Rede von
Gerd
Höfer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Es ist sehr erstaunlich, welche Emotionen eine De-
batte über einen friedenserhaltenden Einsatz in Kabul los-
treten kann. Es ist erstaunlich, Herr Kollege Schmidt, wie
man allein durch den Begriff „Frieden“ so gereizt werden
kann, wie das bei Ihnen gerade der Fall war.
– Herr Pflüger, ich saß etwas näher dran als Sie. Ich
konnte diese Dinge sicherlich mithören.
– Sie werden mit Ihren dauernden Zwischenrufen alles er-
reichen, nur zwei Dinge nicht: Erstens kriegen Sie mich
nicht aus der Ruhe und zweitens will ich Dinge nicht wie-
derholen, die Sie aufgeregt haben.
Christian Schmidt
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2002
Gerd Höfer
Ich will Sie darauf hinweisen, dass man bei der Beant-
wortung der Frage, wie man Frieden definieren und wie
man ihn erreichen kann, verschiedene Wege gehen kann.
Einer dieser Wege ist derjenige, der jetzt durch den ISAF-
Einsatz in Kabul beschritten wird.
Es gibt weitere Wege, die durchaus in eine Zivilgesell-
schaft hineinpassen und die andere Ansätze haben als die,
die mit Militär zu tun haben.
Ich habe die ganze Zeit darauf gewartet, wie man
innerhalb dieser Debatte an die Regierung zumindest ver-
steckte Vorwürfe richten kann. Davon haben wir dann
auch hinreichend genug bekommen. Es ist schon
schlimm, wenn in einem Zwischenruf von Verantwor-
tungslosigkeit gesprochen wird. Ich würde mich dafür
entschuldigen, dies überhaupt gesagt zu haben.
Es ist aber auch eine andere Art der Verharmlosung,
wenn man eine Rede damit beginnt, anderen zu unterstel-
len, sie stimmten dem Einsatz nur zu, weil das in Kabul so
eine Art Ferienbetreuung sei. Auch dies ist eine ziemlich
heftige Unterstellung. Ich glaube nicht, dass die Kolle-
ginnen und Kollegen von den Grünen nicht genauso in der
Lage sind, Risiken einzuschätzen, wie jeder auf der
Oppositionsbank dies kann.
Also, eine Ferienbetreuung ist das Ganze nicht.
Es ist auch nicht bequem, Enduring Freedom von
ISAF zu trennen. Ich halte es militärisch aber für dringend
notwendig, dass beide Mandate getrennt werden, denn
beide Mandate haben verschiedene Aufträge. Damit sind
wir beim militärischen Teil dieser Dinge. Als Reserveof-
fizier bin ich es gewohnt, nach Aufträgen zu handeln, die
mir politisch gegeben werden.
Die Trennung der beiden Mandate Enduring Freedom und
ISAF ist dringend geboten, weil die Aufträge, die verge-
ben worden sind, völlig andere sind.
Enduring Freedom ist der Auftrag, der speziell der Ter-
rorbekämpfung dient. ISAF ist ein Auftrag, um Stabilität
zu gewähren. Diese Trennung bedeutet ein völlig anderes
Verhalten auch für die Soldaten, bedeutet völlig andere
Rules of Engagement und bedeutet eine völlig andere Be-
wertung ihrer Sicherheit. Die Unsicherheit in der Bewer-
tung der Sicherheitslage besteht darin, dass die Sicherheit
nicht militärisch bedroht ist, sondern durch eine Gesell-
schaft in Afghanistan, die in ihren zivilen Strukturen in-
stabil ist, in ihren zivilen Strukturen bandenähnliche Ein-
heiten, aber auch Fanatiker beinhaltet. Wer die Sicherheit
der Bundeswehrsoldaten in Kabul gefährdet, ist nicht er-
kennbar. In einer militärischen Struktur wäre das erkenn-
bar. Denn dann hätte man Kombattanten, man könnte sie
schon allein an der Uniform erkennen; so kann man es
eben nicht.
Insofern ist den Soldaten zu danken, dass sie eigentlich
keine echt militärische, sondern eine polizeiliche Aufgabe
wahrnehmen. Es ist ihnen zu danken, dass sie diesen Auf-
trag mit großer Umsicht und vor allen Dingen mit einem
guten, in sich ruhenden Selbstbewusstsein erfüllen und
sich dort in keiner Art und Weise gefährden lassen.
Es ist ihnen zu danken, dass sie die Geduld haben, die
Fortschritte, die erkennbar sind, abzusichern. Sie können
das Ergebnis ihrer Arbeit nicht sofort sehen, sondern müs-
sen sehr lange darauf warten, zum Beispiel darauf, dass
sie durch eine selbstbewusste afghanische Polizei, die in
Kabul Streife geht, abgelöst werden können, die die Sol-
daten letztlich ersetzen kann. Der Einsatz in Kabul ist ein
Schlüsseleinsatz für eine künftige Sicherheit für das ge-
samte Land. Es braucht nicht die Frage gestellt zu werden,
ob eine räumliche Ausdehnung des Einsatzes geschehen
muss. Denn wenn Kabul sicher ist und von Kabul aus Si-
cherheit für das Land ausgehen kann, bekommt man dem-
nächst auch die Sicherheit über das ganze Land. Ich hoffe,
dass der Versuch der Amerikaner und der Briten – wie ich
gelesen habe –, mit kleinen Einheiten in anderen Städten
etwas zu bewegen, erfolgreich ist und damit weitere Si-
cherheit in das Land gebracht werden kann.
Insofern besteht kein Spannungsverhältnis zwischen
Kabul und Afghanistan, sondern es geht um eine Ent-
wicklung, die sich von Kabul aus auf Afghanistan er-
strecken muss. Ohne Kabul ist dort nichts zu machen.
Der zweite Hinweis von Herrn Schmidt war in seiner
Leichtigkeit und in seiner leise vorgetragenen Art beinahe
perfide. Zu versuchen, das Verhalten der Bundesregierung
in zwei verschiedenen Politikfeldern in einem Satz mit-
einander zu verknüpfen, ist leichtfertig. Die Frage der
Evakuierung und der selbstverständlichen NATO-Kame-
radschaftshilfe hat nichts mit dem zu tun, was möglicher-
weise in einem anderen Land geschehen soll. Heute wird
in der Presse berichtet, dass noch nicht über einen An-
griffsbefehl befunden worden ist.
Ein Vergleich der beiden Vorhaben zeigt, dass beide
sehr sauber und klar voneinander zu trennen sind. Das
heißt, das Zusammenwirken mit den Amerikanern bei ei-
nem möglichen schnellen Abzug der Truppen hat nichts
mit dem zu tun, was in einer anderen Region der Welt ge-
plant ist. Ich halte es für selbstverständlich, dass die Trup-
pen von Verbündeten, die im selben Land im Einsatz sind,
gegenseitig die notwendige Hilfe leisten.
Die Soldaten in Kabul werden gebraucht, weil es dort
keine zivilen Strukturen gibt. Ihr Einsatz ist nicht nur ein
Ausdruck von Verteidigung, sondern Soldaten sind – um
mit Bert Brecht zu sprechen – auch ein Ausdruck von ei-
gener Souveränität. Wir sollten endlich damit aufhören,
im Zusammenhang mit dem Thema Soldaten nur in
Freund-Feind-Bildern zu denken. Vielmehr gibt es eine in
sich ruhende, selbstverständliche Souveränität, die auch
von Soldaten abgesichert werden kann und wird. Wenn die
in Kabul eingesetzten Soldaten ein ähnliches Selbstver-
ständnis haben sollten, dann wäre das auch im Sinne der
inneren Führung und des Staatsbürgers in Uniform richtig.
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Die Frage – um zum Ende zu kommen –, wie hoch das
Risiko für die Soldaten ist, hat der versuchte Einbruch in
das deutsche Lager beantwortet. Die Frage der Sicherheit
kann nicht militärisch beantwortet werden, sondern sie
kann nur nach zivilen Kriterien beurteilt werden. Denn es
handelt sich nicht um einen echten militärischen Einsatz;
vielmehr nehmen die Soldaten dort polizeiähnliche Auf-
gaben wahr. Die Unsicherheit und die Gefahren, mit de-
nen die Soldaten konfrontiert sind, gehen nicht von for-
mierten Truppen aus, sondern sie können von einem
Individuum bzw. von einzelnen Gruppen oder Kriminel-
len in Kabul ausgehen. Die Soldaten sind allen Gefahren
der bestehenden zivilen Strukturen ausgesetzt. Insofern
besteht kein Widerspruch zu der Einschätzung der Lage in
Kabul durch Minister Struck.
Ich habe den Kameradinnen und Kameraden in Kabul
für ihre Geduld und Souveränität zu danken, mit denen sie
ihren Auftrag wahrnehmen. Ich hoffe auch, dass die Sol-
datinnen und Soldaten ein ruhiges Weihnachtsfest und ei-
nen guten Jahreswechsel verleben und dass sie gesund
und munter wieder nach Hause kommen.