Rede von
Stephan
Mayer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Deutschland ist in allen politischen Berei-
chen mittlerweile Schlusslicht in Europa.
In vielen Bereichen, vor allem was die Wirtschafts- und Fi-
nanzpolitik anbelangt, trifft dies leider Gottes zu. Doch in
einem Punkt sind wir in Deutschland immer noch einsame
Spitze: in dem perfektionistischen und geradezu manischen
Streben, alles und jedes zu regeln, zu regulieren und zu
klassifizieren, und zwar immer mit dem hohen Anspruch,
möglichst viel Einzelfallgerechtigkeit an den Tag zu legen.
Die deutschen Unternehmer, insbesondere im Hand-
werk und im Handel, müssen die Ankündigungen der
Regierungskoalition in der Koalitionsvereinbarung, den
bundesrechtlichen Normenbestand zu bereinigen und
überflüssige Gesetze und Vorschriften aufzuheben, so-
wie die erst gestern getätigte Ankündigung des Bundes-
finanzministers Eichel, der Bürokratie den Kampf anzu-
sagen, als blanke Drohung empfunden haben.
Auch vor vier Jahren wurden diese wohlklingenden und
verheißungsvollen Ankündigungen gemacht.
Wie sieht die Realität aus? Bürger und Unternehmen
müssen derzeit allein auf Bundesebene 2 197 Gesetze und
46 779 Einzelvorschriften befolgen. Wer sich in Deutsch-
land rechtstreu verhalten will, muss weit über 85 000 Ge-
setzesbefehle befolgen.
Allein in der vergangenen Legislaturperiode wurden
396 neue Bundesgesetze und 1 379 neue Rechtsverord-
nungen erlassen, während in derselben Zeit nur 95 Bun-
desgesetze und 406 Rechtsverordnungen abgeschafft
wurden. Man muss wirklich zugeben, dass der Saldo in
diesem Punkt ausnahmsweise einmal positiv ist.
Gerade der Mittelstand wird durch die überbordende
Bürokratie in Deutschland stranguliert. Während Groß-
unternehmen in Deutschland im Durchschnitt lediglich
153 Euro Bürokratiekosten pro Arbeitsplatz im Jahr zu
tragen haben, lasten auf dem Mittelstand pro Arbeitsplatz
im Jahr durchschnittlich 3 579 Euro, das heißt, die Last ist
mehr als 23-mal so hoch.
Zurzeit befinden sich viele Privathaushalte, aber vor
allem viele Unternehmen in einer wirtschaftlich äußerst
angespannten Phase. Dies ist in jeder Hinsicht besorg-
niserregend, bietet zugleich aber auch die große Chance,
dass jetzt deutliche Schritte in Richtung Verwaltungsver-
einfachung und in Richtung eines schlanken Staates ge-
troffen werden und diese Maßnahmen nachvollzogen und
akzeptiert werden. Die Politik darf in einem immer kom-
plizierter und heterogener werdenden Lebensumfeld nicht
dem Irrglauben verfallen, jedem Einzelnen die absolute
Einzelfallgerechtigkeit angedeihen lassen zu können.
Leider habe ich bei Ihrer Koalitionsvereinbarung bzw.
bei dem, was davon noch übrig ist, sowie Ihren derzei-
tigen Gesetzgebungsvorhaben den Eindruck, dass Sie
genau das Gegenteil beabsichtigen: mehr Staat, mehr Ver-
waltung, mehr Bürokratie. Sie sind nach wie vor der voll-
kommen überholten und in Europa mittlerweile einmali-
gen Auffassung, dass in einer ökonomischen Krise das
Heil beim Staat zu suchen ist.
Dies ist – auch als Antwort an Sie, Herr Innenminister –
ein anachronistischer Etatismus. So kann man die mittler-
weile überbordende Bürokratie in Deutschland auch be-
gründen.
Nicht anders ist es zu erklären, dass beispielsweise die
Umsatzpauschalierung für Landwirte erschwert wird und
die Durchschnittsgewinnermittlung kleinerer Landwirte
abgeschafft werden soll, was beispielsweise in meinem
Wahlkreis Altötting zwangsläufig dazu führen wird, dass
sich die Kosten eines bäuerlichen Durchschnittsbetriebes
für Steuerberatung und Buchführung ungefähr verdreifa-
chen werden. Man braucht auch kein Hellseher zu sein,
um zu prognostizieren, dass die Erhöhung der Pauschal-
besteuerung des privaten Gebrauchs von Dienstfahrzeu-
gen um sage und schreibe 50 Prozent dazu führen wird,
dass PKW-Fahrer zu dem zwar sehr bekannten, aber alles
andere als beliebten Fahrtenbuch werden greifen müssen.
Meine Damen und Herren, dies ist der falsche Weg.
Nicht die Bürger sind für den Staat da, sondern der Staat
ist für die Bürger da.
Verwaltung und Normen dürfen daher kein Selbstzweck
sein. Von einem Gemeinwesen, das überreguliert, über-
normiert und überklassifiziert ist, verabschieden sich die
Bürgerinnen und Bürger innerlich. Deshalb ist der Subsi-
diaritätsgedanke, der der katholischen Soziallehre ent-
springt und mittlerweile mehr als 100 Jahre alt ist, noch
nie so modern gewesen wie heute. Verwaltungsabläufe
und Verwaltungsentscheidungen müssen zum einen trans-
parent und durchschaubar sein und müssen zum anderen
auf der kleinstmöglichen Ebene möglichst bürgernah ge-
troffen werden.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
Stephan Mayer
In diesem Zusammenhang ist der von Ihnen, Herr Bun-
desinnenminister, initiierte Leitfaden zur Gesetzesfolgen-
abschätzung durchaus als positives Signal zu verstehen.
Nur hat dieses Projekt sein Ziel, nämlich die Wirksamkeit
und Akzeptanz von Regelungen zu erhöhen, bislang nicht
erreicht. Kein einziges Gesetz wurde durch die Gesetzes-
folgenabschätzung weniger geschaffen. Kein einziger Euro
wurde gespart. Insofern kann man dazu nur sagen: Gut ge-
meint ist noch lange nicht gut gemacht.
Deshalb kann ich – um auf die bereits erwähnten ehr-
geizigen Ziele in der rot-grünen Koalitionsvereinbarung
zum Thema Verwaltungsmodernisierung zurückzukom-
men – nur mit der Feststellung enden: Den Schily hör ich
wohl, allein mir fehlt der Glaube.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.