Das Wort hat der Kollege Werner Schulz, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Entschul-
digen Sie, liebe Kollegin Wöhrl, aber angesichts der Viel-
zahl der von Ihnen schräg angesprochenen Themen und
angesichts des Kompliments, das Sie uns am Ende erteilt
haben, wir würden eine wirre und konfuse Politik betrei-
ben, muss man wohl sagen: Das war eine echte „Wöhrl-
Pool-Rede“, die Sie gerade gehalten haben.
Ich bin im Gegensatz zu Ihnen der Auffassung, dass der
neue Wirtschafts- und Arbeitsminister mit seiner Ein-
stiegsrede schon eine Kostprobe für mehr Wirtschafts-
dynamik und politischen Führungswillen geliefert hat.
Möglicherweise hat Ihr Kollege Merz das phonetisch
falsch verstanden. Herr Clement hat nicht von „Wermut“,
sondern von „mehr Mut“ gesprochen. Merz ist ja ein
Mutexperte, er hat ein Buch geschrieben: „Mut zur Zu-
kunft“. Mut ohne Handlungskonzept führt allerdings in
die Abenteuerliteratur.
Es ist schwierig, wenn wir unterschiedliche Wahrneh-
mungen schon bei der Ausgangslage haben. Dann ist die
Diskussion schräg und wird unredlich. Ich empfehle Ihnen,
sich den IfW-Bericht noch einmal genau anzuschauen.
Dort wird eben nicht von einer Rezession gesprochen, son-
dern von einer „fragilen Konjunkturerholung“ – aufgrund
all der Umstände, die in der Weltwirtschaft zu verzeich-
nen sind: Börseneinbrüche, restriktive Kreditlinien bei
den Banken und dergleichen mehr. Dagegen ist von den
Strukturdefiziten, die man natürlich auch in Deutschland
feststellen kann, nicht allein die Rede. Wer das nicht
glaubt, möge sich die Expertise von EU-Kommissar
Pedro Solbes anschauen. Dort werden ähnliche Feststel-
lungen getroffen.
Ich sage Ihnen gleich zu Anfang – weil Angela Merkel
in ihrer gestrigen Rede die Wiederentdeckung des Politi-
schen gepriesen hat –: Ich würde mich freuen, wenn es
auch zur Wiedererweckung der Mitverantwortung käme.
Bislang tun Sie so, als sei nach vier Jahren Rot-Grün alles
im Argen und hätten Sie im Grunde genommen mit all
dem, was bisher passiert ist, nichts zu tun.
Wir würden in einer solch schwachen Konjunktur-
phase sehr gern antizyklische Wirtschaftspolitik betrei-
ben – wenn uns nicht ein so massiver Schuldenberg hin-
terlassen worden wäre, wenn wir nicht im Zuge der
deutschen Einheit diesen exorbitanten Anstieg der Lohn-
nebenkosten von 35 auf 42 Prozent, wo im Grunde die ge-
samten Kosten der deutschen Einheit versteckt sind, zu
verzeichnen gehabt hätten. – Sie schütteln den Kopf, aber
es ist leider so: Sie haben die Beiträge zur Arbeitslosen-
versicherung, zur Rentenversicherung und zur Kranken-
versicherung im Zuge der deutschen Einheit erhöht.
Wie schwierig es ist, angesichts des demographischen
Wandels davon herunterzukommen, haben wir in den
letzten vier Jahren erlebt. Die Lohnnebenkosten sind
leicht zurückgegangen. Aber wir haben längst nicht das
Ziel erreicht, das wir uns vorgenommen hatten.
Im Übrigen belegt auch der Ifo-Geschäftsklimaindex,
dass der mangelnde Optimismus der Unternehmen nicht
auf die rot-grüne Wirtschaftspolitik zurückzuführen ist,
sondern auf die weltweit unsichere Situation, auf die welt-
politischen Unsicherheiten und möglicherweise auch auf
die bereits getätigten Investitionen. Es gibt also eine In-
vestitionszurückhaltung, einen Attentismus, der uns zu
schaffen macht.