Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die Haushaltsdebatte ist immer auch eine Generaldebatte.
Deshalb möchte ich anlässlich der Beratungen des Ein-
zelplans 07 einige rechtspolitische Schwerpunkte von
CDU und CSU für diese Wahlperiode nennen. Dabei halte
ich es für sinnvoll, kurz darauf einzugehen, was aus unse-
rer Sicht überhaupt Aufgabe von Rechtspolitik ist. Das er-
scheint mir deshalb notwendig, weil die Erfahrungen in
der vergangenen Wahlperiode gezeigt haben, dass die
Vorstellungen hierüber zwischen Rot-Grün einerseits und
den bürgerlichen Kräften andererseits teilweise doch sehr
weit auseinander gehen.
Für uns ist Rechtspolitik vor allem die Stärkung und,
wo nötig, die Verbesserung des Rechtsstaats sowie die Si-
cherung der Freiheit der Bürger gegenüber dem Staat und
auch gegenüber Dritten.
Bei Rot-Grün war jedoch in der vergangenen Wahlperiode
immer deutlicher zu erkennen, dass Rechtspolitik als Mit-
tel der Gesellschaftsveränderung betrachtet wird. Diesen
Bestrebungen werden wir, sollten sie weiter verfolgt wer-
den, auch weiterhin entschiedenen Widerstand leisten.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einige
grundsätzliche Bemerkungen machen. Sicherheit und
Freiheit gehören untrennbar zusammen. Sicherheit ist Vo-
raussetzung für Freiheit. Das Recht wiederum sichert
diese Freiheit. Dafür brauchen wir einen starken Staat;
denn nur ein starker Staat kann einen optimalen Schutz
der Bürger gegen Verbrechen gewährleisten. Starker Staat
und liberaler Staat sind kein Widerspruch; denn gerade ein
liberaler Staat muss wehrhaft sein, da sonst die freiheitli-
che Demokratie den vielfältigen Bedrohungen nicht ge-
wachsen ist.
– Ja, das sind Dinge, die man Ihnen immer wieder ins Ge-
dächtnis rufen muss, weil Sie dagegen handeln.
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Es muss Schluss sein, Herr Kollege Schmidt, mit einer
als Liberalität getarnten Gleichgültigkeit gegenüber den
Sicherheitsbedürfnissen der Bürger.
Die Menschen bei uns im Land haben ein Recht auf Si-
cherheit.
Deshalb gilt bei uns null Toleranz gegenüber Verbrechen.
Wir handeln danach und haben danach gehandelt, solange
wir Verantwortung hatten. Aber wir müssen Sie leider da-
ran erinnern.
Wer Recht bricht und sich damit gegen unsere Wert-
ordnung stellt, muss mit konsequenter Verfolgung und
Bestrafung rechnen.
Beim Schutz der Bürger darf es keine rechtsfreien Räume
geben. Ich hoffe, das findet auch die Zustimmung der
Koalitionsfraktionen. Wir lehnen die Verharmlosung von
Rechtsbruch und Gewalt durch so genannte Entkriminali-
sierung ab; denn sie schafft den Nährboden für Krimina-
lität, senkt Hemmschwellen, ermutigt Rechtsbrecher und
entmutigt die gesetzestreuen Bürger.
Ich möchte auch klarstellen, dass für uns jedenfalls
nicht die Sorge um die Täter im Mittelpunkt steht,
sondern der Schutz der Bürger und die Not der Opfer von
Straftaten, die wir lindern wollen.
Jetzt zu einigen unserer Schwerpunkte. Im Mittelpunkt
der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen leider, gerade
auch in den letzten Monaten, besonders verabscheuungs-
würdige Sexualverbrechen.
Der letzte Fall war jener der 16-jährigen Jennifer, die vor
wenigen Wochen im schleswig-holsteinischen Neumünster
einem Sexualmord zum Opfer fiel. Der mutmaßliche Tä-
ter war nur kurz zuvor aus der Strafhaft entlassen worden.
– Leider müssen wir dies immer wieder sagen. Sie schrei-
ben zwar in Ihre Koalitionsvereinbarung, Sie wollten hier
etwas tun, aber Sie handeln nicht, es folgen keine Taten.
Es gibt nur leere Worte.
Nicht weniger erschreckend ist die große Zahl von Kin-
dern, die Opfer sexuellen Missbrauchswerden. Dies sind
jährlich rund 20 000 Fälle in Deutschland. Die Dunkel-
ziffer ist jedoch viel höher.
Die CDU/CSU-Fraktion hat deshalb einen Gesetzent-
wurf zur Verbesserung des Schutzes der Bevölkerung vor
Sexualverbrechen und anderen schweren Straftaten in den
Deutschen Bundestag eingebracht, dessen erste Lesung
bereits stattgefunden hat. Dieser enthält im Wesentlichen
folgende Vorschläge: Wir wollen die Grundfälle des sexu-
ellen Missbrauchs von Kindern als Verbrechen einstufen
und auch die Verabredung zum Kindesmissbrauch sowie
den Anstiftungsversuch künftig strafbar machen.
Wir wollen einen neuen Straftatbestand einführen, der
solches Verhalten unter Strafe stellt, das den sexuellen
Missbrauch von Kindern erst ermöglichen soll. Wir wol-
len Strafschärfungen im Bereich der Kinderpornographie,
die Strafbarkeit der Billigung oder Belohnung schwerer
Sexualstraftaten und die Möglichkeit der Überwachung
des Fernmeldeverkehrs für sämtliche Fälle des Kindes-
missbrauchs und der Verbreitung von Kinderpornographie.
Wir wollen die konsequentere Nutzung der DNA-Ana-
lyse in Strafverfahren – auch wenn dies den Grünen nicht
gefällt. Wir sind der Auffassung, dass es künftig bei-
spielsweise auch möglich sein soll, einem Exhibitionisten
den genetischen Fingerabdruck abzuverlangen, wenn zu
befürchten ist, dass der Betreffende schwerwiegendere
Straftaten verüben könnte.
Wir wollen – dies ist das Thema, bei dem wir uns hof-
fentlich einigen oder aufeinander zugehen können – die
nachträgliche Sicherheitsverwahrung. Wir wollen si-
cherstellen, dass gegen hochgefährliche Straftäter künftig
die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auch
nachträglich, das heißt bis zur bevorstehenden Entlassung
aus der Haft, angeordnet werden kann.
– Ja, das sind die alten Argumente, die durch Wiederho-
lung nicht besser werden. Das Problem ist bekannt: Es be-
steht eine Gesetzeslücke für die Fälle, in denen sich die
Gefährlichkeit des Straftäters erst nach der Rechtskraft
der Verurteilung im Strafvollzug herausstellt.
CDU und CSU haben hierzu bereits in der letzen Wahl-
periode im Bundestag und auch über den Bundesrat meh-
rere Gesetzesinitiativen eingebracht, um diese Lücke zu
schließen und die Bevölkerung besser vor hochgefährli-
chen Straftätern zu schützen. Alle diese Vorschläge wur-
den von Rot-Grün abgelehnt; übrigens ebenso wie eine
Initiative Bayerns, den Grundfall des sexuellen Miss-
brauchs von Kindern als Verbrechen einzustufen. Dies ist
mir gänzlich unverständlich, denn wer sich an Kindern
vergeht, ist ein Verbrecher, nichts anderes.
Die von Rot-Grün in der vergangenen Wahlperiode
schließlich halbherzig beschlossene Vorbehaltslösung
schließt die Lücke keineswegs. Man stelle sich vor: Hoch-
gefährliche Straftäter, die derzeit in Haft sitzen, werden
von dem Gesetz nicht erfasst.
Dr. Wolfgang Götzer
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
Dr. Wolfgang Götzer
Außerdem besteht nach der rot-grünen Vorbehaltslösung
weiterhin keine Sicherungsverwahrungsmöglichkeit, wenn
die Gefährlichkeit des Täters erst während des Strafvoll-
zuges zutage tritt. Im Übrigen ist der Anwendungsbereich
des Gesetzes in nicht hinnehmbarer Weise eingeschränkt.
Dieses Gesetz taugt also nicht.
Nur mit unserem Gesetzentwurf, den wir jüngst einge-
bracht haben, kann die nach wie vor bestehende unerträg-
liche Gesetzeslücke wirksam geschlossen werden.
Wir wollen des Weiteren, dass die Sicherungsverwah-
rung bereits nach der ersten Tat möglich ist, wenn diese be-
sonders schwerwiegend gewesen ist. Wir wollen schließ-
lich auch, dass sie auf Heranwachsende Anwendung
finden kann, sofern diese nach Erwachsenenstrafrecht zu
verurteilen sind.
Hier könnte die Bundesregierung endlich einmal be-
weisen, dass es ihr mit dem schärferen Vorgehen gegen
Sexualstraftäter wirklich ernst ist. Die bekannte, ebenso
vollmundige wie populistische Äußerung des Bundes-
kanzlers in der „Bild“-Zeitung – wegschließen, und zwar
für immer – steht in eklatantem Gegensatz zu dem, was
Rot-Grün tatsächlich zum besseren Schutz der Kinder vor
Sexualstraftätern tut.
Wir wissen alle, dass man mit Gesetzen nicht alle Ver-
brechen verhindern kann, schon gar nicht, wenn es sich
um einen Ersttäter handelt und dieser vorher nicht auffäl-
lig gewesen ist. Hier aber handelt es sich um Täter, die be-
reits straffällig geworden sind und bei denen die Gefahr
besteht, dass sie nach Verbüßen ihrer Straftat erneut ein
Verbrechen begehen. Ein solches kann in der Tat durch die
Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung
verhindert werden. Wir von der Union sind der Meinung,
dass für den Schutz der Bevölkerung und vor allem der
Kinder alles getan werden muss, was rechtsstaatlich mög-
lich ist.
Herr Kollege Stünker, wenn Sie der Meinung sind, es
sei verfassungswidrig, dann sollten wir es vom Bundes-
verfassungsgericht überprüfen lassen. Wir als Gesetzge-
ber sollten jede Möglichkeit ergreifen, die uns zum bes-
seren Schutz der Bevölkerung vor solchen Straftaten
geeignet erscheint.
Wir sind gespannt, ob sich die Bundesregierung unse-
ren Vorschlägen weiterhin verweigert oder jetzt doch end-
lich bereit ist, mit uns die dringend notwendigen Verbes-
serungen zu beschließen. Die erste Lesung unseres
Gesetzentwurfs hat gewissen Anlass zur Hoffnung – wenn
auch nur in begrenztem Umfang – gegeben.
Sehr verehrte Frau Ministerin, wir warten auf den ange-
kündigten Gesetzentwurf Ihres Hauses und hoffen, dass Sie
sich gegenüber Ihrem grünen Koalitionspartner durchset-
zen können. Was von den Grünen zu diesem Thema zu
hören ist, dient dem Täterschutz und nicht der Sicherheit
der Menschen. Dafür haben wir nicht das geringste Ver-
ständnis. Sexualstraftäter dürfen nicht länger von rot-grü-
nen Versäumnissen profitieren können.
– Ja, das ist unglaublich. Wir sollten schnellstmöglich et-
was dagegen tun. Wir sollten diesen Zustand beenden.
Ich komme zur strafrechtlichen Behandlung Heran-
wachsender zwischen 18 und 21 Jahren. Wir wollen si-
cherstellen, dass die Anwendung von Jugendstrafrecht
auf Heranwachsende wirklich nur im Ausnahmefall in Be-
tracht kommt. Die gerichtliche Praxis hat sich vom gesetz-
geberischen Leitbild zunehmend entfernt. Wir alle wissen,
dass derzeit fast ausnahmslos Jugendstrafrecht zur Anwen-
dung kommt. Deshalb hat Bayern im Bundesrat eine Initia-
tive gestartet mit dem Ziel, § 105 JGG neu zu fassen. Dazu
besteht Veranlassung und das ist auch gut begründbar. Wer
mit 18 Jahren volljährig ist, wer alle Rechte und Pflichten
eines Staatsbürgers hat, der muss dementsprechend auch
strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können.
Es ist geboten, meine ich, die Höchststrafe für Heran-
wachsende, soweit auf diese das Jugendstrafrecht ange-
wendet wird, von zehn auf 15 Jahre heraufzusetzen. Auch
dazu gibt es einen bayerischen Gesetzentwurf im Bun-
desrat.
Diese Vorschläge haben übrigens auf der letzten Kon-
ferenz der Justizministerinnen und Justizminister im No-
vember dieses Jahres eine Mehrheit gefunden.
Ein Wort zur Rauschgiftkriminalität.Was dazu in der
Koalitionsvereinbarung steht, lässt nichts Gutes erwarten.
Wir lehnen rechtsfreie Räume in der Rauschgiftbekämp-
fung entschieden ab. Die Legalisierung von Fixerstuben
und die staatliche Abgabe von Drogen sind der falsche
Weg. Die steigende Zahl der Drogentoten, und zwar unter
den Erstkonsumenten von harten Drogen, erfordert eine
verantwortungsbewusste Drogenpolitik, die Prävention,
Hilfe zum Ausstieg für Süchtige und eine Bekämpfung
der Drogenkriminalität mit allen rechtsstaatlichen Mitteln
verbindet.
Wir sind entschieden gegen die Verharmlosung der so
genannten Alltagskriminalität. Deshalb werden wir
auch nicht von unserer Forderung abrücken, beispiels-
weise schärfer gegen Graffitischmierereien vorzugehen
und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass diese als
Sachbeschädigung bestraft werden, auch wenn Sie von
der rot-grünen Seite alle unsere diesbezüglichen Gesetzes-
initiativen abgeschmettert haben.
Sie sollten einmal mit offenen Augen gerade durch Berlin
gehen, sich ansehen, welches Ausmaß das angenommen
hat, und mit Hausbesitzern, aber auch mit Mietern spre-
chen. Wie die Wände und Züge hier verschmiert werden,
ist unerträglich geworden.
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In der rot-grünen Koalitionsvereinbarung steht dazu:
Die Alltagskriminalität werden wir konsequent
bekämpfen.
Das ist angesichts Ihres tatsächlichen Verhaltens eine der
vielen hohlen Phrasen.
Wir sind für eine sinnvolle Erweiterung des Katalogs
der strafrechtlichen Sanktionen. Das Fahrverbot bei-
spielsweise ist in vielen Fällen auch bei nicht verkehrsbe-
zogenen Straftaten eine angemessene und spürbare Sank-
tion. Auch die Verurteilung zu gemeinnütziger Arbeit
sollte künftig verstärkt zur Anwendung kommen. Die Er-
weiterung des Sanktionensystems bedeutet für uns aber
keinesfalls dessen Aufweichung, zum Beispiel durch eine
weitere Ausweitung der Anwendung von Bewährungs-
strafen. – So weit unsere wichtigsten Schwerpunkte auf
dem Gebiet des Strafrechts bzw. der inneren Sicherheit.
Auf den zivilrechtlichen Bereich möchte ich heute nur
ganz kurz eingehen. Die bereits erwähnte Reform der An-
waltsvergütung, Frau Ministerin, ist in der Tat überfällig.
Auch dazu gab es große Ankündigungen in der letzten
Wahlperiode; das betrifft jetzt natürlich nicht Sie, Frau
Ministerin.
Aber es hat sich rein gar nichts getan. Die Behandlung
dieses Themas wurde mit der Begründung verschoben
– das haben wir im Rechtsausschuss miterlebt, Herr Kol-
lege Funke –, es müsse eine umfassende Neuregelung des
Gebührenrechts erarbeitet werden; dafür werde die Zeit
nicht reichen. Das waren Ausreden. Es ist bisher nichts
geschehen. Die strukturelle Neuregelung wie auch die
Anhebung der seit 1994 unveränderten Gebühren müssen
unverzüglich in Angriff genommen werden.
Eine Verschlechterung beim Versorgungswerk wird es mit
uns aber nicht geben.
Ein abschließendes Wort zum so genannten Antidis-
kriminierungsgesetz, wie es in der Koalitionsvereinba-
rung heißt. Wir werden alles dafür tun, dass nicht wild
gewordene Ideologen das Zivilrecht mit seinem Grund-
satz der Vertragsfreiheit aushöhlen und beispielsweise
Deutsche gegenüber Ausländern in der Rechtsordnung
nicht massiv benachteiligt werden.
Sehr geehrte Frau Ministerin, wir sind zu konstruktiver
Zusammenarbeit bereit, aber selbstverständlich auf der
Grundlage unserer Wertvorstellungen und Ziele.
Die Voraussetzungen dafür sind in dieser Legislaturperi-
ode aus hier nicht näher zu bezeichnenden Gründen bes-
ser als in der vorangegangenen.
An die Adresse der SPD-Mitglieder im Rechtsaus-
schuss möchte ich anlässlich der Geschehnisse, die sich
dort bei den Beratungen zu den Hartz-Gesetzen ereignet
haben, ein klares Wort richten: Das Tempo sind wir von
Ihnen aus der letzten Legislaturperiode schon gewöhnt.
Dass man innerhalb einer Woche am Dienstag die An-
hörung durchführt, am Mittwoch in den Ausschüssen ab-
schließend berät, am Freitag bereits die zweite und dritte
Lesung abhält und das Gesetz durchpeitscht, davon rede
ich gar nicht; das haben wir schon mehrfach erlebt. Nein,
Sie wollten über Änderungsanträge der Koalition abstim-
men lassen, die weder dem Ausschuss noch seinen Mit-
gliedern vorlagen.
– Selbstverständlich wollten Sie das tun. Sie waren wohl
in einer anderen Veranstaltung!