Rede von
Lena
Strothmann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Verachtet
mir die Meister nicht, und ehrt mir ihre Kunst!“, so heißt
es in den Meistersingern von Nürnberg. Dieser Aufruf
begleitet das Handwerk nun schon fast 150 Jahre, und er
hat an Bedeutung nicht verloren. Im Gegenteil: Er ist ak-
tueller denn je, würde ich sagen; denn gerade jetzt fährt
die EU-Kommission in Brüssel einen Frontalangriff auf
das deutsche Meisterhandwerk.
Meine Damen und Herren, der Meisterbrief ist die Er-
folgsgeschichte des Handwerks. Trotzdem, muss ich sa-
gen, fehlt mir manchmal seine gesellschaftliche Aner-
kennung und Wertschätzung.
Der Meisterbrief ist wesentlich mehr als nur ein Zertifi-
kat. Er ist das Markenzeichen des deutschen Handwerks.
Er steht für hochwertige Qualifizierung, für fachliches
Können, für ausgezeichnete Produkte und Dienstleistun-
gen und vor allen Dingen für Ausbildung und hochquali-
fizierten Nachwuchs.
Was macht den Meisterbrief eigentlich so erfolgreich?
Es ist die Qualifizierung an unseren Meisterschulen.
Hier erhält der Handwerker das erforderliche Rüstzeug
zum erfolgreichen Unternehmertum: betriebswirtschaft-
liche, kaufmännische und rechtliche Kenntnisse. Eine
Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsfor-
schung hat ergeben: 40 Prozent der Betriebe ohne
Meister sind nach fünf Jahren insolvent, weil die Inhaber
in dem jeweiligen Bereich nicht die nötigen Kenntnisse
haben. Die Meisterbetriebe dagegen sind insolvenzfest.
Zum Erfolg gehört natürlich auch die fachliche Kom-
petenz, das Können und Wissen des Meisters. Das ist die
Basis für hohe Qualität der Dienstleistungen und Pro-
dukte. Das garantiert vor allen Dingen hohen Verbrau-
cherschutz, und zwar mit großem Erfolg; denn das welt-
weit anerkannte „Made in Germany“ wird entscheidend
auch vom deutschen Handwerk geprägt.
Hierzulande vertrauen die Verbraucher auf das Können
der Meister.
Die Meisterschule sorgt aber nicht nur für die Kompe-
tenz des Meisters. Sie macht ihn vor allen Dingen zum
Ausbilder und zur Führungsperson. Ohne Ausbilder gibt
es keinen Nachwuchs, und ohne Nachwuchs gibt es
keine Fachkräfte. Nur gut ausgebildete Leute können ihr
Wissen weitergeben. Deshalb sind es mit 95 Prozent vor
allen Dingen die Meisterbetriebe, die ausbilden. In über
130 Gewerken bilden Handwerksbetriebe in Deutsch-
land rund 400 000 junge Menschen aus.
Die Ausbildungsquote liegt bei 8 Prozent. Das ist ein
Spitzenwert. Damit ist sie im Vergleich zu Handel und
Industrie immerhin doppelt so hoch. Darauf kann das
deutsche Handwerk stolz sein.
Auch andere profitieren von unseren gut ausgebilde-
ten Fachkräften. Viele Auszubildende arbeiten nach der
Lehre in anderen Wirtschaftsbereichen. Damit leistet das
Handwerk einen großen Beitrag zur Fachkräftesicherung
der gesamten deutschen Wirtschaft und zur Verringerung
der Jugendarbeitslosigkeit. Diese Quote bei uns liegt bei
7,8 Prozent. Sie ist immer noch zu hoch; aber es ist die
niedrigste in ganz Europa.
Viele andere Mitgliedstaaten beneiden uns um unser
Ausbildungssystem. Die EU-Kommission empfiehlt die
duale Ausbildung den Ländern mit hoher Jugendarbeits-
losigkeit sogar als „best practice“. Auf der anderen Seite
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014 7061
Lena Strothmann
(C)
(B)
will sie den Meisterbrief als Voraussetzung für Selbst-
ständigkeit abschaffen. Im Rahmen der Transparenzini-
tiative werden im Augenblick alle reglementierten Be-
rufszugänge in den Mitgliedstaaten überprüft; im Übrigen
hat Deutschland nicht die meisten reglementierten Be-
rufszugänge. Ziel der Kommission ist der vollendete
Binnenmarkt. Durch den Abbau der Reglementierung
sollen in Europa mehr Wachstum und mehr Arbeits-
plätze entstehen. Das ist ein gutes Ziel, aber zu kurz ge-
dacht, eine falsche Harmonisierung um jeden Preis. Ich
sage: keine Meister, kein Nachwuchs.
Wir haben in Deutschland nach der Handwerksno-
velle 2004 schmerzhafte Erfahrungen gemacht. Auch
damals ging es um mehr Wachstum und mehr Arbeits-
plätze. Und was ist passiert? Eine fatale Abwärtsspirale
wurde in Gang gesetzt. Nachdem 53 Handwerksberufe
zulassungsfrei wurden, gab es zwar viele Existenzgrün-
der – leider zum großen Teil nur Einmannbetriebe –,
aber die konnten sich, jedenfalls die meisten, nicht lange
am Markt halten.
Eine Studie des Volkswirtschaftlichen Instituts für
Handwerk und Mittelstand belegt: Fünf Jahre nach
Gründung waren 60 Prozent dieser Betriebe vom Markt
verschwunden. Aber das Schlimmste ist: In diesen Ge-
werken wird nicht ausgebildet. Im Zeitraum von 2003
bis 2010 ging die Zahl der Gesellenprüfungen im Flie-
senlegerhandwerk von 1 665 auf 658 zurück. Die Zahl
der Meisterprüfungen sank im gleichen Zeitraum von
557 auf 84. – Nun fehlt uns der Nachwuchs an allen
Ecken und Enden. Das darf sich in Deutschland nicht
wiederholen.
Deshalb gilt nach wie vor: Wer den Meisterbrief an-
greift, legt gleichzeitig die Axt an unser erfolgreiches
Ausbildungssystem an. Das muss auch Brüssel begrei-
fen. Der Meisterbrief und die duale Ausbildung gehören
zusammen.
Es ist ein harter Kampf mit der Kommission. Die
Kommission sagt zwar, die Überprüfung sei ergebnis-
offen; aber bei einem Prozess, der über zwei Jahre ange-
legt ist, kann ich das, ehrlich gesagt, nicht ganz glauben.
Ich bin trotzdem optimistisch; denn wir haben gute Ar-
gumente und vor allen Dingen gute Leute in den Cluster-
Gesprächen vor Ort.
Vor allen Dingen bin ich dankbar, dass wir hier, in die-
sem Hohen Hause, bei diesem Thema eine Allianz ha-
ben.
Wir haben im Koalitionsvertrag klare Aussagen getrof-
fen. Auch der Bundesrat hat sich entsprechend positio-
niert. Das sind starke Signale an Brüssel.
Für mich ist im Übrigen noch die Frage der Subsidia-
rität zu klären. Hierzu sage ich ganz deutlich: Der Meis-
terbrief und die berufliche Bildung sind nationale Ange-
legenheiten. Ich bin überzeugte Europäerin, sage aber:
Europa wird nicht wettbewerbsfähiger, wenn wir in
Deutschland unsere erfolgreichen Standards aufgeben.
Zur Wahrheit gehört auch: Nicht die Kommission al-
lein macht der dualen Ausbildung zu schaffen; wir sägen
selber an unseren Grundpfeilern. Aus demografischen
Gründen sinken die Schülerzahlen ständig, und darum
sinken automatisch auch die Auszubildendenzahlen.
Aber nicht nur die Demografie ist schuld daran, dass uns
immer mehr Auszubildende fehlen. Gleichzeitig steigt
die Zahl der Abiturienten und Studierenden rasant an. Im
Jahr 2000 sind noch ein Drittel der Schulabgänger an die
Unis gegangen und zwei Drittel in die berufliche Bil-
dung. 2020 wird es genau umgekehrt sein. So sagen es
jedenfalls Prognosen. Wenn wir einmal genau überlegen,
stellen wir fest: Bis 2020 ist es nicht mehr lange hin.
Ich frage mich: Wo sollen eigentlich unsere Fach-
kräfte herkommen? Natürlich muss sich die Wirtschaft
intensiver um ihren Nachwuchs kümmern; das ist keine
Frage, schließlich steht die Existenz unserer Betriebe auf
dem Spiel. Aber nicht nur die Wirtschaft ist gefordert,
sondern wir alle. Wir brauchen ein neues Bildungsver-
ständnis. Auf dem Papier sind Meister und Bachelor
gleich. Aber die Wirklichkeit sieht, wenn wir ehrlich
sind, anders aus. Für viele Schulabgänger, Eltern und
Lehrer ist die duale Ausbildung nur zweite Wahl. Diesen
Trend hat Professor Nida-Rümelin treffend als Akademi-
sierungswahn bezeichnet. Ich sehe das auch so. Dieser
Trend ist gefährlich für unser Land. Die duale Ausbil-
dung ist der Lebensnerv und der Erfolgsgarant für die
gesamte mittelständische Wirtschaft. Wenn uns heute die
Auszubildenden fehlen, dann fehlen uns morgen die
Fachkräfte. Hier steht also nicht nur die Zukunft des
Handwerks auf dem Spiel. Es geht um die Zukunft unse-
res Landes, um Wachstum und Wohlstand.
Diese Situation muss sich ändern – ich glaube, es ist
schon fünf nach zwölf –, sonst werden wir die großen
Zukunftsaufgaben wie die Energiewende oder die Digi-
talisierung nicht meistern können. NAPE können wir
dann auch gleich einstampfen; denn die Gebäudesanie-
rung ist ohne das Handwerk nicht zu machen. Deshalb
fordere ich ganz klar: Wir brauchen mehr Meister statt
Master.
Die berufliche Bildung muss stärker gefördert wer-
den. Wir haben viel Geld in den Hochschulpakt und die
Exzellenzinitiative gesteckt. Ich sage: Wir brauchen Ex-
zellenz in der beruflichen Bildung. Es muss in die Köpfe
der Lehrer, Eltern und Schüler: Ein Studium ist nicht im-
mer der Königsweg. 30 Prozent brechen ihr Studium an
einer Universität ab, Tendenz steigend. Da läuft doch et-
was schief. Vor allen Dingen schützt ein Universitätsab-
schluss nicht unbedingt vor schlechter Bezahlung; auch
7062 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014
Lena Strothmann
(C)
(B)
das muss einmal gesagt werden. Wir haben viele junge
Akademiker, die die Hälfte von dem verdienen, was
heute ein Elektromeister oder ein Installateurmeister ver-
dient.
Leider setzen sich noch zu wenige Menschen mit den
einzelnen Berufsbildern im Handwerk auseinander, ge-
rade am Gymnasium. Da muss in Sachen Berufsorientie-
rung mehr getan werden. Hier sind die Länder gefragt.
Laut einer Studie der Vodafone-Stiftung fühlt sich nur
gut die Hälfte der Schüler über ihre Möglichkeiten aus-
reichend informiert. Das ist deutlich zu wenig. Viele
wissen gar nicht, was das Handwerk bietet: mehr als
130 Ausbildungsberufe. Das Handwerk ist innovativ,
das Handwerk ist kreativ, und das Handwerk ist vor allen
Dingen Hightech. Vergessen Sie einfach einmal die Bil-
der von schmutzigen Kfz-Werkstätten und verschmier-
ten Schraubern in Blaumännern. Vergessen Sie die Elek-
triker, die die Kabel im Haus verlegen. Heute müssen
Installateure und Elektriker auf Knopfdruck Gebäude
automatisieren. Das nennt man Smart Home.
Zu unseren Hochqualifizierten – davon bin ich fest
überzeugt – gehören nicht nur unsere Akademiker, son-
dern auch die Techniker und Meister.
Das müssen auch Eltern, Lehrer und Schüler begrei-
fen. Das Handwerk bietet viele individuelle Karriere-
möglichkeiten, von der Ausbildung über das Studium bis
hin zur Chance, ein eigenes Unternehmen zu gründen.
Wir haben die Durchlässigkeit im Handwerk. Nur, viele
wissen das noch nicht. Auch wir hier im Hohen Hause
müssen umdenken.
Ich bin fest davon überzeugt: Bildungspolitik ist
knallharte Wirtschaftspolitik. Ohne Fachkräfte läuft in
Deutschland bald nichts mehr. Deshalb müssen wir alle
Potenziale für die berufliche Bildung nutzen: Wir müs-
sen die Studienabbrecher gewinnen. Ich finde, das ist
eine gute Initiative von Ministerin Wanka. Außerdem
haben wir jedes Jahr 50 000 Jugendliche, die die Schule
ohne Abschluss verlassen. Auch die müssen wir auffan-
gen. Hier schlummern unentdeckte Talente. Wir sind si-
cherlich mit der assistierten Ausbildung auf dem richti-
gen Weg.
Lassen Sie mich zum Schluss aber noch sagen: Die
Wirtschaft ist kein Reparaturbetrieb für schulische Defi-
zite. In den Schulen muss mehr getan werden. Rechnen,
Schreiben und Lesen kann man wohl von den Schülern
verlangen, wenn sie einen Abschluss haben.
Meine Damen und Herren, Sie sehen: Der Fachkräfte-
mangel ist eine der größten Herausforderungen unserer
Zeit. Aber es ist noch kein Meister vom Himmel gefal-
len. Deswegen heißt es jetzt gemeinsam anpacken.
Gott schütze das ehrbare Handwerk.