Rede von
Dr.
Ludger
Volmer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! In der Tat, es geht nicht nur um Einzelfragen, etwa
um den Irak oder um Afghanistan, es geht um die Frage
einer neuen Weltordnung. Diese Frage stellt sich seit
Dr. Gerd Müller
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
Dr. Ludger Volmer
mindestens zwölf Jahren, seit dem Zusammenbruch der
bipolaren Weltordnung. Bei der Suche nach der neuen
Weltordnung gibt es Dispute, auch zwischen demokrati-
schen Staaten. Wir haben in Europa einen intensiven Dia-
log darüber, wie die europäische Integration aussehen
soll. Also ist es folgerichtig, wenn zwischen anderen Staa-
ten ein Disput über die globale Integration stattfindet. Es
ist völlig normal, dass die Europäer an diesem Punkt
manchmal andere Auffassungen haben als die amerikani-
schen Freunde. Die Frage ist: Wie geht man damit um?
Ich möchte Ihnen eine kleine Episode erzählen. Ich
denke sehr gerne zurück an den Kollegen Karl Lamers
von der CDU, der hier oft vermisst wird. Karl Lamers
sprach mich vor zwei oder drei Jahren einmal an und
sagte: Ihr als rot-grüne Regierung müsstet doch das For-
mat haben, einen begrenzten Disput mit den Vereinigten
Staaten auch offen auszutragen, und zwar mutiger, als das
unsere Kohl/Kinkel-Regierung getan hat. Richtig, Herr
Lamers, sagte ich, aber ich prophezeie Ihnen eines: Sie
und die Union werden die Ersten sein, die uns dann öf-
fentlich in den Rücken fallen.
Genau das haben wir durch die Rede von Herrn Schäuble
jetzt erlebt.
Wenn es nicht einmal mehr möglich sein darf, in einer
präzise beschreibbaren sicherheitspolitischen Frage ande-
rer Meinung zu sein als bestimmte Sicherheitskreise in
den Vereinigten Staaten, dann frage ich Sie: Wo ist denn
die europäische Freiheit gegenüber den amerikanischen
Partnern? Können wir uns dann überhaupt noch als Part-
ner empfinden oder müssten wir uns nicht selbstkritisch
als Vasallen bezeichnen?
Einen solchen Status gegenüber den Vereinigten Staa-
ten wollen wir nicht. Wir wollen Freundschaft, wir wol-
len Partnerschaft als Konstante der deutschen und der eu-
ropäischen Außenpolitik. Aber diese Partnerschaft muss
auch dazu dienen, sich solidarisch darüber zu verständi-
gen, wie denn die neue Weltordnung aussehen soll, ob
sie – das ist der europäische Vorschlag und das entspricht
auch den Grundlinien rot-grüner Außenpolitik – auf Mul-
tilateralismus setzen soll, hauptsächlich organisiert
durch die Vereinten Nationen und die anderen Regional-
organisationen, ob sie bestehen soll aus einer internatio-
nalen Strukturpolitik, aus einer globalen Ordnungspolitik,
aus Global Governnance oder ob sie bestehen soll aus der
Hegemonie der verbleibenden Supermacht.
Dass diese Supermacht Interessen hat, die man sogar
nachvollziehen kann, wenn man sich in ihre Position be-
gibt, räumen wir ein. Deshalb ist das auch kein gegneri-
scher Diskurs, sondern ein freundschaftlicher. Wir werden
nicht Weisungsempfänger sein, von wo auch immer die
Weisungen kommen sollten. In diesem Sinne werden wir
weiterhin eine selbstbewusste Politik mit Augenmaß be-
treiben. Das betrifft den Irak, das betrifft Afghanistan, das
betrifft die Türkei.
Sorry, Herr Pflüger, ich habe heute nur vier Minuten
Redezeit. Deshalb gern ein anderes Mal.