Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der bevorste-
hende Gipfel ist auch für die europäische Außen- und Si-
cherheitspolitik von großer Bedeutung. Stellen Sie sich
vor: Erstmals seit 2008 beschäftigen wir uns wieder auf
der Ebene der Staats- und Regierungschefs mit europäi-
schen außen- und sicherheitspolitischen Fragen. Es wäre
ein hervorragendes Ergebnis dieses Gipfels, wenn der
Europäische Rat bei all den Themen, mit denen sich die
Staats- und Regierungschefs beschäftigen müssen, jähr-
lich, wie der Kollege Hahn es eben ansprach, aber zu-
mindest zweijährlich auch das Thema der Außen- und
Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits-
und Verteidigungspolitik aufgreifen würde.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte
auf die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspoli-
tik eingehen und in einem weiteren Teil zwei Aspekte zu
den Beitrittsverhandlungen nennen.
Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass wir eine ei-
genständigere und glaubwürdigere europäische Außen-
und Sicherheitspolitik brauchen. Aber wir wissen auch,
dass die finanzpolitischen Spielräume dafür erheblich
geschrumpft sind. Gerade deshalb, liebe Kolleginnen
und Kollegen, ist eine erheblich engere Zusammenarbeit
erforderlich.
Dazu brauchen wir politischen Willen.
Die engen Finanzspielräume: Das, was wir in der
Wirtschafts- und Finanzpolitik erreicht haben, sollten
wir auch auf die Außen- und Sicherheitspolitik übertra-
gen. Warum? Wir haben 28 verschiedene Streitkräftepla-
nungsprozesse, wir haben 28 verschiedene zivile und
militärische Konfliktbewältigungsstrategien, und wir ha-
ben 28 verschiedene nationale Interessen. Wie bringen
wir das unter einen Hut? Jedenfalls so, wie wir es bisher
erlebt haben, ist es auf Dauer nicht möglich. Es ist nicht
bezahlbar und angesichts der Aufstellung der Europäi-
schen Union im globalen Wettbewerb auch nicht sinn-
voll.
Deshalb haben wir in unserem Koalitionsvertrag hier
eindeutig Handlungsbedarf festgehalten. Unser neuer
Bundesaußenminister wie auch unsere neue Bundesver-
teidigungsministerin haben bereits zum Amtsantritt be-
tont, wie wichtig engere europäische Kooperation ist.
Wir brauchen bessere Frühwarnsysteme, zivil wie mili-
tärisch. Wir brauchen verbesserte Reaktionsfähigkeiten,
verstärkte strategische Transportmöglichkeiten, vor allen
Dingen aber auch engere Vernetzung ziviler wie militäri-
scher Instrumente. Dazu hat der Bundestag in der letzten
Periode einiges an Vorleistungen erbracht. Wir brauchen
weiter eine stärkere Kooperation in der Beschaffungsin-
dustrie für die Sicherheit, aber auch für die Verteidi-
gungssektoren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, als Parla-
mentarier muss uns aber noch etwas anderes am Herzen
liegen: Wir müssen erklären, wozu wir mehr Europa in
der Außen- und Sicherheitspolitik brauchen. Notwendig
ist bessere Kommunikation gegenüber der Bevölkerung,
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Roderich Kiesewetter
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aber auch gegenüber unseren strategischen Partnern;
denn wir müssen erklären: Was sind denn die Interessen
und strategischen Ziele der Europäischen Union, welche
Aufgaben wollen wir erfüllen und mit welchen zivilen
und militärischen Instrumenten, und – die Kollegen
Schockenhoff und Niels Annen haben es angesprochen –
in welchen Regionen wollen wir aktiv sein? Dafür haben
wir drei strategische Ansätze: die stärker vernetzte Si-
cherheit, die Anlehnungspartnerschaft, die im Koali-
tionsvertrag an prominenter Stelle genannt ist, und na-
türlich die Ertüchtigungsinitiative.
Erstens. Man kann viel über vernetzte Zusammenar-
beit, vernetztes Handeln sprechen; man kann den Com-
prehensive Approach wie eine Monstranz vor sich her-
tragen; wir müssen ihn endlich in die Praxis umsetzen.
In unserem Koalitionsvertrag ist sehr deutlich von der
Stärkung einer ressortübergreifenden Zusammenarbeit
die Rede. In der Außen- und Sicherheitspolitik müssen
wir vernetzt denken und handeln. Es gilt, Krisenfrüher-
kennung, Krisenprävention, Ursachenbekämpfung und
Konfliktbewältigung als integrale Bestandteile zivil und
militärisch vernetzter Sicherheitspolitik mit konkreten
Projekten umzusetzen.
Wir haben auch entsprechende Institutionen, die an
prominenter Stelle aufgeführt sind. Ich nenne die Deut-
sche Stiftung Friedensforschung; ich nenne aber ganz
besonders als Institution, die funktioniert und die ausbil-
det, die Bundesakademie für Sicherheitspolitik.
Zweitens. Das strategische Konzept der Anlehnungs-
partnerschaft. Unsere Bundeskanzlerin hat dieses Kon-
zept vor einem Jahr bei der Generalstagung in Straus-
berg an prominenter Stelle öffentlich erwähnt. Worum
geht es da? Es geht schlichtweg darum, dass sich Grup-
pen europäischer Staaten in klar definierten Aufgaben-
feldern enger zusammenschließen und ihre zivilen wie
militärischen Krisenverhinderungsfähigkeiten aneinan-
der anlehnen. Entscheidend ist dabei, dass alle Staaten
gleichberechtigt sind – gleich wie groß sie sind, gleich
wie lange sie schon in der Europäischen Union sind,
gleich wie finanzstark sie sind.
Ein Anfang könnte sein, dass in diesen Staatengrup-
pen eine Angleichung der Ausbildungs- und Beschaf-
fungsprozesse erfolgt. Es könnten gemeinsame Projekte
– das wurde vorhin schon von Florian Hahn angespro-
chen –, zum Beispiel zur Luftbetankung, durchgeführt
werden. Es könnte außerdem – das ist das Wichtigste –
ein gemeinsam abgestimmtes, verlässliches Vorgehen
bei der Krisenbewältigung entwickelt werden.
Anlehnungspartnerschaft hilft auch bei den Sparan-
strengungen in den entsprechenden Verteidigungshaus-
halten. Ich glaube, sie zeigt erstmals den Weg auf, der
2005 und 2009 in den Koalitionsverträgen nur erwähnt
wurde. Die Vision einer europäischen Armee ist doch
viel leichter zu erreichen und in der Praxis umzusetzen,
wenn sich einzelne Staaten mit vergleichbaren Interes-
sen zu Gruppen zusammenschließen und sich später eine
europäische Armee aus den Kontingenten dieser einzel-
nen Staaten, die dann viel mehr Zusammenarbeit und
Struktur geschaffen haben, zusammensetzt. Ich glaube,
dieser Koalitionsvertrag kann europaweit ein Signal set-
zen.
Mein dritter Aspekt betrifft die Ertüchtigungsinitia-
tive. Sie zielt darauf ab, Partnerländer und regionale
Organisationen außerhalb der Europäischen Union zu
stärken, indem wir Ausbildungsangebote leisten, Bera-
tungsleistungen anbieten und natürlich durch die Zurver-
fügungstellung von Material unterstützen.
Im Übrigen hat sich Deutschland beim Europäischen
Rat mit vielen Konzepten und Ideen eingebracht. Wenn
dort bereits über unsere Ideen beraten wird, ist es viel
einfacher, diese umzusetzen, als erst beim Gipfel eigene
Ideen einzubringen. Deswegen danke ich allen, die be-
reits im Vorfeld intensiv daran mitgewirkt haben, unsere
neue Bundesregierung und unsere Bundeskanzlerin gut
aufzustellen, damit wir in Brüssel handlungsfähig sind.
Ich komme abschließend zur Beitrittsfrage betreffend
Serbien und Albanien. Unser Bundestag hat am 27. Juni
dieses Jahres eindeutige Bedingungen formuliert und ge-
fordert, dass die vollständige und nachhaltige Umset-
zung der Verpflichtung aus dem Implementierungsplan
festzustellen ist. Ich halte fest: Diese Forderungen sind
größtenteils umgesetzt. Man muss sich einmal vor Au-
gen führen, was vor einem Jahr von Serbien geleistet
wurde und was Serbien und Kosovo im vergangenen
Jahr an Fortschritten erzielt haben. Ich glaube, da hat die
aufmerksame Begleitung aus dem deutschen Parlament
heraus geholfen. Das sollten wir fortsetzen.
Nicht erfüllt ist die Forderung nach einem Neuaufbau
der Justizstrukturen im Nordkosovo. Allerdings haben
wir mehr Transparenz bei der Bezahlung serbischer Ein-
richtungen im Kosovo. Wir haben mehr Transparenz
beim Abbau der Parallelstrukturen. Wir haben endlich
Klarheit, dass auch die kosovarische Polizei serbische
Bewerber hat. Der Integrationswille wird also deutlich.
Wir sollten auf folgende drei Punkte achten:
Erstens. Es dürfen – im Gegensatz zum Fall Montene-
gro – keine andere Kapitel eröffnet werden als ausge-
macht. Insbesondere betone ich, dass die Verhandlungen
mit Kapitel 23 – die Grundrechte –, Kapitel 24 – die Jus-
tiz – und Kapitel 35 – die Beziehungen zum Kosovo –
des Koalitionsvertrages beginnen sollten.
Zweitens. Die serbischen Gemeinden dürfen kein
Staat im Staate Kosovo werden.
Drittens. Am Ende des Beitrittsprozesses muss ein-
deutig das Ziel einer rechtlich verbindlichen Vereinba-
rung, einer vollständigen Normalisierung der Lage und
einer De-facto-Anerkennung durch Serbien für den Ko-
sovo stehen.
Ich komme zu meinem letzten Punkt. Albanien hat
berechtigte Hoffnungen, zum Juni nächsten Jahres den
Kandidatenstatus zu erhalten. Wir in der CDU/CSU-
Fraktion können uns sehr gut vorstellen, dass dies zum
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Juni nächsten Jahres erfolgt und die Beitrittsbemühun-
gen dieses Landes im Vergleich zu anderen durchaus
ehrgeiziger angegangen werden.
Meine Damen und Herren, unsere letzte Sitzungswo-
che fällt in eine bedeutende europäische Woche: Der
Staats- und Regierungsgipfel findet statt. Das bedeutet,
dass unser Bundestag Teil einer starken europäischen
Gemeinschaft ist. Wir sollten die nächsten vier Jahre
nutzen, um diese Gemeinschaft zu prägen, und zwar mit
Transparenz, mit klaren Informationen an unsere Bevöl-
kerung und mit der Bereitschaft, für eine stärkere zivil-
militärische Vernetzung in der Außen- und Sicherheits-
politik aufgeschlossen zu sein.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.