Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! In diesem Hause, aber auch außerhalb
streiten die demokratischen Parteien über das Verhältnis
der Demokratie zum Krieg. Ich glaube, dass dieser Dis-
kurs dem deutschen Parlament gut ansteht, gerade auch in
Berlin, einer ehemals preußischen Stadt. Selbstbewusste
Außenpolitik muss auf das Gute in der Geschichte eines
Landes stolz sein. Wenn ich über das Gute in der Ge-
schichte Deutschlands spreche, dann spreche ich über
Immanuel Kant. Er hat – bis heute unübertroffen – den
Erhalt des Friedens in der Welt davon abhängig gemacht,
dass sich demokratische Republiken im Diskurs über den
Frieden befinden. Das ist die bleibende Voraussetzung für
die Vermeidung von Krieg.
Es gibt weitere Gründe, warum es dem deutschen Par-
lament gut ansteht, über das Verhältnis der Demokratie
zum Krieg zu sprechen. In Europa hat kein anderes Land
so viel Verantwortung für Kriegsverbrechen. Bis heute
gehen wir damit um, das Leid und die Folgen von Krieg
weiter bewältigen zu müssen. Der deutsch-tschechische
Dialog ist – nicht einseitig – immer noch bestimmt von
den Folgen des Zweiten Weltkrieges. Wenn in diesen Ta-
gen ein deutscher Historiker die Frage aufwirft, mit wie
viel Berechtigung es Flächenbombardements im Zweiten
Weltkrieg gab, so halte ich das für einen guten Beitrag zur
Aufarbeitung von Kriegsfolgen. Wenn das alles so ist, ist
es ein Gebot für Demokratien, aus den Gründen, die ich
dargelegt habe, in diesem Fall von Deutschland ausge-
hend, über Krieg zu sprechen.
Mein Verständnis von Wahlen – auch wenn man
manchmal Zweifel haben kann, ob wir damit richtig um-
gehen – ist Folgendes: Welch bessere Zeit gibt es in der
Demokratie, über die Kernfragen zu sprechen, als die Zeit
vor Wahlen? Vor dem 22. September gab es diese Not-
wendigkeit.
Es war eine konsequente Linie der deutschen Außen-
politik, nachdem die Frage der Massenvernichtungswaf-
fen im Irak nach dem 11. September wieder aufgeworfen
worden ist, einen Kurs zu fahren, der mit friedlichen und
diplomatischen Mitteln, mit Mitteln der Vereinten Natio-
nen auf eine Vermeidung der weiteren Rüstung im Irak
setzt. Bis weit in dieses Jahr hinein erfolgten in dieser
Richtung Gespräche mit Vertretern der amerikanischen
Regierung. Vor allem mit den arabischen Staaten und der
Arabischen Liga gab es vielfältige Bemühungen – diese
waren notwendig –, alles zu tun, um dem Diktator im Irak
diplomatisch ein Verhalten aufzunötigen, das eine mi-
litärische Lösung vermeidet.
Im Spätsommer dieses Jahres war der Eindruck ent-
standen, als gäbe es in den Vereinigten Staaten innerhalb
der Regierung und in der wissenschaftlichen Diskussion
Positionen, die so etwas wie die Unvermeidbarkeit mi-
litärischer Aktionen gegenüber dem Irak aufschallen
ließen. In dieser Situation war es meiner Meinung nach
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 933
ein demokratisches Erfordernis, und zwar auch zwischen
Regierungen, den Diskurs über die Notwendigkeit und
vor allem über die Vermeidbarkeit von Krieg zu führen.
Das, was die deutsche Regierung und der deutsche
Bundeskanzler getan haben, war für mich nie etwas ande-
res als ein Diskurs im Sinne von Kant über den Krieg und
die problematischen Folgen von Krieg, die niemand bes-
ser kennt als wir Deutschen, und damit über unsere Posi-
tion, dass, wenn es irgend geht, Krieg vermieden werden
muss, auch im Irak.
Ich glaube, diese Position war erfolgreich. Denn zu dem,
was seitdem geschieht, was in den Vereinten Nationen,
im Sicherheitsrat, in Debatten und schließlich in Ent-
schließungen erreicht wurde, hat diese Regierung beige-
tragen.
Davon bin ich überzeugt.
Wer das Verhältnis und das diplomatische Spiel zwi-
schen Frankreich und Deutschland betrachtet, muss wis-
sen, dass die französische Position ohne die deutsche
kaum möglich geworden wäre.
Es ist doch schön, wenn ein konservativer französischer
Präsident in der Frage von Krieg und Frieden eine euro-
päische Position durchsetzt, die logischerweise etwas
weniger radikal-pazifistisch im guten Sinne ist als die so-
zialdemokratische deutsche Position. Das ist meine Vor-
stellung von Europa.
Ich komme nun zu dem Verhältnis zu den Vereinigten
Staaten. Zu einem Verständnis des Verhältnisses der Völ-
ker zueinander, wie es Kant als eine Gemeinschaft von
Republiken formuliert hat, gehört auch, dass Regierungen
miteinander in einen diplomatischen und öffentlichen
Diskurs treten können. Ich verstehe eine öffentliche De-
batte zwischen dem Präsidenten der Vereinigten Staaten
und dem deutschen Bundeskanzler als Teil eines demo-
kratisch notwendigen Diskurses. Es ist mit dem Grund-
verständnis von Demokratie für mich nicht vereinbar,
dass über Schicksalsfragen im Verhältnis der Länder nur
in geheimer Diplomatie gesprochen werden kann.
Wenn ein solcher Diskurs zwischen Regierungen geführt
wird, dann ist er, selbst wenn es unterschiedliche Auffas-
sungen zwischen diesen Regierungen gibt, in keiner
Weise gegen das andere Land gerichtet.
Ich spreche Sie jetzt als Opposition an: Ich fand es
sehr gut, dass der frühere amerikanische Präsident Bill
Clinton direkt nach den deutschen Wahlen hierher kam
und ein hohes Maß an Einverständnis mit der deutschen
Regierung gezeigt hat. Darüber sollten Sie sich freuen,
wenn Sie als deutsche Opposition, die in dieser Frage eine
etwas andere Meinung hat als die derzeitige Regierung,
international ernst genommen werden wollen.
Der Dialog zwischen Demokratien kann beinhalten,
dass Regierungen unterschiedlicher Meinung sind und
quer dazu wieder die Opposition. Das ist mein Verständ-
nis von internationaler Politik zwischen Demokratien.
Deshalb halte ich den Vorwurf des Antiamerikanismus,
selbst wenn der deutsche Bundeskanzler und der ameri-
kanische Präsident in einer wichtigen Frage unterschied-
licher Meinung sind, für abwegig.
– Ich kann nicht feststellen, dass der deutsche Bundes-
kanzler den amerikanischen Präsidenten in irgendeiner
Weise beschimpft hat.
Die Zahl von verunglückten Formulierungen im demo-
kratischen Diskurs innerhalb der Länder und zwischen
den Ländern ist unzählig.
Ich bin noch nie auf die Idee gekommen, dass Sozial-
demokraten so gute Menschen sein könnten, dass sie
keine Fehler machten. Die Fähigkeit, Fehler einzugeste-
hen, ist geradezu die Voraussetzung für Demokratie. Las-
sen Sie uns darum wetteifern, Fehler einzugestehen, Herr
Pflüger!
– Ja, Herr Glos, das fällt Ihnen schwer. Das müssen wir
nicht fortsetzen.
Ich glaube, das demokratische Verhältnis zwischen den
Vereinigten Staaten und Deutschland ist gut. Es ist die Ba-
sis, für friedliche Lösungen auf dieser Welt zu ringen. Das
halte ich für die außenpolitische Hauptverpflichtung
Deutschlands.
Ich schließe mit einer Bemerkung zum weiteren
Kampf gegen den Terrorismus: Unstreitig werden Men-
schen bedroht durch die Anschläge von Verbrechern, die
ihr Tun politisch motivieren. Die Anschläge geschehen an
vielen Orten dieser Welt. Betroffen sind Amerikaner, Eu-
ropäer und Israeli. Vom Terrorismus sind aber auch viele
andere Menschen betroffen.
Ich finde es gut, dass eine Debatte darüber begonnen
hat, warum bei dem Anschlag in Kenia so unverhältnis-
mäßig viel über die tragischen Opfer der Israeli und so
unverhältnismäßig wenig über die tragischen Opfer der
Kenianer geschrieben wird.
Dr. Christoph Zöpel
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
Dr. Christoph Zöpel
Wir sprechen auch mit der arabischen Welt darüber,
was wir gemeinsam gegenüber Saddam Hussein tun müs-
sen. Dann gehört in unsere Debatte, dass wir die Opfer
des Terrorismus in den Vereinigten Staaten, in Europa, in
Israel und in arabischen Staaten gleich behandeln.
Lassen Sie mich mit dem lapidaren Satz schließen:
Dem islamischen Terrorismus sind bisher mehr Algerier
als Amerikaner zum Opfer gefallen. Nur wenn wir das be-
denken, in den Vereinigten Staaten und in Europa, werden
wir zusammen mit den arabischen Staaten den Terroris-
mus bekämpfen können.
Herzlichen Dank.