Rede von
Thomas
Silberhorn
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
2014 ist eine entscheidende Wegmarke in der Entwick-
lung Afghanistans. Zum ersten Mal in der Geschichte
des Landes hat eine demokratisch gewählte Regierung
die Verantwortung an eine andere demokratisch ge-
wählte Regierung übergeben. Auch wenn im Umfeld der
Wahlen und bei der Regierungsbildung danach nicht al-
les reibungslos verlaufen ist: Der friedliche Übergang
der Regierungsverantwortung in Afghanistan ist ein gro-
ßer Erfolg. Es ist vor allem für die afghanische Bevölke-
rung ein Erfolg. Die Afghanen haben sich nicht ein-
7082 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014
Parl. Staatssekretär Thomas Silberhorn
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schüchtern lassen von Drohungen der Taliban. Sie haben
ihr Wahlrecht wahrgenommen. Diese Selbstsicherheit
und dieses Selbstbewusstsein sind eine wichtige Bot-
schaft für Afghanistan und für die internationale Ge-
meinschaft.
Dass nun eine Regierung der nationalen Einheit gebil-
det werden konnte, ist ein Ausdruck der Bereitschaft zur
Versöhnung zwischen den verschiedenen Interessen-
gruppen des Landes. Das ist eine wichtige Botschaft;
denn Demokratie ist nicht nur Entscheidung der Mehr-
heit, sondern auch Schutz der Minderheit und Beteili-
gung der Minderheit. Deswegen kommt es darauf an,
dass man einen Interessenausgleich organisiert, dass
man eine Balance zwischen den Kräfteverhältnissen
schafft. Das erst ermöglicht eine stabile Entwicklung.
Afghanistan bleibt auch in den nächsten Jahren auf zi-
vile internationale Unterstützung angewiesen. Wir haben
für militärische Mittel immer nur ein mehr oder weniger
großes Zeitfenster, um Recht und Ordnung in einem
Land wiederherzustellen. Aber danach müssen eben zi-
vile Instrumente greifen, damit eine nachhaltige Ent-
wicklung stattfinden kann. In Afghanistan darf sich nicht
wiederholen, was wir derzeit im Nordirak erleben müs-
sen.
Deshalb müssen wir die Entwicklungserfolge, die in
den letzten Jahren erreicht worden sind, fortsetzen und
weiter ausbauen. Das Bruttonationaleinkommen in Af-
ghanistan hat sich seit 2001 verdoppelt. In 2001 haben
nur 8 Prozent der Menschen medizinische Grundversor-
gung in Anspruch nehmen können; heute sind es 85 Pro-
zent. Immer mehr Menschen in Afghanistan haben nicht
nur zu medizinischer Versorgung, sondern auch zu Was-
ser, Strom und Bildung Zugang. Im Jahr 2001 sind in
Afghanistan etwa 1 Million Buben zur Schule gegangen.
Heute gibt es dort 9 Millionen Schüler; 40 Prozent da-
von sind Mädchen.
Meine Damen und Herren, es ist so, wie es Friedens-
nobelpreisträgerin Malala in bewegenden Worten ausge-
drückt hat: Nichts ist für Terroristen, für Extremisten
schlimmer als ein Mädchen mit einem Buch. – Deshalb
bleibt Bildung der Schlüssel für nachhaltige Entwick-
lung.
Es geht den meisten Afghaninnen und Afghanen
heute deutlich besser als vor 13 Jahren, und unsere Ent-
wicklungszusammenarbeit hat daran einen erheblichen
Anteil. Unsere Experten genießen einen hervorragenden
Ruf in Afghanistan. Deshalb bleibt die deutsche Ent-
wicklungszusammenarbeit auch in Zukunft an der Seite
der afghanischen Bevölkerung.
Wir haben in unserer Länderstrategie für Afghanistan
fünf Schwerpunkte gesetzt, die wir bis 2017 verwirkli-
chen wollen:
Erstens. Wir brauchen Arbeitsplätze. Wir brauchen
Beschäftigungsperspektiven. Das ist das beste Mittel ge-
gen Extremismus. Jedes Jahr drängen in Afghanistan
400 000 junge Leute auf den Arbeitsmarkt. Sie brauchen
die Chance auf eine eigene Zukunft in wirtschaftlicher
Sicherheit.
Zweitens. Wir brauchen gute Regierungsführung. Das
ist eine konkrete Erwartung an den Präsidenten und an
die Regierung. Wir wollen signifikante Verbesserungen
beim Kampf gegen Korruption und Willkür.
Drittens. Wir wollen Frauen und Mädchen unterstüt-
zen. Meine Damen und Herren, die Rolle der Frauen in
einer Gesellschaft ist ein Gradmesser für den Entwick-
lungsstand eines Landes.
Es kommt auf Frauen und Mädchen an. Wir können da-
rauf nirgendwo verzichten, auch nicht in Afghanistan.
Viertens. Wir wollen afghanischen Flüchtlingen eine
Perspektive geben. Deswegen werden wir in Afghanis-
tan, im Übrigen auch im Nachbarland Pakistan, Flucht-
ursachen bekämpfen und die Reintegration von Rück-
kehrern fördern.
Fünftens. Wir wollen in Nordafghanistan tätig blei-
ben, solange ein Mindestmaß an Sicherheit gewährleistet
ist, auch ohne internationale Soldaten. Besonders im
ländlichen Raum bleibt viel zu tun.
Im Gegenzug für unsere Unterstützung erwarten wir
von der afghanischen Regierung Zug um Zug konkrete
Reformen. Deswegen war Bundesminister Dr. Gerd
Müller im November in Kabul und hat dort den Staats-
präsidenten Ghani und den Regierungsvorsitzenden
Abdullah getroffen. Beide haben einen konkreten Willen
zu umfassenden Reformen gezeigt. Deswegen wollen
wir sie daran messen, dass sie ihre Reformversprechen
auch einlösen.
Wir fordern konkrete Fortschritte in folgenden Berei-
chen:
Zum Ersten fordern wir ein klares Bekenntnis zu De-
mokratie und Menschenrechten. Der Schutz von Frauen
und Mädchen muss insbesondere hier verbessert werden.
Zum Zweiten fordern wir umfassende Wirtschafts-
reformen. Das Land hat erhebliche Rohstoffressourcen,
die aber so genutzt werden müssen, dass sie der breiten
Bevölkerung zugutekommen. Die Rahmenbedingungen
für Investitionen aus dem In- und Ausland müssen bes-
ser werden. Damit wird auch die Voraussetzung dafür
geschaffen, dass eigene staatliche Einnahmen generiert
werden.
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Zum Dritten fordern wir von der afghanischen Regie-
rung, dass sie konsequent wirksame Maßnahmen zur
Korruptionsbekämpfung umsetzt. Dort, wo Korruption
herrscht, ist die Allgemeinheit das erste Opfer, meine
Damen und Herren.
Wir fordern weiter konkrete und überprüfbare
Schritte zur Bekämpfung des Drogenanbaus. Die Dro-
genökonomie finanziert den Terrorismus und fördert or-
ganisierte Kriminalität. Deswegen sind Opiumanbau und
Drogenhandel eine große Gefahr für die Sicherheit, für
die Regierbarkeit und für die Entwicklung des Landes.
Es liegt ganz entscheidend an diesem Land selbst, an
seinen Eliten, an den Führungskräften in der Politik und
der Wirtschaft, aber natürlich auch an einer starken Zi-
vilgesellschaft, ob politische Institutionen geschaffen
werden, die stabil und leistungsfähig sind, sodass Afgha-
nistan einen erfolgreichen Weg beschreiten kann, der am
Gemeinwohl, am Wohl der Bevölkerung orientiert ist.
Wir wollen, meine Damen und Herren, Afghanistan
auf diesem Weg begleiten. Deutschland ist immer ein
verlässlicher Partner Afghanistans gewesen. Deswegen
werden wir die Menschen in Afghanistan auch zukünftig
unterstützen, und zwar resolut, wie die neue Mission
– Resolute Support Mission – heißt. Gerade jetzt, wo das
Land nach dem ISAF-Einsatz vor einem weiteren Um-
bruch steht, gilt es, sicherzustellen, dass die Entwick-
lungserfolge erhalten bleiben und weiter ausgebaut wer-
den können. Das Ziel muss sein, dass Afghanistan
immer stärker auf eigenen Füßen steht, nicht nur bei Mi-
litär und Polizei, sondern auch wirtschaftlich. Ohne Ent-
wicklung, meine Damen und Herren, gibt es dauerhaft
keine Sicherheit und keinen Frieden. Und umgekehrt:
Ohne ein Mindestmaß an Sicherheit kann Entwicklung
nicht stattfinden.
Die NATO-Folgemission Resolute Support Mission
muss deshalb die afghanischen Sicherheitskräfte so
lange unterstützen, bis sie dauerhaft eigenständig in der
Lage sind, Sicherheit zu gewährleisten. Das heißt, wir
müssen die Sicherheit durch fremde Kräfte überführen
in eine Sicherheit aus eigener Kraft, nämlich durch
Afghanen. Bis dahin bleibt auch für die Entwicklungs-
zusammenarbeit von großer Bedeutung, dass wir uns in
Extremsituationen auf die Unterstützung durch interna-
tionale Kräfte verlassen können.
Wir brauchen in Afghanistan sicherlich einen langen
Atem, nicht nur im Sicherheitsbereich, sondern auch und
gerade beim zivilen Wiederaufbau. Ich will daran erin-
nern, dass die Entwicklungsexperten schon in Afghanis-
tan vor Ort waren, bevor die ersten deutschen Soldaten
2002 nach Kabul kamen. Die Schwerpunkte unserer Ent-
wicklungszusammenarbeit waren damals Berufsbildung,
Energie und ländliche Entwicklung. Wenn wir uns nun
daranmachen, nach dem Einsatz mit militärischen Mit-
teln Konfliktnachsorge zu betreiben, dann ist das zu-
gleich Vorsorge, um zukünftige Konflikte zu vermeiden.
Ich bin froh darüber, dass es hier im Hause einen frak-
tionsübergreifenden Konsens gibt, unsere Entwicklungs-
zusammenarbeit in Afghanistan fortzusetzen. Ich danke
für die Unterstützung des Parlaments und darf Sie bitten,
unsere Entwicklungsbemühungen in Afghanistan auch
weiterhin tatkräftig mit zu begleiten und zu unterstützen.
Vielen Dank.