Rede von
Caren
Lay
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Auch ich kann meine heutige Rede natürlich
nicht beginnen, ohne eingangs meine Freude über Thü-
ringen zum Ausdruck zu bringen:
meine Freude über den ersten linken Ministerpräsidenten
und vor allen Dingen über das erste rot-rot-grüne Bünd-
nis in Deutschland. Herzlichen Glückwunsch auch von
meiner Seite!
– Da ich gerade aus der CDU/CSU-Fraktion den Zwi-
schenruf, das sei der Niedergang Deutschlands, höre,
will ich Ihnen sagen: Opposition ist eine wichtige Auf-
gabe in unserem Land. Opposition kann auch Spaß ma-
chen. Ich gönne Ihnen sehr, dass Sie diese wertvolle Er-
fahrung bald auch auf Bundesebene machen werden.
Meine Damen und Herren, kommen wir jetzt zum
Thema. Julia S. aus München führte noch vor ein paar
Monaten ein ganz normales Leben. Dann kam ein Un-
fall, dann kam Arbeitslosigkeit, eines kam zum anderen.
Wenige Wochen später konnte sie ihrer kleinen Tochter
keinen Kakao und auch kein warmes Essen mehr ma-
chen; denn ihr wurde der Strom gesperrt. Das ist leider
kein Einzelfall. So wie Frau S. geht es 345 000 Haushal-
ten in Deutschland, denen im letzten Jahr der Strom ab-
gedreht wurde; die Tendenz ist deutlich steigend. Das
sind 24 000 Haushalte mehr als noch im Jahr zuvor. Man
kann sich vorstellen: In jedem Haushalt leben im Schnitt
zwei, drei, vier Personen. Während andere europäische
Länder gehandelt haben, ist in Deutschland nichts pas-
siert, um Energiearmut zu bekämpfen. Deutschland ist
Europameister im Stromsperren. Ich finde, das ist ein-
fach schändlich.
Auch die Verbraucherzentralen schlagen Alarm. Bei
der Berliner Verbraucherzentrale beispielsweise ist in-
zwischen jeder vierte Kunde, der zur Beratung kommt,
von einer Stromsperre bedroht, oder er kommt wegen
Schulden beim Energieversorger. Auch hier ist die Ten-
denz deutlich steigend. Diese Zahlen, meine Damen und
Herren, sind alarmierend. Energiearmut ist ein Problem
in Deutschland. Wir müssen hier endlich etwas tun.
Aber was tut diese Bundesregierung? Im Koalitions-
vertrag spricht sie die Empfehlung aus, man möge sich
einen Prepaid-Zähler anschaffen. Na, schönen Dank
auch! Konkrete Maßnahmen: Fehlanzeige. Noch nicht
einmal die EU-Richtlinie ist aus unserer Sicht richtig
umgesetzt. Sie legt nämlich fest, dass „schutzbedürftige
Kunden“, denen der Strom nicht abgestellt werden darf,
klar zu definieren sind. Wer sind diese schutzbedürftigen
Kunden? Dieser Begriff ist in Deutschland, wie gesagt,
nicht definiert. Aber nach meinem Verständnis wären
das Familien mit kleinen Kindern, alte Menschen und
pflegebedürftige Menschen. Diese Menschen können
wir doch nicht allen Ernstes im Dunkeln sitzen lassen!
Aber diese europäische Vorgabe ist in Deutschland bis
heute nicht umgesetzt. Es wird höchste Zeit.
Unsere Nachbarländer machen uns vor, dass es auch
anders geht. In vielen Ländern ist „Energiearmut und
Stromsperren“ seit Jahren ein wichtiges politisches
Thema. Es gibt Maßnahmen, die dazu geführt haben, die
Anzahl der Fälle deutlich zu senken. Direkt nebenan, in
Belgien und Frankreich, sind Stromsperren zumindest
im Winter komplett verboten. Meine Kollegin Bulling-
Schröter erzählte mir vorhin, dass sie vorgestern mit ei-
ner Delegation aus Frankreich, mit französischen Parla-
mentariern, darüber gesprochen hat. Die Mitnahme-
effekte, die Sie hier immer vermuten, sind dort nicht
eingetreten. Ich finde, daran sollten wir uns ein Beispiel
nehmen. Energieversorgung ist ein Grundrecht, und
Stromsperren müssen verboten werden, meine Damen
und Herren.
Die Einwände sind mir natürlich bekannt: Es kostet
Geld. Ja, aber an anderer Stelle zeigen Sie deutlich mehr
Verständnis, beispielsweise bei den Industrierabatten,
wenn die energieintensiven Unternehmen schreien: Un-
sere Stromrechnung ist zu hoch! – Aber ich sage: Statt
Menschen, die ihre Stromrechnung nicht bezahlen kön-
nen, subventioniert diese Regierung lieber Industriebe-
triebe, die ihre Stromrechnung nicht bezahlen wollen.
Das sind Milliardengeschenke.
5 Milliarden Euro lässt sich die Regierung diese Indus-
trierabatte kosten, bzw. sie lässt uns die Stromrechnung
der Industriebetriebe bezahlen. Ich finde, das ist eine
völlig falsche Prioritätensetzung.
7098 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014
Caren Lay
(C)
(B)
Und hier läuft auch insgesamt etwas falsch. Der Preis
für den Haushaltsstrom ist seit dem Jahr 2008 um
38 Prozent gestiegen. Für die energieintensive Industrie
ist er im gleichen Zeitraum sogar um 1 Prozent gesun-
ken. Das ist nun wirklich die falsche Prioritätensetzung.
Ich habe mich gefreut, dass Frau Ministerin
Hendricks zu Beginn der Legislaturperiode unsere linke
Idee von einer Abwrackprämie für Stromfresser über-
nommen hat. Einkommensschwache Haushalte sollen
einen Zuschuss bekommen, wenn sie sich zum Beispiel
einen energiesparenden Kühlschrank anschaffen. Dann
haben wir lange nichts davon gehört. Vorgestern hieß es
dann im Aktionsplan Klimaschutz: Wir machen einen
Prüfauftrag und gucken, ob wir das nicht auf Hartz IV
anrechnen. – Das ist doch wirklich absurd.
Meine Damen und Herren, viele Menschen, auch
viele in diesem Saal, können sich vielleicht ein Leben
ohne Strom überhaupt nicht vorstellen. Aber dahinter
stecken ganz konkrete Schicksale. Mich schrieb zum
Beispiel Dagmar Meis aus Wuppertal an, eine Frau mit
einer kleinen Rente, die von einem Großteil ihrer Le-
benshaltungskosten aufgefressen wird. Sie ist schwer
krank und müsste beispielsweise regelmäßig ein heißes
Bad nehmen. Sie schrieb mir, das kann sie sich nicht
leisten. – In einem reichen Land finde ich das wirklich
unwürdig.
Zu guter Letzt möchte ich sagen: Es geht nicht nur um
das Problem der Stromsperren. Auch andere lebensnot-
wendige Dinge werden den Menschen vorenthalten. Bei-
spielsweise gab es im letzten Jahr 46 000 Gassperren,
und auch hier ist die Tendenz deutlich steigend. Bei-
spielsweise erreichte mich eine Mail aus Colditz in
Sachsen. Die Mieterinnen und Mieter haben immer ganz
brav ihre Gasrechnung bezahlt, aber der Vermieter hat
das Geld nicht an den Versorger weitergegeben. Nun
wurden die Mieterinnen und Mieter mit einer Gassperre
bedroht. Das darf doch wirklich nicht wahr sein.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Wir als Linke bringen das Thema Stromsperren heute er-
neut in den Bundestag ein, da bisher nichts passiert ist.
Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt, und
wir sagen: Strom, Gas und Wasser – das sind soziale
Grundrechte. Darauf hat jeder Mensch ein Recht, und
hier darf nicht gespart werden.
Vielen Dank.