Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende die-
ser sehr ausgiebigen Debatte könnte man denken: Es
bleibt nicht mehr viel zu sagen. Ich möchte an einige
Punkte erinnern, die den Einsatz in Afghanistan in den
letzten 13 Jahren begleitet haben.
Heute haben wir die afghanische Staatsführung zu
Gast in Berlin. Genau auf den Tag vor drei Jahren, am
5. Dezember 2011, fand die letzte Petersberg-Konferenz
in Deutschland statt. Sie wurde damals stark parlamenta-
risch begleitet; viele, die in diesem Saal sind, waren sei-
nerzeit in Bonn auf dem Petersberg. Damals ist eigent-
lich das entschieden worden, was heute hoffentlich den
Geist der Resolute Support Mission ausmacht, der näm-
lich darin besteht, dass wir uns verpflichten, bis zum
Jahr 2024 Afghanistan zu einem normalen Entwick-
lungsland zu machen. Das wird ein schwerer Weg sein.
Dafür ist viel zu schultern.
Aber gerade das, was eben in die Diskussion vom
Kollegen Ströbele eingebracht wurde, zeigt doch deut-
lich, dass unser Weg, der Weg weg von einer Kampfmis-
sion, hin zu einer Beratungs- und Unterstützungsmis-
sion, richtig ist.
Im Übrigen haben wir das schon einmal in einem an-
deren Umfeld unter Beweis gestellt, auf dem Balkan:
Zunächst gab es eine UN-Mission, dann eine Mission
der NATO, und heute gibt es noch eine EU-Mission.
Bosnien ist zwar kein sonderlich prosperierendes Land;
aber die Unruhen dort haben aufgehört, und die interna-
tionale Gemeinschaft steht an seiner Seite. Genauso
muss auch der Weg Afghanistans begleitet werden: Hilfe
zur Selbsthilfe einerseits und auf der anderen Seite Ent-
schlossenheit in der Unterstützung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte
ein paar Punkte ansprechen, die wir vielleicht als Lehren
betrachten können.
Wir als Parlament haben bereits im Jahr 2010 Fort-
schrittsberichte gefordert. Seit Dezember 2010 hat unser
Parlament vom Auswärtigen Amt neun Fortschrittsbe-
richte, die viel konstruktive Kritik, viele Evaluierungs-
vorschläge enthalten haben, erhalten. Ich möchte an die-
ser Stelle nicht nur im Namen unserer Fraktion dem
Auswärtigen Amt, Ihnen, Herr Außenminister, aber auch
Herrn Botschafter Koch und seinem Vorgänger, Herrn
Botschafter Steiner, und deren Afghanistan-Team für
diese solide Arbeit Dank aussprechen.
Diese solide Arbeit hat auch dazu geführt, dass wir
uns in manchen Punkten ehrlich machen mussten. Ich
spreche hier ganz gezielt die psychologische Nachsorge
für unsere Soldatinnen und Soldaten an. Als im Jahr
2001/2002 die ISAF-Mission begann, wurde nicht nur
im Bundestag, sondern auch unserer Bevölkerung er-
klärt, dass man sich in einem friedlichen Wiederaufbau
befindet. Das hat sich als Trugschluss erwiesen. Im Rah-
men dieses „friedlichen Wiederaufbaus“ sind unsere
Soldaten in einen Einsatz geschickt worden, der sie in
erheblichem Maße gefordert hat. Wir haben eine hohe
Zahl traumatisierter Soldatinnen und Soldaten, die die
Gefechtserlebnisse und andere Eindrücke überwinden
müssen.
Da die Gesellschaft aber geglaubt hat, dass unsere
Streitkräfte im friedlichen Wiederaufbau sind, haben wir
die traumatischen Erfahrungen nicht ernst genommen.
Was die menschliche Komponente und diejenigen, die
den Einsatz geleistet haben, angeht, ist das die schwer-
wiegendste Folge und die gravierendste Lehre, die wir
für unser eigenes Land gezogen haben.
Ich war unlängst bei der Einweihung des Denkmals in
Potsdam, wo 104 im Kampf gefallener Menschen ge-
dacht wird. Es ist jetzt an der Zeit, darüber nachzuden-
ken, dass sich in den letzten Jahren in unserem Land eine
Erinnerungskultur entwickelt hat, eine Erinnerungskul-
tur, die wir vermisst und versäumt haben und die unsere
Soldaten lange erwartet haben – nicht nur die Soldaten,
7096 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014
Roderich Kiesewetter
(C)
(B)
sondern auch die Entwicklungshelfer und die Polizisten,
die dort unterstützen. Ich denke, da haben wir etwas ge-
leistet, womit wir denjenigen Ehre erweisen, die im Auf-
trag dieses Parlaments ihr Leben gelassen haben.
– Ich glaube, als Abgeordnete sollten Sie hinter denjeni-
gen stehen – egal ob Sie deren Einsatz politisch mittra-
gen oder nicht –, die ihr Leben für unser Land einsetzen,
weil sie nicht ausweichen können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine weitere
Lehre, die wir daraus ziehen sollten, ist, dass wir die
Frage „Was sagen wir unserer Bevölkerung?“ beantwor-
ten müssen. Wir haben mit dem Weißbuch-Prozess 2006
einige Fortschritte erzielt. Es gibt einen weiteren Weiß-
buch-Prozess, der hoffentlich viele Ministerien umfassen
wird und der sicherlich federführend vom Verteidigungs-
ministerium begleitet werden wird. Wir brauchen dort
einen inklusiven Ansatz. Wir müssen unserer Bevölke-
rung künftig von vornherein erklären, um was es in den
Einsätzen geht – „erklären“ heißt nicht „schönreden“ –,
und dürfen nicht von vornherein hoffen, dass alles gut
geht. Wir müssen der Bevölkerung klar sagen, dass es
möglicherweise eskalieren kann.
Das ist eine weitere Lehre, meine sehr geehrten Da-
men und Herren. Wir haben immer gesagt: Der Einsatz
des Militärs ist die Ultima Ratio. – Das ist richtig; das ist
die letzte Eskalation. Aber wir machen damit, glaube
ich, einen strategischen Fehler in der Art und Weise, wie
wir mit Militär in unserer Außenpolitik umgehen; denn
wenn wir Militär in der frühen Begleitung ausschließen
und sagen: „Der militärische Einsatz ist die Ultima Ratio
und kommt erst dann, wenn alles andere versagt hat“,
vergessen wir die Möglichkeiten, die ein militärischer
Einsatz bietet. Ich denke hier an Sicherheitssektorre-
form, an Militärdiplomatie, an Entwaffnung, an Überwa-
chungsmissionen, auch an unbewaffnete Missionen. Wir
müssen bedenken, was wir damit leisten können, meine
sehr geehrten Damen und Herren.
Deshalb rate ich dazu, dass wir aus Afghanistan die
Lehre ziehen, uns der Frage zuzuwenden: Wie kann man
Militär so in ein Gesamtkonzept eingliedern, dass wir
die Eskalation bis zur Ultima Ratio von vornherein ver-
hindern oder vermeiden? Wenn das Weißbuch darauf
eingeht, unter Einbindung der Expertise des Auswärti-
gen Amtes, des Ministeriums für Entwicklungszusam-
menarbeit, des Innenministeriums und anderer, die sich
hier berufen fühlen, bekommen wir, glaube ich, einen
echten Fortschritt, was unsere außen- und sicherheits-
politische Strategie angeht.
Ein anderer Aspekt, der mir sehr am Herzen liegt, ist
die Frage des regionalen Einbindens und des regionalen
Zusammenhangs. Wir haben deutscherseits guten Grund,
unsere Interessen zu formulieren, die Aufgaben, die wir
erfüllen wollen, und auch die Instrumente, die wir ge-
meinsam mit Partnern und möglichst unter einem UN-
Mandat einsetzen wollen, zu definieren und die Region
zu diskutieren, wo wir aktiv sein wollen. Wir müssen das
erklären. Wir müssen es unserer Bevölkerung nahebrin-
gen. Wir müssen es aber auch unseren Partnern erklären.
Das führt dazu, dass wir, wo immer wir uns engagie-
ren, den regionalen Kontext betrachten müssen. Es ist
schon auch Verdienst der Bundesrepublik Deutschland
und ihrer Diplomatinnen und Diplomaten, dass in der
Afghanistan-Kontaktgruppe fast 50 Staaten sind, dass
durch die regionale Zusammenarbeit nicht nur Geldge-
ber gefunden wurden; die Resolute Support Mission
wurde überhaupt erst möglich, weil Südostasien hinter
diesem Einsatz steht und weil es uns gelungen ist, bisher
5,7 Millionen Flüchtlinge aus den Nachbarländern in
ihre Heimat zurückkehren zu lassen.
In diesem Sinne, meine sehr geehrten Damen und
Herren, lassen Sie uns auch mit Blick auf künftige Ein-
sätze an ein vernetztes Vorgehen und einen inklusiven
Ansatz denken! Lassen Sie uns als Parlament weiterhin
die Stimme erheben! Die Fortschrittsberichte hätte es
nicht gegeben, hätten wir sie nicht verlangt.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.