Rede von
Carl-Ludwig
Thiele
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau
Kollegin Scheel, erstens: Ich halte es für abenteuerlich,
wenn Sie auf Steuererhöhungen der Jahre 1990/91 ver-
weisen und als Erklärung ausschließlich den Golfkrieg
heranziehen. Ich weiß, dass die Grünen damals nicht im
Bundestag waren; aber auch Ihnen dürfte bekannt sein,
dass damals Zentrales gelungen ist, nämlich die Wieder-
vereinigung zu erreichen.
Dass die Wiedervereinigung und der Aufbau in den neuen
Bundesländern Geld kosten, dass dafür Steuern, Sozial-
abgaben und die Neuverschuldung erhöht werden muss-
ten, war alternativlos. Auch wenn die Grünen die Wieder-
vereinigung damals nicht wollten, ist das trotzdem kein
Grund, dieses Argument auszulassen.
Zweitens. Sie werfen der Opposition heute vor, Steu-
ersenkungen zu fordern. Vor der Sommerpause tingeln
Sie durch die Medien und fordern selbst ein Vorziehen der
Steuerreform, um die Wachstumskräfte in unserem Lande
zu stärken.
Das ist doch eine persönliche Schizophrenie, die Sie hier
zum Ausdruck bringen.
Drittens. Die Inflationsrate sinkt; darüber sind wir alle
glücklich. Die Inflationsrate wird ab dem 1. Januar nächs-
ten Jahres aber wieder steigen, und zwar unter anderem
durch die Ökosteuer. Zusätzlich hat das Statistische Bun-
desamt erklärt, dass durch die von Ihnen veranlassten
neuen Steuererhöhungen die Inflationsrate um 0,4 Pro-
zent steigen wird. Das ist doch Tun gegen eigenes Wissen.
Das ist unverantwortlich. Das tragen wir nicht mit.
Heute debattieren wir über eine Reihe von Gesetzen,
mit denen die Koalition vor allem ihre eigenen Steuerge-
setze zum wiederholten Male korrigiert.
Es geht auch um Maßnahmen zur Bekämpfung von Be-
trugsfällen bei der Umsatzsteuer. Über diese Dinge wer-
den wir im Finanzausschuss im Einzelnen reden. Aber an-
gesichts der aktuellen Ereignisse stellt sich doch die
grundsätzlichere Frage nach dem Kurs dieser Bundesre-
gierung in der Finanzpolitik. Die Ereignisse in den USA
werden heute noch nicht absehbare Auswirkungen auf
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 188. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. September 2001
Christine Scheel
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Wachstum, Konjunkturverlauf und Steuereinnahmen in
Deutschland haben. Niemand von uns weiß, was uns hier
noch bevorsteht.
Fest steht jedoch, dass der Bundesfinanzminister jetzt
selbst vorgenommene Sparmaßnahmen bei Investitionen
in vielen Bereichen der Sicherheit wieder zurücknehmen
muss.
Mehr Mittel für die Bundeswehr, für die Aufklärung
durch unsere Geheimdienste, die die Grünen noch vor
kurzem abschaffen wollten,
für den Bundesgrenzschutz und für die Flugüberwachung
sind angesichts der Ereignisse in den USA für die Sicher-
heit unserer Bürger notwendig und werden von uns aus-
drücklich begrüßt.
Die bedauerlichen Ereignisse in den USA werfen ein
ganz anderes Licht auf den Sparkommissar Eichel, der
bislang für seine Politik fast ausschließlich gelobt wurde.
Es zeigt sich heute, dass die geplanten Kürzungen insbe-
sondere bei der Bundeswehr, deren Wirkung für breite
Kreise der Bevölkerung nicht spürbar war, falsch waren
und falsch sind.
Die Bürger in unserem Land haben ein Recht darauf, dass
ihre innere und ihre äußere Sicherheit geschützt ist. Den
Frieden, die Freiheit und die Menschenwürde unserer Bür-
ger zu schützen ist die Aufgabe verantwortlicher Politik.
In der vergangenen Woche haben wir zwar in beein-
druckender Weise erlebt, wie Regierung und Opposition
in schwieriger Zeit zusammenstanden. Aber dass schon
eine Stunde nach der Debatte, in der auch um nationale
Konsequenzen aus den schrecklichen Anschlägen vom
11. September gerungen wurde, die Bundesregierung das
Parlament, ja sogar die eigenen Abgeordneten brüskiert
hat, indem sie einseitig Steuererhöhungen beschlossen
hat, ist ein unglaublicher Vorgang, der im Parlament noch
erörtert werden muss.
Jetzt sollen, wie gesagt, kurzfristig Steuern erhöht wer-
den, nämlich die Tabak- und die Versicherungsteuer.
Zudem sind die weiteren Erhöhungen der Ökosteuer
schon beschlossen. Dies bedeutet, dass im letzten Jahr der
Ökosteuer die Bürger und die Arbeitsplätze allein durch
die Ökosteuer mit 33,5 Milliarden DM pro Jahr belastet
werden.
Das ist doch Ihr Gesetz! Schauen Sie es sich selber doch
einmal genau an!
Zusätzlich wird die Tabaksteuer erhöht und dann deren
Aufkommen künstlich auf 2 Milliarden DM herunterge-
rechnet. Wenn man alle Steuererhöhungen zusammen-
rechnet, ergibt sich Folgendes: 35,5 Milliarden DM
Aufkommen aus Ökosteuer und Tabaksteuer zuzüg-
lich 16 Prozent Mehrwertsteuer das sind 5,7 Milliar-
den DM sind 41,2 Milliarden DM. Hinzu kommt noch
die Erhöhung der Versicherungsteuer, deren Aufkommen
voraussichtlich bei 1 Milliarde DM liegen wird. Das
heißt, die Bürger werden durch Rot-Grün mit rund 42 Mil-
liarden DM pro Jahr zusätzlich belastet werden.
Dazu kann ich nur sagen: Herr Finanzminister Eichel er
ist inzwischen gegangen , Sie setzen inzwischen die Po-
litik Ihres Vorgängers Lafontaine fort. Sie reden von Steu-
ersenkungen, beschließen aber Steuererhöhungen. Diesen
Weg werden wir nicht mitgehen.
Das ist schon eine verquere Steuerlogik von Rot-Grün:
Rasen für die Rente, Rauchen für den Frieden! Das nimmt
Ihnen niemand ab.
Unter Ihnen, Herr Finanzminister Eichel, ist die Steu-
erquote im letzten Jahr auf den höchsten Wert seit Beste-
hen der Bundesrepublik Deutschland gestiegen. Es hat
den Anschein, dass Rot-Grün unter dem Eindruck der
schrecklichen Geschehnisse in den USA die Steuern des-
halb klammheimlich erhöht, um einen Teil der Haushalts-
probleme dieses Jahres und der nächsten Jahre nicht durch
Sparmaßnahmen, sondern durch Steuererhöhungen zu lö-
sen. Das heißt, Sie drücken sich vor der Aufgabe, den
Haushalt tatsächlich zu sanieren. Auch das lassen wir Ih-
nen nicht durchgehen.
Höhere Steuern scheinen jetzt das letzte Mittel zu sein,
um zusätzliche Ausgaben zu finanzieren. Aber die Koali-
tion trägt damit angesichts der abflauenden Konjunktur
weiter zur Verunsicherung von Bürgern und Unternehmen
sowie zur Entziehung von Kaufkraft bei. Der Finanzmi-
nister und die rot-grüne Koalition haben offenbar vor der
Aufgabe kapituliert, die Staatsausgaben einzudämmen
und umzugestalten. Sie verfahren nach der alten Buch-
haltermethode: Neue Ausgaben erfordern neue Einnah-
men, also höhere Steuern. Dabei übersehen sie, dass so die
Verunsicherung der Wirtschaft und der Verbraucher ge-
schürt wird.
Mit diesem Taschenspielertrick, was Ihre steuerpoliti-
schen Vorgaben angeht, sind Sie, Herr Finanzminister,
nicht mehr der Garant finanzpolitischer Solidität; deshalb
lehnt die FDP diese Steuererhöhungen ab.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 188. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 25. September 2001
Carl-Ludwig Thiele
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