Rede von
Klaus
Ernst
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Guten Morgen, Herr Kolb. Meine sehr verehrten
amen und Herren! Herr Präsident! Wiederholt disku-
eren wir hier im Deutschen Bundestag über den Min-
estlohn. Zuerst zu den Fakten: In der feinkeramischen
2526 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 28. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. März 2010
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Klaus Ernst
Industrie liegen die Tariflöhne zurzeit bei 8,95 Euro, in
der Kunststoffindustrie bei 8,18 Euro, im Einzelhandel
in NRW bei 7,73 Euro, in der Steine-und-Erden-Indus-
trie in Thüringen jetzt kommen wir weiter nach unten
bei 6,83 Euro, im Bewachungsgewerbe in Berlin bei
5,50 Euro und im Friseurhandwerk in Sachsen bei
3,06 Euro.
Das ist die Realität. Daran wird deutlich, wie sich Leis-
tung in diesem Lande lohnt. Ich kann Ihnen sagen Sie
von der FDP wissen das wohl am besten : Für dieses
Geld würden Sie morgens nicht einmal Ihr Augenlid he-
ben.
Meine Damen und Herren, der Niedriglohnsektor in
unserem Land hat inzwischen Ausmaße angenommen,
die unerträglich sind. 1,2 Millionen Menschen, 4 Prozent
der Beschäftigten, arbeiten für Löhne unter 5 Euro, für
Löhne unter 6 Euro arbeiten 2,2 Millionen Menschen,
für Löhne unter 7 Euro arbeiten 3,7 Millionen Men-
schen, und für Löhne unter 8 Euro arbeiten 5,1 Millio-
nen Menschen.
Man kann natürlich sagen: Das hat sich zufällig so
entwickelt. Dem ist aber nicht so. Ich erinnere an das,
was unser Exkanzler Schröder gesagt hat.
Er hat im Februar 1999, kurz nach seinem Amtsantritt,
verkündet ich zitiere wörtlich :
Wir müssen einen Niedriglohnsektor schaffen
Im Jahr 2005 hat er in Davos gesagt Zitat :
Wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir
haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufge-
baut, den es in Europa gibt.
Das stimmt.
Die Politik von Rot-Grün hat tatsächlich zu einer Aus-
weitung des Niedriglohnsektors geführt; das hängt auch
mit den Hartz-Gesetzen zusammen.
Heute hat der Niedriglohnsektor im Vergleich zu 1995
ein deutlich größeres Ausmaß. Im Jahre 1995 waren
29,3 Prozent der unter 25-Jährigen im Niedriglohnbe-
reich beschäftigt. Inzwischen sind 46,9 Prozent der unter
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Ich weiß gar nicht, warum Sie so brüllen. Wir sind
och nicht im Bierzelt!
Meine Damen und Herren, Leistung soll sich lohnen.
h frage mich nur: Für wen? Geht es Ihnen um die Leis-
ng der Erben, die Sie durch Ihre Gesetze vor einer be-
onderen Steuer bewahren wollen, geht es Ihnen um die
eistung der Hoteliers, die Sie bei der Mehrwertsteuer
m die Hälfte entlasten,
der geht es Ihnen um die Leistung der Steuerhinterzie-
er, Herr Kolb? Schließlich bemüht sich die FDP ja ganz
esonders dafür zu sorgen, dass die entsprechenden Da-
n nicht in den Besitz des Staates gelangen.
Herr Kolb, ich sage Ihnen das ist das Traurige an
ieser ganzen Angelegenheit : Ihr Chef, Herr
esterwelle, kann nicht rechnen. In der Welt vom
1. Februar dieses Jahres hat er geschrieben ich zitiere :
Wer kellnert, verheiratet ist und zwei Kinder hat,
bekommt im Schnitt 109 Euro weniger im Monat,
als wenn er oder sie Hartz IV bezöge.
Mittlerweile liegen entsprechende Berechnungen vor.
ankenswerterweise hat auch das Bundesarbeitsministe-
um gerechnet. Es kam zu dem Ergebnis, dass jemand,
er arbeitet, immer mehr Geld bekommt als jemand, der
icht arbeitet. Herr Westerwelle hat also, was den
rundtenor der Aussage angeht, nicht die Wahrheit ge-
agt.
err Kolb, wenn man ausrechnet, wie viel die Kellnerin
us dem genannten Beispiel wirklich bekommt, dann
ommt man zu dem Ergebnis, dass sie, wenn sie arbeitet,
45 Euro mehr bekommt, als wenn sie nicht arbeitet.
wischen Wahrheit und Realität liegen bei Herrn
esterwelle also insgesamt 454 Euro.
Herr Kolb, angesichts dieser Rechenkunststücke kann
ie Bundesrepublik Deutschland von Glück sagen, dass
err Westerwelle Außenminister und nicht Finanzminis-
r ist.
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Klaus Ernst
Wäre er in Geografie genauso schlecht wie in Mathema-
tik und würde er bei seinen Auslandsreisen selbst flie-
gen, dann käme er in Uganda an, wenn er in New York
landen will.
Das ist das Problem, wenn Sie rechnen. Das Ziel, das Sie
mit dieser Debatte verbinden, ist natürlich ein anderes.
Ihr Ziel ist, diejenigen, die arbeiten, gegen diejenigen
auszuspielen, die nicht arbeiten. Sie sausen durch die
Gegend und verkünden Parolen, die die Menschen dis-
kriminieren.
Meine Damen und Herren, was macht die Bundesre-
gierung? Die Bundesregierung fabuliert in ihrer Koali-
tionsvereinbarung davon, dass sie sittenwidrige Löhne
abschaffen will. Anders formuliert: Sie will zunächst sit-
tenwidrige Löhne einführen, um letztlich eine Unter-
grenze beim Lohn einziehen zu können. Es ist wichtig,
sich vor Augen zu halten, was es real bedeuten würde,
wenn sittenwidrige Löhne gezahlt würden.
Ach, Herr Weiß, wenn Sie es wenigstens wüssten; aber
Sie wissen es nicht, Sie heißen nur so.
Herr Weiß, das Problem ist Folgendes: Wenn eine Fri-
seurin oder ein Friseur jetzt 3 Euro verdient und die
Grenze für sittenwidrige Löhne bei 30 Prozent unterhalb
des bezahlten Branchenlohns läge, dann dürfte diese Fri-
seurin oder dieser Friseur künftig 2 Euro verdienen. Das
ist Ihre Untergrenze.
Das, was Sie machen, ist eine staatliche Aufforderung
zum Lohndumping. Das geht nicht, Herr Weiß; das
sage ich in aller Klarheit.
Meine Damen und Herren, Ihre Vorschläge gehen ein-
deutig ins Leere. Im Übrigen bringen Sie immer das Ar-
gument, dass mit der Einführung des Mindestlohns Ar-
beitsplätze abgebaut würden. Wir haben folgende
Situation: Die Arbeitslosenquote bei Geringqualifizier-
ten liegt in den Niederlanden, wo es einen Mindestlohn
gibt, bei 4,8 Prozent, in Großbritannien, ebenfalls mit
Mindestlohn, bei 5,7 Prozent, in Schweden ebenfalls
mit Mindestlohn; dort ist er tariflich bei 7,3 Prozent
und selbst in den USA, wo es einen Mindestlohn gibt,
bei 8,3 Prozent. Bei uns in Deutschland beträgt die Ar-
beitslosenquote bei Geringqualifizierten ohne Mindest-
lohn 19,9 Prozent. Ich weiß nicht, woher Sie die Weis-
heit haben, Herr Weiß, zu sagen, dass die Einführung des
Mindestlohns zu einem Mehr an Arbeitslosigkeit in die-
sem Bereich führte.
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as ist durch keine Studie belegt. Jede Studie sagt Ihnen
twas anderes.
Deshalb halten wir es nach wie vor für dringend not-
endig, dass eine Untergrenze des Lohnes eingeführt
ird. Wir sagen in dieser Legislaturperiode: 10 Euro.
ir sehen, dass es in anderen Ländern, die nicht nur
ber eine Forderung diskutieren, real existierende Min-
estlöhne gibt, die nah an unsere Forderung herankom-
en. Vielleicht nehmen Sie einmal zur Kenntnis, dass in
uxemburg der Mindestlohn zurzeit 9,73 Euro beträgt,
Frankreich 8,86 Euro er ist übrigens 2010 um 1,7 Pro-
ent erhöht worden, in Luxemburg um 2,5 Prozent , in
land 8,65 Euro, in den Niederlanden 8,64 Euro, in Bel-
ien 8,41 Euro. Ich weiß nicht, warum Sie von der CSU,
on der CDU und von der FDP eigentlich glauben, dies
anz anders machen zu können, als es in anderen Län-
ern in Europa der Fall ist, zumal wir gleichzeitig wis-
en, dass wir inzwischen Geschäftsmodelle wie bei der
in AG finanzieren, Herr Weiß,
ie darauf hinauslaufen, dass der Steuerzahler die Löhne
r eine ganze Branche finanzieren soll, weil die Löhne
der jeweiligen Branche durch das Nichtvorhandensein
on Mindestlöhnen immer weiter nach unten abrutschen.
as Urteil in Sachen Pin AG hat sofort dazu geführt,
ass die Löhne abgesenkt wurden.
Letztendlich wird das Nichtvorhandensein eines Min-
estlohns in der gesamten Wirtschaft, auch in den Bran-
hen, in denen es momentan noch Tarifverträge gibt,
azu führen, dass der Lohn real abgesenkt wird. Dies
ann nicht unser Ziel sein.
ie sind als Regierung nicht auf so etwas vereidigt. Von
er Regierung sind heute ja nicht viele da; offensichtlich
teressiert dieses Thema nicht sehr viele in der Bundes-
gierung. Aber das verstehe ich auch: Deren Löhne sind
deutlich über dem Mindestlohn.
Ich kann nur sagen, meine Damen und Herren: Wenn
ir uns dieses Problems nicht annehmen und nicht dazu
ommen, eine Grenze einzuziehen, dann wird das dazu
hren, dass sich die Menschen zunehmend fragen, in
elchem Interesse dieser Bundestag eigentlich Politik
acht: im Interesse derer, die von niedrigen Löhnen pro-
tieren, oder im Interesse der Menschen, die einen Min-
estlohn brauchen.
Ich danke fürs Zuhören.
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