Rede von
Petra
Pau
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Trotz der Erfolgsmeldungen und Ankündigungen meiner
Vorrednerinnen und Vorredner muss ich festhalten: Es
steht nicht gut um Rot-Grün. Herr Clement spricht von
Start- und Kommunikationsschwierigkeiten. Heide
Simonis erwartete heute gar eine Blut- und Tränenrede
des Kanzlers.
Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von
Rot-Grün: Ihr Problem ist weniger mangelnde Kommuni-
kation; Ihr Problem ist die Inkonsequenz, die Wider-
sprüchlichkeit und die Gegenläufigkeit Ihrer Politik. Ich
will Ihnen das an drei Beispielen illustrieren, die sich übri-
gens klar von denen der Opposition zu meiner Rechten
unterscheiden werden.
Mein erstes Beispiel betrifft den Sozialstaat. Ihre erste
Prämisse dazu heißt, der Sozialstaat sei gerade in Zeiten
der Globalisierung unverzichtbar. Ihre zweite Prämisse
dazu lautet, die Wirtschaft müsse gerade in Zeiten der
Globalisierung von Kosten für den Sozialstaat entlastet
werden. Das Problem ist: Beides passt nicht zusammen.
Wer die Wirtschaft von Kosten für den Sozialstaat entlas-
tet, treibt den Sozialstaat in die Krise. Wer das zulässt,
kann sich nicht als Anwalt des Sozialstaates aufspielen.
Nun wurde Franz Müntefering ob seines Zitats, die Bür-
ger sollten weniger konsumieren und mehr dem Staat ge-
ben, gescholten. Politisch ist das, was Franz Müntefering
geäußert hat, Harakiri; es hat aber sehr wohl seine Logik.
Der Sozialstaat wird immer mehr von denjenigen finan-
ziert, die bedürftig sind, und immer weniger von denjeni-
gen, die dazu in der Lage sind. Eine Putzfrau oder ein sich
selbst ausbeutender Computerexperte müssen kräftig für
den Sozialstaat zahlen. Große Konzerne mit Gewinnen
brauchen das nicht. Im Gegenteil: Sie werden sogar noch
alimentiert. Das ist hierzulande Usus, auch unter Rot-Grün.
Weil das so ist und weil die Kassen klamm sind, hat
Müntefering logischerweise nicht an die Vermögenden,
an die eigentlich Zahlungspflichtigen appelliert; es sind
dummerweise die Bedürftigen, die er zur Kasse bitten
will. Eigentlich hätte er dafür heftigen Beifall von der
CDU/CSU und allemal von der FDP verdient. Denn das
entspricht genau Ihrer Politik, die Sie auch heute wieder
hier vorgestellt haben.
Ich will nur anmerken: Mit Solidarität hat das alles nichts
zu tun. Und das ist der eigentliche Bruch mit einst sozial-
demokratischen Grundsätzen.
Zweites Beispiel: Krieg oder Frieden? Rot-Grün lehnt
eine Beteiligung an einem Krieg gegen den Irak ab. Ich
nehme Ihnen sogar ab, dass Sie dafür gute Gründe haben
und dass dies nicht nur kurzfristige Wahlkampfmotive
sind. Aber wieder sind Sie inkonsequent. Ein Krieg gegen
den Irak wäre ein Angriffskrieg. Er wäre nicht durch die
UN-Charta gedeckt. Kein NATO-Vertrag nimmt Sie in die
Pflicht. Das Grundgesetz verbietet sogar eine deutsche
Beteiligung.
Und doch steckt Rot-Grün mittendrin und damit natür-
lich auch wir alle. Sie bewilligen Überflugrechte, falls die
USA auch von deutschem Boden aus einen Angriffskrieg
gegen den Irak führen wollen. Sie halten Spürpanzer und
Marineeinheiten im Aufmarschgebiet vor. Sie wollen Mi-
litärmaterial in erweiterte Krisengebiete liefern. Das Pro-
blem: Auch das ist eine typische Jein-Politik. Aber es gibt
kein Jein zum Krieg. Es gibt nur ja, ja oder nein, nein. Die
PDS bleibt beim Nein, Nein zum Krieg.
Ich komme zum dritten versprochenen Beispiel: Steu-
erpolitik. Wir werden keine Steuern erhöhen, hieß es
bei Rot-Grün vor der Wahl. Wir schließen lediglich
Schlupflöcher, hieß es danach. Die Opposition zur Rech-
ten schreit Zeter und Mordio. Das Problem: Rot-Grün geht
in der gesamten Steuerdebatte in die neoliberale Falle.
CDU/CSU und FDP predigen landauf, landab, Steuern
seien Teufelswerk. Die Frage ist aber nicht, ob Steuern ge-
nehm sind. Die eigentliche Frage ist, ob Steuern gerecht
sind. Bei der Antwort auf diese Frage kneift Rot-Grün.
Sie gehen nicht wirklich an das spekulierende und un-
produktive Kapital heran. Anderenfalls müssten Sie sich
Staatsministerin Dr. Christina Weiss
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
Petra Pau
endlich der Tobinsteuer nähern. Sie nehmen den vorhan-
denen Reichtum nicht in die grundgesetzliche Pflicht.
Anderenfalls würden Sie aktiv für eine wirkliche Vermö-
gensteuer streiten. Sie machen nichts, um die überschul-
deten Länder und Kommunen zu entlasten. Anderenfalls
würden Sie zu wirklichen Reformen schreiten. Sie kleben
weiter an den Modellen des vergangenen Jahrhunderts.
Anderenfalls würden Sie sich wirklichen Neuerungen,
etwa einer Wertschöpfungsabgabe, öffnen. So aber bleibt
Rot-Grün ein Muster ohne Wert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte meine
grundsätzliche Kritik an zwei aktuellen Beispielen illus-
trieren. Sie brüsten sich damit, dass der Bund 4 Milliar-
den Euro für eine bessere Bildungspolitik in den Ländern
bereitstellt. Das klingt allemal angesichts der viel zitier-
ten PISA-Studie unglaublich gut. Bundesministerin
Bulmahn sprach gestern sogar von einer „rot-grünen
Initialzündung“. Was Sie dabei aber verschweigen, ist,
dass Ihre letzte Steuerreform die Länder das Dreifache,
nämlich 12 Milliarden Euro, an Mindereinnahmen gekos-
tet hat, die somit auch für die Bildungspolitik fehlen. Jede
Klofrau, der Sie 10 Cent auf den Teller legen und zugleich
30 Cent klauen, würde sich zu Recht betrogen fühlen.
Das zweite aktuelle Beispiel: Bundeskanzler Schröder
hat verkündet, keinem Opfer der jüngsten Hochwasser-
katastrophe solle es hernach schlechter gehen als
vordem. Wir, die Vertreterinnen der PDS im Bundestag,
waren erst jüngst vor Ort. Unsere Eindrücke sind ernüch-
ternd und bedrückend. Das Hochwasser ist weg, die Ka-
meras sind weg und die Bundesregierung ebenso.
Zurück bleiben vielfach Zweifel und Verzweiflung. Es
geht also nicht um Reförmchen. Gefragt ist nach wie vor
ein Politikwechsel: hin zu sozialer Gerechtigkeit, zu mehr
Demokratie und natürlich zu einer konsequenteren Frie-
dens- und Entwicklungspolitik.
Ich komme zum Schluss. Da in vermeintlich großen
Debatten gern große Geister angerufen werden,
will ich dem nicht nachstehen. CDU/CSU und FDP for-
dern einen Lügenausschuss des Bundestages.
Würde der legendäre Baron von Münchhausen das noch
erleben, würde er sich ob dieser Aufführung endgültig tot-
lachen.
Danke schön.