Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Hohes Haus! Meine Damen und Her-
ren! Der Bundestag berät heute über den Gesetzentwurf
des Bundesrates, dessen Ziel die Aufhebung des deut-
schen Modulationsgesetzes ist. Gegen dieses Modulati-
onsgesetz sprechen viele gewichtige Argumente. Ich
werde nur die wichtigsten ansprechen.
Erstens. Dieses Modulationsgesetz ist unsozial und da-
rüber hinaus ökologisch fragwürdig.
Ich wehre mich entschieden gegen das Totschlagargu-
ment: Wer gegen die Modulation ist, ist gegen mehr Um-
welt. Wir sind nicht gegen mehr Umwelt. Ganz im Ge-
genteil: Die unionsregierten Länder machen es mit ihren
Agrar-Umwelt-Landesprogrammen doch schon lange
vor, wie man den Umweltschutz mit und nicht gegen die
Landwirte gestalten kann. Sie zeigen auch, dass es eine
Frage der politischen Schwerpunktsetzung einer Landes-
regierung ist, was an Finanzmitteln für Umweltmaß-
nahmen bereitgestellt wird. Da sieht es bei Rot-Grün zap-
penduster aus.
Ein Blick in den Bundesagrarbericht wird auch den
letzten Zweifler überzeugen: Die Länder Baden-Würt-
temberg, Bayern, Sachsen und Thüringen stehen mit Zah-
lungen zwischen 50 und 106 Euro pro Hektar und Jahr bei
der Honorierung für umweltgerechte Agrarerzeugung an
der Spitze der Bundesländer. Dagegen sieht die rot-grüne
Bilanz in den Ländern, in denen Sie Verantwortung tra-
gen, nicht nur extrem mager, sondern extrem schlecht aus.
Schlusslichter, weit entfernt von Zahlungen zwischen
50 und 106 Euro, sind Nordrhein-Westfalen mit gerade
einmal 7 Euro pro Hektar,
Niedersachsen mit 3 Euro pro Hektar und Schleswig-Hol-
stein mit 0 Euro pro Hektar. Das ist die Wahrheit.
Vollkommen widersprüchlich zu den Zielen der Mo-
dulation ist es, wenn zum Beispiel bei den Mutterkuh- und
bei den Mutterschafprämien eingespart wird. Gerade
diese Tierarten sind für die Offenhaltung der Landschaft
unverzichtbar
und dienen in besonderer Weise den Agrarumweltmaß-
nahmen. Daran sieht man, wie unglaubwürdig und wie in-
konsequent rot-grüne Agrarpolitik ist.
Kontraproduktiv ist beispielsweise auch die vorgesehene
Kürzung der Rinderprämien. Gerade die Rinderhaltung
erfüllt das in der Modulation geforderte Beschäftigungs-
kriterium in weit höherem Maße, als es im Getreidebau
der Fall ist.
Zweitens. Das Modulationsgesetz ist ein Affront gegen
die Landwirte und führt zu erneuten Wettbewerbsver-
zerrungen in der deutschen Landwirtschaft. Ihnen ist viel
zu wenig bewusst, dass eine ökologisch intakte Land-
schaft nur durch ökonomisch intakte Betriebe erhalten
und weiterentwickelt werden kann. Nur wettbewerbs-
fähige Betriebe können nachhaltig wirtschaften.
Diese Tatsache vergessen Sie. Sie haben kein Gespür für
die Realität.
Mit dem stetigen Aushöhlen der Wettbewerbskraft im
Vergleich zu den anderen EU-Staaten vernichtet die Bun-
desregierung in großem Umfang Bauernhöfe und Arbeits-
plätze im ländlichen Raum. Was die deutschen Bauern
brauchen, sind endlich faire Wettbewerbsbedingungen.
Die Bundesregierung muss endlich erkennen, dass das
weithin anerkannte Ziel eines attraktiven ländlichen
Raumes nur mit und nicht gegen die Landwirtschaft zu er-
reichen ist.
Angesichts der im vergangenen Wirtschaftsjahr zu ver-
zeichnenden Einkommenseinbrüche von durchschnittlich
13 Prozent und des von Eurostat, dem statistischen Amt
der EU, geschätzten Rückgangs der Einkommen der deut-
schen Landwirtschaft im Jahr 2002 mit minus 18 Prozent
– das ist übrigens der vorletzte Platz bei den landwirt-
schaftlichen Einkommen innerhalb der 15 EU-Staaten –
ist die Modulation ein politischer Fehlgriff ersten Ranges.
Sie bewirkt nämlich weitere Einkommenskürzungen,
verstärkt die ohnehin herrschende Verunsicherung der
Landwirte und reduziert die Investitionstätigkeit weiter,
was letzten Endes die Investitionskraft des ländlichen
Raumes nachhaltig schwächt. Sie sind nicht nur gegen die
Landwirtschaft, sondern Sie vernachlässigen auch die
ländlichen Räume ganz massiv.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2002
Staatsminister Josef Miller
Die Modulation verschiebt Mittel von den direkt ein-
kommenswirksamen Zahlungen der ersten Säule in Be-
reiche, von denen viele durch die Kürzung betroffene
Landwirte nicht profitieren, weil die Gelder in ganz an-
dere Verwendungszwecke umgeleitet werden.
Die Bundesregierung verstärkt weiter die von ihr schon
in der letzten Legislaturperiode eingeführten Belastun-
gen. Zusätzlich plant sie einschneidende Verschlechterun-
gen im steuerlichen Bereich. Diese Politik der gezielten
Benachteiligung im europäischen Wettbewerb schwächt
die Landwirtschaft in einer Zeit, in der sie eigentlich ge-
stärkt werden müsste, um mit ihren hohen Kosten und ho-
hen Standards im internationalen Vergleich wettbewerbs-
fähig bleiben zu können. Sie stärken die Landwirtschaft
nicht, sondern schwächen sie ganz massiv mit diesen
Maßnahmen im internationalen Wettbewerb. Das kann an
den Märkten nicht erwirtschaftet werden.
Drittens. Weil eine zusätzliche finanzielle Basis für die
Umsetzung fehlt, geht die Modulation zulasten wichtiger
Agrarstrukturmaßnahmen. Frau Künast, Sie haben das
Modulationsmodell stets mit dem Argument angepriesen,
durch die nationale Kofinanzierung und durch die zusätz-
lich für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ bereitgestellten
Mittel fließe unter dem Strich mehr Geld in die Landwirt-
schaft und den ländlichen Raum. Was ist aber das Ergebnis?
Die verfügbaren Haushaltsmittel werden um mindestens
100 Millionen Euro gekürzt. Die Versprechungen, dass
mehr Geld in den ländlichen Raum fließt, werden angesichts
dieser Kürzungen nicht eingehalten. Dies ist vielmehr eine
weitere Wählertäuschung durch die Bundesregierung.
Jetzt zeigt sich, dass vor allem die finanzschwachen
Länder, insbesondere die neuen Länder, von Frau Künast
mit der Modulation in eine ideologische Falle gelockt wer-
den sollen. Die Länder können die Modulationsmittel nur
dann zurückbekommen, wenn sie für die Kofinanzierung
entsprechende Landesmittel bereitstellen. Damit sind sie
nun gezwungen, die Fördermaßnahmen nach der Modula-
tion auszurichten. Viele Länder müssen andere wichtige
Vorhaben zur Weiterentwicklung der Agrarstruktur und
zur Stärkung der Agrarwirtschaft zurückstellen. Sie ver-
hindern damit Investitionen, die in diesen Ländern drin-
gend notwendig sind.
Dabei hätte jedes Bundesland die Möglichkeit,
Agrarumweltmaßnahmen selbst zu konzipieren und anzu-
bieten, wenn die Mehrheit in dem jeweiligen Länderpar-
lament darin einen Schwerpunkt sieht. Insofern stellt sich
die Frage, warum allen Ländern die Zwangsjacke der na-
tionalen Modulation übergestülpt werden soll. Es gibt ei-
nen viel sinnvolleren und einfacheren Weg: Machen Sie
die Kürzung der Haushaltsmittel für die Gemeinschafts-
aufgabe rückgängig und stellen Sie den Ländern diese
Mittel zur Verfügung! Dann können sie Agrarumwelt-
maßnahmen finanzieren, ohne vorher den Bauern die Ein-
kommen zu kürzen. So einfach ist das.
Sie tun jetzt so, als ob die Fördergrundsätze eine Er-
findung von Ihnen seien. Die meisten davon setzen viele
Länder wie zum Beispiel Bayern, Baden-Württemberg,
Thüringen und Sachsen seit vielen Jahren um. Die Bun-
desregierung hat sie nur abgeschrieben. Wir brauchen
kein derart kompliziertes und hinsichtlich seiner Anlas-
tung sehr riskantes Instrument. Es hat doch gute Gründe,
warum die Modulation heute in Europa in keinem ande-
ren Land – außer im Vereinigten Königreich – durchge-
führt wird. Die Franzosen haben sie wieder rückgängig
gemacht. Deutschland ist neben Großbritannien, das eine
ganz andere Landwirtschaft hat, das einzige Land in Eu-
ropa, das jetzt eine Modulation einführt.
Viertens. Die Modulation verursacht einen unverhält-
nismäßig hohen Verwaltungsaufwand und ist gegenüber
den Steuerzahlern nicht zu vertreten. In Bayern würden
durch die Modulation 4 Millionen Euro freigesetzt. Es
müsste aber 1 Million Euro für den Verwaltungsaufwand
ausgegeben werden. In Baden-Württemberg ist das Ertrag-
Aufwand-Verhältnis mit 2 : 1,4 noch ungünstiger. Im Saar-
land wird wesentlich mehr Geld für das Erheben der Mo-
dulationsgelder aufgewandt, als dadurch hereinkommt.
Die Länder werden mit diesem Gesetz in einen unver-
hältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand gezwungen.
Bauern und Agrarverwaltung brauchen aber nicht noch
mehr, sondern endlich weniger Bürokratie.
Die Bundesregierung kündigt Bürokratieabbau an, han-
delt aber entgegengesetzt. Sie schafft nicht weniger, son-
dern ständig mehr Bürokratie. Sie verantworten uneffi-
ziente Maßnahmen, die die Verwaltungen nur belasten, in
der Sache nichts bringen und die Bauern schädigen.
Schon jetzt zeigt sich, dass bei der Umsetzung des
Modulationsgesetzes enorme Schwierigkeiten im Verwal-
tungs- und Haushaltsvollzug zu erwarten sind und zusätz-
liche Anlastungsrisiken auf uns zukommen. Die Bundes-
regierung tut sich aber leicht; sie wälzt das schlichtweg
auf die Länder ab. Hinzu kommt, dass die Notifizierung
in Brüssel sechs Monate beträgt. Damit steht fest, dass
den Bauern nächstes Jahr das Geld gekürzt wird und das
Geld erst ein Jahr später ausgezahlt werden kann.
Der Bund erschließt sich so – nichts anderes ist es – eine
neue Einkommensquelle zulasten der Bauern
und holt in den SPD- und rot-grün-regierten Ländern das
nach, was in den unionsregierten Ländern längst gemacht
wird.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2002 1347
Fünftens. Die deutsche Modulation greift der derzeiti-
gen intensiven Diskussion zur Weiterentwicklung der
europäischen Agrarpolitik unnötig vor. Sie müssten von
Fischler eigentlich lernen: Fischler ist dazu übergegan-
gen, die Modulation der EU zurückzustellen. Er räumt ihr
keine Priorität mehr ein. Interessant ist auch, dass mit den
jüngsten Beschlüssen in Kopenhagen den Beitrittsländern
die Umschichtung aus der zweiten Säule in die erste Säule
erlaubt, also eine Umkehrung der Modulation vorgenom-
men wurde.
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, ich bitte
Sie, dieses Modulationsgesetz in der Form, wie es der
Bund vorgelegt hat, das den Landwirten und Verwaltun-
gen schadet und unseren Steuerzahlern nichts bringt, ab-
zulehnen und unserem Vorschlag zuzustimmen. Eine Ver-
besserung der Umwelt und der artgerechten Tierhaltung
kann mit dem bestehenden Instrumentarium viel einfa-
cher, unbürokratischer und praxisorientierter erreicht
werden – wenn Sie nur bereit sind, Ihren politischen Wil-
len mit entsprechenden Geldmitteln zu unterlegen. Damit
machten Sie deutlich, dass Ihnen Agrarumweltschutz et-
was bedeutet. Ich appelliere als Beauftragter des Bundes-
rates an Sie, für die Gesetzesinitiative des Bundesrates zu
stimmen und damit für die Aufhebung eines ineffizienten,
unnötigen Modulationsgesetzes, das in der Sache total
verfehlt ist und niemandem etwas bringt.
Herzlichen Dank.