Rede von
Karl-Josef
Laumann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Clement, Sie
haben Ihre Rede mit der Aussage begonnen, dass die Si-
tuation in Deutschland, was Wirtschaft und Arbeit angeht,
mehr als ernst ist. Da haben Sie Recht. Wir haben eine Si-
tuation in diesem Land, in der allein in diesem Jahr vo-
raussichtlich 42000 Insolvenzen bei den Amtsgerichten an-
gemeldet werden. 300000 Menschen haben durch diese
Insolvenzen ihren Arbeitsplatz verloren. Wir haben gegen-
über 1998 einen Rückgang der Zahl der Neugründungen
von Unternehmen in Deutschland in den neuen Ländern um
rund 85 Prozent, in den alten Ländern um circa 27 Prozent.
Wir haben gestern wieder einmal die neuen Arbeitslo-
senzahlen vernommen. Über 4 Millionen Menschen sind
ohne Arbeit. Aber was mich bei den gestern veröffent-
lichten Zahlen am meisten geschockt hat, ist die Tatsache,
dass bei uns im Land mittlerweile 472 000 junge Men-
schen unter 25 Jahren ohne Arbeit sind. Herr Minister, das
ist die höchste Jugendarbeitslosigkeit im November, seit
wir die Statistik im wiedervereinigten Deutschland führen.
Wenn man einmal genauer hinschaut – wir werden das
auch im Ausschuss tun –, ist meine erste Erkenntnis, zu
der ich den letzten 24 Stunden kommen konnte, dass es
jetzt auch gut ausgebildete junge Leute erwischt. Viele
Jahre war Jugendarbeitslosigkeit ein Problem von man-
gelndem Abschluss und von nicht genügender und nicht
qualifizierter Berufsausbildung. Jetzt trifft es Leute nach
den Gesellenprüfungen, nach einem gut abgeschlossenen
Studium. Das sollte uns, gerade wo wir den demographi-
schen Aufbau unseres Landes kennen, nicht nur nach-
denklich machen, sondern zum Handeln zwingen.
Herr Minister, ich bin der Meinung, dass Sie die Wo-
chen, in denen Sie Verantwortung in diesem Haus tragen,
hätten nutzen können, um durch die Zusammenführung
der beiden Ministerien für Arbeit und Wirtschaft ein Sym-
bol für eine andere, für eine mutigere Reformpolitik zu
setzen. Stattdessen sind Sie dabei – und haben es im Grunde
schon geschafft –, diesen Ansatz nicht hinzukriegen.
Ich will Ihnen auch sagen, warum Sie ihn nicht hinge-
kriegt haben. Weil Sie bei der Umsetzung des Hartz-
Konzeptes, des ersten großen Reformkonzeptes dieses
Ministeriums, Reformschritte nur so weit mitzugehen be-
reit waren, wie der Deutsche Gewerkschaftsbund in der
Lage war, sie aus seiner Sicht mitgehen zu können.
Damit haben Sie schon symbolisch an Durchsetzungs-
kraft verloren, aber auch Hoffnungen, die mit der Zusam-
menführung dieser beiden Häuser verbunden waren,
schwer enttäuscht. Das führt natürlich dazu, dass sich die
Mutlosigkeit ausbreitet.
Ich mache Ihnen als jemand, der lange Mitglied einer
DGB-Gewerkschaft ist, nicht den Vorwurf, dass Sie mit
den Gewerkschaften sprechen. Natürlich müssen wir mit
dem DGB reden, natürlich muss man auch mit anderen
Verbänden reden. Aber der Unterschied zwischen Ihrer
Haltung in diesem Punkt und unserer Haltung ist: Wir dür-
fen unsere politischen Entscheidungen niemals von einem
Verband in Deutschland abhängig machen, und sei er
noch so groß. Dies ist entscheidend.
Jetzt kommen wir zur Umsetzung des Hartz-Konzepts.
Heute Nachmittag um 16 Uhr tagt der Vermittlungsaus-
schuss. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass derjenige,
dessen Name mit diesem Konzept sehr verbunden ist, Herr
Hartz, jetzt, wo Sie, Herr Clement, das Kind ausgetragen
und geboren haben, schlicht und ergreifend die Anerken-
nung der Vaterschaft für dieses Kind verweigert, weil er er-
schrocken darüber ist, was Sie daraus gemacht haben.
Bei der Verabschiedung des Hartz-Konzepts haben Sie
von dieser Stelle aus gesagt, Sie würden zusammen mit
Herrn Hartz und Profis der Nation für mehr Beschäf-
tigung mehr als 40 Veranstaltungen in Deutschland be-
suchen. Wenn ich den „Spiegel“ der vorletzten Woche
richtig gelesen habe, wird Herr Hartz an diesen 40 Veran-
staltungen wohl nicht teilnehmen, denn er sagt: Ich kann
mit meinem Namen nicht für dieses Konzept eintreten, da
es so umgesetzt worden ist, dass es nicht die erwartete Be-
schäftigungswirkung entfalten wird.
Herr Clement, Sie wissen, dass das vor allen Dingen
damit zusammenhängt, wie Sie die Vorschläge zur Zeit-
arbeit umgesetzt haben. Sie haben heute gesagt: Die Op-
position soll nicht nur kritisieren. Damit haben Sie Recht.
Wir müssen konstruktive Vorschläge machen. Wenn Sie
sagen, Sie seien gespannt, inwieweit wir bereit seien, jetzt
im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat
die Umsetzung des Hartz-Konzepts mitzutragen, muss ich
Ihnen die Gegenfrage stellen: Inwieweit sind Sie bereit,
auf die Positionen der Union, die alle in diesem Hause und
auch im Bundesrat auf dem Tisch liegen, einzugehen und
uns entgegenzukommen?
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002 1035
–Wir haben einen klaren Vorschlag gemacht, wie wir uns
die Regelungen zur Zeitarbeit in Deutschland vorstellen.
Wir wollen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz weit-
gehend abschaffen.
In einem Punkt vertreten wir eine andere Meinung als
Sie: Wir glauben nicht, dass man mit der Zeitarbeit den
Durchbruch für mehr Beschäftigung schafft, wenn für
diese vom ersten Tag an oder auch schon nach wenigen
Wochen die Tarifbedingungen gelten sollen, die für die
übrigen Mitarbeiter des Leihbetriebes gelten.
– Nach zwölf Monaten, wie es der jetzigen Lage ent-
spricht.
Lassen Sie uns darüber reden, wo man sich treffen
kann. Sie wissen aber genauso gut wie ich, dass bei den
Bedingungen, die Sie jetzt festlegen, vor allen Dingen die
Nichtqualifizierten, die Langzeitarbeitslosen und die
Zeitarbeiter im Helferbereich vor die Hunde gehen wer-
den. Damit treffen wir die Schwächsten in unserem Land.
Sie können mit uns über diesen Punkt reden. Es muss
nicht bei den zwölf Monaten bleiben, aber ganz sicher
bleibt es auch nicht dabei, dass die Tarifbedingungen ab
dem ersten Tag gelten, wie Sie dies vorgeschlagen haben.
Lassen Sie uns – auch in Absprache mit denjenigen, die
mit Zeitarbeit Erfahrung haben und wissen, wie weit man
gehen kann –, darüber reden, um eine Lösung zu finden
und den unterschiedlichen Interessen gerecht zu werden.
Sie haben gesagt: Wir brauchen Entbürokratisierung.
Richtig. Machen Sie doch Folgendes: Führen Sie den al-
ten 630-Mark-Job auf 400-Euro-Basis – unkompliziert,
wie er war – mit der Pauschalsteuer in Höhe von 20 Pro-
zent wieder ein.
Damit würde viel bürokratischer Aufwand wegfallen.
Wissen Sie, was Sie damit gleichzeitig erreichen wür-
den? Sie haben – Gott sei Dank – Recht, wenn Sie sagen,
dass unsere Exportzahlen einigermaßen in Ordnung sind.
Dies macht aber umso deutlicher, dass unser Problem in
Deutschland die lahmende Binnenkonjunktur ist.
– Ja, ich sehe aber auch die Berichte des deutschen Ein-
zelhandels mit den Umsatzzahlen für dieses Jahr. Ich sehe
die Berichte aus der Bauwirtschaft, die ja bekanntlich zur
inländischen Wirtschaft zählt.
Ich sage Ihnen: Würden wir diesen alten 630-Mark-Job
auf 400-Euro-Basis wieder einführen, würden wir dies bei
den Umsätzen im Einzelhandel – da bin ich mir ganz si-
cher – relativ schnell merken. Die Menschen sollen sich
nach ihrem Job durchaus noch ein paar Euro hinzuver-
dienen.
Für kleine Leute ist dies das Stückchen Wohlstand, dass
man sich auch gern einmal gönnt. Es ist auch die Wahrheit,
dass es bei uns in Deutschland viele Millionen Menschen
gibt, die gerne mehr Geld verdienen möchten, als sie in
ihrem Job verdienen. Weil sie aber vielleicht keine Kar-
riere machen können, können sie nur dadurch mehr Geld
verdienen, dass sie mehr Stunden arbeiten. Das trifft auf
sehr viele Familienväter und -mütter zu. Warum sollen sie
nicht am Wochenende oder abends etwas hinzuverdienen,
weil sie beispielsweise – es ist eigentlich egal, wofür sie
das Geld konkret haben wollen – das Haus abbezahlen
oder sich ein schönes Auto anschaffen wollen?
Warum sollen sie nicht die Möglichkeit haben, einen sol-
chen Job auszuüben? Dieses Geld würde sofort der Bin-
nenkonjunktur zugute kommen. Menschen, die solche
Jobs machen, bringen das Geld mit Sicherheit nicht ins
Ausland.
Herr Clement, Sie kommen wie ich aus Nordrhein-
Westfalen. Dieses Land hat traditionell sehr viel Schwer-
industrie, die relativ viel Energie verbraucht. Ich habe ei-
nige Zeit auch in einer Gießerei gearbeitet. Deswegen habe
ich für diesen Bereich immer noch eine gewisse Affinität.
Ich habe mir einmal angeschaut, was die Ökosteuer
für die energieintensiven Betriebe bedeutet und habe das
für eine Aluminiumhütte mit einem Umsatz von 275 Mil-
lionen Euro und 640 Mitarbeitern konkret ausgerechnet.
Diese Firma muss aufgrund von Beschlüssen der Bundes-
regierung, der Sie angehören, 15,6 Millionen Euro an
Ökosteuer und Kosten für EEG und KWK zahlen. Das
sind 5,7 Prozent des Umsatzes.
Was für diese Aluminiumhütte gilt, gilt für jede Gieße-
rei in Deutschland. Was für diese Aluminiumhütte gilt –
ich komme aus dem Münsterland –, gilt auch für die Tex-
tilindustrie. Weil in diesem Bereich modernste Maschinen
eingesetzt werden, entfallen auf die Fertigung der Pro-
dukte nur wenige Arbeitsstunden. Textilunternehmer in
meinem Wahlkreis sagen mir, dass es für sie schlimmer
ist, wenn der Strompreis steigt, als wenn die Beiträge zur
Sozialversicherung um einen halben Prozentpunkt stei-
gen. Energiekosten sind nämlich heute in dieser Branche
ein großer Kostenfaktor.
Da frage ich mich: Wo war der Wirtschafts- und Ar-
beitsminister dieses Landes, als sich Ihre Kollegen am
Kabinettstisch so etwas ausgedacht haben?
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie gerade in Ihrer Funktion
als Wirtschaftsminister gesagt hätten: Leute, so geht es nun
einmal nicht; es gibt energieintensive Industrien, in denen
sehr viele Menschen einen Arbeitsplatz haben eine solche
Vernichtung von Arbeitsplätzen in der energieintensiven
Industrie in diesem Land mache ich nicht mit.
Karl-Josef Laumann
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002
Karl-Josef Laumann
– Aber es wird ab Januar passieren.
Überlegen Sie sich einmal, wie Sie unter den jetzigen
Bedingungen, wie sie durch die Ökosteuer gegeben sind,
noch die Chlorindustrie in Deutschland halten wollen! In
meinem Wahlkreis gibt es eine Firma, die in Zukunft – da-
rauf könnte ich wetten – 40 bis 50 Kilometer entfernt in
Holland investieren wird, weil sie am Standort Deutsch-
land mit diesen Energiekosten kein Chlor mehr produzie-
ren kann. Sie wissen, dass man diese Produkte relativ
preisgünstig weit transportieren kann.
Ich hätte mir gewünscht, dass der Wirtschaftsminister
gesagt hätte: Nein, mit mir, Wolfgang Clement, dem
wichtigsten Mann für Wirtschaft und Arbeit in Deutsch-
land, ist eine solche Steuer nicht möglich. Dann wären Sie
in der Tat ein Mann mit Rückgrat oder, wie man im Müns-
terland sagt, ein richtiger Kerl.
Ein weiterer Punkt. Wo war der Wirtschaftsminister,
als im Kabinett all die Veränderungen für die Bauwirt-
schaft beschlossen wurden? Es gab große Veränderungen
bei der Abschreibung im Mietwohnungsbau und vor allen
Dingen die Änderung bei der Eigenheimzulage. Sehr se-
riöse Vertreter der Bauwirtschaft sagen mir, dass sie glau-
ben, dass diese Maßnahmen rund 250 000 Beschäftigten
in der Bauwirtschaft und im vor- und nachgelagerten Be-
reich, die heute noch Steuern und Beiträge zahlen, den Job
kosten werden. Sie sollten also aufpassen, dass Sie nicht
mehr kaputtmachen, als Sie mit der stümperhaften Um-
setzung des Hartz-Konzeptes auf der anderen Seite errei-
chen. Das ist ein Punkt, bei dem man wirklich sehr wü-
tend werden kann. Wieder hat man von Wolfgang
Clement, dem Minister für Wirtschaft und Arbeit, nichts
gehört, als am Kabinettstisch diese Maßnahmen be-
schlossen wurden.
Sie haben schon Recht: Die Reformen, die vor uns lie-
gen und von denen viele von uns wissen, dass wir sie
durchsetzen müssen, werden schmerzhaft sein. Sie wer-
den vor allem deswegen schwer durchzusetzen sein – das
ist meine Erfahrung aus zwölf Jahren Bundestag –, weil
die Verbandslobby in Deutschland in manchen Bereichen
mittlerweile nicht mehr das Gesamte sieht, sondern nur
ihre Einzelinteressen verfolgt. Damit muss sich jede Re-
gierung, jeder Politiker herumschlagen.
Wir müssen doch ein Stück weit deregulieren. Warum
nehmen Sie nicht unsere Vorschläge auf? Wir schlagen ein
Optionsrecht beim Kündigungsschutz für ältere Ar-
beitslose vor. Viele Arbeitgeber, mit denen ich rede, wären
dann schon eher bereit, einmal einen Älteren einzustellen.
Es würde uns keinen einzigen Euro kosten, dies im Kün-
digungsschutzgesetz vorzusehen. Wenn wir dann nach
zwei, drei Jahren sehen sollten, dass das Auswirkungen
hat, die wir nicht bedacht haben, dann kann der Gesetz-
geber das wieder ändern. Aber machen Sie das doch erst
einmal! Dann gucken wir, wie sich ein solches Options-
recht mit einer im Gesetz festgelegten Abfindungsrege-
lung auf den Arbeitsmarkt auswirkt. Wir glauben, dass das
eine Chance hat. Es kostet nichts. Machen wir es doch!
Herr Clement, wir müssen betriebliche Bündnisse für
Arbeit auf eine saubere rechtliche Grundlage stellen. Sie
wissen genauso gut wie ich, dass es diese Bündnisse für
Arbeit in vielen Betrieben gibt. Meistens funktionieren sie
auch, weil keiner klagt – und wo kein Kläger ist, ist be-
kanntlich kein Richter. Wenn ein Unternehmer aber eine
Rieseninvestition schultern muss, ist ein solches Bündnis
eine unzureichende Grundlage für die Kalkulation. Ein
guter Bankchef würde auf dieser Grundlage keinen Kredit
geben. Das Unternehmen würde beim Rating durchfallen.
Auch wir sind für Tarifverträge. Auch wir wissen, dass
Tarifverträge Gutes haben. Aber lasst uns doch einfach
gucken, wie man die Beschäftigungssicherung in Betrie-
ben vernünftig und verantwortbar individuell regeln
kann! Wir werden Ihnen hierzu Vorschläge vorlegen. In
den Bundesrat hat die B-Seite Vorschläge eingebracht,
wie das – gegenüber den beiden Tarifvertragsparteien ver-
antwortbar – zu lösen ist. Am Ende muss die Entschei-
dung im Betrieb auch einmal Vorrang gegenüber außer-
halb des Betriebes entstandenen Entscheidungen der
Tarifvertragsparteien haben.
Eine verantwortbare Lösung ließe sich sowohl im Be-
triebsverfassungsgesetz als auch im Tarifvertragsgesetz
sehr wohl formulieren.
Ich glaube im Übrigen, dass das die Tarifverträge in
diesem Land sogar stabilisieren würde, weil man dann
nicht mehr aus dem Arbeitnehmerverband austreten
müsste, was heute viele aus wirtschaftlicher Not heraus
müssen. Warum machen wir das nicht?
Auch in einem anderen Bereich bräuchten Sie nur ei-
nen Federstrich zu machen: Schaffen Sie das Schein-
selbstständigkeitsgesetz ab!
Weshalb interessieren wir uns als Staat dafür, ob ein
Selbstständiger einen, zwei, fünfzig oder hundert Kunden
hat? Das muss uns als Staat gar nicht interessieren. Mich
interessiert, ob der Mensch den Lebensunterhalt für sich
und seine Familie sowie seine soziale Sicherung bezahlen
kann. Wenn er das kann, ist es in Ordnung. Schaffen Sie
das Gesetz ab! Das kostet uns keinen einzigen Cent.
Machen Sie bei konkreten Überlegungen mit, was wir
tun können, damit Menschen im Niedriglohnbereich
netto mehr nach Hause bringen! Der Nettolohn muss
deutlich höher als der Sozialhilfeanspruch sein. Ein Ar-
beitender muss sich mehr kaufen können als ein Sozial-
hilfeempfänger. Das muss eine Grundphilosophie im Volk
sein. Schon die Kinder in der Schule müssen wissen, dass
das Leben so funktioniert.
Wir haben einen degressiven Sozialversicherungsbei-
trag vorgeschlagen. Über die Frage, bis zu welchem Stun-
denlohn und welcher Lohnsumme der gelten soll, kann
man reden. Auch ich weiß, dass man mit Einnahmeaus-
fällen bei den Sozialkassen rechnen muss.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002 1037
– Dann rechnen Sie doch einmal in Ihrem Ministerium;
greifen Sie die Grundidee auf und setzen Sie sie um! – Ich
glaube, wir könnten in unserem Land bezüglich der Bin-
nennachfrage, der Binnenkonjunktur eine Menge errei-
chen.
Wenn Sie die Politik so angehen würden und bei Ihren
Reden nicht immer nur die Opposition aufforderten, Ihren
Vorschlägen, an denen Sie kein Punkt und Komma ändern
wollen, zu folgen, sondern auch unsere Vorschläge auf-
greifen würden, könnten wir das richtige Signal für eine
Erneuerung setzen. Die Menschen wissen schließlich, wie
ernst die Lage in unserem Land ist. Das erklärt auch ihr
Verhalten – sie benehmen sich im Grunde ganz vernünf-
tig, indem sie vorsichtig sind und ihr Geld beieinander
halten –, das uns natürlich Probleme macht.
Ich bin fest davon überzeugt: Wenn man die politischen
Entscheidungen Schritt für Schritt in Richtung Deregulie-
rung, mehr Eigenverantwortung, Bürokratieabbau und
mehr Spielräume für die Kleinen umsetzen würde, dann
könnten wir das Schiff wieder flottmachen und Rücklagen
für schwere Zeiten bilden; denn wir leben in einem
großartigen Land. Unser Job ist es, die richtigen Ent-
scheidungen für unser Land zu treffen.
Wir als Opposition müssen dabei sagen, wo Sie nach
unserer Meinung in die falsche Richtung gehen: bei der
Ökosteuer, bei den Betrieben, die viel Energie verbrau-
chen, bei den 41 Vorschlägen, mehr Geld in diesem Land
abzukassieren. Hier gehen Sie in die falsche Richtung.
Mit einigen Ihrer Ansätze gehen Sie in die richtige
Richtung. Aber nehmen Sie unsere Anträge auf! Ich bin
sicher, dass es dann für die Menschen in unserem Land
wieder eine gute Zeit geben wird. Es steht nirgendwo ge-
schrieben, dass Deutschland auf Dauer der Letzte in Eu-
ropa bleiben muss.
Schönen Dank.