Rede von
Dr.
Wolfgang
Gerhardt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Wir brauchen drei Haltungen,
wenn wir die Herausforderungen bewältigen wollen. Wir
brauchen zuallererst ein freiheitliches Bewusstsein. Nie-
mand muss meine Fraktion, die Freien Demokraten, da-
rüber belehren. Es ist bare Selbstverständlichkeit, dass
zum Erhalt des freiheitlichen Bewusstseins in den trans-
atlantischen Beziehungen das gehört, was für uns in der
Bundesrepublik Deutschland Staatsräson war. Das kann
man nur wiederholen. Das bedarf überhaupt keiner weite-
ren Bemerkungen.
Ich repräsentiere eine Partei, die auch in Zeiten, in de-
nen es in der Bundesrepublik Deutschland viele kritische
Stimmen von Kolleginnen und Kollegen und von den Me-
dien gegen die Supermacht Amerika mit Wirkungen, die
wir noch immer spüren, gab, wusste: Die Bundesrepublik
Deutschland wird ihre eigene Rolle weltweit nicht geach-
tet finden, wenn sie sich nicht als Partner der Vereinigten
Staaten von Nordamerika sieht und sich nicht europäisch
einbettet. Das ist die Voraussetzung; hierbei geht es um
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 187. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2001
Staatsminister Dr. Ludger Volmer
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das freiheitliche Bewusstsein. Wenn Sie jetzt nach Ame-
rika blicken, spüren Sie, dass dies in dieser Nation tief
verankert ist.
Es ist mir bitter aufgestoßen, dass jemand von einem
schießwütigen Cowboy gesprochen hat. Das ist in der
gegenwärtigen Lage so unpassend, wie es nur sein kann.
Wer sich die Gesichter der Rettungskräfte in New York
ansieht, diese Charaktere wahrnimmt und sieht, dass sie
die amerikanische Fahne in den größten Trümmern auf-
stellen, der kann nur ahnen, welche Kraft in diesem Land
steckt. Diese Kraft muss mit uns zusammen weltweit für
Menschenwürde und Frieden nutzbar gemacht werden.
Darauf kommt es jetzt an.
Dieses Land hat eine gewaltige ökonomische Kraft:
Sein Anteil am weltweiten Bruttosozialprodukt liegt bei
30 Prozent, der Anteil an den Internetverbindungen liegt
bei 40 Prozent. Weil das Land wie Paul Kennedy
schreibt so international ist, stellt es 70 Prozent der No-
belpreisträger seit 1975. Es bestreitet 36 Prozent der welt-
weiten Rüstungsausgaben mehr als die folgenden neun
Staaten zusammen. Jeder von uns spürt, dass die ameri-
kanische Führung einsieht, dass es allein mit einem Ko-
loss, einer Militärmaschinerie und purer Kraft nicht geht.
Wenn es eine komplette Veränderung über den Atlantik
hinweg gegeben hat, dann die, dass die Amerikaner
spüren, dass ihnen ihre eigene Kraft nichts nützt, wenn sie
keine Verbündeten haben. Das ist eine wichtige Erkennt-
nis.
Deshalb kommt es auf uns an, und zwar mehr, als wir
vielleicht vermutet haben, und mehr, als manche von uns
mögen oder uns auch zutrauen. Bei den Haushaltsbera-
tungen werden wir deshalb eine andere Diskussion als
bisher führen müssen. Es wird eine Auseinandersetzung
mit der Bundesregierung und auch mit dem Bundesver-
teidigungsminister stattfinden müssen. Angesichts dieser
Lage kann der Haushalt so nicht bestehen bleiben. Darü-
ber werden wir zu diskutieren haben.
In dieser Situation müssen wir der Bundeskanzler hat
es auch getan der Öffentlichkeit ehrlicherweise sagen:
Wir werden bei allen ökonomischen Anstrengungen,
allem freiheitlichen Bewusstsein und aller Armuts-
bekämpfung am Ende nicht darum herumkommen, auch
militärische Mittel einzusetzen, und zwar gegen Men-
schen, die entgegen dem, was wir uns als Gutmen-
schen in Deutschland so oft vorstellen absolut nicht
therapierbar sind. Die Gegner sind nicht fest lokalisierbar.
Es handelt sich nicht um die traditionelle staatliche Aus-
einandersetzung. Die Situation ist auch nicht die gleiche
wie bei Pearl Harbor. Damals wusste man noch, gegen
wen man anzutreten hatte. Jetzt handelt es sich um eine
Auseinandersetzung, die viele Kräfte in vielen politischen
Bereichen beanspruchen wird. Am Ende werden notwen-
digerweise auch die militärische Kraft und die militäri-
schen Fähigkeiten eingesetzt werden müssen; denn zu un-
serer Verantwortung für die Sicherheit der Bundesbürger
in Deutschland einschließlich der ausländischen Mitbür-
gerinnen und Mitbürger gehört die Fähigkeit, diejenigen
zu bekämpfen, die das Leben von Menschen bedrohen.
In manchen Reden, die ich in den letzten Tagen gehört
habe, habe ich dieses eine Wort vermisst. Hier diskutiert
niemand wie im Generalstab oder in Kriegsszenarien. Wer
aber Verantwortung hat, muss unseren Mitbürgern sagen:
Wenn wir dieser Menschen habhaft werden und sie
bekämpfen wollen, müssen wir in der Lage sein, militäri-
sche Fähigkeiten zu entwickeln. Das ist eine bare Selbst-
verständlichkeit.
Deshalb kommt es darauf an, die Öffentlichkeit nicht mit
falschen Bildern vertraut zu machen. Wir müssen uns mit
Entschlossenheit gegen solche menschlichen Charaktere
wehren, in welchen Gesellschaften einschließlich der
der Bundesrepublik Deutschland sie sich auch immer
befinden. Wir können sie nicht alle in psychiatrische An-
stalten einweisen und glauben, sie therapieren zu können.
Diplomatische Mittel werden im Übrigen nur dann
wirkungsvoll eingesetzt werden können, wenn dahinter
militärische Fähigkeiten stehen. Es gibt Menschen auf
dieser Welt, die durch einen Botschafterbesuch nicht da-
von zu überzeugen sind, ihre Meinung zu ändern. Auch
gibt es Bedrohungen, die durch schlichte Verhandlungen
und Diplomatie nicht hinwegzudiskutieren sind.
In dieser großen, weltweiten Allianz gegen den Terro-
rismus haben sich in anderen Ländern Führungseliten öf-
fentlich zu dieser Allianz bekannt, deren Gesellschaften
jedoch schwanken. Niemand weiß, ob sie morgen noch
zur Allianz stehen, oder ob dort emotionale, soziale oder
religiöse Bewegungen die Oberhand gewinnen, die vom
Bekenntnis zur Allianz nichts halten. Oft sind sie fana-
tisch und haben mit Problemen zu kämpfen, die wir uns
überhaupt nicht vorstellen können.
Nein, es wird keine sauberen, schnellen und klaren
Siege geben, wie dies Paul Kennedy ausgedrückt hat.
Dies wünschen sich die Amerikaner; denn bisher war es
für sie in der Geschichte immer so. Aber es wird nicht
mehr so sein. Es wird einer unendlichen Anstrengung der
freien Gesellschaften bedürfen, um diesem Phänomen,
das eine dramatische Bedrohung der Freiheit von Men-
schen und Menschenwürde in diesem beginnenden Jahr-
tausend darstellt, zu begegnen.
Hier wird sich erweisen müssen, ob die Bundesrepu-
blik Deutschland nach einer unglaublichen Entwicklung
ökonomischer, freiheitlicher und demokratischer Stabi-
lität in der Lage ist, nach der größten Katastrophe des letz-
ten Jahrhunderts die größte Herausforderung ohne Panik,
mit Standing, mit freiheitlichem Bewusstsein, dem Be-
kenntnis zu ihren Verfassungsgrundsätzen, aber auch dem
Bekenntnis, den Feinden von Demokratie im Ernstfall
entgegenzutreten, zu bewältigen, ob sie sich dessen be-
wusst ist und in der Lage ist, ihre innere und wirtschaftli-
che Stabilität zu bewahren.
Zum Abschluss, Herr Bundeskanzler, zu den Haus-
haltsberatungen: Es reicht heute, nach diesem Ereignis
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 187. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2001
Dr. Wolfgang Gerhardt
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nicht mehr aus, nur über die Probleme der Wirtschaft zu
diskutieren. Es gibt keine Wachstumsrate in den Vereinig-
ten Staaten. Die Konjunktur schwächelt und die Katastro-
phe tut ihr Übriges dazu. Sie dürfen nicht nur woanders hin-
schauen. Wenn wir jetzt einen Beitrag leisten wollen, dann
müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, ökonomisch
und beschäftigungsdynamisch nach vorn zu kommen. Ge-
rade weil die Vereinigten Staaten jetzt so betroffen sind, ha-
ben wir lassen Sie es mich so ausdrücken ein Stück wirt-
schaftspolitische, ökonomische Führungsverantwortung in
den freiheitlichen Gesellschaften. Wir sind keine beliebige
Volkswirtschaft.
Deshalb wird dies nicht nur eine Haushaltsberatung
mit Blick auf die Sicherheit. Es wird auch keine Haus-
haltsberatung in der Weise, wie sie der Finanzminister
einmal in einer Weltlage angenommen hat, die anders war
als die heutige. Es wird eine Beratung, bei der zuallererst
die Regierung die Frage beantworten muss, ob sie wirk-
lich glaubt, mit diesem Haushalt den ökonomischen und
sicherheitspolitischen Beitrag der Bundesrepublik
Deutschland angesichts der Veränderung der Weltlage
leisten zu können. Ich sage Ihnen: Es wäre klug, wenn uns
das Kabinett angesichts der Ereignisse einen neuen Haus-
halt vorlegen würde.
Der vorliegende wird der Lage in keinem Bereich mehr
gerecht.
Während der Haushaltsdebatte dürfen diese Ereignisse
nicht vergessen werden. Die Debatte wird vonseiten der
Freien Demokratischen Partei aber eine klare Präzision
erfahren, was wir nach diesen Anschlägen politisch und
ökonomisch in Deutschland für notwendig erachten. Das
ist unsere Pflicht. Heute haben Sie unsere Unterstützung,
aber demnächst müssen wir uns wieder mit Ihnen ausei-
nander setzen. Das ist notwendig. Nichtsdestoweniger
finden Sie uns bei den von Ihnen abgegebenen Erklärun-
gen gegenüber den Vereinigten Staaten von Nordamerika
an Ihrer Seite.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.