Rede von
Birgitt
Bender
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem
vorliegenden Entwurf soll das Kartellrecht auf das Ver-
hältnis der Krankenkassen untereinander ausgedehnt
werden. Da stellt sich die Frage: Passen Kartellrecht und
das Sozialgesetzbuch V eigentlich zusammen? Die Ant-
wort heißt Ja, wenn es um die Vergabe öffentlicher Auf-
träge geht, etwa bei Rabattverträgen. Die Antwort heißt
auch Ja, wenn es um das Verhältnis von Krankenkassen
und Leistungserbringern geht, auch wenn Handwerk und
Krankenhäuser da noch Nachbesserungsbedarf sehen.
Die Antwort heißt vielleicht Ja, wenn es um das Verhält-
nis der Krankenkassen zu ihren Versicherten geht und
wir über Verbraucherschutz reden. Auch Krankenkassen
sind keine Heiligen. Wir hören von den Verbraucher-
schutzverbänden, dass Kassen zunehmend in der
Akquise zu Cold Calls greifen, nicht auf die Rechte der
Versicherten bei der Einführung von Zusatzbeiträgen
hinweisen oder gar versuchen – wir alle wissen, dass
dies geschieht –, unliebsame Versicherte abzuschrecken.
Die Antwort lautet aber klar Nein, wenn das Kartell-
recht auf die Beziehungen zwischen den Krankenkassen
ausgeweitet werden soll. Was steht denn im SGB V?
Krankenkassen sind zur Zusammenarbeit verpflichtet.
Gleichzeitig soll ihnen das durch das Kartellrecht nun
wieder verboten werden. So etwas nennt man politische
Schizophrenie.
Man kann es auch anders ausdrücken: Die Regierung
fordert von den Kassen die Quadratur des Kreises. Nor-
menklarheit, Herr Minister Rösler, sieht anders aus. Die
FDP redet ja gerne von Bürokratieabbau, aber hier füh-
ren Sie sowohl bei der Aufsicht als auch bei den Rechts-
wegen Doppelzuständigkeiten ein. Die Folgen werden
ständige Abgrenzungsprobleme und ständige Rechtsun-
sicherheit sein.
Das Ergebnis lautet dann: mehr Staat statt mehr Wett-
bewerb. Denn dann muss man wieder vorschreiben, dass
die Kassen etwa bei regionalen Versorgungskonzepten
zusammenarbeiten dürfen oder gar müssen. Das sieht
auch Herr Singhammer so. Leider reden Sie heute nicht.
Das ist schade, Herr Singhammer, Sie hätten von uns
wahrscheinlich viel Beifall erhalten.
Warum nun diese Nacht-und-Nebel-Aktion zweier
FDP-Minister? Es scheint ja so, dass dem Bundeskartell-
amt die Arbeit ausgeht, weil immer mehr Zuständigkei-
ten von der EU wahrgenommen werden. Soll das jetzt
also eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zulasten der
Krankenkassen sein, oder will das Wirtschaftsministe-
rium Kontrollbefugnisse über das Gesundheitswesen er-
langen, um die Privatisierung des Gesundheitswesens
voranzutreiben, für die Sie ja nicht einmal in Ihrer Koali-
tion eine Mehrheit haben? Solch eine Politik durch die
Hintertür ist überhaupt nicht akzeptabel.
Wir brauchen spezifische Wettbewerbsregeln im So-
zialrecht. Man muss einmal über das Verhältnis zwi-
schen Kollektiv- und Selektivverträgen reden und über
die unterschiedlichen Aufsichten in Bund und Ländern.
Dort besteht Reformbedarf, aber die Regierung traut sich
nicht, dies anzugehen. Stattdessen agieren Sie hier aus
rein ideologischen Gründen an der völlig falschen Stelle.