Rede von
Horst
Kubatschka
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Paziorek, Sie sagen, die Aufgabe der Op-
position sei Kritik. Da stimme ich zu. Aber die zweite
Aufgabe muss lauten: bessere Vorschläge.
Die kommen bisher nicht, die fehlen.
Solange Sie nicht bessere oder alternative Vorschläge ma-
chen, sind Sie für mich nicht einmal oppositionsfähig.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir führen mit
dem vorliegenden Haushalt 2003 den von uns in der ver-
gangenen Legislaturperiode erfolgreich begonnenen Kurs
der ökologischen Modernisierung unserer Industriegesell-
schaft fort. Das Bundesumweltministerium hat mit dieser
Legislaturperiode erstmals die vollständige Verantwortung
für die erneuerbaren Energien erhalten. Marktanreizpro-
gramm, 100000-Dächer-Photovoltaik-Programm, Erneuer-
bare-Energien-Gesetz und Energieforschung sind jetzt in
einem Ressort. Die Aufgabenverlagerung verlangt, den
Haushalt des BMU entsprechend zu erhöhen. Diese For-
derung ist im Koalitionsvertrag festgeschrieben und für
die SPD-Fraktion eine Selbstverständlichkeit. Dies er-
möglicht es, die erneuerbaren Energien noch enger mit
den Aufgabenfeldern Umwelt- und Klimaschutz im Rah-
men des Gesamtkonzepts einer nachhaltigen Entwicklung
zu verzahnen.
Wir wissen alle, dass neben Energiesparen und Ener-
gieeffizienz der Ausbau der erneuerbaren Energien als
dritte Säule notwendig ist, wenn wir eine nachhaltige
Energieversorgung in unserem Land verwirklichen wol-
len. Deshalb hat sich die Koalition das Verdoppelungs-
ziel auch erneut auf die Fahnen geschrieben und es präzi-
siert. Bis zum Ende dieses Jahrzehnts wollen wir den
Anteil der erneuerbaren Energien an der Strom- und Pri-
märenergieversorgung auf jeweils mindestens 12,5 Pro-
zent bzw. 4,2 Prozent verdoppeln. 2010 kann nur eine
Zwischenstation sein. Langfristig wollen wir bis zur Mitte
des Jahrhunderts die Hälfte unseres Energiebedarfs aus
den erneuerbaren Energien decken. Dies ist ein Ziel, das
wir gemeinsam mit unseren Nachbarn und Partnern in der
Europäischen Union erreichen wollen, aber auch errei-
chen müssen. Wir wissen: Nur eine Energieversorgung
auf der Grundlage erneuerbarer Energien ist langfristig
nachhaltig und zukunftsfähig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen damit un-
sere zweifach erfolgreiche Politik fort. Warum zweifach
erfolgreich? Zum einen haben wir durch unsere enga-
gierte Politik enorme Zuwachsraten bei der Energieerzeu-
gung aus den erneuerbaren Energien erzielt. In den letz-
ten vier Jahren hat sich der Anteil der erneuerbaren
Energien an der Stromerzeugung um mehr als 50 Prozent
erhöht. Dadurch konnten 44 Millionen Tonnen Kohlendi-
oxid eingespart werden. Allein im Jahre 2001 ist durch die
erneuerbaren Energien mehr CO2 eingespart worden, alsdie Bewohner Berlins in einem Jahr verursachen. Dies
war also ein erheblicher Beitrag.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002 791
Zugleich ist es uns gelungen, eine hochmoderne, zu-
kunftsfähige und überwiegend mittelständisch struktu-
rierte Wirtschaft aufzubauen, in der heute mehr als
130 000 Menschen beschäftigt sind. Während wir bis in
die 90er-Jahre hinein zwar in Forschung und Entwicklung
wissenschaftlich erstklassig waren, in puncto Umsetzung
aber weit hinter anderen Ländern zurücklagen, haben wir
in wenigen Jahren auch bei der praktischen Anwendung
der verschiedenen Technologien eine internationale Spit-
zenstellung erreicht. Heute ist Deutschland weltweit
führend bei der Erforschung und der Markteinführung, ist
Weltmeister bei der Windkraft- und Solarenergie. Dies
eröffnet hervorragende Exportchancen.
Erneuerbare Energien sind grundsätzlich global ein-
setzbar. Damit stellen sie ein Kontrastprogramm zur
Kernenergie dar. Die Produktion erfolgt oft dezentral.
Sinnvollerweise kann sie auch verbrauchernah durchge-
führt werden.
Ein weiterer Aspekt: Sie sind ein wichtiges Element
nachhaltiger Entwicklungspolitik. Ich begrüße und unter-
stütze damit ganz nachdrücklich die von Bundeskanzler
Gerhard Schröder auf der Johannesburg-Konferenz vor-
gestellte Initiative, in den kommenden fünf Jahren insge-
samt 500 Millionen Euro für Projekte zur Förderung er-
neuerbaren Energien in den Entwicklungsländern zur
Verfügung zu stellen.
Weitere 500 Millionen Euro – insgesamt sind es 1 Mil-
liarde Euro – werden wir für die Energieeffizienz auf-
bringen. Beides – Effizienz und erneuerbare Energien –
muss Hand in Hand gehen. Wir haben diese Initiative in
unsere Koalitionsvereinbarung aufgenommen und wer-
den sie auch unter schwierigen Haushaltsrahmenbedin-
gungen in guter Zusammenarbeit mit allen Ressorts so
rasch wie möglich umsetzen.
Der hohe Stellenwert der erneuerbaren Energien be-
legt: Der Haushalt des Bundesumweltministeriums ist ein
echter Zukunftshaushalt und zentraler Baustein im Kon-
zept der Nachhaltigkeit. Inzwischen folgen andere Länder
dieser Erfolgspolitik.
Wir werden den Ausstieg aus der Kernenergie kritisch
begleiten. Dabei ist eines sonnenklar: Kompromisse bei
der Sicherheit gibt es nicht. Mit dieser Erfolgspolitik beim
Dreiklang Energiesparen, Energieeffizienz und erneuer-
bare Energien werden wir in Deutschland auch den Be-
weis dafür erbringen, dass eine hoch entwickelte Indus-
triegesellschaft aus der Kernenergie aussteigen kann,
ohne dass die Wirtschaft Schaden nimmt. Das Gegenteil
ist der Fall: Wir fördern die Wirtschaft und schaffen
Arbeitsplätze auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit.
Zu den Konsequenzen dieser Ausstiegspolitik. Die Ko-
alition wird die staatliche Förderung der Entwicklung von
Nukleartechniken zur Stromerzeugung beenden. Die Ko-
alition wird aber die Forschung zur Erhöhung der Sicher-
heit vorhandener Reaktoren weiter unterstützen.
Noch einige Worte zu Euratom. Der Vertrag dazu
stammt aus einer Zeit, als man glaubte, die Energiepro-
bleme der Welt durch Kernenergie lösen zu können. Da-
mals herrschte eine unglaubliche Aufbruchstimmung. Die
Blütenträume der 50er- und 60er-Jahre sind aber ver-
welkt. Deswegen hat sich der Euratom-Vertrag überlebt.
Der Vertrag ist angesichts der tatsächlichen Verhältnisse
auf dem Energiemarkt und der energiepolitischen He-
rausforderungen ein Anachronismus. Wir wollen ihn in ei-
nen reinen Sicherheitsvertrag umwandeln. Wir treten im
Konvent dafür ein, Euratom und ihren im Dunkeln ausge-
kungelten Haushalt dem Parlament zu unterstellen.
Ich habe den Schwerpunkt Energiepolitik bewusst ge-
wählt. Energiepolitik ist der Kern unserer Politik der öko-
logischen Modernisierung. Für unsere Generation ist es
selbstverständlich, dass Energie zur Verfügung steht.
Über den Ausfall von Strom zum Beispiel zerbrechen wir
uns kaum den Kopf. Besonders ärgerlich wäre es, im
Fahrstuhl einen Stromausfall zu haben. Aber es ist auch
schwer vorstellbar, im Winter einen längeren Stromaus-
fall zu erleben; denn das bedeutete: Wir frieren und
gleichzeitig verdirbt das Gut in der Gefriertruhe.
Die Frage der Energie ist die Frage unserer Zivilisa-
tion, unserer Kultur. Unsere Zivilisation baut auf die si-
chere Versorgung mit Energie. Erst die technische und
versorgungsmäßige Lösung der Energiefragen hat unsere
Industriegesellschaft über Jahrhunderte entstehen lassen.
Deswegen müssen wir zukunftsfähige, nachhaltige Lö-
sungen der Energiefrage finden und umsetzen. Dieser
Prozess ist lang andauernd und kommt nicht zum Still-
stand. Mit unserer Energiepolitik haben wir diesen Pro-
zess eingeleitet. Wir schreiten da weiter voran.
Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, den entspre-
chenden Förderprogrammen und anderen Gesetzen haben
wir eine Erfolgsgeschichte geschrieben. Es waren die
ersten Schritte zu einem Umbau der Energieversorgung.
Leider hat sich die CDU/CSU an dieser Erfolgsgeschichte
nicht beteiligt. Sie haben eine wichtige Zukunftschance
verpasst.
Sie sind nicht oppositionsfähig,
weil Sie keine Antworten auf die Energiefragen haben.
Soweit Sie eine Antwort haben, ist es die Antwort des letz-
ten Jahrhunderts, die lautet: Kernenergie.
– Das ist Ihr Vorschlag! – Herr Paziorek, Sie weisen ja im-
mer wieder auf das Stromeinspeisungsgesetz hin. Das ist
ein Gesetz, das während Ihrer Regierungszeit vom Parla-
ment entwickelt worden ist. Das Parlament hat daran ge-
arbeitet. Ich sage: Auch das EEG ist eher ein Parlaments-
gesetz. Sie haben damals die Chance, die wir Anfang der
90er-Jahre genutzt haben, verpasst.
Horst Kubatschka
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002
Horst Kubatschka
Damit haben Sie auf diesem Gebiet versagt.
– Das freut mich. Dann werden wir ja demnächst hervor-
ragende Vorschläge bekommen. Wir werden sie umset-
zen, wenn sie vernünftig und machbar sind.
Mein Schwerpunkt war, wie gesagt, die nachhaltige
Energieversorgung. Sie ist eine Zukunftsaufgabe, die ei-
gentlich wir alle gemeinsam lösen müssen.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.