Rede:
ID1500400400

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 9
    1. Ich: 1
    2. erteile: 1
    3. dem: 1
    4. Kollegen: 1
    5. Franz: 1
    6. Müntefering,: 1
    7. SPD-Fraktion,: 1
    8. das: 1
    9. Wort.\n: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Tagesordnungspunkt 1: Regierungserklärung des Bundeskanz- lers mit anschließender Aussprache . . . . . 51 A Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . 51 B Dr. Angela Merkel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 61 B Franz Müntefering SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 D Dr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . . . . . 74 B Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 77 D Friedrich Merz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 81 C Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 81 D Ernst Bahr (Neuruppin) SPD . . . . . . . . . . . . . 82 B Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 84 C Sabine Bätzing SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 C Olaf Scholz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 B Petra Pau fraktionslos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 D Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 93 D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . . . . . . 97 A Gernot Erler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 A Dr. Wolfgang Gerhardt FDP . . . . . . . . . . . . . . 102 A Dr. Angelica Schwall-Düren SPD . . . . . . . . . 104 B Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 A Rudolf Bindig SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 B Dr. Werner Hoyer FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 A Dr. Peter Struck, Bundesminister BMVg . . . . 111 C Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 113 C Dr. Peter Struck, Bundesminister BMVg . . . . 115 C Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 115 D Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 A Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU . . . . . . . . . . 117 A Reinhold Robbe SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 A Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministe- rin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 C Dr. Christian Ruck CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 122 C Dr. Uschi Eid, Parl. Staatssekretärin BMZ . . . 123 D Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . . . . . . . 124 D Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . 125 D Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU . . . . . . . . . . . 127 D Dr. Dieter Wiefelspütz SPD . . . . . . . . . . . 130 C Hans-Joachim Hacker SPD . . . . . . . . . . . . . . 131 D Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 D Jerzy Montag BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 136 A Otto Schily, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . 137 D Wolfgang Bosbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 139 D Otto Schily SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 C Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 A Silke Stokar von Neuforn BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 A Dr. Max Stadler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 C Wolfgang Bosbach CDU/CSU . . . . . . . . . 146 B Hartmut Koschyk CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 147 B Silke Stokar von Neuforn BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 B Dr. Christina Weiss, Staatsministerin BK . . . . 150 C Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . . . . . . . 151 B Plenarprotokoll 15/4 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 4. Sitzung Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002 I n h a l t : Monika Griefahn SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 D Hans-Joachim Otto (Frankfurt) FDP . . . . . . . 154 C Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 155 C Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 157 B Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 158 C Ulrike Mehl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 B Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 A Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . . 164 D Dr. Peter Paziorek CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 166 C Winfried Hermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 171 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 4. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002II (A) (B) (C) (D) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 4. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002 51 4. Sitzung Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002 Beginn: 10.00 Uhr
  • folderAnlagen
    (A) (B) (C) (D) 170 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 4. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002 171 (C)(A) entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage zum Stenografischen Bericht Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/ 29.10.2002 Marieluise DIE GRÜNEN van Essen, Jörg FDP 29.10.2002 Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 29.10.2002 Meyer (Tapfheim), CDU/CSU 29.10.2002 Doris Möllemann, Jürgen W. FDP 29.10.2002 Niebel, Dirk FDP 29.10.2002 Nolting, Günther FDP 29.10.2002 Friedrich Pieper, Cornelia FDP 29.10.2002 Thiele, Carl-Ludwig FDP 29.10.2002 Violka, Simone SPD 29.10.2002 Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Angela Merkel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

    ren! Herr Bundeskanzler, beim Zuhören, insbesondere bei
    der letzten Passage Ihrer Regierungserklärung, in der Sie
    so salbungsvoll die hehren Ziele Ihrer Politik – ein Leben
    reicher an Chancen, reicher an Arbeitsmöglichkeiten,
    reicher an Zukunftshoffnungen, reicher an Einkommen –,
    die wir – so haben Sie gesagt – gemeinsam erreichen wer-

    den, aufgelistet haben, kam mir ein Satz aus dem Johan-
    nesevangelium in den Sinn: „Mein Reich ist nicht von die-
    ser Welt.“


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich füge hinzu: Ihre Wahrnehmung der Realität, Herr

    Bundeskanzler, und Ihre Regierungserklärung sind auch
    nicht von dieser Welt.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Eigentlich war man mehr als eine Stunde lang versucht,
    den Satz herauszubrüllen: Die Wahrheit ist konkret, Ge-
    nosse! – Das haben wir vermisst, Herr Bundeskanzler.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Sie haben manches Problem durchaus richtig beschrie-
    ben. Aber man konnte bei mancher Problembeschreibung
    Ihnen und denjenigen, die Ihnen zugehört haben, förmlich
    ansehen, dass sie sich dabei ziemlich schlecht fühlen.
    Denn Lyrik ist nötig. Ich frage Sie: Wen wollen Sie dies-
    mal zum Schuldigen stempeln?

    Die Probleme von heute können Sie eben nicht mehr
    der imaginären Erblast von 16 Jahren Helmut Kohl in die
    Schuhe schieben.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ludwig Stiegler [SPD]: Wir haben immer noch 40 Milliarden Euro für Zinsen!)


    Sie spüren es und Sie haben es die ganze Zeit gespürt.
    Das, Herr Bundeskanzler, lastet auf Ihrer Rede. Sie wis-
    sen, es gibt eine Erblast und Sie tragen schwer daran, aber
    es ist Ihre eigene Erblast, die rot-grüne Erblast, die
    Deutschland bremst und Wachstum unmöglich macht.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ludwig Stiegler [SPD]: Das haben die Deutschen aber anders gesehen!)


    Die Staatskassen wollen sich partout nicht füllen, die
    Löcher werden täglich größer. Die Rentenversicherung
    verlangt mehr Beiträge und gibt weniger Sicherheit, das
    Gesundheitssystem schluckt das Geld wie ein Pillensüch-
    tiger die Pillen. Daran werden auch die Ankündigungen
    eines Vorschalt- oder Nachschaltgesetzes nichts ändern,
    das wird so bleiben.

    Herr Bundeskanzler, das Schlimmste ist: Die Arbeits-
    losigkeit sinkt nicht, sondern wird weiter steigen. Dabei
    geht es nicht um irgendeine Zahl, um 4 Millionen oder
    4,5 Millionen in diesem Winter; nein, hier geht es um
    Menschen, um Familien, um das Selbstwertgefühl dieser
    Menschen, um Hoffnungen, um Verletzungen, um Ent-
    täuschungen, um richtige menschliche Schicksale. Es ist
    keine nackte Zahl und deshalb sage ich Ihnen: Keines die-
    ser konkreten Schicksale hat in den letzten 65 Minuten in
    diesem Saal eine Rolle gespielt und das werfen wir Ihnen
    vor.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Völliger Unsinn! Sie haben keine richtige Wahrnehmung! Das stand schon gestern in Ihrem Konzept!)


    Bundeskanzler Gerhard Schröder




    Dr. Angela Merkel

    Man hätte sich gewünscht, dass Sie nach der mit Ach
    und Krach gerade einmal so gewonnenen Bundestags-
    wahl diesmal richtig durchstarten.


    (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gewonnen ist gewonnen!)


    Der Titel Ihres Koalitionsvertrags ist durchaus viel ver-
    sprechend. „Erneuerung – Gerechtigkeit – Nachhaltig-
    keit“ – das ist Ihr Angebot an die Gesellschaft.


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ist es! Das ist auch gut so!)


    Sie wollen das mit einem Kabinett, das insgesamt an
    Lebensalter auf 800 Jahre kommt, durchsetzen. Ich würde
    sagen: So alt waren Aufbruch und Erneuerung selten in
    Deutschland.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Aber wenn man sich einmal die Mühe macht, die darin

    enthaltenen Absichtserklärungen zu verstehen und mit
    dem zu vergleichen, was Ihre Regierung heute, in den Ta-
    gen vor und in den Tagen nach der Wahl gesagt hat,
    kommt es noch schlimmer. Herr Bundeskanzler, es kann
    nur ein einziges Urteil geben: Dies ist ein Koalitionsver-
    trag der Enttäuschung, es ist ein Koalitionsvertrag der
    Täuschung und es ist ein Koalitionsvertrag der Vertu-
    schung. Dies werden wir auch weiterhin beim Namen
    nennen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Man weiß ja auch schon, was jetzt kommt: Wahlkampf

    fortsetzen, schlechte Verlierer, CDU-Staat beenden, Ket-
    tenhunde loslassen, Helfershelfer und so weiter und so
    fort.


    (Jörg Tauss [SPD]: Richtig!)

    Aber damit bekommen Sie nicht einmal mehr die Treues-
    ten der Treuen in Ihren eigenen Reihen hinter dem Ofen
    hervorgelockt.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Die deutsche Öffentlichkeit fällt auf so etwas schon

    lange nicht mehr herein. Dies alles bestätigt nur den Ein-
    druck, dass Ihnen diese knapp gewonnene Wahl ziemlich
    in den Knochen steckt. Sie haben heute schon Angst vor
    der Quittung, die Sie in Niedersachen und Hessen be-
    kommen werden.


    (Widerspruch bei der SPD)

    Wir werden es den Menschen auch immer wieder sagen.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Sie zeigen an diesen Stellen auch schon Verfolgungs-
    wahn. Aber nicht wir haben Ihnen Verfolgungswahn vor-
    geworfen, sondern die „Süddeutsche Zeitung“, die Sie
    wahrscheinlich noch nicht zu den Kettenhunden des kon-
    servativen Lagers zählen können, Herr Bundeskanzler.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Dass Ihr Koalitionsvertrag ein Vertrag der Täuschung
    und Vertuschung ist, belegen einige Zitate:

    Steuererhöhungen sind in der jetzigen konjunkturel-
    len Situation ökonomisch unsinnig und deswegen
    ziehen wir sie auch nicht in Betracht.

    Gerhard Schröder in der ARD am 26. Juli 2002.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)


    Wir halten die Rentenbeiträge langfristig stabil.
    Gerhard Schröder in der „Frankfurter Rundschau“ am
    18. Juni 2002.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Wie nennt man das?)


    Ich bin sicher, wir kriegen keinen blauen Brief aus
    Brüssel.

    Herr Eichel am 17. September 2002, fünf Tage vor der
    Wahl, in der ARD-Sendung mit dem schönen Titel „Ihre
    Wahl 2002“.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, ich erspare Ihnen, dies alles

    auf die Waagschale zu legen. Ich nenne hier nur das Bei-
    spiel Eichel: Von einer Neuverschuldung in Höhe von
    2,5 Prozent war am Tag vor der Wahl die Rede, von
    2,9 Prozent am Tag nach der Wahl und 14 Tage später war
    von einem blauen Brief aus Brüssel die Rede. Inzwischen
    ist er froh, wenn er ihn bekommt und vonseiten der Kom-
    missare in Brüssel nicht noch mehr draufgepackt wird.
    Das ist die Wahrheit.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist völliger Quatsch!)


    Die Wahrheit ist so konkret, dass man sagen kann: Jede
    Familie in diesem Lande wird draufzahlen. Die Menschen
    kommt die Wahl buchstäblich teuer zu stehen. 200 Euro im
    Monat beträgt die Mehrbelastung für jede deutsche Durch-
    schnittsfamilie mit zwei Kindern und 30 000 Euro Ein-
    kommen.


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch Unsinn!)


    Zur Kürzung der Eigenheimzulage:

    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Man weiß doch noch gar nicht, was am Ende kommt!)


    – Richtig, Herr Schmidt, man weiß nicht, was am Ende
    kommt. Dies ist das Einzige, was bei Ihnen Gültigkeit hat.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich füge nur noch hinzu: Es ist gut, dass es uns gibt,


    (Lachen bei der SPD –Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hören Sie doch auf!)


    sonst wüssten die Leute nicht, was kommt. Wenn sie nur
    Sie hätten, würde es ganz schlimm kommen.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Nun zur Eigenheimzulage:Hören Sie sich einmal Ihre

    Abgeordnete Margrit Wetzel aus Stade an. Sie sagt: Die


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    62


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)






    Streichung der Eigenheimzulage ist ein Schlag ins Ge-
    sicht der deutschen Bauwirtschaft.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Wo sie Recht hat, hat sie Recht!)


    – Wo Sozialdemokraten Recht haben, haben sie Recht.

    (Beifall des Abg. Michael Glos [CDU/CSU])


    Sie begreifen doch gar nicht, was Sie den Menschen
    antun! Wissen Sie, was dies für eine Familie bedeutet, die
    ein Haus bauen will? Sie weiß, dass sie ohne diese Förde-
    rung bei der Bank – dies ist doch der entscheidende
    Punkt – nicht mehr kreditfähig ist.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Selbst Gabriel weiß das!)


    Riesige Bauunternehmen machen heute mit Fertigteil-
    häusern Dumpingangebote und zerstören so die kleinen
    Baubetriebe vor Ort. Herr Stolpe, hier frage ich Sie: Was
    tun Sie mit solchen Plänen eigentlich für die Bauwirt-
    schaft im Osten?


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Dem Stichwort Eigenheimzulage kann man hinzufü-

    gen: Gassteuer, Tabaksteuer, Steuerreform verschoben,
    höhere Rentenbeiträge und höhere Krankenkassenbei-
    träge. Dies zusammen macht die Mehrbelastung in Höhe
    von 200 Euro pro Familie und Monat aus.


    (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sind wir einmal gespannt, wie Sie sparen!)


    Dann behaupten Sie, Ihre Maßnahmen seien nicht nur
    notwendig, sondern gerecht und maßvoll und träfen vor
    allem diejenigen, die noch mehr tragen können.


    (Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was ist Ihr Vorschlag, Frau Merkel? Werden Sie einmal konkret!)


    Schauen Sie sich doch einmal an, was das in Wahrheit be-
    deutet. Es trifft alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
    in diesem Lande, es trifft alle Autofahrer und insbeson-
    dere die Pendler. Es trifft die, die Lebensmittel einkaufen,
    denn sie sind von der Erhöhung der Preise der landwirt-
    schaftlichen Vorprodukte betroffen. Es trifft die Leis-
    tungsträger – das sind die Facharbeiter, die Gesellen, die-
    jenigen, die Überstunden machen in diesem Lande –, weil
    Sie die Beitragsbemessungsgrenze erhöhen.


    (Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wo ist denn Ihr Vorschlag, Frau Merkel?)


    Es trifft die Mieter in diesem Lande, es trifft die, die für
    ihre Altersvorsorge Wertpapiere gekauft haben, und es
    trifft natürlich wie immer – weil die Sie nicht wählen –
    ganz besonders die Bauern; das ist schon fast Routine.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Kein einziger Vorschlag von Ihnen, Frau Merkel!)


    Man muss doch wirklich einmal fragen dürfen: Was ist
    an diesen Belastungen eigentlich gerecht? Wo ist die Ba-

    lance, von der Sie bei diesen Belastungen so gerne spre-
    chen?


    (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie auch Antworten oder nur Fragen?)


    Besteht schon deshalb eine Balance und ein Gleichge-
    wicht, weil alle in diesem Lande gemeinsam am Boden
    liegen? Das kann doch nicht die Balance sein, die Sie mei-
    nen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch unglaublich! Sie zeichnen hier ein Zerrbild!)


    Deshalb heißt die schlichte Schlussfolgerung: Rot-
    Grün macht arm


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    und, noch schlimmer, Rot-Grün bietet den Menschen
    überhaupt keine Aussicht in Bezug auf die Frage, wie in
    diesem Lande Wachstum und damit wieder mehr Be-
    schäftigung entstehen können.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Wirklich schlimm an Ihrer Politik ist, dass Sie wissen,
    dass die Lage der öffentlichen Haushalte viel schlechter
    ist, als Sie uns heute sagen.


    (Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und was ist jetzt Ihr Vorschlag?)


    Deshalb werden Sie uns, vor allen Dingen nach dem
    2. Februar, scheibchen- und tröpfchenweise weitere
    Maßnahmen zumuten. Darum frage ich heute schon ein-
    mal vorsorglich: Was haben Sie mit dem Ehegattensplit-
    ting vor?


    (Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn vor, Frau Merkel? Sagen Sie uns das doch!)


    Was soll mit dem Sparerfreibetrag geschehen? Was wird
    aus der Entfernungspauschale? Verändert sich an der
    Mehrwertsteuer noch mehr? Beabsichtigen Sie, die Le-
    bensversicherungen noch stärker zu belasten? Es ist doch
    kein Zufall, dass das alles in den Koalitionsgesprächen
    aufgetaucht und anschließend wieder in der Schublade
    verschwunden ist.

    Deshalb sagen wir Ihnen sehr bewusst: Wir verlangen
    im Namen der Bürger dieses Landes,


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die haben Sie gar nicht autorisiert! Finden Sie sich endlich damit ab!)


    dass Sie uns heute und diese Woche hier reinen Wein in
    Bezug auf das einschenken, was Sie in den nächsten Mo-
    naten vorhaben.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir würden gern wissen, was Sie vorschlagen! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie regieren doch!)


    Dr. Angela Merkel




    Dr. Angela Merkel

    Es ist ganz klar: Sie, die Sie dort sitzen, sind keine Re-
    gierung der Erneuerung, sondern eine Regierung der Ver-
    teuerung.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie sind eine Opposition der Nörgelei!)


    Oskar Lafontaine hatte doch Recht:

    (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Nicht der Mut wächst, Herr Bundeskanzler, sondern die Wut
    der Menschen in diesem Lande über diese Art der Politik.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Herr Bundeskanzler, man möchte es mit einem Ihrer
    Lieblingsworte kommentieren: Wie Sie mit den Men-
    schen in diesem Lande umgehen, das ist schlicht und er-
    greifend unanständig.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Unanständig ist das, was Sie machen,


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ihre Rede ist unanständig!)


    und unanständig ist vor allen Dingen das Brechen von
    Versprechen.

    Ich möchte auf die Debatte vom 13. September 2002
    hier in diesem Hause zurückkommen. Ich habe mich da-
    mals gar nicht lange mit den vielen gebrochenen Verspre-
    chen in der Arbeitsmarkt-, Gesundheitspolitik usw. auf-
    gehalten,


    (Ludwig Stiegler [SPD]: Das hat alles nichts geholfen!)


    sondern ich habe Ihnen nur eines gesagt: Die größte Täu-
    schung der Nachkriegszeit ist Ihre Haltung im Zusammen-
    hang mit einem militärischen Einsatz gegen den Irak.


    (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was?)


    Es hat sich jetzt erwiesen, dass meine Aussage richtig war.

    (Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie haben überhaupt nichts kapiert!)


    Ihre Haltung war und ist der größte Betrug am deutschen
    Wähler in der Nachkriegsgeschichte. Vor der Wahl gab es
    nur ein einziges Wort: Nein. Nein zur UN, nein zum Ver-
    bleib der ABC-Panzer in Kuwait, nein zu Sanktionen.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja, genau!)

    Nach der Wahl besitzt der Bundesaußenminister die
    Dreistigkeit, einer englischen Zeitung auf die Frage, was
    mit dem so genannten deutschen Weg sei, zu antworten,
    er könne natürlich nicht für den Kanzler sprechen, aber:
    Forget it! – Auf Deutsch: Vergesst es!
    Das ist es, was Sie hoffen und wovon Sie ausgehen.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist die Arroganz der Macht!)


    Für wie dumm halten Sie eigentlich die deutsche Bevöl-
    kerung? Die Menschen werden das nicht vergessen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hat doch der Kanzler gerade erklärt! Sie hören ja nicht einmal zu! Sie halten die alten Reden! – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das war kein Dolmetscherfehler! Das hat er so gesagt!)


    Die Wahrheit und die Politik sind – Herr Schmidt, da
    können Sie so viel schreien, wie Sie wollen – eben nicht
    so einfach.


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das stimmt! Darum sind Sie auch nicht gewählt worden!)


    Wie steht es denn mit der Beantwortung der vielen kon-
    kreten Fragen, die sich ergeben? Wie wird sich die Bun-
    desregierung verhalten? Ist sie bereit, sich an einer
    UN-Peacekeeping-Maßnahme nach einer militärischen
    Auseinandersetzung mit dem Irak zu beteiligen? Zu wel-
    chen Hilfsmaßnahmen wäre sie bereit, wenn der Irak Israel
    angreift? Was machen die ABC-Spürpanzer in Kuwait im
    Falle eines militärischen Konfliktes? Würden deutsche
    Soldaten Hilfe für die verwundeten US-Soldaten leisten?
    Würde die Bundesregierung dem NATO-Mitglied Türkei
    militärisch zu Hilfe kommen, wenn sie vom Irak ange-
    griffen würde? Wie verhält sich die Bundesregierung bei
    einer Abstimmung über eine Resolution des UN-Sicher-
    heitsrates nach dem 1. Januar?


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch breit getretener Quark! Unsinn ohne Ende!)


    Wollen Sie alleine mit Syrien mit Nein stimmen? Diese
    Fragen interessieren uns. Wir wollen sie beantwortet ha-
    ben. Auf eine Antwort warten wir schon lange.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Bundeskanzler, Sie haben es bis heute nicht ge-

    schafft, unser nationales Interesse zu definieren. Deshalb
    sage ich Ihnen für die CDU und die CSU: Wir alle wollen
    keinen Krieg.


    (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!)


    Das habe ich schon damals deutlich gemacht und tue es
    jetzt wieder. Wann immer Konflikte diplomatisch oder
    politisch gelöst werden können, sollte in dieser Beziehung
    nichts unversucht gelassen werden.

    Eine kurze Anmerkung zum Wochenende sei mir in
    diesem Zusammenhang gestattet. Wir alle sind gegen ter-
    roristische Angriffe. Ich hätte mir deswegen von Ihnen,
    Herr Bundeskanzler, schon gewünscht, Sie hätten dem
    russischen Präsidenten Putin mit aller Klarheit deutlich
    gemacht, dass wir mit Nachdruck erwarten, dass auch po-
    litische Anstrengungen in Tschetschenien unternommen
    werden. Das wurde versäumt.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    CDU und CSU sind bereit, die von der UN erwarteten

    Beschlüsse gegen den Irak zu unterstützen. Wir sind im
    Übrigen der Auffassung, dass die französischen Ansätze
    hierfür eine gute Grundlage bieten.


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    64


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)






    Ich komme zu einem Punkt, zu dem Sie auch nicht
    Stellung genommen haben, der aber schon im November
    aktuell wird. CDU und CSU erwarten, dass sich die Bun-
    desregierung auf dem NATO-Gipfel in Prag, auf dem
    das Thema Irak mit Sicherheit zur Sprache kommen wird,
    nicht aus dem Kreis der Verbündeten stiehlt, sondern sich
    für eine gemeinsame Position der NATO-Mitgliedstaaten
    einsetzt.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ich möchte nicht erleben – das sage ich für die Union –,
    dass Norwegen, Ungarn und Polen auf der Seite der Ame-
    rikaner sind und wir nicht. Deutschland hat Freundschaf-
    ten. Diese Freundschaften sind an Werte gebunden und
    müssen in einem Bündnis etwas zählen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das alles sage ich mit Blick auf die Zukunft. Wir ahnen

    doch schon, wie es ablaufen wird, wenn es Weihnachten
    wird, der Januar kommt und die Wahlen in Niedersachen
    und in Hessen vor der Tür stehen. Sie werden in Hessen die
    alten Plakate aus dem Jahr 1991 auspacken, auf denen
    steht: Kein Blut für Öl. – Ich kann Ihnen sagen: Genau das
    wird nicht funktionieren, weil sich die Menschen im Lande
    ziemlich erstaunt die Augen reiben und sich fragen werden:
    War der Irak nicht das Wahlkampfthema? In den Koalitions-
    vereinbarungen sucht man diesen Punkt vergeblich. Vom
    Kosovo, von Mazedonien und von Afghanistan ist zu lesen,
    aber vom Irak ist nicht mit einer Silbe die Rede.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es!)

    Ich vermute, wenigstens der Außenminister hat Sie daran
    gehindert, Ihre Lügen in der Koalitionsvereinbarung auch
    noch in Schriftform zu fassen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Furchtbar! – Joachim Poß [SPD]: Unglaublich! – Weiterer Zuruf von der SPD: Alte Dreckschleuder!)


    Wenn man sich anschaut, was in den letzten fünf Wo-
    chen passiert ist, dann drängt sich die Frage auf, was Sie
    wirklich wollen. Warum gehen Sie so vor? „Man erkennt
    nicht, wohin es eigentlich geht.“


    (Ludwig Stiegler [SPD]: Sie haben keine hermeneutische Kompetenz!)


    So klage nicht nur ich, so klagte auch der thüringische
    SPD-Landesvorsitzende Matschie am Wochenende.

    Wo der Mann Recht hat, hat er Recht; denn genau das
    ist das Problem dieses Bundeskanzlers. Man weiß nicht,
    wo es hingeht. Ich sage es mit meinen Worten: Herr Bun-
    deskanzler, welchen Wert hat für Sie eigentlich der Ge-
    staltungsanspruch der Politik gerade jetzt, also in, wie Sie
    so gerne betonen, unserer Zeit der Globalisierung? Sehen
    Sie überhaupt einen Gestaltungsanspruch oder sehen Sie
    in der Globalisierung immer nur einen imaginären Schul-
    digen?

    Ich sage: Gestaltung ist nicht punktuelles Handeln und
    nicht das Reagieren auf kurzfristige Ereignisse, neu-
    deutsch auch Krisenmanagement genannt – selbst wenn
    auch das manchmal erforderlich ist. Ich meine eine Ge-

    staltung, die dem Leben eine Richtung gibt und die Zu-
    sammenhänge herstellt. Ich glaube, dies ist die vor-
    nehmste Aufgabe der Politik.


    (Jörg Tauss [SPD]: Da haben Sie Recht!)

    Sie wollen, wie Sie gesagt haben, eine „rot-grüne Epo-

    che“ beginnen.

    (Jörg Tauss [SPD]: Ja! – Ludwig Stiegler [SPD]: Die dürfen Sie in der Opposition begleiten!)


    „Epochen muss man begründen können.“

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr! – Ludwig Stiegler [SPD]: Sie gründen sich aus sich selbst!)


    – Hören Sie doch zu, Herr Stiegler! „Das ist mit diesen
    90 Seiten Koalitionsvertrag nicht getan.“ – Auch das habe
    wiederum nicht ich, sondern das hat der stellvertretende
    Fraktionsvorsitzende Erler im jüngsten „Spiegel“ gesagt.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Herr Erler, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl! Es
    gibt selbst in der SPD-Fraktion einen kleinen Hoffnungs-
    schimmer. Es ist eben so: Ausrufen allein reicht nicht. Es
    macht die Sache fast noch schlimmer, weil ein ganz
    merkwürdiges und unsicheres Gefühl bleibt; es ist wie ein
    Pfeifen im Walde.

    Meine Damen und Herren, was ist Ihr Gestaltungsan-
    spruch der Politik? Finanzminister Eichel hatte sich mit
    seinem Sparkurs beinahe ein Stück weit in die Herzen der
    Menschen eingegraben. Am Tag der Unterzeichnung der
    Koalitionsvereinbarung in der Neuen Nationalgalerie er-
    klärte er aber dem staunenden deutschen Publikum, dass
    es mit dem Stabilitätspakt nun vorbei sei, dass man ihn
    irgendwie anders auslege und dass man ihn konjunktur-
    bedingt interpretieren müsse. Er tut das Gegenteil von
    dem, was er vier Jahre lang versucht hat, den Menschen
    beizubringen; das zerstört die Politik.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn! Was steht denn im Koalitionsvertrag?)


    Auf der einen Seite erhöhen Sie die Arbeitskosten
    durch steigende Sozialbeiträge für Rente und Gesundheit
    – das ist unstrittig – und auf der anderen Seite wollen Sie
    ebendiese Arbeitskosten über die 500-Euro-Jobs – dort
    halbherzig – und die Ich-AGs wieder heruntersubventio-
    nieren. Meine Damen und Herren, fördern Sie doch den
    gesamten deutschen Mittelstand – denn dann erhalten Sie
    mehr Arbeitsplätze –,


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Machen wir doch längst! Dazu brauchen wir Sie nicht!)


    statt mit Ich-AGs und sonstigen Hilfskonstruktionen an-
    zufangen! Das bringt Deutschland nicht weiter.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Und dann das viel gelobte Hartz-Konzept: Die Wirt-

    schaftsweisen – das waren also nicht wir – haben die Er-
    wartung, dass die Arbeitslosigkeit auf unter 2 Millionen

    Dr. Angela Merkel




    Dr. Angela Merkel
    sinken könnte, einhellig als schlicht und ergreifend „illu-
    sorisch“ bezeichnet.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Hartzer Käse!)

    Meine Damen und Herren, es ist ziemlich doll, dass der
    Superminister Clement – noch bevor er vereidigt war –
    die Sachverständigen bezichtigte, dass sie keinen Sach-
    verstand haben. So wird es nicht gehen. Sie werden die
    Statistik fälschen und versuchen, zu tricksen und zu täu-
    schen; aber damit werden Sie keinem einzigen Menschen
    in Deutschland wirklich helfen.


    (Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie auch nicht!)


    Wir werden das zum Thema machen und Sie zur Rede
    stellen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Auf der einen Seite wollen Sie, wie das vernünftig ist,

    die Menschen zu mehr Eigenverantwortung heranziehen,
    auf der anderen Seite bestrafen Sie aber diejenigen, die
    diese – auch ohne staatliche Förderung – wahrnehmen
    könnten, indem Sie die Beitragsbemessungsgrenze bei der
    Rente wieder hochsetzen und damit den Menschen die
    Möglichkeit nehmen, eine eigenständige private Vorsorge
    zu treffen. Das ist widersprüchlich und nachhaltig falsch.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


    Sie führen die Nachhaltigkeit groß im Munde. Deshalb
    ist es das Allerdollste, dass Sie mit der Erhöhung der Bei-
    tragsbemessungsgrenze heute Rentenansprüche begrün-
    den, von denen Sie wissen, dass Sie sie in der Zukunft nie-
    mals werden erfüllen können; das muss den Grünen im
    Herzen wirklich weh tun.


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist Unsinn!)


    Das ist eine nachhaltige Täuschung, nicht mehr und nicht
    weniger.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie haben – das war durchaus richtig – in der vergan-

    genen Legislaturperiode die Steuern auf einbehaltene Ge-
    winne gesenkt, um die Investitionskraft zu stärken. Nun
    aber, wo die Unternehmen dadurch, dass ihre Investitions-
    kraft gestärkt wurde, wieder an Wert gewinnen könnten,
    planen Sie, die Eigentümer durch die Besteuerung von
    Aktiengewinnen zu bestrafen. Wozu führt das? Das führt
    dazu, dass die Gewinne natürlich sofort einbehalten wer-
    den, dass nicht investiert wird, dass die Menschen nicht
    besser dastehen und dass die Eigentümerstrukturen wech-
    seln, weil in anderen Ländern keine Steuern bezahlt wer-
    den müssen.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Ist das Ihre Forderung? Keine Steuern mehr? – Olaf Scholz [SPD]: Keine Steuern?)


    Deshalb hat Professor Sinn zu Recht gesagt: Alles, was
    Sie vorschlagen, ist Gas geben und zugleich bremsen. Ich
    warte auf den Tag, Herr Bundeskanzler, an dem Sie uns
    das als großer Autofreak einmal praktisch vormachen:
    bremsen und zugleich Gas geben. Das kann nach meinem

    technischen Sachverstand nur zu einem nachhaltigen Mo-
    torschaden führen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Die Latte der Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen.
    Der Bundesumweltminister reist heute nach Neu Delhi.

    Sie haben das Klimaschutzziel für 2005 auf ganz ge-
    schickte Art und Weise eliminiert. Was ist denn nun mit der
    Minderung des CO2-Ausstoßes um 25 Prozent bis zumJahr 2005? Das Ziel taucht nicht mehr auf, weil es in Ihre
    Legislaturperiode fällt. Dafür haben Sie ein Ziel für 2020
    formuliert – unter dem Vorbehalt, dass auch die anderen eu-
    ropäischen Staaten ihren Beitrag dazu leisten. Wir erwarten
    heute von Herrn Trittin, dass er uns genau sagt – ich per-
    sönlich habe mir oft Anschuldigungen anhören müssen –,
    welches Ziel Sie unterstützen und wie hoch die CO2-Min-derung für das Jahr 2005 sein wird. Wir wollen wissen,
    welches das konkrete Ziel für diese Legislaturperiode ist.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Um Ihr widersprüchliches Verhalten noch einmal deut-

    lich zu machen: Sie haben in der vergangenen Legislatur-
    periode das Erdgas von der Ökosteuer-Regelung aus-
    drücklich ausgenommen, weil es so umweltverträglich ist
    und weil Sie wollten, dass die Menschen dies als Anreiz
    begreifen, möglichst viel mit Erdgas zu heizen.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig!)

    Nun tun das 15 Millionen Menschen in Deutschland. Was
    machen Sie? Als Dankeschön wird Erdgas mit der Öko-
    steuer belegt.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das ist es, was die Menschen so missmutig stimmt.

    Herr Bundeskanzler, dieser Missmut ist auch nicht da-
    durch aus der Welt zu schaffen, dass Sie heute eine neue
    Maxime aufgestellt haben – sozusagen der Kennedy-Ver-
    schnitt aus Hannover.


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Sie haben uns gesagt: Hören wir auf, immer nur zu fragen,
    was nicht geht; fragen wir uns, was jeder Einzelne dazu
    beitragen kann, dass es geht.


    (Jörg Tauss [SPD]: Dann fangen Sie einmal damit an! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dazu haben Sie bisher noch keinen Beitrag geleistet!)


    Nun muss ich Sie einmal fragen: Was ist „es“?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    „Es“ ist nämlich im September 2001 die uneinge-
    schränkte Solidarität mit den Amerikanern. Aber „es“ ist
    im September 2002 der deutsche Sonderweg in Bezug auf
    den Irak. „Es“ ist während der Flut der Gemeinsinn und
    die Hilfe. Aber „es“ ist am Tage der Unterschrift unter die
    Koalitionsvereinbarung, dass man allen, die spenden wol-
    len, eines vor das Schienbein gibt und die Abzugsfähig-
    keit der Spenden streicht. So werden Sie die Dinge nicht
    regeln können.


    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP)



    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    66


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)






    Ihre Maxime ist in Wahrheit: Wer etwas leistet, wird
    vom Staat zusätzlich belastet. Wer mehr Verantwortung
    für sich oder andere übernehmen will, dem werden
    Steine in den Weg gelegt. Wer bereit ist, sich für eine si-
    chere Zukunft und die notwendigen Veränderungen ein-
    zusetzen, der wird von der Regierung spätestens nach
    ein paar Monaten allein gelassen. – Deshalb, Herr Bun-
    deskanzler, hätten Sie besser die Finger von Kennedy
    gelassen. Oder aber, Herr Bundeskanzler, Sie hätten ihn
    wirklich beim Wort genommen: Frage nicht, was dein
    Land für dich tun kann, sondern frage, was du für dein
    Land tun kannst.


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was haben Sie denn für einen Beitrag geleistet?)


    Ich bin sicher: Viele Menschen würden gerne etwas
    tun. Aber die Menschen können nichts tun, wenn sie einen
    Koalitionsvertrag vorgelegt bekommen, der das Papier
    nicht wert ist, auf dem er geschrieben ist, und der schon
    gar nicht die Miete des Museums wert ist, in dem er ab-
    geschlossen worden ist.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Weil hinter der Streichliste kein Konzept erkennbar
    ist, lässt sich jeder einzelne Punkt mit Aussicht auf
    Erfolg angreifen.

    Auch das stammt nicht von mir, sondern das hat gestern
    die „Süddeutsche Zeitung“ festgestellt.

    Was heute gesagt wird, ist morgen überholt. Was mor-
    gen gesagt wird, steht im Widerspruch zu dem, was vor-
    her galt. Die Halbwertszeit Ihrer Aussagen wird immer
    kürzer. So regieren Sie zurzeit: im Hier und Jetzt, ohne ein
    Bewusstsein für das, was gestern war und was morgen
    kommt. Das ist das Schlimme.

    Ihr Kronprinz aus Niedersachsen, Herr Bundeskanz-
    ler, der voll auf Ihrer Linie liegt, hat es wieder einmal
    auf den Punkt gebracht. Gabriel sagte auf die Frage,
    warum Rot-Grün seine Vorhaben eigentlich nicht vor
    der Wahl offen gelegt hat: „Das hätten Sie wohl gerne
    gehabt.“


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, das ist das, was Sie in der

    Sozialdemokratie unter Politik verstehen. Politik braucht
    aber kein kurzfristiges Ereignismanagement, sondern sie
    muss mehr denn je gestalten können.


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jetzt kommen endlich mal ein paar Antworten von Ihnen! Nun aber los!)


    Denn es geht in der Tat um die Frage, wie wir aus Verän-
    derungen Nutzen ziehen können. Deshalb ist es doch so
    fatal, dass der Bundeskanzler von Augenblick zu Augen-
    blick lebt. Da ist es doch geradezu folgerichtig, dass er als
    Freund großer symbolischer Handlungen genau zu Be-
    ginn dieser Legislaturperiode die Grundsatzabteilung im
    Kanzleramt schließt. Politik ohne Grundsätze – das ist die
    Botschaft für diese Legislaturperiode.


    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Auch da haben Sie nichts verstanden!)


    Gebraucht wird aber das Gegenteil: Wir brauchen die
    Rückkehr des Politischen.


    (Zurufe von der SPD: Ui! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jetzt wird’s konkret!)


    Darüber gäbe es Einvernehmen. Wir brauchen die Rück-
    kehr des Politischen, nicht ein Verwalten des Augen-
    blicks. Denn Politik hat die Aufgabe, Weichen zu stellen
    und – Richtungen zu geben – Veränderungen über den
    Tellerrand des Hier und Jetzt hinaus.


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: 40 Minuten heiße Luft! – Lothar Mark [SPD]: Sie haben immer noch nichts Konkretes gesagt!)


    Das bedeutet auf der einen Seite die Fähigkeit zu Verän-
    derungen auch gegen Stagnation und auf der anderen
    Seite das Setzen von Grenzen und Orientierungspunkten.


    (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr konkret!)


    Es ist keine plumpe Machbarkeitsidee, sondern es geht
    darum, Maßstäbe zu setzen und Linien zu entwickeln, die
    über eine längere Zeit durchgehalten werden.


    (Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Kommen Sie doch mal zur Sache! – Weitere Zurufe von der SPD)


    – Dass Sie so schreien, zeigt doch nur, wie schlecht es Ih-
    nen geht.

    Wir von der CDU/CSU wollen ein Deutschland, das
    die Bürger ermuntert, füreinander einzustehen:


    (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)


    in der Ehe, in der Familie, im Ehrenamt, durch die Sozial-
    pflichtigkeit des Eigentums. Wir meinen, dass die Vo-
    raussetzung dafür in einem transparenten, gerechten und
    einfachen Steuersystem besteht, das Sie bis heute nicht
    geschaffen haben.


    (Beifall bei der CDU/CSU – Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorhin waren Sie dagegen, Frau Merkel!)


    Falls Sie der Meinung sind, Sie wollten das auch, muss
    man sich doch wundern, dass nicht nur der Bundeskanz-
    ler, sondern zehn, 20 oder 30 Leute an einer Koalitions-
    vereinbarung arbeiten und nicht merken, dass sie mit dem
    Streichen der Spendenabzugsfähigkeit für bestimmte In-
    stitutionen genau diesen Gemeinsinn zerstören. Dafür
    brauchen Sie erst die Bevölkerung und die Opposition.
    Das ist doch das Dilemma in diesem Lande.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Wir wollen ein Deutschland, das im internationalen
    Wettbewerb besteht und damit die Chancen der Globalisie-
    rung nutzt. Genau dafür brauchen wir die Stärkung der klei-
    nen Einheiten, der Familien, aber vor allen Dingen auch der
    Kommunen und der Gebietskörperschaften. Diese brauchen
    keine Geschenke von oben, hier 10000 Ganztagsschulen
    und dort ein paar Brosamen,


    (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Brosamen? Kinderbetreuung Dr. Angela Merkel Dr. Angela Merkel ist Brosame? Ganztagsschulen sind Brosamen?)





    sondern sie brauchen langfristige Möglichkeiten, ihre
    Kommunen so zu entwickeln, wie es die Menschen wol-
    len, und zwar inklusive Tagesbetreuung und Kindergär-
    ten. Die ordentliche finanzielle Ausstattung der Kommu-
    nen ist das Gebot der Stunde.


    (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Wie finanzieren Sie das?)


    Wir wollen ein Deutschland, das Sicherheit im umfas-
    senden Sinn garantiert: soziale Sicherheit, Sicherheit des
    Verbrauchers und Sicherheit im Inneren genauso wie
    im Äußeren. Deswegen brauchen wir eine Politik – der
    Bundeskanzler hat darauf hingewiesen; er tut aber nichts
    dafür –,


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Doch!)

    die das Zusammenwachsen von innerer und äußerer
    Sicherheit besser bewältigt. Wir brauchen ein Sicherheits-
    paket III, damit endlich bestimmte Lücken geschlossen
    werden, die uns im Kampf gegen den Terrorismus behin-
    dern. Dazu enthält Ihre Koalitionsvereinbarung nur ver-
    schwommene Formulierungen, nichts Konkretes.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, wir brauchen ein Zuwande-

    rungsgesetz, durch das die Integration der bei uns leben-
    den ausländischen Bürgerinnen und Bürger verbessert
    wird.


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hat er doch gesagt! Das steht im Gesetz! Das Gesetz bekämpfen Sie!)


    Diese erfolgt vor Ort. Wir haben bisher nichts darüber ge-
    lesen, welche finanziellen Maßnahmen Sie auf den Weg
    bringen wollen, damit die Integration gelingen kann. Sie
    haben zwar pro forma von „Steuerung der Zuwanderung“
    gesprochen. Aber Sie haben das Wort „Begrenzung der
    Zuwanderung“ nicht in den Mund genommen. Ich sage
    Ihnen: Bei Ihnen gibt es viel zu viele, die noch immer ihre
    multikulturellen Tagträume träumen und sich nicht um die
    eigentlichen Anliegen der Bürgerinnen und Bürger küm-
    mern.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir wollen wie Sie ein verlässliches, zusammenwach-

    sendes und klar geregeltes Europa. Wir begrüßen, wann
    immer es in die richtige Richtung geht, die Arbeit des
    EU-Konvents. Keine Frage, Herr Fischer, wir freuen uns
    über Ihren Sitz im Konvent. Wenn Sie, Herr Bundeskanz-
    ler, uns aber – wie neulich bei der Frage, wie Opposition
    und Regierung gut zusammenarbeiten könnten – großher-
    zige Angebote machen, dann müsste es doch möglich
    sein, dass neben dem Bundesaußenminister auch wir von
    der Opposition einen Sitz in dem EU-Konvent für den
    ausgeschiedenen Bundestagsabgeordneten Meyer be-
    kommen. Herr Schäuble wäre ein toller Partner für Herrn
    Fischer gewesen. Es wäre zum Wohle Deutschlands ge-
    wesen. Das hätte ich unter Großherzigkeit verstanden,
    Herr Bundeskanzler.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Wenn Sie in diesen Tagen über Europa sprechen, dann
    halte ich es für einen Fehler – ich würde es für einen be-
    sonders großen Fehler halten, wenn dies auch noch Teil
    eines Kompensationsgeschäfts wäre –, wenn Sie über den
    Beitritt der Türkei zur Europäischen Union sprechen.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    Sie wissen doch, dass Ihre Kollegen von der Friedrich-
    Ebert-Stiftung genauso wie die von der Konrad-
    Adenauer-Stiftung und der Heinrich-Böll-Stiftung alle
    Hände voll damit zu tun haben, zu verhindern, dass sie
    nicht jahrzehntelang ins Gefängnis müssen. Ich sage Ih-
    nen: Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, an dem wir über den
    Beitritt der Türkei zur Europäischen Union sprechen soll-
    ten. Lassen Sie das sein! Das ist nicht zum Wohle der Eu-
    ropäischen Union.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Wir wollen ein Deutschland, das sich europäischer Tra-
    dition und Werte – ich sage ganz besonnen: gerade auch
    der christlich-abendländischen – bewusst ist. Deshalb
    brauchen wir eine Politik, die fest verwurzelt ist und sich
    gleichzeitig Neuem öffnet. Das ist dann eine Politik, die
    um die Bedeutung von Halt, Heimat und Orientierung der
    Menschen in Zeiten der Globalisierung weiß. Wie wich-
    tig dies gerade auch für jüngere Menschen in unserem
    Land ist, hat noch einmal die Shell-Studie in diesem Jahr
    gezeigt.

    Wir wollen ein Deutschland, das selbstbewusst ist und
    das sein Licht nicht unter den Scheffel stellt. Aber dieses
    selbstbewusste Deutschland werden wir nur bekommen,
    wenn wir ein verlässlicher Partner sind. Verlässlichkeit ist
    die Voraussetzung dafür, dass wir Leadership in Partner-
    ship wirklich leben können.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Sie haben auf diesem Gebiet Vertrauen verspielt. Wir von
    der Opposition werden versuchen, es so weit wie möglich
    wiederzugewinnen.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deshalb heißt die Rückkehr des Politischen, dass wir

    den Gestaltungsanspruch der Politik bei dem, was wir
    wollen, auch wieder zur Geltung bringen, dass die Men-
    schen wissen, was sie von einer Regierung erwarten kön-
    nen, und zwar nicht nur von Montag bis Dienstag, sondern
    über vier Jahre bzw. – besser – über einen noch längeren
    Zeitraum.


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Deshalb machen wir das auch! Völlig richtig!)


    Deshalb sage ich Ihnen – hören Sie noch einmal genau zu –:
    „Wir sind zurzeit dabei auszutesten, wo es beginnt, die Wett-
    bewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und der deutschen
    Unternehmen zu gefährden.“ – Das sagte Herr Supermini-
    ster Clement vorgestern bei „Sabine Christiansen“. Lassen
    wir uns dieses Wort „austesten“ wirklich einmal auf der
    Zunge zergehen: die Wettbewerbsfähigkeit der deut-
    schen Industrie als Versuchskaninchen von Rot-Grün.


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Völliger Quatsch!)



    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    68


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)






    Da kann ich nur sagen: Der Superminister wird zum Su-
    per-GAU für diese Bundesrepublik Deutschland.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist unsinnig!)


    Wenn Sie so viel schreien, muss man doch einfach einmal
    fragen: Haben Sie eigentlich verstanden, was Globalisie-
    rung ist?


    (Zurufe von der SPD: Ja!)

    Wissen Sie, dass Globalisierung eine permanente Wettbe-
    werbssituation für jeden kleinen und großen deutschen
    Betrieb bedeutet? Wissen Sie, wie viele Betriebe sich in
    diesem Land mit der Absicht tragen, das Land zu verlas-
    sen, weil sie diese Koalitionsvereinbarung gelesen haben?
    Wenn Sie dann schon einen Supermann für Superwirt-
    schaft aus dem angeblichen Superland holen und der als
    Erstes erklärt, dass er jetzt mal ein paar Versuchsballons
    startet, dann kann ich nur sagen: Sie haben nicht verstan-
    den, wie ernst es um die Arbeitsplätze in dieser Bundes-
    republik Deutschland steht.


    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie haben immer noch keine eigene Antwort gegeben!)


    Deshalb sage ich Ihnen: Wir stehen in diesem Parla-
    ment für Verlässlichkeit. Wir wissen, dass unsere Gesell-
    schaft vor großen Herausforderungen steht. Und wir wis-
    sen, dass es wichtig ist, dass wir eine neue bürgerliche
    Gesellschaft in diesem Lande schaffen,


    (Ludwig Stiegler [SPD]: Ihr seid in der Opposition und da dürft ihr auch bleiben! – Joachim Poß [SPD]: Das wird aber nicht einfach für Sie mit Herrn Merz zusammen!)


    eine Gesellschaft, in der jeder Einzelne bereit ist, Initia-
    tive zu ergreifen und Verantwortung zu übernehmen.


    (Zuruf von der SPD: Von Ihnen haben wir dazu nichts gehört!)


    Wir sind bereit, mit den Menschen genau in diesem Sinne
    einen Vertrag zu schließen, weil wir langfristig berechen-
    bar sind.


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die haben den Vertrag am 22. September geschlossen!)


    – Hören Sie doch zu! Sie wollen doch immer wissen, wie
    wir unsere Oppositionszeit verstehen.


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dazu haben Sie in 50 Minuten nichts gesagt!)


    Wir verstehen uns als Wächter, nicht als Blockierer, und
    zwar als Wächter im Sinne der Menschen dieses Landes:
    im Bundestag, im Bundesrat und auf allen Ebenen, in de-
    nen wir Verantwortung haben, sei es als Regierung oder
    sei es als Opposition.

    Herr Bundeskanzler, Sie haben in der Debatte am
    13. September, der letzten vor der Bundestagswahl, in der
    Ihnen eigenen bescheidenen Art dem Kanzlerkandidaten
    der Union, Edmund Stoiber, gesagt – ich wiederhole es

    wörtlich: „Sie wollen vielleicht Kanzler werden, aber Sie
    haben nicht die Fähigkeiten dazu.“


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ich antworte Ihnen, und zwar im Lichte dessen, was Sie
    heute hier vorgetragen haben und was wir in den letzten
    Wochen gehört haben:


    (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben ja nicht einmal die Fähigkeit zur Opposition!)


    Sie, Herr Bundeskanzler, wollen vielleicht dieses Land ir-
    gendwie von Ereignis zu Ereignis bringen; aber die Fähig-
    keit, es zum Wohle der Menschen in diesem Land zu
    führen und die schöpferischen Kräfte in diesem Land zu
    wecken, haben Sie nicht.


    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP)


    Die haben Sie nicht, weil Sie keine Idee haben und weil
    Sie die Menschen in diesem Land nicht ernst nehmen.
    Und weil Sie die Menschen nicht ernst nehmen, wird die
    Union gebraucht, mehr denn je, CDU und CSU. Ich sage
    Ihnen: Wir nehmen genau diesen Auftrag – und dann auch
    noch mit Freude – an.

    Herzlichen Dank.

    (Lang anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP)




Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

Ich erteile dem Kollegen Franz Müntefering, SPD-

Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der SPD)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Franz Müntefering


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

    ren! Der Start in eine Legislaturperiode ist immer die Ge-
    legenheit, die politischen Ziele der kommenden Jahre zu
    markieren und auch die ersten konkreten Schritte festzu-
    legen. Das hat der Herr Bundeskanzler auf der Grundlage
    der Koalitionsvereinbarung von SPD und Grünen heute
    für die Regierung getan.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Märchenonkel! – Zurufe von der CDU/CSU: Wo? – Wann?)


    Wir 251 von der SPD werden in der Koalition mit den
    Grünen zusammen alles dafür tun, dass Bundeskanzler
    Gerhard Schröder und diese Regierung gute Politik für
    unser Land machen können. Die Arbeit kann beginnen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das Wahlergebnis vom 22. September war knapp, aber
    klar. Die Mehrheit der Menschen hat Gerhard Schröder
    als Bundeskanzler gewollt und gewählt, auch bewusst die
    Koalition von SPD und Grünen gewählt.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Glos [CDU/CSU]: Die Leute sind getäuscht worden!)


    Dr. Angela Merkel




    Franz Müntefering
    Die Verlierer vom 22. September heißen Edmund Stoiber
    und Angela Merkel.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Der Verlierer heißt Deutschland!)


    Die Opposition hat in der Demokratie eine wichtige Funk-
    tion – das wissen wir und das respektieren wir –, aber Herr
    Stoiber hat es vorgezogen, nicht im Deutschen Bundestag
    dabei zu sein und nun aus München Strippen zu ziehen.

    Ihnen, Frau Merkel, will ich sagen: Es macht keinen
    Sinn, dass Sie uns heute wieder Ihre verkorksten Wahlre-
    zepte anbieten. Was Sie heute vorgelesen haben, war eine
    Rede aus der Wahlkampfzeit.


    (Beifall der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    Sie hätten in der Zwischenzeit lesen sollen, was wir uns
    für diese Legislaturperiode vorgenommen haben.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Mit genau den Thesen, die Sie heute vorgetragen haben,
    sind Sie am 22. September gescheitert. Die Menschen
    wollen Ihre Politik nicht. Auch deshalb haben sie uns ge-
    wählt und uns das Vertrauen für die kommenden vier
    Jahre für die Regierung in Deutschland gegeben.


    (Beifall bei der SPD)

    Sie, Frau Merkel, sind gut beraten, neu zu beginnen.

    Lassen Sie Ihre in der Wahl gescheiterten Positionen
    friedlich ruhen und denken Sie neu nach! Kümmern Sie
    sich vor allem um Ihre Selbstfindungskommission, von
    der man lesen konnte! Da haben die lange Zeit etwas zu
    tun, zum Beispiel in der Geschichte mit dem Tafelsilber.
    Klären Sie sicherheitshalber auch, ob die Herren Merz
    und Koch denn Ihre Helfer oder Ihre Helfershelfer sind!
    Schauen Sie, ob das mit den Referenten denn jetzt unter-
    einander geklärt ist!


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Glos [CDU/CSU]: Oh, wie billig!)


    Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen hier über
    Politik, nicht über die Neuroseprobleme von CDU/CSU
    sprechen. Es gibt schwerwiegende politische Herausfor-
    derungen in Deutschland – nur Ignoranten verdrängen
    das –, aber diese Probleme sind lösbar; nur Angsthasen
    leugnen das. Deutschland ist ein starkes Land mit großem
    Potenzial, mit tüchtigen Unternehmern und tüchtigen Un-
    ternehmerinnen, mit tüchtigen Arbeitnehmern und Ar-
    beitnehmerinnen, mit einer tragfähigen Infrastruktur, mit
    erstklassigen Forschungseinrichtungen und vielen Paten-
    ten, mit leistungsfähigen Schulen und Hochschulen, mit
    einem Wohlstand wie nie zuvor in der Geschichte, mit ei-
    nem stabilen sozialstaatlichen Aufbau, mit Menschen, die
    zu Anstrengungen bereit sind – der Gegenwart und der
    Zukunftsfähigkeit wegen.

    Wir wissen: Es wird nicht leicht. Aber die deutschen So-
    zialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind voller Zu-
    versicht in die Gestaltbarkeit der Dinge und der Zukunft.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)


    Deutschland ist mit dieser Regierung auf gutem Weg.

    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    Politik hat eine große Verantwortung, aber sie schafft
    nicht alles allein. Wir wollen Verantwortungspartner-
    schaft. Wir wollen die Koalition mit den Menschen in un-
    serem Land. Dazu suchen wir das offene und, wo es nötig
    ist, auch streitige Gespräch um den richtigen Weg. Wir
    kehren nichts unter den Teppich. Wir machen deutlich, wo
    gemeinsame Anstrengungen erforderlich sind. Wir wollen
    den Dialog und den Kompromiss.

    Wir brauchen viele, die diesen Weg aktiv mitgehen,
    zum Beispiel in den Vereinen, in den Verbänden, in den
    Gewerkschaften, in den Kirchen, in den Initiativen und in
    den Gruppen. Es sind Millionen, die sich für die Gesell-
    schaft aktiv und oft mit viel Einsatz von Zeit und mit
    ihrem wenigen Geld engagieren. Das ist der gesellschaft-
    liche Kitt, der dazu beiträgt, Lebensqualität in den Städ-
    ten und Dörfern zu garantieren.


    (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert)

    Diejenigen, die sich zum Beispiel in den kleinen Sport-
    vereinen engagieren, tun für die Entwicklung der Kinder
    und Jugendlichen unendlich viel. Diese Menschen haben
    Dank verdient und wir brauchen sie auch weiterhin.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Unser Land braucht auch das Engagement der Ent-
    scheidungsträger in der Wirtschaft. Die meisten dieser
    Entscheidungsträger werden akzeptieren, dass sie auf ei-
    nige steuerliche Privilegien in Zukunft verzichten müs-
    sen, weil die Lage der Staatskasse und das Gemeinwohl
    das erfordern. Sie werden deswegen nicht arm und sie
    bleiben wettbewerbsfähig. Man konnte lesen – Frau
    Merkel zitierte das eben –, dass einige über die Verlage-
    rung des Standorts ihres Unternehmens ins Ausland nach-
    denken. Diejenigen, die das tun, darf man daran erinnern,
    dass die Wirtschaft für die Menschen da ist und nicht um-
    gekehrt.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wer mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in
    Deutschland über Jahrzehnte Erfolge erzielt und Reich-
    tum erworben hat, der muss auch seine Verantwortung für
    die Menschen und Regionen in Deutschland sehen. Ver-
    ehrte Bosse, so viel Patriotismus muss schon sein, dass
    man nicht wegläuft, wenn es im eigenen Land einmal an-
    strengend wird.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Jawohl, Genosse!)


    In diesen Tagen wird vieles gleichzeitig angemahnt –
    mit Recht.

    Erstens. Die Konsolidierung des Haushalts muss wei-
    tergehen; die Neuverschuldung muss sinken. 2006 muss
    die Nettokreditaufnahme des Bundes bei null sein. Ich
    möchte Sie an das erinnern, was Sie uns 1998 hinterlassen


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    70


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)






    haben: Das, was wir da geerbt haben, bedeutete, dass wir
    an jedem Tag in Bonn und dann in Berlin 220 Milli-
    onen DM Schuldzinsen zu zahlen hatten – nicht Schulden,
    sondern Zinsen für Schulden! Das darf so nicht weiter-
    gehen. Wir werden mit Hans Eichel dafür sorgen, dass
    die Nettokreditaufnahme sinkt; denn wir wollen unseren
    Kindern etwas anderes als Schuldscheine und Hypo-
    theken vererben. Das bleibt das Ziel unserer Politik.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Zweitens. Es geht um die Investitionen des Bundes in
    Bildung, Forschung und Infrastruktur. Diese Investi-
    tionen müssen weitergehen, und zwar mit steigender Ten-
    denz. In die Infrastruktur muss auch deshalb investiert
    werden, weil wir nicht von der Substanz leben dürfen.
    Übrigens, die Investitionen des Bundes sind im kommen-
    den Jahr höher als je zuvor:


    (Manfred Grund [CDU/CSU]: Was?)

    Sie liegen bei fast 29 Milliarden Euro.

    Drittens. Die Steuern müssen sinken. Das werden sie
    2004 und 2005. Das entsprechende Gesetz ist beschlossen
    und gilt. Nach Ablauf von sechs Jahren werden wir den
    Eingangssteuersatz von 25,9 Prozent auf 15 Prozent und
    den Spitzensteuersatz ebenfalls deutlich gesenkt haben.
    Das ist eine steuerpolitische Großtat, von der Sie nur träu-
    men können. Wir haben die Steuern gesenkt und wir wer-
    den das auch weiterhin tun.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Viertens. Die Lohnnebenkostenmüssen sinken. Dafür
    zu sorgen ist besonders schwer, weil die Last in Zeiten ho-
    her Arbeitslosigkeit auf wenigen Schultern liegt. Wir wer-
    den die Entwicklung der Rentenversicherungs- und der
    Krankenversicherungsbeiträge sehr bald gesetzlich stabi-
    lisieren. Sie alle werden dann Gelegenheit haben, dafür zu
    stimmen und mit dafür zu sorgen, dass das, was wir alle
    miteinander wollen, nämlich stabile Lohnnebenkosten, er-
    reicht wird. Man darf gespannt sein, ob diejenigen, die
    dem Grundsatz heute Beifall zollen, mitmachen, wenn es
    um die Umsetzung in konkrete Maßnahmen geht.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Zum Kapitel Lohnnebenkosten gehört auch, dass wir

    der illegalen Beschäftigung – der am schnellsten wach-
    senden Branche überhaupt – noch massiver als bisher den
    Kampf ansagen. Ein Bauunternehmer mit 20 Angestell-
    ten, für die er ordnungsgemäß Arbeitnehmer- und Arbeit-
    geberbeiträge entrichtet, wird von solchen Bauunterneh-
    mern ausgetrickst, die durch Ausbeutung illegal
    Beschäftigter die Preise unterbieten. Es darf nicht so blei-
    ben, dass die ehrlichen Unternehmer und die ehrlichen Ar-
    beitnehmer in Deutschland die Dummen sind, während
    sich die anderen ins Fäustchen lachen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Es verwundert schon, dass die Spitzen der Unterneh-
    merverbände die Bundesregierung wegen der zu hohen
    Lohnnebenkosten attackieren, obwohl sich in ihren eige-

    nen Reihen genau diejenigen befinden, die das System
    durch illegale Beschäftigung massiv unterlaufen. Die Ver-
    bände sollten sich um die schwarzen Schafe in ihren ei-
    genen Reihen kümmern. Wenn sie das täten, dann wäre
    viel gewonnen. Die Verbände sollten zugeben, dass Kün-
    digungsschutz für Arbeitnehmer und Flächentarife unver-
    zichtbare Stabilisatoren unserer wirtschaftlichen Ordnung
    sind und bleiben müssen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Konsolidierung des Haushalts, steigende Investitions-

    quote, sinkende Steuern, stabile Sozialversicherungs-
    beiträge – das alles bei den gegebenen weltwirtschaft-
    lichen Rahmenbedingungen gleichzeitig zu erreichen ist
    nicht leicht, aber möglich. Wir werden das schaffen. Dazu
    müssen alle einen Beitrag leisten, der ihren Möglichkei-
    ten entspricht. Privilegien werden beschnitten, Ausgaben
    gekürzt, eine gerechte Verteilung der Lasten gesichert.
    Starke Schultern werden mehr zu tragen haben als
    schwächere, damit alle Chancen haben, die Chance auf
    Bildung und auf Beschäftigung ganz vorneweg. Deshalb
    machen wir diese Politik.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Zu dieser für die kommenden Jahre dominierenden
    Aufgabe gehört es auch, die Verkrustungen des Fördera-
    lismus in unserem Land aufzubrechen und wieder mehr
    Klarheit über Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten
    zwischen Bund und Ländern einschließlich Gemeinden
    zu schaffen. Bürgernähe, Demokratie und moderne Ver-
    waltung brauchen klare Regeln. Die Gemeindefinanz-
    reform, die in Vorbereitung ist, wird uns dicht an dieses
    Thema heranführen. Es wäre gut, wenn jenseits der Ta-
    gesaktualitäten ein zielführendes Nachdenken über die
    Frage begänne, wie sich deutsche Politik in einem unbe-
    strittenen förderalen System so organisiert, dass sie effi-
    zient und unkompliziert zeitgemäß wirken kann und neue
    Impulse möglich werden. Ich fordere keinen Konvent,
    aber doch einen zielgerichteten Dialog hierzu. Ich hoffe,
    dass sich keine Seite des Hauses diesem Dialog entzieht.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Unabhängig davon werden wir mit unserer Entschei-
    dung vor allem zu Arbeitsmarkt-, Steuer- und Finanzpoli-
    tik jetzt die Basis für die großen politischen Projekte
    schaffen, die wir in dieser Legislaturperiode voranbringen
    wollen, die sich von dem Motto der Koalitionsvereinba-
    rung „Erneuerung – Gerechtigkeit – Nachhaltigkeit“ ab-
    leiten. Ein Projekt heißt: Beschäftigung. Beschäftigung
    schafft Wachstum, Wachstum schafft Beschäftigung. Da-
    ran orientieren wir uns bei der Umsetzung der Hartz-Vor-
    schläge und bei der Mittelstandsinitiative.

    Hartz nimmt den zentralen Gedanken auf, dass die Ar-
    beit, die es in Deutschland gibt, von denen getan werden
    muss, die legalerweise in Deutschland sind. Wir können
    es uns nicht leisten, über 4Millionen gezählte Arbeitslose,
    über 1 Million offene Stellen und wachsende illegale Be-
    schäftigung zu akzeptieren.

    Vermittlung ist nicht alles – klar – aber gezieltere Ver-
    mittlung ist schon wichtig. Personal-Service-Agenturen,

    Franz Müntefering




    Franz Müntefering
    die Arbeitnehmer auf Zeit vermitteln, sie nicht in die Ar-
    beitslosigkeit zurückfallen lassen, sondern sie sozial si-
    chern und qualifizieren, werden nicht das ganze Problem
    lösen, aber doch zur Lösung beitragen. Kapital für Arbeit
    hilft den Arbeitgebern, die Arbeitslose dauerhaft einstel-
    len, ihre Eigenkapitaldecke und ihre Investitionskraft zu
    stärken.

    Beschäftigung schaffen, Vermittlung verbessern, kun-
    denfreundliche und effiziente Strukturen in der Arbeits-
    marktpolitik schaffen, das will das Konzept Hartz. Mein
    Appell geht an das ganze Haus, als Gesetzgeber das rund-
    um vernünftige Konzept Hartz schnell auf den Weg zu
    bringen. Sie werden in wenigen Tagen dazu alle mitei-
    nander Gelegenheit haben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Es wird uns wichtige Schritte voranbringen und der
    Bekämpfung der Arbeitslosigkeit dienen.

    Dazu gehört aber auch die Mittelstandsinitiative als
    weiterer zusätzlicher Impuls, der bald realisiert werden
    muss. Unser Land braucht mehr Unternehmerinnen und
    Unternehmer. In der Wissensgesellschaft sind mehr denn
    je Menschen gefragt, die den Mut haben, eigene unterneh-
    merische Initiativen und Ideen zu verwirklichen, Verant-
    wortung zu übernehmen und Arbeitsplätze zu schaffen.
    Wir werden deshalb mit einer neuen Gründerinitiative den
    Sprung in die berufliche Selbstständigkeit fördern und
    begleiten. Es geht um Beratung und Information, um Exis-
    tenzgründerlehrstühle, um verbesserte Finanzierung. Dazu
    gehört auch, den unternehmerischen Generationswechsel
    zu erleichtern und den Berufszugang sowie die Vereinbar-
    keit von Familie und Beruf zu verbessern.

    Wir werden im Handwerksbereich den eingeleiteten
    Liberalisierungsprozess fortführen und darauf hinwirken,
    dass das Handwerksrecht einen wirksamen Beitrag zur
    Bekämpfung der Schwarzarbeit erbringen kann. Wir wol-
    len die erleichterte Betriebsübernahme durch langjährige
    Gesellen und Lockerung des Inhaberprinzips auch bei den
    Personengesellschaften.


    (Beifall bei der SPD)

    Existenzgründer werden in den ersten vier Jahren von
    Beiträgen zur Industrie- und Handelskammer freigestellt.
    Die Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Deutsche
    Ausgleichsbank werden zu einem Förderinstitut zur Un-
    terstützung der mittelständischen Wirtschaft mit dem Ziel
    kostengünstiger Förderinstrumente zusammengelegt. Die
    Umsetzung der Idee einer Mittelstandsinitiative ist eine
    der zentralen Punkte dieser Bundesregierung für die kom-
    mende Legislaturperiode. Das hat die volle Unterstützung
    der SPD-Bundestagsfraktion.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ein Projekt heißt: Deutschland kinder- und familien-
    freundlicher machen. In den vergangenen vier Jahren ha-
    ben wir in diesem Bereich viel aufgeholt. Es bleibt aber
    auch noch genug zu tun. Die Familienmüssen selbst ent-
    scheiden, wie sie leben und wie sie ihr Leben organisie-
    ren wollen. Wir machen da niemandem Vorschriften. Die
    eine Lebensform ist genauso viel wert wie jede andere. Es

    ist aber offensichtlich, dass die unzureichenden Möglich-
    keiten für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ganz
    besonders junge Frauen und Mütter behindern. Das wol-
    len wir ändern. Betreuungsangebote für die Kinder wer-
    den verbessert, bei den 0- bis 3-Jährigen im Krippenalter
    und bei den Grundschülern im Hortalter ist der Nachhol-
    bedarf besonders groß. Den Ausbau des Angebots an
    Ganztagsschulen und Krippenplätzen werden wir mit
    Bundesmitteln forcieren. Das ist gut für die Kinder, aber
    auch für die Eltern.

    Die in anderen Ländern gemachten Erfahrungen leh-
    ren: Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf bedeu-
    tet mehr Kinder, nicht weniger. Das bedeutet im Übrigen
    auch, das Können und die Kreativität der Frauen stärker
    als bisher in die Volkswirtschaft einzubeziehen. Eine Er-
    werbsquote von nur 60 Prozent bei den Frauen im Westen
    der Republik ist zu wenig. Es müssen noch mehr eine
    Chance bekommen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Noch etwas zum Thema junge Frauen: Diese müssen
    mehr Chancen im Bereich der Informations- und Kom-
    munikationstechnologien bekommen. Dass Studienplätze
    in diesem Bereich bisher überwiegend von jungen Män-
    nern besetzt werden, ist nicht gut. Frauen beherrschen das
    Thema und die Technik mindestens genauso gut wie die
    Männer. Wir wollen – das steht in unserer Koalitionsver-
    einbarung –, dass bis 2005 Frauen mindestens 40 Prozent
    der Studien- und Ausbildungsplätze in den IT-Berufen
    einnehmen. So konkret sieht bei uns die Schaffung von
    Chancengleichheit aus. Das werden wir auch durchsetzen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Übrigens gibt es nicht nur bei Frauen auf dem Arbeits-
    markt Nachholbedarf, sondern generell auch bei älteren
    Menschen. Zu den Älteren zählen heute vielfach schon
    50-Jährige und nicht selten noch Jüngere. Wir wollen mit
    entsprechenden Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt dafür
    sorgen, dass sich das ändert. 55-Jährige gehören nicht in
    den Vorruhestand. Sie gehören an die Arbeit und können
    das auch.


    (Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Richtig!)

    Dass in Deutschland das Arbeitsleben im Durchschnitt
    mit 21 Jahren beginnt und mit circa 59 Jahren endet, hat
    zu schlimmsten Verwerfungen in unserem Sozialstaat ge-
    führt. 38 Jahre Lebensarbeitszeit sind zu wenig. Wir
    werden daran arbeiten müssen, dass man ins Arbeitsleben
    früher hineinkommt und später aussteigt.

    Das offizielle Renteneintrittsalter von 65 Jahren muss
    nicht erhöht werden. Wer wie Herr Merz das fordert, re-
    det Unsinn. Wer wirklich zu einem Invaliden wird, muss
    sozial abgesichert sein, egal wann er Invalide wird. Mit
    unseren Maßnahmen kommen wir aber auf ein faktisches
    Renteneintrittsalter von 62 oder 63 Jahren, nicht mehr wie
    bisher von 59 Jahren. In den sozialen Sicherungssystemen
    macht das einen riesigen Unterschied aus. Wir müssen die
    Trendwende in den kommenden Jahren schaffen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    72


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)






    Auch für die Betroffenen ist das übrigens wichtig. Die al-
    lermeisten wollen nicht mit 59 oder 55 oder 52 oder noch
    früher vom Arbeitsmarkt verdrängt werden; sie wollen ar-
    beiten. Sie können das auch, sie haben Erfahrung, sie ha-
    ben Wissen. Die Unternehmen in unserem Land müssten
    verrückt sein, wenn sie diese Altersklasse abschrieben.
    Diesen Menschen muss eine Chance im Leben und auf
    dem Arbeitsmarkt gegeben werden.


    (Beifall bei der SPD)

    Damit hängt noch ein Weiteres zusammen: Ich höre von

    den Unternehmensverbänden, es fehlten Hunderttausende
    qualifizierterArbeitnehmer.Dazu sage ich: Erstens. Bil-
    den Sie doch aus, Herr Rogowski und Herr Hundt.


    (Beifall bei der SPD)

    Personalentwicklungspolitik ist doch auch Ihre Aufgabe.

    Zweitens. Vergessen Sie die Älteren nicht und ver-
    steigen Sie sich nicht auf Zuwanderung als einzige Mög-
    lichkeit. Gegen das, was die Kochs und Becksteins da
    erzählen, ist festzuhalten: Mit unserem Zuwanderungs-
    gesetz wird Arbeitsmigration gelenkt und gesteuert und
    nicht ausgeweitet. Es wird kein Mandat für 100 000 Inge-
    nieure in der Altersklasse zwischen 30 und 35 Jahren von
    irgendwo aus der Welt geben, während hier im Land
    Ingenieure und qualifizierte Facharbeiter, die älter als
    45 Jahre sind, arbeitslos sind. Dafür werden wir sorgen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ein Projekt heißt: die Jungen an die Arbeit. Kluge

    Kommentatoren vermissen Visionen in unserer Koali-
    tionsvereinbarung. Da steht aber:

    Kein junger Mensch darf nach der Schule in die Ar-
    beitslosigkeit entlassen werden.

    Wenn das nicht ein Anspruch ist, vielleicht sogar eine
    Vision! Es ist nämlich das Schlimmste, was jungen Men-
    schen passieren kann, dass sie in der Schule – erfolgreich
    oder weniger erfolgreich – pauken und nach der Schule
    die Perspektivlosigkeit folgt. Die jungen Menschen müs-
    sen die Chance haben, weiter zu lernen und zu studieren.
    Mehr von ihnen als bisher müssen studieren oder aber
    eine duale Ausbildung bekommen oder aber anderswie an
    Ausbildung oder Arbeitsfähigkeit herangeführt werden.

    Modulare Ausbildung wird dabei ein größeres Gewicht
    bekommen; denn eines ist klar: Wer 22 oder 25 Jahre alt
    ist und seinen Tag nie zu strukturieren brauchte, nie or-
    dentlich zu lernen oder zu arbeiten brauchte, ist für den
    Arbeitsmarkt verloren. Politik und Wirtschaft, Städte und
    Arbeitsverwaltung sowie Schulen und Familien sind ge-
    fordert. Auch die 6 bis 8 Prozent der jungen Menschen,
    die die Schule ohne Abschluss verlassen, brauchen eine
    Chance, gerade sie.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Es wird auch deutlich, wie wichtig es ist, dass unsere Schul-
    kinder die deutsche Sprache lernen, dass sie sie beherrschen.
    Diese Aufgabe beginnt im Vorschulalter und in der Integra-
    tionsförderung, aber auch in den Familien, gerade dort.


    (Albert Deß [CDU/CSU]: Da gibt es in Nordrhein-Westfalen Nachholbedarf!)


    Ein Projekt heißt: ökologische Modernisierung. Die
    Naturkatastrophen rücken näher an die Zivilisation heran.
    Jahrhunderthochwasser sind wahrscheinlich gar keine
    Jahrhunderthochwasser mehr. Wir müssen noch massiver
    Klimaschutz betreiben und den Weg eines vernünftigen
    Energiemix gehen.


    (Beifall bei der SPD)

    In der vergangenen Legislaturperiode haben wir im Deut-
    schen Bundestag 17-mal über wichtige Umweltgesetze
    abgestimmt. Darunter waren die Gesetze zum Klima-
    schutz, zu erneuerbaren Energien, zur Nutzung von Sonne
    und Wind, zur Verstärkung der Kraft-Wärme-Kopplung.
    15-mal haben CDU/CSU dagegen gestimmt.


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hört! Hört!)


    Die Menschen in Deutschland waren gut beraten, dass sie
    auch an dieser Stelle uns und nicht dem selbst ernannten
    Umweltexperten Stoiber vertrauten.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ein Projekt heißt: das Gesundheitswesen solidarisch or-
    ganisieren und paritätisch finanzieren. Die gesetzliche
    Krankenversicherung ist das solidarischste System über-
    haupt. Sie kann nur funktionieren, wenn alle wissen: Viele
    müssen mehr einzahlen, als sie herausbekommen, damit
    einige, die darauf angewiesen sind, mehr an Sachleistung
    herausbekommen, als sie eingezahlt haben. So funktio-
    niert das. Aber jeder kann betroffen sein, jeder kann hilfs-
    bedürftig werden, kann auch schon in jungen Jahren auf
    qualifizierte medizinische Hilfe angewiesen sein.

    Das System kann gesichert werden, wenn alle Betei-
    ligten mithelfen, seine Effizienz zu verbessern und da zu
    sparen, wo es ohne Einschränkung in der Qualität mög-
    lich ist. Darauf richten sich unsere Bemühungen um eine
    umfassende Gesundheitsreform. Im Vorgriff darauf wird
    es darum gehen, die Versicherungsbeiträge schnell zu sta-
    bilisieren.

    Ein Projekt heißt: lebendige Demokratie, offene Ge-
    sellschaft.

    Es gibt in unserer Gesellschaft Minderheiten unter-
    schiedlichster Art. Sie alle können sich darauf verlassen: So-
    lange Sozialdemokraten regieren, solange diese Koalition
    regiert, werden sie nicht ausgegrenzt, sondern akzeptiert.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir haben in den vergangenen Jahren in Deutschland viele
    böse Heimsuchungen durch Menschen erlebt, die Minder-
    heiten beschimpft und drangsaliert haben, einige bis zum
    schlimmsten Exzess. Wir wollen in einem Land leben, in
    dem kein Mensch Angst haben muss, nur weil er anders ist
    als andere, und zwar unabhängig von seiner Hautfarbe,
    seiner Religion, seiner Herkunft, seiner Eigenart. Das wol-
    len wir zusammen mit allen Gutwilligen erreichen: ein
    Land der guten Nachbarschaft sein nach innen und nach
    außen, ein Land ohne Bundesprüfstelle für Leitkultur.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Franz Müntefering




    Franz Müntefering

    Ein Projekt heißt: Deutschland, ein normales Land in
    Europa. Lange Zeit war Deutschland getrennt und wir
    Deutschen in West und in Ost lebten in einer besonderen
    Situation. Wir hatten einVaterland, aber wir lebten in zwei
    Welten. Unsere Situation war unnormal. Wie tief greifend
    die Entwicklung seit 1990 für unser Land und für uns als
    Deutsche in diesem Land sein würde, haben wir 1990
    vielleicht noch nicht geahnt.

    Jetzt ist Deutschland ein normales Land in Europa
    mit Rechten und Pflichten und in der Verantwortung, sei-
    nen Beitrag für das Gelingen Europas zu leisten. Bundes-
    kanzler Gerhard Schröder tut das, selbstbewusst die In-
    teressen Deutschlands wahrend – das hat sich in den
    vergangenen Tagen nicht zum ersten Mal gezeigt –, aber
    auch darauf bedacht, dass Deutschland seinen Beitrag
    dazu leistet, dass dieses Europa weiter wachsen kann und
    eine Region des Friedens, der Demokratie und des Wohl-
    stands bleibt. Die Bundesregierung hat dafür unsere Un-
    terstützung.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Vor mehr als zehn Jahren meinten manche in Deutsch-
    land, die Zeit der Sozialdemokratie sei vorbei, sie habe
    nahezu alles erreicht. Diejenigen, die damals dieser Mei-
    nung waren, haben sich geirrt. Die Sozialdemokraten
    regieren heute. Wir werden dafür sorgen, dass sich dieses
    Land erneuert; denn die Erneuerung zu gestalten ist drin-
    gend notwendig in einer Zeit der Globalisierung, der Eu-
    ropäisierung, der tief greifenden demographischen Verän-
    derung und der neuen Kulturtechniken. Wir sichern dabei
    soziale Gerechtigkeit. Denn das ist und bleibt der Kern so-
    zialdemokratischer Politik: das Soziale und das Demo-
    kratische.

    Wir wissen, dass Politik heute nur gut sein kann, wenn
    sie auch morgen und übermorgen gut ist. Nachhaltigkeit
    ist für manche nur ein Modewort. Aber sie ist unverzicht-
    bar. Deshalb gilt für unsere Politik in den kommenden
    vier Jahren und, wie wir hoffen, weit darüber hinaus, was
    über der Koalitionsvereinbarung steht, nämlich das Land
    zu erneuern, soziale Gerechtigkeit zu sichern und für
    Nachhaltigkeit zu sorgen. Wir wollen zusammen mit den
    Grünen Deutschland voranbringen. Wir nehmen uns viel
    vor. Wir werden es schaffen.

    Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)