Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
der Drucksache 18/3317 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf:
a) Beratung des Antrags der Bundesregierung
Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte
am NATO-geführten Einsatz Resolute Sup-
port Mission für die Ausbildung, Beratung
und Unterstützung der afghanischen nationa-
len Sicherheitskräfte in Afghanistan
Drucksache 18/3246
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle
Pfeiffer, Sabine Weiss , Frank Heinrich
, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Gabi Weber, Dr. Bärbel Kofler, Axel Schäfer
, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD
Transformationsdekade mit zivilen Mitteln
erfolgreich gestalten
Drucksache 18/3405
Auch hier soll nach einer interfraktionellen Vereinba-
rung die Aussprache 96 Minuten dauern. – Das ist offen-
sichtlich unstreitig. Also können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundes-
außenminister das Wort.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An-
fang 2002 besuchten zwei deutsche Reporter Afghanis-
tan, um den Zustand des Landes nach der Befreiung von
den Taliban zu erkunden. Sie sind eingereist über den
Norden, über die Grenze zu Tadschikistan, und an der
Grenze verabschiedete der Zöllner die beiden Journalis-
ten damals mit den Worten: „Viel Spaß im Mittelalter“.
Das, was die Journalisten damals, im Jahre 2002, ge-
sehen haben, entsprach dem in der Tat. Sie waren ge-
schockt von dem, was sie sahen: Menschen, die in
Lehmhütten ohne Türen hausten, Menschen in Lumpen
rund ums Feuer versammelt, wo das kärgliche Mahl an-
gerichtet wurde. Sie sahen grausame Dinge, wie den
Jungen mit dem verstümmelten Kniegelenk in einem
Dorf in der Provinz Takhar, dessen offene Wunde wohl
mit heißem Teer desinfiziert worden war.
„Stunde null im Mittelalter“, hieß die Überschrift die-
ser Reportage aus dem Jahre 2002, und das Fazit der Re-
portage lautete damals: „Es ist schwer, ein Land wie Af-
ghanistan in die Neuzeit zu holen.“
Meine Damen und Herren, kein Thema hat die außen-
politische Debatte in Deutschland in den vergangenen
Jahren wahrscheinlich so intensiv geprägt wie unser En-
gagement dort am Hindukusch. Es begann mit den An-
schlägen vom 11. September, dem ISAF-Einsatz und der
Konferenz auf dem Bonner Petersberg. Deutschland hat
damals mit Verbündeten Verantwortung für Afghanistan
übernommen und tut das in großem Umfang auch bis
heute.
In weniger als einem Monat ist der NATO-Einsatz
ISAF, der damals begonnen hat, Geschichte. Das muss
für uns natürlich Anlass sein, eine Bilanz zu ziehen, die
auch selbstkritisch sein darf und sein muss. Es geht nicht
darum, ob wir, wie es in diesem Artikel heißt, „Afgha-
nistan in die Neuzeit“ holen oder geholt haben, sondern
es geht vielmehr um die politische Frage, inwieweit sich
unser risikoreicher Einsatz gelohnt hat. Es geht auch da-
rum, was wir richtig gemacht haben und wo Fehler un-
terlaufen sind, und darum, mit welchem Aufwand und
welchen Zielen wir diesen Einsatz für die Zukunft weiter
betreiben sollen.
Die, die immer dagegen waren, diejenigen, die an der
Oberfläche bleiben wollen, sind natürlich immer schnell
dabei, diesen Einsatz als gescheitert anzusehen. Viele
haben dies gesagt oder geschrieben. In der Tat: In Teilen
des Landes floriert immer noch die Drogenökonomie.
Korruption behindert oftmals die Modernisierung von
Staat und Gesellschaft. In vielen Provinzen herrschen
mächtige Warlords. In Teilen des Landes regiert auch
noch Gewalt. Wer sich eine Gleichberechtigung der
Frauen erhofft hat, kann trotz mancher Fortschritte na-
türlich nicht zufrieden sein. Und, ja, es gibt auch immer
noch die radikal-islamischen Taliban.
Alles das ist richtig. Die Frage, die wir uns aber auch
zu stellen haben, lautet: Ist das die ganze Wahrheit?
Denn auf der anderen Seite haben wir vieles für die Ent-
wicklung dieses Landes erreicht. Natürlich leben immer
noch viele Menschen in Armut, aber die durchschnittli-
che Lebenserwartung der Menschen ist eben – und das
ist ein Fortschritt – von 45 auf 60 Jahre gestiegen.
Die Sterblichkeitsrate von Müttern und Kindern ist ex-
trem gesunken. Erfreulich viele Mädchen gehen zur
Schule. Über 200 000 Studenten sind an den Hochschu-
len eingeschrieben. Es gibt auch asphaltierte Straßen,
Strom, Handys und Autos. Es gibt eine Zivilgesellschaft,
und es gibt eine beachtliche Zahl relativ unabhängiger
Medien. Auf dem Pressefreiheitsindex der Organisation
Reporter ohne Grenzen – das weiß man auch nicht unbe-
dingt – liegt Afghanistan mittlerweile vor seinen Nach-
barstaaten Indien, Pakistan und Usbekistan.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014 7079
Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
(C)
(B)
Deshalb sage ich: Alles das ist zwar wahrlich kein
Anlass zur Selbstzufriedenheit, und wir müssen uns für
diesen Einsatz auch nicht gegenseitig auf die Schultern
klopfen, aber es gibt eben ganz konkrete Erfolge, die wir
auch nicht geringschätzen sollten und die ohne den Ein-
satz der internationalen Staatengemeinschaft nicht er-
reicht worden wären.
Vielleicht noch wichtiger als die Details, über die viel
gesagt und geschrieben worden ist: Wir haben dieses
Land nicht im Chaos versinken lassen. Wir haben es von
einer terroristischen Herrschaft befreit, und heute geht
keine terroristische Gefahr mehr von Afghanistan aus.
Das ist wichtig für uns, aber das ist genauso wichtig für
Afghanistan selbst.
Ja, Sicherheit und Entwicklung sind immer noch fra-
gil in Afghanistan. Ja, vielleicht haben wir selbst zu
große Erwartungen gehabt und zu große Erwartungen
geweckt mit dem, was wir erreichen wollten. Trotzdem
ist das Land ein anderes geworden. Jüngster Beleg dafür
ist aus meiner Sicht der Wechsel im Präsidentenamt im
Sommer von Hamid Karzai zu Ashraf Ghani, der in die-
ser Woche hier ist. Das war keine leichte Übung, weder
für Afghanistan noch für die internationale Staatenge-
meinschaft. Aber er ist am Ende gelungen, und ich bin
sicher, das wird sich auszahlen.
Die Wahlen im vergangenen Sommer sind schon da-
mals weitgehend abgesichert worden durch afghanische
Sicherheitskräfte. Auch darin zeigt sich, dass sich viele
unserer Bemühungen gelohnt haben.
Die neue Regierung der Nationalen Einheit unter
Staatspräsident Ghani und dem Regierungsvorsitzenden
Abdullah Abdullah hat unsere Unterstützung, damit es
in Afghanistan weiter vorangeht. Diese Unterstützung
– hoffentlich auch in Ihrem Namen – werden wir den
beiden bei ihrem heutigen Besuch in Berlin erneut zusi-
chern.
Wenn wir heute auf 13 Jahre Engagement in Afgha-
nistan zurückblicken, dann blicken wir auch auf Opfer
zurück, die wir, die internationale Staatengemeinschaft,
und die wir, auch Deutschland, in den vergangenen Jah-
ren gebracht und noch mehr zu beklagen haben. Über die
Jahre haben Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr
über 130 000 Einsätze in Afghanistan geleistet. Bis zu
5 500 waren teilweise gleichzeitig dort im Einsatz.
Seit Beginn dieses Einsatzes haben 55 von ihnen in
Afghanistan ihr Leben gelassen. Hinzu kommen zahlrei-
che körperliche und seelische Verletzungen. Wir geden-
ken der Opfer, und unser aufrichtiges Mitgefühl gilt den
Hinterbliebenen und Angehörigen. Unser Mitgefühl ist
mit all denjenigen, die weiter an ihren Verletzungen zu
tragen haben.
Ich möchte an dieser Stelle unseren Soldatinnen und
Soldaten danken und sagen: Unter oft schwersten Bedin-
gungen haben Sie über die Zeit des gesamten Einsatzes
dazu beigetragen, dass jenes Maß an Sicherheit geschaf-
fen werden konnte, ohne das Wiederaufbau und Ent-
wicklung nicht möglich gewesen wären. Sie haben Ihren
Dienst mit wirklich bemerkenswerter Professionalität
versehen, vom Beginn des Einsatzes bis zum nun erfolg-
ten Abzug aus dem Lager Kunduz und zur Reduzierung
unserer Präsenz in Masar-i-Scharif. Für all das gebühren
Ihnen Dank und größter Respekt unseres Landes.
Aber unser Engagement war nicht nur auf das Militä-
rische beschränkt und ist es niemals gewesen. Deshalb
gilt derselbe Dank auch den Polizistinnen und Polizisten,
die ihren Beitrag zum Aufbau eigener afghanischer Si-
cherheitskräfte, einer eigenen afghanischen Polizei ge-
leistet haben. Danken möchte ich den vielen deutschen
Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfern und
auch den Diplomatinnen und Diplomaten, die – das dür-
fen wir nicht vergessen – unter Eingehung persönlicher
Risiken und mit unglaublich großem Engagement unse-
ren afghanischen Freunden Hoffnung gegeben haben,
dass es eine Alternative zu Krieg und Bürgerkrieg gibt,
dass es eine Zukunft für Afghanistan gibt. Ihnen allen
herzlichen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, am 1. Januar 2015
schlagen wir ein neues Kapitel in der jüngeren afghani-
schen Geschichte auf. Die Regierung in Kabul wird die
volle Verantwortung übernehmen für die innere und äu-
ßere Sicherheit des Landes. Die internationale Unterstüt-
zung endet nicht abrupt, aber sie bekommt ein neues Ge-
sicht. An die Stelle von ISAF tritt der Einsatz von
Resolute Support, und über den militärischen Beitrag
stimmen wir heute ab.
Aber unser Engagement wird auch weiterhin nicht
nur militärisch sein. Wir werden bis 2016 jedes Jahr
430 Millionen Euro in zivile Aufbauhilfe investieren, sei
es für den Aufbau von Schulen, für den weiteren Ausbau
von Infrastruktur, für die Elektrifizierung des Landes
oder für die Stärkung einer Basisgesundheitsversorgung.
Sicherheit ist die Voraussetzung für vieles, auch für
zivile Unterstützung. Aber wenn Afghanistan jemals
vollständig auf eigenen Füßen stehen will, dann braucht
es gerade jetzt nachhaltige Entwicklung. Wir alle haben
lernen müssen, dass wir dafür einen verdammt langen
Atem brauchen. Das gilt auch weiterhin.
Der Ihnen vorliegende Mandatsantrag regelt die Be-
teiligung deutscher bewaffneter Streitkräfte an Resolute
Support. Anders als ISAF ist Resolute Support kein
Kampfeinsatz; denn die beteiligten Streitkräfte haben
nicht die Aufgabe, sich an der Terror- und Drogenbe-
kämpfung zu beteiligen, sondern dieser Einsatz folgt ei-
ner anderen Philosophie, der Philosophie, dass afghani-
sche Sicherheitskräfte zukünftig auf eigenen Füßen
stehen müssen. Sie tragen die volle Verantwortung für
die Sicherheit im Land. Nur in zentralen Bereichen, bei
denen wir heute davon ausgehen müssen, dass da noch
Defizite bestehen, werden Ausbilder und Berater von der
internationalen Staatengemeinschaft zur Verfügung ge-
stellt werden. Daneben wird der Auftrag auch die Not-
7080 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014
Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
(C)
(B)
fallhilfe für zivile Helfer der internationalen Staatenge-
meinschaft beinhalten.
Der Einsatz beruht auf der ausdrücklichen Zustim-
mung der afghanischen Regierung und dem vom Parla-
ment mit eindrucksvoller Mehrheit ratifizierten NATO-
Afghanistan-Truppenstatut. Wir hoffen zudem, dass der
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen noch im Dezem-
ber eine Resolution verabschieden wird, die Resolute
Support politisch flankiert. Die Verhandlungen über diese
Resolution laufen derzeit in New York. Wir tun alles,
was wir können, um hier zu einem positiven Ergebnis zu
kommen.
Deutschland wird auch über das Jahr 2015 hinaus in
Afghanistan engagiert bleiben. Das gilt für viele Berei-
che. Was das für den Bereich der Sicherheit und für den
Bereich Ausbildung und Beratung heißt, das werden die
NATO-Verbündeten im Verlaufe des kommenden Jahres
untereinander diskutieren und analysieren, wie Resolute
Support in 2015 verläuft.
Was man aber jetzt schon sagen kann: Die Frage der
Finanzierung der afghanischen Sicherheitskräfte wird
auch langfristig von strategischer Bedeutung bleiben.
Deshalb beabsichtigen wir als Bundesregierung, ab 2015
etwa 150 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung zu stel-
len: 80 Millionen Euro für die Finanzierung der afghani-
schen Armee, 70 Millionen Euro für die Polizei.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Entwicklung
muss weitergehen. Wir stehen zur Unterstützung bereit.
Aber uns muss bewusst sein: Die Einflussmöglichkeiten
von außen haben ihre natürlichen Grenzen, und sie sol-
len sie auch haben. Deshalb: Alle unsere Bemühungen
werden nur dann ihre volle Wirkung entfalten, wenn die
Afghanen selbst einen erfolgreichen politischen Prozess
gestalten. Ich habe gesagt: Der erste friedliche und de-
mokratische Präsidentenwechsel ist ermutigend; das ist
ein Fortschritt. Aber ich bin auch weiter der Überzeu-
gung, dass nur ein innerafghanischer Versöhnungspro-
zess, nur eine politische Lösung am Ende wirklich dau-
erhaften Frieden für Afghanistan bringen kann.
Wir stehen bereit, Afghanistan weiter zu unterstützen.
Die Mission Resolute Support ist ein Teil dieser Unter-
stützung. Wir erinnern uns: Die ISAF-Mandate haben
hier im Hohen Hause stets eine breite Unterstützung ge-
funden. Ich hoffe, dass das für Resolute Support in ähnli-
cher Weise gilt. Ich jedenfalls glaube, es entspräche der
gemeinsamen Verantwortung, die wir hier für ein schwie-
riges und lang andauerndes Engagement tragen. Deshalb
darf ich Sie, auch im Namen von Frau von der Leyen
– sie kann heute wegen eines Trauerfalls nicht hier sein –
und im Namen der ganzen Bundesregierung, um Zustim-
mung für dieses Mandat bitten.
Herzlichen Dank.