Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sowohl
die Zahlen des Haushaltsentwurfes 2003 als auch erst
recht die des Nachtragshaushaltes und die Debatte haben
gezeigt, dass die Situation sehr ernst und nur äußerst
schwer zu meistern ist.
Das geben wir zu.
Ich finde es in Ordnung, wenn Sie uns als Opposition
angreifen. Aber dabei dürfen Sie es sich nicht zu leicht
machen. Ich möchte meine Wahrnehmung begründen,
dass Sie es sich zu leicht machen.
Herr Austermann und Herr Merz haben sich zwar nicht
nur – zum Arbeitsmarkt haben sie andere Vorstellungen
vorgetragen –, aber vorrangig mit Vergangenheitsbewäl-
tigung befasst. Natürlich haben sie auch viel als Begrün-
dung für den Untersuchungsausschuss angeführt.
Die Verwirklichung der Vorschläge der FDPwürde uns
dahin bringen – Herr Rexrodt hat auch nicht vermieden,
es auszusprechen –, jetzt im akuten Fall noch mehr Schul-
den zu machen. Das halte ich für völlig unangebracht.
Völlig unangemessen finde ich bei der Ernsthaftigkeit
der Lage, dass Sie, wenn der Finanzminister von dem
spricht, was wir in den letzten vier Jahren gemacht haben,
und wenn er auf die Steuersenkungen hinweist, in Hohn-
gelächter ausbrechen.
Es ist doch so, dass Sie, Herr Austermann – ich habe
das mit Interesse nachgelesen – ,noch in der Finanzde-
batte zum Koalitionsvertrag mit Worten wie Schlamperei
davon gesprochen haben, dass 50 Milliarden an Steuer-
einnahmen im Rahmen der Unternehmensteuerreform
verballert worden seien.
Sie machen es sich zu leicht. Auch Herr Merz bleibt unter
seinen finanzpolitischen Möglichkeiten, die er unbestrit-
ten hat, wenn er behauptet, das beruhe einzig und allein
auf handwerklichen Fehlern. Sie wissen genau, dass das
etwas mit der Konjunktur und mit Tarifsenkungen, die Sie
immer fordern, zu tun hat. Deshalb ist das, was Sie ma-
chen, unwahrhaftig. Das hat auch damit zu tun, was die
Kollegin Hermenau richtig gesagt hat: Sie bewegen sich
auf sehr dünnem Eis, wenn es darum geht, dass Ihnen die
Leute überhaupt noch glauben.
– Ja, die Umfragen sind für die Regierungsparteien im
Moment nicht gut; aber sie zeigen auch keine Begeis-
terung für die Opposition. Ich würde an Ihrer Stelle ein-
mal die Berichterstattung derjenigen Presseorgane sehr
genau lesen, die sicherlich nicht verdächtig sind, es Rot-
Grün leicht zu machen. In diesen Veröffentlichungen wird
klipp und klar geschrieben: So wie Sie sich verhalten, ver-
halten sich Verlierer, die ihre Wahlniederlage nicht ver-
kraftet haben.
Ihnen wird von unabhängiger Seite der Vorwurf gemacht,
das Problem im Grunde genommen zu verstärken. Auch
Sie haben mit der Vertrauenskrise im Grunde eine ganze
Menge zu tun. Ich will unseren Part nicht kleinreden,
wenn ich darauf hinweise, dass Sie die Glaubwürdigkeit
und die Ernsthaftigkeit der Politik infrage stellen. Herr
Austermann, das wird eindeutig auf Sie und auf Ihre Frak-
tion zurückfallen.
Ich will nicht davon sprechen, dass es Sinn macht, ein-
seitige Schuldzuweisungen vorzunehmen. Auch uns ist in
den letzten vier Jahren einiges nicht gelungen. Jetzt muss
man über die Richtung, die wir einschlagen, reden. Ich
möchte ganz deutlich sagen: Ich halte einseitige Schuld-
zuweisungen für lächerlich; aber Selbstzufriedenheit der
Opposition ist mindestens genauso lächerlich.
Herr Austermann, wie können Sie sich hierhin stellen
und behaupten, Sie hätten uns 1998 Wunderbares hinter-
lassen. Die Steuerquote, die Staatsquote, die Lohnneben-
kosten, das alles war 1998 höher als heute.
Nehmen Sie sich eigentlich selbst ernst, wenn Sie gegen
uns argumentieren? Wie Sie das tun, können Sie es kei-
nem glaubhaft machen.
Es ist ebenfalls regelrecht volksverdummend, wenn Herr
Merz wider sein Wissen sagt, er könne mit der Gesamt-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002 769
verschuldung gegen Rot-Grün argumentieren. Der Auf-
wuchs der Gesamtverschuldung in der letzten Phase Ihrer
Regierungszeit lag mit 141 Milliarden Euro immer noch
weit über dem, was wir angehäuft haben. Das gilt selbst
dann, wenn man die UMTS-Erlöse weglässt.
–Das ist nicht wahr. Sie können das genauso mit der Netto-
kreditaufnahme begründen.
Wenn Sie also meinen, Sie hätten uns 1998 etwas Gutes
übergeben, dann ist dieses Urteil selbstgerecht. Ich will
Ihnen sagen: Sie können keinem Menschen in diesem
Land – wir, die Politiker der Regierung und der Regie-
rungskoalition, sind in dieser Hinsicht nicht so wichtig –
glaubhaft machen, dass unsere Haushaltsprobleme erst
seit vier Jahren bestehen. Die Menschen wissen, dass es
um viel ernstere und grundsätzlichere strukturelle Ände-
rungen geht.
Ich möchte noch auf eine Unehrlichkeit eingehen, die
mich besonders sorgt: die Unehrlichkeit in der Debatte
über steuergesetzliche Änderungen. Heutzutage – das be-
dauere ich sehr – ruft man in ein und demselben Atemzug
nach dem Abbau von Ausnahmetatbeständen, also
nach dem Schließen so genannter Schlupflöcher, und mo-
kiert sich darüber, dass wir mit diesem Gesetz unverzeih-
liche Steuererhöhungen vornähmen.
Dazu muss ich Ihnen einmal Folgendes sagen: In Ham-
burg, wo ich herkomme, ist Herr Uldall, ein geschätzter
Kollege von Ihnen, Wirtschaftssenator.
Er ist immer mit der Forderung nach einem radikalen Ab-
bau von Steuervergünstigungen angetreten. Wir müssen
uns doch fragen, ob wir ein einfaches und transparentes
Steuersystem wollen. Wenn auch Sie das wollten, dann
müssten Sie den Schneid haben zu sagen: Wir machen
diesen Abbau von Sondertatbeständen mit. Sie können
uns treiben, indem Sie fordern, die Tarife noch mehr zu
senken, als wir es 2004 und 2005 machen werden. Wenn
wir das täten, hätten wir es aber mit dem Problem eines
Haushaltsdefizits zu tun, das nicht mehr europaverträg-
lich ist.
Sie reden immer wieder Steuererhöhungen herbei. Das
führt auch dazu, dass wir eine sehr unwahrhaftige und
wirklich verlogene Steuerdebatte in Deutschland führen.
Ich bedauere das. Auch Sie wollten bei Steuervereinfa-
chungen mitmachen. Wir werden aber auch ohne Sie
dafür sorgen und wir werden den eingeschlagenen Weg
durchstehen.
Ich möchte etwas zur Struktur des Sparpakets sagen.
Entgegen unserem ersten Regierungsentwurf müssen wir
im Haushalt 2003 18 Milliarden Euro konsolidieren.
2,8 Milliarden Euro dieser 18 Milliarden Euro werden
durch den Abbau von Steuervergünstigungen eingespart.
3,4 Milliarden Euro, also ein relativ geringer Teil, werden
durch das Heraufsetzen der Nettoneuverschuldung – si-
cherlich kein schöner Vorgang – finanziert. 11 Milliar-
den Euro, also der allergrößte Teil, werden durch Ausga-
benbegrenzungen eingespart. Sie müssen zur Kenntnis
nehmen – wir werden das auch nach außen hin so vermit-
teln –, dass das ein sozial sehr ausgewogener Mix ist, der
uns vor allem im Hinblick auf die Struktur des Haushalts
voranbringen wird. Diese Maßgabe setzen wir uns selbst.
– Das hat nichts mit Glauben zu tun. Es ist vor allem wich-
tig, die Aufgabe ernst zu nehmen. Dieses Sparpaket ist
nicht verzichtbar.
Wenn Sie die Sätze von Herrn Solbes lesen, der sowohl
die Regierung als auch die Opposition ermahnt, nicht
nachzulassen bei diesen Sparbemühungen, dann müssen
Sie zugeben, dass er Recht hat. Leider ist hier eines von
Ihnen angedeutet bzw. angekündigt worden: Das größte
Risiko für eine vernünftige Haushalts- und Finanzpolitik
ist die CDU/CSU.
Ich will das Blockaderisiko auf der Länderseite ein-
mal in Milliarden betiteln: Das sind 1,5 Milliarden Euro
in 2003 und das wächst extrem auf 4,6 und 6,7 Milliar-
den Euro an, allein für den Bundeshaushalt in den Folge-
jahren. Die Länder, die auch ordentlich ächzen, hätten
eine Haushaltsverbesserung von 2 Milliarden Euro im
nächsten Jahr, wachsend auf 6,9 und 10 Milliarden Euro.
Man kann das alles verteufeln, wie die FDP es machen
will, indem sie sagt: Wir wollen nicht mehr Steuern ein-
nehmen. Ich sage Ihnen: Steuern einzutreiben ist aufgrund
einer besseren Effektivität sinnvoll und richtig. Sie müs-
sen sich vorstellen, was für Folgen es hat und was es für
die Weichenstellung des Haushalts 2004 bedeutet, wenn
Sie das nicht mitmachen. Ich möchte an dieser Stelle nicht
vergessen, dass wir ab 2004 und 2005 im Grundsatz eine
große Steuerreform machen, bei der es um weitgehende
Steuerentlastung über die Tarife geht. Ich wiederhole:
Wir wollen die Vereinfachung und ein Absenken der Ta-
rife. Eigentlich waren wir uns da einmal einig.
Ich komme jetzt abschließend noch kurz zum wichtigs-
ten Punkt und blicke in die Zukunft. Es ist so, dass ich ei-
nes in dieser Debatte insbesondere von der Oppositions-
seite vermisst habe. Ich glaube, das Hauptproblem in
unserem Haushalt liegt nicht auf der steuerlichen Seite.
Das Hauptproblem ist nicht, dass die Steuerquote zu hoch
wäre. Das Hauptproblem besteht vielmehr darin, dass wir
in der Vergangenheit nicht die Strukturreformen in den
Systemen der sozialen Sicherung vorgenommen haben,
die nötig sind; sie waren im Übrigen auch schon zu Ihrer
Zeit nötig. Hierüber und zum Thema Rente verlieren Sie
in dieser Debatte kein Wort, obwohl Sie – ich bin ja neu
Anja Hajduk
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002
Anja Hajduk
in diesem Hause – wissen müssten, dass die Alters-
sicherungskosten mit den Zinsen zusammen fast 60 Pro-
zent ausmachen. Wie können Sie über Verschuldungs-
und Rentenfragen so stetig innerhalb dieser ganzen
Stunde hinweggehen?
Das zeigt auch, dass Sie zu einer zukunftsweisenden,
ganz soliden Haushaltspolitik, gar Haushaltssanierung,
nicht imstande sind.
Liebe Opposition, ich fände es besser, wenn Sie uns mehr
antreiben würden, wenn Sie sich mehr Mühe mit dem
Blick nach vorn geben würden.
Mit Ihrem Blick voll konzentriert zurück in den Unter-
suchungsausschuss,mit dieser Nabelschau sind Sie keine
Alternative für irgendeine Übernahme von Regierungs-
verantwortung.
Ich verspreche Ihnen, wir machen die Strukturrefor-
men auch ohne Sie. Bei uns hat das die Überschrift: weg
vom Schuldenstaat – zur generationengerechten Finanz-
politik. Wir machen es, wie gesagt, auch ohne Sie, aber
vielleicht sind Sie in den nächsten Jahren irgendwie ein-
mal wieder an Deck.
Vielen Dank.