Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Damen und Herren! Wir sind kurz vor Weih-
nachten, aber auch kurz nach dem Internationalen Tag
der Menschenrechte, der jedes Jahr am 10 . Dezember
begangen wird . Wir debattieren heute zahlreiche Berich-
te . Berichte gibt es genug; an ihnen mangelt es nicht . Es
mangelt an der Umsetzung dessen, was in den Berichten
angemahnt wird . Was noch schlimmer ist: Wenn wir uns
die weltweite, aber auch die europäische Situation an-
schauen, dann erkennen wir, dass es in den letzten Jahren
Rückschritte in der Frage der Menschenrechte gegeben
hat . Es gibt Drangsalierungen von Nichtregierungsorga-
nisationen, der Zivilgesellschaft, von Journalisten, und
niemand sollte glauben, dass das keine Auswirkungen
auf die Lage der Menschenrechte hat, wenn auch gele-
gentlich ein Stück weit verzögert . Es ist richtig, darauf
zu schauen, was „die da“, was andere machen, was Eu-
ropa macht, was die Staaten in der Welt machen . Aber
wir müssen auch darauf schauen, was wir machen; denn
das ist die Grundbedingung dafür, Missstände in anderen
Staaten benennen und anklagen zu können, und das wol-
len wir heute in der Debatte tun .
Ich will aber noch einmal nach außen schauen und
das Thema Türkei ansprechen . Wir erleben dort eine Si-
tuation, die es wahrscheinlich selten gibt, nämlich dass
sich eine Demokratie in Richtung einer Diktatur entwi-
ckelt . Wir sehen in der Türkei mittlerweile Folter und un-
menschliche Behandlungen, willkürliche Verhaftungen
und die Zerstörung einer funktionierenden Medienöffent-
lichkeit . Ich will die Gelegenheit heute nutzen, mich noch
einmal bei den mittlerweile rund 100 Parlamentariern,
100 Kolleginnen und Kollegen, zu bedanken – es werden
jeden Tag mehr –, die sich im Rahmen des Programms
„Parlamentarier schützen Parlamentarier“ für bedrohte
Abgeordnete in der Türkei einsetzen . Ich glaube, das ist
ein ganz wichtiges Programm . Es wäre gut, wenn noch
mehr bei diesem Programm mitmachten, nicht nur bezo-
gen auf die Türkei, sondern auch darüber hinaus, und es
wäre gut, wenn andere Parlamente der Welt unserem Bei-
spiel folgten und ebenfalls solche Programme aufsetzten .
Ich glaube, das hilft ein gutes Stück weit .
Ich will mich auch für den ersten Bericht an den Bun-
destag nach der Verabschiedung des Gesetzes über die
Rechtsstellung und Aufgaben des Deutschen Instituts für
Menschenrechte, was wir am Ende gemeinsam hinbe-
kommen haben, beim Institut bedanken . Es gab im Vor-
feld an der einen oder anderen Stelle den Vorwurf, dass
es sich um einen politischen Bericht handelt . Dazu sage
ich: Selbstverständlich ist dieser Bericht politisch . Was
denn sonst? Das, was wir hier machen, was wir bespre-
chen – die Frage der Menschenrechte –, ist Politik . Na-
türlich muss ein Menschenrechtsinstitut unbequem sein,
natürlich muss es der Stachel im Fleisch der Politik und
auch dieses Parlaments sein . Insofern will ich das Insti-
tut zu diesem Bericht beglückwünschen und auch dazu,
Präsident Dr. Norbert Lammert
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 210 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Dezember 2016 21063
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dass es mittlerweile den Vorsitz der Globalen Allianz der
Nationalen Menschenrechtsinstitutionen übernommen
hat – das zeigt, welch hohe Anerkennung dieses Institut
genießt .
Ein zentrales Thema des Berichts ist „Flucht“; es geht
um die Menschen, die zu uns kommen und in einer be-
sonders schwierigen Situation sind . Es wird darauf hin-
gewiesen, dass es viel Gutes gibt, was den Menschen hier
widerfährt, dass es viele Menschen gibt, die sich für sie
engagieren, aber eben auch darauf, dass es zum Beispiel
allein im Jahr 2015 1 027 Übergriffe auf Flüchtlingsun-
terkünfte gab .
Ich möchte das aufnehmen und es mit guten Wünschen
zu Weihnachten verbinden . Ich habe viele gute Wünsche
zu Weihnachten bekommen, unter anderem von einem
Kollegen, den ich hier nicht nennen will; aber er hat die
guten Wünsche mit einem Zitat von Paul Gerhardt ver-
bunden, der darin von Gottes Barmherzigkeit spricht .
Mit der Barmherzigkeit sind, glaube ich, alle Menschen
gemeint, unabhängig von der Nationalität, unabhängig
davon, woher sie kommen, an was sie glauben, wer sie
sind . Ich will sagen, was nicht barmherzig ist – das wird
in dem Bericht angemahnt –: Nicht barmherzig ist, wenn
wir über Regelungen zum subsidiären Schutz die Famili-
enzusammenführung verhindern .
Das macht auch gar keinen Sinn, wenn man Menschen
integrieren will . Es macht auch in der Sache keinen Sinn,
weil es mittlerweile Gerichtsentscheidungen gibt, die in
mindestens drei Vierteln der Fälle dafür sorgen, dass am
Ende eben doch eine Familienzusammenführung mög-
lich ist . Das heißt, solche Regelungen sind vollkommen
ineffektiv.
Einige Worte zum Nationalen Aktionsplan „Wirtschaft
und Menschenrechte“. Wie ich höre, werden darüber ak-
tuell noch Gespräche geführt . Wie lange diskutieren wir
schon über den Nationalen Aktionsplan „Wirtschaft und
Menschenrechte“? Liebe Kolleginnen und Kollegen,
was nicht funktioniert, ist, dass wir – Deutschland, der
deutsche Staat, aber auch die deutschen Unternehmen –
Flucht und Vertreibung und die Nichtsicherstellung von
Lebensgrundlagen als Gründe für die Flucht anprangern,
uns aber gleichzeitig nicht verpflichtet fühlen, menschen-
rechtliche Standards festzulegen, die dazu führen, dass
die Menschen nicht nach Europa kommen müssen .
Man kann nicht das eine beklagen, das andere aber dann
nicht tun wollen . Ich fordere insbesondere unseren Ko-
alitionspartner auf, dafür zu sorgen, dass wir noch vor
Weihnachten einen vernünftigen Plan im Kabinett verab-
schieden können .
Ich möchte noch ein allerletztes Thema ansprechen,
und zwar das Thema Wahlrechtsausschluss . Als ich zum
ersten Mal davon gehört habe, habe ich gar nicht glauben
wollen, dass wir in Deutschland 84 500 Menschen mit
Behinderungen davon abhalten, von ihrem demokrati-
schen Wahlrecht Gebrauch zu machen . Wir sollten uns
ein Beispiel an Nordrhein-Westfalen und auch Schles-
wig-Holstein nehmen, wo die Wahlrechtsausschlüsse
von Landtagswahlen und Kommunalwahlen längst auf-
gehoben worden sind . Ich habe von der Kollegin Kerstin
Tack, die bei uns für die Politik für Menschen mit Behin-
derungen zuständig ist, gehört, dass es da gute Gespräche
gibt . Ich glaube, es wäre ein sehr gutes Signal, wenn wir
die Wahlrechtsausschlüsse noch vor der nächsten Bun-
destagswahl aufheben würden .
Vielen Dank .