Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ver-
ehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Austermann, ich
hatte – vermutlich aufgrund meines jugendlichen Idealis-
mus – von Ihnen einen konstruktiven Vorschlag zur Mo-
dernisierung der Bundeswehr erwartet. Stattdessen haben
Sie wieder die gleiche Leier von der Unterfinanzierung
präsentiert. Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren ha-
ben Sie sich dieses Mal zwar nicht auf Milliarden festle-
gen lassen, aber unter dem Strich steht doch die Milli-
ardenforderung. Insofern kann man von Glück sagen,
dass Roland Koch heute nicht da ist; denn sonst wäre ratz-
fatz der nächste Untersuchungsausschuss fällig gewesen.
Bündnis 90/Die Grünen haben die gute Tradition, den
Einsatz militärischer Mittel sehr genau abzuwägen und kri-
tisch zu begleiten. Wir unterstützen den gemeinsamen Kurs
der Koalition und Minister Struck in der Verteidigungspo-
litik. Wenn die Opposition eine chronische Unterfinanzie-
rung und – das wurde in einzelnen Beiträgen geäußert – ei-
nen angehäuften Investitionsstau beklagt, dann stellen sich
einige Fragen: Welche dieser Investitionen sind wirklich
notwendig? Wer hat mit dem Anhäufen angefangen?
Ich kann es Ihnen nicht ersparen, daran zu erinnern,
dass gerade im Laufe Ihrer Regierungszeit das Volumen
des Verteidigungshaushaltes kräftig gesenkt wurde.
Man muss das zwar nicht unbedingt schlimm finden, aber
Sie haben das ohne eine Änderung der Zielbeschreibung
und ohne ein tragfähiges Konzept gemacht.
An vielen Punkten reden wir nicht von einem Investi-
tionsstau, sondern von Fehlinvestitionen: Aus einer fal-
schen Orientierung an alten Bedrohungsbildern wurden
Investitionen abgeleitet, die haushaltspolitisch in die
falsche Richtung gingen.
Kommen wir zu etwas Erfreulicherem. Die Bundes-
wehr leistet bei ihren Einsätzen in unserem Auftrag her-
vorragende und wichtige Arbeit. Ich möchte den Solda-
tinnen und Soldaten an dieser Stelle ausdrücklich danken.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 951
Die im Einzelplan 14 vorgesehene Finanzierung bietet
eine ausreichende Grundlage für die weitere Reform und
Modernisierung der Streitkräfte. Auch bei der Finanzierung
der Bundeswehr darf man die derzeitig schwierige wirt-
schaftliche Situation und die Haushaltslage nicht außer
Acht lassen. Wer vorhat, der Bundeswehr mehr Geld zu ge-
ben – Herr Austermann, de facto haben Sie das gefordert –,
muss auch sagen, woher er es nimmt und mit welchem Ziel
diese Mittel eingesetzt werden sollen. Mit Spannung war-
ten wir auch an dieser Stelle auf einen Finanzierungsvor-
schlag der Opposition. Während der letzten Tage wurden
zwar viele Forderungen gestellt, aber sehr wenige Vor-
schläge gemacht, wo das Geld herkommen soll.
Wenn man sich anschaut, wie wackelig die Opposition
an bestimmten Stellen steht, dann ist das schon sehr inte-
ressant. Ich nenne ein Beispiel: Die „FAZ“ berichtet in ei-
nem Artikel vom 26. November 2002 von der Überprü-
fung der Rüstungsprojekte im Verteidigungsministerium.
Der verteidigungspolitische Sprecher, Kollege Schmidt,
CSU, erklärt, durch diese Überlegungen sei „das sicher-
heits- und verteidigungspolitische Ansehen beschädigt“.
Der Kollege Austermann, haushaltspolitischer Sprecher,
CDU, fordert im gleichen Artikel zwei Zeilen später das
Gegenteil und hält die Überprüfung für „überfällig“. Ich
frage mich: Wo ist Roland Koch, wenn man ihn braucht?
Herr Koch, übernehmen Sie! Das ist wieder ein klas-
sischer Fall für einen Untersuchungsausschuss.
– Da bin ich aber gespannt.
Im Gegensatz zur Opposition haben Minister Struck
und Generalinspekteur Schneiderhan Vorschläge erarbei-
tet, wie man die Bundeswehr mit den bestehenden Mitteln
an die modernen Herausforderungen anpassen kann. Für
diese Vorschläge sind wir sehr dankbar. Im Gegensatz zu
Ihnen haben die Streitkräfte erkannt, dass die Struktur
nicht an einem Wunschzettel, sondern an der realen Si-
cherheitslage und den realen Möglichkeiten ausgerichtet
werden muss.
Eine weitere Anpassung an die gegebene Situation
wird es auch geben, wenn im Frühjahr des nächsten Jah-
res die verteidigungspolitischen Richtlinien neu fest-
gelegt werden. Die Bundeswehr hat ihre Strukturen und
Anschaffungen aufgrund alter verteidigungspolitischer
Richtlinien überprüft. Jetzt ist die Politik an der Reihe.
Die rot-grüne Koalition wird sich dieser Aufgabe verant-
wortungsbewusst und konstruktiv stellen.
Die neuen verteidigungspolitischen Richtlinien müs-
sen den Spielraum schaffen, um die Anforderungen an
eine moderne Bundeswehr kritisch überprüfen zu können.
So gewinnen wir Spielraum für eine sinnvolle Moderni-
sierung. Mit den freigesetzten Mitteln kann, bei gleich
bleibendem Etat, der Investitionsanteil erhöht und die
Modernisierung beschleunigt werden.
Als dringendste Herausforderung besteht heute nicht
mehr das Szenario der Bündnisverteidigung. Wir sind uns
doch alle einig, dass ein klassischer Angriff auf NATO-
Gebiet im nächsten Jahrzehnt nicht zu befürchten ist. Von
der reinen Landesverteidigung will ich hier gar nicht mehr
reden. Es stellt sich doch vielmehr die Frage, wie wir ef-
fizient gemeinsam mit unseren europäischen und trans-
atlantischen Verbündeten, allen voran den Amerikanern,
den Bedrohungen unserer Sicherheit begegnen können.
Die Antwort darauf kann nicht einfach heißen: mehr Geld
rein und die moderne Armee auf unsere Struktur oben-
drauf. Aber genau das ist es, was viele Diskussionen der
Opposition prägt. Für so ein Modell hätte aber auch
Stoiber Kanzler werden können und hätte es nicht hinbe-
kommen – da hätten Sie den Weihnachtsmann persönlich
zum Regierungschef machen müssen.
Die Antwort auf diese Frage lautet: internationale Auf-
gabenteilung und Kooperation. Wir benötigen eine klei-
nere, spezialisierte und technisch überlegene Armee. Die
strukturellen Reste des Kalten Krieges mit Panzerarmeen
und starken Reserveverbänden entsprechen nicht mehr
der heutigen Bedrohungslage. Übergroße Aufwuchsfä-
higkeiten sind nicht mehr zeitgemäß, sie blockieren Per-
sonal und Geld.
Die Bundeswehr muss nicht mehr und soll nicht mehr
alles alleine bewältigen können. Einsätze der Bundeswehr
ohne unsere europäischen Partner und ohne unsere trans-
atlantischen Partner sind heute undenkbar. Diese Idee
konsequent zu denken heißt, die europäischen integrierten
Fähigkeiten in der NATO und in der EU zu stärken. Wir
halten eine Spezialisierung der deutschen Verteidigungs-
kapazitäten für sinnvoll. Gerade die von der Regierung
gewählten Bereiche Lufttransport, Führungskapazität und
Aufklärung sind eine sinnvolle Gewichtung.
Die Bundeswehr wurde in den letzten Jahren oft re-
formiert. Entscheidend ist aber nicht die Anzahl der Re-
formen, sondern ob die Struktur den Bedürfnissen ent-
spricht. Wir Grünen sind gegen die Wehrpflicht und für
eine Freiwilligenarmee.
Auch bei unserem Koalitionspartner mehren sich die
Stimmen, die diese Auffassung teilen.
– SPD-Politiker aus dem Saarland und auch aus anderen
Bundesländern. – Deswegen haben wir im Koalitionsver-
trag auch vereinbart, die Frage der Wehrpflicht auf Grund-
lage der Ergebnisse der Weizsäcker-Kommission zu über-
prüfen. Eine moderne Armee gewinnt ihre Schlagkraft
durch gut ausgebildete militärische Spezialisten und tech-
nische Stärke, nicht durch zahlenmäßige Überlegenheit.
Wir Grünen sehen dabei für Wehrpflichtige keine Auf-
gabe mehr in einer zukünftigen Bundeswehr, schon gar
nicht im bisherigen Umfang.
Alexander Bonde
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
Alexander Bonde
Die neuen Anforderungen zeigen sich zurzeit bei unse-
ren internationalen Einsätzen. Die Bundeswehr leistet ei-
nen wichtigen Auftrag bei der Terrorbekämpfung und
beim Nation Building. Das erfordert eine andere Armee
und eine andere Ausbildung als die klassische Landesver-
teidigung.
Selbstverständlich sind den Soldaten Grenzen gesetzt.
Sie können keine Polizei, keine Justiz und keine Diplo-
matie ersetzen. Deswegen orientiert sich die rot-grüne
Außenpolitik auch an dem Prinzip der Gewaltvermeidung
und dem Krisenmanagement mit zivilen Mitteln.
Wir sind auf einem guten Weg und wir stellen uns den
beschriebenen Herausforderungen. Unser Verteidigungs-
minister und wir unterstützen die Bundeswehr auch in
Zukunft. Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten ihre Ar-
beit professionell, deeskalierend, konstruktiv und mit ho-
hem Verantwortungsbewusstsein. Verehrte Kolleginnen
und Kollegen von der Opposition: professionell, deeska-
lierend, konstruktiv und mit hohem Verantwortungs-
bewusstsein – daran können Sie sich nach der heutigen
Debatte ruhig ein Beispiel nehmen!
Vielen Dank.