Rede von
Walter
Schöler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Austermann, Sie sind sich wieder mal treu
geblieben. Sie zeichnen hier ein Zerrbild der Realität. Sie
operieren mit Halbwahrheiten. Das haben wir zum Bei-
spiel im Zusammenhang mit der Zahl der Existenzgrün-
dungen – sie liegt bei über 70 000 – gesehen. Sie erwäh-
nen nur diejenigen, die es aus den verschiedensten
Gründen, häufig aus persönlichen Gründen, nicht ge-
schafft haben, ihre Existenz zu erhalten. Sie kommen mit
alten Rezepten. Sie haben keinen einzigen neuen Vor-
schlag. Sie kritisieren die Regelungen, die zwischen Bund
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und Ländern einvernehmlich getroffen worden sind, und
wollen davon ablenken, dass auch die CDU-geführten
Länder viele der Kompromisse, die Sie jetzt beklagen, in
der Vergangenheit mitgetragen haben.
Ich stelle fest: Finanzminister Eichel hat seit seinem
Amtsantritt einen konsequenten Konsolidierungskurs ge-
fahren. In erheblichem Maß wurden Ausgaben verringert
und wurde die Neuverschuldung zurückgeführt. Bereits
im Jahr 2001 hatten wir die Neuverschuldung mit
22,8 Milliarden Euro auf den niedrigsten Stand seit 1993
gesenkt. Unser Ziel bleibt unverändert – da mögen sie hier
sagen, was Sie wollen – der völlige Abbau der Neuver-
schuldung bis zum Jahr 2006.
Diese für die Bürger überzeugende Strategie solider
Staatsfinanzen war – das mag Ihnen nicht passen – auch
ein wichtiger Faktor für unseren Wahlsieg am 22. Sep-
tember. Wir wissen ganz genau: Die Haushalte 2002 und
2003 müssen die gesunkenen Steuereinnahmen und auch
die Mehrausgaben auf dem Arbeitsmarkt verkraften. Da-
mit stehen wir vor einer gewaltigen Aufgabe, die wir auf
ehrliche und überzeugende Weise bewältigen werden.
Es ist keine Frage: Die Haushaltslage ist derzeit ohne
Zweifel schwierig. Wenn Sie nun aber in fast blanker Wut
– wütend wahrscheinlich über sich selbst und über das
Wahlergebnis – und mit unerträglichen Wortschöpfungen
eine Hetzkampagne lostreten und behaupten, vor der
Wahl habe Eichel schon gewusst, was er heute weiß, so ist
das billiger Populismus. Im Übrigen: Mit all diesem Wis-
sen sind die Länderfinanzminister, die das Geld ja eintrei-
ben, vermutlich immer einen Tick früher dran gewesen.
Also: Rot-Grün hat keine Wahllüge und keinen Wahlbe-
trug zu verantworten. Die Wahrheit ist, dass vor dem
großen Steuertermin Ende September keine halbwegs
verlässliche Vorausschätzung möglich war; das wissen
Sie ganz genau. Lüge oder Betrug, wie Sie es immer nen-
nen, ist nicht gegeben. Im Gegenteil: Der Finanzminister
hat überhaupt keinen Zweifel daran gelassen – das hat er
heute Morgen noch einmal gesagt und bestätigt –, dass der
Haushalt auf Kante genäht war und dass es schwierig sein
würde, Einnahmeverschlechterungen aufzufangen.
Außerdem: Vor der Bundestagswahl erfolgte die Haus-
haltssperre durch den Finanzminister. Das haben Sie
offensichtlich schon vergessen. Diese Maßnahme von
Hans Eichel war verantwortungsbewusste Politik, im Ge-
gensatz zu dem, was sich einige Ihrer Länderfinanzminis-
ter erlaubt haben.
Mit dem Untersuchungsausschuss werden Sie ein Ei-
gentor schießen. Viel Spaß dabei! Ich hoffe, Sie haben
genügend Vergnügen. Wer so von der eigenen Wahlnie-
derlage und, wie sich heute Morgen wieder gezeigt hat,
von der eigenen Konzeptlosigkeit ablenken will, der er-
stürmt – das schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ Ihnen
treffend ins Stammbuch – den Gipfel der Lächerlich-
keit.
Wer einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu
einem Wahlkampfgericht degradieren will und damit ein
Recht für sich in Anspruch nimmt, das nur dem Wähler
zusteht, der wird in vier Jahren bei der nächsten Wahl wie-
derum scheitern.
Die Bürger sind im Übrigen nicht so dumm und so ver-
gesslich, wie Sie es gerne hätten. So fragte der „Stern“ in
der vorigen Woche, wer oder was die Hauptschuld an den
Finanzproblemen in Deutschland trage. Wie waren die
Antworten? – Am meisten genannt wurde der Faktor „zu
viel Bürokratie“ – darüber sind wir uns alle einig –, an
zweiter Stelle folgte die Nennung „Weltwirtschaftskrise“,
an dritter Stelle „Regierung Kohl“, an vierter Stelle „Wie-
dervereinigung“ und an fünfter Stelle – das ist sehr inter-
essant – „sture Interessenverbände“. Die Bürger wissen
also sehr wohl einzuschätzen, wo die Ursachen der Misere
liegen.
Der von Ihnen angestrebte Untersuchungsausschuss
wird belegen: Nicht wir, sondern Sie von der Union und
von der FDP sind die Wahlbetrüger.
Das war auch 1998 so – um das deutlich zu machen, muss
ich gar nicht die „blühenden Landschaften“ oder die
berühmte „Portokasse“ bemühen –, als Sie vor der dama-
ligen Bundestagswahl die Wähler mit einem völlig un-
seriösen, rechtswidrigen und unehrlichen Haushalt für 1999
getäuscht haben. Dieser Etat wies ein Loch von rund
30 Milliarden DM auf. Sie haben uns anschließend, als
wir das korrigierten, diffamiert, wir hätten diesen Haus-
halt ohne Not zunächst ausgeweitet. Nein, es waren die
waigelschen Tricksereien, die diese Maßnahmen erfordert
haben.
Im letzten Wahlkampf haben Sie die Wähler im Übri-
gen wieder betrogen. Ihre Versprechungen hätten bis zu
70 Milliarden Euro gekostet. Herr Stoiber ist mit diesen
Versprechungen durchs Land gezogen. Dabei wusste er
ganz genau, dass es dafür nicht den geringsten finanziel-
len Spielraum gab. Das nenne ich Betrug.
Wenn ich zum Beispiel an das von Ihnen versprochene
Familiengeld denke, dann fällt mir das in den letzten Ta-
gen ins Gespräch gekommene Überraschungsei ein. Ihre
Versprechen waren wohl Ihr Überraschungsei für den
Wahlkampf; Sie haben nur vergessen, welche Warnung
über den Inhalt zu lesen ist, nämlich: „nicht geeignet für
Kinder unter drei Jahren“. Daran hätten Sie denken sollen.
Als dann die veränderte Haushaltslage im Oktober ver-
lässlich absehbar war – es war wichtig, dass diese
Erkenntnisse verlässlich waren –, hat Rot-Grün sofort ge-
handelt. Der Finanzminister hat noch vor der Steuer-
schätzung einen Nachtragshaushalt für 2002 angekündigt
und die Koalition hat ein Maßnahmenpaket geschnürt, um
Mindereinnahmen für 2003 und die Folgejahre aufzu-
fangen und dabei zugleich Wachstum und Beschäftigung
zu stimulieren.
Der jetzt zu korrigierende Haushalt 2002 war grund-
ehrlich aufgestellt. Die Unterstellungen auch von Herrn
Austermann sind aus der Luft gegriffen; denn die Annah-
men zu Wachstum und Beschäftigung in diesem Haushalt
Walter Schöler
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002
Walter Schöler
deckten sich mit den Prognosen aller einschlägigen wis-
senschaftlichen Institute und Institutionen, die zusam-
mengefasst lauteten, man erwarte ein sich im Verlauf des
Jahres verstärkendes Wachstum.
Meine Damen und Herren, der Nachtragshaushalt ist
auch mit der Verfassung vereinbar.
Herr Austermann ist auf diesen Punkt eingegangen; des-
halb will auch ich diesem Punkt einige Ausführungen
widmen. Die Feststellung der grundsoliden Veranschla-
gung ist für mich wichtig; ich will im Folgenden einerseits
auf den Haushalt 2002 eingehen und andererseits den Ge-
gensatz zu Kohl und Waigel aufzeigen. Da so etwas ja be-
kanntlich schnell aus dem Gedächtnis gerät: 1996 und
1997 haben sie – Herr Austermann war dabei –, trotz un-
serer Warnung und der Rüge durch die Wissenschaft, die
Ausgaben für den Arbeitsmarkt massiv und erkennbar zu
niedrig veranschlagt. 1996 hat sich Waigel noch gerettet,
indem er am Parlament vorbei verfassungswidrig Rest-
kreditermächtigungen von 18,4 Milliarden DM zur Finan-
zierung einsetzte. 1997 bestand die gleiche Situation. Da-
mals kamen Kohl und Waigel an einem Nachtragshaushalt
allerdings nicht mehr vorbei, da wir wegen des Einsatzes
dieser Restkreditermächtigungen nach Karlsruhe gegan-
gen sind. Dabei überschritten Sie die Verfassungsgrenze
des Art. 115 des Grundgesetzes deutlich und mussten des-
halb wegen zuvor schon erkennbarer massiver falscher
Veranschlagungen die Störung des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts feststellen, um nicht auf Grund zu laufen.
Die Situation für 2002 ist hingegen völlig anders; denn
Grundlage ist ein solider Haushaltsplan. Bei der Steuer-
schätzung im Mai herrschte hinsichtlich der Annahmen zur
wirtschaftlichen Entwicklung bei den Instituten weitge-
hend Einigkeit. Die Absenkungen durch die Maischätzung
wären im Haushalt 2002 durchaus zu verkraften gewesen.
Aber im Mai haben sich eben alle geirrt oder verschätzt und
sich anschließend korrigieren müssen. Nach der Novem-
berschätzung wird der Bund 8,5 Milliarden Euro weniger
Steuern einnehmen als geplant. Außerdem sind wegen der
– dazu parallel verlaufenden – unbefriedigenden Entwick-
lung auf dem Arbeitsmarkt 5 Milliarden Euro zusätzlich
aufzuwenden.
Diese 13,5 Milliarden Euro sind nun im Nachtrags-
haushalt ausgewiesen und werden durch eine erhöhte
Kreditaufnahme gedeckt. Damit steigt die Kreditauf-
nahme – ich muss hinzufügen: leider – auf 34,6 Milliar-
den Euro und liegt damit deutlich über den Investitionen
von 25 Milliarden Euro sowie deutlich jenseits der Ver-
fassungsgrenze. Deren Überschreitung setzt eben die
Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vo-
raus. Das ist in diesem Jahr angesichts von circa
150 000 Arbeitslosen mehr und 200 000 Beschäftigten
weniger als geplant und prognostiziert ernsthaft der Fall.
Zudem liegt das reale Wachstum bei 0,5 Prozent statt, wie
zunächst geplant, bei 1,25 Prozent.
Nun gibt es gegen unsere Inanspruchnahme der Aus-
nahmeregelung zwei Vorwürfe. Der Sachverständigenrat
meint, die Feststellung dürfe nur erfolgen, wenn eine we-
sentlich größere Zielverfehlung als in den Jahren zuvor
gegeben sei. Dies sei 2002 nicht der Fall. Diese Argu-
mentation ist überhaupt nicht logisch. Richtig ist nämlich,
dass auch 2001 die Werte von Wachstum und Be-
schäftigung nicht zufrieden stellend waren. Aber durch
unsere Konsolidierungspolitik und durch die vorsichtige
Veranschlagung konnten wir dennoch deutlich unter der
von Art. 115 des Grundgesetzes vorgegebenen Grenze
bleiben. Will man uns also aus der soliden Politik 2001,
die die Probleme damals beherrschen konnte, in diesem
schwierigen Jahr 2002 einen Strick drehen? Sie wollen es
offensichtlich. Die wirtschaftliche Situation rechtfertigt
es, die Ausnahmeregelung in Anspruch zu nehmen. Die so
genannten automatischen Stabilisatoren wirken und wer-
den über zusätzliche Kredite finanziert.
Es ist eben in den Wortbeiträgen deutlich gemacht
worden: Eine Deckung der Lücke in dieser Höhe durch
Ausgabenkürzungen noch kurz vor Jahresschluss wäre
unvertretbar. Rechtsverpflichtungen binden uns. Inves-
titionsmaßnahmen sind auch angesichts der konjunkturel-
len Lage nicht einfach stillzulegen; das wissen Sie genau.
Das würde die Wirtschaft beschädigen. Darüber hinaus
würden sicherlich noch Konventionalstrafen drohen.
Die Vorgaben zu Art. 115 des Grundgesetzes hinsicht-
lich einer aktiven Bekämpfung der Wirtschafts-
schwäche werden ebenfalls erfüllt. Der Nachtrag 2002
kann nämlich nur in Verbindung mit den Folgejahren ge-
sehen werden. Diese zeigen eine klare Wachstums- und
Beschäftigungsstrategie auf. Ich nenne nur als Stichworte
die Reformen am Arbeitsmarkt und im Sozialsektor sowie
die zusätzlichen Stufen der Steuerreform, die 2004 und
2005 kommen werden. Das Geschrei über zu hohe Steuer-
und Abgabenbelastungen ist angesichts der harten Fakten
einfach absurd.
Manchmal hatte ich in Veranstaltungen den Eindruck,
dass die breite Masse der Bevölkerung permanent mit
ihren Dienstwagen privat unterwegs ist und nur damit be-
schäftigt ist, ihre Aktienpakete zu verschieben und gele-
gentlich einen Teil des Mietwohnbesitzes zu veräußern,
um dann zu klagen, dass auf diese Veräußerungsgewinne
plötzlich Steuern zu zahlen sind. Das ist eben nicht die
Wirklichkeit in Deutschland. Das ist nicht die Wirklich-
keit bei breiten Schichten der Bevölkerung, die diesen po-
pulistischen Äußerungen, Medienschlagzeilen folgen,
und meinen, sie seien betroffen.
Wir betreiben eine aktive Bekämpfung der Wirt-
schaftsschwäche. Das Geschrei, das wir in den letzten
Wochen gehört haben und das Sie bis zum 2. Februar 2003
anstimmen werden – ich vermute, danach wird es etwas
ruhiger werden –, wird den Fakten einfach nicht gerecht.
Die Lage ist nicht rosig; das wissen wir. Aber sie ist viel
besser als Ihre Miesmacherstimmung.
Manchmal hat man den Eindruck: Wird den Egoismen
einer Gruppe nicht nachgegeben, Herr von Klaeden, wird
das Geplante sofort öffentlich verteufelt.
Fakt ist, wir haben in den vergangenen Jahren bei den
Netto- und Realeinkommen eine Trendwende geschaffen.
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Von 1994 bis 1998 sanken sie pro Jahr um 1,5 Prozent.
Seit 1998 steigen sie im Jahresdurchschnitt um fast
1,2 Prozent an. Das ist der Unterschied zwischen Ihrer Po-
litik damals und unserer Politik heute. Die Nettolöhne je
Arbeitnehmer lagen 2001 im Durchschnitt um real
534 Euro über dem Niveau des Jahres 1998.
Diese erfreuliche Trendumkehr ist vor allem eine Folge
der deutlichen Ausweitung des Grundfreibetrags – die ha-
ben Sie in dieser Form ja nicht geschafft –, der Absenkung
des Eingangssteuersatzes und der enormen Anhebung des
Kindergelds. Im Jahr 2002 setzt sich diese Entwicklung fort.
Damit komme ich wieder zur Steuerschätzung. Zuge-
geben, die Maischätzungen und nun erneut die Novem-
berschätzungen haben hohe Mindereinnahmen ausgewie-
sen. Daraus aber den Schluss zu ziehen oder den Eindruck
zu vermitteln, es handele sich um einen Absturz der Kon-
junktur, ist falsch. Abgestürzt sind in Wirklichkeit die
Steuereinnahmen, was mit der wirtschaftlichen Entwick-
lung nur zum Teil zu tun hat. Vielmehr haben sich offen-
sichtlich Verhaltensparameter der Bürger verändert und
sind Auswirkungen der einzelnen Schritte der Steuerre-
form unterschätzt worden.
Der Steuerrückgang ist für den Staat zwar bitter, für die
Bürger aber positiv. Denn 2002 steigt das Bruttoinlands-
produkt um 45 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr,
die Steuereinnahmen gingen aber um 7 Milliarden Euro
zurück. Irgendwo muss das Geld aber bleiben. Die Bürger
haben also auch 2002 – entgegen den verfälschenden Dar-
stellungen – deutlich mehr Geld in der Tasche als zuvor,
besser gesagt: mehr Geld auf ihren Konten. Entsprechend
geht auch die Steuerquote, die 1998 noch bei 22,1 Pro-
zent lag, auf 20,8 Prozent zurück – das ist der niedrigste
Wert in der Nachkriegsgeschichte – und sinkt die Abga-
benquote auf 38,2 Prozent. Das ist der niedrigste Wert seit
1970. Das sind klare Fakten, wie wir sie begrüßen!
Der Haushaltsentwurf 2003 zeigt: Der Bund trägt sei-
nen Anteil dazu bei, nach der nicht zu vermeidenden
Überschreitung der Maastricht-Defizitgrenze in 2002
künftig die 3-Prozent-Grenze wieder deutlich zu unter-
schreiten. Da mögen Sie unken, wie Sie wollen. Deshalb
sind Länder und Gemeinden – besonders die Länder –
aufgefordert, gemäß den Vereinbarungen im Finanzpla-
nungsrat auch ihren notwendigen Beitrag zu leisten und
die auf den Weg gebrachten Maßnahmen mitzutragen.
Dies wird nur gehen, wenn die Union den Bundesrat nicht
aus kurzsichtigen taktischen Gründen als Blockadeinstru-
ment missbraucht, wie Sie das offensichtlich vorhaben.
Der Finanzminister hat es geschafft, für 2003 einen
Entwurf mit einer Nettokreditaufnahme von nur 18,9Mil-
liarden Euro und damit der niedrigsten Neuverschuldung
seit der Wiedervereinigung vorzulegen. Dafür gebührt
ihm Dank und Anerkennung.
Nachhaltige Finanzpolitik, wie wir sie verstehen, er-
schöpft sich aber nicht allein in der Konsolidierung; viel-
mehr gestaltet sie gleichzeitig. Diesen Zweiklang spiegelt
der Entwurf 2003 deutlich wider. Hans Eichel hat heute
Morgen deutliche Worte zu den anstehenden Reformen
gefunden.
Mit der Umsetzung der Vorschläge der Kommission
„Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ gestalten wir
die größte Arbeitsmarktreform der Nachkriegsgeschichte.
Diese belebt den Arbeitsmarkt und verbessert auch nach-
haltig die Situation der Ausgaben und Einnahmen im Bun-
deshaushalt und bei der Bundesanstalt. Zukunftssichernde
Ausgaben für Familie, Bildung, Forschung und Infrastruk-
tur werden trotz der erheblichen konjunkturbedingten Haus-
haltsbelastungen auf hohem Niveau gehalten oder verstärkt.
Hinzu kommen Verbesserungen der Innovationsfähigkeit
der mittelständischen Wirtschaft und die Fortführung der
Agrarwende. Wenn man unter vier Augen mit den Vertretern
der Verbände spricht, hört sich das erfahrungsgemäß oft an-
ders an als in offiziellen Veranstaltungen.
Außerdem kommen – das betone ich ausdrücklich – in
den nächsten vier Jahren auch noch 4 Milliarden Euro zu-
sätzlich für 10 000 Ganztagsschulen hinzu.
Das Geld stellen wir bereit. Das ist ein Angebot an die
Länder. Das ist verantwortliche Politik. Ich sage dazu nur:
Versprochen und Wort gehalten!
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sind
die Antwort auf die Frage nach neuen Konzepten heute
wieder schuldig geblieben; denn Sie haben keine. Die For-
derungen, die in dem Wulff-Papier, das gestern präsentiert
worden ist, erhoben werden, oder Ihre Forderungen, die Sie
teilweise den Wirtschaftsverbänden nachbeten, wie „Weg
mit der Mitbestimmung“, „Weg mit Flächentarifverträ-
gen“, „Weg mit dem Kündigungsschutz“, „Weg mit dem
Sonn- und Feiertagsschutz“, „Mehr Druck durch eine – ,un-
vertretbare‘ – große soziale Spreizung“ hin zur Grundver-
sorgung bei der Renten- und der Krankenversicherung und
zu Wahlleistungen nach Größe des Portemonnaies haben
wir lange genug gehört. Das ist nicht unser Verständnis des
verfassungsrechtlichen Sozialstaatsgebots. Dafür haben
uns die Wählerinnen und Wähler am 22. September die-
ses Jahres nicht ihre Stimme gegeben.
Wir scheuen nicht die kritische Auseinandersetzung mit
Ihnen über den Haushalt. Wir laden Sie geradezu ein, Ihre
Vorschläge endlich einzubringen, auch wenn diese Einla-
dung offensichtlich vergeblich ist. Früher, als Sie regiert
haben, haben Sie den Menschen einmal vorgeworfen: Sie
klagen, aber auf hohem Niveau. Ich stelle heute fest: Sie
klagen, aber viel Niveau ist nicht mehr vorhanden.
Hans Eichel genießt unser Vertrauen. Deshalb werden
wir unseren Weg für Erneuerung, Gerechtigkeit und
Nachhaltigkeit gemeinsam mit ihm weitergehen.