Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Kol-
legin Hermenau hat dazu aufgefordert, ihr bei ihren Re-
formvorschlägen zu folgen. Sie hat allerdings keine ge-
macht. Sie hat darauf verwiesen, dass Kommissionen
eingesetzt worden sind. Betrachtet man die Situation des
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002 759
Bundeshaushalts, dann ist festzustellen: Die Haushalts-
und Finanzkrise Deutschlands besteht – auch nach ihrer
letzten Rede – nach wie vor und sie wird sich aufgrund
der Maßnahmen, die Rot-Grün getroffen hat, eher ver-
schlechtern.
Ich möchte konkrete Aussagen dazu machen, wie sich
aus unserer Sicht die Entwicklung verbessern lässt. Aller-
dings ist die Art und Weise, wie bisher – auch seitens des
Finanzministers – debattiert worden ist, nicht dazu geeig-
net, zu sagen: Jetzt fangen wir ganz neu an und vergessen
all das, was in der Vergangenheit stattgefunden hat.
Wir haben Ihnen 1998 die Regierung des Landes bei
3 Prozent Wachstum, einer drastisch sinkenden Arbeits-
losigkeit
und bei beschlossenen Reformen im Gesundheitsbereich,
bei der Rente und auf dem Arbeitsmarkt überlassen.
Das hat dazu geführt, dass die Krankenkassen Über-
schüsse erwirtschafteten und die Rente mit der Einbezie-
hung des demographischen Faktors auf sicherem Wege
war. Wir haben einen Weg eingeleitet, dessen Erfolge
Gerhard Schröder im Mai 1998 vorwegnehmen wollte, in-
dem er sagte, dies sei sein Aufschwung, weil sich alle
Leute auf das freuten, was nach der Wahl käme.
Das Ergebnis war: All das, was an positiven Ansätzen
erreicht worden ist, wurde zunichte gemacht. Die Belas-
tungen, die die Menschen zu tragen hatten – ich will das
Bild der Kollegin Hermenau aufnehmen: Der Rucksack
war 1998 leer –,
sind in dramatischer Weise vergrößert worden. Um Le-
gendenbildungen gar nicht erst zuzulassen: Die Kollegin
Hermenau hat zusammen mit dem Kollegen Metzger und
den übrigen Grünen Schmiere
bei den Entwicklungen der letzten vier Jahre gestanden.
Alle haben alles mitgemacht, jede einzelne Maßnahme ist
im Haushaltsausschuss beschlossen und von Ihnen abge-
nickt worden.
Ich möchte ein paar der Vokabeln aufnehmen, die be-
reits genannt worden sind. Wir debattieren heute über den
Nachtragshaushalt 2002. Man fragt sich: Warum ma-
chen wir kurz vor Jahresende einen Nachtragshaushalt?
Der Nachtragshaushalt ist erforderlich, weil der Bundes-
finanzminister zusätzliche Kredite in einer Größenord-
nung von mindestens 13,5 Milliarden Euro braucht. Das
hat sich in den letzten sechs Wochen herausgestellt, meint
er. Vorher hat er das nicht gewusst; denn sonst hätte er be-
reits im Juni, Juli oder August einen Nachtragshaushalts-
entwurf vorlegen müssen, wozu wir ihn auch aufgefordert
haben.
Das grundsätzliche Problem der Finanz- und Haus-
haltspolitik unter Hans Eichel ist, dass eine solche gestal-
tende Politik nicht gemacht wird. Jeder normale Mensch
hat gesehen, dass seit anderthalb Jahren die Zahl der Ar-
beitslosen strukturbereinigt steigt und das wirtschaftliche
Wachstum auf Null geht, dass es Warnungen der Sach-
verständigen gab – Herr Finanzminister, man muss nicht
nur die Sachverständigenprognosen für das Jahr lesen,
sondern auch die Ratschläge, die die Sachverständigen
geben, damit das Ganze ins Laufen kommt –, sodass für
jedermann erkennbar war, dass es mit der Finanzsituation
in Deutschland abwärts geht.
Weshalb hat denn, Herr Eichel, die EU-Kommission
im Januar dieses Jahres darauf hingewiesen, dass ein
blauer Brief droht? Mit welchen Maßnahmen haben Sie
dazu beigetragen, das zu verniedlichen und zu verdrän-
gen? Nach der Berichterstattung in den Medien vermute
ich, dass der Bundeskanzler Sie gezwungen hat, das zu
tun, da er nicht wollte, dass vor der Wahl offenkundig
wird, was Herr Metzger bestätigt hat, dass nämlich die Fi-
nanzpolitik gescheitert ist. Nichts anderes ist es doch,
wenn man dieMaastricht-Kriterien sowohl bei der Ge-
samtverschuldung als auch bei der Nettoneuverschuldung
überschreitet. Beide Ziele haben Sie gerissen.
Das war für jedermann erkennbar und Sie können nicht
erzählen, die Zahl der Existenzgründungen habe zuge-
nommen. Gehen Sie einmal in die Verwaltungsräte der
Kreditanstalt für Wiederaufbau und der Deutschen Aus-
gleichsbank. Da werden Sie erfahren, dass das Ganze ein-
gebrochen ist. Wenn sich Menschen nicht mehr in einem
neuen Betrieb verantwortlich fühlen wollen, wenn sie
keine Existenzgründungen vornehmen wollen, dann kann
man doch daraus den Schluss ziehen, dass ihnen das Ver-
trauen in die Zukunft fehlt.
Wenn das Vertrauen in die Zukunft fehlt und die Ar-
beitslosigkeit und die staatlichen Schulden zunehmen, lässt
das nur einen Schluss zu: Die Finanzsituation verschlech-
tert sich. Das führt zu der Schlussfolgerung, die wir schon
vor der Wahl gezogen haben.
Damit ganz deutlich wird, wer wem was gesagt hat,
füge ich hinzu: Wir haben an unsere Kollegen in der Haus-
haltsgruppe vor der Wahl ein kleines Heftchen verteilt.
Anfang Juli, als der erste Entwurf des Haushaltsplans für
das kommende Jahr vorgelegt wurde, haben wir darin ge-
schrieben:
Haushaltsentwurf 2003 ist geschönt und ohne Per-
spektive. Er basiert auf unrealistischen gesamtwirt-
schaftlichen Annahmen: Wachstum mit 2,5 Prozent
und Arbeitslosenzahl mit 3,82 Millionen angenom-
men. Totales Versagen von Rot-Grün bei Bekämp-
fung der Arbeitslosigkeit. ... Bei Wachstum und
Staatsdefizit hat Deutschland unter Rot-Grün die rote
Laterne erhalten und würde sie behalten. Deutliche
Risiken auf der Ausgabenseite und Einnahmeseite:
10 Milliarden Euro.
Das haben wir an alle unsere Wahlkämpfer verteilt. Je-
der konnte das nachlesen, angefangen vom Kanzlerkandi-
daten bis hin zu dem letzten Wahlkämpfer, der den Kolle-
gen geholfen hat. Jeder wusste es, jeder hätte es wissen
müssen, auch der Bundesfinanzminister. In einem „Stern“-
Artikel in der letzten Woche wurde unterstellt, dass wir
Dietrich Austermann
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002
Dietrich Austermann
alles, was wir gewusst haben, von dem Staatssekretär
Overhaus aus dem Bundesministerium der Finanzen be-
kommen hätten. Auch der muss es dann ja gewusst haben,
und wenn der Staatssekretär es gewusst hat, dann muss es
auch der Minister gewusst haben.
Was uns in der Union von der Bundesregierung unter-
scheidet, ist, dass wir Fakten eins und eins zusammenge-
zählt, die Schlussfolgerungen daraus gezogen
und das den Bürgern gesagt haben. Der Finanzminister
hat gesagt, das sei unseriös, wir verhetzten die Leute, das
sei schwarze Meckerei, das alles sei unverantwortlich, ob-
wohl er genau gewusst hat, dass unsere Prognose richtig
ist. Das war unverantwortlich und das war Wahlbetrug.
Das rechtfertigt es, Herrn Eichel erneut aufzufordern:
Nehmen Sie Ihren Hut! Denn Sie haben im Amt versagt
wie kein anderer Finanzminister vor Ihnen in Deutsch-
land.
Mit einer derart schäbigen Bilanz würde sich kein ande-
rer Mensch an das Pult hier trauen und dann auch noch
versuchen, die Zahlen schönzureden.
Das geht übrigens noch weiter. Wenn gesagt wird, ein
Untersuchungsausschuss sei nicht sinnvoll, weil das ein
bereits abgeschlossener Vorgang sei, dann ist dem entge-
genzuhalten, dass weiter geschwindelt, getäuscht und ge-
tarnt wird. Ich habe hier den Monatsbericht 11/02 des
Bundesministeriums für Finanzen. Darin heißt es:
Aus dem derzeitigen Finanzierungssaldo von
44,6 Milliarden Euro und der rechnerisch ausgewie-
senen Nettokreditaufnahme können keine Rück-
schlüsse auf den weiteren Jahresverlauf gezogen
werden.
Inzwischen ist Dezember. Wir haben einen Finanzie-
rungssaldo von 44,6 Milliarden Euro und das Bundesmi-
nisterium für Finanzen verkündet nach draußen, daraus
könne man keine Schlüsse ziehen. Ich nenne Ihnen einen
Schluss: Die Steuereinnahmen werden in diesem Jahr un-
ter den Zahlen der Steuerschätzung liegen. Die Nettokre-
ditaufnahme wird in diesem Jahr deutlich über der An-
nahme liegen, die Sie im Nachtragshaushalt dafür
unterstellt haben. Auch diese beiden maßgeblichen Daten,
Herr Eichel, stimmen also nicht. Sie täten gut daran, das
in dieser Debatte noch gerade zu rücken, statt wieder zu
versuchen, das Parlament und damit auch die Bürger zu
täuschen.
Sie haben versucht, den Nachweis anzutreten, dass Sie
den Haushalt konsolidiert hätten. Konsolidierung heißt
aber doch, dass man sich darum bemüht, die Ausgaben
einzugrenzen. Schauen wir uns einmal die Ausgaben an.
Wenn wir dabei von 1998 ausgehen und das mit diesem
Jahr vergleichen, dann stellen wir fest, dass die Ausgaben
dramatisch zugenommen haben. Wenn die Ausgaben dra-
matisch zugenommen haben, dann kann doch nicht ge-
spart worden sein. Anderenfalls hätte man Geld übrig,
hätte vielleicht sogar etwas in einer Rücklage, wie es bei
mancher Gemeinde Gott sei Dank immer noch der Fall ist.
Es wird also nicht konsolidiert.
Um den Haushalt für dieses Jahr auszugleichen, er-
höhen Sie die Neuverschuldung.Auch das ist keine Kon-
solidierung. Eine um 13,5 Milliarden Euro höhere Neu-
verschuldung ist keine Konsolidierung.
Diese Maßnahme, die Sie beim Nachtragshaushalt tref-
fen – das ist der erste Teil der heutigen Debatte –, ist im
Übrigen falsch und auch nicht geeignet, die Verfassungs-
widrigkeit des Nachtragshaushalts zu beheben. Nach
Art. 115 des Grundgesetzes ist jeder Haushalt verfas-
sungswidrig, bei dem die Nettokreditaufnahme die Inves-
titionen übersteigt. Die neuen Schulden übersteigen die
Investitionen in diesem Jahr um mindestens 10Milliarden
Euro. Das bedeutet, dass der Haushalt verfassungswidrig
ist.
Es gibt davon eine Ausnahme, die ebenfalls in der Ver-
fassung geregelt ist. Danach ist das, was hier gemacht wird,
verfassungsrechtlich zulässig, wenn eine Störung des ge-
samtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorliegt und – jetzt
kommt die entscheidende Voraussetzung – die Maßnahme
zur Behebung der Störung des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts geeignet ist. Einfach 13,5 Milliarden Euro
an Krediten zusätzlich aufzunehmen ist jedoch nicht geeig-
net, eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichge-
wichts aufzuheben; vielmehr wird diese Störung dadurch
geradezu verschärft, weil die Tatsache, dass sich der Staat
am Kapitalmarkt bedienen muss, dazu führt, dass die Zin-
sen in die Höhe gehen und die Wirtschaft noch mehr leidet.
– Selbstverständlich ist das genau so. Sie sollten sich
überlegen, in einen anderen Ausschuss zu gehen. Nach
der in Ihrem Zuruf zum Ausdruck kommenden Sachkunde
sind Sie jedenfalls für den Haushaltsausschuss nicht ge-
eignet.
Ich sage es noch einmal: Der Nachtragshaushalt ist ver-
fassungswidrig und der Haushalt für das Jahr 2003 ist auf
dem Weg dorthin. Wenn der Bundesfinanzminister sagt,
man habe richtige Maßnahmen eingeleitet und diese rich-
tigen Maßnahmen seien geeignet, die Situation zu ver-
bessern, dann frage ich – und das fragen die Bürger mit
uns –: Warum unterstellen Sie dann, völlig zu Recht, im
nächsten Jahr eine steigende Arbeitslosigkeit? Wenn Sie
eine steigende Arbeitslosigkeit unterstellen, wie können
Sie dann davon ausgehen, dass sich die Ausgaben für den
Arbeitsmarkt um 8Milliarden Euro drosseln lassen? In ei-
nem Jahr 8 Milliarden Euro weniger für den Arbeitsmarkt
auszugeben, das macht Hartz nicht möglich.
Das kann doch nur bedeuten, dass Sie den Kurs dieses
Jahres fortsetzen wollen und dass in den neuen Ländern
bei Ermessensleistungen drastisch gestrichen wird. Der
famose Herr Gerster – die Älteren werden sich noch an
ihn erinnern; er galt bei seiner Einführung ja als Wunder-
waffe; erst danach kam die Wunderwaffe Hartz; heute ist
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002 761
von Gerster nichts mehr zu sehen und von Hartz nichts
mehr übrig – hatte gesagt, man müsse die ABM in den
neuen Bundesländern einmal etwas aufstocken, dann
könne man hinterher vielleicht wieder etwas wegnehmen.
In diesem Jahr sind bereits einige 100 Millionen Euro an
ABM-Mitteln in den neuen Bundesländern gespart wor-
den. Wenn das im nächsten Jahr fortgesetzt wird, geht die
Wirtschaft weiter runter und die Menschen dort gehen to-
tal auf dem Zahnfleisch.
Sie wollen aber bei den Arbeitsmarktmaßnahmen,
insbesondere bei Arbeitslosenhilfeempfängern, im nächs-
ten Jahr nicht nur einige Hundert Millionen, sondern
8 Milliarden Euro einsparen, damit Sie überhaupt den
Haushalt ausgleichen können und mit dem Zuschuss bei
der Bundesanstalt für Arbeit hinkommen. Es glaubt Ihnen
kein Mensch, dass das zu schaffen ist. Die Zahlen sind ge-
schönt. Sie werden auch im nächsten Jahr wieder einen
verfassungswidrigen Haushalt haben. Damit ist klar, dass
der Kurs nicht in Richtung Sparmaßnahmen und Verbes-
serung der Situation geht, sondern dass der Kurs in Rich-
tung mehr Verschuldung und verfassungswidrige Haus-
halte geht.
Das Entscheidende, was die Menschen von der Debatte
hier im Bundestag erwarten, ist eine Perspektive, die ih-
nen deutlich macht, dass das, was das Parlament beschäf-
tigt und beschließt, dazu beiträgt, die Krise, in der sich un-
ser Land befindet, zu überwinden. Manches von dem, was
auf der Regierungsbank stattfindet – das sagten viele Bür-
ger in den letzten 14 Tagen –, ist anarchisch. Die Krise
dieses Landes muss durch konkrete Entscheidungen be-
einflusst und überwunden werden.
Jetzt wird gesagt: Man konnte das ja nicht wissen. Das
mit den Steuereinnahmen im September kam auf einmal
wie ein Unwetter über uns. – Herr Eichel, auch diese Aus-
sage ist falsch und wird Ihnen im Untersuchungsaus-
schuss vorgehalten werden. Die Steuereinnahmen bis
September waren sauschlecht, aber im September waren
sie relativ günstig. Nun zu sagen, die Probleme gebe es,
weil die Daten aus dem September so schlecht waren, ist
nicht nur falsch, sondern auch noch gelogen. Werfen Sie
nicht diese Blendgranaten! Diese täuschen vielleicht die
Regierung, aber jedenfalls nicht die Menschen in unserem
Land.
Daneben haben Sie auch falsche Wachstumszahlen
genannt. Sie werden sich erinnern, Herr Eichel: Vor einem
Jahr – es war an einem Freitag, bei der dritten Lesung des
Haushalts für 2002 – haben Sie gesagt, in diesem Jahr
würden die Schulden sinken. Ich habe Ihnen seinerzeit
vorgehalten, dass das, was Sie für den Bundeshaushalt
dieses Jahres unterstellt haben, nämlich 1,25 Prozent
Wachstum, nicht stimmt. Das haben Sie bestritten, haben
es als „schwarze Kritik“ und „unseriös“ zurückgewiesen.
Am nächsten Tag haben wir festgestellt, dass Sie der EU
in einem Nebensatz ein Alternativszenario gemeldet ha-
ben, wobei deutlich wurde, dass Sie im Hinterkopf ganz
andere Zahlen hatten als die, welche Sie dem Parlament
vorgelegt haben. Ich glaube nicht einmal, Herr Eichel,
dass Sie das alles nicht gewusst haben. Ich sage: Sie ha-
ben es den Menschen nicht gesagt, Sie haben die Men-
schen angelogen. Sie haben es ihnen nicht gesagt und das
war das Unverantwortliche in der Situation damals.
Ich rate Ihnen, wenn Sie sich auf den Untersuchungs-
ausschuss vorbereiten, sich Ihre Rede vom 27. November
vorigen Jahres vorzunehmen. Ich rate Ihnen weiterhin,
Herr Eichel: Verweigern Sie Ihren Mitarbeitern nicht das
Aussagerecht; lassen Sie zu, dass alle, die in den Ministe-
rien sitzen, vom Staatssekretär über den Abteilungsleiter
bis zu wem auch immer, ihre Aussagen machen dürfen!
Kommen Sie nicht damit, Sie müssten Staatsgeheimnisse
schützen und daher könnten Sie den Leuten nicht die Aus-
sagegenehmigung erteilen. Sie alle müssen sagen, was sie
gewusst und was sie Ihnen vor der Wahl auf den Schreib-
tisch gelegt haben, Sie aber zur Seite gewischt haben.
Der entscheidende Punkt für den Untersuchungsaus-
schuss ist aus unserer Sicht – und insofern betrifft das die
Haushaltsberatung hier –: Ein Verfassungsorgan, die Bun-
desregierung, hat das Volk, den eigentlichen Souverän,
getäuscht. Dies ist qualitativ etwas anderes, als wenn Po-
litiker im Wahlkampf mal eben so etwas sagen. Nein, Sie
haben einen Eid auf die Verfassung geleistet, sich dafür
einzusetzen, dass die Mitarbeiter, die Ihnen unterstellt
sind, das tun, was in diesem Land getan werden muss. Sie
haben sie daran gehindert, das, was sie wissen und kön-
nen, an den Souverän, an die Bürger, zu bringen.
Hierin liegt das eigentliche verfassungsrechtliche Pro-
blem. Sie können doch nicht erwarten, dass wir Ihnen dies
durchgehen lassen. Von jedem Bürger verlangen wir, dass
er seiner Versicherung gegenüber ehrlich ist, dass er seine
Steuererklärung ehrlich abgibt. Dann aber soll es zugelas-
sen werden, dass diejenigen, die dafür verantwortlich
sind, wie kassiert wird und welche Gesetze gemacht wer-
den, die Menschen, von denen sie Ehrlichkeit erwarten,
schamlos belügen? Dies können wir Ihnen nicht durch-
lassen.
Ich möchte nun unsere Alternative aufzeigen: Wir wol-
len einen ehrlichen Kassensturz. Der Nachtragshaushalts-
entwurf und der Haushaltsentwurf 2003 sind noch kein
ehrlicher Kassensturz. Die Zahlen stimmen wieder nicht.
Alles, was wir machen müssen, steht unter einem Finanz-
vorbehalt;
alle neuen Entscheidungen stehen unter einem Finanz-
vorbehalt.
– Das ist alles richtig. Es stand übrigens auch in der Über-
schrift unseres Wahlprogramms.
Wir wollen eine Entriegelung des Arbeitsmarktes. Herr
Merz hat dazu einiges gesagt. Ich erinnere an das Drei-
Säulen-Modell und andere Maßnahmen.
Wir wollen erreichen, dass Genehmigungsverfahren
in Deutschland beschleunigt werden. Wenn die Zahl der
Dietrich Austermann
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002
Dietrich Austermann
Anträge auf Wirtschaftsförderungsmaßnahmen im Wirt-
schaftsministerium unter Herrn Müller – die Älteren wer-
den sich auch an ihn noch erinnern – um 20 Prozent ge-
stiegen ist, ohne dass die Summe, die verteilt worden ist,
erhöht werden konnte, heißt dies doch: Die Bürokratie ist
ausgeweitet worden.
Wir wollen wirklich sparen. Wir haben zurzeit die teu-
erste Regierung aller Zeiten.
Man muss ins Internet schauen, um festzustellen, wel-
che neuen Staatssekretärsstellen und Abteilungsleiterstel-
len etwa im Forschungsministerium geplant sind. Es gab
noch nie eine Regierung, die so viele Mitglieder hatte wie
diese. Es gab noch nie eine, die so teuer war. Es gab auch
noch nie eine, die für die Menschen in diesem Land so viel
zu teuer war wie diese Regierung. Hier fängt das Sparen
nämlich an.
Wir müssen endlich den Umsatzsteuerbetrug bekämp-
fen. Wir müssen den Subventionsabbau einleiten. Dafür
stehen wir immer zur Verfügung. Das haben wir immer
gesagt. Es gehört zur Ehrlichkeit, zu sagen, dass der Sub-
ventionsabbau bei der Kohle – gegen Protest – von uns
eingeleitet worden ist. Sie haben die Menschen auf die
Straße gejagt – damals noch in Bonn –, als wir den Kohle-
kompromiss geschlossen haben.
1982/1983 hatten wir eine vergleichbare Situation. Wir
müssen die Investitionen stärken und nicht den Konsum
aufblähen. Sie jedoch senken die Investitionen.
Wenn Sie sich Ihren eigenen Entwurf ansehen, werden
Sie feststellen, dass die Forschungsinvestitionen im nächs-
ten Jahr sinken. Ich bitte Sie, sich noch einmal die letzte
Fassung Ihres Haushaltsentwurfes nach dem Kabinetts-
beschluss anzusehen: Die Forschungsausgaben sinken im
nächsten Jahr. Bereinigt um das, was für die Flutopfer ausge-
geben wird, sinken die Investitionen.
Flut ist übrigens ein gutes Stichwort. In der Antwort auf
meine Anfrage habe ich gelesen, dass Sie in diesem Jahr
2,5 Milliarden Euro für Fluthilfe gebunkert haben. Dieses
Geld wurde außerplanmäßig bereitgestellt. Diese 2,5 Mil-
liarden Euro sind beim Empfänger noch nicht angekom-
men, also müssen sie zur Seite gelegt worden sein. Warum
werden sie wohl zur Seite gelegt? – Damit man im nächs-
ten Jahr dieses Geld nicht aufnehmen muss. Sie – Herr
Eichel, Herr Overhaus – haben wieder getrickst. Sie versu-
chen ständig, das Parlament zu umgehen. Sie haben Aus-
gaben für die Flutopfer in Höhe von 2,5 Milliarden Euro,
ohne dies im Parlament zu diskutieren, als außerplan-
mäßige Ausgabe kurz vor der Wahl zur Seite gelegt, damit
Sie hier und da noch ein Geschenk verteilen können. Dies
hat etwas mit Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit zu
tun. Ich finde es unglaublich, was Sie dort machen.
Nächster Punkt: Wir werden Investitionen beschleuni-
gen und stärken. Sie beklagen die Situation der Ge-
meinden. Wer den Gemeinden ständig die Gewerbe-
steuerumlage erhöht, braucht sich nicht zu wundern, dass
die Gemeinden immer mehr Schulden machen und immer
mehr finanzielle Unterstützung von den Ländern brau-
chen.
Wir machen eine Steuersenkung.
Schauen Sie sich einmal die Empfehlung der Sachver-
ständigen, die 20 Punkte, an. Jeden dieser 20 Punkte wür-
den wir mit Ihnen sofort machen. Die Sachverständigen
haben aber auch gesagt: Wenn das, was Sie vorhaben, ge-
macht wird, wird es im nächsten Jahr noch ein halbes Pro-
zent weniger Wachstum, wird es also wieder ein Defizit
geben.
Manch einer sagt vielleicht: Ihr müsst doch denen jetzt
die Hand reichen, insbesondere im Bundesrat, und sie bei
den Maßnahmen, die sie treffen – das sind ein paar Steu-
ermaßnahmen –, unterstützen. – Dazu merke ich an: Die
zusätzliche Belastung der Steuerbürger und der Betriebe
am 1. Januar – deswegen bin ich für die Wahlen in Nie-
dersachsen wie in Hessen ganz zuversichtlich, Herr Kol-
lege; Mitte bis Ende Januar kommt nämlich die erste
Lohnabrechnung – durch das, was Sie beschlossen haben
und was Sie „Kürzung bei den Ausgaben“ nennen, macht
15 Milliarden Euro aus. Dazu kommt noch der höhere
Rentenversicherungsbeitrag. Dazu kommt noch der höhe-
re Krankenversicherungsbeitrag.
Wenn das, was Sie machen, falsch ist – die Sachverstän-
digen sagen, dass Steuererhöhungen zum gegenwärtigen
Zeitpunkt falsch sind –, dann muss es doch richtig sein,
das zu blockieren. Deswegen lehnen wir das ab. So ein-
fach ist das. Den Aufschwung schafft man nicht mit zu-
sätzlichen Belastungen, sondern nur dadurch, dass man
Bürger und Betriebe, und zwar auch die kleinen und mitt-
leren und nicht nur die großen, entlastet.
Vielen Dank.