatliche Lenkung ist, wirft einen Schatten auf Ihre Umweltschutzpolitik. Wir halten sie für eine Umweltpolitik im Zwielicht. Sie tun gut daran, sie aus dem Zwielicht herauszuholen, wenn es überhaupt noch den Ansatz einer gemeinschaftlichen Arbeit an diesem Thema geben soll.Der Kollege Schmidbauer hat hier gesagt:Fortschritt im Umweltschutz ist nur zu erreichen, wenn der politische Wille vorhanden ist.
D'accord, nur müssen wir nach dem Vorgesagten befürchten, daß Umweltschutz bei Ihnen nur so lange und soweit betrieben wird, wie er mit anderen Politikzielen nicht in Kollision gerät.
Die Maximalposition müßte doch sein: Die Ziele des Umweltschutzes haben andere Politikziele weitgehend zu beeinflussen.
Mindestens werden, da wir uns nicht vorstellen können, daß Ökonomie und Ökologie sozusagen von Natur aus ein harmonisches Dasein führen, die Konflikte zwischen wirtschaftspolitischen Vorstellungen und den Zielen des Umweltschutzes offenzulegen sein. Das muß dann hier ausgetragen werden.
Wenn wir nicht nur technische Debatten führen wollen, sondern Umweltschutz als politische Aufgabe ansehen, werden wir uns auch dieser Aufgabe stellen müssen und können nicht dauernd ausweichen.Wenn wir über Kosten, über Produkte, über Produktionsweisen redeten, über das so entstandene betriebliche Interessenpotential, über Unternehmensinteressen, würden wir sehr schnell feststellen, daß man nicht so einfach davon sprechen kann, daß es eine Differenz zwischen ökologischen und gesellschaftlichen Interessen auf der einen Seite und wirtschaftlichen Interessen auf der anderen Seite gar nicht gebe. Genau darum geht es. Wir meinen nur, daß sie sich nicht dauerhaft ausschließen, aber der Konflikt ist vorhanden, und er muß ausgetragen werden.Meine Damen und Herren, Klarheit über Ziele und Klarheit über Wege, Mittel und Instrumente, die man einsetzt, ist nicht nur sozusagen im politischen Klärungsprozeß wichtig, sondern auch, um zu erreichen, daß sich eine Industrie langfristig auf das einstellen kann, was sie von dieser Mehrheitsfraktion zu erwarten hat. Das ist auch wichtig, um kalkulieren zu können, mit welchen gesetzlichen Vorschriften wir nicht für die nächsten vier Wochen, sondern für die nächsten vier Jahre zu rechnen haben. Das ist auch wichtig — und wir sollten das nicht kleiner machen — für die vielen Behörden draußen im Lande, die am Vollzug des Umweltschutzes arbeiten und deren Wirken sehr weitgehend davon abhängt, ob sie von Ihnen überzeugt werden können, diese Arbeit nicht als Lakaien einer Politik zu tun, die Umweltschutz im Grunde nur als Nebenprodukt kennt, sondern als Teil einer Bürokratie, die Umweltschutz als Aufgabe und nicht nur als Zuständigkeit begreift.
— Das sind keine Schlagworte. Wenn wir nachher darüber reden werden, wie Sie mit Gesetzesvorhaben umgehen und daß die Antwort Ihrer eigenen Regierung auf die Große Anfrage zum Sondermüll davon spricht, daß die personelle, die sächliche Ausstattung, die Information über Ziele Hindernisse seien, werden Sie mir sehr bald zustimmen müssen, daß Sie an dieser Stelle erst einmal gezwungen sind, klar zu sein.
Einige Bemerkungen zur Gesetzgebung des Bundes. Wenn Sie die Antworten auf die Großen Anfragen durchblättern, werden Sie sehen, daß in vielen Fällen neue Verwaltungsrichtlinien auf den Weg gebracht werden sollen. Wir stellen uns vor, daß bei einigen Positionen deutliche Veränderungen im Gesetzesverfahren notwendig sind. Warum machen Sie z. B. keinen Gebrauch von der Empfehlung der
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KiehmArbeitsgruppe der Umweltschutzministerkonferenz, § 5 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu ergänzen, der die Möglichkeit schafft, den Widerruf einer Genehmigung zu erreichen, wenn die Anlage nach Ablauf einer bestimmten Frist seit der Inbetriebnahme nicht mehr dem Stand der Technik entspricht? Wir können nur hoffen, daß das Wirklichkeit wird, was Sie im Abwasserbericht schreiben, nämlich das sich zwischen Wasserhaushaltsgesetz und Abwasserabgabengesetz eine Zangenwirkung ergeben kann. Dann müssen Sie die Zange aber auch schärfen. Dann müssen Sie bereit sein, § 7 des Wasserhaushaltsgesetzes zu verändern, damit hier nicht mehr auf allgemein anerkannte Regeln der Technik abgehoben wird, sondern auf das, was in anderen Umweltschutzgesetzen schon Gegenstand ist, nämlich auf den jeweiligen Stand der Technik.
Das ist nicht nur Formulierungskunst, sondern dahinter steht akuter politischer Handlungsbedarf.
Es bleibt zu fragen, ob es ausreicht, neue Interpretationen für die Anwendung des berühmt-berüchtigten § 17 Abs. 2 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu schaffen. Nach dieser Bestimmung können nachträgliche Anordnungen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen nicht erlassen werden, wenn die Anordnung für den Störer wirtschaftlich nicht vertretbar ist. Das kann keine dauerhafte Lösung für unsere Probleme sein. Die SPD stellt die Frage nach der Notwendigkeit dieser Bestimmung. Wir sind der Meinung, daß bei ständig wachsenden Altlasten eine sofortige Modifizierung, die den Ansprüchen des Umweltschutzes dient, durchgesetzt werden muß. Noch besser wäre die Streichung.
Meine Damen und Herren, ein letztes Wort zur Frage des Zusammenwirkens zwischen Bund und Ländern. Der Innenminister hat sich auf den Standpunkt gestellt, hierbei sei es notwendig, die Zuständigkeiten zu sehen. Wir haben hier von den erheblichen Schwierigkeiten des Landes Nordrhein-Westfalen gehört. Wir können es auch an anderen Beispielen festmachen. Wir wissen, daß Müll in anderen Ländern produziert wird als dort, wo er abgeladen wird. Es gibt Müllverkehr nicht nur über die deutschen Grenzen hinweg, sondern auch innerhalb unseres Landes. Warum machen Sie nicht den gleichen Versuch, den die holländischen Parlamentarier unternommen haben, eben nicht nur zu beschließen, wie Bodenschutz in ein Gesetz gebracht werden kann, sondern gleichzeitig mit festzulegen, wie dieser Staat durch ein Sanierungsprogramm das Seine dazu beitragen kann? Wenn wir weniger auf Zuständigkeiten und statt dessen mehr auf gesamtstaatliche Solidarität gucken, machen wir Fortschritte. Sonst bleibt es beim Status quo.
Das Wort hat der Abgeordnete Fellner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich meine, die Vielfalt der Tagesordnungspunkte und der Umfang der Tagesordnung sind doch wohl ein Hinweis auf die umfangreichen Aktivitäten zum Thema Umweltschutz sowohl von seiten der Regierung als auch aus der Mitte des Hauses. Man sollte sich darüber — die Frau Kollegin Vollmer ist jetzt leider nicht mehr da — nicht beschweren. Vor allen Dingen sollte man nicht sozusagen im Handstreich eine Diskussion über eine Grundgesetzänderung verlangen. Ich glaube, gerade dieses Thema verdient es, daß wir uns hier in diesem Hause viel ordentlicher und viel intensiver damit beschäftigen.
Meine Herren von den GRÜNEN, die Anwesenheit ist heute nicht übermäßig groß. Wahrscheinlich haben wir heute auch nicht die Gunst der Medien, da diese ein interessanteres Thema haben, nämlich das Thema Bastian. Meine Herren von den GRÜNEN, an Ihnen sieht man ja, daß, wenn es um den Machterhalt geht, dieser im Zweifel interessanter ist, als hier an einer Umweltschutzdebatte teilzunehmen.
Meine Damen und Herren, die SPD hat unsere Tagesordnung noch um die Beratung eines eigenen Antrags ergänzt, der wahrlich kein Meisterstück ist.
Als ich ihn auf den Tisch bekommen habe, habe ich gleich gedacht: Frau Hartenstein kann das nicht gemacht haben; ich habe eigentlich eher auf den Kollegen Schäfer getippt. Nach der Rede vom Hauff habe ich dann allerdings eher den Eindruck gewonnen, daß wahrscheinlich er diesen Antrag entworfen hat. Denn er war, wie ich schon sagte, wirklich kein Meisterstück.
Ich meine, es wäre besser gewesen — Herr Kollege Kiehm, Sie sind ja darauf eingegangen, daß wir unseren Entschließungsantrag im Innenausschuß sehr sorgfältig beraten haben —, wenn Sie an unseren Entschließungsantrag angefügt hätten, was Ihre Hobbies und Ihre Interessen sind. Wir hätten das dann zwar auch ablehnen müssen,
aber wir hätten es dann mit weniger Entschlossenheit tun können.
— Also, Herr Hauff, vorhin ist Ihnen vom Kollegen Ehmke in Sachen Umweltschutz grüne Patina attestiert worden. Wenn ich das so ansehe, dann weiß ich nicht, ob das, was da an Ihnen grün geworden
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Fellnerist, unter Umständen nicht vielleicht sogar Moos ist.
Denn die Instrumente, die Sie vorschlagen — das ist ja auch der Punkt gewesen, Herr Kiehm, an dem wir nicht weitergekommen sind —, sind eben überhaupt nichts Neues. Da kommen wir eben nicht gemeinsam weiter: Wir wollen marktwirtschaftliche Instrumente, und Sie wollen alles mit Abgaben, mit mehr Belastungen und auf dem Wege von Verordnung erledigen. Ich bin Ihnen nicht böse, wenn Sie das wollen, aber gestatten Sie uns doch bitte, die wir die Verantwortung tragen, daß wir die Dinge so regeln und erledigen, wie wir das wollen.
Herr Abgeordneter Fellner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hauff?
Nein. Ich bitte um Verständnis, daß ich keine Zwischenfrage zulasse. Denn er will ja sowieso nichts fragen, sondern nur auf meine Kosten etwas sagen; dazu bin ich nicht bereit.
Herr Hauff, Sie haben durch Ihre ganze Rede hindurch Zweifel an der Durchsetzungsfähigkeit des Ministers geäußert. Das ist im Augenblick ja auch das einzige, das Sie noch aufs Tapet bringen können. Wenn Sie sich die Chronik des Jahres 1983 und die Wochenchronik des Jahres 1984 anschauen, dann werden Sie feststellen, daß Sie keine Zweifel zu haben brauchen. Sie brauchen vor allen Dingen keine Sorge zu haben, daß sich der Innenminister etwa von der Automobilindustrie oder der Mineralölindustrie die Butter vom Brot nehmen lassen wird. Er hat im übrigen keine Sorge vor Strauß, und er wird dann auch vor Kuenheim und anderen keine Sorge haben. Wie schätzen die Leistungen dieser Herren, die Leistungen der Automobilindustrie durchaus, aber ich denke, wir sollten uns durch diese Herren nicht davon abhalten lassen, sie zu zusätzlichen Anstrengungen anzuspornen.
Wir sind der Meinung, daß die deutsche Automobilindustrie in der Lage ist, auch diese Herausforderungen zu bewältigen.
Noch eines, Herr Hauff: Die Ungeduld der Bürger gegenüber all den Aktivitäten, die wir hier entwikkeln können, mißbrauchen Sie für Ihre Polemik.
Sie benutzen die Sorgen der Bürger, die meinen, es müßte schneller gehen. Sie wissen aber selber sehr gut, daß es eben leider nicht schneller geht und daß vieles nicht so einfach ist, wie man es in großen Deklarationen und Papieren darstellen kann. Sie wissen aus langen Jahren der Regierungszeit, daß die Probleme, wenn es um Detailfragen geht, schwieriger sind.
Ich möchte nur ein Beispiel anführen: Sie haben dem Minister vorgeworfen, es gehe mit entsprechenden detaillierten Vorschriften für die Automobilindustrie nicht vorwärts. Nehmen wir das Stichwort Testzyklen: Mir kommt es darauf an, daß die Testzyklen für unsere Kfz in der Bundesrepublik Deutschland ab 1986 wirklichkeitsnah gestaltet sind. Was nützt es, wenn wir locker einen Test übernehmen, der die Fahrgewohnheiten und die — —
— Wir werden den USA-Test übernehmen und ihn an unsere Gegebenheiten anpassen. Denn was nutzt es uns, wenn wir Fahrzyklen übernehmen, die in den Bereichen, in denen in Deutschland meist nicht gefahren wird, sehr gute Abgaswerte garantieren, aber in den Bereichen, in denen der deutsche Autofahrer überwiegend fährt und in denen er angesichts der deutschen Gegebenheiten fahren muß, eine um so höhere Abgasbelastung aufweisen.
Wir müssen uns die Zeit nehmen, um das sorgfältig auszuarbeiten.
— Herr Hauff, sorgen Sie sich nicht um die Automobilindustrie! Die Automobilindustrie weiß sehr wohl, was wir wollen, und die Automobilindustrie arbeitet auch sehr intensiv an entsprechenden Lösungen. Übrigens weiß auch die Automobilindustrie in Japan, was wir wollen. Erstaunlicherweise — auch das sollten wir unseren Bürgern einmal sagen
— haben die Japaner — Herr Kollege Ehmke, ich nehme sie als unverdächtigen Zeugen — eine unheimliche Scheu und eine unheimliche Angst davor, daß wir die Abgaswerte und die Tests so einführen, wie wir es jetzt ankündigen. Dabei haben sie doch den Katalysator. Aber sie haben keinen Katalysator, der bei unseren Gegebenheiten und bei unseren Straßenverhältnissen die Wirksamkeit in vollem Umfang garantiert.
Herr Ehmke, weil ich gerade bei Ihnen bin, ein Wort zu Ihren Sorgen, daß wir z. B. das, was wir in Japan kennengelernt haben, nicht in ausreichendem Umfang übernehmen würden. Sie haben das Stichwort Denox-Anlagen angesprochen. Ich darf Ihnen aus einer Presseerklärung des Innenministeriums vom 24. Januar vortragen. Als ersten Schritt sieht der Minister den Einsatz moderner Feuerungstechnik in bestehenden Anlagen an. Damit kann bereits eine erhebliche und deutliche Verbesserung auf dem Weg zur Reduzierung der Luftverschmutzung erreicht werden. Weitere Maßnahmen müssen aber folgen, erklärt der Bundesinnenminister. Er verweist dabei auf die Möglichkeit der Weiterentwicklung der Katalysatortechnologie nach japanischem Vorbild sowie vergleichbare eigenständige Techniken.
Herr Abgeordneter Fellner, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3825
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage.
— Aber Herr Hauff, dann hätte ich mir doch nicht so viel Zeit genommen, um das zu sagen, was zu Ihren Ausführungen zu sagen war.
— Ich wäre auch bereit, das noch weiter zu tun, aber es geht zu Lasten meiner Zeit.
Ich wollte dem Kollegen Ehmke eine Wette anbieten. Wir werden ja sehen, was in Hessen bei den Kraftwerken mit den entsprechenden Entstikkungsanlagen geschieht. Wir wollen es einmal abwarten. Dort werden Sie ebenfalls sehen, wie schwierig die Realität ist und wie groß die Unterschiede zwischen unseren Kraftwerken und Feuerungsanlagen und denen in Japan in Wirklichkeit sind.
Herr Abgeordneter Fellner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hauff?
Er macht es ja nur, um mir die Zeit zu stehlen. Ich genehmige keine Zwischenfrage.
— Was stört es mich, wenn jemand „Feigling" zu mir sagt!Ich möchte noch auf den Herrn Minister Einert eingehen, der — ganz spektakulär, wie ich denke — erklärt hat, er bestreite nicht, daß die Landwirtschaft als Umweltschützer Nr. 1 bezeichnet werden kann. Er hat es dann allerdings sehr schnell deutlich relativiert. Gerade unter dem Stichwort Bodenschutz hat er das Ganze sehr, sehr relativiert. Am Schluß ist es doch wieder darauf hinausgekommen, daß der Landwirt und die Landwirtschaft in erster Linie auf der Anklagebank stehen, jedenfalls bei ihm, wenn es um die Probleme des Bodenschutzes geht. Ich glaube, daß uns gerade die Thematik saurer Regen gezeigt haben sollte, daß der Landwirt hier nicht derjenige ist, den man auf die Anklagebank stellen muß,
sondern daß er leider derjenige ist, der durch die Umwelteinflüsse am allermeisten geschädigt ist;
denn die Schadstoffe, deren Eintrag und Anreicherung im Boden wir zu beklagen haben, kommen eben nur zu einem geringen Teil aus der Landwirtschaft und zum überwiegenden Teil aus anderen Quellen. Ich nenne nur Schwermetalle, schwer abbaubare Stoffe und Säurebildner. Beim Thema Nitratbelastung dürfte es nicht wesentlich anderssein. Auch hier kommt der überwiegende Anteil aus anderen Quellen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein Wort zum Thema Abfallwirtschaft sagen. Die SPD meint ja hier offenbar sie habe allein mit der Wahl des Wortes „Abfallwirtschaft" statt „Abfallbeseitigung" etwas ganz besonders Neues kreiert. Daß dem nicht so sein kann, geht schon aus der Tatsache hervor, daß die Regierung schon sei einiger Zeit an einer weitergehenden Novellierung des Abfallbeseitigungsgesetzes arbeitet, in deren Mittelpunkt ein Verwertungsgebot für Abfälle stehen wird. Ich begrüße dies ausdrücklich. Es entspricht im übrigen auch einer Forderung in unserem Entschließungsantrag.Ich meine aber, daß es neben diesen mehr in die Zukunft reichenden Überlegungen zunächst noch einiges zu bereinigen gilt, was uns als Aufgabe vor dem Hintergrund der Affäre um die Seveso-Abfälle geblieben ist. Auch die SPD fordert ja besondere Anstrengungen, beim EG-Ministerrat eine entsprechende Richtlinie zur Überwachung und Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung von gefährlichen Abfällen zu verabschieden. Ich meine, wer die Probleme kennt, weiß, daß die Regierung hier ein hartes Stück Arbeit hat. Die Unterstützung der SPD wird hier bestimmt nicht schaden.Ich muß in diesem Zusammenhang allerdings auf eine gänzlich unverständliche Äußerung der SPD-Abgeordneten Beate Weber in den „Tagesthemen" vom 24. Januar 1984 eingehen, wo diese — wie ich meine, völlig unqualifiziert — gegen die Bundesregierung zu Felde zieht. Sie beschwert sich nämlich darüber, daß die Bundesregierung im Dezember des vergangenen Jahres einem europäischen Gesetz — sie meint wohl eben diese Richtlinie — nicht zugestimmt habe. Was war denn der Sachverhalt? Die Bundesregierung hat nicht zugestimmt, weil ihr die beabsichtigte EG-Regelung nicht restriktiv genug war. Das war der Grund, warum sie nicht zugestimmt hat; denn die Richtlinie hätte in der damaligen Form dazu geführt, daß wir unsere strengen Bestimmungen über Einfuhr, Export und Transit von gefährlichen Stoffen, wie sie schon am 14. September 1983 in einer Novelle zum Abfallbeseitigungsgesetz vom Kabinett beschlossen wurden, wieder hätten lockern müssen. Dann erklärte die SPD-Dame noch, sie könne sich nur vorstellen, daß Industrieinteressen dahinterstünden. Ich kann mir nur vorstellen, daß da totale Unkenntnis der Probleme oder gar Böswilligkeit bei dieser SPD-Dame dahintersteht.Noch ein Wort zur Wasserreinhaltung, zum Gewässerschutz. Es ist eben das Stichwort Nordsee gefallen. Ich erdreiste mich als Bayer nicht, jetzt die Nordsee retten zu wollen und dazu viel zu sagen. Dafür gibt es sicherlich Kollegen, die sich der Dinge sachkundig und engagierter annehmen. Ich wundere mich aber über den SPD-Antrag. Dort wird die Verklappung von Abfall in die Nordsee verurteilt und gefordert, daß damit Schluß sein muß. Das ist deswegen so erstaunlich, weil gerade Hamburg das Land ist, das sich am hartnäckigsten dagegen wehrt, Schluß mit der Verklappung zu machen, und
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Fellnerdas nach wie vor keine anderen Instrumente oder diese nicht in ausreichender Anzahl gefunden hat.
Meine Damen und Herren, ich möchte nur noch eines sagen und dann Schluß machen. Ich bin mir bewußt, daß sehr schwere Probleme vor uns stehen und daß die Herausforderungen riesig sind; aber ich bin auch der Überzeugung, daß wir mit den Anstrengungen, die wir unternehmen, diesen Herausforderungen gerecht werden.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bredehorn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit meinem Beitrag zu drei Fragenkomplexen, nämlich zum Bodenschutz, zur Belastung des Naturhaushalts durch Luftschadstoffe und zum Naturschutz, Stellung nehmen und dabei auch Fragen beleuchten, die die Land- und Forstwirtschaft besonders betreffen.Wir Freien Demokraten begrüßen, daß der Bodenschutz bei der Bundesregierung besondere Beachtung findet. Wir haben zum Bodenschutz in unserem ökologischen Aktionsprogramm aus dem Jahre 1981 schon sehr konkrete Aussagen gemacht. Die Bundesregierung hat die baldige Vorlage eines Bodenschutzkonzepts angekündigt. Ich hoffe, daß dabei die Forderung unseres ökologischen Aktionsprogramms berücksichtigt wird. Wir meinen, daß die Belastbarkeitsgrenzen des Bodens wissenschaftlich untersucht und für das politische Handeln konkretisiert werden müssen. Diese Belastbarkeitsgrenzen sind die ökologischen Eckwerte. Sie sollen den ökologisch begründeten Rahmen darstellen, in den sich wirtschaftliches Handeln zukünftig einfügen soll.Beim Boden geht es um die Erhaltung der Bodenqualität. Sie hat in erster Linie Bedeutung für die Gewährleistung einer langfristig sicheren Produktion von qualitativ hochwertigen Agrarprodukten. Die Sicherung der Bodenqualität schließt die langfristige Sicherung der Bodenfruchtbarkeit mit ein. Der Boden hat aber auch große Bedeutung als Wasserfilter und Wasserspeicher und als Lebensraum für die wildlebenden Pflanzen und Tiere. Diese natürlichen Funktionen des Bodens gilt es in dem Bodenschutzkonzept zu konkretisieren.Die Antwort der Bundesregierung auf die heute hier zu behandelnden Großen Anfragen läßt wohl erkennen, daß die von mir genannten Funktionen des Bodens auch so gesehen werden. Mir geht es aber darum, noch einmal auf den wichtigen Ansatz unseres ökologischen Aktionsprogramms hinzuweisen, der die Herausarbeitung der Belastbarkeitsgrenzen für diese Funktionen fordert. Nach unserer Auffassung darf eine Überbauung oder Versiegelung ökologisch wertvoller Flächen nicht mehr stattfinden. Naturnahe und natürliche Restflächen sind so knapp geworden, daß wir bei der anhaltenden Existenzgefährdung wildlebender Pflanzen- und Tierarten diese Flächen, die Lebensstätten der bedrohten Arten sind, nicht mehr entbehren können. Ich bin mir der Tragweite dieser Forderung voll bewußt. Sie bedeutet praktisch, daß bei ökologisch wertvollen Flächen die Ökologie den Vorrang vor der Ökonomie erhält. Die heilige Kuh des Abwägungsgrundsatzes müßte für diese Fälle geschlachtet werden. Ich bin hier bereit zum Schlachten — obwohl Sie sich vorstellen können, daß ich als Milchbauer ein besonderes Verhältnis zu diesen Tieren habe.Beim Schutz von besonders wertvollen Flächen sollte auch bedacht werden, daß Waldflächen einen besonderen Schutz brauchen. Hier müssen auch Zerschneidungen möglichst vermieden werden. Aber auch fruchtbare landwirtschaftliche Böden sollten möglichst weitgehend von Überbauung freigehalten werden.
Wir haben in unserem ökologischen Aktionsprogramm zum Bodenschutz noch eine weitere mutige Forderung, die ich hier erwähnen möchte, um der Bundesregierung für ihr Bodenschutzkonzept die nötigen Anregungen zu geben. Uns erscheint es kaum vertretbar, generell wesentlich mehr als die jetzt bebaute Fläche zu überbauen. Bei der Überbauung verliert der Boden nämlich seine natürlichen Funktionen. Er kann weder Standort für die land- und forstwirtschaftliche Produktion noch Lebensraum für wildlebende Pflanzen und Tiere sein. Er kann auch kein Wasser mehr filtern oder speichern. Diese Forderung hat natürlich harte Konsequenzen für Straßenbau und Siedlung. Aber ich bitte die Bundesregierung, sich damit sachlich und emotionslos auseinanderzusetzen.Zum Schutz des Bodens gehört auch sein Schutz vor Luftschadstoffen. Damit komme ich zum zweiten Bereich, den ich ansprechen wollte. Hier haben wir es mit zwei Problembereichen zu tun. Für die landwirtschaftliche Produktion ist die Anreicherung des Bodens mit Schwermetallen und schwer abbaubaren Stoffen besonders problematisch. Für die Forstwirtschaft ist die erhebliche Schädigung der Wälder durch Luftschadstoffe und die Versauerung der Böden durch saure Emissionen das größte Problem. Der Schwermetalleintrag in landwirtschaftlich genutzte Böden muß als besonders kritisch angesehen werden, weil Schwermetalle, die in den Boden gelangen, sich dort anreichern und aus ihm kaum mehr entfernt werden können. Bei überhöhten Schwermetallgehalten können sich unerwünschte Schadstoffanreicherungen in Nahrungsmitteln ergeben.Leider ist die Schwermetallbelastung der Böden nicht mehr nur, wie früher angenommen wurde, ein Problem in der unmittelbaren Umgebung einiger spezieller industrieller Anlagen. Es gibt Forschungsergebnisse, die nachweisen, daß auch Schwermetalle durch hohe Schornsteine sehr weit verfrachtet werden. So wurde z. B. festgestellt, daß Cadmium in sogenannten Reinluftgebieten und in Mengen abgelagert wird, die weit über dem üblichen natürlichen Austrag aus den Böden liegen.Bei dieser Problematik sehe ich aber langfristig nicht so sehr die Schwierigkeiten, weil durch die
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Bredehornvon der Bundesregierung im vergangenen Jahr erlassene Großfeuerungsanlagen-Verordnung ein erheblicher Rückgang der Schwermetallemissionen eintreten wird.Schwieriger erscheint mir die Situation bei unseren Wäldern und auch bei natürlichen und naturnahen Biotopen zu sein. Die GroßfeuerungsanlagenVerordnung, die Begrenzung der Stickoxide in den Autoabgasen und die Änderung des Emissionsanteils in der TA-Luft werden erhebliche Emissionsbegrenzungen von Schwefel- und Stickoxiden bringen. Es erscheint mir aber zweifelhaft, ob diese Emissionsbegrenzung ausreichen wird, um die Schadstoffbelastung in unseren Wäldern ausreichend zu senken. Hier sind in der Vergangenheit einfach zu große Mengen in die Luft gepustet worden. Wenn die im internationalen Maßstab sicher vorbildlichen Maßnahmen der Bundesregierung zur Emissionsbegrenzung bewirken sollten, daß die Emissionen an Schwefel- und Stickoxiden um 50% reduziert werden, dann reicht das wahrscheinlich immer noch nicht aus.Es muß nämlich berücksichtigt werden, daß z. B. bei Schwefeldioxid 50% aus den Nachbarländern unfreiwillig importiert werden. Ob sich trotz aller Anstrengungen der Bundesregierung im internationalen Bereich die importierten Schadstoffmengen kurzfristig in erheblichem Umfang verringern lassen, muß leider sehr in Frage gestellt werden.Ich möchte die Bundesregierung dringend bitten, bei ihren Aktivitäten, im internationalen Bereich zu stärkerer Emissionsbegrenzung für Schwefel- und Stickoxide zu gelangen, nicht nachzulassen. Aber auch im nationalen Bereich kann es noch keinen Stillstand in der Luftreinhaltepolitik geben. Die Emissionen müssen noch weiter gedrosselt werden. Dabei sollten wir sorgfältig prüfen, ob zusätzliche marktwirtschaftliche Instrumente zur weiteren Emissionsbegrenzung geschaffen und eingesetzt werden können.
Das hätte den Vorteil, daß das Eigeninteresse der Wirtschaft für die Weiterentwicklung der entsprechenden Technik genutzt werden kann.Ich meine, man sollte auch darüber nachdenken, ob ein sinnvoll gestaltetes Emissionsabgabengesetz, das sich an dem vom Kollegen Baum in seiner Amtszeit als Umweltminister entwickelten Abwasserabgabengesetz orientieren könnte, nicht ein wirkungsvolles marktwirtschaftliches Steuerungsinstrument sein könnte.In bezug auf die Waldschäden muß ich noch die Entschädigungsproblematik ansprechen. Es ist unbestritten, daß unsere Forstwirtschaft ganz erhebliche wirtschaftliche Schäden erleidet. Hier handelt es sich um ein Sonderopfer, das weit über die im Rahmen der Sozialpflichtigkeit noch tolerierbaren Lasten hinausgeht. Da viele Emittenten von Luftschadstoffen aus dem In- und Ausland an der Verursachung der Schäden beteiligt sind, ist eine Haftbarmachung des Verursachers dieser Schäden auf privatrechtlicher Basis nicht möglich. Hier ist ein völlig ungelöstes Problem, das von der Bundesregierung unverzüglich aufgegriffen werden muß. Es müssen Wege für eine gerechte Entschädigung unserer betroffenen Volkswirtschaft gefunden werden.Dabei sollte auch bedacht werden, daß großzügige Förderungsmaßnahmen erforderlich sind, um über waldbauliche Maßnahmen den Wald so gut wie nur irgend möglich zu erhalten und die Zeit zu überbrücken, bis die Maßnahmen zur Luftreinhaltung ausreichend greifen.Nun zum letzten Bereich, dem Umweltschutz. Ich begrüße sehr, daß die Bundesregierung die beiden Gesetzentwürfe für die Ratifizierung internationaler Übereinkommen vorgelegt hat. Der Gesetzentwurf zur Ratifizierung des Übereinkommens zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten, das sogenannte Bonner Übereinkommen, ist das Ergebnis einer Initiative des damaligen Bundesministers Ertl. Er hat 1979 in Bonn das Übereinkommen mit der Unterzeichnung von 22 Staaten zustande gebracht. Dieses Abkommen ist von besonderer Bedeutung, weil nur durch internationale Zusammenarbeit und konkrete internationale Vereinbarungen der Schutz wandernder Tierarten gewährleistet werden kann.Auch das Übereinkommen vom 19. September 1979 über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume, die sogenannte Berner Konvention, ist maßgeblich vom Kollegen Ertl gefördert worden. Dieses am 1. Juni 1982 in Kraft getretene Übereinkommen hat nicht nur Bedeutung für den Schutz bedrohter Arten vor direktem Zugriff, sondern vor allem wegen seiner Verpflichtung zum Schutz der Lebensstätten bedrohter Pflanzen und Tierarten. Die Wirkung dieses Übereinkommens hängt sehr von seiner Ausfüllung ab. Dabei kommt es meines Erachtens auf zweierlei an.Erstens sollte die Ausfüllung bei dem von Bundesminister Kiechle angekündigten Biotopenschutzprogramm berücksichtigt werden, wobei ich noch den Wunsch hinzufügen möchte, dieses Biotopenschutzprogramm bald fertigzustellen. Zweitens sollte die Bundesregierung prüfen, ob sie ihr finanzielles Engagement bei der Ausweisung von Schutzgebieten von internationaler Bedeutung in der Bundesrepublik verstärken kann.Abschließend: Wir Freien Demokraten fordern, daß der Naturschutz weiter mit Priorität verfolgt wird, weil die Gefährdung wildlebender Pflanzen und Tierarten noch immer anhält.
Das Wort hat der Abgeordnete Reuter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei kritischer Würdigung dieser heutigen Debatte muß man feststellen, daß es sehr kunterbunt in diesem Hause zugeht. Das liegt vielleicht nicht an der Vielzahl der zu behandelnden Themen. Ich möchte jetzt zu der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der
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ReuterSPD-Fraktion „Schutz vor Lärm" Stellung nehmen.Bei kritischer Würdigung dieser Antwort muß man feststellen, daß der Innenminister das zusammengeschrieben hat, was die sozialliberale Regierung als Ergebnis einer erfolgreichen Umweltschutzpolitik hinterlassen hat.
In der Antwort sind keine eigenen Ideen und Konzepte der jetzigen Bundesregierung erkennbar, wie die dringenden Probleme gelöst werden sollen. Wir hören allerorten nur vollmundige Erklärungen des für den Umweltschutz zuständigen Innenministers, ohne daß diesen Worten dann auch konkrete Taten folgen.
Gemessen an diesen Erklärungen ist die Antwort der Bundesregierung außerordentlich dünn und dürftig ausgefallen.
Schon in der Einleitung der Antwort wird die Konzeptionslosigkeit deutlich. Allein der Hinweis, daß bereits in den 60er Jahren die wesentlichen Grundlagen für eine moderne, bis heute nicht überholte Lärmschutzpolitik geschaffen wurden und in den 70er Jahren diese Lärmschutzpolitik konsequent weiterentwickelt wurde, ist für mich keine ausreichende Grundlage, um die vor uns liegenden Aufgaben zu bewältigen. Die Bundesregierung weist hier vielfach auf positive Entwicklungen hin, die zurückreichen in eine Zeit, als noch die sozialliberale Koalition für den Umweltschutz die Verantwortung getragen hat.
Es ist sicher zutreffend, wenn von seiten der jetzigen Regierung ausgeführt wird, daß staatliche Maßnahmen zur Lärmbekämpfung nicht ausreichten, um eine befriedigende Situation zu schaffen. Andererseits kann sich der Staat nicht aus seiner Verantwortung davonstehlen. Es ist Aufgabe des Staates, geeignete Maßnahmen für einen sinnvollen Lärmschutz zu ergreifen. Statt dessen verweist die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Unzulänglichkeit des einzelnen Menschen, der nach ihrer Meinung durch seine Aktivitäten auf vielfältige und rechtlich kaum faßbare Weise zur Lärmquelle werde. Es sei daher besonders wichtig, den einzelnen für ein lärmbewußtes Verhalten zu gewinnen. Die Bundesregierung werde durch Information und Motivation dazu beitragen, daß die Bürger eigenverantwortlich unnötigen Lärm vermeiden.Die Mitglieder der Bundesregierung — ich denke hier an Herrn Geißler und ähnliche Mitglieder dieses Kabinetts — könnten einmal mit gutem Beispiel vorangehen und für etwas weniger Lärm in der politischen Auseinandersetzung sorgen.
Meine Damen und Herren, wenn an oberster Stelle der Grundsätze der Bundesregierung in derLärmschutzpolitik die verstärkte Nutzung der marktwirtschaftlichen Mechanismen steht, kann man hier nur von einer ideologischen Verklemmung sprechen, die sich in vielen Reden von Mitgliedern dieser Regierung wiederfindet. Sie wollen alle Lösungen der Probleme marktwirtschaftlichen Mechanismen überlassen, egal, ob es sich um den Umweltschutz, die Forschungspolitik, die Wirtschaftspolitik oder die Beseitigung der Arbeitslosigkeit handelt. Mir ist bei der Aussage der Bundesregierung rätselhaft, wie eine Minimierung des finanziellen Aufwands bei den legislativen und administrativen Maßnahmen der Lärmbekämpfung zum Erfolg führen kann.Ich bin mit der Bundesregierung durchaus einer Meinung, daß aus Gründen der Vorsorge höhere Lärmbelastungen tunlichst vermieden werden sollen. Allerdings ist die Bundesregierung in ihrer Antwort die Aussage schuldig geblieben, wie sie das im einzelnen bewerkstelligen will.
Es sind drei zentrale Bereiche zu nennen, meine Damen und Herren, bei denen die Bürger in erheblichem Maße durch Lärm beeinträchtigt werden. Da ist an erster Stelle der Verkehrslärm, zweitens der Lärm am Arbeitsplatz und drittens der Fluglärm. Über 60 % unserer Bürger leiden — zum Teil in erheblichem Maße — unter Verkehrslärm.
Hierbei ist es wichtig zu wissen, daß beim Transport gleicher Gütermengen bei gleicher Geschwindigkeit die Bundesbahn eigentlich viel günstiger wäre als der Lkw-Verkehr. Dieser Sachverhalt müßte doch auch der Bundesregierung und dem für den Umweltschutz zuständigen Innenminister bekannt sein. Was hat Herr Zimmermann denn bisher getan, um seinen Kollegen Dollinger davon zu überzeugen, daß es aus diesen und noch anderen Gründen sinnvoller wäre, sich mehr für die Erhaltung der Bundesbahn einzusetzen, als dem Fernstraßenbau Priorität einzuräumen oder Gelder sinnlos in ein Kanalprojekt zu stecken?
An dieser Stelle, meine Damen und Herren, muß ich darauf hinweisen, daß das Verkehrslärmschutzgesetz 1980 nicht allein am Bundesrat gescheitert ist, sondern vorwiegend an der starren und uneinsichtigen Haltung der Fraktionen, die heute die Regierung tragen.
Es waren doch die CDU/CSU und die FDP, die im Deutschen Bundestag — wenn auch aus unterschiedlichen Motiven — das aus Umweltgesichtspunkten noch vertretbare Ergebnis des Vermittlungsausschusses abgelehnt haben und somit wichtige Maßnahmen zur Bekämpfung des Verkehrslärms verhinderten.Hier kann ich der Bundesregierung nur sagen, daß ein vernünftiger Umweltschutz auch vorhan-
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Reuterdene Arbeitsplätze stabilisiert und neue Arbeitsplätze schafft.
Ich will mich nicht näher über die Aussagen des Herr Zimmermann im Innenausschuß auslassen, aber folgendes will ich hier doch sagen.
Es ist einfach zu wenig, nur auf diese Dinge hinzuweisen.
Was hat denn Herr Zimmermann bisher getan, um seinen Finanzminister davon zu überzeugen, daß wir im Umweltschutz weiterkommen müssen? — Nichts! Er redet nur, und wenn hier die Debatte geführt wird, verläßt er diese Stätte, weil es ihm nur auf billige Schaueffekte ankommt, meine Damen und Herren!
Wo ist denn Ihr Minister?
— Sie bringen mich mit Ihren Zwischenrufen nicht durcheinander. Ich war schon vor 15 Jahren Bürgermeister. Die Qualität Ihrer Zwischenrufe war damals besser als heute. Das kann ich Ihnen sagen, meine Damen und Herren.
Es ist bedauerlich, daß ich auf Grund der fortgeschrittenen Zeit nicht in der Lage bin, Ihnen alles vorzutragen, was ich mir aufgeschrieben habe. Es wird aber noch Gelegenheiten geben, bei denen wir uns über diese Probleme ernsthaft unterhalten, auch über den Schutz gegen den Fluglärm. Da gibt es die lapidare Erklärung der Bundesregierung, sie werde dafür sorgen, daß der Verteidigungsminister die Tiefflüge mehr über unser Land verteilt. Das ist doch keine Konzeption. Damit wird man den Sorgen unserer Bürger doch nicht gerecht.
— Ich habe noch das Mikrophon hier und gar keine Probleme, meine Damen und Herren. Sie sollten, statt hier Lärm zu verursachen, mehr dafür sorgen, daß Lärm bekämpft wird,
damit uns nicht eines Tages einer frei nach Shakespeare vorhält: Viel Lärm um nichts.Ich darf hier nur feststellen, daß die Bundesregierung — ich ziehe ein Fazit aus der vorliegenden Antwort — im Grunde genommen nur abgeschrieben hat und in ihren Aussagen dort am dünnsten wird, wo es um zukunftsorientierte Aussagen gehen müßte. Da ist Fehlanzeige bei dieser Bundesregierung. Nicht die Reden sind wichtig, meine Damen und Herren, sondern das, was hier konkret auf diesem Gebiet umgesetzt wird.Schönen Dank für Ihre Geduld.
Das Wort hat der Abgeordnete von Schorlemer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, Herr Kollege Reuter, daß Lautstärke nicht Argumente ersetzen kann.
Sie haben hier die TA-Luft angesprochen. Sie wissen sehr wohl: Als Herr Zimmermann ins Haus kam, fand er nichts vor, sondern seit er da ist, ist etwas geschaffen worden. Das ist die Realität.
Ich möchte jetzt zu dem Thema zurückkommen, das auch der Kollege Bredehorn angesprochen hat, nämlich zur Änderung des Bundeswaldgesetzes, zu den Übereinkommen zur Erhaltung der wandernden und wildlebenden Tierarten und der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume und zu den landwirtschaftlichen Aspekten in dieser Umweltdebatte.Ich glaube, daß uns durch die Novellierung des Bundeswaldgesetzes jetzt die Möglichkeit gegeben werden soll, eine Waldinventur durchzuführen, die dringend geboten ist, um eine genaue Schadensfeststellung der neuartigen Waldschäden zu treffen. Die noch unvollständigen jetzt vorliegenden Schadenserhebungen zeigen, daß die geschädigte Waldfläche — das ist vorhin schon einmal angesprochen worden — von 1982 auf 1983 eine Größe von inzwischen 2,6 Millionen Hektar erreicht hat. Das ist in einem Jahr eine Steigerung um über 400 %.
Ich glaube, wir alle sind aufgefordert, dafür zu sorgen, daß sich diese dramatische Entwicklung nicht fortsetzt; denn wenn sie sich fortsetzt, ist schon jetzt der Zeitpunkt abzusehen, wo sie für die Forstwirtschaft außer Kontrolle gerät. Das Gegensteuern wird allerdings dadurch erschwert und verlängert, daß die Schadensursachen — ich sage hier bewußt: Ursachen — nicht wissenschaftlich exakt bestimmt werden können. Die höchste Wahrscheinlichkeit spricht allerdings inzwischen dafür, daß die Schäden durch anthropogene Luftverunreinigungen verursacht sind. Deshalb müssen wir schnell handeln. Die Bundesregierung hat hier konkrete Vorschläge gemacht. Sie hat, wie vorhin auch ausgeführt worden ist, Maßnahmen eingeleitet, und ich kann es mir deshalb ersparen, dies hier zu wiederholen.
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Freiherr von SchorlemerLeider ist der nordrhein-westfälische Bundesratsminister, Herr Einert, nicht mehr auf der Bundesratsbank.
Als er die Umweltpolitik des Landes NordrheinWestfalen pries, wurde ich an eine Notiz erinnert, die ich vor einigen Tagen gefunden habe, in der es heißt, daß schon Ende 1966, d. h. zu Beginn der Zeit, wo die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen in die Regierung kamen,
der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Waldbesitzerverbände, Dr. Graf von Westphalen, ein Forstschutzinstitut gefordert hat, das der ungeheuren Bedeutung des Rauchschadens im Lande Nordrhein-Westfalen entspricht. Dieses belegt, daß schon damals, als Antwort auf die 20 000 Hektar Wald, die durch Rauchschaden schwerstens beschädigt waren, von den Waldbesitzern wissenschaftliche Untersuchungen gefordert worden sind. Auf Grund der Ergebnisse hätten dann Gegenmaßnahmen getroffen werden können. Sie wissen, die Antwort war die Erhöhung der Schornsteine.Meine sehr verehrten Damen und Herren, da als Überschrift über dieser Debatte gleichsam der Schutz der Natur steht, sollte auch bei der Änderung des Waldgesetzes bedacht werden — ich bin sehr dankbar, daß der Minister Kiechle vorhin darauf hingewiesen hat —, ob durch das Betretungsrecht des Waldes, wie es jetzt gehandhabt wird, nicht so mancher Lebensraum für Pflanze und Tier im Wald buchstäblich zertreten wird.
Ich glaube, wir können in Dankbarkeit darauf hinweisen, daß im Haushalt 1984 auf Grund der Vorlage der Bundesregierung zusätzlich 20 Millionen DM zur Wiederherstellung und Sicherung der Funktionsfähigkeit der Wälder zur Verfügung gestellt worden sind. Wir alle wissen, daß damit das Problem nicht gelöst werden kann. Ich glaube aber, daß das eine erste Maßnahme sein kann, vielleicht z. B. über die Düngung den Schadensfortschritt zu hemmen.Ich begrüße es außerordentlich, daß der Freistaat Bayern eine Änderung des Forstschäden-Ausgleichsgesetzes eingebracht hat. Hierdurch soll sichergestellt werden, daß auch bei immissionsbedingten Waldschäden das Gesetz greift, das bisher nur bei naturbedingten Katastrophen, wenn Störungen im Marktgleichgewicht zu Preisverfall führten, durch Beschränkung des inländischen Holzeinschlages — hier kommt natürlich und kam auch in der Vergangenheit dem Staats- und dem Kommunalforst eine besondere Rolle zu — und durch Minderung der Holzimporte dem Waldbesitzer half.
— nicht ruhigzustellen. — Bei zunehmenden Einschlägen aus Waldschadensgebieten müssen wir uns auch steuerlichen Fragen zuwenden. Es darf nicht so weit kommen, daß bei durch Waldschäden verursachter zusätzlicher Holznutzung zusätzlich steuerliche Belastungen entstehen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt auf die vorliegenden Gesetze, die weltweit bzw. europaweit wildlebende Tiere und Pflanzen schützen sollen, eingehen. Der Rückgang der Artenvielfalt im Tier- und Pflanzenreich signalisiert deutlich, daß eine nachhaltige Beeinträchtigung im Wirkungsgefüge des Naturhaushaltes ohne gezielte Schutzmaßnahmen zu befürchten ist. Es ist nicht nur der Verlust an ideellen Werten, der uns zu schnellem Handeln aufruft, sondern auch die damit verbundene Einschränkung weiterer biologischer und auch wirtschaftlicher Entwicklungen durch den Verlust von Pflanzen- und Tierarten als Genreserve für künftige Möglichkeiten im Bereich der Pflanzen- und Tierzüchtungen fordern von uns klare Entscheidungen.Da Artenschutz und Biotopschutz nicht getrennt voneinander betrachtet werden dürfen, müssen auch die sie unterstützenden Maßnahmen aufeinander abgestimmt sein.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die internationalen Vereinbarungen zum Schutz von Pflanzen und Tieren, die getroffen worden sind, und zwar einmal weltweit durch die sogenannte Bonner Konvention und europaweit durch die Berner Konvention, gehen in die richtige Richtung. Auch national werden wir bei der beabsichtigten Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes die Belange des Artenschutzes mit Nachdruck fördern und zur Sicherung einer artenreichen heimischen Tier- und Pflanzenwelt ein Netz naturnaher Flächen erhalten und wiederherstellen.
Als agrarpolitisches Instrument bietet sich für alle die Landwirtschaft berührenden Maßnahmen die Flurbereinigung an. Ich verkenne überhaupt nicht, daß auch hier in den letzten Jahren Fehler gemacht worden sind. Gleichwohl haben inzwischen alle Bundesländer, deren Behörden für die Durchführung der Maßnahmen zuständig sind, in den letzten Jahren im Bereich der Flurbereinigung viel für den Biotopschutz getan.
Das angekündigte Biotopschutzprogramm wird über gezielte Maßnahmen den Schutz der Lebensstätten der wildlebenden Pflanzen- und Tierarten durch Sicherung ihrer Existenz erreichen. Schon jetzt werden im Bereich der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" keine Maßnahmen mehr gefördert, die eine wesentliche Beeinträchtigung ökologisch seltener und wertvoller Biotope zur Folge haben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wird immer wieder ein Konflikt zwischen der Erhaltung und Sicherung unserer Kulturlandschaft und der Land- und Forstwirtschaft beschrieben. Ich habe bewußt „Kulturlandschaft" gesagt, denn un-
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Freiherr von Schorlemersere Landschaft ist in Jahrhunderten von Generationen von Land- und Forstwirten so geschaffen worden, wie sie jetzt ist, und zwar im allergrößten Teil gleichsam zum Null-Tarif. Gerade die Landbewirtschaftung in der Bundesrepublik Deutschland mit der herausragenden Stellung des bäuerlichen Familienbetriebes ist im Vergleich mit östlichen Produktionsgesellschaften und Großfarmen im Westen die beste Gewähr für eine umweltschonende Erzeugung, weil sie ökololgisch sinnvoll und ökonomisch leistungsfähig ist.
Dadurch wird eine bleibende Fruchtbarkeit und Gesundheit des Bodens garantiert. Dies macht die enge Verwobenheit der Interessen der Landwirtschaft — natürlich auch der Forstwirtschaft — mit der Erhaltung und Sicherung der Natur in unserer Kulturlandschaft deutlich.
Die Änderung der Landwirtschaftsklausel und die Einführung der Verbandsklage, wie es im Entschließungsantrag der SPD gefordert wird — wobei bisher nicht erkennbar ist, wie nun die Landwirtschaftsklausel geändert werden soll —,
belasten diese gegenseitigen Bedingungen zwischen Natur, Land- und Forstwirtschaft.Bei dem Thema Verbandsklage sollte die SPD einmal ihre Oberbürgermeister befragen und auch einmal zur Kenntnis nehmen, daß selbst der damalige Chef des Bundeskanzleramtes, der frühere Kurz-Kollege Lahnstein, für den Bundeskanzler Schmidt in einem Schreiben an die kommunalen Spitzenverbände und andere Wirtschaftsverbände zugab,
„daß es eine Reihe gewichtiger Gründe gibt, die gegen die Einführung einer Verbandsklage sprechen".
Auch eine Änderung der Landwirtschaftsklausel im Bundesnaturschutzgesetz ist nicht notwendig, weil sie sich bewährt hat.Ich wende mich auch hier gegen Pauschalurteile und -verurteilungen, auch wenn sie heute in dieser Debatte nicht in der Stärke, wie man sie sonst hört, eingeflossen sind, die lauten: Die Bauern sind die größten Umweltverschmutzer, die größten Giftmischer bei Pflanze und Tier. Ich verkenne überhaupt nicht: Natürlich gibt es auch bei den Landwirten schwarze Schafe. Aber wer will denn das ganze Volk zu Verkehrssündern oder zu anderen Straffälligen abstempeln, nur weil dieser oder jener Prozentsatz an Vergehen begangen wird.
Für mich war es bei dieser Debatte wichtig, daß herausgestellt wurde: Der ordnungsgemäßen Land-und Forstwirtschaft kommt für die Erhaltung der Kulturlandschaft eine zentrale Bedeutung zu. Mit ihr, nämlich dieser ordnungsgemäßen Land- und Forstwirtschaft, schützen wir Pflanzen und Tiere, so wie es über Generationen geschehen ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Duve.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Freude meiner Kollegen von der Union, mich hier zu sehen, stimmt auch mich heiter. Das einzig Angenehme heute nachmittag war, zu sehen, wie viele „radikale" Ökologen wir neuerdings im Bundestag haben und wie viele wir auch in der Bundesregierung haben. Es war auch interessant, welche Minister in dieser Debatte über Umweltschutz nicht anwesend waren. Herr Waffenschmidt, es gab heute nachmittag, auch Zeiten, als überhaupt niemand auf der Bank der Bundesregierung saß.
Ich will eine Vorbemerkung machen. Die eigentliche Tragödie der Wälder in der CSSR — einige von Ihnen sind ja in der CSSR gewesen —, wo man kilometerweit an kahlen Baumgerippen vorbeifährt, sind ja nicht die gestorbenen Bäume; die eigentliche Tragödie ist der tote, in Wüste verwandelte Waldboden. Bäume könnte man wieder anpflanzen. Das vielfältige sensible Gebilde Waldboden ist durch niemanden und keine Technik der Welt künstlich wiederherzustellen.
Ich möchte daher ein paar Bemerkungen zum Bodenschutz und zum Bodenschutzkonzept machen. Der Fall Stolzenberg — als Hamburger will ich ihn hier noch einmal erwähnen; ich habe das in der letzten Woche schon einmal gemacht — hat uns ja gezeigt, wie Giftstoffe auch nach Jahren und Jahrzehnten wiedergefunden werden, von denen niemand eine Ahnung hatte. Wir haben dabei übrigens auch gesehen, wie verantwortungslos ehemalige Angehörige der Reichswehr mit diesen Stoffen umgegangen sind. Sie haben sie irgendwo liegengelassen und sich hinterher nie gemeldet, um irgendwelchen Behörden zu sagen: Da liegt etwas, guckt da einmal nach. Nein, wir wissen heute, daß wir noch in jedem Teil des ehemaligen Deutschen Reiches
— des ehemaligen Deutschen Reiches — solche giftigen und chemischen Kampfstoffe vermuten müssen. Seit Stolzenberg fordern wir die Aufnahme der Suche nach diesen Stoffen. Wir wissen, daß das bis-
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Duveher nicht geschehen ist. Ich hoffe sehr, daß das Bodenschutzkonzept, was hier angedeutet ist, ein Programm bringen wird.Das gleiche gilt für die Altdeponien. Wir haben letzte Woche in der Aktuellen Stunde darüber geredet, und ich will das wiederholen. Wer jetzt mit dem Finger auf Hamburg zeigt, soll das tun. Nur, die Hamburger Verwaltung sucht intensiv und hat überhaupt keine Angst davor, etwas zu finden. Wer auf Hamburg zeigt und selber nicht sucht, der heuchelt.
Ich hoffe, daß möglichst alle Bundesländer mit dieser Intensität nach Altstoffen suchen.
Wir diskutieren seit bald zwei Jahren Konzepte für den Bodenschutz. Schon im Jahresbericht des Umweltbundesamtes 1982 sind die materiellen und die Rechtsfragen eines ökologischen Bodenrechtes analysiert und vorgestellt worden. All das ist breit diskutiert. Wir wissen, woher die Schäden kommen, wir wissen, wie ihnen beizukommen ist. Wir hören die Versprechungen des für die Umweltfragen zuständigen Innenministers, aber es kommt kein Konzept über.Das einzige, was wir seit einigen Tagen in der Hand haben, ist die Antwort auf unsere Große Anfrage. Die Antwort kommt nicht vom Innenminister, sie kommt vom Landwirtschaftsminister, der eine ausgezeichnete Rede gehalten hat. Wir sind sehr erstaunt gewesen, wieviel Beifall er von uns bekommen hat, als Herr von Heeremann nicht eine Hand für das rühren wollte, was hier als sehr radikales umweltschützerisches Konzept vorgetragen wurde.
Wir werden Herrn von Heeremann an die Rede von Herrn Kiechle noch erinnern.Der Ankündigungsminister Zimmermann ringt seit Monaten verzweifelt mit den anderen Ministern und bekommt kein abgestimmtes Konzept zum Bodenschutz zustande. Derweil beantwortet der Landwirtschaftsminister unsere Fragen in einer Form, die wir, Herr Gallus, nicht akzeptieren können. Das wissen Sie selber sehr genau.Ich will das an ein paar Beispielen deutlich machen; die meisten mußte ich leider wegen der begrenzten Zeit herausstreichen. Wir fragten nach den heute erkennbaren Schäden des Bodens. Dazu wurde in der Debatte heute viel gesagt. Antwort: In den Dürre- und Dschungelgebieten sei die Beschädigung stärker als bei uns, und außerdem seien die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen.Das zweite Beispiel. Wir fragten nach der Anwendung von Pflanzengiften durch Kleingärtner und deren Auswirkungen.
— Pflanzenschutzmittel, danke schön, Herr Eigen. Es ist nett, daß Sie mich verbessern; so von Generation zu Generation ist das sehr angenehm. — Antwort: Es ist deshalb davon auszugehen, daß negative Auswirkungen der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln in Kleingärten, soweit es Boden und Grundwasser betrifft, nicht zu erwarten sind. Das heißt, von dem ganzen dramatischen Gerede von heute ist in der Antwort auf unsere Große Anfrage überhaupt nichts zu finden. Da ist ein Abwiegeln, da sind Freibriefe. Da ist nichts von all dem, was heute gesagt wurde. Deshalb erwarten wir auch kein gutes Bodenschutzkonzept.Bisher hat Minister Zimmermann von den vollen Schubladen seiner Vorgänger gelebt. Beim Bodenschutzkonzept ist er zum erstenmal selbst gefordert, und schon gerät seit einem Jahr alles ins Stokken. Gehen wir der Geschichte nach. Im Herbst 1982 fordert Hessen die Umweltministerkonferenz der Länder auf, eine Bodenschutzkonzeption zu erarbeiten. Es wird eine Arbeitsgruppe gebildet. Der neue Innenminister ist dabei und sieht: Das ist vielleicht ein interessantes Thema. Er nimmt das Thema sozusagen weg ins Haus und sagt: Jetzt machen wir einmal eine interministerielle Arbeitsgruppe. Diese interministerielle Arbeitsgruppe kommt nicht zu Pott.
Sie wühlt sich — ein schöner Satz, Herr Eigen, genau für Sie — Woche um Woche durch die tieferen Gesteinsschichten der verschiedenen Bundesministerien und kommt nicht zu Potte. Die Länderkommission hat inzwischen ein sehr interessantes und wichtiges konzeptionelles Papier vorgelegt. Die Bundesregierung nichts. Wir warten auf das Konzept: auf ein Konzept, das die Widerstände Lambsdorffs, die Ungereimtheiten Kiechles, die Widersprüche — Verkehrspolitik — Dollingers und die Trägheit Kohls im Bodenschutz überwindet. Um der Umwelt willen wollen wir natürlich gerne dabei helfen, daß Sie es realisieren können.
Herr Waffenschmidt, Sie haben heute bereits die wichtigste Komponente der Umsetzung brüskiert. Indem Sie die gute und solide arbeitende Länderkommission selbst überholen wollten, haben Sie sich im Kabinett verhäddert und sich auch noch den Unwillen der Länder zugezogen. Jede Bodenschutzpolitik muß eben eng mit denjenigen verzahnt werden, die den Boden nachher konkret alleine schützen müssen, nämlich die Bundesländer.Wir werden beim Bodenschutzkonzept folgende Fragen stellen — wir können sie heute aus der Antwort auf die große Anfrage schon halb beantworten —: Gehört zum Bodenschutzkonzept die Landwirtschaftsklausel oder nicht? Oder gehören dazu auch die ganzen juristischen Tricks, die Sie auf Seite 30 Ihrer Antwort vernebelnd geben, damit Sie
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Duvezur Landwirtschaftsklausel keine klare Aussage machen müssen?
Gehört zum Bodenschutzkonzept die Wiederaufnahme des Fernstraßenbaus, wie sie Dollinger vorantreibt? Gehört zum Bodenschutzkonzept eine „Verniedlichung der Gefährlichkeit von Pflanzenschutzmitteln", wie es in der Großen Anfrage heißt? Gehört zum Bodenschutzkonzept die „Verharmlosung der Nitratverschmutzung", wie wir in der Antwort auf unsere Anfrage lesen müssen? Und wie sieht es mit der wirklichen Anwendung des Chemikaliengesetzes für ein wirksames Bodenschutzkonzept aus? Diese Fragen werden wir dann, wenn es endlich vorliegt, stellen.Ich begrüße es ausdrücklich, daß sich die großen Umweltschutzorganisationen BBU und „Bund" in ausführlichen Stellungnahmen zum Bodenschutz geäußert haben. Diese sind eine sehr wichtige Grundlage für die weitere Diskussion. Wir bedauern, daß die Bundesregierung von diesen Vorschlägen bisher noch nichts aufgegriffen hat. Sie werden jedenfalls uns Sozialdemokraten bei unseren Beratungen helfen.Ich will zum Schluß kommen. Leider mußte ich wegen der fortgeschrittenen Zeit viele schöne Sachen, die ich mir ausgedacht hatte, weglassen. Es gibt j a eine Geschwindigkeitsbegrenzung.
— Herr Eigen, Sie müssen mich nachher fragen; denn ich habe noch genau eine Minute. Mein Dialog mit Ihnen darf nicht weniger als eine Minute dauern; wir sind beide aus Norddeutschland.
Herr Waffenschmidt, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Herrn Zimmermann einmal folgendes bestellen wollten; ich hätte es ihm gerne selber gesagt. Die Bilanz Ihrer ökologischen Schularbeiten ist nach unserer Auffassung, wenn wir die Texte genau lesen, eben nicht gut. Herr Zimmermann kommt mir wie einer vor, der dadurch als Musterschüler auffallen möchte, daß er jeden Tag den Ranzen voller schöner Schreibhefte hat. Auf jedes ist in Schönschrift ein Thema geschrieben,
und wenn man die Hefte aufschlägt, sind alle leer. Beim Bodenschutz bin ich ziemlich sicher, daß sie auch leer bleiben werden. Der Widerstand der verschiedenen Häuser ist, soweit wir das aus diesen Häusern noch hören, so groß, daß von den schönen Ankündigungsreden heute nachmittag in diesem Konzept leider nicht mehr viel übrig bleibt. Ich sage wirklich: leider; denn die Situation ist so ernst, wievor allem Herr Kiechle sie hier heute beschrieben hat. — Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lippold.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf zwei Bemerkungen vorab machen. Die erste: Herr Hauff, ich finde, wenn ein Kollege aus Zeitmangel eine Zwischenfrage nicht zuläßt, sollte man ihn nicht als „Feigling" bezeichnen. Das ist kein guter Stil.
— Das ist auch eigentlich — ich akzeptiere dies nicht — nicht Ihr Stil, Herr Hauff. Aber man sollte das dann später ausräumen.
Die zweite Bemerkung. Es ist schon faszinierend, in diesem Hause zu erleben, wie Sie 13 Jahre Regierungspolitik ungeschehen machen wollen,
wie Sie sich einfach hier hinstellen und so tun, als ob all das, was Sie die ganze Zeit über haben treiben lassen, nicht in Ihrer Verantwortung geschehen wäre. Sie können doch nicht von uns erwarten, daß wir das nicht aufgreifen, sondern so laufen lassen.
— Sie haben auf diesem Gebiet die ganze Zeit nichts getan. Herr Duve hat gerade vom „Ankündigungsminister" Zimmermann gesprochen. Er war jedoch der erste, der die Dinge hier wirklich vorangetrieben hat. Wenn ich das mit Ihrer 13jährigen Regierungszeit vergleiche, haben Sie nicht den geringsten Ansatz für eine solche Kritik.
Meine Damen und Herren, die Problematik — damit will ich nach den Vorbemerkungen zum eigentlichen Thema kommen — Umwelt, Wirtschaft und Wachstum ist heute mehrfach angesprochen worden. Wir haben hier mit Sicherheit unterschiedliche Vorstellungen, und wir wollen sie auch ganz deutlich akzentuieren. Aus der Debatte ist von allen Seiten deutlich hervorgegangen, daß wir dem Umweltschutzziel einen hohen Rang einräumen. Wir dürfen dieses Ziel jedoch nicht isoliert betrachten— auch das ist eine durchaus ökologische Betrachtung —, sondern müssen das im Zusammenhang mit den grundsätzlichen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen Beschäftigungsschutz und angemes-
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3834 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Dr. Lippoldsenes Wirtschaftswachstum tun. Das ist notwendig, wenn wir das erreichen wollen, was der Bundeskanzler gesagt hat: die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie.
Dauerhafte Erfolge im Umweltschutz — das muß man einfach sagen — sind nach unserer Meinung am ehesten auf der Grundlage der sozialen Marktwirtschaft erreichbar. Wir meinen auch, daß Wirtschaft und Umwelt keine Gegensätze sind. Wirtschaftliches Wachstum steht — das ist natürlich eine andere These — dem Umweltschutz nicht nur nicht entgegen, sondern es schafft sogar die Voraussetzung für verbesserten Umweltschutz. Das können Sie sich von so renommierten Wirtschaftswissenschaftlern, von so renommierten Umweltexperten wie den Professoren Deutsch und Engelhardt bestätigen lassen.Die positive Verknüpfung von Wirtschaft und Umweltschutz unterscheidet uns von Ihnen, habe ich gesagt. Sie unterscheidet sich auch deshalb, weil wir Ihren kritischen Ansatz zu Wachstum, Ihre Technologiekritik nicht teilen. Sie haben kein geschlossenes Umweltkonzept. Das ist in der heutigen Debatte deutlich geworden. Es ist auch deutlich geworden, daß Sie Ansätze unterstützen, die zu Umweltpessimismus führen, die dazu führen, daß manchmal grundlos und unnötig Angst geschürt und erzeugt wird. Das sollten wir vermeiden.In diesem Zusammenhang noch ein übriges. Wer immer Erfolge in der Umweltpolitik leugnet, wer diese Erfolge ständig leugnet und bestreitet, daß unsere umweltpolitischen Hausaufgaben gemacht werden, der fördert Politik- und Staatsverdrossenheit und leistet ungerechtfertigter Kritik am parlamentarisch-demokratischen System Vorschub. Das stimmt, Herr Hauff. Das schadet unserem Staat. Sie, Herr Hauff, nehmen das aber billigend in Kauf. Das muß man doch sehen, und das können Sie auch nicht abstreiten.Welchen Weg müssen wir bei diesen Voraussetzungen, die ich genannt habe, gehen? Erstens. Sorgfältiger Umgang mit den natürlichen Ressourcen und der Einsatz umweltschonender Techniken machen die Entkoppelung von Wachstum und Umweltbelastung möglich. Zweitens. Je innovativer eine Wirtschaft ist, desto eher ist sie in der Lage, Umweltbelastungen nicht nachsorgend zu beseitigen, sondern vorsorgend zu vermeiden. Der Weg, den wir gehen müssen — damit komme ich zu einem dritten Punkt —, läßt sich so umschreiben: integrierter Umweltschutz als Ausdruck unserer Politik der Vorsorge. Diese Formel beinhaltet: Bereits die Idee zu einem neuen Produkt, seine Entwicklung und seine Produktion müssen sich zwingend an folgenden Prüfkriterien orientieren: umfassende Einsparung von Rohstoffen oder Rohstoffersatz, Produkt-Recycling, Verminderung des produktspezifischen Energieeinsatzes, Verminderung der produktspezifischen Immissionen und Austausch von Produkten, soweit erforderlich.Die Verbindung von betriebswirtschaftlichen Vorgaben mit Umweltschutzvorgaben — das ist derPunkt, den wir mit Nachdruck fördern müssen, damit Abluft, damit Abwasser, damit Abfall möglichst gar nicht erst entstehen, denn dann brauchen wir sie auch nicht zu beseitigen. Dies zu erreichen, wird nicht immer möglich sein; es ist aber ein fundierter Ansatz.
Deshalb ist auch die Technologiekritik, die wir vorhin von dem Kollegen Ehmke hörten, in diesem Punkt mit Sicherheit nicht zutreffend.
Zu unserer marktwirtschaftlichen Konzeption gehört auch dieses. Wir geben der Wirtschaft umweltpolitische Ziele vor. Wie sie diese Ziele erreicht, welche Maßnahmen sie ergreift — auch unter Nutzung von Kostenvorteilen —, überlassen wir ihr.
Unsere Aufgabe ist es aber — dieser Aufgabe stellen wir uns —, die Kontrolle der Zielerreichung sicherzustellen. Das wird gewährleistet.
Ein solches Konzept funktioniert jedoch nur — das hat der Innenminister bereits unterstrichen —, wenn die Zielvorgaben langfristige Rahmendaten sind. Wenn ich ständig und permanent meine Meinung zu Umweltschutzvorhaben ändere, kann das angestrebte Ziel nicht erreicht werden. Nehmen wir den klassischen Fall der GroßfeuerungsanlagenVerordnung. Auf der einen Seite befürworten Sie im Wirtschaftsausschuß die Novellierung dieser Verordnung. In der gleichen Sitzung des Wirtschaftsausschusses unterstützen Sie auf der anderen Seite eine Vorlage, in der Sie sich gegen die Novellierung aussprechen. Das ist doch kein deutlicher, kein klarer Weg. So kann man hier in der Umweltpolitik nicht reüssieren.Umweltschutz belastet nicht nur die Wirtschaft. Umweltschutz belastet auch den Verbraucher. Wir haben im letzten Jahrzehnt von 1971 bis 1980 190 Milliarden DM für den Umweltschutz aufgewandt. Es ist sinnvoll, daß wir den Aufwand in vernünftige Bahnen lenken, gerade weil die Kosten des Umweltschutzes weiter steigen werden. Um so wichtiger ist es, durch geeignete institutionelle Regelungen dem Umweltschutz kostengünstige Wege zu öffnen.Viele befürchten, die Umweltpolitik leide Schaden, wenn der Kostenaspekt zu stark betont wird. Das Gegenteil trifft zu.Ich habe hier unter Vorwegnahme der Genehmigung des Präsidenten aus dem Gutachten des Sachverständigenrates zitiert. Ich hoffe, daß Sie wenigstens dies akzeptieren, wenn Sie CDU-Äußerungen schon nicht zustimmen.Wir werden die Politik der Ge- und Verbote, wie wir sie in der Vergangenheit entwickelt haben, bei aller berechtigten Kritik nicht aufgeben können. Wir müssen jedoch prüfen, welche Maßnahmen, welche marktwirtschaftlichen Instrumente zweckdienlich sind.
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Dr. LippoldWas die bereits angesprochenen neuen Wege angeht, so brauchen wir eine Stärkung des Eigeninteresses der Wirtschaft am Umweltschutz. Wir brauchen die Belohnung umweltfreundlichen Verhaltens. Sie muß einhergehen mit der Notwendigkeit, unweltbelastende Produktionsverfahren, die sich nicht mehr lohnen dürfen, zu ändern.Wir erleben zur Zeit eine heftige — ich meine: teilweise vordergründige — Diskussion um die Anreize, um die „neuen ökonomischen Instrumente" der Umweltpolitik. Dazu dies: Eine unkritische Übernahme der Maßnahmen der amerikanischen Luftreinhaltepolitik ist dabei sicher genausowenig richtig, wie eine voreilige, auf Vorurteilen gegründete Ablehnung förderlich ist.Wir sind doch insgesamt von solchen Regelungen gar nicht meilenweit entfernt. Wir sprechen doch alle davon, wie wir durch vermehrt eröffnete Ausgleichs- und Kompensationsmöglichkeiten zwischen Emittenten des gleichen Raums entsprechende Anreize schaffen können, um mehr Umweltschutz bei geringerem Aufwand zu realisieren. Das wollen wir, und das müssen wir tun.
Auch Abgabenlösungen sind zu prüfen. Doch mit Sicherheit auszuschließen ist die Abgabe als Instrument zur Erzielung von Einnahmen, mit denen Beschäftigungs- und Umweltprogramme aller Art ohne Effizienzkontrolle finanziert werden sollen,
als sei die Wirkungslosigkeit solcher Art Programme nicht erwiesen, die Gefahr der Fehlsteuerung knapper Mittel nicht offensichtlich.
— Ach, was heißt hier: „nichts verstanden"? Wir haben sehr sorgfältig analysiert, was Sie z. B. in Hessen tun. Sie türmen eine Belastung auf die andere, sagen dann, das sichere eine Dreiviertelmillion Arbeitsplätze, ohne allerdings auf Entzugseffekte durch die Finanzierung, ohne auf andere Maßnahmen einzugehen.
Dem, der so wahlkampfopportunistisch Politik macht, kann der Bürger auf Dauer nicht vertrauen.
— Darüber können wir uns hinterher noch länger unterhalten. —Die Frage der steuerlichen Anreize ist hier heute mehrfach angesprochen worden. Was müssen diese steuerlichen Anreize bei der Einführung bleifreien Benzins und einer neuen Generation umweltschonender Autos leisten, damit diese Politik erfolgreich ist? Ich will kurz auf vier Punkte eingehen. Erstens. Richtschnur muß sein, daß derjenige, der die Umwelt durch den Kauf eines umweltfreundlichenAutos entlastet, belohnt, zumindest aber nicht bestraft wird. Das gilt für die Investitionskosten, Kauf des Autos, wie für den Betrieb.Zweitens. Wir wollen verhindern, daß es zu einem vorgezogenen Boom kommt.Drittens. Wir wollen es schaffen, daß die Lösung aufkommensneutral ist.Ein viertes Erfordernis: Sie soll unbürokratisch sein.Ich glaube, daß der Regierung die Lösung dieser Aufstellung gelingen wird. Sie hat in der Vergangenheit bewiesen, daß sie dies aktiv in die Hand nimmt. Sie wird auch diese schwierige Aufgabe meistern. — Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Blunck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich meinen Vorredner hörte, hatte ich das Gefühl, als habe es 13 Jahre lang keine Abgeordneten der CDU/CSU gegeben; in Sachen Umweltpolitik haben Sie sich ja auch in diesem Zeitraum überhaupt nicht gerührt.
Ihnen scheint die Erkenntnis auch ein bißchen spät gekommen zu sein.
Und dann haben Sie sich hervorragend an das Sonthofener Programm von Herrn Strauß gehalten. Also, insofern: Retourkutschen sind nicht so gut.
Aber zur Sache: Die Initiativen des Herrn Zimmermann in seiner Eigenschaft als Umweltminister kann man ganz kurz zusammenfassen:
Außer heißer Luft nichts gewesen. Oder anders: Mit Verbalradikalismus bekommt man weder einen gesunden Wald noch sauberes Trinkwasser, noch kann man damit Ost- oder Nordsee als intaktes Ökosystem erhalten bzw. wiederherstellen. Beim Wald und im Bereich der Luftreinhaltung, um willkürlich zwei Bereiche herauszunehmen, haben wir bereits den kürzeren gezogen und den Pfad der Tugend, nämlich dem Vorsorgeprinzip in der Umweltpolitik Vorrang zu geben, verlassen. In beiden Bereichen müssen wir alle mit wesentlich höheren Kosten Schäden beheben. Ob uns das gelingen wird, ist mittlerweile sehr fraglich. Wenn wir im Bereich unserer Meere nicht den gleichen Fehler begehen wollen, dann heißt es, auf weitere Alibiveranstaltungen zu verzichten und sofort zu handeln.Die Probleme sind allen hinreichend bekannt. Demjenigen, der immer noch nicht von der Schädigung der Nord- und Ostsee Kenntnis nehmen will, kann man nur empfehlen, einen Spaziergang entlang der Küste zu unternehmen. Was man dort an
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Frau Blunckverendeten, ölverseuchten Tieren sieht und was man leider nicht mehr sehen kann — nämlich bestimmte Muscheln, bestimmte Kleinlebewesen, die bereits ausgelöscht sind —, das alles sollte das fortwährende Regierungslächeln vertreiben helfen.Heute haben wir schon das Verkaufsverbot für Aale aus der Elbe. Wenn wir weiterhin die Nordsee als billige Müllkippe Europas mißbrauchen, dann wird sehr bald auf jedem Nordseefisch der Hinweis des Bundesgesundheitsministers aufgedruckt werden müssen: „Der Verzehr dieses Fisches gefährdet Ihre Gesundheit."
Am Ende dieser Gruselperspektive
dürfte dann ein absolutes Badeverbot an der Küste und den Inseln stehen, weil sich die Nordsee in eine übelriechende, gesundheitsgefährdende Kloake verwandelt hat.
Was dies für die Menschen der norddeutschen Küstenregion bedeuten würde, das müßte eigentlich auch einem Binnenländer oder gar einem Älpler zu vermitteln sein.Es ist einfach ein Skandal, daß nach wie vor hochgiftige Dünnsäure in die Nordsee gekippt werden kann, also Abfälle, die unter anderem krebserregende Stoffe wie Benzol, Naphthalin oder PCB enthalten, die bereits in kleinen Mengen Tumorbildung hervorrufen können und über Jahrzehnte nichts von ihrer Giftigkeit verlieren. Anstatt ein generelles Verklappungsverbot zu erlassen — —
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich lasse beide zu, aber ich möchte den Satz erst zu Ende bringen.
Anstatt ein generelles Verklappungsverbot zu erlassen, konnte sich die Bundesregierung in ihren im September vergangenen Jahres verkündeten Maßnahmen zum Schutze der Nordsee aber lediglich zu einer Eindämmung der Verklappung von Abfällen auf See entschließen.
Zuerst hat Herr Kollege Carstensen das Wort.
Frau Kollegin Blunck, sind Ihnen nicht die Untersuchungen bekannt, die im letzten Jahr im Sommer oder im Frühsommer gerade an der Nordseeküste gemacht worden sind, als die — wie Sie sagten — „Horrormeldungen" über die vielen ölverschmutzten Vögel durch die Presse gingen, die ausgesagt haben, daß das Nordseewasser, das sicherlich noch zum Baden geeignet ist, auf keinen Fall dem Wasser einer Kloake entspricht?
Herr Carstensen, Sie sollten die neueren Gutachten lesen. Dann werden Sie dazu kommen, daß das, was ich hier soeben geschildert habe, kein Szenario für das Jahr 2500 ist, sondern daß das schon an vielen Stellen in der Nordsee durchaus Wirklichkeit ist, nämlich vor Brunsbüttel. Wenn ich das richtig sehe, ist das ja wohl Schleswig-Holstein.
Nun kommt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Eigen.
Frau Kollegin Blunck, ich hatte die Frage schon Herrn Duve stellen wollen, der so beredt über den Bodenschutz sprach.
Was hat denn, liebe Frau Kollegin, die Hansestadt Hamburg z. B. unternommen, die unter langjähriger Verantwortung der SPD steht — leider —, um die Elbe so rein zu machen, daß man die Aale aus der Elbe wirklich essen kann?
Lieber Herr Eigen, Gott sei Dank steht Hamburg noch unter sozialdemokratischer Herrschaft. Sie werden sich wundern, was an sauberem Wasser aus diesen wirklich hervorragenden Anlagen herauskommt,
was jegliche andere Möglichkeit der Klärung bei weitem übertrifft.
Es mutet schon wie blanker Zynismus an, wenn einer der bekannten Titandioxid-Produzenten ausgerechnet diesen Stoff — jetzt meine ich die Verklappungssache — in einer Werbeschrift als einen entscheidenden Beitrag für die Verschönerung unserer Umwelt und zur Steigerung unserer Lebensqualität feiert. Da ist mir ein funktionierender Naturhaushalt doch lieber als ein noch so strahlendes Weiß, das weißer nicht mehr geht.
Diesem selbst ausgestellten Persilschein ist offenbar auch das Deutsche Hydrographische Institut aufgesessen, das die am 31. Januar 1983 ausgelaufene Genehmigung für die Verklappung von 750 000 t Dünnsäure mit einem Schwefelsäureanteil von 13% in eine Genehmigung für 312 000 t, aber dafür mit einer Konzentration von 23 %, umgewandelt hat. Wenn unter dieser Augenwischerei die von der Bundesregierung angekündigte Eindämmung zu verstehen ist, dann kann ich nur sagen: Diese Täuschung lassen wir nicht durchgehen.
Frau Kollegin, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Carstensen?
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Ich kann das nicht mehr, Herr Carstensen,
— Wir sind doch im Ausschuß zusammen. Ich beantworte Ihnen die Fragen gerne da.
Daß eine Fortsetzung der Verklappung die Arbeitsplätze in der Fischereiindustrie und in der Fremdenverkehrswirtschaft bedroht, wird offensichtlich gerne in Kauf genommen. Außerdem wird doch wohl auch übersehen, daß bei einer Vernichtung unserer natürlichen Lebensgrundlagen sich auch das Arbeitsplatzproblem ganz generell von selbst erledigt.
Ich fordere daher den Bundesverkehrsminister auf, das DHI anzuweisen, die Genehmigung für die Verklappung in der Nordsee zu widerrufen, und zwar sofort. Ölverklebte Vögel, tote Fische, gewaltige Ölteppiche, verdreckte Badestrände sind die sichtbaren Mahnzeichen für diese bedrohliche Entwicklung. Solange z. B. die Entsorgungskosten weit unter den Kosten liegen, die entstehen, wenn man eine Strafe dranhängt, so lange ist sicher nicht zu verhindern, daß Umweltverschmutzung einen finanziellen Anreiz darstellt, und wir haben überhaupt keine Chance, die Situation zu verbessern.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Eigen?
Ja.
Frau Kollegin Blunck, glauben Sie, daß Ihre dramatische, völlig übertriebene Darstellung des Zustandes der Strände für das Fremdenverkehrsgewerbe in Schleswig-Holstein und für die Arbeitsplätze in diesem Gewerbe sehr positiv ist?
Herr Eigen, ich würde Ihnen sehr raten, meine Rede nachzulesen, weil ich nämlich gar nicht die Dramatik zur Zeit hergestellt habe, sondern weil es sehr dramatisch an der Küste ist.
Wahrscheinlich werden mir diese Fremdenverkehrsorte für die Zukunft sehr dankbar sein; denn wenn Ihre Regierung nicht jetzt endlich mal in diesem Sektor handelt, dann sehe ich allerdings schwarz für die Arbeitsplätze sowohl in der Fischerei wie auch in der Fremdenverkehrsindustrie.
Wir sollten mit wirksamen Schutzmaßnahmen nicht so lange warten — auch das ist hier immer wieder angeklungen —, bis uns auch der letzte Wissenschaftler gesicherte Erkenntnisse über Ursachen und Wirkung geliefert hat. Hearings, Symposien und Besichtigungen vor Ort hat es bereits genug gegeben. Die Schädigungen sind offensichtlich. Wir müssen daher jetzt die politische Verantwortung übernehmen und vorbeugenden Umweltschutz betreiben, damit die Nordsee am Ende nicht doch zu einer Mordsee verkommt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Warrikoff.
Meine Damen und Herren, darf ich an die Redner die Bitte richten, sich im Sprechtempo ungefähr so einzustellen, daß die Stenographen noch mitkommen.
Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Es ist ein Problem der Zeit, Herr Präsident.Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man stereotyp die Einleitung bei den Damen und Herren der SPD und auch bei den GRÜNEN erlebt, die zunächst einmal immer erklären, daß dieser Bundesminister, daß diese Bundesregierung nichts getan hat,
dann schwanke ich zwischen zwei Alternativen, entweder, daß das lächerlich ist oder daß Sie selber nicht glauben, was Sie da reden. Für mich wäre es hochinteressant, mal die letzte Frage beantwortet zu bekommen.
Der Eindruck, den Sie hier ohne jeden Erfolg vermitteln wollen — Herr Fischer, darüber kann man bei passender Gelegenheit noch einmal reden.
Ich spreche von Sachen, Herr Fischer, von denen ich etwas verstehe, während Sie vorzugsweise von Sachen reden, von denen Sie nichts verstehen; aber das wird für Sie nichts bedeuten.
Sie versuchen, uns den Eindruck zu vermitteln, als ob wir 1982 von Ihnen ein Paradies geerbt hätten, und was seitdem an Umweltsünden passiert ist, ginge auf unsere Rechnung.
Meine Damen und Herren, mein Thema ist der Umweltschutz auf der einen, Wissenschaft und Technik und Forschung auf der anderen Seite. Technik nimmt ohne jede Frage Umwelt in Anspruch durch Abluft, Abwasser, Lärm, Abfall. Der radikale Ansatz, deswegen ganz auf Technik zu verzichten, um die Umwelt zu schonen, würde aber nicht nur eine Wirtschafts-, sondern vor allem eine Umweltkatastrophe auslösen.
Je weniger Technik genutzt wird, um so mehr wird die Umwelt beansprucht. Wir können in einem internationalen Vergleich geradezu sehen, je weiter fortgeschrittene Länder in der Nutzung der Technik sind, desto geringer wird die Umwelt bean-
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Dr. Warrikoffsprucht, um so höheren Stellenwert hat der Umweltschutz.
Die Antwort muß daher lauten: nicht Abkehr von der Technik, sondern Einsatz von Wissenschaft, Technik und Forschung für den Umweltschutz.Technik und Wissenschaft bedeuten für den Umweltschutz dreierlei. Erstens, sie helfen uns, die Umweltbelastung überhaupt zu erkennen, zweitens, sie helfen uns, die Ursachen dafür zu finden, und drittens, die Ursachen zu bekämpfen.Zum Erkennen: durch moderne wissenschaftlichtechnische Methoden, die tausendfach genauer sind, als dies noch vor etwa zehn Jahren der Fall gewesen ist, können wir heute Luftverunreinigung, z. B. auch Verunreinigung mit Dioxin PCB, ermitteln. Das nostalgisch verklärte Umweltparadies früherer Zeiten war vermutlich gar nicht so paradiesisch. Man hat es nur nicht messen können.
Die verbesserte Meßtechnik, meine Damen und Herren, soll dem Umweltschutz dienen, nicht aber der politischen Agitation. Wer sich mit Triumphgeheul auf jede neue Entdeckung einer vielleicht seit hundert Jahren bestehenden Umweltbelastung stürzt, um unsere Gesellschaft anzuklagen, und gleichzeitig seine undurchdachte Heilslehre zu vermarkten,
ist kein Umweltschützer, sondern ein Scharlatan.
Eine ganz besonders schlimme Rolle spielen hier die sogenannten kritischen Wissenschaftler, die Ihnen, Herr Fischer, ganz ungewöhnlich nahestehen. Unter „kritischen Wissenschaftlern" sind solche zu verstehen, die höchst unkritisch eine ganz feste Ansicht haben, bevor sie sich mit einet Problem überhaupt auseinandersetzen
und die nachher alles tun, um die Richtigkeit ihrer einmal getroffenen Vorurteile zu bestätigen.
— Ich rede schnell in der offenbar vergeblichen Hoffnung, daß Sie mir folgen können. Das ist der eine Grund. Das ist aber danebengegangen. Der zweite Grund ist der, daß in der Tat die Zeit knapp ist.
— Wenn Sie nicht mehr folgen können, will ich ganz langsam für Sie wiederholen.
Wenn die „kritischen Wissenschaftler" nicht zur Übereinstimmung mit der Wirklichkeit kommen, ist das um so schlimmer für die Wirklichkeit.Zur Ermittlung der Ursachen für die Schäden. Hier gibt es umfassende Programme mehrerer Bundesministerien. Die haben die Mittel auch auf dem Gebiet der Forschung und Entwicklung aufgestockt. Wir gehen intensiver und koordinierter daran, die Gründe für die Umweltbelastung zu finden. Denn diese Ermittlung ist notwendig für die Voraussetzung für die Bekämpfung. Wissenschaft und Technik müssen uns helfen, die Umweltschäden zu beseitigen, zu bekämpfen.Meine Damen und Herren, wer den Bau moderner umweltfreundlicher Kohlekraftwerke bekämpft, nützt dem Umweltschutz nicht, sondern schadet ihm. Diejenigen, die im Namen des Umweltschutzes in den 70er Jahren den Bau moderner Kohlekraftwerke behindert haben, sind in erster Linie dafür verantwortlich, daß fast 80% unserer Kohlekraftwerke älter als zehn Jahre sind.Herr Fischer, ich wollte es Ihnen vorschlagen. Sie werden jetzt sicher viele Zwischenrufe machen.
Wer die Kernenergie verhindern will, macht sich mitschuldig am Sterben unserer Wälder.
Im Jahre 1980 hat der CDU-Abgeordnete Jagoda die damalige Bundesregierung gefragt, mit wieviel Tonnen Schadstoff die Luft zusätzlich verschmutzt worden wäre, wenn bis zum Jahre 1980 in der Bundesrepublik Deutschland der durch Kernkraftwerke erzeugte Strom z. B. durch Steinkohlekraftwerke erzeugt worden wäre. Die Antwort der Bundesregierung lautete 1980: Es wären 2,7 Millionen Tonnen Schwefeldioxid und 1,4 Millionen Tonnen Stickoxide zusätzlich gewesen.Ganz gleichgültig, meine Damen und Herren, was die Antikernenergiebewegung der 70er Jahre wirklich wollte — da gibt es ein breites Spektrum dessen, was sie wollte —: Erreicht hätte sie, wenn sie sich mit ihren Zielen durchgesetzt hätte, eine erhebliche zusätzliche Belastung der Umwelt.
— Ich weiß nicht, wie Sie das bezeichnen. Was Sie gerade sagen, ist unqualifizierbar und unverständlich. Das ist meine Bemerkung dazu.
Herr Abgeordneter, darf ich Sie unterbrechen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Blunck?
Eine, bitte, und, wenn es geht, kurz.
Sie haben so vehement die Kernenergie verteidigt. Ist Ihnen eigentlich bewußt, daß in den Abwässern, die aus den Kernkraftwerken am Rhein bereits jetzt in die Nordsee hineinge-
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Frau Blunckhen, die Konzentration des Tritiums — das ist der radioaktive Wasserstoff — bereits 1 000 Dezibel über dem von der WHO festgelegten Grenzwert liegt?
Das ist mir nicht bekannt. Ich bestreite es nachdrücklich. Es werden nur Ableitungen in das Wasser zugelassen, die innerhalb der vorgesehenen Grenzwerte sind. Ich bestreite die von Ihnen gemachte Aussage, daß das so ist.
— Ich hatte gesagt, ich lasse eine Zwischenfrage zu, mehr nicht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ich hatte gesagt, daß ich nur eine zulasse. Es tut mir leid.
Der politische Wille zu verbessertem Umweltschutz
ist auch eine Sache des inneren Engagements, der Einstellung, der Entschlossenheit, Fehlentwicklungen abzustellen. Die konkrete Verwirklichung von Umweltschutz ist jedoch eine Sache des Verstandes.
— Jawohl, des Verstandes. Ich wiederhole es für Sie.
Man nützt dem Umweltschutz nicht, wenn man Forderungen aufstellt, die nicht verwirklicht werden können. Wir wollen sehr ehrgeizige Ziele, wir wollen aber keine unmöglichen Ziele vorgeben. Vor allem müssen wir im Interesse des Umweltschutzes verläßliche Ziele vorgeben. Wenn während der Planungsperioden die Zielvorgaben ständig geändert werden, hat das zur Folge, daß ständig neue Planungsarbeiten durchgeführt werden müssen mit dem Erfolg, daß das Umweltziel letzten Endes viel später erreicht wird.
Dem Umweltschutz dient auch nicht derjenige, der ihm opportun erscheinende Forderungen erhebt, die der Umwelt nicht nützen, sondern schaden. Wenn eine Fraktion dieses Hauses — Sie werden sich alle erinnern — in ihrem Antrag zur Bekämpfung der neuartigen Waldschäden verlangt, daß zunächst einmal alle Kernkraftwerke abgeschaltet werden müßten, dann ist das entweder der Sieg einer undifferenzierten Ideologie über den Umweltschutz oder das ist eine intellektuelle Minderleistung, wofür die deutsche Sprache einen ganz bestimmten Ausdruck hat, auf den ich aus Gründen der Höflichkeit hier verzichten möchte.
— Ich sage es Ihnen gelegentlich einmal gerne.
Wir wollen auf allen Gebieten der Wissenschaft und Technik Höchstleistungen. Wir wollen diese Höchstleistungen aber ganz besonders auf dem Gebiet des Umweltschutzes. Wir wollen nicht, daß der Umwelt im Namen des Umweltschutzes geschadet wird. Für uns ist der Umweltschutz nicht ein Gebiet politischer Opportunität und Agitation, sondern ein Gebiet sachlicher Arbeit. Wir wollen die Probleme des Umweltschutzes auch diskutieren. Wir wollen sie aber vor allem lösen.
Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Weyel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bredehorn hat eben schon auf die beiden internationalen Abkommen zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten und über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume hingewiesen; beide aus dem Jahr 1979. Sie bereichern die nicht geringe Anzahl von Gesetzen, von Erklärungen, von Einzelregelungen, die alle der Erhaltung der Arten dienen, aber in ihrer Vielzahl eigentlich eher zur Verwirrung als zur Klarheit beitragen. Deswegen brauchen wir eigentlich eine Regelung, mit der das erreicht wird, was wir sicher alle gemeinsam wollen: das Aussterben von bestimmten Pflanzen und Tierarten tatsächlich zu verhindern und die Vielfalt zu erhalten. Über diesen Zweck sind wir uns wohl einig.Nun stellt sich die Frage: Was können wir als geeignete Grundlage nehmen? Da erscheint uns für den Bereich der Bundesrepublik das Bundesnaturschutzgesetz die geeignete Grundlage, vor allen Dingen mit dem Fünften Abschnitt zum Schutz und zur Pflege wildwachsender Pflanzen und wildlebender Tiere. Dieses Bundesnaturschutzgesetz — jetzt kommen wir zur Frage, was früher eigentlich gemacht worden ist — ist in der Zeit der vorigen Regierung verabschiedet worden. Es hat sich sicher in bestimmten Teilen bewährt, aber es bedarf einer Novellierung; denn hinsichtlich bestimmter Bereiche, vor allen Dingen hinsichtlich des Artenschutzes, ist das Problembewußtsein der Bürger, aber auch der Politiker ganz sicher gestiegen. Darüber hinaus haben sich bestimmte Defizite ergeben, vor allen Dingen bei der Kontrolle und bei der Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen.Man kann heute einfach nicht mehr darauf vertrauen, daß sich durch die Selbstheilungskräfte der Natur alle Probleme sozusagen von selbst lösen; jedenfalls nicht in einem so dicht besiedelten Gebiet, wie es die Bundesrepublik nun einmal ist. Wenn man übertreiben will, dann muß man eben
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3840 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984
Frau Weyelsagen: In unserem Bereich ist der Mensch ein natürlicher Feind einer gesunden Umwelt, wenn nicht entsprechende Vorsorge getroffen wird.Die Zielsetzungen und Entscheidungen beim Artenschutz möchte ich ganz kurz durch einige Fragen deutlich machen. Was sind denn eigentlich in unserem Land natürliche Flora und Fauna? Ist z. B. der Klatschmohn als Unkraut auf dem Feld eine für die Bundesrepublik ursprüngliche und natürliche Pflanze oder ist es nicht eine im Laufe der Kultur eingeführte Pflanze, die heute von uns als wild-wachsende Naturpflanze angesehen wird, aber irgendwann einmal hier angesiedelt worden ist? Ähnliches gilt für viele Tierarten.Es stellt sich auch die Frage: Welche Tiere und Pflanzen sollen wir eigentlich erhalten? Sind alle schutzwürdig? Wie sieht es z. B. mit bestimmten Schädlingen aus? Muß man sie auch erhalten, oder darf man sie ausrotten?Es stellt sich die Frage: Was würde sich denn eigentlich von selbst erhalten, wenn der Mensch keine Eingriffe in die Natur vorgenommen hätte?In der Antwort der Bundesregierung auf die Große Antrage unserer Fraktion zum Schutz des Bodens heißt es sehr schön — Herr Eigen, das betrifft ja auch Sie —:Agrarökosysteme sind dadurch gekennzeichnet, daß sie zur Stabilisierung regelmäßiger menschlicher Eingriffe bedürfen. Diese Eingriffe hatten und haben neben den jeweils angestrebten positiven Wirkungen meist auch bestimmte nachteilige Nebenwirkungen.So die Antwort der Bundesregierung.Man muß aber hinzufügen: Nicht nur Agrarökosysteme brauchen menschliche Eingriffe. Es gibt überhaupt keine stabilen Ökosysteme. Wenn Sie irgendein Stück Natur sich selbst überlassen, dann verändert es sich. Wenn wir es in einer bestimmten Art erhalten wollen, dann bedarf es der Eingriffe. Die Frage ist nur: welcher Eingriffe?
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Eigen?
Bitte sehr.
Frau Kollegin, erkennen Sie aber auch an, was Herr von Schorlemer sagte, nämlich daß unser Landbewirtschaftungssystem der bäuerlichen Familienbetriebe auch ökologisch die sinnvollste Landbewirtschaftung ist?
Das kommt darauf an, in welcher Relation Sie es sehen. Ich glaube, Herr von Schorlemer hat den Vergleich mit großen amerikanischen Farmen gebracht. Da würde ich das ohne weiteres bejahen.
— Sicher gibt es auch auf der anderen Seite Bewirtschaftungssysteme, die sinnvoll sind. Nicht alles istschlecht, nur weil es auf der anderen Seite ist, genauso wie nicht alles gut ist, nur weil es auf dieser Seite ist. Darüber sind wir uns doch einig.
Sie haben vorhin gefragt: Wie wollen Sie die Landwirtschaftsklausel ändern? Die radikalste Maßnahme wäre, sie schlicht wegzulassen.
— Unmöglich ist das nicht.
Aber man kann ganz sicher nicht davon ausgehen— da nehme ich auch auf die Vorredner Bezug —, daß grundsätzlich alles, was der Landwirt tut
— darauf komme ich gleich —, der Erhaltung der Natur dient. Im Naturschutzgesetz und übrigens auch in der Antwort der Bundesregierung wird immer auf die sachgerechte Bewirtschaftung hingewiesen,
auf die ordnungsgemäße. Das sind immer so diese Floskeln.
Die Frage ist eben: Können Sie die Hand dafür ins Feuer legen, daß jeder Landwirt das tut? Wenn jemand mit seinem vollen Güllefaß im Dreck stekkenbleibt und weit und breit keiner zu sehen ist, dann läßt er es schnell ab, damit er mit dem Kram aus dem Modder herauskommt. Das gibt es halt. Dewegen müssen wir bei der Landwirtschaftsklausel davon ausgehen, daß nicht alles, was getan wird, gut ist, sondern daß hier Einschränkungen vorzunehmen sind.
Ich bin gern bereit, auf die Äußerungen von Herrn Einert und auf das zurückzukommen, was Herr Fellner dazu gesagt hat. Wir bestreiten ja überhaupt nicht, daß die ordnungsgemäße Bewirtschaftung des Landes eine Form der Naturerhaltung ist und sein kann. Aber wir bestreiten, daß das a priori immer so ist, egal, was einer tut. Das ist das Problem.
— Eben. Das muß kontrolliert werden; das ist die Frage.Bei der Auseinandersetzung zwischen Landwirtschaft und Naturschutz werden wir uns sehr schnell einig — da darf ich noch einmal die Landwirte ansprechen —, wenn wir akzeptieren, daß beide sich beeinflussen, daß die Art der Bewirt-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3841
Frau Weyelschaftung der landwirtschaftlichen Flächen die umgebenden Naturflächen beeinflußt und umgekehrt.
Wenn wir uns darüber einig sind und auch darüber, daß beide Daseinsberechtigung haben, die Landwirtschaft für ihren Sektor und die naturbelassenen Flächen für den Naturschutzsektor, dann muß es möglich sein, zu einer vernünftigen Regelung zu kommen. Es geht u. a. darum die verschiedenen Flächenbereiche voneinander abzugrenzen, und da müssen beide Seiten auch mal Kompromisse machen, damit das dann einigermaßen vernünftig wird.
Da komme ich auch noch einmal auf die Frage der allgemeinen Nutzung, z. B. auf das Betretungsrecht, zurück. Das gilt nicht nur für den Wald, das gilt auch für andere Bereiche. Da müssen wir uns im Einzelfall überlegen, ob man das Betretungsrecht einschränken oder ganz ausschließen muß, um z. B. bestimmte Biotope zu erhalten. Das gilt dann aber bitte schön nicht nur für den Jäger, sondern auch für andere Formen des Naturschutzes.Damit möchte ich noch einmal kurz auf die Frage des Biotopenschutzes zurückkommen. Das scheint uns eine ganz wesentliche Sache zu sein. Ich glaube, Herr Carstensen hat soeben so schön auf die Verkehrsmittel hingewiesen. Bei den Verkehrswegen haben wir die Vernetzung, und die Vernetzung der Verkehrswege hat dazu geführt, daß sehr viele Naturflächen zerschnitten worden sind. Wenn ich eine Fläche mit einer Straße zerteile, dann zerstöre ich das natürliche System dieses Gebietes. Deswegen brauchen wir umgekehrt auch eine Vernetzung der naturbelassenen Gebiete. Nur geht das nicht so einfach wie bei den Straßen; denn wir können natürlich für die Pflanzen und Tiere keine Verkehrsregeln aufstellen, an die sie sich halten sollen.
— Herr Carstensen, ich fürchte, meine Redezeit ist gleich abgelaufen.Die Erfahrung hat aber gezeigt, daß alle gutgemeinten Anregungen nichts nützen, wenn wir uns nicht auch einmal die Antwort auf die Frage überlegen, ob Verstöße gegen die Naturschutzgesetze eigentlich Ordnungswidrigkeiten sind, oder ob das nicht zum Teil Straftatbestände betrifft. Es gibt leider immer noch Leute, die nach dem System verfahren: Erst hacken wir den Baum mal um, denn dann ist das Hindernis weg, und wenn wir hinterher eine Geldstrafe bekommen, ist das immer noch billiger, als wenn der Baum stehengeblieben wäre und wir hätten da herumbauen müssen. Das ist das Problem.
Wenn wir es ernst nehmen, brauchen wir zwei Dinge. Das eine ist die Kontrolle — dazu gehört einegewisse Menge Bürokratie, was ich gern zugebe —,
und das andere ist eine Strafe für schwerwiegende Umweltsünden, die dem Bestraften wehtut und die er nicht mit mehr oder minder klingender Münze aus der Westentasche bezahlen kann.
Ich möchte noch einmal betonen: Die SPD-Fraktion fordert die Bundesregierung auf, eine Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes mit einem verbesserten Artenschutzteil vorzulegen — übrigens hat Nordrhein-Westfalen dazu schon einen Vorschlag gemacht —,
und zwar alsbald, und bis zum Ende des Jahres sollte auch das angekündigte Programm zum Schutz der Biotope vorgelegt werden.Damit Sie zum Schluß von uns auch noch etwas Nettes hören: Ich begrüße ganz ausdrücklich Ihre Forderung nach einem zusammenfassenden Bericht 1984 zum Umweltschutz, wie er in Ihrem Entschließungsantrag unter Punkt 4 gefordert wird. Da sind wir durchaus einverstanden.
— Nein, er hat nicht von Punkt 4, sondern vom Ganzen gesprochen.Ich möchte an dieser Stelle auch sagen, daß vieles von dem, was Herr Kiechle gesagt hat, durchaus unsere Zustimmung finden kann, und ich bedaure, daß Sie die Aussagen von Herrn Kiechle nicht deutlicher unterstützt haben.
Danke schön.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 8 bis 12, 16, 17 und zum Zusatzpunkt 2 auf den Drucksachen 10/849, 10/629, 10/609, 10/786, 10/787, 10/906, 10/907 und 10/969 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Sind Sie mit den Überweisungsvorschlägen einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 13. Wer den Beschlußempfehlungen des Innenausschusses auf Drucksache 10/870 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Gegenstimmen und Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.Zu Zusatzpunkt 1 — Beratung des Antrags der Fraktion der SPD „Friede mit der Natur — Für eine umweltverträgliche Industriegesellschaft" auf Drucksache 10/974 — ist Ausschußüberweisung beantragt worden, und zwar zur federführenden Bera-
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Vizepräsident Stücklentung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und den Ausschuß für Verkehr. Sind Sie mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 14. Der Antrag des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/991 ist zurückgezogen.
Wir kommen somit zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr, auf Drucksache 10/780. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich habe den Eindruck, daß ein Teil der Mitglieder die Abstimmung nicht mitmachen will. Darf ich das wiederholen?
— Ich wollte nur feststellen, ob hier ein Irrtum vorliegt.
Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.Wir stimmen jetzt über die Vorlage zu Tagesordnungspunkt 15 ab. Wer der Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/894 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen ist diese Beschlußempfehlung mit Mehrheit angenommen.Es ist noch über die Vorlage unter Zusatzpunkt 3 abzustimmen. Wer der Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/970 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? —
— Ja, Herr Fischer, ich verstehe das schon. Ich verstehe das durchaus! — Bei einer Reihe von Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
— Sie verweigern die Mitarbeit?
Ich rufe Punkt 18 des Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDPBericht zur Lage der Nation— Drucksachen 10/187, 10/192, 10/914 —Berichterstatter:Abgeordnete Werner HeimannMeine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zehn Minuten für jede Fraktion vorgesehen. Ist das auch die Meinung des Hauses? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Wird von den Berichterstattern das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Werner das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute die Beschlußempfehlung zu zwei Entschließungsanträgen der SPD-Fraktion sowie der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion zum Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland.Dies ist heute insofern ein bemerkenswerter Tag, als es mit der Drucksache 10/914 nach vielen Jahren des Dissenses nunmehr gelungen ist, eine gemeinsame Entschließung in diesem wichtigen Bereich zustande zu bringen.
Ich möchte, da — ich nehme das an — in diesem wichtigen deutschlandpolitischen Kapitel Lernprozesse auf allen Seiten stattgefunden haben und stattfinden, insbesondere dem Mitberichterstatter dafür danken, daß wir hart, manchmal mühsam miteinander diskutiert, j a geradezu gerungen haben, aber gleichwohl auch immer den Willen zu Gemeinsamkeit fanden. Diese Gemeinsamkeit ist zustande gekommen. Ich freue mich darüber, daß dies gerade in dieser Zeit möglich ist, wo es zumindest mir von besonderer Bedeutung erscheint.Die Deutschlandpolitik ist j a nun von einer großen Vielschichtigkeit gekennzeichnet. Wir haben es mit einer Politik für alle Deutschen zu tun, leben sie hier, in der DDR oder jenseits von Oder und Neiße in den deutschen Ostgebieten.Die Deutschlandpolitik ist aber zugleich von ihrem Inhalt und Wesen her eine Politik, die daraufhin angelegt sein muß, den Frieden und die Freiheit in Europa zu wahren und zu fördern. Die Deutschlandpolitik ist eine Politik, die daraufhin angelegt ist, Spannungsursachen zu beseitigen und eine langfristig angelegte Politik des Ausgleichs und des Friedens in die Wege zu leiten.Insofern ist Deutschlandpolitik europäische Friedens-, Einigungs- und — das möchte ich hinzufügen — auch europäische Freiheitspolitik, wenn sie richtig verstanden wird und im Einklang mit den europäischen Nationen durchgeführt wird.
Ich möchte gerade diese Stunde nutzen und dem neugewählten Regierenden Bürgermeister von Ber-
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Wernerlin, Herrn Diepgen, unsere herzlichen Glückwünsche aussprechen
und ihm die gleiche glückliche Hand wünschen, die gerade in der Deutschlandpolitik sein Vorgänger, Herr von Weizsäcker, bewiesen hat. Dies erscheint mir deswegen so wichtig, weil Berlin für uns, gerade auch in der Deutschlandpolitik, Prüf stein bleibt.
Die Deutschlandpolitik hat, ausgehend von den deutschlandpolitischen und deutschlandrechtlichen Grundsätzen, das Ziel, die Einheit der Nation zu wahren. Diese rechtlichen Voraussetzungen führen uns allerdings dann auch dazu, daß wir Überlegungen, wie sie etwa in den Geraer Forderungen vorgetragen wurden, eine klare Absage erteilen müssen. Dies war bei den Berichterstattungsgesprächen anerkennenswerterweise unstrittig.Wir müssen uns in Zukunft noch intensiver mit der Politik der DDR nicht nur uns gegenüber, sondern auch international auseinandersetzen. Denn diese Politik der DDR beweist nach außen — verglichen mit der Politik der anderen Ostblockstaaten — eine relativ hohe Flexibilität, die nach innen hin von einem erstaunlichen Maß an Repression begleitet ist.Die DDR als Eckpfeiler im Warschauer Pakt, als wichtiger Faktor im COMECON hat es verstanden, sowohl im östlichen Machtbereich als auch international ihr Gewicht immer stärker zur Geltung zu bringen und sich als Gesprächspartner des Ostens auch im Westen anzubieten, worauf gerade die jüngsten Besuche des kanadischen Ministerpräsidenten und des französischen Außenministers hinweisen. Dieses Sowohl-als-auch — so möchte ich es einmal nennen — hat dazu geführt, daß die DDR auch uns, der Bundesrepublik Deutschland, gegenüber eine elastische und realistischere Politik durchführt, als dies in den vergangenen Jahren der Fall war.
Trotz aller Unkenrufe im Zusammenhang mit der Nachrüstung bemüht sich die DDR um Normalität in dem Verhältnis der beiden Staaten in Deutschland zueinander. Es heißt, das Machbare auch in Zukunft zu machen und — ich teile diese Meinung nicht, aber die DDR führt es immer wieder an — den angeblich durch den Nachrüstungsbeschluß entstandenen Schaden zu begrenzen.Fazit: Es besteht ein hohes Bemühen, in Kooperation mit uns zu bleiben, diese Kooperation nach Möglichkeit auch auf neue Bereiche auszudehnen. In der Familienzusammenführung sind erstaunliche Verbesserungen zu verzeichnen. Nach dem bedauerlichen Todesfall Burkert wurde, wenn man einmal von der Zahl der Benützer, die von den Transitwegen ausgeschlossen werden, absieht, der Transitverkehr korrekt abgehandelt. Eine großzügige Haltung im Bereich des Mindestumtauschs für Jugendliche wird gehandhabt. Die Todesschußautomaten werden sukzessive abgebaut. Im Postbereich und auch im Umweltbereich sind Abkommen geschlossen worden. In Berlin wurde mit dem Senat, wie ich meine, eine insgesamt befriedigende Lösung im Bereich der S-Bahn gefunden.
Dies alles, meine Damen und Herren, wäre sicherlich nicht so möglich gewesen ohne die Bürgschaft, die die Bundesregierung für den Ein-Milliarden-Kredit gegenüber der DDR übernommen hat. Ich möchte gerade bei dem Stichwort Bürgschaft alle Kollegen, auch uns selber als Fraktion, recht herzlich darum bitten, mit Unkenrufen sowie lautstark geäußerten Überlegungen bezüglich weiterer Kredite und mit möglichen öffentlichen Forderungskatalogen in Verbindung damit behutsam umzugehen. Etwas anderes würde beiden Seiten nichts nützen. Die DDR weiß, welch hohen Wert wir auf die Beseitigung des Schießbefehls, der Todesautomaten und auch auf die Reduzierung und völlige Beseitigung des Mindestumtauschs legen.Im innerdeutschen Handel ist die Entwicklung erfreulich vorangegangen, wenn auch einseitig. Aber auch hier zeigen sich j a in diesen Tagen neue Möglichkeiten der Kooperation.Das restriktive Verhalten im Bereich der nichtstaatlichen Friedensbewegung in der DDR dürfen und können wir nicht außer acht lassen; und wir müssen die DDR-Führung darauf hinweisen, daß sie hier ihr Maß an angeblicher Liberalität dadurch beweisen kann, wie sie mit diesen Gruppen umgeht und das Gespräch zu führen in der Lage ist.Das Sich-Abgrenzen im Inneren und auch gegenüber uns hier in der Bundesrepublik Deutschland— ich denke an das innere Meinungsbild der DDR— findet den Niederschlag in der Haßerziehung und in der steten Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft bzw., wie es in den letzten Tagen heißt, der sozialistischen Wehrerziehung. Wir müssen an die DDR appellieren, hier endlich den Erfordernissen einer realistischen Entspannungspolitik gerecht zu werden und hier Einhalt zu gebieten.Wir müssen an die DDR auch appellieren, die fruchtlosen Bemühungen einer Spaltung der deutschen Nation in einen kapitalistischen westlichen Teil und in einen sozialistischen deutschen Teil in der DDR aufzugeben. Die selektive Usurpation der deutschen Geschichte spricht für sich und für die Beklemmung im Umgang mit dem Geschichtsverständnis, die die DDR-Führung zeigt. Die DDR-Führung zwingt uns damit zugleich dazu, uns und unsere Bevölkerung noch stärker im Umgang mit der deutschen Geschichte, deren Fehler, Vorzüge, leidvolle Ereignisse, zu befassen. Wir müssen uns gerade wegen dieser Kampagnen in der DDR stärker mit unserer — ich sage — gemeinsamen Geschichte auseinandersetzen.Lassen Sie mich zum Schluß sagen, daß wir davon überzeugt sind, daß es im Bereich des Jugendaustauschs, im Bereich der Zusammenarbeit der Medien — ich denke hier an die Schaffung eines gesamtdeutschen Forums —, im Bereich der Patenschaften zwischen Gemeinden, Vereinen und Hoch-
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Wernerschulen, aber auch vor allen Dingen im Bereich des kleinen Grenzverkehrs eine Fülle von konkreten Möglichkeiten zur Zusammenarbeit gibt. Ich möchte dafür eintreten, daß wir endlich einen Weg zu einer deutsch-deutschen Umweltkommission finden, um die drängenden Probleme, über die wir heute nachmittag hier über sechs Stunden gestritten haben, auch in diesem übergeordneten Zusammenhang zusammen mit unseren Landsleuten in der DDR zu diskutieren.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Heimann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Werner hat von einem bemerkenswerten Tag gesprochen. Und ich möchte ihm zustimmen. Ich möchte sogar noch einen Schritt weitergehen und sagen: Es ist fast eine kleine politische Sensation, daß es gelungen ist, heute eine Beschlußempfehlung zum Bericht zur Lage der Nation vorzulegen, die sowohl von der Regierungskoalition wie auch von meiner Fraktion, der der SPD, getragen wird.
Vielleicht ist es sogar mehr als eine kleine Sensation; denn die Beschlußempfehlung könnte eine dauerhafte Grundlage für eine gemeinsame Deutschland- und Berlinpolitik dieser drei Fraktionen des Deutschen Bundestages werden. — Ich sage das ganz bewußt: Die andere Fraktion, die der GRÜNEN, bleibt eingeladen, sich an diesem Diskussionsprozeß konstruktiv zu beteiligen;
denn das genau ist es: ein Diskussionsprozeß, der noch nicht abgeschlossen ist, der für den einen oder anderen auch noch schmerzliche Klärungen, Abschied von Illusionen enthalten wird. Aber immerhin, am Anfang dieses Weges, der ein gemeinsamer werden könnte, steht die Verständigung auf diesen Text hier, der Gegenstand unserer heutigen Beratungen ist.Ich habe Herrn Kollegen Werner nicht ausdrücklich gefragt, aber ich vermute, es ging ihm ebenso wie mir. Als wir den Auftrag bekamen, eine Einigung zu versuchen, haben wir beide im Ernst nicht geglaubt, daß dies glücken könnte. Nun darf man zwar die Einigung nicht überbewerten — über Gera haben wir gar nicht gesprochen —, aber wir haben uns in der Sache verständigt.Und in der Tat, was jetzt vorliegt, ist nicht gerade das deutschlandpolitische Wahlprogramm der CSU, auch nicht das frühere der CDU, eher schon das der alten Koalition, wenngleich auch ich mir — Sie brauchen nur einen Blick in den Bericht zu werfen — aus der Sicht meiner Fraktion noch andere und kräftigere Akzente vorstellen könnte. Aber das soll heute nicht das Thema sein, weil es unangemessen wäre, an dieser Stelle wieder die Unterschiede herauszuarbeiten oder gar den öffentlichen Nachweis zu führen, wer recht gehabt hat. Auf diesen letzten Nachweis kann man vor allen Dingen dann verzichten, wenn man im übrigen recht hat.
Es ist so, wie mein Fraktionskollege Löffler am 19. Januar in der Diskussion um die Transitwege festgestellt hat — ich zitiere —:In der innerdeutschen Politik ist die Wende offensichtlich ausgeblieben. Dafür ist ein Wandel im Bewußtsein eingetreten, und zwar im Bewußtsein von Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion ... Wir begrüßen diesen Sinneswandel. Wir bedauern lediglich, daß er nicht früher eingetreten ist.
Meine Damen und Herren, mit der Zustimmung zu dieser Beschlußempfehlung wollen wir Sozialdemokraten vor dem Deutschen Bundestag zum Ausdruck bringen, daß wir den ernsthaften Willen der jetzigen Koalition zur Fortsetzung der sozialliberalen Deutschlandpolitik anerkennen und daß wir auch unsere Unterstützung zusagen, wo wir unsere eigene Politik wieder erkennen. Und vielleicht hilft es uns gemeinsam ein wenig weiter, wenn ich hinzufüge: So, wie es für Sie nicht leicht ist, alte Vorstellungen zu überprüfen und zu revidieren, ist es auch für eine Opposition nicht gerade selbstverständlich, der Regierung zuzustimmen, weil sich natürlich die Frage aufdrängt, wem das am meisten nützt. Nur, so haben wir eben die Frage nicht gestellt, und ich finde, so darf man sie im Grunde auch nicht stellen, sondern man muß sie so stellen: Welche Politik nützt unserem bedrängten Land, dem geteilten Volk, den beiden deutschen Staaten und Berlin?
Was können die Deutschen für den Frieden und die Zusammenarbeit in Europa tun? Denn es wäre doch nun wirklich schlimm, wenn eine Koalition der Vernunft zwischen den beiden deutschen Staaten möglich sein sollte, nicht aber zwischen den demokratischen Parteien in der Bundesrepublik.
In einem Punkt allerdings bitte ich dringend darum, nicht mißverstanden zu werden. Ich wiederhole, was ich im Dezember von dieser Stelle aus gesagt habe. Die angebotene Gemeinsamkeit ist kein Persilschein, sondern die Aufforderung, einen kritischen Diskussionsprozeß, der noch vor uns liegt und dem noch so manche heilige Kuh geopfert werden muß, von einem gemeinsamen Ausgangspunkt aus anzutreten. In diesem Diskussionsprozeß wird die Opposition weiterhin drängen und notfalls vorangehen.Wir werden auch in Zukunft lautstark Widerspruch anmelden, wenn, um ein Beispiel zu nennen, Deutschlandpolitik der Unionsparteien darin beste-
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Heimannhen sollte, von Montag bis Freitag pragmatische Politik zu betreiben, aber dann am Sonnabend und Sonntag nicht nur unsere polnischen, sondern auch unsere französischen Nachbarn mit der Beschwörung der Grenzen des Deutschen Reiches von 1937 zu erschrecken.
Weil ich weiß, daß jetzt wieder der Hinweis auf das Grundgesetz und die Rechtslage Deutschlands kommen wird,
füge ich gleich hinzu — ich habe es vorausgesehen —: Dies ist zu allererst nicht eine Frage von Rechtspositionen, sondern die Frage danach, zu welchem guten oder schlechtem Zweck Rechtspositionen instrumentalisiert werden sollen.
Rechtspositionen als Maginot-Linie gegen das notwendige Voranschreiten eines innerdeutschen und europäischen Verständigungsprozesses aufzubauen, das ist schon einmal beim Grundlagenvertrag versucht worden und gescheitert.
Am Ende wird es auch unmöglich sein, wenn man die Interessenlage der Sowjetunion und der DDR im Verhältnis zur Bundesrepublik und die davon abhängigen Spielräume für innerdeutsche und europäische Politik genau analysiert, Deutschlandpolitik und Sicherheitspolitik fein säuberlich getrennt zu halten. Herr Kollege Werner, Sie haben das auch nicht getan. Ein Ansatz für diese Erkenntnis ist ja bereits in unserer gemeinsamen Beschlußempfehlung enthalten. Dies war für meine Fraktion besonders wichtig.Von einem anderen, weiteren Ansatz habe ich mit allergrößtem Respekt Kenntnis genommen. Hätte ich mehr als zehn Minuten, würde ich mich ausführlich damit auseinandersetzen. So bleibt mir nur, aus einer Rede zu zitieren, die vorgestern in Washington gehalten wurde. Es findet sich dort folgender Absatz neben vielen anderen lesenswerten Absätzen:Längst hat auch das Nachdenken darüber eingesetzt, wie denn die Lösung des deutschen Problems nach der Katastrophe dieses Jahrhunderts aussehen könnte oder sollte. Es muß nicht in erster Linie die Wiederherstellung des einheitlichen Nationalstaates sein, wenn Freiheit und Menschenwürde aller Deutschen anders besser gesichert werden können.Diese Sätze stammen von Ihnen, Herr Bundesminister Windelen — ich möchte noch einmal meinen Respekt ausdrücken —, nachzulesen im Bulletin der Bundesregierung von gestern.
Ich empfehle diese Sätze und die gesamte Rede derbesonderen Aufmerksamkeit der Kolleginnen undKollegen der CDU/CSU, die vielleicht bis jetzt nochglauben, vernünftige pragmatische Politik könne auf Dauer ohne Auswirkungen auf die Grundsatzfragen bleiben. Nein, das geht nicht. Auch die Deutschlandpolitik wird ohne innere Schlüssigkeit auf die Dauer nicht auskommen. Sollten hier noch Lernprozesse nötig sein: Wir Sozialdemokraten sind gerne bereit, unsere Hilfe anzubieten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reddemann? — Bitte schön!
Herr Kollege Heimann, nachdem Sie die Rede des Kollegen Windelen zitiert haben: Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß diese politische Position bereits in den 50er Jahren von der CDU/CSU vertreten und von der SPD erbittert bekämpft worden ist?
Das ist für mich insofern neu, als ich gerade heute noch einmal nachgelesen habe, was die CSU im Januar in Kreuth beschlossen hat. Aber das ist ja schon ein Fortschritt gegenüber dem, was 1978 dazu gesagt wurde. Insofern mußte ich das, was Herr Bundesminister Windelen gesagt hat, als einen wirklichen Fortschritt und Lernprozeß empfinden, und ich habe nicht versäumt, dies hier zum Ausdruck zu bringen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben schon einmal in diesem Jahr, vor etwa drei Wochen — damals anläßlich eines Entschließungsantrages zum Transitverkehr —, einen gemeinsam getragenen Beschlußvorschlag angenommen. Es ist darauf auch heute schon hingewiesen worden.Ich glaube, es war richtig, daß ich schon bei den Beratungen über den damaligen Beschluß, Herr Kollege Heimann, einen Vorgriff auf Ihre Verdienste um das Zustandekommen des heute vorliegenden Antrages vorgenommen habe. Denn immerhin ist es wieder einmal trotz unterschiedlicher Standpunkte in nachrangigen Einzelfragen gelungen, den tragfähigen Konsens in der Deutschlandpolitik dieses Hohen Hauses zu formulieren.Wenn Sie vorhin, Herr Kollege Heimann, von einer Einladung an die Fraktion DIE GRÜNEN gesprochen haben, sich an diesem Konsens zu beteiligen, so kann ich diese Einladung nur noch einmal nachdrücklich unterstreichen. Denn es kann uns schlicht und einfach auch bei Berufung auf Mehrheiten nicht gleichgültig sein, wenn eine Fraktion dieses Hauses mit frei gewählten Abgeordneten sich einem so zentralen Anliegen unseres Volkes verweigert und aussteigt.
Ich hoffe, daß dieser Appell nicht ungehört bleibt.
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RonneburgerIn diesem Zusammenhang — die Genehmigung des Herrn Präsidenten vorausgesetzt — möchte ich eine Bemerkung einfügen, die sich auf die Haushaltsdebatte am 6. Dezember 1983 bezieht. Als wir uns damals spätabends über den Einzelplan 27 unterhalten haben, habe ich Ihnen, Herr Schneider, von dieser Stelle aus eine Aussage vorgehalten, die Sie nicht gemacht haben. Ich habe mich geirrt. Die Aussage, auf die ich mich bezog, stammte vom Kollegen Heimann. Beim Nachlesen des Protokolls bin ich darauf gestoßen. Da das von dieser Stelle aus geschehen ist, will ich auch an dieser Stelle der Wahrheit die Ehre geben und bitte, mir diesen Irrtum nachzusehen.
Die Freien Demokraten haben die Kontinuität der Deutschlandpolitik auch in der neuen Koalition gewahrt. Die Fortsetzung dieser Politik durch die damalige Opposition in der Regierungsverantwortung jetzt, der spektakuläre Beitrag eines ihres früher schärfsten Gegners, das erklärte Gebundensein der jetzigen Opposition an ihre frühere Regierungspolitik eröffnet nun einfach einen größeren Handlungsspielraum für die Deutschlandpolitik im Deutschen Bundestag als zuvor. Wir haben eine gemeinsame Grundlinie; ich hoffe — ich sage das noch einmal — eines Tages im ganzen Hohen Hause. Hinzu kommt, daß auch große Teile der Öffentlichkeit Deutschlandpolitik wieder zu einem Thema gemacht haben.Die äußeren Rahmenbedingungen beider deutschen Staaten sind gekennzeichnet von der brisanten Konfrontation der Militärblöcke, die Gefahren wie Chancen bietet. Gefahren, wenn die deutsche Frage zum Gegenstand der Konfrontation wird, Chancen, wenn die deutsche Frage Gegenstand der Entspannung und des Interessenausgleichs bleibt. Daraus folgt: Politik in Europa muß stabilisierend wirken, wenn sie erfolgreich sein will und den Frieden dauerhaft sichern soll. Aber Stabilität durch militärische Macht — ich beziehe das auch auf das Gebiet der Deutschlandpolitik — muß schrittweise abgelöst werden durch Stabilität auf der Grundlage von Vertrauen und Zusammenarbeit.
Die Deutschlandpolitik der letzten 13 Jahre war auf dieses Ziel angelegt. Der Verzicht auf Legitimitätsvorbehalte gegenüber den Machthabern des anderen Systems, das Akzeptieren eines zweiten deutschen Staates, Gewaltverzicht im Blick auf die derzeit bestehenden Grenzen in Europa hat über die stabilisierende Wirkung zur Verbesserung für die Menschen geführt.
Die bis zu Beginn der 80er Jahre noch von vielen gehegte Illusion, das zwangsläufige Versagen der östlichen Planwirtschaften mit den ihnen innewohnenden Schwächen werde zumindest zu einer notgedrungenen Liberalisierung im westlichen Sinne führen, ist letztlich wohl auch durch die Ereignisse in Polen zerstört worden. Eine Liberalisierung kann auch im anderen deutschen Staat nur von innen heraus erfolgen. Das erfordert allerdings auch in dieser Beziehung von unserer Seite den Verzicht auf den Versuch der Destabilisierung.
Ein solcher Versuch würde nicht zu Vertrauen und Zusammenarbeit führen, und das heißt zunächst Anerkennung der Realität. Die DDR ist Realität. Alle Versuche, sie als Staat minderer Qualität erscheinen zu lassen, wären destabilisierend und würden das ohnehin nicht leichte Los unserer Landsleute drüben erschweren.Allerdings — und dies muß hinzugefügt werden — ist Stabilisierung des gegenseitigen Verhältnisses durch Anerkennung der Realität kein einseitiger Vorgang. Auch die DDR muß Realitäten anerkennen, und dazu gehören nun einmal die deutsche Nation, die offene deutsche Frage.
Diese deutsche Nation, meine Damen und Herren, besteht unabhängig von entsprechenden Passagen im Grundgesetz oder von der Frage einer Bestreitung durch die DDR-Führung.Stabilisierung und Vertrauensbildung zwischen Staaten verschiedener Blockzugehörigkeit, insbesondere zwischen den beiden deutschen Staaten, bedürfen besonders behutsamer wie intensiver Kontakte und Initiativen, die Wissen und Kenntnisse vermitteln, Vorurteile und Feindbilder abbauen, und sie bedürfen darüber hinaus weniger der öffentlichen Diskussion oder etwa gar der Indiskretionen.Die gegenwärtige Situation erscheint für neue Initiativen günstig. Die Erkenntnis, daß eine militärische Auseinandersetzung der beiden Bündnissysteme in Europa Gesamtdeutschland existentiell treffen würde, führte in der Bevölkerung zur Wiederentdeckung einer deutschen Gemeinsamkeit, der gemeinsamen Gefährdung und der gemeinsamen Verantwortung und damit auf vielen anderen Gebieten auch der gemeinsamen deutschen Interessen. Die Politik der DDR wie auch der Bundesrepublik hat für die eine wie für die andere Seite den besonderen geschichtlichen Auftrag formuliert, dieser Gefährdung gemeinsam zu begegnen.Deswegen glaube ich, daß wir auf dieser Basis, gemeinsame Verantwortung, gemeinsame Interessen, gemeinsam zwischen beiden deutschen Staaten, gemeinsam hier im Hohen Hause eine gute Möglichkeit haben, eine bessere Möglichkeit als in manchen Jahren, eine Deutschlandpolitik zu betreiben, die nicht nur dem Auftrag unseres Grundgesetzes entspricht, sondern die auch dazu beiträgt, den Interessen der deutschen Menschen auf beiden Seiten der Grenze gerecht zu werden.
Daß dazu auch gehört, meine Damen und Herren, nicht nur im Innern für die Aufrechterhaltung der Gemeinsamkeit der deutschen Nation zu werben, sondern dies auch nach außen hin in anderen Staa-
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Ronneburgerten, bei unseren Partnern, zu tun, dafür hat in der Rede, auf die Sie, Herr Heimann, soeben schon Bezug genommen haben, der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen in Washington einen guten Vorstoß unternommen. Ich möchte Ihnen, Herr Minister, für Ihr offensives Werben für unser Anliegen bei Ihrem Vortrag in Washington über das Thema „Die deutsche Frage" ausdrücklich danken.Auf diesem Wege sollten wir selbstbewußt weitergehen. Gemeinsamkeit hier in diesem Hause bietet dafür nicht nur eine Voraussetzung, sondern auch eine sichere Grundlage.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schneider .
Jetzt also kommt das „grüne Gespenst" zur deutschlandpolitischen Geisterstunde.
Verehrter Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich muß alle freundlichen Einladungen zurückweisen, weil für mich hier keine Sensation vorliegt, auch keine kleine. Ich finde, der Entschließungsantrag gleicht einer therapeutischen Bastelarbeit von ratlosen Medizinern zur Rettung einer politischen Fiktion.
Sie haben hier nur Formeln und eine Rezeptur vorgelegt, die ihre Untauglichkeit längst erwiesen hat.
Herausgekommen ist für mich ein mit heißer Nadel zusammengefügter Gebetsteppich, unter den die deutschlandpolitischen Unterschiede der jeweiligen Parteien, die daran mitgewirkt haben, gekehrt werden und der angesichts der Realität und der Tatsachen keinerlei Zauberkraft mehr besitzt.
— Die Fakten — und damit will ich konkret werden
— sind eindeutig; aber das, was ich gesagt habe, gehört auch dazu. In dreieinhalb Jahrzehnten deutscher Teilung haben sich zwei deutsche Staaten mit völlig unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen entwickelt, wobei die Regierung auf beiden Seiten auch noch die Musterknaben ihrer Blockvormächte spielen, mit Gift und Atom, aber wenig Vernunft bewaffnet.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ronneburger?
Das muß ich zurückweisen. Ich habe viel zuwenig Zeit. Es tut mir leid, Herr Ronneburger.
— Wenn Sie mir Zeit geben, tue ich es schon.Die Entwicklung, von der ich gesprochen habe, hat sich Schritt für Schritt vollzogen. An ihrem Anfang stand die Entscheidung, die Bundesrepublik aus den Besatzungszonen der westlichen Siegermächte zu bilden und diesen Teilstaat total in die Wirtschafts- und Militärallianz des Westens einzubinden.
Alle Angebote von östlicher Seite damals, ein neutrales und entmilitarisiertes Gesamtdeutschland zwischen die sich formierenden Blöcke der beiden Weltsysteme zu schieben, scheiterten am eindeutigen Njet Adenauers und an der Nachkriegsstimmung der Bevölkerung, die nach dem Wahnwitz des Hitlerkrieges und nach den Erfahrungen der Vertreibung durch die Sowjetunion nur allzu gern unter die finanzstarken Fittiche der Care-Paket-Nation genommen werden wollte.
Hat das Bekenntnis zur Wiedervereinigung, das Sie in diesen Text wieder hineingeschrieben haben, diese Entwicklung in irgendeiner Weise aufhalten können? Nein. Im Gegenteil, es wurden nur die Illusionen bei den Menschen hier und besonders drüben geschürt und zusätzlich ein bis heute gepflegtes Klima der Desinformation und Abfälligkeit gegen den anderen deutschen Staat geschaffen, das schwer ausrottbare Feindbilder prägte.
— Ich kann keine Zwischenfrage zulassen, weil es zuwenig Zeit gibt.Der Kalte Krieg vergangener Jahre ist nicht so weit entfernt und auch noch nicht vergessen, wie wir bei der Kampagne um Herrn Burkert registrieren mußten. Wie wollen Sie uns eigentlich glauben machen, daß das gesammelte Instrumentarium von Rechtsgütern, das aus einer Politik des „heiligen Zorns gegen die Weltrevolution" hervorgegangen ist, daß gerade die nochmalige und nochmalige Wiederholung dieser Rechtsansprüche die Basis für eine neue Politik bilden soll?
Für mich hat die Aufzählung Ihrer deutschlandpolitischen Grundlagen eine ähnlich beschwörende Inhaltslosigkeit und Rückwärtsgewandtheit wie die Tüttelchen, die ein bestimmter Zeitungskonzern seinen Blättern immer noch verordnet, wenn er über die DDR redet.
— Ich höre Ihre Aufschreie, wenn ich so über die Verfassungsgrundlagen zur deutschen Frage, die Briefe zur Einheit und die anderen Verträge rede.
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Aber in diesen Verträgen werden überholte Positionen ausgedrückt. Sie wirken nur noch als Ballast und Hindernisse.
Die heiligen Kühe der gängigen Deutschlandpolitik fixieren nämlich ein Anspruchsdenken und Forderungen gegenüber der DDR, die wir als unvereinbar über Bord werfen sollten.
Ich frage mich ernsthaft, wie Sie eine Politik des Dialogs und des Ausgleichs, Herr Reddemann, mit der DDR entwickeln wollen, wenn Sie in diesem Text ausdrücklich auf den Deutschlandvertrag verweisen, der in Art. 7 Abs. 2 ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung ähnlich wie die Bundesrepublik als Ziel festschreibt, deklariert.
— Ich bin gegen solche Forderungen, ja, daß wir eine Wiedervereinigung auf der Grundlage dieser Verfassungsgebote anstreben.
In der gleichen Form, wie sich die Bundesrepublik entwickelt hat, kann es eine deutsche Einigung nicht geben. Ein gedeihliches Verhältnis — —
— Man kann eine Verfassung auch ändern. Das ist schon oft gemacht worden.
Ein gedeihliches Verhältnis gegenüber dem anderen deutschen Staat wird nur auf Gleichberechtigungsbasis zu erreichen sein. Da sind alle Selbstgerechtigkeit, alle Großmannssucht und alle Art von Kraftmeierei fehl am Platze.
Mit überholten und untauglichen Ansprüchen kann man keine zukunftsträchtige Politik machen. Man kann auch keine Belohnung dafür erwarten oder sie als Kaufpreis benützen, wenn man auch einmal falsche Positionen revidiert.
Einen richtigen Ansatzpunkt — und das ist ein Element im Text, das wir auch unterstreichen — sehen wir im Grundlagenvertrag und in den anderen Verträgen und Abmachungen mit der DDR. Diese Verträge haben aber eine andere rechtliche Qualität als die von mir kritisierten Rechtsnormen. Der Grundlagenvertrag ist nur eine Abmachung, die ein gewisses Maß an Normalität festschreibt, aber nicht an den bestehenden Zuständen zwischen der DDR und der Bundesrepublik rüttelt und auch keine völkerrechtliche Anerkennung der DDR bedeutet.Folglich drängt die DDR deswegen auch auf Gleichbehandlung. Ich erinnere hier nur an die Geraer Forderungen. Die vielen Verträge, die zwischen der Bundesrepublik und der DDR noch ausstehen, werden durch diese Realität, die Sie nicht anerkennen wollen, behindert.
Sie formulieren in dem vorliegenden Entschließungsantrag:Aus eigener Kraft können wir Deutschen den Zustand der Teilung nicht ändern.Das ist sicherlich richtig. Aber es ist nur die halbe Wahrheit. Denn damit kann auch die bisherige und die zukünftige jahrelange Untätigkeit gerechtfertigt werden. Natürlich sind wir von den Großmächten, den europäischen Nachbarn und der weltpolitischen Lage abhängig. Wenn sich die Deutschen aber nicht aufeinander zubewegen, auch in den rechtlichen Positionen, wird sich nie etwas bewegen.Natürlich ist eine Einigung zwischen den Deutschen nur im Rahmen einer Europäischen Friedensordnung und unter Einlösung des Selbstbestimmungsrechtes möglich. Wir haben aber durchaus Chancen, Schritte auf dieses Ziel hin zu unternehmen. Im Rahmen einer Unterwerfung unter das Kuratel der USA-bestimmten Westintegration sind allerdings nur kosmetische Retuschen denkbar. Solange die Bundesrepublik nur auf diesem Altar der Rechtsgüter starrt und die Vasallentreue gegenüber den USA zum Knackpunkt deutscher Staatsraison erklärt, bleibt ein Beschluß, wie Sie ihn heute fällen, lediglich Maulhurerei.Erstaunen tut mich in dieser Angelegenheit besonders die Haltung der SPD. Denn Sie haben mit 96,5% die Aufstellung von Erstschlagsraketen abgelehnt. Aber diese Aufstellung von Raketen ist auf der Grundlage von NATO-Beschlüssen zustande gekommen, die auch in anderen Gebieten der Welt ihre folgenschweren Auswirkungen haben. Obwohl auch innerhalb der SPD die Kritik zunimmt, daß mit der NATO perspektivisch keine deutsche Friedenspolitik mehr machbar ist, legt sie hier besonderen Wert darauf, daß der Harmel-Bericht in die Erklärung aufgenommen wird, der 1967 grünes Licht für die Entspannungspolitik gab. Glauben Sie denn im Ernst, daß Sie mit dieser Erklärung die CDU an einem Fuß festnageln können? Glauben Sie, daß Sie mit dieser Erkärung die Reste Ihrer gescheiterten Entspannungspolitik retten können, und das zusammen mit der CDU, einer Partei, die bisher immer Ihre Entspannungspolitik beschimpft und bekämpft hat und lediglich bereit ist, einen Modus vivendi zwischen den beiden deutschen Staaten zu erhalten und ein paar kleine Pflästerchen auf die größten Wunden zu kleben? Im übrigen soll dann das Geld seine Wirkung tun — das haben wir auch von Herrn Werner gehört —, wo doch bei
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Februar 1984 3849
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dieser Regierung für Geld offensichtlich alles zu haben ist.
Derzeit hat die Regierung auch ein Interesse daran, die verheerenden Folgen ihrer Unsicherheitspolitik zu verharmlosen. So gibt sie die vergleichsweise milden Reaktionen der DDR auf die Stationierung als ihr eigenes Verdienst aus und ist bemüht, das derzeitige Klima zwischen der Bundesrepublik und der DDR nicht durch brüske Töne zu belasten. Das wurde hier sehr gelobt. Ich sehe aber einen anderen Grund darin, als Sie von der SPD ihn gesehen haben.
Natürlich ist auch die schwierige Situation West-Berlins ein zusätzliches Motiv bei der CDU. Aber einen Riegel, daß in Zukunft nicht wieder schärfere Töne von Ihrer Seite, CDU/CSU und Regierungskoalition, kommen, stellt dieser Antrag mit Sicherheit nicht dar.
Ich sehe, daß ich keine Zeit mehr habe. Deswegen möchte ich nur noch eines zum Schluß sagen.Wir werden dem Entschließungsantrag nicht zustimmen, weil er nur Lippenbekenntnisse auf brüchigen und teilweise falschen Grundlagen fomuliert.
Eine wirklich gute Deutschlandpolitik kann nur Ausdruck von Friedenspolitik sein. Wo aufgerüstet wird, da klingen Deutschlandbekenntnisse, wie sie in diesem Papier festgeschrieben werden, hohl und nicht ehrlich.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist zu begrüßen, daß nach einem harten und kontrovers verlaufenen Tag die verfassungstragenden Fraktionen des deutschen Bundestages den Beweis geliefert haben, daß sie sich auch in einem schwierigen — —
— Herr Kollege Schneider hat sich ja ausrücklich von Verfassungsaufträgen distanziert.
Er hat sich ausdrücklich — —
— Herr Schily, Sie wenigstens sollten es doch wissen. Vielleicht geben Sie Ihrem Kollegen Schneider einmal etwas Nachhilfeunterricht, wenn Sie sich dieser Mühe unterziehen wollen.
Herr Schneider hat sich doch ausdrücklich gegen Art. 7 des Deutschlandvertrages ausgesprochen, der vorsieht, in einem wiedervereinigten Deutschland eine Ordnung zu schaffen, die dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland entspricht. Er hat gesagt, eine solche Ordnung wolle er nicht,
d. h. er hat sich damit neben die und außerhalb der Verfassung gestellt.
Deswegen wiederhole ich es: Ich begrüße, daß sich die verfassungstragenden Fraktionen des Deutschen Bundestages
in einer schwierigen Sache nach kontroversen Diskussionen zu einer gemeinsamen Entschließung zusammengefunden haben.
Ich darf besonders den beiden Berichterstattern danken, dem Kollegen Heimann und dem Kollegen Werner, daß sie sich dieser Mühe erfolgreich unterzogen haben.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schily?
Nein. Ich muß erst den Kollegen Schily bitten, seinem Kollegen den notwendigen Nachhilfeunterricht zu erteilen.
Dann bin ich bereit, mich hier auch wieder mit dem Kollegen Schily zu unterhalten.
Meine Damen und Herren, für die deutsche Bundesregierung begrüße ich es also ausdrücklich — um es zu wiederholen —, daß sich die verfassungstragenden Fraktionen des Bundestages, SPD, FDP und CDU/CSU, auf eine gemeinsame Beschlußempfehlung zum Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland geeinigt haben. Das ist von großer Bedeutung sowohl für uns selbst als auch besonders — ich füge das hinzu — für die Deutschen in der DDR, die unsere Deutschlandpolitik wie auch die
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Bundesminister Windelenihrer eigenen Führung mit großer Aufmerksamkeit und großer innerer Anteilnahme verfolgen. Die Fraktionen des Deutschen Bundestages stimmen damit dem ersten Bericht der neuen Bundesregierung zur Lage der Nation in einem gemeinsamen Antrag zu. Das ist ein gutes Omen für die schwierigen Zeiten, die noch vor uns liegen.Es ist gelungen, die Gesichtspunkte aller Seiten des Hauses, soweit sie sich zur verfassungsmäßigen Ordnung bekennen, die oft früher kontrovers neben- oder gar gegeneinander standen, auf eine in sich schlüssige Plattform zu vereinen. Das ist vor allem deswegen möglich geworden, weil die Beteiligten aufeinander zugegangen sind. Die jetzige Bundesregierung betrachtet die Deutschlandpolitik, die innerdeutsche Vertragspolitik nicht als eine ihr allein zustehende Domäne, an die sie niemand anderen heranlassen will. Bei früheren Regierungen — auch das füge ich hinzu — konnte man diesen Eindruck manchmal haben.
Wir machen, Herr Kollege, kein Hehl daraus, daß wir das, was wir von unseren Vorgängern vorgefunden haben, weiter ausbauen wollen.
Wir haben die damalige Bundesregierung kritisiert, weil wir der Auffassung waren, daß es besser hätte gemacht werden können. Aber Mehrheit ist Mehrheit, und die Union hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie die eingegangenen Verträge für verbindlich hält. Und nicht nur das: Gerade weil wir uns einiges zutrauen, arbeiten wir mit dem Instrument der Vertragspolitik. Wir nutzen es so wirksam, wie es eben möglich ist.Dabei ist uns jeder willkommen, auch und besonders die Opposition. Ich will auch sagen, warum: Die Deutschlandpolitik verträgt, so meine ich, nicht das klassische Rollenspiel „hier Regierung, da Opposition".
Dafür gibt es sicher eine Reihe von Gründen, über die man vielleicht einmal im Ausschuß sprechen sollte. Ich nenne hier nur die für mich wichtigsten zwei Gründe.Solange Deutschland geteilt ist, müssen wir unsere Hauptanstrengung darauf richten, die Folgen der Teilung für die Menschen erträglicher zu machen und gleichzeitig die Einheit der Nation zu wahren. Der Erfolg dieser Politik hängt entscheidend davon ab, daß die Bürger der Bundesrepublik Deutschland sie verstehen, aufnehmen und auch mittragen.Dies kann nicht Sache nur einer Partei sein, sondern darin müssen sich alle Bürger im nationalen Interesse möglichst weitgehend einig sein. Wer genau hinhört, weiß, daß dieser Konsens — mit der genannten Ausnahme — besteht. An uns Politikern ist es, ihn zu stärken und zu ermutigen. Das heißt, wir sollten unsere demokratische Streitlust auf das von der Sache her Notwendige beschränken.
— Ach Gott, Herr Kollege Fischer, das müssen ausgerechnet Sie ausgerechnet mir sagen!
Ich komme zum zweiten Punkt. Wenn wir über Deutschlandpolitik und innerdeutsche Beziehungen reden, müssen wir bedenken, wie das bei den Menschen in der DDR ankommt. Sie hören uns vermutlich viel genauer zu als viele unserer eigenen Bundesbürger, und sie wissen auch, warum.
— Ich würde Ihnen empfehlen, sich einmal so intensiv mit den Verhältnissen drüben persönlich zu beschäftigen, wie ich das getan habe, Herr Kollege.
[CDU/CSU] — Weiterer Zuruf von derCDU/CSU: Das wollen die gar nicht!)Die Gelegenheit dazu haben Sie. Wenn Sie Schwierigkeiten haben sollten, bin ich Ihnen gern behilflich.
Was wir hier, meine Damen und Herren, als unser Thema verhandeln, ist nämlich vor allem ihre Sache, die Sache der Bürger drüben im anderen Staat in Deutschland. Zwar sind das nicht unsere Wähler, aber die Ernsthaftigkeit unseres Bemühens zeigt sich letztlich daran, wie sehr es uns um unsere Glaubwürdigkeit gerade bei ihnen geht. Um nicht mißverstanden zu werden: Es geht nicht um den Eindruck von Glaubwürdigkeit, sondern um die Glaubwürdigkeit selbst. Aber glaubwürdig sind wir nur, wenn wir die Wünsche, wenn wir die Interessen der Menschen in der DDR erkennbar berücksichtigen und danach nicht nur reden, sondern vor allem danach handeln.
Dies geht an alle Seiten dieses Hauses. Dies geht auch an die eigene Seite. Das verschweige ich nicht, und ich nehme mich selber dabei auch nicht aus, meine Damen und Herren.Dies gesagt, darf ich zum Schluß noch einmal wiederholen, daß und wie sehr ich die Gemeinsamkeit dieses Antrags, soweit sie vorhanden ist, begrüße. Den Kollegen im Ausschuß, die das zustande gebracht haben, ist zu danken, und der Deutsche Bundestag ist zu dieser Stunde zu beglückwünschen. Ich hätte gewünscht, daß es eine etwas frühere Stunde gewesen wäre, an der vielleicht auch die Bürger draußen hätten ein wenig teilnehmen
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Bundesminister Windelenkönnen. Ich glaube, auch unsere Bürger hätten sich darüber gefreut, daß es außer Streit und Kontroversen in wichtigen Fragen auch noch Gemeinsamkeiten gibt.
Die Bundesregierung wird Ihrer Aufforderung folgen und bei allen Schwierigkeiten und Rückschlägen zäh auf eine weitere Verbesserung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland hinwirken.Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen auf Drucksache 10/914 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Gegenstimmen der Fraktion der GRÜNEN ist diese Beschlußempfehlung angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNENEinstellung der Tiefflugübungen der Bundesluftwaffe in Ntessinan
— Drucksache 10/905 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: VerteidigungsausschußWird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/905 an den Verteidigungsausschuß zu überweisen. Sind Sie mit diesem Vorschlag einverstanden? — Das ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 7. Dezember 1982 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ecuador zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen— Drucksache 10/555 —Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 10/913 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Kreile
Wird das Wort dazu gewünscht? — Dies ist nicht der Fall.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe den Gesetzentwurf mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich? — Bei einer Reihe von Enthaltungen ist dieses Gesetz mit den Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Seelotswesen— Drucksache 10/572Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 10/925 —Berichterstatter:Abgeordneter Buckpesch
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Wird das Wort zur allgemeinen Aussprache gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall.Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Diese Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift sind einstimmig angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.Wir treten in die dritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieses Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 bis 24 auf:22. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung besoldungsrechtlicher Vorschriften— Drucksache 10/881 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
RechtsausschußHaushaltsausschuß gemäß § 96 GO23. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1984
— Drucksache 10/911 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß
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Vizepräsident Stücklen24. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Eichgesetzes und des Gesetzes über Einheiten im Meßwesen— Drucksache 10/916 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Jugend, Familie und GesundheitWird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/881, 10/911 und 10/916 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Altestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Sind Sie mit den Überweisungsvorschlägen einverstanden? — Ich sehe keine Gegenstimme. Dann ist so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 und 26 auf:25. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungEmpfehlung einer Verordnung des Rates über den Abschluß des Protokolls über die finanzielle und technische Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Zypern— Drucksachen 10/486 Nr. 23, 10/923 —Berichterstatter:Abgeordneter Hoffmann
26. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Richtlinie des Rates zur Harmonisierung von Regelungen im Breich der Einkommensteuer im Hinblick auf die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der Gemeinschaft— Drucksachen 10/358 Nr. 43, 10/926 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Schroeder
Wird das Wort gewünscht? — Dies ist nicht der Fall. Ich lasse über die Vorlagen gemeinsam abstimmen.
— Dann lasse ich zunächst nur über die Vorlage unter Tagesordnungspunkt 25 abstimmen. Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 10/923 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig angenommen.Wir kommen nun zur Abstimmung zu Punkt 26. Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses und des Finanzausschusses auf Drucksache 10/926 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Gegenstimmen und einer Reihe von Enthaltungen ist diese Beschlußempfehlung angenommen.Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung angelangt.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 10. Februar 1984, 9.00 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.