Rede von
Matthias W.
Birkwald
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Ich beginne mit einem Zitat:
. . . – zum Mitschreiben –: Die Rente ist sicher .
Das sagte der damalige Sozialminister Norbert Blüm,
CDU, am 10 . Oktober 1997 im Deutschen Bundestag .
Der Sozialexperte der SPD, Rudolf Dreßler, antwortete
ihm – Zitat –:
Wer sich auf das Wort des Bundesministers . . . ver-
lässt, hat auf Sand gebaut .
Sybille Benning
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 147 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 18 . Dezember 2015 14527
(C)
(D)
Heute wissen wir: Rudolf Dreßler hatte recht . Das Ren-
tenniveau befindet sich im freien Fall.
Was heißt das? Das Rentenniveau bezeichnet das
Verhältnis zwischen einer Standardrente und dem
Durchschnittsgehalt der sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten im selben Jahr . Die für die Berechnung
zugrundegelegte Standardrente entspricht der Altersrente
eines Durchschnittsverdieners nach 45 Jahren .
Dieses Rentenniveau – offiziell heißt es Sicherungsni-
veau vor Steuern – lag im Jahr 2000 bei 53 Prozent . Alle
Fachleute sind sich einig: Das ist ein lebensstandardsi-
cherndes Rentenniveau . Und das wird seit 15 Jahren
systematisch ruiniert . Gerhard Schröder, SPD, Walter
Riester, SPD, und Joschka Fischer, Grüne, haben unter
lautem Beifall von CDU und CSU dafür gesorgt, dass das
Rentenniveau Schritt für Schritt dramatisch sinkt . Rudolf
Dreßler hatte sich das bestimmt anders vorgestellt, meine
Damen und Herren .
Heute liegt das Rentenniveau nur noch bei 47,5 Pro-
zent . Bis zum Jahr 2030 darf es auf bis zu 43 Prozent
absinken . Meine Damen und Herren, das war unverant-
wortlich, ist unverantwortlich und wird unverantwortlich
bleiben .
Was heißt das in Euro? Das heißt: Die Sekretärin aus
Köln, die zum Beispiel am 1 . Mai 2029 nach 45 Jahren
Durchschnittsverdienst in Rente gehen wird, wird jeden
Monat rund 245 Euro Rente weniger erhalten, weil die
Rentenkaputtreformierer zwei sogenannte Dämpfungs-
faktoren in die Rentenanpassungsformel eingebaut ha-
ben . Knapp 245 Euro weniger Rente im Monat – das
macht rund 2 940 Euro Rente weniger im Jahr . Da Frauen
ihre Rente durchschnittlich 21,4 Jahre beziehen, bedeu-
tet das: Fast 63 000 Euro werden dieser Rentnerin durch
die Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors und des Ries-
ter-Faktors im Portemonnaie fehlen . 63 000 Euro Ren-
tenkürzung nach einem harten Berufsleben – das ist so-
zial ungerecht, völlig inakzeptabel und absolut daneben!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie behaupten, die
drastischen Verluste bei der gesetzlichen Rente könnten
die Menschen ja mit privater Altersvorsorge oder einer
Betriebsrente ausgleichen . Drei-Säulen-Modell nennen
Sie das . Ich sage Ihnen: Die Riester-Rente ist tot, und die
betriebliche Altersversorgung ist gefangen in der Nied-
rigzinsfalle . Schauen Sie doch mal bitte in Ihrem eigenen
Rentenversicherungsbericht auf Seite 40 nach . Da träu-
men Sie nämlich von einem Gesamtversorgungsniveau
aus gesetzlicher Rente und Riester-Rente von 51,1 Pro-
zent im Jahr 2029 . Das ist maßlos überschätzt, weil Sie
immer noch von einer Verzinsung von 4 Prozent ausge-
hen . Das ist völlig utopisch .
Liebe Koalition, Sie sind mit der Teilprivatisierung
der Rente völlig auf dem Holzweg . Darum fordere ich
Sie auf: Stoppen Sie die Talfahrt der gesetzlichen Rente!
Die Linke sagt deshalb: Für eine gute und lebensstan-
dardsichernde Rente muss das Rentenniveau angehoben
werden . Auf 53 Prozent!
Herr Kollege Weiß, Sie haben laut Handelsblatt vom
2 . Dezember gesagt – Zitat –:
Die Rendite der gesetzlichen Rente liege bei drei
Prozent . „Da haben kapitalgedeckte Systeme eher
Schwierigkeiten, eine solche Rendite darzustel-
len .“…
Richtig, Herr Weiß . Betriebliche und private Vorsorge
sind aber meistens kapitalgedeckt . Nur: Warum gehen
Sie dann weiter den falschen Weg der beitragsfreien Ent-
geltumwandlung? Da steht nur Betriebsrente drauf, da
ist aber keine Betriebsrente drin . Im Gegenteil: Bei der
Entgeltumwandlung zahlen die Versicherten Geld von
ihrem Bruttoeinkommen zum Beispiel in eine Direkt-
versicherung ein . Dadurch sinkt ihr Lohn . Und deshalb
werden geringere Beiträge an die gesetzliche Rentenver-
sicherung abgeführt . Die Folge: Wer Entgeltumwand-
lung macht, kürzt sich selbst die gesetzliche Rente . Und
noch schlimmer: Weil die Lohnsumme aller Versicherten
dadurch sinkt, wird auch die Rente von allen anderen
gekürzt, sogar von denen, die selbst gar keine Entgelt-
umwandlung machen . Darum sage ich: Schaffen Sie die
Entgeltumwandlung ab, und erhöhen Sie stattdessen das
Rentenniveau!
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD,
Riester und solch schlechte Betriebsrenten sind keine gu-
ten Alternativen zur gesetzlichen Rente . Warum kürzen
Sie dann das Rentenniveau bis 2030 so dramatisch? Jahr
für Jahr bleibt die gesetzliche Rente hinter den Löhnen,
dem Wachstum und dem Wohlstand immer mehr zu-
rück . Dabei sollte die Rente genau das Gegenteil leisten,
nämlich den im Arbeitsleben erreichten Lebensstandard
sichern und die Menschen am Wohlstand, den sie sich er-
arbeitet haben, auch im Alter teilhaben lassen . Und: Die
Rente soll vor Armut schützen .
Das tut sie aber nicht mehr, weil durchschnittlich Verdie-
nende im Jahr 2030 bereits 31,5 Jahre werden arbeiten
müssen, um eine Rente in Höhe der Sozialhilfe zu erhal-
ten . Der durchschnittliche Bedarf der Grundsicherung im
Alter liegt übrigens derzeit bei 785 Euro . Das ist nicht
armutsfest . Deshalb lassen Sie uns die Notbremse zie-
hen und umkehren . Die Rente muss wieder den Löhnen
folgen .
Ich habe in der vergangenen Woche Sozialministerin
Andrea Nahles gefragt, wie die beiden Kürzungsfakto-
ren, die Sie in die Rentenanpassungsformel hineinge-
schrieben haben, denn Jahr für Jahr wirken . Die Antwort