Rede von
Inge
Höger-Neuling
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutsch-
land kurz vor Weihnachten: In einem Charterflugzeug
werden 34 Menschen, die hier Schutz gesucht haben,
zurück in den Krieg geschickt . Tausende weiterer Af-
ghaninnen und Afghanen sollen folgen . Sie werden ab-
geschoben, mitten in den kalten Winter am Hindukusch,
mitten in die Perspektivlosigkeit . Es gibt in Afghanistan
keinen Ort, der wirklich Schutz bieten kann . Es gibt dort
keinen sicheren Ort . Mit dieser organisierten Unbarm-
herzigkeit beugt sich die Regierung dem rechten Mob .
Das können und das dürfen wir nie akzeptieren .
Wir reden heute über Menschenrechte . Menschen-
rechte sind keine Almosen oder Gnadenakte . Die Ach-
tung der Menschenrechte ist ein Grundrecht, und die
Genfer Flüchtlingskonvention beinhaltet klare Schutz-
rechte . Auch Deutschland hat die Flüchtlingskonvention
ratifiziert. Doch die Rechte werden zunehmend missach-
tet . Das ist unerträglich .
Der hier vorliegende EU-Menschenrechtsbericht be-
schäftigt sich mit vielen wichtigen Entwicklungen; er
hat aber einen zentralen blinden Fleck . Der Schutz der
Menschenrechte in der EU wird nicht problematisiert .
Die Verantwortung der EU und ihrer Mitgliedstaaten
für Menschenrechtsverletzungen spielt kaum eine Rolle .
Transnationale Konzerne mit Sitz in der EU werden in
dem Bericht nicht mit den Folgen ihres Handelns kon-
frontiert . Wenn wir Menschenrechten wirklich global
Anerkennung verschaffen wollen, dann müssen wir hier
mit der Durchsetzung beginnen .
Frank Schwabe
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 210 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Dezember 201621064
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Ich werde auf einige Defizite bei der Umsetzung
von Menschenrechten in Deutschland und in der EU
eingehen . Die Rechte von Flüchtlingskindern und Ju-
gendlichen sind hier und in den anderen Ländern der
Europäischen Union alles andere als sicher . Die UN-Kin-
derrechtskonvention garantiert die Rechte von Minder-
jährigen bis zum Alter von 18 Jahren . Dennoch werden
inzwischen junge Menschen überfallartig aus Jugendhil-
feeinrichtungen herausgerissen und in unsichere Situati-
onen abgeschoben . Diese Praxis erschwert die Arbeit mit
den häufig traumatisierten jungen Menschen zusätzlich.
Stellen Sie sich einmal vor, Sie müssten ständig damit
rechnen, plötzlich von Polizisten aus Ihrer vertrauten
Umgebung herausgerissen zu werden . Stellen Sie sich
vor, Sie werden, ohne Abschied von Freunden nehmen zu
können, in ein Land zurückgeschickt, in dem Ihnen Ge-
fahr droht . Wie sollen angesichts dieser ständigen Angst
ein Schulbesuch, die Verarbeitung der eigenen Traumata
und der Aufbau von vertrauensvollen sozialen Beziehun-
gen funktionieren? Obwohl die Kinderrechtskonvention
vorsieht, dass bei allen staatlichen Maßnahmen das Wohl
des Kindes vorrangig berücksichtigt werden muss, sieht
die Realität für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in
Deutschland nicht selten anders aus . Stoppen Sie endlich
die Abschiebungen aus Schulen und Jugendhilfeeinrich-
tungen!
Es drängt sich häufig der Eindruck auf, dass sich poli-
tisch ein rein instrumenteller Umgang mit Menschenrech-
ten durchsetzt . Wenn die vermeintliche Durchsetzung
von Menschenrechten dazu dienen kann, unliebsame
Regierungen zu stürzen, dann wird der umfangreiche In-
strumentenkasten der EU und ihrer Mitgliedstaaten gerne
genutzt, um politisch Einfluss zu nehmen, wie etwa in
Libyen, der Ukraine oder in Honduras . Wenn die Einhal-
tung von Menschenrechten aber der Profitmaximierung
im Wege steht, dann sind sie deutlich weniger wert .
Betrachten wir einmal das Menschenrecht auf Woh-
nen, das im Artikel 11 des UN-Sozialpaktes garantiert
wird . 335 000 Menschen sind aktuell in Deutschland
wohnungslos . In den nächsten Jahren soll die Zahl auf
eine halbe Million klettern, wenn sich nichts grundle-
gend ändert . Das Problem ist nicht in erster Linie, dass
es zu wenig Wohnraum gibt, sondern vor allem, dass es
zu wenig bezahlbare Wohnungen gibt . Der Leerstand
von Wohnraum und die Immobilienspekulation müssen
endlich wirksam bekämpft werden . Wir brauchen mehr
öffentliche Sozialwohnungen.
Zu den Prioritäten der Umsetzung der EU-Menschen-
rechtspolitik gehört die Vereinigungsfreiheit . Dazu gehört
auch das Recht, Gewerkschaften zu bilden, sich kollektiv
zu organisieren und gemeinsam für bessere Löhne oder
bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen . Dieses Recht
ist in der EU nicht nur durch Entlassungen aufgrund
von Gewerkschaftsaktivitäten in Gefahr, sondern auch
durch die Spardiktate der Troika . In deren Folge wurden
die Arbeitsgesetze in zahlreichen EU-Ländern geändert .
In Griechenland, Italien, Portugal und Spanien können
Unternehmen nun von den Branchentarifverträgen und
gesetzlichen Bestimmungen abweichen . Damit existiert
das Recht auf Kollektivvertragsverhandlungen zwar for-
mal weiter, ist aber faktisch massiv eingeschränkt . Men-
schenrechte respektieren heißt auch Gewerkschaftsrechte
stärken statt abbauen .
In dem vorliegenden Bericht legt die EU dar, dass sie
auf den sogenannten Menschenrechtsdialog setzt, um ge-
gen Landnahme, Vertreibung und Angriffe auf die Rechte
von Beschäftigten in Asien und Lateinamerika vorzuge-
hen . Nicht erwähnt wird, dass solche Menschenrechts-
verstöße häufig in direktem oder indirektem Zusammen-
hang mit dem Handeln transnationaler Unternehmen
stehen . Ecuador startete 2013 im Menschenrechtsrat mit
Unterstützung von 85 Ländern eine Initiative, mit der
Unternehmen endlich für Menschenrechtsvergehen hät-
ten zur Rechenschaft gezogen werden können . Leider
haben die EU-Staaten als Block dagegengestimmt . Wer
den Opfern so Klagemöglichkeiten zerstört und Kon-
trollmöglichkeiten verwässert, der nimmt weitere Verstö-
ße gegen Menschenrechte billigend in Kauf . Die Linke
setzt sich ein für verbindliche Unternehmensregeln ent-
lang der gesamten Lieferkette . Wir wollen verhindern,
dass weitere Textilarbeiterinnen sterben und dass noch
mehr Menschenrechtsverteidigerinnen ermordet werden .
Dafür ist mehr nötig als ein unverbindlicher Menschen-
rechtsdialog .
Ich habe bereits zu Beginn meiner Rede darauf hinge-
wiesen, dass ich es unerträglich und unmoralisch finde,
wie zurzeit mit Flüchtlingen umgegangen wird . Die zahl-
losen Menschen, die im Mittelmeer ertrunken sind, sind
mehr als „tragische Todesfälle“, wie im EU-Bericht be-
schrieben . Das Massensterben vor den Toren Europas ist
das direkte Ergebnis der EU-Abschottungspolitik . Dieses
Sterben kann nur beendet werden durch die Schaffung
sicherer, legaler Einreisewege nach Europa .
Die EU schafft unzählige Fluchtursachen: durch die
bereits beschriebene Politik ihrer multinationalen Kon-
zerne, durch Freihandel und eine Agrarpolitik, die nati-
onale Entwicklungen zerstören, durch Rüstungsexporte
sowie durch ihre Außen- und Militärpolitik . Es ist völlig
unverständlich, warum sich die EU-Staaten nicht ge-
meinsam für das Recht auf Frieden und für die Ächtung
von Atomwaffen einsetzen, anstatt in der UN dagegen zu
stimmen .
Heute vor genau 50 Jahren wurde der UN-Sozialpakt
von der Generalversammlung der Vereinten Nationen
einstimmig verabschiedet . Es ist höchste Zeit, dass er
umgesetzt wird, dass die ökonomischen, sozialen und
kulturellen Rechte von Menschen umgesetzt werden .
Das Recht auf Arbeit, auf Bildung und auf soziale Sicher-
heit gilt für alle und muss deswegen auch für alle einge-
löst werden, egal ob sie die deutsche Staatsbürgerschaft
haben oder ob sie aus der EU oder aus anderen Ländern
kommen . Gerechtigkeit und Solidarität sind nicht nur in
der Vorweihnachtszeit zentrale Pfeiler für das Zusam-
menleben in einer Gesellschaft .
Inge Höger
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 210 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Dezember 2016 21065
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Vielen Dank .