Rede von
Dr.
Ludger
Volmer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Der Terrorangriff auf die USA hat großes
menschliches Leid gebracht. Er hat ein Nervenzentrum
der westlichen Welt zerstört. Er hat eine aufregende mul-
tikulturelle Stadt verwüstet. Er hat aber noch ein Weiteres
bewirkt: Er hat das festgefügte Weltbild ins Wanken ge-
bracht, das manch einer mit den dominant wirkenden
USA verband.
Der Schock in der amerikanischen Gesellschaft über
den Verlust der vermeintlichen Unverwundbarkeit geht
mit der verstörten Einsicht bei uns einher, dass die Ga-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 187. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2001
Michael Glos
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rantiemacht für unsere Sicherheit nun Opfer geworden ist.
50 Jahre lang haben die USA geholfen, in Europa Sicher-
heit, Freiheit und Demokratie zu sichern. Deshalb ist es
jetzt, in dieser schweren, schicksalshaften Stunde, an uns
Europäern, den USA beizustehen.
Wir werden dies, wie es Bundeskanzler Gerhard
Schröder erneut betont hat, mit aller Entschlossenheit tun,
aber auch mit der nötigen Besonnenheit, mit Augenmaß
und mit dem Blick auf die Folgen unseres Handelns. Wir
bewundern eine amerikanische Haltung, die Trauer und
Wut zwar in starke Worte kleidet, jedoch ohne übereilte
Aktionen versucht, gemeinsam mit den Partnern einen
vernunftgesteuerten Plan zu entwickeln, wie die neue, er-
schreckende Dimension des Terrorismus bekämpft wer-
den kann, ohne die Falschen zu treffen, ohne potenzielle
Freunde zu Gegnern zu machen, ohne den gezielten
Kampf gegen Verbrecherorganisationen in einen allge-
meinen Kampf der Kulturen münden zu lassen.
Außenminister Fischer ist heute in Washington, um un-
seren amerikanischen Freunden erneut unsere Solidarität
zu versichern und mit ihnen das weitere Vorgehen abzu-
stimmen.
Die NATO hat mit ihrem Beschluss vom 12. Septem-
ber ein wichtiges Zeichen der Solidarität mit den Verei-
nigten Staaten gesetzt. Die nordatlantische Allianz ist kein
Schönwetterbündnis. Gegen menschenverachtende Mör-
der, die ohne Hemmungen die Grundlagen menschlichen
Zusammenlebens zerstören wollen, muss das Bündnis ge-
meinsam auftreten. Wir als Verbündete des angegriffenen
Partners haben nicht nur das moralische Recht, sondern
auch die moralische und politische Verpflichtung, unseren
Beitrag zur Verteidigung zu leisten und die Täter, Organi-
satoren und Sponsoren terroristischer Akte zur Rechen-
schaft zu ziehen. Diese Verpflichtung wird ausdrücklich
auch in der Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen vom 12. September 2001 formuliert, in der der
Angriff auf die USA als Bedrohung des internationalen
Friedens und der Sicherheit bewertet wird.
Die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus wird
schwierig und langwierig sein. Täter, Mithelfer und An-
stifter müssen bestraft werden. Tun wir das nicht, dann
wird dies nur zu einer weiteren Eskalation einladen. Soll
die Gefährdung aber nicht binnen kurzer Zeit in anderer
Gestalt wieder erstehen, muss die gesamte internationale
Gemeinschaft in einer konzertierten Aktion, in einer
weltweiten Koalition, handeln. Es steht nicht Kultur ge-
gen Kultur, sondern Zivilisation gegen Barbarei.
Aus vielen Ländern kommen dazu ermutigende Si-
gnale: aus Russland, aus China, aus Pakistan und aus
Indien. Die zentralasiatischen Staaten Kasachstan,
Usbekistan und Kirgistan haben ihre uneingeschränkte
Unterstützung zugesagt. Es bildet sich eine regionale Ko-
alition, die zum einen dem Terror entschlossen entgegen-
treten will und zum anderen verhindern möchte, dass das
afghanische Talibanregime die gesamte Region destabili-
siert. Ägypten hat eine internationale Terrorismuskonfe-
renz vorgeschlagen; die EU wird am Freitag einen Son-
derrat zur Terrorismusbekämpfung einberufen.
Fast die gesamte arabisch-islamische Welt das
scheint mir entscheidend zu sein hat die Terroranschläge
schärfstens verurteilt. Auch sie hat wie wir teure An-
gehörige in den Trümmern des World Trade Centers ver-
loren. Nicht wenige arabische Staaten haben selber sehr
schmerzvolle Erfahrungen mit dem Terrorismus gemacht.
Wenn die Spuren der Täter in die arabisch-islamische
Welt weisen, so soll dies Anlass sein, die arabischen Staa-
ten in der internationalen Allianz zur Bekämpfung dieser
Geißel der Menschheit willkommen zu heißen.
Dieser Kampf wird umso effektiver sein, je mehr sich
der Dialog der Kulturen vertieft. Wenn aber der Kultur-
dialog ein unabdingbarer außenpolitischer Faktor ist,
dann muss er auch ein innenpolitischer sein und bleiben.
Es war eine großartige Geste, dass Präsident Bush in ei-
ner Washingtoner Moschee zu Toleranz gegenüber den
Moslems aufgerufen hat. Auch in Deutschland sollten wir
auf unsere muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger
zugehen und ihnen zeigen, dass wir den Unterschied zwi-
schen Islam und Islamismus sehr genau begriffen haben.
Ein weiterer Faktor für die Bekämpfung des islamisti-
schen Terrors sind rasche und sichtbare Erfolge im israe-
lisch-palästinensischen Friedensprozess. Jede weitere
Eskalation im Nahen Osten würde die extremistischen
Kräfte in der gesamten islamischen Welt fördern.
Die Bundesregierung begrüßt daher die gestrige Er-
klärung von Präsident Arafat als einen wichtigen Schritt
auf dem Weg zum Frieden im Nahen Osten.
Es ist eine strategische Entscheidung der Palästinenser,
sich unmissverständlich auf die Seite der Antiterrorkoali-
tion zu stellen und dazu beizutragen, dass die internatio-
nalen Netzwerke des Todes zerstört werden können. Wir
hoffen, dass Präsident Arafat die Kraft hat, sich in dieser
Stunde null der internationalen Politik mit seinem Be-
kenntnis zum Waffenstillstand und zum Neuanfang gegen
interne Widersacher, die heute Nacht wieder gezündelt
haben, zu behaupten, und dass er von israelischer Seite die
entsprechende Resonanz erhält.
Die Bundesregierung und insbesondere Bundesaußen-
minister Fischer haben sich in den letzten Monaten enga-
giert und fortlaufend um eine Wiederbelebung des Frie-
densprozesses bemüht. Der Außenminister hatte sich auch
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Staatsminister Dr. Ludger Volmer
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mit Präsident Arafat mehrfach kurzgeschlossen und die
gestrige Erklärung eng mit ihm abgestimmt. Wir werden
dieses Engagement fortsetzen. Wir werden weiterhin da-
ran arbeiten, dass die Israelis und die Palästinenser Ge-
spräche aufnehmen, und zwar wie es der Mitchellplan
vorsieht: ohne jede Vorbedingung.
Auch die pakistanische Seite hat die Terroranschläge
schnell und entschieden verurteilt. Dieser Schritt war in
der gegenwärtigen schwierigen und aufgeheizten Lage al-
les andere als einfach. Präsident Musharraf hat sich klar
zu Unterstützungsersuchen der USA bekannt. Seine
Regierung ist bemüht, einen breiten nationalen Konsens
für einen konstruktiven Kurs zu finden. Sie bedarf unse-
rer Unterstützung, damit nicht über innere Destabili-
sierung islamistisch-fundamentalistische Gruppen die
Verfügungsmacht über das pakistanische Atomwaffenpo-
tenzial erhalten.
Wenn militärische Aktionen gegen die Beherrscher Af-
ghanistans gerechtfertigt und unvermeidlich sein sollten,
stellt sich die Frage, mit welchem Ziel sie geführt werden
sollen. Wenn sie unvermeidlich sind, dürfen sie nicht die
Voraussetzung dafür zerstören, dass auch Afghanistan
selber die Chance auf eine Zukunft, die Chance auf eine
aufgeklärte Regierungsführung, die Chance auf die Be-
wältigung des Armuts- und Flüchtlingsproblems, die
Chance auf Modernisierung und Demokratie hat.
Meine Damen und Herren, viele Menschen sind ver-
unsichert, gerade auch Mitglieder und Anhänger meiner
Partei, aber auch die anderer Parteien. Sie haben Angst,
auf eine schiefe Bahn zu geraten, auf der die Politik in un-
aufhaltsame militärische Eskalation abrutscht. Viele se-
hen sich vor der Gewissensfrage, eventuell dem Einsatz
militärischer Mittel zustimmen zu müssen. Sie sehen sich
damit einer Situation ausgesetzt, die sie durch präventive
Sicherheitspolitik hatten verhindern wollen. Solche Be-
denken sind ernst zu nehmen. Wenn man diese Menschen
dafür gewinnen will, militärische Aktionen auch gegen
große innere Zweifel zu tolerieren, müssen deren Dimen-
sionen überschaubar sein und muss ein Ende absehbar
sein. Es muss deutlich sein, dass die absolute Priorität bei
politischen Maßnahmen liegt.
Auch deshalb möchte ich sagen: Der 11. Septem-
ber 2001 hat die Welt von Grund auf verändert. Vieles,
was über den Tag hinausweist, wird grundsätzlich neu zu
beraten sein. Wir werden eine neue Sicherheitspolitik ent-
werfen müssen, die dem Terrorismus als Bedrohung
Nummer eins begegnen kann. Diese wird nicht in erster
Linie militärisch ausgerichtet sein. Eine umfassende Poli-
tik der Krisenprävention muss darauf abzielen, dem Ter-
ror mit den Mitteln einer internationalen Strukturpoli-
tik den sozialen Resonanzboden zu entziehen. Vieles
übrigens, was in der Globalisierungsdebatte der letzten
Monate von Kritikern vorgetragen wurde, sollte ernsthaft
bedacht werden. Auch wenn keine noch so ungerechte
Struktur Terror rechtfertigen kann, müssen wir realisti-
scherweise sehen, dass ein Mehr an Gerechtigkeit in der
Welt ein Mehr an Fairness bei der Lösung von Regional-
konflikten, ein Mehr an Dialogen auf Augenhöhe auch mit
den kleineren und ärmeren Staaten, ein Mehr an Sicher-
heit für uns bedeuten wird.
Lassen Sie mich abschließend noch sagen: Das Zu-
sammenstehen in dieser schicksalhaften Stunde macht
uns bewusst, dass unsere transatlantischen Gemein-
samkeiten essenziell sind, Meinungsverschiedenheiten
in einzelnen Fragen, die uns in der letzten Zeit viel be-
schäftigt haben, dagegen geringfügig. Bei aller furchtba-
ren Tragik der Ereignisse liegt darin sogar eine Chance für
eine erneuerte transatlantische Partnerschaft, die Chance
für einen intensivierten Dialog gerade auch der jüngeren
Generation diesseits und jenseits des Atlantiks, die den
Weltkrieg, die Nachkriegszeit und den Kalten Krieg nicht
oder nicht bewusst erlebt hat. Die Bekämpfung von Bar-
barei wird von nun an die gemeinsame Agenda von Ame-
rikanern und Europäern mitbestimmen und andere einbe-
ziehen, die am Prozess der Zivilisation mitarbeiten
wollen.
Ich danke Ihnen.