Rede von
Roland
Claus
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Die Bilder des unfassbaren
Leids wird niemand vergessen. Wir alle erleben in diesen
Tagen, dass sehr viele Bürgerinnen und Bürger ihre Trauer
und Wut, ihre Solidarität mit dem amerikanischen Volk
eben auch mit dem Ruf nach Besonnenheit und auch mit
der Angst vor Krieg verbinden. Die Politik ist wie selten
zuvor in die Pflicht genommen.
Herr Bundeskanzler, ich finde, Sie haben Recht: Es
geht in der Tat um die Kultur dieser einen immer mehr zu-
sammenwachsenden Welt. Die weinende Schülerin vor
der Hedwigs-Kathedrale, die mir in Erinnerung bleibt, ist
nicht weniger solidarisch mit den Vereinigten Staaten, nur
weil sie uns Politikern zuruft: Kein Krieg!. Ich denke,
wir sind uns einig: Wenn der globalisierte Terror den glo-
balisierten Krieg zur Folge hätte, dann hätte nicht die Zi-
vilisation, dann hätte der Terror obsiegt.
Die Logik des Todes ist die Logik der Terroristen. Sie darf
aber nicht die Logik einer freien und gerechten Welt
werden.
Der Kampf gegen den globalisierten Terrorismus ist
gewinnbar, ein Krieg aber nie.
Herr Bundeskanzler, ich weiß um die Last, die Sie in
diesen Tagen zu tragen haben. Ihre Regierungserklärung
verdient Respekt. Aber lassen Sie mich dennoch nachfra-
gen. Ich unterstelle Ihnen bekanntlich nicht, dass Sie der
kriegerischen Vergeltung das Wort reden. Aber warum ei-
gentlich haben Sie kein Wort zur Rede des Bundespräsi-
denten Johannes Rau auf der Berliner Kundgebung ge-
funden?
Dann war da noch das Wort von Frau Merkel an die
Adresse des Bundespräsidenten, wir dürften uns nicht ins
Hinterzimmer der Gemütlichkeit zurückziehen. Solche
Sätze lassen leider ahnen, wohin die in Sprache gebettete
Verächtlichmachung von Besonnenheit und Zurückhal-
tung führen kann.
Frau Merkel, wir wollen auch keine Spirale der Wortge-
walt.
Über alle Parteigrenzen hinweg besteht große Einig-
keit darüber, dass der 11. September einen tiefen Ein-
schnitt in der Geschichte darstellt. Wenn das richtig ist
wie auch ich finde , bedarf es aber auch ganz neuer
Antworten auf neue globale Herausforderungen. Ich habe
momentan jedoch das Gefühl, dass auf diese Zäsur nicht
mit wirklich neuen, sondern immer noch mit ziemlich al-
ten Überlegungen reagiert wird. Wenn die militärische
Vergeltung im Mittelpunkt steht, ist das alt. Wenn in der
Innenpolitik nach Einschränkung individueller Freiheiten
gerufen wird, ist das alt. Dies alles ist in der Vergangen-
heit schon da gewesen
und es hat nichts genutzt.
Die Welt braucht eine neue Sicherheitsarchitektur.
Den globalisierten Terrorismus kann die Völkergemein-
schaft nur gemeinsam wirksam bekämpfen. Zivile Kon-
fliktlösungen müssen Vorrang haben und die Gefahren ei-
ner Spirale der Gewalt müssen eingedämmt werden.
Indem wir dies sagen, wissen wir natürlich, dass die Er-
greifung der Schuldigen nicht ohne repressive Maßnah-
men vonstatten gehen kann. Über das Maß dieser Repres-
sion kann aber erst entschieden werden, wenn die
Schuldigen ausgemacht sind und ihr Aufenthaltsort aus-
findig gemacht wurde. Solche repressiven Maßnahmen
müssen dann mit den Betreffenden, so auch den arabi-
schen Staaten, und nicht gegen sie vereinbart werden.
Ein militärischer Schlag, dem Unschuldige zum Opfer
fallen, wird nicht nur das Leben dieser Unschuldigen kos-
ten, er wird auch seinerseits wieder neue Rufe nach Rache
und Vergeltung hervorbringen. Dies und nichts anderes
hat Gregor Gysi gemeint, als er überlegt hat, wie denn die
Verantwortlichen für den Terror zu ergreifen sind. Ich will
Ihnen sagen: Auch diese Frage ist der Linken natürlich
nicht egal.
Meine Damen und Herren, auch wir meinen: Die Welt
darf nicht in Gut und Böse aufgeteilt werden. Kein Volk
dieser Erde ist ein Schurkenvolk; keine Religion der Welt
ist eine Schurkenreligion. Pauschale Feindbilder werden
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 187. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2001
Kerstin Müller
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pauschale Hassreaktionen hervorbringen. Das kann nie-
mand wollen.
Die technische und logistische Realisierung der An-
schläge von New York und Washington zeigt: Dagegen
hilft keine Armee; dagegen hilft kein Raketen-
schutzschild. Eher ist zu befürchten, dass in der Logik des
Wahnsinns der Gegenschlag bereits kalkuliert ist. Staat-
liche Unterstützung von Terror muss geächtet und mit
politischen und ökonomischen Mitteln überwunden wer-
den. Entschiedener als zuvor haben wir darüber nachzu-
denken, wie endlich die Waffenexporte eingeschränkt und
die Finanzstrukturen des internationalen Terrorismus zer-
schlagen werden können.
Auch wir ich will das noch einmal betonen haben
keine fertigen Rezepte für die Lösung der komplizierten
Probleme. Nur: Es muss doch auch in Deutschland legi-
tim sein, vor einer Spirale der Gewalt zu warnen, ohne des
Antiamerikanismus verdächtigt zu werden. Es sind in der
Gesellschaft sehr viele, die wie wir vor dieser Spirale der
Gewalt warnen: Kirchen, Gewerkschaften, Verbände,
Friedensorganisationen. Unter den Besorgten sind ganz
Junge genauso wie auch die Älteren, die aus eigener Er-
fahrung wissen, was Krieg wirklich bedeutet.
Der Terror darf keine Gewalt über uns gewinnen. Jetzt
muss sich erweisen, wie zivilisiert die zivilisierte Welt ist.
In Berlin leben Zehntausende muslimischer Mitbürgerin-
nen und Mitbürger als Mitbürger, wie gesagt, nicht als
Feindbilder.
Es ist nicht unsolidarisch oder antiamerikanisch, wenn
sich die PDS-Fraktion entschlossen hat, den Beschluss
des NATO-Rats nicht mitzutragen. Es muss erlaubt sein,
sich dem Vorrang oder dem Übermaß des Militärischen zu
entziehen.
Eine Kriegsrhetorik wie die von der Notwendigkeit ei-
nes ich zitiere Kreuzzuges, die der Präsident der
Vereinigten Staaten jetzt gewählt hat, macht es schwer,
kritisch solidarisch zu sein. Es ist die Verantwortung der
NATO-Verbündeten, hier klare Antworten einzuholen.
Wir dürfen doch fragen: Was eigentlich ist das Ziel eines
Militärschlages? Was soll an seinem Ende stehen? Mit
welchem Ergebnis kommt man aus ihm wieder heraus?
Es bleibt uns die Hoffnung, dass aus militärischer Rheto-
rik nicht analoge Militärpolitik wird.
Neues Denken von Sicherheitspolitik verdient eine
Chance. Nein, die Terroristen sind weder Repräsentanten
noch die Stimme des in bitterer Armut lebenden Teils der
Welt. Nichts rechtfertigt ihre Anschläge. Dennoch muss
es zu einer neuen Sicherheitsarchitektur der Welt gehören,
mehr für Entwicklung und sozialen Ausgleich zu tun,
damit dem Terror der Nährboden entzogen wird. Gemein-
sames Handeln aller Staaten gegen den Terrorismus ist
nur in einem solidarischen Verbund aller Staaten möglich.
Die NATO ist nur in einem Teil der Welt ein solcher
Verbund. Die Hälfte der Welt kann nicht die Antworten
für die ganze Welt geben. Die UNO hat eine Antiterror-
konvention beschlossen, die, wenn sie weltweit ratifiziert
wird, Grundlage für entschiedene weltweite Schritte ge-
gen den Terrorismus sein kann.
Friede muss gerecht sein und sich mit Wohlstand
sei er auch relativ verbinden. Wer Sicherheit will, der
muss sich real für eine gerechte Welt und für eine neue
Weltwirtschaftsordnung einsetzen. Friede muss auch in-
nerhalb der Gesellschaft freiheitlich und demokratisch
sein. Es geht um das Gemeinwohl. Also muss die Ge-
meinschaft mehr Mittel für soziale, kulturelle und bil-
dungspolitische Integration aufbringen. Mehr Transpa-
renz, eine starke Zivilgesellschaft und interkultureller
Austausch sind Markenzeichen eines modernen Weges zu
mehr Sicherheit.
Natürlich sehen auch wir die Notwendigkeit, Maßnah-
men zur Verbesserung der Flugsicherheit zu ergreifen und
zu wirksameren Formen der Terrorismusbekämpfung im
Landesinnern zu gelangen. Aber Bürgerrechte, Demokra-
tie und Weltoffenheit dürfen nicht im Zeichen des Zorns
abgebaut werden.
Es genügt auch nicht, bei den geplanten Maßnahmen nur
in Kategorien der Repression zu denken. Es ist doch an-
gebracht, zur gemeinsamen Terrorismusprävention mit
nicht deutschen Verbänden und Vereinen in der Bundes-
republik in Beratung zu treten und dieses Thema auf die
Tagesordnung zu setzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben es in dieser
Legislaturperiode noch ein Jahr miteinander zu tun. Wie
auch immer sich jede und jeder heute entscheidet, ich habe
die Hoffnung, dass wir uns ganz am Anfang dieser Kon-
flikte so verhalten, dass wir uns nach diesem Jahr immer
noch in die Augen sehen können. Ebenso wie ich keinem
Abgeordneten unterstelle, unbedacht oder gar kriegslüs-
tern zu sein, sollten Sie einer kritischen Minderheit im
Hause nicht unlautere oder unerlaubte Motive unterstellen.
Wenn wir dem globalisierten Terror mit globalisierter
Vernunft und globalisierter Gerechtigkeit begegnen, dann
kann Friede sein.
Ich danke Ihnen.