Rede von
Tom
Koenigs
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich will nicht der Versuchung anheimfallen,
jetzt urbi et orbi zu reden, obwohl der Tag dazu einlädt.
Ich will ein ganz spezifisches Phänomen aufnehmen, das
auf Englisch „shrinking space“, Verkleinerung des öf-
fentlichen Raumes, heißt. Wir kennen alle das Agenten-
gesetz aus Russland, das NGOs, die sich für Menschen-
rechte einsetzen und Geld aus dem Ausland kriegen,
verpflichtet, sich als feindliche Agenten zu bezeichnen.
Das empört uns. Sie müssen diese Bezeichnung auch an
all ihre öffentlichen Äußerungen anfügen. Das diskredi-
tiert Menschenrechtsverteidiger als Agenten.
Leider ist dieses russische Gesetz nicht das einzige,
das es gibt. Beispiel Äthiopien: Nichtregierungsorgani-
sationen dürfen sich höchstens zu 10 Prozent aus dem
Ausland finanzieren – das in einem Staat, der seinerseits
zu 60 Prozent aus dem Ausland finanziert wird. Das Er-
gebnis eines solchen Gesetzes: Ein Jahr nach Inkrafttre-
ten ist die Zahl der Nichtregierungsorganisationen um
zwei Drittel geschrumpft.
Oder ein Beispiel, das wir auch alle kennen: Ägypten.
Die Arbeit der internationalen Stiftungen wird nicht nur
beschränkt, sondern die Mitarbeiter werden wie im Fall
der Konrad-Adenauer-Stiftung zu hohen Haftstrafen ver-
urteilt. Glücklicherweise sind sie in diesem Fall inzwi-
schen entlassen worden. Wir erinnern uns.
Russland, Äthiopien, Ägypten. Das ist Ausdruck, weil es
auch in vielen anderen Staaten so stattfindet, eines globalen
Trends, nämlich dass der öffentliche Raum schrumpft oder
geschrumpft wird. „Shrinking space“ nennt das der zustän-
dige Rapporteur der Vereinten Nationen. Menschenrechts-
verteidiger, Umweltaktivisten, soziale Akteure, Nichtre-
gierungsorganisationen, Menschenrechtsinstitute – sie
alle brauchen ihre Unabhängigkeit und die Öffentlich-
keit. Das wird explizit oder implizit schleichend durch
die Vorder- oder durch die Hintertür immer weiter ver-
kleinert.
Das Recht auf freie Meinungsäußerung – das steht in
Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschen-
rechte – und das Recht auf Versammlungs- und Vereini-
gungsfreiheit werden vielerorts durch staatliche Maßnah-
men systematisch beschränkt. Der Sonderberichterstatter
für Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit der VN,
Maina Kiai aus Kenia, schreibt, dass sich weltweit viele
Staaten auf die Beschränkung und nicht auf die Garantie
der Menschenrechte konzentrieren. Die Beschränkung
kann durch Gesetze, durch finanzielle oder administra-
tive Bestimmungen geschehen.
In Ruanda kann sich ein Unternehmen in sechs Stun-
den registrieren lassen. Will man sich als NGO registrie-
ren lassen, braucht man dafür mindestens sechs Monate.
In Singapur, Malaysia und Myanmar darf man zwar in
gewissen Grenzen friedlich demonstrieren; das gilt aber
nur für die Einheimischen. Die Ausländer dürfen das
nicht, obwohl die Menschenrechte doch für alle gelten.
Ja, Bürgerbewegungen fordern den Staat heraus; das
ist richtig. Ja, sie wollen ihm manchmal auch lästig fal-
len. Wer wüsste das besser als wir, Bündnis 90 und
Grüne, die beide aus solchen Bürgerbewegungen hervor-
gegangen sind.
Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit dieser Grup-
pen immer weiter einzuschränken, beseitigt den Protest
nicht, wie die Regierungen hoffen, sondern drängt ihn in
den Untergrund, radikalisiert ihn und macht ihn dann
manchmal zu einem Problem, das völlig ausufert.
Ein typisches Beispiel ist Syrien. Dort hat es mit
friedlichen Protesten im öffentlichen Raum angefangen.
Dann ist, in dem Fall durch Scharfschützen, der öffentli-
che Raum beschränkt worden. Jetzt haben wir die Situa-
tion von Radikalisierungen auf allen Seiten, die völlig
ausweglos ist. Wir wissen, dass das nicht einzelne
– manchmal große, manchmal kleine – Fälle sind, son-
dern dass das ein weltweiter Trend ist.
Menschenrechte zu verteidigen, heißt, Menschen-
rechtsverteidiger zu schützen vor willkürlicher Verhaf-
tung, vor Verschwindenlassen, vor Folter und vor Mord.
Es heißt aber auch, das System dahinter zu verstehen, die
vielen kleinen Fußangeln, Steine und Steinchen zu er-
kennen, über die die Menschenrechtsverteidiger stolpern
sollen.
Dem Verkomplizieren, Diskreditieren, Enervieren,
Aufreiben und schließlich Kriminalisieren zivilgesell-
schaftlichen Engagements und zivilgesellschaftlicher In-
stitutionen im In- und Ausland entgegenzutreten, dem
Trend zum Shrinking Space entgegenzutreten, ihn zu
thematisieren, ihn zu erkennen und ihn zu kritisieren, das
erfordert Durchblick und Mut. Die Menschenrechtsver-
teidiger auf der ganzen Welt haben das. Aber ich
wünschte mir diesen Mut auch bei den Staatsbesuchen,
bei den Regierungsverhandlungen, bei den Äußerungen
auch von der Bundesregierung.