Rede von
Dr.
Hermann Otto
Solms
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn man die Presseberichte liest, hat man den
Eindruck, dass in der Regierung und in den sie tragenden
Koalitionsfraktionen das Chaos ausgebrochen ist.
Sie widersprechen sich geradezu stündlich. Vor wenigen
Tagen fordert Herr Müntefering weitere Steuererhöhun-
gen. Er meint, dass die bisherigen noch nicht genug seien.
Wahrscheinlich hat er den Steuersong, den man dem Bun-
deskanzler in den Mund gelegt hat, ernst genommen. Er
will jetzt an unser Bestes, an unseren Zaster, ran –
als ob er nicht wüsste, dass der Staatsanteil am Volksein-
kommen schon heute bei 56 Prozent liegt, das heißt, dass
der Staat 56 Prozent dessen, was die Bürger erwirtschaf-
ten, für sich, für seine Bürokratie und insbesondere für die
unnötigen Ausgaben beansprucht, die die Bundesregie-
rung veranlasst hat. Herr Müntefering will noch mehr.
Was soll denn der Bürger denken, wenn der Bundeskanz-
ler an dem Tag, an dem von seiner Bundesregierung Vor-
schläge für 41 Steuererhöhungen im Parlament einge-
bracht werden, höhere Steuern ausschließt? Das ist doch
ein Skandal.
Die Grünen distanzieren sich zwar öffentlich davon, be-
schließen aber alles mit.
Diese Methode kennen wir ja seit langem. Gerade in der
Steuerpolitik haben Sie sich vier Jahre darin geübt. Frau
Scheel ist Vorreiterin dieser Politik. Diese wird jetzt fort-
gesetzt. In der Rentenpolitik steht uns gerade das Gleiche
bevor.
Ich möchte nur noch ein paar ökonomische Grundsätze
ansprechen, bei denen es sich um Binsenwahrheiten han-
delt, für die Sie nicht Ökonomie studiert haben müssen,
um sie zu verstehen. Wenn Sie ein höheres Steuerauf-
kommen erzielen wollen, dann müssen Sie diejenigen
stärken, die die Steuern erwirtschaften. Sie dürfen die Kuh
nicht schlachten, die Sie melken wollen. Aber genau das
tun Sie. Sie entziehen dem Wirtschaftskreislauf durch Ihre
Maßnahmen 25 Milliarden bis – ansteigend – 35 Milliar-
den Euro pro Jahr. Der entscheidende Fehler der Politik
von Hans Eichel ist: Er redet vom Sparen, aber er gibt
mehr aus.
Unter Sparen verstehe ich weniger ausgeben. Er will sei-
nen Haushalt über die Einnahmeseite sanieren, indem er
die Steuerbelastungen erhöht. Genau das ist falsch. Wenn
Sie wollen, dass die Bürger mehr Geld ausgeben, mehr
konsumieren und dass die Unternehmer mehr investieren,
dann müssen Sie sie entlasten, damit es in der Wirtschaft
besser läuft und Wirtschaftsdynamik entsteht. Nur dann
erhöhen sich die Steuereinnahmen.
Damit Sie uns nicht vorwerfen, wir legten keine Alter-
nativvorschläge vor, weise ich darauf hin: Wir haben
vor der Bundestagswahl ein detailliert ausgearbeitetes
Steuervereinfachungs-, Steuerreform- und Steuersen-
kungsprogrammmit einem Gesamtvolumen von 35Mil-
liarden Euro pro Jahr und auch entsprechende Finanzie-
rungsvorschläge vorgelegt.
Man mag nicht jedem einzelnen Vorschlag zustimmen.
Aber dann soll man andere Vorschläge machen. Wir je-
denfalls haben Vorschläge vorgelegt.
Es macht nur Sinn, steuerliche Ausnahmen, soweit es
welche sind – zum großen Teil handelt es sich um reine
Steuererhöhungen –, zu streichen, wenn dies in ein Steu-
erreformkonzept eingebaut wird, bei dem die Bürger
wissen, dass sie insgesamt steuerlich weniger belastet
werden. Das ist der entscheidende Unterschied.
Das ist genau die Philosophie der Steuerpolitik, die in
einer tiefgreifenden Wirtschaftskrise betrieben werden
müsste.
Zweitens. Zur Haushaltssanierung: Selbstverständ-
lich müssen Sie den Haushalt sanieren, aber nur durch we-
niger Ausgaben. Sie müssen die Strukturen reformieren,
damit sie effizienter werden, damit Bürokratie abgebaut
werden kann, damit die Ausgaben gesenkt werden kön-
nen.
Erst dann entlasten Sie die Wirtschaft, erreichen Sie mehr
Steuereinnahmen und schließen Sie die Lücken im Haus-
halt. Ich sage Ihnen voraus: So, wie Sie es machen, wer-
den Sie erleben, dass die Lücken im Haushalt von Jahr zu
Jahr breiter werden und die Arbeitslosigkeit weiter an-
steigen wird, denn es gibt keine Incentives für mehr Be-
schäftigung.
Drittens. Der zentrale Wettbewerbsnachteil des Stand-
ortes Bundesrepublik Deutschland liegt doch darin, dass
die Produktionskosten in Deutschland zu hoch sind. Die
Produktionskosten setzen sich aus den Kosten für Arbeit
und für Kapital zusammen. Nachdem wir durch die hohen
Lohnzusatzkosten ohnehin die höchsten Arbeitskosten
der Welt haben, müsste es die Politik einer verantwor-
tungsbewussten Bundesregierung sein, bei den Lohnzu-
satzkosten zu Einsparungen zu kommen. Davon haben
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002 767
Sie ja auch gesprochen. Herr Riester hat das immer ge-
wollt. Aber was ist das Ergebnis Ihrer Politik?
Die Beiträge für die Rentenversicherung steigen auf
19,5 Prozent. Sie hatten zugesagt, dass diese unter 19 Pro-
zent bleiben würden. Die Beiträge zu den Krankenversi-
cherungen steigen auf 15 Prozent und mehr an. Das ist
von Versicherung zu Versicherung unterschiedlich. Die
Beiträge zur Arbeitslosenversicherung können nicht sin-
ken, sondern – im Gegenteil – die Arbeitslosenversiche-
rung beansprucht immer mehr Steuermittel, um am Leben
zu bleiben. Das ist genau das Gegenteil dessen, was not-
wendig ist. Die Arbeitskosten steigen, und Sie erreichen
damit steigende Arbeitslosigkeit, was wiederum die
Haushalte beansprucht.
Zu den Kapitalkosten – das ist wirklich phantas-
tisch –: Wenn die Arbeitskosten schon so hoch sind, müss-
ten wenigstens die Kapitalkosten niedrig sein, damit sich
Beschäftigung in Deutschland noch lohnt. Aber in Ihrem
Maßnahmenpaket werden auch die Kapitalkosten erhöht.
Es ist für mich völlig unverständlich, wie in einer solchen
Situation Herr Eichel in der europäischen Diskussion dem
Phantom von Kontrollmitteilungen nachlaufen kann. Sie
müssen sich das einmal praktisch vorstellen. In Europa
gibt es etwa 2,5 Milliarden Bankkonten. Nun soll eine
Bürokratie für Kontrollmitteilungen über diese Unzahl
von Bankkonten mit der Gefahr von unzähligen Namen-
verwechslungen aufgebaut werden. Das ist absurd. Es
gibt – das habe ich Herrn Eichel auch schon mehrfach ge-
sagt – ein ganz einfaches Mittel:
Sie müssen eine einfache Abgeltungssteuer mit einem
niedrigen Zinsniveau einführen, die an der Quelle, näm-
lich bei der Bank, erhoben wird.
Sie brauchen keine Kontrollmitteilungen, denn die
Steuer kann nicht umgangen werden. Das wäre ein Vor-
schlag, der in Europa verfolgt werden müsste. Die
Schweizer haben das der Europäischen Kommission er-
klärt. Die Mitglieder der Kommission sind jedoch nicht
zur Vernunft zu bringen, weil sie von ihren Vorurteilen
und Ideologien nicht abgehen können. Hinzu kommen
natürlich die Steuern auf den Gewinn von Aktien-, Im-
mobilien- und Investmentfondsanteilverkäufen, die Min-
destbesteuerung – das alles führt zur Erhöhung der Kapi-
talkosten – und schließlich die fatale Diskussion um die
Wiedereinführung der Vermögensteuer und die Anspan-
nung der Erbschaftsteuer.Meine Damen und Herren, der
größte Skandal ist jedoch, wie Herr Steinbrück und Herr
Gabriel das begründen, nämlich zur Finanzierung der Bil-
dungspolitik.
Die beiden Herren und ihre Vorgänger, der Superminister
Clement und der Bundeskanzler Gerhard Schröder, haben
doch das Schlamassel der Bildungspolitik in Niedersach-
sen und Nordrhein-Westfalen selber angerichtet.
Und die Bürger sollen jetzt die Suppe auslöffeln.Wir ha-
ben uns international in den Tests der Schüler über alle
Maßen blamiert. Das gilt gerade für die Schüler aus die-
sen Ländern. Jetzt sagen Sie, damit das beseitigt werden
könne, solle der Bürger Vermögensteuer bezahlen. Diese
Begründung ist schon ein absoluter Skandal.
Wir haben in Hessen das Chaos in der Bildungspolitik,
das uns da Rot-Grün zurückgelassen hat, innerhalb von
vier Jahren beseitigt.
Wir haben 3 000 Lehrer eingestellt, ohne neue Steuern
einzuführen.
Diese Lehrereinstellungen haben dazu geführt, dass der
Unterrichtsausfall beseitigt worden ist. Das haben wir vor
der Wahl zugesagt, und das haben wir eingehalten.
Wir werden die Bildungsreform in Richtung auf mehr
Qualität nach der Landtagswahl fortsetzen.
In Niedersachsen haben die Sozialdemokraten genau
das Gegenteil getan. Der Steuerzahler aber soll jetzt die
Zeche bezahlen.
Es ist schon eine gewaltige Frechheit, was Sie uns da zu-
muten.
Hinzu kommen die Mindestbesteuerung und andere
völlig unangemessene Vorschläge. In der Summe kann man
sagen: Der Regierung fehlt einfach ein ordnungspoliti-
sches Konzept.
Ihr fehlt der ökonomische Sachverstand. Herr Eichel,
diesen Vorwurf muss ich Ihnen machen.
Ich will jetzt nicht auf die zusätzliche Besteuerung der
Immobilien eingehen, weil meine Redezeit zu Ende ist.
Ich will nur sagen: Ihre Ideologie sieht anscheinend so
aus, wie es einmal Ronald Reagan den Demokraten in den
USA vorgeworfen hat.
Ronald Reagan hat gesagt: Wenn sich in der Wirt-
schaft etwas bewegt, dann muss man es besteuern. Und
wenn sich immer noch etwas bewegt, dann muss man es
regulieren, bis es erdrosselt wird.
Und wenn sich dann nichts mehr bewegt, dann muss man
es wieder subventionieren. – Das ist Ihre Philosophie ei-
ner Ökonomie.
Dr. Hermann Otto Solms
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002
Dr. Hermann Otto Solms
Das ist aber die Realisierung des demokratischen Sozia-
lismus in der westlichen Bundesrepublik, das ist sozusa-
gen die DDR ohne Honecker.
Das ist aber keine freie Marktwirtschaft. Für eine solche
Politik werden Sie uns nicht als Partner gewinnen können.
Wir werden dieser Politik widersprechen. Wir werden
dafür Sorge tragen, dass vieles von dem, was Sie vor-
schlagen, den Bundesrat nicht überstehen wird.
Vielen Dank.