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ID1500403300

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    Vokabeln: 8
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    6. Dr.: 1
    7. AngelicaSchwall-Düren,: 1
    8. SPD-Fraktion.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Tagesordnungspunkt 1: Regierungserklärung des Bundeskanz- lers mit anschließender Aussprache . . . . . 51 A Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . 51 B Dr. Angela Merkel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 61 B Franz Müntefering SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 D Dr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . . . . . 74 B Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 77 D Friedrich Merz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 81 C Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 81 D Ernst Bahr (Neuruppin) SPD . . . . . . . . . . . . . 82 B Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 84 C Sabine Bätzing SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 C Olaf Scholz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 B Petra Pau fraktionslos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 D Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 93 D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . . . . . . 97 A Gernot Erler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 A Dr. Wolfgang Gerhardt FDP . . . . . . . . . . . . . . 102 A Dr. Angelica Schwall-Düren SPD . . . . . . . . . 104 B Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 A Rudolf Bindig SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 B Dr. Werner Hoyer FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 A Dr. Peter Struck, Bundesminister BMVg . . . . 111 C Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 113 C Dr. Peter Struck, Bundesminister BMVg . . . . 115 C Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 115 D Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 A Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU . . . . . . . . . . 117 A Reinhold Robbe SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 A Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministe- rin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 C Dr. Christian Ruck CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 122 C Dr. Uschi Eid, Parl. Staatssekretärin BMZ . . . 123 D Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . . . . . . . 124 D Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . 125 D Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU . . . . . . . . . . . 127 D Dr. Dieter Wiefelspütz SPD . . . . . . . . . . . 130 C Hans-Joachim Hacker SPD . . . . . . . . . . . . . . 131 D Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 D Jerzy Montag BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 136 A Otto Schily, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . 137 D Wolfgang Bosbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 139 D Otto Schily SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 C Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 A Silke Stokar von Neuforn BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 A Dr. Max Stadler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 C Wolfgang Bosbach CDU/CSU . . . . . . . . . 146 B Hartmut Koschyk CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 147 B Silke Stokar von Neuforn BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 B Dr. Christina Weiss, Staatsministerin BK . . . . 150 C Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . . . . . . . 151 B Plenarprotokoll 15/4 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 4. Sitzung Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002 I n h a l t : Monika Griefahn SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 D Hans-Joachim Otto (Frankfurt) FDP . . . . . . . 154 C Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 155 C Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 157 B Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 158 C Ulrike Mehl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 B Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 A Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . . 164 D Dr. Peter Paziorek CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 166 C Winfried Hermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 171 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 4. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002II (A) (B) (C) (D) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 4. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002 51 4. Sitzung Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002 Beginn: 10.00 Uhr
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    (A) (B) (C) (D) 170 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 4. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002 171 (C)(A) entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage zum Stenografischen Bericht Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/ 29.10.2002 Marieluise DIE GRÜNEN van Essen, Jörg FDP 29.10.2002 Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 29.10.2002 Meyer (Tapfheim), CDU/CSU 29.10.2002 Doris Möllemann, Jürgen W. FDP 29.10.2002 Niebel, Dirk FDP 29.10.2002 Nolting, Günther FDP 29.10.2002 Friedrich Pieper, Cornelia FDP 29.10.2002 Thiele, Carl-Ludwig FDP 29.10.2002 Violka, Simone SPD 29.10.2002 Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Gerhardt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)


    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine

    Fraktion und auch ich selbst diskutieren gerne über um-
    fassende Sicherheitsbegriffe und über die Traditionslinien
    deutscher Außenpolitik. Wir teilen auch die Auffassung in
    Bezug auf die detaillierte Schilderung der Elemente des
    Kaschmir-Konflikts, die der Außenminister hier genannt
    hat. Ich habe ferner Teilen der Rede des Kollegen Erler
    mit Vergnügen zugehört. Allerdings frage ich mich, wieso
    bei dieser Einschätzung und angesichts der Kompliziert-
    heit der internationalen Lage sowie der Notwendigkeit,
    die Situation umfassend zu beurteilen, ausgerechnet der
    deutsche Bundeskanzler im Wahlkampf vom „deutschen
    Weg“ gesprochen hat. Das ist unbegreiflich.


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das ist auch intellektuell unbegreiflich. Was ist der

    „deutsche Weg“ angesichts der internationalen Zusam-
    menhänge, der Aufgaben der Nation-Bildung, der regio-
    nalen Sicherheitsstrukturen, die wir herausbilden müssen,
    sowie des Kommunikationsangebots, das die Europäische
    Union anderen weltweit unterbreitet? Vom „deutschen
    Weg“ zu reden ist absurd. Eine Opposition, die ernst ge-
    nommen werden will, muss darauf zurückkommen. Die
    Rede vom „deutschen Weg“, der vor der Wahl angeboten,
    auf Marktplätzen allen verkauft und vom Außenminister
    fünf Minuten nach der Wahl mit dem Hinweis „Forget it“
    wieder eingesackt wurde, ist der größte außen- und
    sicherheitspolitische Wahlbetrug, den sich eine Bundesre-
    gierung in der Geschichte des Landes je erlaubt hat.


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


    Herr Kollege Erler und Herr Außenminister Fischer,
    wir wollen nicht um folgende Tatsache herumreden – wir
    werden uns in den entsprechenden parlamentarischen De-
    batten ja wiedersehen –: Sie haben bis heute die Irak-
    Frage nicht abschließend und klar beantwortet.


    (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch nicht!)


    Wenn Saddam Hussein am Ende Inspektoren nicht ins
    Land lässt, wenn Beweise vorgelegt werden, dass er Mas-
    senvernichtungswaffen entwickelt, und wenn sich die
    Weltgemeinschaft mit Sicherheitsratsbeschluss, also mit
    Zustimmung Frankreichs, Russlands, Chinas und anderer,
    entschließt, dagegen vorzugehen und vorgehen zu müs-
    sen, um Menschen zu schützen, werden Sie eines Tages
    gezwungen sein – das sage ich Ihnen voraus –, im deut-
    schen Parlament vorzutragen, dass wir doch nicht umhin-
    kommen – wenn wir schon nicht Soldaten entsenden –,
    Logistik und medizinische Hilfsmaßnahmen anzubieten.


    (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Ihr Wunschdenken!)


    Natürlich würden wir die Spürpanzer zum Schutz der ame-
    rikanischen Soldaten in Kuwait belassen. Sie wissen das.
    Sie wissen auch – das wussten Sie schon vor der Wahl –,
    dass Sie eines Tages ein solches Eingeständnis mögli-
    cherweise würden machen müssen. Mit dem, was Sie ge-
    tan haben, schädigen Sie die Glaubwürdigkeit der deut-
    schen Außenpolitik in einem unerträglich hohen Maß.
    Das muss einfach angesprochen werden.


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ein zweiter Sachverhalt. Herr Außenminister, natürlich

    freuen wir uns alle, dass jetzt das Tor zu einem Akt der
    Wiedervereinigung Europas aufgestoßen wird. Wir wis-
    sen, dass das nicht kostenlos zu haben ist. Ich möchte ein
    kleines Plädoyer für ein Mindestmaß an Handwerkszeug
    in der Politik halten. Dass das deutsch-französische Ver-
    hältnis als europapolitischer Motor in den letzten Jahren
    geradezu ausgefallen war, konnten Sie vor niemandem
    verbergen. Unterlassen Sie es daher bitte, die Tatsache als
    Großtat zu feiern, dass sich der Bundeskanzler bei dem
    Kompromiss zur Agrarpolitik mit dem französischen
    Präsidenten bei den realen Ausgaben und Obergrenzen in
    einer Höhe von 6 Milliarden Euro – und das mit steigen-
    der Tendenz – vertan hat. Da hilft auch der Hinweis auf
    den Dolmetscher nicht. Damit können Sie Ihre Koaliti-
    onsvereinbarung zur Agrarpolitik vergessen. Die Umstel-
    lung wird nicht gelingen, weil sie nicht finanzierbar sein
    wird. Diese Vorgänge lassen schlicht und einfach das not-
    wendige Handwerkszeug vermissen. Sie gehen in ein Ge-
    spräch und verwechseln eine Summe von 6 Milliar-
    den Euro, eine Summe, die ab 2007 eine steigende
    Tendenz aufweisen wird.


    (Joseph Fischer, Bundesminister: Quatsch!)

    Ich weise deshalb darauf hin, weil wir uns die Verbes-

    serung des deutsch-französischen Verhältnisses so nicht
    vorgestellt haben. Das ist ein äußeres Zeichen eines inne-
    ren Zustandes. Sie bereiten sich nicht mehr anständig auf
    solche Gespräche vor. Sie nehmen sich zu wenig Zeit, mit
    den französischen Nachbarn zu sprechen.


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    102


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)






    Wir haben das schon in der außenpolitischen Debatte
    erlebt, was den Irak betraf. Sie bereiten die Gipfel nicht
    vernünftig vor. Das ist nicht der erste Vorgang dieser Art.
    Der Berliner Gipfel sollte sich mit Finanzierungsfragen
    und der Gipfel von Nizza mit Entscheidungsabläufen und
    Mehrheitsentscheidungen beschäftigen. Der Konvent
    muss nun die notwendigen Reparaturarbeiten überneh-
    men. Jetzt passiert es zum dritten Mal, dass europäische
    Entscheidungen von Ihnen nicht in ausreichendem Maße
    vorbereitet wurden. Uns reicht es nicht, dass Sie uns von
    weiten Reisen berichten, oder über internationale Zusam-
    menhänge der Außenpolitik informieren. Sie müssen das
    kleine Einmaleins auch umsetzen. In der Europapolitik
    verlangen wir dieses Mindestmaß.


    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Ein dritter Gesichtspunkt. Kollege Schäuble hat schon
    danach gefragt, wie man den Aufbau einer eigenen euro-
    päischen sicherheits- und verteidigungspolitischen Kapa-
    zität klar finanziert. Ich sage dazu ganz einfach: Das Min-
    destmaß ist, dass man seine Hausaufgaben macht. Dazu
    möchte ich Ihnen Ihre Koalitionsvereinbarung zur Bun-
    deswehr vorlesen:

    Aufgaben, Struktur, Ausrüstung und Mittel der Bun-
    deswehr werden wieder in ein ausgewogenes Ver-
    hältnis gebracht.

    Das Wort „wieder“ ist gut.

    (Lachen des Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP] und des Abg. Bartholomäus Kalb [CDU/CSU] – Rudolf Bindig [SPD]: Wie in den Jahren zuvor!)


    Dann heißt es später – diesen Satz hätten Sie sich spa-
    ren können –:

    Die mittelfristige Finanzplanung bleibt die Grund-
    lage für die Planungen der Bundeswehr.

    Das können Sie nicht miteinander in Einklang bringen.
    Ein weiterer Satz:
    Hierbei werden die Vorschläge ... der Weizsäcker-
    Kommission die Richtschnur bilden.

    Die waren es schon bisher nicht; denn es wurde gar nicht
    abgewartet, bis die Weizsäcker-Kommission einen Vor-
    schlag gemacht hat. Der damalige Bundesverteidigungs-
    minister Scharping hat ja eigene Vorschläge gemacht. Die
    werden im Folgenden genannt. Sie schreiben:

    Nach der weitgehenden Umsetzung der im Jahr 2000
    eingeleiteten Bundeswehrreform ... muss erneut
    überprüft werden, ob weitere Strukturanpassungen
    oder Änderungen bei der Wehrverfassung notwendig
    sind ...

    Selten ist ein solches Durcheinander in wenigen Sätzen
    hintereinander in eine Koalitionsvereinbarung geschrie-
    ben worden.


    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Nichts von alldem gilt. Sie machen Ihre Hausaufgaben
    nicht. Sie finanzieren die Bundeswehr nicht, stehen aber

    vor weit größeren Aufgaben als in der Vergangenheit. Sie
    geben keinen Hinweis auf einen deutschen Beitrag in Be-
    zug auf die Finanzierung.

    Wissen Sie, was die deutsche Außenpolitik immer aus-
    gezeichnet und damit auch stabil und verlässlich gemacht
    hat? – Sie war glaubwürdig. Dies war sie zunächst bei
    Konrad Adenauer. Sie war in der großen Koalition unter
    Kurt Georg Kiesinger, der als Vorsitzender des Auswärti-
    gen Ausschusses über viele Jahre Erfahrungen gesammelt
    hatte, glaubwürdig. Auch in unserer Koalition unter Willy
    Brandt war sie glaubwürdig. Sie hatte klare Ziele. Da gab
    es auch Rückschläge; aber man wusste, worauf man hi-
    nauswollte. Auch unter Helmut Kohl war sie glaubwür-
    dig.

    Beim jetzigen Bundeskanzler vermisse ich jedes
    außenpolitisch klare Prinzip.


    (Peter Hintze [CDU/CSU]: Jawohl!)

    Deshalb war die Regierungserklärung, wie sie war: Er ist
    für alles gut, aber dann geradezu für nichts. Mir ist die Be-
    liebigkeit der Außenpolitik in Deutschland ein Gräuel.
    Dagegen wehren wir uns.


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Herr Außenminister Fischer, es geht doch nicht um die

    Frage, wie wir die Türkei bewerten. Auch wir wissen,
    dass wir alle Anstrengungen unternehmen müssen, um
    dieses Land modernisierungsbereit zu halten, um alle eu-
    ropäischen Verbindungsstränge in die Türkei zu bewahren
    und um die türkische Gesellschaft schrittweise in die Mo-
    derne zu führen – und dies nicht nur auf der Ebene der po-
    litischen, wirtschaftlichen und kulturellen Elite.

    Alle Erfahrungen, die wir seit den 60er-Jahren

    (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer war da eigentlich Außenminister?)


    mit der Türkei gemacht haben, beruhen auf falschen Ver-
    sprechungen, die in der Türkei immer wieder große Frus-
    trationen ausgelöst haben. Deshalb täte jede deutsche
    Bundesregierung gut daran, nicht mit weiteren falschen
    Versprechungen auf den EU-Gipfel nach Kopenhagen am
    Ende dieses Jahres zu reisen.


    (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind keine falschen Versprechen!)


    Die Wahrheit ist, dass es nicht reicht, wenn die Türkei eine
    neue Verfassung und neue Gesetze beschließt. Entschei-
    dend ist die Gesellschaft, die hinter den Gesetzen steht
    und die Verfassung lebt. Die geschriebene Verfassung al-
    lein reicht nicht aus.

    Es ist einfach wahr, dass die Türkei heute noch nicht
    für einen Beitrittsprozess reif ist bzw. dafür, zu Beitritts-
    verhandlungen eingeladen zu werden. Wenn das so ist,
    dann muss man das auch sagen. Wenn man anders ver-
    fährt und meint, wir Deutsche seien aufgefordert, einen
    besonderen Beitrag zu leisten, um die strategischen Inte-
    ressen unserer amerikanischen Verbündeten zu beachten,
    dann wird sich das für uns sehr nachteilig auswirken, weil
    wir alle wissen, dass ein Beitritt der Türkei in den nächs-
    ten Jahren nicht vollzogen werden kann. Die türkische

    Dr. Wolfgang Gerhardt




    Dr. Wolfgang Gerhardt
    Gesellschaft wird, auch durch das Votum Deutschlands,
    ein weiteres Mal enttäuscht werden. Damit wird der Tür-
    kei überhaupt nicht geholfen.

    Deshalb kommen wir an folgenden Kernpunkten nicht
    vorbei: Welche europäische Sicherheitspolitik machen
    wir wirklich? Wie finanzieren wir die Elemente der Ost-
    erweiterung tatsächlich? Welche ehrliche Antwort geben
    wir der Türkei? Wie bringen wir das Verhältnis zwischen
    Deutschland und Amerika wieder in Ordnung? Und zual-
    lerletzt: Was macht der Bundeskanzler, wenn am Ende ei-
    nes Prozesses im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
    alle unsere Verbündeten, Großbritannien bzw. die übrige
    Europäische Union, nicht darum herumkommen, der Völ-
    kergemeinschaft ein Vorgehen gegenüber Saddam
    Hussein, das auch Zwangsmittel einschließt, zu empfeh-
    len? Dann erneut zu sagen: „Daran nehmen wir nicht teil“
    schlägt allem ins Gesicht, was der Bundeskanzler selbst in
    der Regierungserklärung bezüglich unserer eigenen
    Sicherheit vorgetragen hat. Wir können nicht nur immer
    von anderen Sicherheit für uns erwarten, wir müssen
    manchmal auch unangenehme Konsequenzen ziehen, um
    Sicherheit für alle mit anzubieten.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir werden uns in dieser Debatte wiedersehen; ich

    sage sie Ihnen fast schon voraus. Dann wird die deutsche
    Öffentlichkeit zur Kenntnis nehmen, dass alles Schall und
    Rauch war, was vom Bundeskanzler im Wahlkampf ge-
    sagt worden ist. Darauf muss hier hingewiesen werden.

    Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)




Rede von Dr. h.c. Susanne Kastner
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Angelica

Schwall-Düren, SPD-Fraktion.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Angelica Schwall-Düren


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute, zu Be-
    ginn der 15. Legislaturperiode, befindet sich die Europä-
    ische Union an einem entscheidenden Wendepunkt ihrer
    Geschichte. Die Einigung Europas und damit die endgül-
    tige Überwindung der künstlichen Teilung des Kontinents
    als Folge des Zweiten Weltkrieges ist in greifbare Nähe
    gerückt. Gleichzeitig stellt die aktuelle internationale
    Lage – dazu haben wir heute schon einiges gehört – die
    Europäische Union vor große neue Herausforderungen
    nach innen und außen.

    Die EU ist heute der entscheidende Handlungsrahmen
    für eine aktive und an demokratischen Grundwerten
    orientierte Gestaltung der Globalisierung. Nur im EU-
    Kontext kann es gelingen, die Herausforderungen der
    Globalisierung für das europäische Gesellschafts- und
    Sozialmodell erfolgreich zu meistern.


    (Beifall bei der SPD)

    Drei große Aufgaben hat die EU in den kommenden

    Jahren zu bewältigen: Sie muss auf dem Weg der europä-
    ischen Einigung voranschreiten, sie muss ihre Hand-

    lungsfähigkeit erhalten und erweitern und sie muss ein
    Europa der Bürger werden.

    Die Europäische Union ist ein einzigartiges Erfolgs-
    modell der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Hätten
    unsere Großeltern und Eltern je davon zu träumen gewagt,
    dass ein durch Hass, Krieg und Verbrechen gegen die
    Menschlichkeit zerrissener Kontinent ein Modell der Ver-
    ständigung und Zusammenarbeit entwickeln kann, wie es
    mit der EU und ihren Vorläuferorganisationen gelungen
    ist? Wir haben heute ein Modell der friedlichen und kon-
    struktiven Lösung von Interessenkonflikten, ein Modell,
    das zunächst den Gründungsmitgliedern und dann den im
    Laufe der Jahre hinzugekommenen Ländern Wachstum,
    Wohlstand und soziale Sicherheit beschert hat, ein Mo-
    dell, das keineswegs zu einer Nivellierung unserer Ge-
    sellschaften geführt, sondern den Reichtum der Unter-
    schiedlichkeit bewahrt hat, insbesondere auch die
    kulturelle Vielfalt.

    Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ist nun die
    Chance gegeben, Europas Wiedervereinigungsprozess
    weiter voranzubringen. Der Gipfel in Kopenhagen wird
    die Entscheidung bringen, dass zehn Länder in die Euro-
    päische Union aufgenommen werden. Weitere können in
    der Zukunft dazukommen.

    Lassen Sie mich deshalb in diesem Zusammenhang auf
    die Türkei zu sprechen kommen. Die in diesem Land an-
    gepackten Reformen, Herr Schäuble und Herr Gerhardt,
    belegen, dass die Heranführungsstrategie der Union ihre
    Früchte trägt.


    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    Deshalb macht es Sinn, dass der Türkei in Kopenhagen
    ein weiteres positives Signal gegeben wird, dergestalt,
    dass das Land bei Fortführung des Reformprozesses in
    absehbarer Zeit damit rechnen kann, ein Datum für den
    Beginn von Verhandlungen genannt zu bekommen.

    Meine Damen und Herren, wir alle wissen: Die EU-
    Osterweiterung stößt bei manchen Bürgerinnen und Bür-
    gern noch auf Vorbehalte. Was aber viel zu oft vergessen
    wird, sind die enormen Chancen, die mit der Erweiterung
    der Europäischen Union verbunden sind. Das ist einer-
    seits die weitere Ausdehnung des Raums des Rechts, der
    Sicherheit und der Freiheit in Europa und das ist anderer-
    seits der zu erwartende Wohlstandsmehrwert, bei dem wir
    letztlich alle durch höhere Wachstumsraten und Einkom-
    men profitieren. Deutschland profitiert übrigens ganz be-
    sonders von der EU-Erweiterung. Diesen Prozess zu un-
    terstützen ist die erklärte Absicht der SPD-Fraktion.


    (Beifall bei der SPD)

    Nicht erst die Aussicht, zehn weitere Länder in die

    Europäische Union aufnehmen zu können, hat deutlich
    gemacht, dass die Strukturen der EU optimiert werden
    müssen. Nur eine handlungsfähige Gemeinschaft wird in
    der Lage sein, die großen wirtschaftlichen, politischen
    und gesellschaftlichen Herausforderungen im Zeitalter
    der Globalisierung zu meistern.

    Ich nenne Ihnen nur die Stichworte Kosovo-Konflikt,
    11. September 2001, Hochwasserkatastrophe dieses Som-


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    104


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)






    mers, hohe Arbeitslosigkeit in vielen europäischen Län-
    dern, Flüchtlingsproblematik und internationale Krimina-
    lität. Schon daran wird deutlich, dass wir eine gemein-
    schaftliche Politik in den Bereichen der Außen- und
    Sicherheitspolitik, der Klimaschutzpolitik sowie der So-
    zial- und Rechtspolitik brauchen.

    Diese Herausforderungen sind aber mit den herge-
    brachten Gemeinschaftsmechanismen auf Dauer nicht zu
    bewältigen. Deshalb haben die europäischen Staats- und
    Regierungschefs am 15. Dezember 2001 mit der Er-
    klärung von Laeken – nicht zuletzt als Ergebnis der ent-
    schiedenen Initiative der Bundesregierung – den Grund-
    stein für den umfassendsten und ambitioniertesten
    Reformprozess seit Gründung der Europäischen Gemein-
    schaften gelegt.

    Für uns ist dabei besonders wichtig, dass erstmals in
    der Geschichte der europäischen Integration Parlamenta-
    rier aus den nationalen Parlamenten und dem Europä-
    ischen Parlament im Konvent von Anfang an maßgeblich
    an dem großen Reformprojekt einer europäischen Ver-
    fassung beteiligt sind. Wie ernst unser Bundeskanzler
    diese Arbeit nimmt, ergibt sich schon allein aus der Ent-
    sendung des Außenministers in den Konvent.

    Gestern nun hat der Präsident des europäischen Ver-
    fassungskonvents, Valéry Giscard d’Estaing, den ersten
    Verfassungsentwurf vorgelegt. Nun gilt es, mit diesem
    Entwurf zu arbeiten. Mit der Bundesregierung will die
    Fraktion darauf hinarbeiten, dass die Ausübung europä-
    ischer Macht demokratischer, transparenter und effizien-
    ter wird. Dabei müssen das Prinzip der Gewaltenteilung
    besser durchgesetzt und die demokratische Verantwort-
    lichkeit auf europäischer Ebene erhöht werden. Dies
    schließt die Bindung der EU-Organe an die Charta der
    Grundrechte ein. Darüber gibt es inzwischen eine große
    europäische Einigkeit.

    Die Reform der EU muss dazu beitragen, dass Europa
    eine Gemeinschaft der Bürger wird. Europa muss ein Ge-
    sicht bekommen. Europa muss mit Namen verbunden
    werden. Aber eine entsprechende Konstruktion wie zum
    Beispiel die Einsetzung eines EU-Präsidenten darf nicht
    zu einer Schwächung der EU-Kommission oder des Par-
    laments führen. Vielmehr müssen die demokratische Le-
    gitimation gestärkt und die Transparenz der Entscheidun-
    gen erhöht werden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Dazu ist eine Stärkung des EU-Parlaments unabdingbar.
    Gerade weil wir eine stärkere Vergemeinschaftung wol-
    len, muss das Europäische Parlament mehr Befugnisse
    bekommen.

    Die Musik spielt mehr und mehr in Europa. Immer
    mehr Politikfelder werden auf der europäischen Ebene
    vorgeprägt oder entschieden werden. Ich kann hier heute
    nur wenige davon ansprechen. Ich will beispielhaft den
    Ansatz der EU-Kommission nennen, die zweite Säule der
    Agrarpolitik für Maßnahmen der ländlichen Entwicklung
    zu stärken und eine integrierte ländliche Entwicklung vo-
    ranzubringen. Dies wird von uns ausdrücklich begrüßt
    und unterstützt.

    Durch die baldige Erweiterung der Europäischen
    Union werden politische Stabilität und wirtschaftliches
    Wachstum in weitere Länder Ost- und Mitteleuropas ex-
    portiert. Das europäische Sozialmodell muss dabei erhal-
    ten und ausgebaut werden. Die Europäische Union muss
    weiter an den in Lissabon vereinbarten Zielen zur Er-
    höhung der Beschäftigungsquote bis hin zur Vollbeschäf-
    tigung festhalten und Europa zu einer der wachstums-
    stärksten Regionen der Welt machen. Zur Erreichung
    dieses Zieles ist aber ein Gleichgewicht zwischen Wirt-
    schafts- und Sozialpolitik erforderlich.

    Günter Verheugen hat in Brüssel den Erweiterungspro-
    zess vorangebracht, Michaele Schreyer steht für die Fi-
    nanzierbarkeit der europäischen Aufgaben. Denn eine so-
    lide Haushaltspolitik ist nicht nur im nationalen Rahmen
    nötig. Wenn man in Europa ein Gleichgewicht zwischen
    starker Wirtschafts- und Sozialpolitik erreichen will, be-
    darf es einer soliden Finanzbasis.

    Mit großer Erleichterung ist deshalb in vielen Ländern
    die Nachricht aufgenommen worden, dass sich Bundes-
    kanzler Gerhard Schröder und Staatspräsident Jacques
    Chirac auf eine Grundlage für die Finanzierung der EU-
    Agrarpolitik über das Jahr 2006 hinaus geeinigt haben.

    Die Interessenlage konnte dabei nicht unterschiedli-
    cher sein: Neumitglieder, zu denen das agrarpolitisch
    wichtige Land Polen gehört, möchten die gleichen Leis-
    tungen bekommen, wie sie die Altmitglieder der EU er-
    halten. Länder wie Frankreich, die überdurchschnittlich
    von den Direktzahlungen profitieren, möchten keine Re-
    duzierung der Leistungen hinnehmen. Nettozahler wie
    Deutschland wehren sich gegen eine Steigerung der Bei-
    tragslast.

    Deshalb möchte ich Bundeskanzler Schröder aus-
    drücklich dafür danken, dass er mit dem französischen
    Staatspräsidenten einen Kompromiss gefunden hat, der
    das Beitrittsverfahren weiter voranbringt.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Herr Gerhardt, jeder weiß, dass Kompromisse die
    Eigenart haben, dass keine Seite ihre Position zu 100 Pro-
    zent durchsetzen kann.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Es war ja kein Kompromiss! Er hat sich ja nur verhört!)


    Deshalb möchte ich die polnische Zeitung „Gazeta Wy-
    borcza“ zitieren, die das Ergebnis des Gipfeltreffens als
    eine „Lektion des europäischen Realismus“ charakteri-
    siert hat.

    Herr Gerhardt, deutsche und französische Politiker, der
    französische Staatspräsident und der deutsche Bundes-
    kanzler treffen sich so häufig wie nie in der Geschichte
    zuvor.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Gut vorbereitet!)


    Deshalb können wir davon ausgehen, dass der deutsch-
    französische Motor, wie in der Vergangenheit und wie es
    in diesem Augenblick bewiesen worden ist, auch in Zu-
    kunft gut funktionieren wird. In Kopenhagen kann jetzt

    Dr. Angelica Schwall-Düren




    Dr. Angelica Schwall-Düren
    der nächste entscheidende Schritt für die Erweiterung der
    EU vollzogen werden. Der Konvent wird bis Som-
    mer 2003 die entscheidende Vorarbeit für die Reform der
    Institutionen leisten.

    Europa ist unsere Zukunft. Diese Zukunft ist gestaltbar.
    Europa hat keine andere Zukunft als die des Dialogs und
    der Einbindung in die europäische Aufklärung. Alles an-
    dere führt zur Destabilisierung. Die rot-grüne Koalition
    packt die vor uns liegenden Aufgaben für ein friedliches,
    soziales und nachhaltiges Europa an.

    Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)