Rede von
Wolfgang
Gehrcke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Sie werden mir nachsehen,
dass ich als Erstes meinem Kollegen Bodo Ramelow zu
seiner Wahl zum Ministerpräsidenten in Thüringen gra-
tulieren möchte.
Gratulation auch an SPD und Grüne! Für mich ist es ein
sehr hoffnungsvolles Zeichen, dass man mit einer klaren
Antikriegsposition – ich habe zusammen mit Bodo
Ramelow an unendlich vielen Demonstrationen gegen
den Krieg in Afghanistan teilgenommen – Wahlen ge-
winnen kann. Das ist ein Signal in eine andere Richtung;
so nehme ich es auf. Deswegen freue ich mich darüber.
Ich habe viel darüber nachgedacht und bin zu dem
Schluss gekommen, dass wir uns als Abgeordnete des
Bundestags in der heutigen Parlamentssitzung aus Trauer
um die Opfer des Krieges in Afghanistan – ich sage aus-
drücklich dazu, Herr Außenminister, dass ich die Opfer
sowohl aus Afghanistan als auch aus anderen Ländern
meine – hätten erheben und Abbitte für unseren Anteil
an diesem Krieg mit zahlreichen Opfern leisten müssen.
Eine solche Geste des Parlaments wäre angebracht ge-
wesen.
Ich verstehe nicht, warum man die afghanischen Opfer
aus der Trauer immer herausnimmt. Ich weiß, dass es
eine solche Geste nicht geben wird, auch deshalb nicht,
weil es bei den anderen Fraktionen keine Bereitschaft
gibt, sich schonungslos Rechenschaft darüber abzulegen,
was passiert ist.
Der Antrag der Bundesregierung lautet im Klartext:
850 Bundeswehrsoldaten werden im Rahmen eines
12 000 Personen umfassenden Kontingents der NATO
und anderer Staaten in Afghanistan stationiert. Es gibt
bis zum heutigen Tag kein UNO-Mandat dafür. Sie sa-
gen, dass Sie sich darum bemühen werden. Es gibt aber
kein Mandat. Sie entscheiden, obwohl die UNO ihre
Position bisher nicht dargelegt hat. Das bricht mit allem,
was Sie versprochen haben. Das ist kein Abzugsmandat,
sondern ein Mandat, das möglicherweise dafür sorgt,
dass der Krieg weitergeht.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014 7081
Wolfgang Gehrcke
(C)
(B)
Ich erinnere daran, dass wir die Namen der Opfer von
Kunduz, zu deren Tötung ein deutscher Offizier den Be-
fehl gegeben hatte, hier im Parlament hochgehalten ha-
ben. Wir sind damals herausgeflogen. Aber es blieben
die Fragen: Warum ist das Ganze eigentlich passiert?
Hat es keine anderen Wege gegeben? Wurden andere
Wege nicht eingeschlagen, und warum nicht? Wann be-
greift der Bundestag endlich die Schwere der Fehlein-
schätzung, sich am Afghanistan-Krieg beteiligt zu ha-
ben?
Deutschlands Sicherheit ist nicht am Hindukusch ver-
teidigt worden. Deutschland hat Krieg am Hindukusch
geführt. Das hätte angesichts der deutschen Geschichte
und unserer Verantwortung eigentlich unmöglich sein
müssen. Das Parlament hätte eine entsprechende Ent-
scheidung treffen müssen.
Seit 13 Jahren dauert nun der Krieg in Afghanistan.
Ich frage mich, wann die Bundeswehr endlich vollstän-
dig abgezogen wird. Für einen vollständigen Abzug sor-
gen Sie nicht. Ich frage Sie, ob Sie nicht endlich begrei-
fen wollen, dass dieser Krieg verloren ist, militärisch,
moralisch, sozial und politisch. Meine Fraktion hat als
Einzige von Anfang an kategorisch gesagt: Man kann
den Kampf gegen den Terror gewinnen, wenn man seine
Ursachen austrocknet. Aber ein Krieg gegen den Terror
ist nicht zu gewinnen. – Das ist das Ergebnis und die
Botschaft von Afghanistan.
Sie haben im Wesentlichen immer vier Argumente für
den Einsatz in Afghanistan angeführt. Ich habe sie nie
geglaubt. Ich glaube, dass es andere Gründe für diese
Auseinandersetzung gegeben hat.
Aber ich will mich noch einmal ein Stück weit mit Ihren
Argumenten auseinandersetzen. Sie haben gesagt, der
Krieg in Afghanistan sei ein Krieg gegen den Terror. Ich
frage Sie sehr ernsthaft: Ist die Terrorgefahr heute klei-
ner oder größer geworden? Jeder, der halbwegs hin-
schaut, wird zugeben: Die Terrorgefahr ist heute größer
geworden. Durch die Kriegsbeteiligung der NATO,
Deutschlands und der USA sind Tausende Leute in die
Hände der Terroristen getrieben worden. Das halte ich
für das größte Versagen in diesem Krieg. Was wir nun
im Nahen Osten erleben – ich nenne als Beispiel IS –,
hat seine Wurzeln auch im Afghanistan-Krieg. Sehen Sie
endlich ein, dass dieser Weg falsch ist, dass man einen
anderen Weg einschlagen muss.
Sie haben uns erzählt, dieser Krieg müsse geführt
werden, um die Weiterverbreitung von Massenvernich-
tungswaffen zu stoppen. Wie ist es nun? Ist die Gefahr
kleiner oder größer geworden? Ein Blick darauf zeigt
doch, dass die Gefahr der Weiterverbreitung von Mas-
senvernichtungswaffen größer und nicht kleiner gewor-
den ist. Auch hier war Krieg nicht die richtige Antwort.
Ich frage Sie, ob Sie noch heute Ihr Versprechen einlö-
sen wollen, dass es ein Krieg für Demokratie gewesen
ist.
Sowohl das, was in Afghanistan herrscht, als auch das,
was wir weltweit erleben – die Entstaatlichung und den
Niedergang von Staaten –, sind ein Schlag gegen die De-
mokratie. Dieser Krieg hat die Demokratie nicht beför-
dert, sondern ein Stück weit vernichtet.
Ihr Argument war: Das ist ein Krieg um Menschen-
rechte. Glauben Sie heute noch ernsthaft, man könne
Menschenrechte mit Krieg verteidigen? Krieg und Tö-
tung, Blut, Dreck und Vernichtung sind immer das Ge-
genteil von Menschenrechten. Dieser Krieg hat Men-
schenrechte nicht verteidigt, sondern infrage gestellt und
vernichtet.
Das wollen wir hier im Parlament aussprechen; denn
ohne eine Auseinandersetzung damit werden wir kein
Stück vorankommen.
Es werden ja Kollegen der SPD und der CDU/CSU
sprechen: Erklären Sie dem Parlament doch einmal, wa-
rum Sie ohne Beschluss der Vereinten Nationen diesen
Einsatz jetzt vom Zaune brechen. Das werden Sie nicht
erklären können. Das widerspricht Ihren eigenen Posi-
tionen. Deswegen wäre die einzig richtige Botschaft:
Schluss mit der deutschen Beteiligung am Afghanistan-
Krieg – vollständig und sofort!