Rede von
Dr.
Peter
Struck
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Wir haben in den letzten Tagen in
Deutschland eine beispiellose Welle der Trauer, des Ent-
setzens, aber auch der Solidarität mit dem amerikanischen
Volk erlebt. Zigtausende waren bei der amerikanischen
Botschaft in Berlin, haben sich in Kondolenzbücher ein-
getragen und haben ihr Mitleiden in Worte gefasst Trau-
ergottesdienste, Gebete, Gedenkminuten. 200 000 Men-
schen kamen am Freitag zum Brandenburger Tor, um
gemeinsam mit dem Bundespräsidenten und dem ameri-
kanischen Botschafter ihr Mitgefühl für die Opfer und das
amerikanische Volk zu zeigen.
All diese Symbole der Solidarität stehen für die Nähe
des deutschen Volkes zu den Menschen in den Vereinig-
ten Staaten von Amerika. In beeindruckender Weise hat
Bundeskanzler Gerhard Schröder in den letzten Tagen,
aber auch soeben vor diesem Haus die Solidarität
Deutschlands mit den USA zum Ausdruck gebracht.
Er hat unmissverständlich deutlich gemacht, dass die So-
lidarität von Regierung und Parlament mehr als eine bloß
symbolische sein muss und sein wird.
Aber wir dürfen uns nicht täuschen: Bei allem, was wir
jetzt zu entscheiden haben, geht es um mehr als lediglich
die Solidarität mit den USA; denn wir können die Terror-
angriffe in den USA nicht gleichsam aus der Zuschauer-
loge bewerten. Wenn wir in der Betrachtung einig sind,
dass die Angriffe der gesamten zivilisierten Welt gegolten
haben, dann galten sie natürlich auch uns. Wir müssen
wissen, dass die Angriffe auf New York und Washington
nicht singuläre Ereignisse bleiben müssen.
Niemand soll dem Irrtum verfallen, der Terror könnte
an Deutschland und Europa vorbeiziehen, wenn wir uns
jetzt im vermeintlichen Eigeninteresse aus dem Kampf
gegen den Terrorismus heraushielten.
Natürlich ist Europa im Visier der Terrornetzwerke. Ver-
eitelte Anschläge und Festnahmen in Deutschland und
Frankreich belegen das. Nirgendwo steht geschrieben,
dass Deutschland nur als Schlafstätte oder Ruheraum für
den internationalen Terrorismus dienen könnte. Deshalb
ist es nicht nur Bündnispflicht, sondern auch originäres
Eigeninteresse, gemeinsam mit unseren amerikanischen
Freunden, mit den NATO-Partnern und allen, die sich
dieser Bedrohung nicht ergeben wollen, entschlossen
den Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu
führen.
Wir müssen alles tun, um denjenigen das Handwerk zu
legen, die mit apokalyptischem Schrecken die Welt aus
den Fugen heben wollen. Dazu bedarf es jener besonne-
nen Entschlossenheit, wie sie unser Bundeskanzler in den
letzten Tagen gezeigt hat.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 187. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2001
Friedrich Merz
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Er lässt keinen Zweifel aufkommen, dass er seiner Ver-
antwortung gerecht wird auch bei anstehenden harten
Entscheidungen. Wie diese Verantwortung aussieht, hat
der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt in den bis
dahin schwersten Tagen der Republik, in den Tagen nach
der Entführung von Hanns-Martin Schleyer, 1977 formu-
liert: Die Verantwortung heißt: nichts zu versäumen und
nichts zu verschulden. Das gilt für den Kanzler, für die
Regierung, aber auch für jeden Einzelnen von uns im
Deutschen Bundestag.
Nichts zu versäumen, um nichts zu verschulden: Dazu
bedarf es nationaler und internationaler Anstrengungen,
kriminalistischer und geheimdienstlicher Aktivitäten so-
wie gesetzgeberischer Maßnahmen. Aber es bedarf auch
der Bereitschaft, diesen Kampf notfalls mit militärischen
Mitteln zu führen.
Ich halte daher die Erklärung der NATO vom 12. Sep-
tember für angemessen und absolut notwendig. In ihr
wird zu Recht festgestellt, dass der terroristische Angriff
vom 11. September gegen die USA als Handlung im
Sinne von Art. 5 des NATO-Vertrages anzusehen ist, also
als Angriff gegen alle NATO-Verbündeten, falls festge-
stellt wird, dass der Anschlag vom Ausland aus auf die
Vereinigten Staaten verübt wurde. Die Aktivierung von
Art. 5 bedeutet die Einforderung der Beistandspflicht der
Alliierten.
Wir sollten uns über die Bedeutung unseres Handelns
in der NATO völlig im Klaren sein. Die NATO, die noch
nie zuvor den Bündnisfall auslösen musste, steht vor ei-
ner bedeutsamen Bewährungsprobe. Die USA realisieren
so deutlich wie selten zuvor, dass auch sie als einzige
Weltmacht verwundbar und auf verlässliche Verbündete
angewiesen sind. Daher werden sie in ihrem zukünftigen
internationalen Handeln wesentlich davon beeinflusst
werden, wie die Bündnispartner in Zeiten der Krise und
Bedrohung Solidarität und Beistand zu leisten bereit sind.
Wer befürchtet hatte, die USA würden unüberlegt und
in blindem Schmerz auf die Anschläge antworten, sieht
sich getäuscht. Die USA haben wohl überlegt angefan-
gen, eine breite Koalition gegen den internationalen
Terrorismus zu schmieden, und haben deutlich gemacht,
dass seine erfolgreiche Bekämpfung den Einsatz unter-
schiedlichster Mittel mit langem Atem erfordert.
Auf Antrag der USAhat sich der Sicherheitsrat der Ver-
einten Nationen mit den Angriffen auf New York und
Washington befasst. In seiner Resolution vom 12. Sep-
tember wird das Recht auf individuelle und kollektive
Selbstverteidigung gegenüber terroristischen Gewalttaten
anerkannt und zum ersten Mal der internationale Terroris-
mus völkerrechtlich als Bedrohung des Weltfriedens und
der internationalen Sicherheit qualifiziert. Diese Verän-
derung des Völkerrechts hat die Möglichkeit eröffnet, ter-
roristische Gewalttäter, ihre Organisationen und die sie
unterstützenden Kräfte mit angemessenen auch militäri-
schen Mitteln zu bekämpfen bzw. ihrer Bestrafung zu-
zuführen.
Sehr zu begrüßen ist, dass sich neben der Europäischen
Union und Japan auch Russland und China an die Seite
der USA gestellt haben und zu enger Kooperation gegen
den internationalen Terrorismus bereit sind.
Wir sollten alles unternehmen, um eine größtmögliche
Koalition gegen den Terrorismus zu schaffen. Dabei müs-
sen insbesondere die Vereinten Nationen eine wichtige
Rolle spielen. Denn die erfolgreiche Bekämpfung und
Austrocknung des internationalen Terrorismus verlangt
eine komplexe und differenzierte Strategie, die politische,
wirtschaftliche, kulturelle und militärische natürlich
auch geheimdienstliche Elemente miteinander verbin-
den muss.
Es besteht kein Zweifel daran das sollten wir über
den Deutschen Bundestag auch unseren Bürgerinnen und
Bürgern mitteilen , dass es eine militärische Vergeltung
für den kriegerischen Terroranschlag auf das World Trade
Center und das Pentagon geben wird: wenn klar ist, wer
die verantwortlichen Kräfte und die sie unterstützenden
Staaten sind. Die militärische Abschreckung funktioniert
bei Staaten, aber nicht bei zu Selbstmord bereiten Ter-
roristen. Sie müssen gefasst und unschädlich gemacht
werden durch zielgenaue Aufklärung und hoch mobile
militärische Spezialkommandos. Sie müssen ihre Stütz-
punkte und staatlichen Fluchtburgen verlieren durch mas-
sive internationale Sanktionierung aller Staaten und Re-
gierungen, die Terroristen beherbergen, unterstützen und
nicht ausliefern. Sie müssen ihrer Finanzmittel verlustig
gehen durch die Verstopfung ihrer Geldkanäle und Verei-
telung ihrer Finanztransaktionen.
Aber auch das wird nicht reichen: Wir müssen den
gesellschaftlichen Resonanzboden für Terroristen aus
Armut, sozialem Elend und verletztem Stolz abbauen.
Vordringlich ist dabei der Bundeskanzler hat darauf hin-
gewiesen , den Nahostkonflikt in friedliche Bahnen zu
lenken und eine Lösung zu finden, die Israel eine gesi-
cherte Existenz und den Palästinensern einen eigenen
Staat garantiert, der wirtschaftlich lebensfähig ist.
Wir müssen den Armutsregionen der Welt eine Perspek-
tive geben durch entwicklungspolitische Maßnahmen,
aber auch durch die Öffnung unserer Märkte und den Ab-
bau von Protektionismus gegenüber ihren Produkten.
Sie müssen in den Regeln der Welthandelsorganisation
auch für sich Vorteile erkennen. Wir müssen den Dialog
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 187. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2001
Dr. Peter Struck
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und die Solidarität der Religionen und Kulturen verstärkt
organisieren und vertiefen, damit deutlich wird, dass
nun zitiere ich aus dem gemeinsamen Entschließungs-
antrag von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und
FDP keine Religion Verbrechen gegen die Menschlich-
keit rechtfertigt.
Meine Damen und Herren, es sind nicht nur welt- und
außenpolitische Herausforderungen, denen wir uns jetzt
stellen müssen, sondern wir sind im Innern genauso
gefordert, uns von diesen Feinden der freiheitlichen
Lebensweise der westlichen Welt diese nicht zerstören
zu lassen. Wir dürfen nichts versäumen und nichts ver-
schulden, hat Helmut Schmidt gesagt. Wir dürfen nicht
versäumen, die Zellen fundamentalistischen Terrors in
unseren Städten aufzudecken. Aber wir dürfen nicht ver-
schulden, dass 3 Millionen muslimische Mitbürger in un-
serem Land unter Generalverdacht gestellt werden.
Wir dürfen nicht versäumen, genauer hinzuschauen,
wer an unseren Hochschulen studiert. Aber wir dürfen
nicht verschulden, dass diese die von uns allen gewollte
Anziehungskraft in der Welt verlieren.
Wir dürfen nicht versäumen, bei der Regelung der Zu-
wanderung sicherheitsrelevante Aspekte im Ausländer-
recht zu berücksichtigen, wie vom Bundesinnenminister
geplant. Aber wir dürfen nicht verschulden, dass Zuwan-
derung als bedrohlich empfunden wird.
Wir dürfen nicht versäumen, alle erdenklichen Aspekte
für die Sicherheit unseres Landes und unserer Bürger zu
bedenken. Aber wir dürfen nicht verschulden, darüber die
Werte, für die wir, die westlichen Demokratien, stehen,
über Bord zu werfen.
Bundesinnenminister Otto Schily hat bei diesen Aufga-
ben die volle Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion.
Er hat in den letzten Tagen bewiesen, dass er sich den He-
rausforderungen mit ganzer Kraft stellt.
Ruhige Hand und kühler Kopf sind auch hier die besseren
Rezepte als hektische Milliardenprogramme.
Wir werden alles, was nötig ist, einleiten und auch fi-
nanzieren. Aber wer so tut, als brauche man nur mal eben
Milliarden in Geheim- und Sicherheitsdienste zu ste-
cken, um die Terrorszene auszuheben, der macht den
Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land etwas vor.
Wir alle werden möglicherweise Entscheidungen zu
treffen haben, die sich niemand von uns jemals erdacht,
geschweige denn gewünscht hat. Alle bisherigen He-
rausforderungen verblassen vor dem, was wir jetzt zu be-
wältigen haben. Meine Fraktion unterstützt den Bundes-
kanzler und die Bundesregierung im Einsatz gegen die
Herausforderungen dieses Weltterrorismus.
Wir sind gewiss, dass nur eine geschlossene und ent-
schlossene Antwort der zivilisierten Welt die Menschheit
in Zukunft vor dem Grauen des 11. September schützen
kann. Freiheit und Demokratie, Menschenwürde und die
Achtung vor der jeweils anderen Religion dürfen nicht
unter den Trümmern des World Trade Centers begraben
werden.
Das ist die Verantwortung, vor der wir jetzt stehen. Sie
zu übernehmen und sie zu tragen wird keinem von uns
leicht fallen; aber wir dürfen und können uns dieser Ver-
antwortung nicht entziehen.